Störfall - Jacqueline Montemurri - E-Book

Störfall E-Book

Jacqueline Montemurri

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Beschreibung

Schon von alters her lockte der Weltraum den Menschen. In acht Geschichten folgen wir jenen, die diesem Ruf erliegen. Sei es ein unbekanntes Signal aus den Weiten des Universums, die Verlockung finanzieller Reichtümer durch den Abbau von Rohstoffen, oder die Erforschung fremder Welten. Sie machen sich auf in die Tiefe des Alls. Doch so manche Mission ist zum Scheitern verurteilt. Enthaltene Stories: Sonnenmondfinsternisstern Das Trojaner-Projekt Der Gott des Krieges Die Faszination der Einsamkeit Schrottsammler humanoid experiment Botschaften Störfall

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INHALT

Sonnenmondfinsternisstern Die Magnetische Stadt, 2015

Das Trojaner-Projekt Fremde Welt, 2013

Der Gott des Krieges EXODUS-Magazin 41, 2020

Die Faszination der Einsamkeit SPACE 2014, 2013

Schrottsammler SPACE 2016, 2015

humanoid experiment EXODUS-Magazin 34, 2016

Botschaften Die Rückkehr des grünen Kometen, 2017

Störfall Meuterei auf Titan, 2017

Infos zu den Stories

SONNENMOND FINSTERNISSTERN

Logbuch E.S.S. Tynwald

Borddatum 2342-04-12

Bordzeit 22:30

Funksignal von PH1 weist starke Modifikation auf. Entschlüsselung nicht möglich.

Nichtidentifizierbare Überlagerungen.

Kdt S.K.

»Wir müssen zurück!« Die Stimme der Frau hallte von den metallenen Wänden der Messe wieder. Als Technikerin der E.S.S. Tynwald behielt Denise Rallinger bei Problemen einen kühlen Kopf. Doch diesmal war es anders. Die ganze Mission war anders.

»Der Plan ist aber, dass wir erst unsere Passagiere auf Sinus-13 absetzen und dann zurückfliegen, um Ted vom PH1-Mond abzuholen. Ich sehe keinen Grund, warum wir jetzt umkehren sollten«, war die ruhige Antwort der Kommandantin Suri Kaliskan.

»Weil er in Not ist!«

»Denise, beruhige dich. Wir können den Funkspruch nicht entschlüsseln. Doch das bedeutet nicht, dass er in Not ist.« Suri bemühte sich sachlich zu bleiben. »Er hat sich freiwillig dazu gemeldet. Niemand hat ihn gezwungen. Er wollte unbedingt dieses Signal entschlüsseln.«

Die drei Männer am Tisch blickten abwechselnd die Kommandantin und die erregte Technikerin an.

»Zickenkrieg«, murmelte Jake Sullivan. Denise warf ihm einen missfallenden Blick zu, stieß geräuschvoll ihren Stuhl nach hinten und sprang auf.

»Ted ist verdammt noch mal da draußen! Wir kennen diesen Scheiß-Planeten nicht und auch nicht den Sinn dieser Sendeanlage. Ich hab ein schlechtes Gefühl!«

»Wegen eines Gefühls werden wir doch nicht umkehren!«, höhnte einer der Männer. Er hatte die Füße auf der Tischkante und wippte mit dem Stuhl. Es verursachte ein leises Quietschen, das an Suris Nerven zerrte. Als einziger trug er eine Waffe am Gürtel. Der Grund saß betont gelangweilt neben ihm, die Handschellen und Fußfesseln an seinen Gelenken verrieten den Sträfling. Seine Augen blickten wachsam auf das Geschehen. Die Kommandantin des Raumfrachters stieß missmutig den Atem aus.

»Schlimm genug, dass wir Passagiere befördern müssen«, dabei blickte sie entschuldigend auf den Bewaffneten, »und dann diese seltsame Sendestation, aus der wir nicht schlau wurden. Doch ich habe hier das Sagen und ich entscheide, dass wir weiterfliegen, die beiden auf Sinus-13 abliefern und dann Ted von diesem seltsamen Mond abholen.«

Denise stieß mit dem Fuß den Stuhl um. Der Knall, wie von einer Explosion, bohrte sich schmerzhaft in die Ohren der Anwesenden.

