Stimmenvielfalt im Monolog - Anke Grutschus - E-Book

Stimmenvielfalt im Monolog E-Book

Anke Grutschus

0,0

Beschreibung

Redewiedergabe ist in Form von direkter oder indirekter Rede in unserem Alltag omnipräsent, auch von wissenschaftlicher Seite kann sie als umfassend beschrieben gelten. Die vorliegende Monographie stellt einerseits im deutschsprachigen Raum wenig rezipierte theoretische Modellierungen vor und nimmt andererseits Redewiedergabe speziell als Phänomen gesprochener Sprache in den Blick. Dabei werden prosodische, nonverbale und funktionale Charakteristika auf der Grundlage eines Korpus aus spanischen Stand-up-Acts, evangelikalen Predigten und wissenschaftlichen Vorträgen herausgearbeitet. Der Fokus auf das Spanische erlaubt es auch, bislang nur unzureichend untersuchte einzelsprachliche Besonderheiten wie die Verwendung von spanischen redekennzeichnenden Verben und Zitatmarkern sowie die Markierung von Redewiedergabe auf prosodischer Ebene zu analysieren.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 638

Veröffentlichungsjahr: 2022

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Anke Grutschus

Stimmenvielfalt im Monolog

Formale und funktionale Aspekte von Redewiedergabe in spanischsprachigen Stand-up-Acts, Predigten und wissenschaftlichen Vorträgen

DOI: https://doi.org/10.24053/9783823395577

 

© 2022 • Narr Francke Attempto Verlag GmbH + Co. KGDischingerweg 5 • D-72070 Tübingen

 

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetztes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

 

Alle Informationen in diesem Buch wurden mit großer Sorgfalt erstellt. Fehler können dennoch nicht völlig ausgeschlossen werden. Weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen übernehmen deshalb eine Gewährleistung für die Korrektheit des Inhaltes und haften nicht für fehlerhafte Angaben und deren Folgen. Diese Publikation enthält gegebenenfalls Links zu externen Inhalten Dritter, auf die weder Verlag noch Autor:innen oder Herausgeber:innen Einfluss haben. Für die Inhalte der verlinkten Seiten sind stets die jeweiligen Anbieter oder Betreibenden der Seiten verantwortlich.

 

Internet: www.narr.deeMail: [email protected]

 

ISSN 2365-3094

ISBN 978-3-8233-8557-8 (Print)

ISBN 978-3-8233-0385-5 (ePub)

Inhalt

Vorwort1 Einleitung2 Redewiedergabe im Forschungsüberblick2.1 Zum Untersuchungsgegenstand: ein Problemaufriss2.2 Redewiedergabe in Rhetoriken und Grammatiken2.2.1 Redewiedergabe und antike Rhetorik2.2.2 Redewiedergabe in der (spanischen) Grammatikographie2.3 Redewiedergabe aus sprachwissenschaftlicher Sicht2.3.1 Redewiedergabe und linguistische Teildisziplinen2.3.2 Sprachliche Reflexivität, Metasprache und Autonymie2.3.3 Dialogizität und Polyphonie2.3.4 Gesprächsanalytische und pragmatische Perspektiven3 Redewiedergabe im Spanischen: Typen, Formen und Funktionen3.1 Typologie der Redewiedergabe3.1.1 Kanonische Formen3.1.2 Misch- und Hybridformen3.1.3 Rand- und Grenzbereiche3.1.4 Alternative Klassifizierungsmöglichkeiten3.1.5 Redewiedergabe als Kontinuum3.2 Sprachliche Markierung3.2.1 Redekennzeichnung3.2.2 Wiedergegebene Rede3.2.3 Verknüpfungsfragen3.3 Prosodische Markierung3.3.1 (Typo)graphische Markierung vs. prosodische Markierung3.3.2 Relevante Parameter3.3.3 Unterschiedliche Grade prosodischer Markierung3.3.4 Funktionen prosodischer Markierung3.4 Nonverbale Ebene3.5 Inhaltliche Ebene3.6 Diasystematische Markierung3.7 Funktionale Aspekte3.7.1 Narrative Funktion3.7.2 Evaluierende Funktion3.7.3 Illustrierende Funktion3.7.4 Argumentative Funktion3.7.5 Weitere Funktionen3.8 Zusammenfassung4 Monologisches Sprechen4.1 Charakteristika monologischer Kommunikationssituationen4.2 Monologische Diskurstraditionen4.2.1 Stand-up-Comedy4.2.2 Predigten4.2.3 Wissenschaftliche Vorträge5 Zum Korpus5.1 Prinzipien der Korpuserstellung5.2 Aufbereitung der Korpusdaten5.3 Anmerkungen zur statistischen Auswertung6 Korpusanalyse: Redewiedergabe in Monologen6.1 Verbale Ebene6.1.1 Umfang der Redewiedergabe6.1.2 Satztyp6.1.3 Art der Redekennzeichnung6.1.4 Position der Redekennzeichnung6.1.5 Verknüpfung von R0 und R16.1.6 Redewiedergabe-Typ6.1.7 Beginn der Redewiedergabe6.1.8 Nicht berücksichtigte Parameter6.2 Paraverbale Ebene6.2.1 Pausen6.2.2 Finale Dehnung6.2.3 Tonhöhe6.2.4 Zitatkonturen6.2.5 Stimmqualität6.2.6 Zusammenfassung6.3 Pragmatische Ebene6.3.1 Originaltreue6.3.2 Nonverbale Markierung6.3.3 Spontaneität6.4 Inhaltliche Ebene6.4.1 Faktizität6.4.2 Identität S16.4.3 Einbettungsebene der Wiedergabe6.5 Diasystematische Markierung6.5.1 Vorüberlegungen6.5.2 Auswertung6.6 Funktionale Aspekte6.6.1 Vorüberlegungen6.6.2 Auswertung6.7 Zwischenbilanz6.7.1 Wiedergabeprofile6.7.2 Direkte Rede, freie direkte Rede und indirekte Rede im Spiegel authentischer Korpora6.7.3 Prosodische und nonverbale Markierung im Lichte der Empirie6.7.4 Se cierra el círculo: (un)geklärte Fragen7 Ergebnisse und PerspektivenBibliographieAnhangA) AnalyserasterB) Skript für die Extraktion der Pausendauer in Praat

Vorwort

Dieses Buch ist die leicht überarbeitete und aktualisierte Fassung meiner Habilitationsschrift zur Erlangung der Lehrbefähigung im Fach Romanische Philologie, die im Juli 2020 von der Philosophischen Fakultät und Fachbereich Theologie der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg angenommen wurde.

Ich danke den Mitgliedern des Fachmentorats für ihre wertvollen Hinweise und Anregungen, allen voran Ludwig Fesenmeier, daneben auch Silke Jansen, Kay Kirchmann sowie Thomas Herbst als beratendem Mitglied. Andreas Dufter und Carolin Patzelt danke ich für die Übernahme der Gutachten, denen ich wesentliche Impulse für die Überarbeitung entnehmen konnte. Andreas Dufter danke ich außerdem sehr herzlich für die Aufnahme in die Reihe Orbis Romanicus.

Katrin Heyng vom Narr-Verlag danke ich für ihr Engagement und die Geduld, mit der sie die Veröffentlichung begleitet hat. Vielen Dank auch an Lisa Thomas, die mich bei der Vorbereitung des Manuskripts für die Drucklegung tatkräftig unterstützt hat.

Schließlich kann ich meiner Familie nicht genug danken für ihren verlässlichen Rückhalt auf dem nicht immer geradlinigen Weg bis zur Fertigstellung der Arbeit, allen voran Samuel und natürlich Jonathan. Ihnen sei diese Arbeit gewidmet.

 

Bonn, im Sommer 2022    Anke Grutschus

1 Einleitung

„Auf Schritt und Tritt ist im Alltag von jemandem, der spricht, und seinem Wort die Rede. Man kann geradezu sagen: im Alltag wird am meisten über das gesprochen, was andere sagen, – man übermittelt, erinnert, erwägt, erörtert fremde Wörter, Meinungen, Behauptungen, Informationen, entrüstet sich über sie, erklärt sich mit ihnen einverstanden, bestreitet sie, beruft sich auf sie usw.“

(Bachtin 1979, 225)

Redewiedergaben, d. h. sprachliche Erscheinungen, in denen ein Äußerungsakt zum Gegenstand eines anderen Äußerungsaktes gemacht wird (vgl. Gather 1994, 104), sind im sprachlichen Alltag omnipräsent. Als eine mögliche Spielart der zahlreichen reflexiven Verwendungsmöglichkeiten von Sprache (vgl. Lucy 1993) hat Redewiedergabe universellen Charakter (vgl. Gather 1994). Äußerungstheoretisch betrachtet stellt sie ein höchst komplexes Phänomen dar, das darüber hinaus viele unterschiedliche Ebenen der Sprachbetrachtung betrifft: Diskursanalytische Fragen werden ebenso berührt wie prosodische, morphosyntaktische, semantische und pragmatische Aspekte.

Angesichts ihrer Omnipräsenz insbesondere in der Alltagskommunikation und vor dem Hintergrund ihres universellen Charakters ist es nicht weiter verwunderlich, dass Redewiedergabe als Forschungsgegenstand bereits aus ganz unterschiedlichen Perspektiven sehr gründlich beleuchtet wurde (s. Kap. 2). Dennoch bestehen in verschiedenen Bereichen z. T. noch beträchtliche Forschungslücken, derer sich die vorliegende Arbeit annehmen möchte. Ein erstes Desideratum betrifft die theoretische Modellierung des Phänomens der Redewiedergabe. Zwar liegen hier bereits zahlreiche Modelle vor, die das Phänomen vor dem Hintergrund unterschiedlicher Erkenntnisinteressen darstellen, jedoch wurde ein Großteil dieser Modelle im deutschsprachigen Raum bislang kaum rezipiert. Ihre systematische Aufarbeitung wird deshalb einen inhaltlichen Pfeiler dieser Arbeit bilden.

Eine zweite Forschungslücke zeigt sich hinsichtlich der Betrachtung von Redewiedergabe als Phänomen gesprochener Sprache. Dass ihre zentrale Rolle in nähesprachlicher Kommunikation durchaus bereits wahrgenommen wurde, zeigt u. a. das Interesse von soziolinguistischer und gesprächsanalytischer Seite (s. Kap. 2.3.4), das sich jedoch hauptsächlich auf funktionale Aspekte von Redewiedergabe richtet. Auch Koch/Oesterreicher (2011, 78–80) gehen in ihrem Standardwerk zur gesprochenen Sprache auf Besonderheiten der mündlichen Redewiedergabe ein, beschränken sich jedoch auf die Nennung einiger weniger formaler Eigenschaften, die die syntaktische Integration, die deiktische Anpassung sowie die Markierung auf verbaler Ebene betreffen und damit recht oberflächlich bleiben. Wichtige Aspekte, die entweder unmittelbar mit der phonischen Realisierung zusammenhängen oder die sich in anderer Hinsicht aus Charakteristika nähesprachlicher Kommunikation ergeben (etwa die Wichtigkeit des situativen und des nonverbalen Kontextes), standen bislang jedoch nicht im Fokus. Ganz grundsätzlich ist davon auszugehen, dass Redewiedergabe in gesprochener Sprache in vielerlei Hinsicht anders funktioniert als in – formal wie funktional bereits umfassend dokumentierter – schriftlicher Form. Ein zweiter inhaltlicher Pfeiler der vorliegenden Arbeit ist deshalb die systematische Betrachtung formaler Eigenschaften von medial mündlich realisierter Redewiedergabe. Ein besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Analyse der prosodischen und nonverbalen Markierung wiedergegebener Passagen.

