Storytelling - Petra Sammer - E-Book

Storytelling E-Book

Petra Sammer

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Beschreibung

Gute Geschichten ziehen uns in ihren Bann, bewegen uns und bleiben uns in Erinnerung. Wer etwas zu sagen hat, tut deshalb gut daran, Geschichten zu erzählen. Das erkennen auch immer mehr Kommunikationsprofis aus Marketing und PR: Mit rein rational vermittelten Informationen finden sie bei ihren Zielgruppen deutlich schwerer Gehör als mit Stories, die Kopf und Herz ansprechen. Storytelling hat sich deshalb in den letzten Jahren zu einer unverzichtbaren Technik moderner Unternehmenskommunikation entwickelt. Dass Storytelling nicht bloß ein Modebegriff für etwas Altbekanntes ist, sondern eine Kunst, die zu beherrschen sich lohnt, beweist Petra Sammer in diesem Buch – unterhaltsam, praxisnah, mit vielen Tipps und Checklisten. Die Bausteine einer guten Geschichte Jede gute Geschichte ist anders, aber einiges haben alle gemeinsam: einen Grund, erzählt zu werden, einen Helden, einen zu lösenden Konflikt, Emotionen und Viralität. Mit Geschichten zur sinnstiftenden Marke Ob Unternehmensgeschichte, Markengeschichte oder Produktgeschichte: Finden Sie zunächst das wesentliche Anliegen Ihrer Story. Es hängt in der Regel eng mit Ihrer Positionierung zusammen. Transmediales Storytelling: Geschichten im Netz Die Erzählweisen werden vielfältiger: Sie können Ihre Geschichten heute transmedial, offen, flexibel, nicht linear und experimentierfreudig erzählen – und Ihr Publikum dabei einbeziehen. Einprägsames und emotionales Erzählen Verstehen Sie die Grundemotionen und neuronalen Auslöser und erzeugen Sie Emotionen gezielt in Wort, Ton und Bild. Mit Kreativtechniken zu starken Stories Gute Geschichten zu finden, ist keine Hexerei. Erprobte Techniken helfen Ihnen – vom intelligenten Fragen und Zuhören über Perspektivwechsel bis hin zu Story- Workshops mit Ihrem Team.

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Storytelling

Strategien und Best Practices für PR und Marketing

Petra Sammer

Petra Sammer

Lektorat: Ariane Hesse

Korrektorat: Sibylle Feldmann, www.richtiger-text.de

Satz: III-satz, www.drei-satz.de

Herstellung: Susanne Bröckelmann

Umschlaggestaltung: Michael Oreal, www.oreal.de, unter Verwendung eines Fotos von Adpic, Bildnummer 377588

Druck und Bindung: M.P. Media-Print Informationstechnologie GmbH, 33100 Paderborn

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

ISBN

Print:    978-3-96009-055-7

PDF:     978-3-96010-147-5

ePub:    978-3-96010-148-2

mobi:    978-3-96010-149-9

Dieses Buch erscheint in Kooperation mit O’Reilly Media, Inc. unter dem Imprint »O’REILLY«.O’REILLY ist ein Markenzeichen und eine eingetragene Marke von O’Reilly Media, Inc. und wird mit Einwilligung des Eigentümers verwendet.

2. Auflage 2017

Copyright © 2017 dpunkt.verlag GmbH

Wieblinger Weg 17

69123 Heidelberg

Die vorliegende Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte vorbehalten. Die Verwendung der Texte und Abbildungen, auch auszugsweise, ist ohne die schriftliche Zustimmung des Verlags urheberrechtswidrig und daher strafbar. Dies gilt insbesondere für die Vervielfältigung, Übersetzung oder die Verwendung in elektronischen Systemen.

Es wird darauf hingewiesen, dass die im Buch verwendeten Soft- und Hardware-Bezeichnungen sowie Markennamen und Produktbezeichnungen der jeweiligen Firmen im Allgemeinen warenzeichen-, marken- oder patentrechtlichem Schutz unterliegen.

Die Informationen in diesem Buch wurden mit größter Sorgfalt erarbeitet. Dennoch können Fehler nicht vollständig ausgeschlossen werden. Verlag, Autoren und Übersetzer übernehmen keine juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für eventuell verbliebene Fehler und deren Folgen.

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Inhalt

Vorwort

Vorwort zur 2. Auflage

1Einleitung

Herzlich willkommen in der Welt des Storytellings

Geschichten überall

Warum Storytelling?