»Ich kann nicht zulassen, dass du Ted im Stich lässt, Suri. Auch wenn du die Kommandantin bist. Was wäre, wenn Jake Hilfe benötigte? Würdest du ihn auch verrecken lassen?«

Der dritte Mann am Tisch verzog nach Erwähnung seines Namens das Gesicht. Aber er sagte nichts. Suri blickte ihm in die Augen, als sie erwiderte:

»Ich habe nicht vor, jemanden verrecken zu lassen. Doch ich würde genauso handeln, wenn es Jake beträfe.«

»Oh danke, Suri«, grinste der Erwähnte. »Ich denke jedoch wie Denise. Das Signal können wir zwar immer noch nicht entschlüsseln, aber es hat sich verändert. Es ist viel komplizierter geworden, als das erste. Entweder hat Ted die Anlage repariert, dann würde jetzt das ursprüngliche Signal gesendet oder er sendet uns eine Botschaft. Ich tippe auch eher auf einen Hilferuf«, beendete Jake.

»Aber, wie du schon sagtest, könnte es auch das ursprüngliche Signal sein«, erwiderte Suri.

»Für mich ein Grund mehr, zurück zu fliegen.«

Suri blickte Jake forschend in die Augen. Ist das wirklich seine Meinung, oder will er mich nur provozieren?

»Siehst du, Suri! Ich bin nicht die Einzige, die sich Sorgen macht! Wir müssen zurück. Zwei zu eins.«

»Denise, ich bin die Kommandantin des Frachters. Hier ist kein Parlament, wo abgestimmt wird. Auch wenn der Name unseres Schiffs der des ältesten Parlamentes der Erde ist. Doch hier habe ich die Bordgewalt.«

»Ich finde, wir sollten abstimmen«, mischte sich der Bewaffnete ein.

»Sie sind Passagier, Roary. Sie können sowieso nicht mitreden«, gab Suri mit einem aufgesetzten Lächeln zurück. Die kalt-weiße Deckenbeleuchtung schien einen Moment zu flackern.

Denise ballte die Finger zur Faust, bis die Knöchel weiß hervor traten.

»Wieso nicht? Die Mission ist aus dem Ruder geraten. Wir hätten diesen verfluchten Planeten PH1 gar nicht anfliegen sollen. Vier Sonnen! Das ist doch schon verdammt außergewöhnlich. Dann ein Sender, der seit Jahrtausenden irgendetwas sendet. Nur weil Ted der Meinung war, es sei ein Hilferuf und wir darauf reagieren müssten. Hier läuft gar nichts nach Plan, Suri. Ich finde, wir sollten abstimmen und unser Passagier auch«

Suri stand auf und lief eine Weile im Raum auf und ab. Ihre Schritte pochten wie blecherne Herzschläge. Dann blieb sie stehen und blickte in die Runde: zwei Crewmitglieder, ein Passagier und der Gefangene. Es war so still, dass sie meinte, das Rauschen des Stroms in den elektrischen Leitungen durch die Wände hindurch hören zu können. Oder war es das Blut, das durch ihre Adern strömte? Ihre Haltung straffte sich.

»Nein! Wir haben einen Terminplan einzuhalten. Die Brennstäbe des Reaktors müssen außerdem schnellstmöglich getauscht werden, sonst könnten wir antriebslos in diesem abgelegenen Quadranten für ewig rumtreiben. Zudem sollen wir diese Passagiere abliefern und ich habe keine definitiven Hinweise darauf, dass sich Ted in Gefahr befindet.« Damit verließ sie den Raum ohne den hereinbrechenden Widerspruch zu beachten.

Denise schlug mit der Hand auf den Tisch. »Ich bin für Rückkehr. Denn ich sehe in dem geänderten Signal einen Hilferuf.«

»So sehe ich das auch«, meinte Jake, »aber das ist belanglos. Suri hat hier das Sagen.«

»Diesmal nicht!« Kämpferisch stieß die Technikerin die Luft aus und sah den Gefangenen-Transporter auffordernd an.

»Roary?«

»Wenn ich’s mir recht überlege, bin ich auch für’s Umkehren. Schließlich sollten wir Ted nicht seinem Schicksal überlassen.« Er verschränkte die Arme vor der Brust und lehnte sich zurück.

»Also drei zu eins«, triumphierte Denise.

»Lass es sein«, mahnte Jake.

Die Technikerin schüttelte energisch ihre blonden Locken. »Oh nein, Jake. Wir sind ein Frachter. Kein Militärschiff. – Garry soll auch abstimmen.«

Roary grinste belustigt, packte die Kette der Handschellen und zog damit Garrys Hände hoch. »Garry wird sich meiner Meinung anschließen. Sonst kann er den Rest der Reise angekettet im Frachtraum verbringen.« Die gefesselten Hände krachten zurück auf den Tisch. Garry verzog keine Miene.