Eine dritte Forschungslücke steht eng mit den soeben diskutierten Aspekten in Zusammenhang: Wie bereits Schwitalla (1997) festgestellt hat, konzentrieren sich die bislang vorgelegten Analysen von (mündlich realisierter) Redewiedergabe fast ausschließlich auf die Textsorte „Alltagserzählung“. Es kann jedoch mit ziemlicher Sicherheit angenommen werden, dass Redewiedergabe in anderen Textsorten sowohl formal wie auch funktional gesehen andere Besonderheiten aufweist als in Alltagserzählungen. Deshalb sollen im Rahmen der vorliegenden Arbeit drei unterschiedliche Textsorten analysiert werden, in denen Redewiedergabe konstitutiven Charakter hat oder zumindest eine zentrale Rolle spielt und für die spezifische Gestaltungsprinzipien angenommen werden können. Insgesamt wurden drei Textsorten ausgewählt, die auf den ersten Blick sehr unterschiedlich erscheinen mögen, tatsächlich jedoch relativ ähnlichen Kommunikationssituationen zuzuordnen sind: Gegenstand der korpusgeleiteten Analyse authentischer spanischsprachiger Korpora sind Vorträge von Stand-up-Comedians (sog. Acts), evangelikale Predigten und wissenschaftliche Vorträge. Der Fokus liegt also auf Diskurstraditionen mit monologischem Charakter und damit auf einer Kommunikationssituation, der von sprachwissenschaftlicher Seite bislang vergleichsweise wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Während allen drei betrachteten Textsorten (nicht nur!) der Parameter der „Monologizität“ gemein ist, lassen sie sich auf der Achse zwischen den beiden Polen „kommunikative Nähe“ und „kommunikative Distanz“ (vgl. Koch/Oesterreicher 2011) intuitiv jeweils an ganz unterschiedlichen Stellen einordnen: Als stark nähesprachlich geprägt können Stand-up-Acts gelten, wissenschaftliche Vorträge hingegen tendieren klar zum Pol der kommunikativen Distanz, und (evangelikale) Predigten nehmen eine noch genauer zu bestimmende mittlere Position ein.

Ein letztes Desideratum betrifft schließlich die Beschäftigung mit einzelsprachlichen Charakteristika von Redewiedergabe, die speziell das Spanische betreffen. Zwar ist die Problematik der vorliegenden Untersuchung angesichts des universellen Charakters von Redewiedergabe zunächst nicht einzelsprachlicher Natur. Jedoch kommen auf der Ebene der formalen Charakteristika von Redewiedergabe zahlreiche sprachspezifische Besonderheiten zum Tragen: Redeeinleitende Verben, Zitatmarker oder auch bestimmte prosodische Aspekte weisen eine spezifische einzelsprachliche Gestaltung auf, die im Rahmen der Analyse herausgearbeitet werden soll.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die vorliegende Arbeit einerseits die Aufgabe, am Beispiel des Spanischen formale Besonderheiten von Redewiedergabe in gesprochener Sprache umfassend zu beschreiben. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der spezifischen Verwendung von Redewiedergabe im Rahmen bestimmter Textsorten. In den Blick genommen werden nicht nur Charakteristika auf verbaler Ebene wie etwa unterschiedliche Möglichkeiten der Redeeinleitung oder verschiedene Typen der Wiedergabe, sondern auch para- und nonverbale Charakteristika wie beispielsweise prosodische Markierungen, mit deren Hilfe ein Wechsel der Äußerungsinstanz angezeigt wird. Andererseits steht die je nach Diskurstradition z. T. stark divergierende Funktion von Redewiedergabe im Mittelpunkt.

Aus den skizzierten Desiderata ergeben sich verschiedene Forschungsfragen, die im Rahmen der vorliegenden Arbeit beantwortet werden sollen:

Lassen sich bestimmte Eigenschaften von Redewiedergabe identifizieren, die charakteristisch sind für medial mündlich realisierte Kommunikation im Allgemeinen?

Welches sind spezifisch nähesprachliche Charakteristika von Redewiedergabe? Welche distanzsprachlichen Charakteristika zeigen sich im Korpus?

Existieren textsortenspezifische Gestaltungsprinzipien von Redewiedergabe? Welche funktionalen Besonderheiten lassen sich in den unterschiedlichen Textsorten nachweisen?

Ein übergreifendes Erkenntnisinteresse der vorliegenden Arbeit wird schließlich darin bestehen, einen möglichen Zusammenhang aufzudecken zwischen dem Anteil, der Rolle und der Ausgestaltung von Redewiedergabe innerhalb einer bestimmten Textsorte und der Positionierung dieser Diskurstradition auf dem Nähe-Distanz-Kontinuum. Dahinter steht die Hypothese, dass die Wiedergabe fremder Rede als „interne Dialogizität“1 aufgefasst werden kann, die eine Textsorte auf dem Nähe-Distanz-Kontinuum in Richtung des Pols kommunikativer Nähe verschieben könnte.

Nachfolgend (s. Kap. 2) werden wir zunächst den Gegenstand der vorliegenden Arbeit näher beleuchten. Wir beginnen mit einem ausführlichen Forschungsüberblick, der unterschiedliche äußerungstheoretische, pragmatische und gesprächsanalytische Konzeptionen von Redewiedergabe einander gegenüberstellt und auf diese Weise die Komplexität des Phänomens deutlich macht. Im Anschluss wird über formale wie funktionale Besonderheiten von Redewiedergabe (s. Kap. 3) zu sprechen sein. In diesem Zusammenhang stellt sich zunächst die Frage nach unterschiedlichen Kategorisierungsmöglichkeiten der verschiedenen Spielarten von Redewiedergabe, bevor verbale, para- und nonverbale ebenso wie diasystematische Markierungen in den Blick genommen werden. Den Abschluss von Kap. 3 bildet eine operationalisierbare Definition von Redewiedergabe, die zugleich eine eindeutige Identifikation von Okkurrenzen im untersuchten Korpus ermöglicht.

Kap. 4 liefert einen Einblick in die Besonderheiten monologischer Kommunikationssituationen (s. Kap. 4.1) und stellt die im Rahmen der nachfolgenden Korpusuntersuchung analysierten Textsorten vor (s. Kap. 4.2). Angesichts der Beschaffenheit des Korpus, das sich auf nicht eigens für die vorliegende Untersuchung erhobene, sondern zu ganz unterschiedlichen Zwecken im Internet zur Verfügung gestellte Videoaufnahmen stützt, werden wir uns in diesem Zusammenhang auch mit Fragen der Mehrfachadressierung und der medialen Verfasstheit der untersuchten Diskurstraditionen befassen (s. Kap. 4.3).

Kap. 5 ist der Beschreibung des analysierten Korpus gewidmet. Neben einer Erläuterung der Prinzipien der Korpuserstellung (s. Kap. 5.1) umfasst es Hinweise zur Aufbereitung der Korpusdaten (s. Kap. 5.2) sowie kurze Anmerkungen zur statistischen Auswertung (s. Kap. 5.3).

Das Herzstück der Arbeit schließlich bildet die Korpusuntersuchung in Kap. 6, in deren Rahmen zunächst Charakteristika der verbalen Ebene (s. Kap. 6.1), der paraverbalen Ebene (s. Kap. 6.2), der pragmatischen (s. Kap. 6.3) und der inhaltlichen Ebene (s. Kap. 6.4) betrachtet werden. Auf eine knapp gehaltene Analyse diasystematischer Markierungen (s. Kap. 6.5) folgt schließlich die Untersuchung verschiedener funktionaler Aspekte (s. Kap. 6.6).

2 Redewiedergabe im Forschungsüberblick

Die folgenden Abschnitte enthalten begriffliche wie inhaltliche Vorüberlegungen, die die theoretischen Grundlagen für die nachfolgende Korpusuntersuchung bilden. Unseren Überlegungen vorangestellt ist eine als Problemaufriss konzipierte Eingrenzung des Untersuchungsgegenstandes, die auch terminologische Präzisierungen beinhaltet (2.1). Im Anschluss folgt eine Skizze der wichtigsten Etappen wissenschaftlicher Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Redewiedergabe, die eine grobe forschungsgeschichtliche Einordnung der Untersuchung erlaubt (2.2). Besonderes Gewicht liegt in diesem Zusammenhang auf der Darstellung äußerungslinguistischer Analysen von Redewiedergabe, die u. a. eine Abgrenzung des Untersuchungsgegenstandes von verwandten Phänomenen ermöglicht.

Im Rahmen dieses Forschungsüberblicks werden – in erheblich größerer Zahl vorliegende – Forschungsansätze und Modelle aus dem frankophonen Raum flankiert von Untersuchungen aus dem englisch- und deutschsprachigen Raum.1 Modelle, die bislang in der deutschsprachigen Forschung praktisch keine Beachtung gefunden haben, wie beispielsweise der praxematische Ansatz oder das Genfer Modell der Redewiedergabe, werden in diesem Zusammenhang ein wenig ausführlicher dargestellt. Zuvor möchten wir jedoch überblicksartig einige Konzepte vorstellen, die in Rhetoriken und Grammatiken eine wichtige Rolle bei der Darstellung von Redewiedergabe spielen und die bisweilen bis in aktuelle theoretische Diskussionen hinein nachwirken.2

2.1 Zum Untersuchungsgegenstand: ein Problemaufriss

Eingangs haben wir Redewiedergabe definiert als Sammelbegriff für all diejenigen sprachlichen Erscheinungen, in denen ein Äußerungsakt zum Gegenstand eines anderen Äußerungsaktes gemacht wird. Aus dieser bewusst weit gefassten Definition ergibt sich naturgemäß ein sehr heterogener Objektbereich, der neben „klassischen“ Ausprägungen wie direkter, indirekter oder freier indirekter Rede ([1]–[3]) auch unterschiedliche Spielarten der Redeerwähnung ([4]–[7]) und diverse andere sprachliche Formen ([8]–[11]) umfassen kann:1

 

(1)

Im Juni 1963 stand John F. Kennedy vor dem Rathaus Schöneberg und sagte: „Ich bin ein Berliner.“ (Tagesspiegel 2008)

 

(2)

Ich habe ihm früh gesagt, daß er es auch mal akzeptieren muß, daß einer besser ist und er nicht immer alles gewinnen kann. (F.A.Z. 2002)

 

(3)

Meine Zähne schlugen zusammen. Wo war er, wo war er denn nur? (A. Schnitzler, Mein Freund Ypsilon, 1889, zit. n. Brunner 2015, 63)

 

(4)

In einer Krisensitzung in der Nacht zum Montag hatten die drei Regierungen ihre Hilfe versprochen. (Tagesspiegel 2008)

 

(5)

Verbraucherschutzministerin Künast (Grüne) will die durch den Nitrofenskandal geschädigten Bauern mit mehreren Millionen Euro unterstützen. Das hat sie am Freitag nach einem Treffen mit Vertretern von ökologischen und konventionellen Bauernverbänden angekündigt. (F.A.Z. 2002)