Mehrwert durch Geschichten

Storytelling – Warum jetzt?

Hunger nach guten Geschichten

2Storytelling – historisch und wissenschaftlich erklärt

Geschichte des Storytellings

Storytelling im wissenschaftlichen Kontext

Storytelling als Fachbegriff im Bereich Kommunikation

3Die Bausteine einer guten Geschichte

4Jede gute Geschichte hat einen Grund, erzählt zu werden – die sinnstiftende Marke

WAS, WIE, WARUM: Die sinnstiftende Marke einkreisen

Vier Grundbedürfnisse: Die sinnstiftende Marke in die Ecke treiben

Corporate Storytelling: Wie Unternehmen sinnstiftende Stories finden

Die »Storytelling Corporation«: Wie Storytelling das Unternehmen von morgen prägt

5Jede gute Geschichte hat einen Helden – der Hauptdarsteller

Ur-Mythos: Die Reise des Helden

Robin statt Batman: Warum erfolgreiche Corporate Stories besser »Enabler Stories« sind

Storytelling in den Medien: Wie Journalisten die Heldenrolle besetzen

Held und Antiheld – in der Krise sind die Rollen schon verteilt

6Jede gute Geschichte beginnt mit einem Konflikt – der Rest ist Langeweile

Konflikte als Basis guter Geschichten

Strukturen guter Geschichten

7Jede gute Geschichte weckt Emotionen – Gefühlswelten

»Gefühlsduselei« erwünscht

Ins Gesicht geschrieben: Sechs Emotionen

Ein emotionaler Taschenspielertrick

Und ewig grüßt das Murmeltier

Emotional reizen

Emotionen auf Knopfdruck: Trigger

Emotionen erzeugen mit Wort, Ton und Bild

Instrumente der Emotion: Visuelles Storytelling

Emotionale Geschichten – emotionale Intelligenz

8Transmediales Storytelling – Geschichten im Netz erzählen

Das Ende des traditionellen Erzählens

Transmediales Storytelling

Was ist viral?

Die neuen Gesichter der Erzählung

Virtual Reality

Die Spitze eines Eisbergs

9Auf der Suche nach der passenden Geschichte – Kreativprozess Storytelling

Die Riesenschlange aus dem Hut zaubern: Wie Sie gute Geschichten finden

Chaotische Systematik: Der Kreativprozess rund um Geschichten

Zum Storyteller werden:Machen Sie Fehler, und zwar schnell

10Geschichten von morgen – das bringt die Zukunft

Die Kraft des Storytellings

Storytelling der Zukunft

Die Zielgruppe der Zukunft

Reales versus fiktives Storytelling

Wenn plötzlich alles »Story« wird

Literaturliste

Index

Vorwort

Vor Kurzem rief mich ein Freund an mit der Bitte, ich möge doch einer Bekannten meinen Beruf erklären. Sie sei fast fertig mit ihrem Studium, intelligent, redegewandt, mit einer schnellen Auffassungsgabe, interessiert, klug und vor allem sehr textsicher. Aus seiner Sicht die besten Voraussetzungen, um in Public Relations eine Karriere zu starten. Er selbst hatte vor Jahren in unserer Agentur ein Praktikum gemacht, und doch hielt er es für besser, wenn ich seiner Freundin erklärte, was die PR auszeichnet – schließlich sei ich ja schon über 20 Jahren in diesem Job.

Nichts leichter als das, dachte ich mir und schlug als Treffpunkt ein kleines italienisches Restaurant vor. Nachdem wir uns also beide einen Espresso bestellt hatten, begann ich zu erzählen. Doch was ich mir als simple Aufgabe vorgestellt hatte – einfach mal so aus dem Alltag zu plaudern –, erwies sich plötzlich als extrem schwierig.

Keine andere Kommunikationsdisziplin wurde in den letzten Jahren so durcheinandergeschüttelt wie Public Relations. Als ich als blutjunge Volontärin meinen ersten Job in einer PR-Agentur antrat, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass sich dieser Beruf so wandeln würde.

Wie viele in der PR, startete ich meine Karriere aufgrund meiner Leidenschaft für Literatur und Texte und meines Interesses für Journalismus. Während meines Studiums hatte ich mir neben Volkswirtschaft und Politologie ein exotisches Hauptfach gegönnt, Filmphilologie. Aber das waren die 80er. Das Studium damals war sehr einfach, denn man musste sich nicht vor Regularien, Numerus clausus, Zwischenprüfungen oder sonstigen Studienbeschränkungen fürchten.