Denise ignorierte Roarys Äußerung, denn ihre Gedanken kreisten schon wieder um Ted und wie sie Suri beibringen könnte, dass alle für Umkehren sind.

»Ich werde noch mal mit ihr reden«, entschied sie.

»Lass ihr noch etwas Zeit«, meinte Jake.

Logbuch E.S.S. Tynwald

Borddatum 2342-04-12

Bordzeit 23:15

Mehrheit interpretierte das modifizierte

Signal als Hilferuf von Ted Hilgard. Crew hat durch Mehrheitsentscheid Rückkehr gefordert, doch Kommandantin hat sich gegen diesen Beschluss, für das Einhalten des Terminplans entschlossen.

Kdt S.K.

Suri hatte sich in ihr Quartier zurück gezogen und erledigte den Logbucheintrag. Dann lag sie auf dem Bett und starrte die Decke an. Eine Reihe Leuchtdioden tauchte den Raum in bläuliches Licht. Das Fehlen jeglicher Geräusche verursachte ein Rauschen in ihren Ohren. Die letzten Wochen hatten ihr beschauliches Leben als Frachterkommandantin durcheinander gewirbelt. Kurz vor dem Start aus der Umlaufbahn des Minenplaneten Relus trennte sie sich von Jake. Zwei Jahre hatte sie mit ihm eine Beziehung gehabt, doch für mehr war er nicht bereit gewesen. Sie wollte aber nicht mehr nur als nächtliche Gespielin fungieren. Sie wollte mehr. Aber sie wusste selbst nicht, was sie wollte.

Dann kam dieser Shuttle an und sie musste diese zwei Passagiere aufnehmen und auf dem Weg zur Erde auf dem Gefängnisplaneten Sinus-13 absetzen. Der Transporter Roary Ceallaigh überführte den mehrfachen Mörder Garry van Basten nach Sinus-13. Suri hegte keine besondere Sympathie gegenüber dem Gefangenen-Transporter. Er wirkte kalt und berechnend auf sie. Wenn er nicht einige Andeutungen über die grausamen Verbrechen dieses Serienmörders gemacht hätte, dann könnte sie sich fast zu diesem Killer hingezogen fühlen. Seine Augen waren so Vertrauen erweckend. Schnell schüttelte sie den Kopf, um den absurden Gedanken zu verscheuchen und auf dieses Sonnensystem zu richten, das sie gerade hinter sich gelassen hatten.

PH1. Dieser Exoplanet, völlig unerforscht, lockte sie mit einem Signal. Sie konnten es nicht entschlüsseln und gerade dieser Umstand schien die Neugier besonders zu wecken. Ted Hilgard, ihr Bordingenieur, überredete sie, dem Signal auf den Grund zu gehen. Er war fest davon überzeugt, dass es ein Hilferuf war. In Gedanken überflog Suri noch einmal die Logbuch-Einträge:

… Signal von PH1 erfasst. Entschlüsselung nicht möglich. Ted Hilgart (Bordingenieur), interpretiert es als Hilferuf. … Signal auf PH1-Mond geordet. … Mit Shuttle auf PH1-Mond gelandet: Suri Kaliskan (Kommandantin), Ted Hilgart (Bordingenieur), Denise Rallinger (Technikerin). Sendestation lokalisiert. … Sendestation datiert: >100.000 B.C. … Datierung unglaubwürdig. Keine Problemlösung möglich. … Überlagerung identifiziert.

Originalsignal nicht entschlüsselbar.

Sendestation defekt. … Ted Hilgart meldet sich freiwillig, um für Reparatur auf dem PH1-Mond zu verbleiben. … Besatzung und Passagiere setzen Flug fort, um Passagiere Garry van Basten und Roary Ceallaigh auf Sinus-13 abzusetzen sowie Brennstäbe zu tauschen … dann Rückkehr vorgesehen. …

Es war alles anders gekommen, als geplant. Suri schloss die Augen. Die Lüftung setzte unerwartet ein. Das Summen bohrte sich schmerzhaft in ihr Gehirn. Sie betätigte einen Schalter und übertönte es mit sanfter Musik.