 

(6)

Dann begannen wir zu essen, lobten uns gegenseitig für die vorzügliche Zubereitung, tranken uns zu und versuchten, aufkommende Animositäten zu überspielen. (I. Noll, Die Apothekerin, 1994)

 

(7)

Erst stritt sie alles ab, dann gestand sie doch. (Hamburger Abendblatt 2008)

 

(8)

Am Mittwoch, 9. Juli, soll die Dorfstraße wieder befahrbar sein. (Hamburger Abendblatt 2008)

 

(9)

Ich sag Ihnen, die Sache ist hochgefährlich. (Hamburger Abendblatt 2008)

 

(10)

Jetzt kann kein Athlet der Welt mehr sagen: Ich habe von nichts gewusst. (Tagesspiegel 2008)

 

(11)

Solschenizyn hätte auf diese Frage vermutlich gesagt: „Eine neue Lebenslage, ein neues Lebensalter, und der Mensch wird ein ganz anderer.“ (Tagesspiegel 2008)

Die Belege zeigen einerseits Formen, die einer intuitiven2 Auffassung von Redewiedergabe als vollständiger Wiedergabe einer Äußerung, die zuvor von einem anderen Sprecher getätigt wurde, voll entsprechen. Ein typisches Beispiel für diese intuitive Auffassung stellt insbesondere die direkte Rede in (1) dar, bei der eine in der Vergangenheit liegende Originaläußerung wörtlich, als de dicto-Wiedergabe, zitiert wird. Bereits die indirekte Rede in (2) weicht hiervon dahingehend ab, dass der vorangegangene Äußerungsakt nicht wörtlich, sondern nur inhaltlich (de re) wiedergegeben wird. Während Okkurrenzen indirekter oder freier indirekter Rede (s. Beleg [3]) trotz des nicht-wörtlichen Charakters der Wiedergabe eine mehr oder weniger vollständige Rekonstruktion der Originaläußerung erlauben, ist dies in den Belegen (4) bis (7) nur mit zunehmender Einschränkung möglich. Über die Kennzeichnung des Sprechakts („versprechen“, „loben“ etc.) wird lediglich der Inhalt der Originaläußerung zweifelsfrei deutlich, es handelt sich demnach nur um de re-Wiedergaben, die in Bezug auf den Wortlaut jeweils eine gewisse Bandbreite an Realisierungsmöglichkeiten eröffnen.

Die Belege (10) und (11) weichen in anderer Hinsicht von der skizzierten intuitiven Auffassung ab: In beiden Fällen wurde der Äußerungsakt, der zum Redegegenstand gemacht wird, überhaupt nicht realisiert, sondern es werden hypothetische bzw. nur vorgestellte Äußerungen „wiedergegeben“. Zur Redewiedergabe in Beleg (8) ließe sich zwar als Originaläußerung „Ab Mittwoch, 9. Juli, ist die Dorfstraße wieder befahrbar“ rekonstruieren, jedoch bleibt der ursprüngliche Äußerungskontext unterspezifiziert, sodass beispielsweise der Originalsprecher nicht identifizierbar ist. Das Modalverb sollen verdeutlicht als Evidentialitätsmarker lediglich, dass die Äußerungsquelle nicht mit der wiedergebenden Äußerungsinstanz identisch ist.

Wiederum anders gelagert ist die Situation in Bezug auf Beleg (9): Hier stellt sich die Frage, ob tatsächlich zwei Äußerungsakte vorliegen oder ob nicht einfach nur ein Äußerungsakt redundant markiert ist.

Die aufgeworfenen Fragen machen deutlich, welche Aspekte im Hinblick auf die Konstituierung eines homogenen Gegenstandsbereichs geklärt werden müssen:

Inwiefern ist die Existenz einer Originaläußerung relevant für das Vorliegen von Redewiedergabe?

Welche Rolle spielt der propositionale Gehalt der Originaläußerung bzw. in welchem Umfang muss dieser Gehalt erkenn- und rekonstruierbar sein? Oder, anders formuliert: Sind nur de dicto-Wiedergaben als „Redewiedergabe“ anzusehen oder sollen auch de re-Wiedergaben berücksichtigt werden?

Wie lässt sich Redewiedergabe von Phänomenen der „Metakommunikation“ abgrenzen bzw. inwieweit können performative Äußerungen (vgl. Beleg [9]) als Redewiedergabe angesehen werden?

Sind Phänomene der Redewiedergabe grundlegend zu unterscheiden von Evidentialitätsphänomenen? Wie lassen sich beide Konzepte gegeneinander abgrenzen?

Wie kann differenziert werden zwischen Redewiedergabe und Phänomenen der Reformulierung bzw. der Paraphrase?

Eine eindeutige Abgrenzung des Objektbereichs kann nur innerhalb eines möglichst weitreichenden äußerungstheoretischen Rahmens erfolgen. Da wir die Wahl der Äußerungstheorie, auf der die vorliegende Untersuchung aufbaut, ausführlich begründen und in einen forschungsgeschichtlichen Kontext einordnen möchten, werden wir die aufgeworfenen Fragen erst am Ende des vorliegenden Kapitels beantworten können.

Wir möchten den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung jedoch nicht nur objektseitig eingrenzen, sondern gleichzeitig auch einige begriffliche Präzisierungen vornehmen: Neben dem Begriff Redewiedergabe3 existieren nämlich einige alternative Bezeichnungen, die z. T. auf den ontologischen Status einer angenommenen Originaläußerung verweisen. Der Begriff Zitat4 deutet etwa darauf hin, dass eine Originaläußerung möglichst vollständig und unverfälscht (de dicto) wiedergegeben wird; der Begriff Redewiedergabe selbst verweist zumindest auf die Existenz einer solchen Originaläußerung,5 während die Verwendung des Begriffs Rededarstellung6 offen lässt, ob eine solche Originaläußerung tatsächlich existiert bzw. den fiktiven Charakter des dargestellten Diskurses sogar hervorhebt. Bisweilen wird der Begriff Rededarstellung auch verwendet, um den besonders „theatralischen“ Charakter einer Wiedergabe zu unterstreichen, bei der nonverbale Elemente eine zentrale Rolle spielen. Neben diesen drei Begriffen findet sich noch eine Reihe weiterer Bezeichnungen, die weniger gebräuchlich und je nach Autor z. T. unterschiedlich definiert sind, so dass wir sie in der Folge nicht weiter verwenden möchten; hierzu zählen beispielsweise Redeerwähnung (vgl. Wunderlich 1976, 161–163, Schank 1989), Referat (vgl. Fabricius-Hansen 1989), referierte Rede (vgl. Gather 1994) und Textwiedergabe (vgl. Engel 1994).

Angesichts der Tatsache, dass Redewiedergabe in der deutschsprachigen Forschung den gebräuchlichsten und neutralsten Oberbegriff darstellt,7 werden wir ihn nachfolgend in eben dieser Funktion und damit unabhängig von der Existenz einer vorausgegangenen Originaläußerung als Oberbegriff gebrauchen.

2.2 Redewiedergabe in Rhetoriken und Grammatiken

2.2.1 Redewiedergabe und antike Rhetorik

Die Auseinandersetzung mit dem Phänomen der Redewiedergabe lässt sich bis in die Antike zurückverfolgen. Bereits Platon differenziert im dritten Buch der Politeia zwischen haple diegesis (‘reine Erzählung’) als Erzählerrede und mimesis (‘Nachahmung’) als Figurenrede.

Eine wichtige Rolle spielt Redewiedergabe auch im Kontext der Figurenlehre. So steht beispielsweise die direkte Rede (häufig, jedoch in der Antike noch nicht systematisch als oratio recta bezeichnet)1 bei der Beschreibung von Stilfiguren wie der Prosopopoiie oder der Sermocinatio im Mittelpunkt. Beide Figuren dienen der Wiedergabe von Figurenrede, wobei die Prosopopoiie auf die Rede „nicht personhafte[r] Dinge“ (Lausberg 1990, §826) oder abstrakter Instanzen spezialisiert ist (vgl. Rosier 1999, 19). Die Sermocinatio hingegen „ist die der Charakterisierung natürlicher […] Personen dienende Fingierung von Aussprüchen, Gesprächen und Selbstgesprächen oder unausgesprochenen gedanklichen Reflexionen“ (Lausberg 1990, §820). Insgesamt ist die direkte Rede das in antiken Rhetoriken am häufigsten dargestellte Redewiedergabe-Phänomen; im Rahmen der Figurenlehre spielt dabei insbesondere ihre mimetische Funktion eine zentrale Rolle (vgl. Rosier 1999, 22). Im Gegensatz dazu ist die indirekte Rede (oratio obliqua) fest in der juristischen Rede verankert (vgl. Rosier 1999, 21) und hat klar diegetische Funktion.

Eine weitere mit der Verwendung von Redewiedergabe verbundene Stilfigur – als Sententia bzw. Gnome bezeichnet – weist eine gewisse inhaltliche Schnittmenge mit dem modernen Begriff Zitat auf (vgl. Rosier 1999, 23); hierbei handelt es sich um „eine zum Weisheits- oder Sinnspruch verdichtete Erkenntnis von allgemeingültigem Charakter und einprägsamer Kürze, die einer anerkannten Persönlichkeit des öffentlichen Lebens zugeschrieben wird oder einem ihrer Werke entstammt […] und gemeinhin mit Namensnennung zitiert wird“ (Kalivoda/Hummel 1996, 1014). Die Sententia hat insbesondere argumentative Funktion und unterstreicht die Auctoritas (vgl. Kalivoda/Calboli Montefusco/Zimmermann 1996). Im Unterschied zur direkten Rede im Rahmen einer Prosopopoiie, die klar fingierten Charakter hat, beziehen sich Sententia und Gnome ausdrücklich auf wörtliche, d. h. „authentische“ Wiedergaben.

Im Mittelpunkt der rhetorischen Beschäftigung stehen also funktionale Charakteristika, die jeweils eng mit bestimmten Diskurstraditionen verknüpft sind. Im Rahmen der vorgestellten rhetorischen Figuren wird Redewiedergabe nicht exklusiv als Phänomen gesprochener oder geschriebener Sprache angesehen, sondern ist von der medialen Realisierung zunächst unabhängig.

Die Vorzeichen der Betrachtung von Redewiedergabe – für die im Übrigen kein zeitgenössischer Oberbegriff existiert – ändern sich erst im Laufe des 17. Jahrhunderts mit Erscheinen der Grammatik von Port Royal: Nun stehen in erster Linie morphosyntaktische Besonderheiten im Vordergrund, die insbesondere aus der Dichotomie zwischen oratio recta und oratio obliqua erwachsen (vgl. Rosier 1999, 26–28). Die Betrachtung diskursiver Charakteristika von Redewiedergabe hingegen verlagert sich in Stilistiken (vgl. Aufray 2010, 54).

Die Behandlung satzsyntaktischer Charakteristika von direkter und indirekter Rede in verschiedenen historischen Grammatiken ist für die vorliegende Untersuchung nicht relevant und soll deshalb hier nicht systematisch weiterverfolgt werden.2 Stattdessen möchten wir den aktuellen Stand der Entwicklung in den Blick nehmen, indem wir die Darstellung von Phänomenen der Redewiedergabe in einigen aktuellen spanischen Referenzgrammatiken betrachten.