An meinem ersten Arbeitstag war aber Schluss mit Film und Dramaturgie, denn ich war dort angetreten, um Unternehmen, Marken und Organisationen zu helfen, mit Journalisten in Kontakt zu treten und Meinungsbildner zu informieren. Meine Arbeit drehte sich um Pressetexte, Mailinglisten, Interviewtexte, Reden, Geschäftsberichte und noch mehr Pressetexte.

Doch an diesem Abend, in dem kleinen italienischen Restaurant, gegenüber jemandem, die sich frisch für PR interessierte, hörte ich mich plötzlich nicht von Texten reden, sondern von emotionalem Scriptwriting, von Bewegtbild, YouTube, Entertainment, Engagement, Shareability, Gamification und vor allem von: Geschichten.

Geschichten, die es ermöglichen, in einer hypervernetzten und multimedialen Medienwelt die Aufmerksamkeit von Konsumenten und Meinungsbildnern zu wecken. Geschichten, denen es gelingt, den kontinuierlichen Strom an Nachrichten und Informationen zu durchbrechen und ihr Publikum zu begeistern, zu inspirieren und zu involvieren.

Nicht nur Public Relations, sondern auch andere Disziplinen der Unternehmenskommunikation und des Marketings sind aufgefordert, jahrzehntelang erfolgreiche Strategien und Instrumente komplett neu zu justieren. Es gilt, neue Taktiken und Techniken zu entwickeln, um zukünftig Konsumenten und Meinungsbildner zu erreichen, die sich nicht nur multimedial über zwei, drei oder gar vier Screens hinweg informieren, sondern die sich vor allem aktiv in den Kommunikationsprozess einbringen wollen.

An diesem Abend, der erste Espresso war schon längst getrunken, erzählte ich also von einem neuen Verständnis der PR und vor allem von der Bedeutung, die Geschichten und die Kunst des Storytellings zukünftig haben werden.

PR-Leute haben sich immer schon als »Storyteller« definiert. Allein schon, weil es gut klingt – wer will nicht »gute Geschichten« erzählen. Doch stimmt das tatsächlich? Sind die Pressemitteilungen, Unternehmensporträts, Produktpräsentationen, Geschäftsberichte oder Interviews, die unter anderem in Pressestellen und Agenturen entstehen, wirklich gute »Stories«?

Aus der Sicht eines Journalisten, der auf der Suche nach einer »Story« ist, mag diese Definition korrekt sein. Doch eine gute Geschichte, so wie Schriftsteller und Drehbuchautoren »Storytelling« verstehen, hat wesentlich mehr zu bieten als viele Berichte und Reportagen.

Und so begann ich der jungen Studentin nach dem zweiten Espresso nicht nur zu erklären, welch große Bedeutung »Storytelling« zukünftig für die PR haben wird, sondern auch, welche Zutaten man für eine gute Geschichte benötigt.

Ich bin mir nicht sicher, ob sich meine geduldige Zuhörerin an mein Rezept einer guten Geschichte noch erinnern kann, doch die fünf entscheidenden Bausteine einer guten Story, die es jedem Unternehmen ermöglichen, Storytelling für sich zu entdecken und umzusetzen, wurden schließlich zur Basis für dieses Buch.

So hatten wir beide schließlich – nach der dritten Tasse Espresso – genügend Koffein und ausreichend Stoff zum Nachdenken intus, um mindestens eine Nacht wach zu bleiben. Sie auf der Suche nach einem interessanten Beruf und ich mit der Idee, ein Buch zu schreiben.

Ich hoffe, ich habe an diesem Abend in dem kleinen italienischen Restaurant eine junge Studentin von der Zukunft meiner Branche und dem faszinierenden Wandel, den alle Kommunikationsdisziplinen durchlaufen, überzeugt. Und in ihr die Sehnsucht geweckt, ein guter Storyteller zu werden.

Noch viel mehr hoffe ich jedoch, dass auch Sie, wenn Sie dieses Buch gelesen haben, auf die Kraft des Storytellings setzen und diese Technik als eine großartige Chance und Möglichkeit für Ihre zukünftigen Kommunikationsaufgaben sehen.

Werden Sie zum Storyteller! Die neue Kommunikationswelt da draußen braucht jede Menge davon.