»Nicht gut gelaufen.«

Die Frau zuckte zusammen. Sie saß am Navigationscomputer um den Kurs zu überprüfen und hatte niemanden erwartet. Die Anderen hockten wahrscheinlich irgendwo zusammen und planten die Meuterei. Als sie sich zu dem Sprecher umdrehte, erkannte sie Garry.

»Wo ist Ihr Schatten? Dürfen Sie sich denn so frei bewegen?«

Er zuckte mit den Schultern.

»Schläft.«

Seine Augen funkelten sie an, als wolle er mit seinem Blick ihre Gedanken lesen. Sie schüttelte irritiert den Kopf und sah wieder auf die Bildschirme zurück. Ein Fenster wäre schön, so wie in den antiken Geminikapseln, träumte sie, dann könnte man das All mit eigenen Augen sehen. Doch leider gab es in einem Frachter so einen Luxus nicht. Nur elektronisch aufbereitetes Bildmaterial der Sensoren und Kameras am Rumpf des Schiffs.

»Wie funktioniert das?«, fragte er leise. Fast so, als solle es niemand hören. Geheimnisvoll.

»Was?«

»Das Navigieren.«

»Planen Sie die Flucht, oder was?« Es klang härter, als beabsichtigt.

»Möglich.«

Wo sollte er hin? Ein Serienkiller? Er könnte uns alle… Schnell schob sie den beängstigenden Gedanken beiseite.

»Gammastrahlen.« Ihr Tonfall war jetzt freundlicher. Sie hörte das Klirren der Handschellen, als er seine Hand auf ihre Schulter legte und über sie hinweg auf die Monitore blickte. Ein Schauer jagte über ihren Rücken. Beängstigend und zugleich aufregend. Sie spürte seinen Atem. Zog kurz in Erwägung, ihm einen Stoß zu versetzen und ihn auf Abstand zu bringen. Doch irgendwas in ihr genoss seine Nähe. Also tippte sie ein paar Daten ein und erklärte:

»Früher hatten die Seefahrer Leuchttürme, um sich zu orientieren. Jeder Turm hatte sein bestimmtes Signal. So wussten sie immer an welcher Küste sie sich befanden. Im All haben wir so etwas Ähnliches: Millisekundenpulsare. Sie senden periodisch Gammastrahlen aus. Jeder sein unverkennbares Muster. Diese werden von Gammastrahlenteleskopen an der Tynwald gelesen und im Computer zu einer Art dreidimensionaler Landkarte verarbeitet. So können wir unsere Position bestimmen.«

»Interessant«, hauchte er in ihr Ohr, »Ich habe nicht viel Zeit. Wir sollten reden.«

Sie spürte, wie er ihr das Haar aus dem Nacken strich. Sie könnte ihm den Ellbogen in den Magen rammen, überlegte sie. Doch ihr Körper wollte etwas anderes als ihr Kopf. Wieso ist das Böse nur so anziehend? Keine Zeit darüber nachzudenken. Es war eben das Böse. Abrupt drehte sie sich zu ihm um und hielt ihm die Klinge des Taschenmessers an die Kehle, das sie in ihrer Jackentasche mit sich rumschleppte, seit er an Bord war. Andere Waffen gab es auf einem Frachter nicht. Seine dunkelblauen Augen waren so nah, dass sie sich darin spiegeln konnte. Die Frau, die sie erblickte, hatte schulterlanges braunes Haar. Ihre grünen Augen wirkten müde, obwohl sie gerade sechs Stunden geschlafen hatte.

Plötzlich ein dumpfer Schlag. Er zuckte zusammen und brach mit einem kurzen Stöhnen vor ihr zusammen, gab damit den Blick auf Roary frei. Er grinste sie triumphierend an. Suri hatte nicht bemerkt, wie er eingetreten war. Er hielt die Pistole am Lauf in der Hand, steckte sie zurück ins Holster.

»Immer schön vorsichtig«, grinste er, »Er hat schon eine Menge so schöner Frauen abgemetzelt. Haben Sie sich nicht informiert?«

Suri blickte wie in Trance auf den am Boden liegenden. Er schien bewusstlos zu sein. Aus einer Platzwunde an seinem Kopf floss Blut. Roarys Hand schoss vor und betätigte die Türverriegelung. Summend wurde die Kommandozentrale von der Außenwelt abgeschirmt.

»Haben Sie sich nicht informiert?«, brüllte er hysterisch.

Suri wurde wie aus einem Traum gerissen.

»Was?«

»Haben Sie sich nicht informiert?« Die Stimme überschlug sich. Der Blick seiner Augen hatte sich verändert. Irgendwie sah sein Gesicht unnatürlich verzerrt aus.