2.2.2 Redewiedergabe in der (spanischen) Grammatikographie

Die grammatikographische Behandlung von Redewiedergabe unterscheidet sich je nach Zielsetzung der jeweiligen Grammatik erheblich im Hinblick auf Umfang und Komplexität der diskutierten Fragestellungen. In präskriptiv ausgerichteten Grammatiken1 werden Phänomene der Redewiedergabe meist im Zusammenhang mit Komplement- oder Fragesätzen behandelt, die Darstellung beschränkt sich i. d. R. auf direkte und indirekte Rede und basiert auf der Annahme, dass den beiden Wiedergabe-Typen eine vorangegangene Äußerung zugrunde liegt. Dabei wird davon ausgegangen, dass direkte Rede die exakte Wiedergabe2 dieser Originaläußerung ermöglicht, während indirekte Rede eine inhaltliche Wiedergabe aus der Perspektive des Erzählers darstellt. Insgesamt bilden morphosyntaktische Aspekte den Kern der Darstellung. Dabei zeichnet sich direkte Rede durch die Juxtaposition eines Kommunikationsverbs und eines Komplementsatzes aus, während bei indirekter Rede eine „subordinación sintáctica más fuerte“ (Criado de Val 1976, 67) vorliegt. Andererseits wird indirekte Rede systematisch als morphosyntaktische Variante bzw. als Ergebnis einer Transformation direkter Rede3 beschrieben; dementsprechend stellen die Grammatiken die mit einer solchen Transformation einhergehenden Anpassungen deiktischer, temporaler und modaler Komponenten vor. Hierbei werden insbesondere die Regeln der consecutio temporum sehr ausführlich dargestellt.4

Deskriptive Grammatiken5 hingegen stützen sich in erheblichem Umfang auf Ergebnisse sprachwissenschaftlicher Überlegungen und betrachten neben den kanonischen Formen der direkten und der indirekten Rede auch die beiden freien Varianten (discurso/estilo directo libre und discurso/estilo indirecto libre).6 Neben der z. T. sehr ausführlichen Beschreibung morphosyntaktischer Aspekte werden auch pragmatische Dimensionen hinsichtlich des Gebrauchs der einzelnen Typen betrachtet, die auch eine Differenzierung nach medialen Realisierungen einschließt. Der lange tradierte Gedanke, indirekte Rede stelle eine nach bestimmten Regeln vorgenommene Transposition direkter Rede dar,7 wird einer kritischen Prüfung unterzogen und schließlich dahingehend präzisiert, dass indirekte Rede das Vorliegen einer entsprechenden Äußerung in direkter Rede zumindest vorstellbar macht:

Este paralelismo o relación de correspondencia [entre discurso directo y discurso indirecto, A. G.] no quiere decir que, en el uso que un hablante hace del DI, toda cita indirecta sea transposición de un enunciado reproducido previamente en DD, pero sí que ha de ser posible, al menos, imaginar la cita directa correspondiente. (Maldonado González 2000, 3577)

Der sicherlich gravierendste Unterschied zu präskriptiven Darstellungen besteht darin, dass deskriptive Grammatiken im Hinblick auf den ontologischen Status einer der Redewiedergabe zugrunde liegenden Originaläußerung eine abweichende Ansicht vertreten: Ob eine solche Originaläußerung vorliegt oder nicht, ist ohne definitorische Relevanz für das Vorliegen von Redewiedergabe. Dies gilt insbesondere, jedoch nicht ausschließlich für direkte Rede:

No importa que en la cita se reproduzcan palabras no emitidas realmente. Todo discurso citado, sea real o imaginario, supone necesariamente la reconstrucción de su situación de enunciación correspondiente. De hecho, ni siquiera una cita directa es siempre una cita real; ‚literalidad‘ no significa ‚autenticidad‘. (Maldonado González 2000, 3555)

2.3 Redewiedergabe aus sprachwissenschaftlicher Sicht

2.3.1 Redewiedergabe und linguistische Teildisziplinen

Das zu Beginn des 20. Jh.s aufkommende wissenschaftliche Interesse an Fragen der Redewiedergabe war zunächst philologischer Natur, es galt Phänomenen der Redewiedergabe in literarischer Sprache, wie etwa dem style indirect libre (vgl. Bally 1912)1 oder ähnlichen Hybridformen. In den Fokus genuin sprachwissenschaftlichen Interesses rückte der Themenkomplex erst deutlich später mit den generativistisch geprägten Arbeiten von Ann Banfield (1973), die sich ebenfalls auf literarische Texte stützte.2 Banfield entwickelte in ihrer Pionierarbeit eine formale Theorie zur Beschreibung syntaktischer und semantischer Charakteristika unterschiedlicher Typen von Redewiedergabe und entwarf gleichzeitig ein semantisches Modell zur Analyse von Deiktika im Kontext von Redewiedergabe. Mit Banfields Arbeiten traten direkte und indirekte Rede aus dem Schatten der freien indirekten Rede und rückten ins Zentrum des sprachwissenschaftlichen Erkenntnisinteresses. In der Folge verlagerte sich die linguistische Auseinandersetzung mit dem Thema in weitere Teildisziplinen, deren Beitrag zur Redewiedergabeforschung wir an dieser Stelle kurz umreißen möchten. Einzelne Aspekte werden wir im Abschnitt zu den formalen und funktionalen Besonderheiten von Redewiedergabe (s. Kap. 3.) wieder aufgreifen.

In der Nachfolge der Arbeiten von Banfield konzentrieren sich syntaktisch perspektivierte Untersuchungen v. a. auf die Struktur eingebetteter Sätze, die Verwendung unterschiedlicher Tempora3 und Modi4 sowie auf die Valenz der redeeinleitenden Verben5 (vgl. Brendel/Meibauer/Steinbach 2007). Besonders häufig geht es dabei um Fragen der Subordination6 bzw. um den Grad der syntaktischen Integration von redeeinleitendem und redewiedergebendem Satz. In diesen Bereich fallen auch syntaktische Analysen von parenthetischen Einschüben redeeinleitender Verben.7 Im Unterschied zur syntaktisch mehr oder weniger transparenten Struktur von direkten8 oder indirekten Wiedergaben ist die Struktur parenthetischer Zitate nämlich besonders komplex, da der Einschub auf unterschiedliche Weise mit dem Matrixsatz interagieren kann (vgl. Brendel/Meibauer/Steinbach 2007, 11). Einen Sonderfall stellt in dieser Hinsicht auch der von Brendel/Meibauer/Steinbach (2007, 6) als „reines Zitat“ eingestufte Typus dar, der mit Hilfe des Beispiels „Diese Theorie ist schwer zu verstehen“ ist ein Satz illustriert wird und damit eine metasprachliche Verwendung9 der Originaläußerung Diese Theorie ist schwer zu verstehen darstellt. Die distributionelle Besonderheit reiner Zitate beschreibt Pafel (2007, 201) folgendermaßen: „[Sie haben] nicht die Distribution von Nominalphrasen bzw. singulären Termen […], sondern von Nomen […], die alleine eine Nominalphrase bilden können.“

Sprachtypologische Untersuchungen beschäftigen sich zunächst mit den morphosyntaktischen und lexikalischen Mitteln zur Markierung von Redewiedergabe, die in unterschiedlichen Sprachen existieren.10 Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Frage, welche Formen von Redewiedergabe sich in verschiedenen Sprachen unterscheiden lassen.11 Weiterhin sind sowohl die historische Entwicklung verschiedener Formen von Redewiedergabe wie auch der Zusammenhang zwischen Redewiedergabe und Evidentialität (vgl. Haßler 2002) von besonderem Interesse.

Semantische Analysen des Phänomens Redewiedergabe konzentrieren sich einerseits auf die Untersuchung der Bedeutung der zur Redeeinleitung eingesetzten Verben.12 Andererseits kann der Fokus auch auf der wiedergegebenen Passage und dort insbesondere auf Fragen der Referenz liegen. Wiedergegebene Passagen zeichnen sich referenzsemantisch gesehen dadurch aus, dass sie ausschließlich auf sprachliche Referenten verweisen (s. Kap. 2.3.2.2). Aber auch die Referenz der im Rahmen einer Redewiedergabe verwendeten (deiktischen) Pronomina ist von besonderem Interesse, da sie sich – je nach Wiedergabetyp – zwischen Original- und wiedergegebener Äußerung verschieben kann.13

Deiktika in der Redewiedergabe gehören zu den klassischen Schnittstellenphänomenen im Grenzbereich zwischen Semantik und Pragmatik.14 Brendel/Meibauer/Steinbach (2007) nennen als weitere übergreifende Aspekte einerseits modalisierende Zitate wie Lena sagte, die „Theorie“ sei/ist schwer zu verstehen, die die Einstellung des (wiedergegebenen oder wiedergebenden) Sprechers zum Ausdruck bringen. Andererseits zählen dazu auch emphatisierende Zitate (bisweilen auch als Greengrocer’s Quote/Gemüsehändler-Zitat bezeichnet, vgl. Meibauer 2007) wie Hier gibt es „frischen“ Kaffee.

Für eine genuin pragmatische Betrachtung von Redewiedergabe spricht unter anderem, dass es sich hierbei nicht um ein einzelsprachliches, sondern vielmehr um ein universelles Phänomen handelt (vgl. Capone 2013). Im Rahmen pragmatischer Untersuchungen wird Redewiedergabe als „kommunikative Handlung“ angesehen (vgl. Gülich 1978, Clark/Gerrig 1990),15 die auf der Grundlage der Sprechakttheorie16 betrachtet werden kann. Hierbei geht es mehrheitlich darum, neben weiteren Funktionen den illokutiven Wert wiedergegebener Äußerungen zu bestimmen,17 die Zugehörigkeit von Redewiedergabe zu bestimmten Sprechaktklassen zu klären, Glückensbedingungen zu formulieren oder indirekte und performative Realisierungsmöglichkeiten (z. B.: Hiermit sage ich, dass…) zu erörtern (vgl. Brendel/Meibauer/Steinbach 2007). Besonders eingehende Überlegungen zur Redewiedergabe stellt Wilson (2000) im Kontext der Relevanztheorie an (s. Kap. 2.3.4.5).