Vorwort zur 2. Auflage

In Workshops, Trainings und nach Vorträgen wird mir vor allem eine Frage immer und immer wieder gestellt: »Wie findet man eine gute Geschichte?«

Eine einfache Frage, die sich auch einfach beantworten lässt. Und doch ist die Sache komplizierter.

Denn hinter dieser Frage steckt nicht nur die Suche nach dem Stoff guter Geschichten, sondern leider oft auch das Unvermögen, die Rolle des Storytellings für Unternehmenskommunikation und Marketing zu erkennen.

»Wie und wo findet man im Unternehmen und rund um Marke und Produkte gute Geschichten?« – das ist die falsche Frage.

Auf der Suche nach dem Stoff guter Geschichten fragen Sie besser: »Was ist der Grund dafür, dass wir eine Geschichte erzählen wollen?«, »Mit welchem Beispiel können wir diesen Grund belegen und plakativ veranschaulichen?«, »Welche Hauptdarsteller stehen im Mittelpunkt unserer Geschichte, um unser Unternehmen und unsere Marke sympathisch und außergewöhnlich in Szene zu setzen?« und »Welche unerfüllten Wünsche und Träume bedienen unsere Produkte, und wie können wir die Sehnsucht danach so erzählen, dass sie jeder Mann und jede Frau nachempfinden kann?« oder auch »Mit welchen Themen oder Beispielen können wir unsere Kunden zum Lachen bringen oder zu Tränen rühren?« – und vor allem: »Welche Geschichten sind es wert, dass sie unsere Kunden weitererzählen?«

Dies sind nur einige der Fragen, die Sie sich auf der Suche nach guten Stories tatsächlich stellen sollten. Und viele weitere finden Sie – praktisch zusammengestellt als Checklisten – in diesem Buch.

Ganz entscheidend für gutes Storytelling ist jedoch nicht nur die richtige Herangehensweise und Technik, sondern vor allem Ihre Haltung und Einstellung. Denn Storytelling stellt Ihre bisherige Arbeitsweise zum Teil auf den Kopf. Warum?

Storytelling ist exemplarisches Erzählen. Das erfordert Mut, ganz besonders vom Marketing und der Unternehmenskommunikation. Mut von Ihnen, Ihrem Team und Ihrem Vorgesetzten. Mut, die Geschichte eines Helden oder einer einzelnen Heldin zu erzählen, anstatt allgemein über »die Zielgruppe« zu sprechen. Mut, zuzuspitzen und das Besondere oder Ungewohnte zu zeigen, anstatt den Geschmack aller zu bedienen und möglichst ohne Ecken und Kanten zu kommunizieren. Mut, nicht Marke und Produkt in das Zentrum der Kommunikation zu rücken, sondern interessante Inhalte und Formate für sich sprechen zu lassen. Mut, anstatt ausschließlich fachlich und seriös zu informieren, auch mal sentimental zu überhöhen und emotional zu berühren.

Aber dieser Mut lohnt sich.

In den letzten drei Jahren, seit Erscheinen der ersten Auflage dieses Buches, haben sich zahlreiche Unternehmen und Marken erfolgreich an das Abenteuer »Storytelling« gewagt und dabei herausragende, interessante und berührende Geschichten erzählt. Den meisten gelang es dadurch, ihr Publikum – besser gesagt, ihre »Zielgruppen« – neu anzusprechen und zu begeistern.

Viele dieser aktuellen Beispiele habe ich in diese neue Auflage eingearbeitet und gegen alte ersetzt. Aber Sie finden in dieser Ausgabe auch weiterhin einige ältere Unternehmens- und Markengeschichten – Geschichten, die es wert sind, nicht in Vergessenheit zu geraten. Denn sie waren wegweisend für das Storytelling in Marketing und PR – in Deutschland und weltweit. Freuen Sie sich daher auf bewährte und aktuelle Stories, die Ihnen auf der Suche nach den eigenen Geschichten als Inspiration und Vorbild dienen werden.