»Nein.« Suri konnte das Verhalten des Polizisten nicht einordnen. »Wir sind zu weit draußen. Kommunikation mit der Erde ist hier nicht möglich.«

»Umso besser!«

Roary packte sie plötzlich mit der Linken an der Kehle und entwand ihr mit der Rechten das Messer. Es klirrte zu Boden. Die Kommandantin starrte ihn an. Sie begriff nicht, was hier vorging. Ihr Hals wurde zugeschnürt, ihre Gedanken verwirbelten zu einem Schwarzen Loch. Dann ein Stoß und sie krachte auf den Boden, rutschte bis zur Wand. Kaum hatte sie sich gesammelt war er schon wieder über ihr, drückte sie nach unten, riss ihre Jacke auf. Seine Hand presste sich auf ihre Brust. Er setzte sich auf ihr Becken und fixierte sie mit seinen Schenkeln. Da begann sie das Unverständliche zu ahnen. Trat wild mit den Beinen um sich. Bäumte sich auf, um ihn abzuschütteln. Er grinste höhnisch und schlug ihr mit der Hand ins Gesicht. Blitze zuckten auf.

Plötzlich waren Hände mit Handschellen um seinen Hals, die ihn würgten und von ihr runter rissen. Er röchelte und ließ von ihr ab. Konzentrierte sich auf den Angreifer. Sie wischte sich mit dem Handrücken das Blut ab, das aus ihrer Nase strömte und blickte sich suchend um. Die zwei Männer rangen und wanden sich fast lautlos auf dem Boden. Nur die Ketten des Killers klirrten. Die Waffe wurde ziellos von den Händen der Männer hin und her gedrückt.

Suri blickte sich Hilfe suchend um. Da sah sie das Messer, rutschte auf dem Boden darauf zu und packte es. Die Mündung der Pistole hatte jetzt Garrys Kopf im Visier. Sie beobachtete, wie der Killer sie versuchte wegzudrücken. Sein Gesicht war vor Anstrengung verzerrt. Durch die Hand- und Fußfesseln waren seine Bewegungen eingeschränkt. Roary hatte die Oberhand gewonnen und grinste siegessicher. Sury zögerte einen Moment, dann schoss sie vor und rammte dem Gefangenen-Transporter die Klinge in die Halsschlagader. Erschrocken blickte er sie an, tastete nach der Verletzung. Das Blut pulsierte im Takt seiner Herzschläge daraus hervor. Garry stieß ihn von sich. Während Roary seine letzten Atemzüge tat, glotzte er ungläubig auf Suri. Sie blickte ihn kalt an und wartete, bis es endlich vorbei war und er schlaff dalag.

In diesem Moment öffnete sich mit einem Zischen die Tür. Jake und Denise stürmten, bewaffnet mit Werkzeugen herein, blieben geschockt von dem Anblick stehen: Ein toter Polizist, überall Blut, ein Serienkiller und eine Kommandantin mit blutverschmiertem Gesicht und zerrissener Jacke.

»Was? ...«, stieß Jake entgeistert aus, »Wir sahen auf dem Überwachungsmonitor…«

Der Mörder ging zu seinem toten Bewacher und durchsuchte seine Kleidung. Dann zog er eine Ausweiskarte daraus hervor und hielt sie der Kommandantin vor die Nase.

»Wer schaut sich schon an, ob an dem Bild manipuliert wurde, wenn der Auftritt so offensichtlich ist«, lächelte der Mann. Demonstrativ kratzte er mit den Fingernägeln über die Karte und das Foto ließ sich ablösen. Suri blickte darauf und schüttelte ungläubig den Kopf.

»Oh, Scheiße!« Suri rang nach Luft. »Wieso haben Sie nichts gesagt? Ein Zeichen oder so?«

»Er hatte die einzige Waffe an Bord. Ich habe auf den richtigen Moment gewartet. Da er schon meinen Partner auf dem Gewissen hatte, wollte ich hier niemanden in Gefahr bringen.«

Jake und Denise standen immer noch mit Schraubenschlüssel und Hammer bewaffnet in der Tür.

»Darf ich vorstellen?«, lächelte Suri ihre Crew an, »Officer Roary Ceallaigh und dort liegt Serienkiller Garry van Basten.«

Logbuch E.S.S. Tynwald

Borddatum 2342-04-1

Bordzeit 09:00

Identität der Passagiere vertauscht. Bei Klärung des Vorfalls wurde der Straftäter Garry van Basten getötet.