Bislang kaum untersucht ist der Bereich der Graphematik, der sich mit der formalen Kennzeichnung von Redewiedergabe mit Hilfe von Anführungszeichen und anderer graphematischer Marker (vgl. Brendel/Meibauer/Steinbach 2007, 9) beschäftigt. Entsprechend existiert für medial mündlich realisierte Redewiedergabe eine Reihe von mimischen, gestischen und intonatorischen Mitteln, die das Vorliegen von Redewiedergabe anzeigen. Auch hierzu liegen bislang kaum systematische Untersuchungen vor.18

Im Rahmen ebenfalls nur in bescheidenem Umfang vorliegender psycho- und neurolinguistischer Ansätze liegt der Schwerpunkt auf unterschiedlichen Aspekten, die für den Erwerb,19 die Produktion und die Verarbeitung von Redewiedergabe relevant sind. Entsprechende Untersuchungen

könnten uns Aufschluss darüber geben, ob es Unterschiede in der Verarbeitung von unterschiedlichen Arten von Zitaten gibt, die mit der Semantik/Pragmatik-Unterscheidung zusammenhängen, und ob die Zitatverarbeitung im Gehirn lokalisiert werden kann. (Brendel/Meibauer/Steinbach 2007, 14)

Schließlich existieren auch soziolinguistische Untersuchungen, die beispielsweise die Verwendung bestimmter Zitatmarker durch bestimmte Sprecher(-gruppen) analysieren. Hier liegen insbesondere Studien zum Englischen vor, die sich auf den Zitatmarker be + like konzentrieren.20

Die nachfolgenden Abschnitte sind der Erarbeitung einer Theorie der Redewiedergabe gewidmet. Sie bieten zunächst einen Überblick über verschiedene „Schulen“ der Betrachtung von Redewiedergabe, auf dessen Basis im Anschluss eine theoretische Grundlage für unsere Korpusuntersuchung erarbeitet werden soll. Angesichts der Tatsache, dass wir uns für Redewiedergabe in gesprochener Sprache interessieren und korpusgeleitet vorgehen möchten, stehen insbesondere äußerungslinguistische und konversationsanalytisch orientierte Theorien im Fokus. Insgesamt konzentrieren wir uns auf drei theoretische Perspektiven, denen gemein ist, dass sie nicht ausschließlich zur Beschreibung von Phänomenen der Redewiedergabe entwickelt wurden, sondern vielmehr ein bestimmtes Verständnis von Sprache widerspiegeln, das letztlich auch eine spezifische Interpretation von Redewiedergabe nach sich zieht.21 Den Anfang macht eine Perspektive, die die Reflexivität von Sprache in den Blick nimmt (2.3.2); hier wird Redewiedergabe in Zusammenhang gebracht mit den Konzepten der Autonymie und der Metasprache. Im Anschluss daran stellen wir eine Perspektive vor, die eng mit den Konzepten der Polyphonie und der Dialogizität verknüpft ist und bei der insbesondere das argumentative Potenzial von Redewiedergabe im Vordergrund steht (2.3.3). Den Abschluss bilden pragmatische und gesprächsanalytische Theorien der Redewiedergabe, die sich hauptsächlich auf Redewiedergabe in gesprochener Sprache konzentrieren (2.3.4).

2.3.2 Sprachliche Reflexivität, Metasprache und Autonymie

Beschreibungsansätze, die Redewiedergabe als eine Erscheinungsform sprachlicher Reflexivität betrachten, gründen zunächst auf sprachphilosophischen und auf semiotischen Fragestellungen. Dabei stützen sie sich auf zwei miteinander verwandte Konzepte: das Konzept der Metasprache bzw. der metasprachlichen Komponente von Kommunikation und das Konzept der Autonymie.

2.3.2.1 Jakobsons metasprachliche Funktion von Kommunikation

Roman Jakobsons Überlegungen zur reflexiven bzw. metasprachlichen1 Funktion von Kommunikation haben die sprachwissenschaftliche Betrachtung von Redewiedergabe entscheidend beeinflusst. Je nachdem, ob eine Nachricht (message) oder ein sprachlicher Kode (code) sich auf eine andere Nachricht oder auf einen anderen Kode bezieht, nimmt Jakobson insgesamt vier unterschiedliche Typen von metasprachlicher Referenz bzw. von Reflexivität an (vgl. Jakobson 1971, 130–131): (i) Ein Bezug einer Nachricht auf eine andere Nachricht liegt insbesondere bei Phänomenen der Redewiedergabe2 vor. (ii) Eigennamen zeichnen sich durch einen spezifischen Typ metasprachlicher Referenz aus, bei dem sich ein Kode auf einen anderen Kode bezieht. Jakobson illustriert diesen Fall am Beispiel des Eigennamens Jerry wie folgt: „the name means anyone to whom this name is assigned“ (Jakobson 1971, 131).

(iii) Bezieht sich eine Botschaft auf den Kode, liegt eine autonyme Sprachverwendung wie in „Baum hat vier Buchstaben“ vor. Unter Berufung auf Bloomfield weist Jakobson auf die enge Verwandtschaft zwischen Autonymie und Zitat („quotation“, s. u.) hin, die wir nachfolgend noch näher ausführen werden: „Such a hypostasis – as Bloomfield pointed out – ‚is closely related to quotation, the repetition of speech‘ […]“ (Jakobson 1971, 131). (iv) Schließlich entsteht aus der Bezugnahme von sprachlichem Kode auf eine Nachricht eine Konstellation, wie sie indexikalische Sprachzeichen wie z. B. Deiktika (vgl. Jakobson 1971, 132) auszeichnet.

Für unsere weiteren Überlegungen ist insbesondere interessant, dass Jakobson – trotz Verweis auf ihre Verwandtschaft – eine systematische Trennung zwischen Redewiedergabe und Autonymie vornimmt. Hierbei bleibt jedoch unklar, warum eine wiedergegebene Passage als „Nachricht“ interpretiert wird, also „bedeutet“, während eine wiederholte, autonymische Passage als „Kode“ betrachtet wird und damit lediglich „bezeichnet“. Dass zwischen Wiedergabe und Wiederholung ein systematischer Unterschied besteht, der semiotischer Natur sein soll, ist mitnichten einleuchtend und bedarf deshalb einer eingehenderen Betrachtung.

2.3.2.2 Sprachphilosophische Betrachtungen autonymer Sprachverwendung

Bevor wir linguistische Überlegungen zum Thema sprachlicher Reflexivität vorstellen, möchten wir uns zunächst dem Begriff der Autonymie widmen. Die Betrachtung autonymer Sprachverwendung hat (wenn auch zunächst nicht unter dem Begriff Autonymie, s. u.) eine lange sprachphilosophische Tradition. So differenziert bereits Frege (1892, 28) zwischen „gewöhnlicher“, nämlich auf Bedeutung i. w. S. bezogener Sprachverwendung und solcher, die sich auf die „Wort[e] selbst“ bezieht. Er bringt autonymen Sprachgebrauch in Verbindung mit direkter („gerader“) Rede:

Jenes [dass man von den „Worten [sic] selbst“ redet, A. G.] geschieht z. B., wenn man die Worte eines Andern in gerader Rede anführt. Die eigenen Worte bedeuten dann zunächst die Worte des Andern und erst diese haben die gewöhnliche Bedeutung. Wir haben dann Zeichen von Zeichen. (Frege 1892, 28)

Frege – und mit ihm fast alle Sprachphilosophen bis in die jüngste Gegenwart hinein – konzentriert sich bei seiner Betrachtung des autonymen Gebrauchs sprachlicher Zeichen auf die Schriftsprache und weist in diesem Zusammenhang den Anführungszeichen eine entscheidende Rolle bei der Kennzeichnung von Autonymen zu: „Es darf also ein in Anführungszeichen stehendes Wortbild nicht in der gewöhnlichen Bedeutung genommen werden.“ (Frege 1892, 28).

Der Begriff autonym entsteht erst Mitte der 1930er Jahre und geht auf Rudolf Carnap zurück, der ihn folgendermaßen einführt: „Tritt ein Zeichen in dieser Weise als Name für sich selbst (genauer: für seine eigene Gestalt) auf, so nennen wir es autonym […]“ (Carnap 1968 [1934], 16). Carnaps Wortschöpfung unterstreicht zugleich auch seine Interpretation autonymer Sprachverwendung: Autonyme sind Ausdrücke, die als „Bezeichnung für sich selbst“ (Carnap 1968 [1934], 109) verwendet werden, bzw. Zeichen, die „Namen für […] [ihre] eigene Gestalt“ sind. Die Gleichsetzung von Autonymen mit (Eigen-)Namen findet sich beispielsweise auch bei Tarski (1935) und Quine (1940), sie ist jedoch aus verschiedenen Gründen nicht unproblematisch.3 Angesichts der Tatsache, dass Redewiedergabe meist (mehr als nur Eigennamen enthaltende) ganze Sätze oder zumindest Teilsätze betrifft, scheint diese Eigennamentheorie für unsere Zwecke nicht weiter hilfreich.

Für die Betrachtung von Redewiedergabe wesentlich nützlicher ist hingegen das von Quine (1940) geprägte Begriffspaar mention („Erwähnung“) und use („Gebrauch“): Use bezeichnet den „normalen“ Gebrauch von Sprachzeichen, die auf außersprachliche Referenten verweisen, wie beispielsweise Boston in Boston ist die Hauptstadt von Massachusetts. Mention dagegen bezeichnet die autonyme Sprachverwendung, wie sie Quines Beispiel „Boston“ ist zweisilbig illustriert.4

Eine Alternative zur Eigennamentheorie autonymer Sprachverwendung stellt die u. a. von Searle (1969) vertretene picture theory of quotation5 dar, die davon ausgeht, dass bei autonymer Sprachverwendung ein Sprachzeichen zugleich gebraucht (i. S. v. Quines use) und erwähnt (i. S. v. Quines mention) wird. Anders ausgedrückt wären die beiden Okkurrenzen von Boston in Boston ist die Hauptstadt von Massachusetts und „Boston“ ist zweisilbig zwei tokens desselben type.6 Übertragen auf Kontexte der Redewiedergabe würde dies bedeuten, dass wiedergegebene Passagen als eine Art „Abbild“ oder eine „Kopie“ einer Originaläußerung aufzufassen wären.7 Dies setzt wiederum die Annahme voraus, dass zu jeder Redewiedergabe eine Originaläußerung existiert, die darüber hinaus identisch wiedergegeben wird. Eine Modellierung indirekter oder freier indirekter Rede ist mit Hilfe der picture theory nicht möglich, weshalb sie hier nicht weiter berücksichtigt werden soll.8

Als explizite Alternative zur Eigennamentheorie versteht sich die von Donald Davidson (1979, 37) entwickelte Demonstrativtheorie (demonstrative theory). Davidson geht davon aus, dass die Anführungszeichen, die das Autonym umgeben,9 als eine Art Demonstrativpronomen fungieren.10 Er illustriert dies mit Hilfe des folgenden Beispiels, das die logische Form der Äußerung Alice swooned darstellt: „Alice swooned. The expression of which this is a token is a sentence“ (Davidson 1979, 38). Im Unterschied zu den zuvor dargestellten Autonymietheorien bietet diese Theorie auch Erklärungspotential für satzwertige Autonyme. Jedoch ist sie aufgrund ihrer – im Übrigen umfassend kritisierten11 – Fixierung auf das Vorhandensein von Anführungszeichen auf die Beschreibung geschriebener Sprache beschränkt und scheint (nicht nur) deshalb als Grundlage für die vorliegende Untersuchung ungeeignet.