KAPITEL 1

Einleitung

In diesem Kapitel:

Herzlich willkommen in der Welt des StorytellingsGeschichten überallWarum Storytelling?Mehrwert durch GeschichtenStorytelling – Warum jetzt?Hunger nach guten Geschichten

»Stories are how we remember; we tend to forget lists and bullet points.«

Robert McKee

Daniel ist ein aufgeweckter Junge. Er ist sieben Jahre alt und lebt mit seinen Eltern, seiner fünf Jahre älteren Schwester und einem kleinen Yorkshire-Terrier namens Prince Maxwell in Indiana. Der kleine Junge wächst zwischen Maisfeldern, Farmen und jeder Menge großer Pferde auf. Wie fast jeder Junge in seinem Alter liebt er Dinosaurier. Aber er ist auch vernarrt in Santa Claus und sammelt alles, was er von dem Mann mit dem weißen Rauschebart bekommen kann. Daniel ist neugierig und sehr an technischen Dingen interessiert. Ein ganz normaler Junge. Doch nicht ganz. Daniel kann keinen Baseballschläger schwingen, er kann kein Fahrrad halten und auch keine Klimmzüge machen. Denn Daniel hat einen verkrüppelten Arm. Dieser ist viel zu kurz geraten, und statt einer Hand sind nur zwei Finger ausgeprägt. Ganz wie bei seinem Urgroßonkel. Ein genetisch vererbter Defekt.

Eines Tages stehen Mark und Jacob, zwei Studenten des Rose-Hulman Institute of Technology vor der Tür und laden Daniel ein, mit ihnen zusammen eine Armprothese zu entwickeln. Der Junge engagiert sich mit Enthusiasmus, seiner Technikbegeisterung, seiner kindlichen Fantasie, aber vor allem auch mit seiner Alltagserfahrung. Die Prothese, die sie gemeinsam erarbeiten, weicht weit von dem ab, was man erwarten würde. Es ist ein sehr funktionales Gerät, orangefarben mit einer Greifzange, mit der Daniel Dinge gut packen kann. Eine Geschichte mit Happy End, und am Ende bleibt offen, wer mehr von dem Projekt gelernt hat: Daniel, der die Welt nun neu be- und ergreifen kann, die Studenten, die ein sehr nützliches Studienprojekt abgeliefert haben, oder gar der Zuschauer, der von Daniels Offenheit und Lebensfreude angesteckt wird.

Die Arm- und Handprothese, die Daniel zusammen mit Mark Calhoun und Jacob Price, angehenden Ingenieuren des Rose-Hulman Institute of Technology, entwickelt, wurde mithilfe einer CAD-Simulation erstellt. Die dazu notwendige PLM-Software stammt von Siemens.

»Helping Hand« ist eine von zahlreichen Geschichten, die der Technologiekonzern Siemens in seiner Storytelling-Kampagne »Siemens\answers« präsentiert.

Videotipp

»Die helfende Hand (Helping Hand)« ist eine von vielen Geschichten der Siemens-Kampagne \answers, zu finden auf YouTube unter:http://bit.ly/1GWWWtb

Mit dieser Kampagne geht Siemens kommunikativ neue Wege. Im Gegensatz zu herkömmlicher Produktkommunikation und klassischer Werbung, die meist die Vorzüge von Produkten in den Vordergrund stellt, stehen im Mittelpunkt aller Siemens\answers-Geschichten Menschen, die von Siemens-Produkten profitieren. In »Helping Hand« stellen die Dokumentarfilmer Zac Murphy und Lorien Kranen, die diesen Film im Auftrag von Siemens gedreht und produziert haben, einen kleinen Helden namens Daniel ins Zentrum ihrer Geschichte.

Sie nehmen sich sehr viel Zeit, dem Zuschauer den kleinen Jungen mit seinem Faible für Dinosaurier, Santa Claus und Traktoren näherzubringen, erklären ausführlich, mit welchen Problemen Daniel zu kämpfen hat und wie er mit seiner Behinderung umgeht.

»Helping Hand« wird aus unterschiedlichen Perspektiven erzählt. Zunächst erfährt man von Daniel selbst, wie er seine Welt versteht, dann kommt aber vor allem seine Schwester zu Wort, und sogar die Perspektive des Familienhundes, Prince Maxwell, darf nicht fehlen. Der Film unterhält sein Publikum durch mehrfache Stilwechsel. »Helping Hand« ist ein Dokumentarfilm, doch manche Filmszenen erinnern auch an Comics oder Mangas, und sogar Spielfilmszenen und autobiografische Elemente kommen zum Einsatz.