Kdt S.K.

Wenige Worte für eine bizarre Situation. Mit einem Tastendruck beendete Suri das Logbuch-Programm. Sie sehnte sich nach einer Dusche. Ihre Hände zitterten, als sie versuchte, ihr Hemd aufzuknöpfen. Bilder des Vorfalls blitzten in ihrem Kopf auf. Ein Messer. Blut. Ihre Hand. Sie hatte tatsächlich einen Menschen getötet. Ihr wurde schwindelig bei dem Gedanken. Das Schlimmste war, dass sie sich dabei ganz irrational von ihren Gefühlen leiten ließ. Denn sie hatte bewusste den Polizisten getötet. Es war erleichternd gewesen, als sich die vertauschte Identität heraus stellte. Doch das Gewissen plagte sie, denn sie graute sich vor ihrer eigenen Entscheidung. In diesem Moment kündigte ein sanftes Signal an der Tür einen Besucher an. Also schloss sie das Hemd wieder so weit wie nötig und auch die Gedanken tief in sich ein, öffnete ihr Quartier. Die zischend zur Seite gleitende Tür ließ Roary erscheinen.

»Ich habe ihn mit dem Müll ins All entsorgt.« Er lächelte aus einem blutverschmierten Gesicht.

»Gut.«

Unbehagliches Schweigen.

»Darf ich reinkommen?«

Sie zögerte. »Ich wollte eigentlich duschen.«

Sein Gesicht kam ganz nah. »Ich auch«, hauchte er ihr ins Ohr.

Sie schob ihn ein Stück von sich weg. Identität. Vertauschte Identität? »Kann ich den Ausweis noch einmal sehen?«

Er durchsuchte seine Taschen, fand die Karte und gab sie ihr ohne zu zögern. »Einen anderen Beweis habe ich im Moment nicht.«

Sie blickte auf das zerkratzte Foto unter dem ein anderes zum Vorschein kam, das offensichtlich seins war. Natürlich glaubte sie ihm. Sie wollte glauben, doch ein kleiner Rest Zweifel schlingerte noch durch ihre Eingeweide und verursachte ein lustvolles Kribbeln. Sie konnte nicht ganz begreifen, dass sie seit Wochen mit einem Serienkiller hier zusammen gelebt hatten. Ein Schauer kroch über ihren Rücken. Im Grunde war ihr der nun Tote schon seit seiner Abkunft hier unsympathisch gewesen. Man sollte also doch auf seine Gefühle hören. Vielleicht hatte Denise ja auch Recht. Vielleicht war Ted wirklich in Gefahr.

»Alles Okay? Es ist nicht leicht, damit klar zu kommen. Ich weiß.« Seine Stimme klang sanft. Er strich ihr durchs Haar.

»Ich wusste nicht, wie einfach es ist, einen Menschen zu töten. Es ging so leicht. Erschreckend leicht«, flüsterte sie.

»Du musst es vergessen. Er war ein Killer, ein Psychopath. Glaub mir, er hatte es verdient.«

Er fing an sie zu küssen. Obwohl er den Geruch von Blut und Schweiß ausströmte, gab sie sich seinem Kuss hin.

»Es beruhigt mich nicht, denn ich dachte ja, er wäre ein Polizist«, gab sie in einer Atempause zu und blickte ihm in die Augen. Ihre Finger strichen durch sein hellbraunes Haar. Blutige Strähnen.

»Wir sollten die Verletzung kleben.«

»Okay. Mach das. Ich vertrau dir.«

Sie suchte in ihrem Schrank nach den medizinischen Utensilien, die sie dafür benötigte. Während sie seine Wunde versorgte, wanderten seine Finger unter ihr Hemd. Kurz hielten sie in der Bewegung inne, als sich das Desinfektionsmittel in seine Kopfhaut brannte. Dann wanderten sie weiter und sie genoss es.

»Komm, lass uns erst mal duschen. Danach sieht die Welt wieder besser aus«, flüsterte er, als sie fertig war.

»Der Kleber muss ein paar Minuten trocknen, bevor …«

Ein Kuss unterbrach ihre Erklärungen. Er fing an ihre Kleider zu öffnen und sie ließ es geschehen. Manchmal muss man doch auf seine Gefühle hören, schoss es ihr durch den Kopf, vielleicht hat Denise doch Recht. Es war ein angenehmes Gefühl, seine Finger auf ihrer Haut. Ganz anders als bei Jake. Jetzt konnte sie einfach nur sie selbst sein, keine Kommandantin.