Schließlich stellt die von François Recanati (2001, 2008) entwickelte Illustrationstheorie12 die bislang aktuellste, stark pragmatisch geprägte sprachphilosophische Theorie autonymen Sprachgebrauchs dar. Bezug nehmend auf die Überlegungen der Psychologen Clark und Gerrig (1990) versteht Recanati autonymen Sprachgebrauch als Vorführung („demonstration“), im Sinne einer „illustration by exemplification“:

In quotation, what we demonstrate is a piece of verbal behaviour—a way of speaking. We demonstrate it by producing an instance of that behaviour, that is, by speaking in the relevant way. (Recanati 2001, 640)

Die pragmatische Komponente von Recanatis Theorie besteht darin, dass seiner Ansicht nach autonyme Äußerungen eine konventionelle Implikatur enthalten, die jedoch nicht mit einem tatsächlich in der Äußerung enthaltenen Element verknüpft ist.13 Davon abgesehen hat Recanatis Theorie den Vorteil, dass sie nicht auf Schriftsprache beschränkt ist, sondern auch auf mündlichen Sprachgebrauch (ebenso wie auf nonverbales Verhalten) anwendbar ist. Da lediglich eine Ähnlichkeit zwischen Autonymie und „vollwertigem“ Sprachzeichen (bzw. der Originaläußerung) postuliert wird, nicht jedoch Identität, ist auch die Anwendung auf Fälle denkbar, in denen keine Originaläußerung existiert.14 Jedoch scheint die Theorie ausschließlich auf direkte Rede anwendbar, nicht hingegen auf indirekte oder freie indirekte Rede.

Die vorgestellten sprachphilosophischen Überlegungen zur Autonymie verdeutlichen den spezifischen semiotischen Status reflexiven Sprachgebrauchs, jedoch erlauben sie weder eine Aussage darüber, ob wiedergegebenen Passagen grundsätzlich Autonymstatus zugewiesen werden sollte, noch ermöglichen sie eine Modellierung von Redewiedergabe in der Gesamtheit ihrer Formen (dies gilt in verstärktem Maße für indirekte Rede sowie für hybride Formen). Deshalb möchten wir in der Folge einige genuin sprachwissenschaftliche Theorien zum reflexiven Sprachgebrauch vorstellen, die in diesem Zusammenhang passgenauere Differenzierungen vornehmen.

2.3.2.3 Rey-Deboves Métalangage

Roman Jakobsons eingangs vorgestellte Überlegungen zum reflexiven Charakter sprachlicher Kommunikation haben zwar systematischen Charakter, stellen aber letztlich nur Vorüberlegungen dar, die seine Analyse indexikalischer Sprachzeichen (sog. shifters, vgl. Jakobson 1971) in einen größeren Kontext einbetten sollen. Im Unterschied dazu setzt sich Josette Rey-Debove (1978) erstmals explizit und umfassend mit dem Thema der sprachlichen Reflexivität auseinander. Im Zentrum ihrer Überlegungen zur Redewiedergabe steht die These vom autonymen Charakter direkter Rede. Dies impliziert eine absolute Übereinstimmung15 zwischen wiedergegebener Äußerung und Originaläußerung, die sie folgendermaßen beschreibt:

Les paroles rapportées en style direct sont exactement rapportées: non seulement elles ne subissent aucune modification dans leurs termes et l’ordre de leurs termes, mais de plus, elles se doivent, en principe, d’en être l’icône intégrale […]. (Rey-Debove 1978, 211)

Autonym gebrauchte Zeichen versteht Rey-Debove (1978, 210–212) als Homonyme nicht-autonymer Zeichen.16 Dabei antizipiert sie selbst den Einwand, eine autonymische Interpretation von Redewiedergabe sei kontraintuitiv, da der Status von je pars demain in einer Äußerung (a) „je pars demain est vrai“ sich deutlich unterscheide von (b) „Il a dit: Je pars demain“.17 Letztlich wird jedoch weder deutlich, was genau sie unter „Status“ versteht, noch verfängt die Argumentation zur Entkräftung ihres eigenen Einwands.

2.3.2.4 Redewiedergabe als Autonymie?

Die autonymische Interpretation von Redewiedergabe wird bisweilen auch in Frage gestellt. Ein häufig vorgebrachtes Argument lautet dabei, wiedergegebene Äußerungen referierten durchaus auch auf Außersprachliches und könnten deshalb nicht als Autonyme angesehen werden. Dahingehend äußert sich etwa Robert Martin:

Impossible, à mon sens, d’utiliser dans la définition du D[iscours]D[irect] la notion d’autonymie (Rey-Debove) ou celle, apparentée, de réflexivité (Récanati [sic]). Le DD, tout en étant présenté comme un dire, ne cesse à aucun moment de renvoyer à l’univers. Aucun des signes qu’il comporte ne peut être considéré comme renvoyant à lui-même. (Martin 1983, 94)

Dieser Einwand lässt sich an einem Beispiel überprüfen:18

 

(12)

Soit une phrase passive telle que L’ascenseur a été réparé.

 

(13)

Le gardien m’a dit: „L’ascenseur a été réparé.“

Vergleicht man eine „klassische“ autonymische Verwendung von Sprachzeichen in (12) mit der Verwendung derselben Zeichen in direkter Rede in (13), so ergibt sich der vermeintlich semiotisch relevante Unterschied, dass ascenseur in (12) kein konkreter Referent zugeordnet werden kann. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass ascenseur auch in (12) in dem Sinne als transparent anzusehen ist, dass es auf ein Sprachzeichen verweist, das wiederum über eine Bedeutung (‘appareil permettant la montée ou la descente […]’, TLFi s. v.ASCENSEUR II.) verfügt. Charlent (2003, 154) formuliert dieses Prinzip folgendermaßen:

Un autonyme est un signe qui signifie un signe qui, lui, signifie le monde. Tout ce qui est signifié par le signe ordinaire est signifié par son autonyme, le signifié du premier étant inclus dans celui du second. Ainsi dans /Ascenseur est un nom/, l’autonyme /Ascenseur/ signifie „le signe Ascenseur qui signifie ‚Appareil qui sert à monter…‘“.

Das Autonym ascenseur verweist auf ein auf der langue-Ebene angesiedeltes Sprachzeichen, das referentiell nicht aktualisiert werden kann und deshalb in (12) lediglich virtuell auf einen Referenten verweist. Der Unterschied zur Verwendung in (13) besteht demnach darin, dass ascenseur hier im Rahmen einer Äußerung gebraucht wird und damit auf der parole-Ebene angesiedelt ist. Eine Aktualisierung, die die Verknüpfung mit einem konkreten Referenten ermöglicht, ist hier jedoch auch nur dann gewährleistet, wenn (wie in [13] der Fall) der Äußerungskontext hinreichend explizit ist und damit deutlich wird, welcher Hausmeister mit wem über welchen Aufzug spricht. Damit besteht kein grundlegender semiotischer Unterschied zwischen der „klassischen“ autonymischen Verwendung von Sprachzeichen und ihrer Verwendung im Kontext direkter Rede.

Ein weiterer häufig geäußerter Kritikpunkt19 betrifft den wörtlichen Charakter direkter Rede: Wird direkte Rede als autonyme Sprachverwendung angesehen, so impliziert dies gleichzeitig eine exakte Übereinstimmung zwischen wiedergegebener Passage und Originaläußerung.20 Die Annahme, Redewiedergabe im Rahmen direkter Rede entspreche einer wortwörtlichen Übernahme einer Originaläußerung, möchten wir als verbatim-Hypothese bezeichnen. Sie wird insbesondere in präskriptiven Grammatiken systematisch vertreten (s. Kap. 2.2.2), obwohl zumindest in Bezug auf gesprochene Sprache (nicht nur) kognitive Aspekte es unwahrscheinlich erscheinen lassen, dass eine wiedergegebene Äußerung exakt der zugehörigen Originaläußerung entspricht: Das menschliche Gedächtnis ist selbst unter idealen Bedingungen nicht in der Lage, den exakten Wortlaut (also einschließlich von „Performanzerscheinungen“21 wie Sprechfehlern, hesitation phenomena etc.) einer kompletten Äußerung zu speichern.22 Im Übrigen würde eine absolut identische Wiedergabe voraussetzen, dass eine solche Originaläußerung überhaupt existiert.23

Schließlich lässt sich gegen die Autonymie-These einwenden, dass eine autonymische Interpretation von Redewiedergabe nur auf direkte Rede anwendbar ist. Charlent (2003, 160) schlägt in diesem Zusammenhang vor, auf der einen Seite von syntaktischer, auf die äußere Form bzw. das Lautbild eines Sprachzeichens bezogener Autonymie zu sprechen und auf der anderen Seite eine semantische, also auf die Bedeutung eines sprachlichen Zeichens bezogene Autonymie24 anzunehmen. Als „unmarkierter“ Fall im Zusammenhang mit direkter Rede wäre dann davon auszugehen, dass der wiedergebende Sprecher sich sowohl auf signifiant wie auf signifié einer wiedergegebenen Äußerung beziehen möchte bzw. vorgibt, dies zu tun. Möglich sind jedoch auch solche Fälle, in denen ausschließlich der signifiant fokussiert wird, wie im folgenden Beispiel spécial bzw. spéchiol:

 

(14)

On toque à la porte. […] Le Ricain? […]

 

 

- Écoutez-moi. C’est spécial, très spécial…

 

 

Il chuinte le ch [sic], ça devient „spéchiol“. […] (T. Benacquista [1989], La Maldonne des sleepings, zit. n. Charlent 2003, 158)

Andererseits kann der wiedergebende Sprecher auch den signifié der wiedergegebenen Äußerung in den Vordergrund stellen. Dies wäre beispielsweise der Fall bei einer Passage direkter Rede, die mit „Er sagte so etwas wie: …“ eingeleitet wird. Hier ergibt sich eine Parallele zur indirekten Rede, die ja ebenfalls lediglich den Inhalt der wiedergegebenen Äußerung fokussiert (vgl. Charlent 2003, 160). Die Differenzierung zwischen syntaktischer und semantischer Autonymie scheint uns in diesem Zusammenhang vor allem deshalb nicht zielführend, weil sie einerseits den Autonymie-Begriff aufweicht und andererseits pragmatische Aspekte in rein semiotische Überlegungen mit einfließen lässt. Da uns im Rahmen der durchzuführenden Korpusstudie einerseits alle formalen Ausprägungen von Redewiedergabe interessieren und wir andererseits auch funktionale Gesichtspunkte in die Analyse einbeziehen möchten, erscheint uns der Rückgriff auf eine semiotisch perspektivierte Definition von Redewiedergabe wenig sinnvoll. Ohne damit die Frage nach dem Autonymiestatus von Redewiedergabe beantworten zu wollen, soll die theoretische Modellierung unseres Untersuchungsgegenstandes gänzlich unabhängig vom Konzept der Autonymie erfolgen.

Unsere Darstellung der ersten „Schule“ der Betrachtung von Redewiedergabe möchten wir abschließen mit Jacqueline Authier-Revuz’Modellierung „fremder Rede“, die sich ebenfalls auf die Autonymie-These stützt, jedoch darüber hinausgehende Überlegungen und wertvolle Ergänzungen bislang nicht abschließend geklärter Fragen liefert.

2.3.2.5 Authier-Revuz’Représentation du discours autre

Auf der Grundlage äußerungslinguistischer Theorien25 hat sich Jacqueline Authier-Revuz26 seit Ende der 1970er Jahre intensiv mit der Darstellung „fremder Rede“27 auseinandergesetzt. Ausgehend von einem zunächst sehr weiten Verständnis „fremder Rede“ nimmt sie verschiedene Differenzierungen vor, aus denen sich schließlich ein klar umrissener Gegenstandsbereich ergibt: Zunächst unterscheidet sie zwischen Redewiedergabe im engeren Sinne ([15a] und [15b]) und einer Verwendung „fremder Rede“, die sie als „modalisation par discours autre“ bezeichnet ([16a] und [16b]):

 

(15)

a.

X a dit qu’il comprenait.

 

 

b.

X a dit: „Bien sûr que je passerai.“

 

(16)

a.

Il va, selon X, faire beau.

 

 

b.

Elle a „déjanté“, comme dirait X. (Authier-Revuz 2001, 195)

Die Beispiele zeigen, dass unter „modalisation par discours autre“ solche sprachlichen Erscheinungen zusammengefasst sind, in denen ein „modalisierendes Element“ wie selon oder comme dirait die vom wiedergebenden Sprecher präsentierte Äußerung als „fremd“ markiert. Authier-Revuz erläutert den Unterschied zwischen den beiden Ausprägungen von Redewiedergabe mit dem unterschiedlichen informationsstrukturellen Status der „fremden Rede“: Während die fremde Rede in Kontexten direkter oder indirekter Redewiedergabe als rhematisch präsentiert wird, ist sie in Kontexten der „modalisation par discours autre“ als thematisch interpretierbar.28

Weiterhin übernimmt Authier-Revuz den Begriff der Autonymie von Rey-Debove und nimmt eine quer zu den beiden soeben vorgestellten Kategorien liegende Differenzierung vor: Fremde Rede kann entweder nur inhaltlich (d. h. ohne Autonymie) in eine Sprachhandlung integriert werden, wie dies in den Beispielen (15a) und (16a) der Fall ist. In den Beispielen (15b) und (16b) hingegen wird fremde Rede auch unter Beibehaltung der „originalen sprachlichen Form“ (d. h. mit Autonymie) in eine Sprachhandlung einbezogen. Innerhalb der Kategorie „Redewiedergabe“ (vgl. die Beispiele in [15]) ermöglicht also das Vorliegen bzw. das Fehlen von Autonymie eine Differenzierung zwischen direkter und indirekter Rede.29 Authier-Revuz (2001, 197) unterstreicht im Übrigen, dass das Vorliegen von Autonymie keine wörtliche Übereinstimmung mit einer (nicht zwangsläufig überhaupt existenten, s. o.) Originaläußerung bedeutet.

Schließlich differenziert Authier-Revuz zwischen unterschiedlichen Graden der Markierung von Redewiedergabe. Hierbei nimmt sie ein Kontinuum an zwischen den Polen „maximale Markierung“ (z. B. auf syntaktischer, lexikalischer, typographischer oder prosodischer Ebene) und „fehlende Markierung“. Okkurrenzen von Redewiedergabe ohne jegliche Markierung an der Oberfläche (dies wären beispielsweise Fälle freier direkter oder indirekter Rede) bezeichnet sie als „formes interprétatives“30 (Authier-Revuz 2001, 195), da hier das Vorliegen „fremder Rede“ lediglich aus dem Ko(n)text inferierbar ist.

Authier-Revuz’ Definition der indirekten Rede als „représentation du discours autre située au plan du sens de l’acte de l’énonciation“ (Authier-Revuz 2001, 199) wirft die Frage nach den Grenzen des Begriffs Redewiedergabe auf. Für Authier-Revuz verläuft die Grenze zwischen Beleg (17), der den Inhalt der ursprünglichen Äußerung noch erkennen lässt, und Beispielen wie (18), die den Inhalt der Originaläußerung nicht wiedergeben.

 

(17)

Il a annoncé son retour.

 

(18)

Ils ont évoqué leur jeunesse. (Authier-Revuz 2001, 199)

Während der Unterschied zwischen (17) und (18) kaum operationalisierbar scheint, setzt sich das Beispiel in (19) insofern deutlich von Verwendungen indirekter Rede ab, als es keinerlei Hinweis auf den Inhalt der Äußerung enthält, auf die dort Bezug genommen wird:

 

(19)

Ils ont bavardé pendant deux heures. (Authier-Revuz 2001, 199)

Darüber hinaus nimmt Authier-Revuz zwei besondere Formen der Darstellung „fremder Rede“ an, die einen eigenen Typ der Redewiedergabe ausmachen: die sog. „modalisation autonymique d’emprunt“ (Authier-Revuz 2001, 199). Es handelt sich dabei einerseits um Fälle indirekter Rede mit sogenanntem îlot textuel wie in (20):31

 

(20)

Le chef du MRG a annoncé qu’il y avait „de grandes chances“ qu’il soit candidat à la mairie. (Authier-Revuz 2001, 199)

Andererseits zählt hierzu der „discours indirect quasi textuel“, der ebenfalls sehr häufig in Pressetexten verwendet wird:

 

(21)

Rocard qui dit „avoir pesé de tout [son] poids pour la vente des frégates et de Mirages à Taïwan“, jure qu’il était „fort loin d’imaginer […]“. (Authier-Revuz 2001, 199)

Die Grundlage von Authier-Revuz’ äußerungslinguistischer Modellierung von Redewiedergabe bildet die Auffassung, Redewiedergabe sei als metadiskursive Handlung („opération métadiscursive“, Authier-Revuz 2001, 194)32 zu interpretieren, bei der eine Sprachhandlung („acte d’énonciation“, Authier-Revuz 2001, 193) zum Gegenstand einer anderen Sprachhandlung gemacht wird. Die folgende graphische Darstellung zeigt die unterschiedlichen Instanzen der Sprachhandlung und der zugehörigen Kommunikationssituation:

Abb. 1:

schematische Darstellung von Redewiedergabe, adaptiert nach Authier (1978, 48)33

Redewiedergabe ist damit vorstellbar als Oberbegriff für alle Sprachhandlungen (SH), in denen ein Sprecher (S0) einem Empfänger (E0) in einem (graphischen oder phonischen) Code C0 eine Rede R0 übermittelt, die in der Kommunikationssituation KS0 (charakterisiert durch die Parameter T0, L0 etc.) verortet ist. Die Rede R0 referiert dabei auf eine Sprachhandlung SH1, deren Parameter sich in mindestens einem Punkt von SH0 unterscheiden müssen.34

Mit Hilfe von Authier-Revuz’ Modell können alle Typen von Redewiedergabe beschrieben werden, da es den propositionalen Gehalt sowohl der Rede R0 als auch der Rede R1 offenlässt. Damit lassen sich sowohl Sprachhandlungen erfassen, bei denen der propositionale Gehalt identisch ist (also Fälle direkter oder freier indirekter Rede), als auch Sprachhandlungen, in denen sich der propositionale Gehalt je nach Rede-Instanz unterscheidet (dies wäre bei indirekter oder freier indirekter Rede der Fall).

2.3.3 Dialogizität und Polyphonie

Ähnlich wie die voranstehenden Überlegungen zur sprachlichen Reflexivität sind die ebenfalls äußerungslinguistisch bzw. diskursanalytisch geprägten Konzepte der Dialogizität und der Polyphonie nicht nur auf Phänomene der Redewiedergabe anwendbar, sondern beschreiben gleichzeitig auch grundlegende Mechanismen ihrer Verwendung sowie deren Voraussetzungen. Unsere Darstellung orientiert sich in ihrem Aufbau an der Chronologie der Entwicklung verschiedener Schulen: Michael Bachtins programmatische Überlegungen bilden den Ausgangspunkt (s. Kap. 2.3.3.1); im Anschluss stellen wir zunächst Oswald Ducrots Polyphonie-Theorie (s. Kap. 2.3.3.2) und das unabhängig und parallel dazu von Erving Goffman entwickelte Konzept des footing vor (s. Kap. 2.3.3.3). Den Abschluss bildet ein kurzer Überblick über das von Eddy Roulet geprägte „Genfer Modell“ der Dialogizität (s. Kap. 2.3.3.4) sowie über praxematische Analysen von Redewiedergabe (s. Kap. 2.3.3.5).

2.3.3.1 Bachtins principe dialogique

Michael Bachtins bereits in den 1920er und 1930er Jahren entstandene und erst in den 1960er Jahren in Westeuropa rezipierte Schriften1 haben – nicht nur im Zusammenhang mit der Analyse von Redewiedergabe – wegweisenden Charakter. Dies unterstreicht nicht zuletzt die Tatsache, dass auch moderne Analysen von – insbesondere mündlich realisierter – Redewiedergabe regelmäßig auf Bachtins Arbeiten verweisen und auf ihn zurückgehende Konzepte verwenden.2 Bachtins Überlegungen verfolgen das übergeordnete Ziel, den sozialen Aspekt von Sprache anhand konkreter sprachlicher Phänomene aufzuzeigen, eine Vorgehensweise, die er selbst als „méthode sociologique“3 bezeichnet. Dabei versucht er, mit Hilfe literaturwissenschaftlicher Methoden und auf der Grundlage von Romantexten ideologische Tendenzen herauszuarbeiten, die sich aus dem Umgang einer bestimmten Gesellschaft mit fremder Rede ergeben.

Obwohl Bachtins Arbeiten methodologisch gesehen aktuellen (korpus)linguistischen Standards nicht entsprechen,4 haben zwei der auf ihn zurückgehenden Konzepte bis heute weitreichenden Einfluss: das Konzept der Dialogizität5 und das Konzept der Polyphonie. Beide Konzepte verbindet das Prinzip der Verdopplung der Sprachhandlung („dédoublement énonciatif“, Bres/Verine 2002, 162), das implizit (z. B. bei indirekter Rede) oder explizit (z. B. in Passagen direkter Rede) realisiert werden kann.

Bachtin versteht Dialogizität als grundlegendes Merkmal von Sprache im Allgemeinen; das principe dialogique von Sprache zeigt sich für ihn beispielsweise in Paarsequenzen wie Frage/Antwort oder Versprechen/Dank (vgl. Tuomarla 2000, 49). Bachtin definiert dieses Prinzip folgendermaßen:

Aucun énoncé en général ne peut être attribué au seul locuteur: il est le produit de l’interaction des interlocuteurs et plus largement, le produit de toute situation sociale complexe dans lequel il a surgi. (Bachtin, zit. n. Todorov 1981, 50; Herv. i. O.)

Der Begriff der Dialogizität beschreibt damit die sprachliche Verfasstheit von Äußerungen, die mit vorangegangenen oder nachfolgenden Äußerungen in Verbindung stehen. Die Dialogizität einer Äußerung kann entweder extern (d. h. an der Oberfläche, wie z. B. in Form eines Dialoges zwischen zwei Sprechern) oder intern (d. h. häufig nicht explizit markiert) sein.

Dieses zunächst nur sehr grobe Ausgangskonzept lässt sich zu einer differenzierteren Typologie weiterentwickeln, wenn man die unterschiedlichen Sprachebenen einbezieht, die im Rahmen einer dialogischen Äußerung miteinander in Verbindung stehen. Insgesamt können so drei Typen von Dialogizität unterschieden werden (vgl. Bachtin 1978 und Bres 2005, 52–53): (i) interdiskursive Dialogizität („dialogisme interdiscursif“) liegt vor, wenn eine Äußerung mit vorangegangenen Diskursen zum selben Thema in Verbindung steht; (ii) interlokutive Dialogizität („dialogisme interlocutif“) beschreibt die wechselseitige Bezugnahme von Standpunkten bzw. „Stimmen“ verschiedener Sprecher; (iii) intralokutive Dialogizität („dialogisme intralocutif“) liegt schließlich vor, wenn unterschiedliche Standpunkte desselben Sprechers in einer Äußerung interagieren.