Logbuch E.S.S. Tynwald

Borddatum 2342-04-20

Bordzeit 13:40

Kommandantin hat Rückkehr angeordnet, um das Crew-Mitglied Ted Hilgard wieder an Bord zu nehmen – PH1-System von den Scannern erfasst.

Signal unverändert. Planet umkreist auf lemniskatischer Bahn zwei Doppelzentralgestirne.

Kdt S.K.

»Die Bahn ist eine liegende Acht, naja, leicht verdreht«, erklärte Denise. Suri bemerkte den Stimmungswechsel der Technikerin, seit sie die Rückkehr beschlossen hatte.

»Das Zeichen für Unendlichkeit.« Suris Blick schien sich durch den Monitor hindurch im All zu verlieren.

Denise tippte auf einen Punkt der grafischen Darstellung.

»Hier müsste der Planet jetzt sein, falls diese ganzen Berechnungen einen Sinn ergeben. Hier am äußeren Umkehrpunkt. Der Mond umkreist ihn ziemlich langsam. Ich versuche das mal zu simulieren.« In die Grafik kam Bewegung. Ein Punkt begann den Planeten zu umkreisen. »Die Bahnebenen weisen nur vernachlässigbar kleine Differenzen auf. So genau kann ich das jetzt nicht darstellen.«

»Es wird schon reichen«, meinte Jake, »sieht so aus, als ob sich der Mond in zwei Tagen in den Planetenschatten schiebt. Und wenn deine Berechnungen stimmen, wird er erst zehn Tage später wieder aus ihm heraustreten.«

Zwischen Roarys Augen bildeten sich zwei senkrechte Falten. »Soll das heißen, dass dann zehn Tage lang Sonnenfinsternis herrscht? Auf einem Planeten mit vier Sonnen?«

Suri berührte wie zufällig Roarys Körper und spürte, wie er die Berührung durch leichten Gegendruck erwiderte. »Ganz genau. Aber es betrifft nicht den Planeten, sondern den Mond. Das ist die längste Sonnenfinsternis, die ich je erlebt habe.«

»Es ist die einzige, die ich je erlebt habe.«

»Dann kannst du dich auf ein schönes Schauspiel freuen.«

Die Kommandantin untersuchte die Instrumente im Cockpit des Landeshuttles, als Denise zu ihr trat.

»Die Triebwerke sind einsatzbereit. Diesmal habe ich mehr Daten über den PH1-Mond und wir können den Landeplatz vorsichtiger wählen. Noch so ein Touchdown wie letztes Mal und der Shuttle ist hinüber.«

»Gut, bereite das schon mal vor«, Suri blickte nicht auf, sondern prüfte die Schaltkreise und Statusanzeigen des Kontrollsystems. Denis stieß ihr spielerisch in die Rippen und deutete mit dem Kopf nach vorn. Durch die Cockpitscheibe konnten sie die Männer beobachten, wie sie Ausrüstung zusammen suchten. Die Technikerin zwinkerte ihrer Kommandantin zu.

»Du bist wirklich verrückt.«

»Wieso?«

»Na, ganz ehrlich. Du warst doch schon scharf auf ihn, als wir noch glaubten, er sei der Serienkiller.«

»Quatsch.« Suri war entrüstet.

Denise verdrehte die Augen.

»Naja, süß ist er ja.«

»Hör jetzt auf! Und lass bloß die Finger von ihm!«, lachte Suri.

Logbuch E.S.S. Tynwald

Borddatum 2342-04-22

Bordzeit 11:50

Logbucheinträge von Mutterschiff und Shuttle synchronisiert. Gesamte Besatzung auf PH1-Mond gelandet. Kein Kontakt zum Bodenteam möglich.

Kdt S.K.

Das Landegebiet des Shuttles lag ein Stück abseits der Sendestation. Sie ragte als bizarres Gebilde vor ihnen auf, ein Kuppelbau mit zahlreichen kompliziert aufgebauten Turmkonstruktionen. Sie vermuteten, dass dies die eigentlichen Antennen waren. Doch das Prinzip hatten sie nicht verstanden. Ted war so fasziniert gewesen, dass er den Sender unbedingte reparieren wollte. Suri sah noch sein freches Grinsen in seinem mit Sommersprossen übersätem Gesicht vor sich, als er darauf bestand zu bleiben.