Der der musikalischen Fachsprache entlehnte Begriff der Polyphonie im Sinne einer „Stimmenvielfalt“ beschreibt eine literarische Praxis, die schon lange vor der Übertragung des Begriffs auf literarische Phänomene existierte. Michail Bachtin gilt gemeinhin als „Schöpfer“ dieser Lesart,6 obwohl polifonija in seinen Schriften nur marginal Verwendung findet (vgl. Anscombre 2009, 12). Bachtins Begriffsverständnis lässt sich deshalb lediglich grob umreißen: Polyphonie bezeichnet hier die Tatsache, dass in Romanen7 eine Erzählinstanz unterschiedliche „Stimmen“ bzw. Standpunkte gleichberechtigt „zu Wort kommen“ lässt.

Bachtins Verwendung des Begriffspaars erlaubt keine trennscharfe Unterscheidung, sondern lediglich die Zuordnung beider Begriffe zu unterschiedlichen Gegenstandsbereichen: Während Polyphonie für die Beschreibung von Erzählinstanzen im Roman reserviert bleibt (vgl. Rabatel 2006a, 62–63), beschreibt Dialogizität eine grundlegende Eigenschaft sprachlicher Äußerungen im Allgemeinen (vgl. Rabatel 2006a, 64). Bachtins fehlende Differenzierung hat sicherlich dazu beigetragen, dass das Begriffspaar häufig zur Beschreibung der gleichen Phänomene eingesetzt wird; hierzu gehören neben Redewiedergabe auch Präsuppositionen, Frage- und konzessive Strukturen, Ironie und Negation (vgl. Rabatel 2006b, 166).

Eine klare Differenzierung beider Konzepte entwickelt sich erst im Laufe der 1980er Jahre: Während Oswald Ducrot den Begriff der Polyphonie aufgreift und zum zentralen Konzept seiner Argumentationstheorie ausbaut, entwickelt sich das Konzept der Dialogizität zum Herzstück der praxematischen bzw. pragmatischen Arbeiten von Jacques Bres (2005) und Eddy Roulet et al. (1985) (s. u.).

2.3.3.2 Ducrots Polyphonie-Konzept

Oswald Ducrots Interpretation des Polyphonie-Konzepts stützt sich auf die Überlegungen von Bally und Bachtin (vgl. Rosier 1999, 116), die er für die sprachwissenschaftliche Forschung nutzbar gemacht und weiterentwickelt hat. Anders als Bachtin, für den Polyphonie die Struktur ganzer Texte kennzeichnet, wendet Ducrot das Konzept auf die Semantik einzelner Äußerungen an.8

Innerhalb der gemeinsam mit Jean-Claude Anscombre entwickelten Argumentationstheorie (vgl. Anscombre/Ducrot 1983) fungiert das Polyphonie-Konzept als Instrumentarium, das eine präzise Erfassung und Beschreibung der an einer Äußerung beteiligten Kommunikationsinstanzen ermöglicht (vgl. Rabatel 2005, 95–96). Ausgangspunkt von Ducrots Überlegungen ist die Abkehr vom Postulat einer einheitlichen Sprechinstanz, das er gleich zu Beginn seiner Skizze einer polyphonen Äußerungstheorie in Frage stellt: „L’objectif de ce chapitre est de contester […] [le] postulat […] [de] l’unicité du sujet parlant“ (Ducrot 1984, 171).

Stattdessen geht Ducrot von der Existenz mehrerer Sprechinstanzen aus („hétérogénéité énonciative“, Anscombre 2009, 16), die insbesondere im Zusammenhang mit bestimmten sprachlichen Phänomenen sichtbar werden. So verdeutlicht die Verwendung von sollen in Der Film soll sehr gut sein die Existenz einer vom aktuellen Sprecher zu unterscheidenden „Stimme“. Ducrot verwendet jedoch nicht den Begriff Stimme („voix“), sondern versteht Polyphonie vielmehr als eine Vielfalt von Standpunkten („points de vue“), die von den unterschiedlichen Sprechinstanzen vertreten werden (vgl. Rosier 2008, 38).

Insgesamt unterscheidet Ducrot drei Sprechinstanzen: zunächst den locuteur,9 eine auf der Diskursebene angesiedelte Sprechinstanz,10 die die kommunikative Regresspflicht für die jeweilige Äußerung übernimmt: „Par définition, j’entends par locuteur un être […] à qui l’on doit imputer la responsabilité de cet énoncé“ (Ducrot 1984, 193). Auf den locuteur beziehen sich die Pronomina der ersten Person, er ist sozusagen der Ursprung (i. S. der Origo) der Äußerung.

Als zweite Sprechinstanz führt Ducrot den énonciateur ein, dem der in der Äußerung zum Ausdruck gebrachte Standpunkt („point de vue“, s. o.) zugeordnet wird. Ducrot (1984, 204) definiert diese Instanz folgendermaßen:

J’appelle „énonciateurs“ ces êtres qui sont censés s’exprimer à travers l’énonciation, sans que pour autant on leur attribue des mots précis; s’ils „parlent“, c’est seulement en ce sens que l’énonciation est vue comme exprimant leur point de vue, leur position, leur attitude, mais non pas, au sens matériel du terme, leurs paroles.

Der locuteur hat zwei Möglichkeiten der Positionierung gegenüber dem énonciateur bzw. gegenüber dem ausgedrückten Standpunkt: Er kann sich entweder damit identifizieren oder aber sich davon distanzieren.

Schließlich nimmt Ducrot mit dem sujet parlant eine dritte Sprechinstanz an, die sich auf den „empirischen Sprecher“11 (Gévaudan 2008, o. P.) bezieht. Hierbei handelt es sich um den „physischen Produzenten“ einer Äußerung.

Folgender von Ducrot konstruierte ironische Dialog illustriert die soeben vorgestellten Sprechinstanzen:12

 

(22)

Pierre: „Qu’est-ce que tu as fait hier soir?“

 

 

Jean: „De quoi je me mêle!“ (Tuomarla 2000, 44)

Der Dialog zeigt zunächst zwei empirische Sprecher, Pierre und Jean, die scheinbar auch als locuteurs für ihre jeweilige Äußerung einzustufen sind. Bei näherer Betrachtung wird jedoch deutlich, dass lediglich in der Äußerung von Pierre die drei Sprechinstanzen sujet parlant, locuteur und énonciateur konvergieren. Die zweite Äußerung, in der Jean die Rolle des sujetparlant übernimmt, illustriert eine Dissoziation der drei Sprechinstanzen: Das Klitikon je bezieht sich nicht auf Jean, sondern auf Pierre, dessen Äußerung Jean sich hier quasi selbst „in den Mund legt“. Damit fungiert Pierre auch in der zweiten Äußerung als locuteur. Énonciateur der zweiten Äußerung ist ebenfalls Pierre, dessen Standpunkt jedoch von Jean ironisch gebrochen präsentiert wird.

Inwiefern ist Ducrots Polyphonie-Konzeption relevant für die theoretische Modellierung von Redewiedergabe? Zunächst ist in diesem Zusammenhang zu bedenken, dass Ducrots und Anscombres Argumentationstheorie nicht mit dem Ziel konzipiert wurde, ein Instrumentarium zur Beschreibung von Redewiedergabe zu entwickeln (vgl. Bres/Verine 2002, 161). Dennoch greift Ducrot im Rahmen seiner Erläuterungen häufig zu Beispielen von Redewiedergabe, wie beispielsweise im folgenden Beleg, auf dessen Grundlage unterschiedliche Sprechinstanzen diskutiert werden (Ducrot 1984, 196):

 

(23)

Pierre : „Jean m’a dit: ‚Je viendrai.‘“

Hier finden sich zwei Pronomina der ersten Person, von denen sich me auf einen locuteur (Pierre) und je auf einen wiedergegebenen énonciateur (Jean) zu beziehen scheint. Ducrot verwirft jedoch diese Interpretation zugunsten der Annahme, dass beide Pronomina auf zwei unterschiedliche locuteurs verweisen, so dass sich folgende Analyse ergibt:

 

(23’)

Pierre [= L1] : „Jean [= L2] mL1’a dit: ‚JeL2 viendrai.‘“

Die Tatsache, dass eine Sprechinstanz „in doppelter Ausführung“ vorliegt, bedeutet jedoch nicht, dass die zugehörige Äußerung als polyphon einzustufen ist. Vielmehr ist genau das Gegenteil der Fall: Das für Redewiedergabe charakteristische „dédoublement énonciatif“ (vgl. Ducrot 1984, 197) scheint das Vorliegen von Polyphonie praktisch auszuschließen (vgl. Jacob 1987, 75). Dies gilt jedoch nur für den von Ducrot als prototypisch angesehenen Fall, dass ein Sprecher L in seiner Äußerung die Äußerung eines Sprechers L’ lediglich wiedergeben möchte:

On a discours rapporté si le but attribué à L, quand on interprète son énoncé, est de faire savoir ce qu’a dit L’; dans ce cas, c’est L’ qui est le thème de l’énoncé de L, et le propos est constitué par l’ensemble de paroles attribuées à L’: on qualifié L’ par ce qu’il a dit. (Ducrot/Bourcier 1980, 44)

Ducrot zieht folgenden Beispielsatz zur Illustration heran (Ducrot/Bourcier 1980, 44):

 

(24)

Pierre m’a dit: „Le temps va s’améliorer.“

Eine „monophone“ Interpretation dieser Äußerung entspräche der Sprecherabsicht, eine Aussage über Pierre zu treffen. Ducrot (Ducrot/Bourcier 1980, 44) schlägt als Illokution beispielhaft „Pierre est un optimiste invétéré“ oder „Pierre ne connaît rien en météorologie“ vor. Redewiedergabe kann nur dann als polyphon interpretiert werden, wenn die wiedergebende Sprechinstanz keine Aussage über die wiedergegebene Instanz treffen möchte, sondern hinter die wiedergegebene Instanz zurücktritt und lediglich die wiedergegebene Aussage „präsentiert“. Die zugehörige Illokution bezöge sich damit nicht auf Pierre, sondern auf den Inhalt von Pierres Äußerung. Ducrot erläutert diese Interpretation folgendermaßen:

[L]e thème de l’énoncé, dans cette seconde interprétation, est constitué par le temps actuel et non pas par Pierre, le propos étant l’amélioration de ce temps et non pas les paroles de Pierre. Il s’agit ainsi d’une assertion dont le responsable est Pierre, alors que dans la première lecture le responsable était le locuteur L. Une telle interprétation s’imposerait si, après les énoncés cité [sic], on enchaînait J’irai à la campagne demain […]. (Ducrot/Bourcier 1980, 45)

Damit schließen für Ducrot „echte“ Redewiedergabe (im Sinne einer bloßen „Re-präsentation“ einer Äußerung) und Polyphonie einander aus. Ducrot verwirft weiterhin auch die These, Redewiedergabe habe Autonymie-Status. Er argumentiert dabei, dass der Sprecher im Rahmen einer Redewiedergabe zwar über einen Diskurs informieren wolle, der tatsächlich stattgefunden hat,13