Der Mond hatte eine hohe Ozonkonzentration in der unteren Atmosphäre, die deshalb für Menschen nicht atembar war. Das wussten sie durch die erste Landung hier. Doch im Inneren der Station war die Atmosphäre erdähnlich. Um die Distanz zu überwinden mussten sie ihre Raumanzüge anziehen. Sie bestanden aus hautengen elastischen Latexanzügen in die Nanokunststoffplatten eingebettet waren, zum Schutz vor Mikrometeoriten und Sonnenstrahlung. Die Anzüge verhindern die Expansion des Körpers ihres Trägers ohne unter Druck zu stehen. Dadurch wurde größtmögliche Beweglichkeit erreicht. Nur der Helm war unter Druck gesetzt. Über dem flachen Sauerstoffbehälter hatten sie noch Rucksäcke mit Verpflegung und Ausrüstung.

»Oh, Mann«, hörte Suri Roarys Stimme durch das Intercom. Er war hinter der Gruppe zurückgeblieben und betrachtete fasziniert den Horizont hinter der Station. Die ganze wüstenähnliche Landschaft war in tiefes Rot getaucht. PH1 schob sich langsam über den Horizont nach oben. Der gewaltige Gasplanet war sechsmal größer als die Erde. Schräg über ihm konnte Roary vier Fixsterne erblicken. Zwei eng beieinander liegende Sonnen waren etwa von der Größe eines Viertel des Erdmondes. In einigem Abstand, aber schon fast von PH1 verdeckt, gab es eine große helle Sonne, ähnlich der, der Erde. Davor, wie ein Sonnenfleck, war noch eine rötliche kleinere Sonne mit geringer Helligkeit auszumachen.

Auch Suri, Jake und Denise blieben nun stehen und ließen das außergewöhnliche Schauspiel auf sich wirken. PH1 stieg wie eine gigantische schwarze Scheibe am Horizont auf und schob sich unaufhaltsam vor die lichtspendenden Fixsterne. Zuerst verschwand die rote Sonne hinter dem Gasriesen. Dann wurde allmählich auch die große Hauptsonne verdeckt. Dies war vergleichbar mit einer Sonnenfinsternis auf der Erde. Nur das hier kein Mond die Lichtscheibe verdeckte, sondern ein gewaltiger, fast den ganzen Himmel dominierender, Planet. Sie konnten den schwarzen Schatten des Planeten auf der roten Mondoberfläche unaufhaltsam näher kriechen sehen. Er waren Gebirge zu erkennen, doch nirgendwo ein Anzeichen von Tieren oder Pflanzen. Mit einem letzten Aufblitzen bäumte sich die Sonne gegen ihr Verschwinden auf. Schließlich wurden die vier Menschen und die Mondoberfläche in Dunkelheit gehüllt. Die Taggrenze auf dem Wüstenboden entfernte sich unaufhaltsam von ihnen. Suri hatte das Gefühl die Kälte durch den Raumanzug spüren zu können, die sich nun draußen ausbreitete. Der weiter entfernt liegende Doppelstern war noch eine ganze Weile zu sehen, spendete aber nicht genug Licht, um die Nacht zu verhindern.

»Lasst uns reingehen«, entschied Suri.

»Ja«, entgegnete Jake, »der Wind nimmt auch stetig zu. Es scheint sich ein Sturm anzubahnen.«

In diesem Moment erhellte ein Blitz die Mondlandschaft. Es war nur ein Sekundenbruchteil. Doch die Menschen auf dem fremden Himmelskörper zuckten überrascht zusammen. Der Blitz formierte sich über den antennenartigen Türmen des bizarren Bauwerks zu einem breiten blauen Strahl, der wie ein Schwert senkrecht in den Himmel stach. Die vier Raumfahrer setzten sich wieder in Bewegung. Die Intensität des Lichtstrahls wurde schwächer, je näher sie dem offensichtlichen Eingang der Sendestation kamen.

»Was ist das?«, fragte Jake.

»Keine Ahnung. Vielleicht das Signal, das Ted geknackt hat«, meinte Suri nachdenklich.

Dann lag die Station wieder dunkel vor ihnen. Kein Lichtschein mehr, weder von außen, noch von innen. Sie wirkte tot. Suri trat unwillkürlich näher an Roary heran und suchte seine Hand. Er lächelt sie durch das Visier an und ergriff sie.

»Du hattest Recht, so eine Sonnenfinsternis ist faszinierend.«