Bei dieser mutig und innovativ erzählten Geschichte steht nicht die Technik, sondern stehen Menschen im Zentrum. Dezent nimmt sich das Unternehmen zurück und hält sich im Hintergrund. Während des gesamten Films wird der Firmenname kein einziges Mal erwähnt. Erst am Ende erfährt der Zuschauer, dass Siemens als Softwareexperte an der Lösung von Daniels Problem beteiligt war. Das letzte Wort der Geschichte, das der Zuschauer zu lesen bekommt ist: Siemens.

Herzlich willkommen in der Welt des Storytellings

Siemens\answers ist nur eine von vielen Storytelling-Kampagnen, die erfolgreich für moderne Unternehmen und Marken werben. Google präsentiert die »Google Stories«. Zum Beispiel mit Lars und Isa, die während der Elbflut 2013 den Bewohnern von Halle mithilfe einer Online-Karte halfen, sich in Sicherheit zu bringen oder Hilfe zu holen.

Die Telekom erzählt unter dem Motto »Telekom – besondere Geschichten« ein Projekt des Fotografen Bob Carey. Der etwas korpulente Mittvierziger fotografiert sich selbst an ungewöhnlichen Orten und in unterschiedlichen Posen – in einem rosa Ballett-Tutu. Er tut dies alles, um seine Frau Linda zum Lachen zu bringen und ihr Leiden vergessen zu lassen. Denn Linda hat Brustkrebs. Linda Carey ist begeistert von der Aktion ihres Mannes und zeigt die Selbstporträts ihren Freundinnen. Die Bilder ziehen ihre Kreise, weit über die USA hinaus – bis sogar ein Unternehmen wie die Telekom aufmerksam wird und Bob und Linda mit einer Kommunikationskampagne unterstützt.

Microsoft startet ein eigenes Online-Portal mit dem Namen »Microsoft Story Labs«, und Edeka berührt ganz Deutschland mit einer herzzerreißenden Weihnachtsgeschichte um einen alten Vater und Opa, der nur durch eine fingierte Todesanzeige seine Familie zum Weihnachtsfest nach Hause locken kann. eBay bedankt sich bei seinen Nutzern mit unterschiedlichen Anwenderstories unter dem Motto »eBay Thanks You«, Coca-Cola startet ein eigenes Online-Storytelling-Magazin »Coca-Cola Journey«, und das Technologieunternehmen Bosch bereichert seine Webseite mit bildstarken Geschichten von Menschen aus unterschiedlichsten Lebensbereichen, die von Bosch-Technologie profitieren, unter dem Titel »Bosch Webstories«.

Geschichten überall

Storytelling entwickelt sich zu einer der erfolgreichsten Taktiken und Techniken moderner Unternehmenskommunikation, ganz besonders in Zeiten, in denen digitale Medien so viele neue Möglichkeiten für Unternehmen und Marken bereithalten. Wenn auch Sie Storytelling für Ihr Unternehmen oder Ihre Marke nutzen wollen, so finden Sie in den folgenden Kapiteln zahlreiche Hinweise, Tipps und Checklisten sowie Beispiele, an denen Sie sich orientieren können. Dabei wendet sich dieses Buch ganz explizit an Kommunikationsverantwortliche aus Unternehmen und Organisationen.

Sind Sie also Unternehmenssprecher und für die Unternehmenskommunikation verantwortlich? Dann interessiert Sie »Storytelling« als Methodik für das Reputationsmanagement. Vor allem wollen Sie aber sicher wissen, wie Sie Ihr Unternehmen und Ihre Kollegen zu besseren »Storytellern« machen können, ohne dabei zum »Märchenonkel« oder zur »Märchentante« zu werden.

Sind Sie Marketingmanager und mitverantwortlich für die Kommunikation einer Marke? Dann wollen Sie sicher erfahren, wie Ihnen »Storytelling« helfen kann, das Image Ihrer Marke zu optimieren, Markenbotschaften attraktiver und merkfähiger zu gestalten, Konsumenten aktiv in Ihre Geschichten einzubauen und ihnen letztendlich damit Kaufimpulse zu geben.

Sie sind Personalverantwortlicher und für Veränderungskommunikation in Ihrem Unternehmen oder Ihrer Organisationen verantwortlich? Dann interessiert Sie sicher, warum Geschichten so überzeugend arbeiten und warum sie Menschen motivieren.

Sie sind Onlinemanager und verantwortlich für die Social-Media-Kanäle und Communities eines Unternehmens oder einer Marke? Dann interessiert Sie sicher, warum Geschichten viral sind und wieso Menschen sie gern weitererzählen und weiterreichen.

Wenn Sie eine dieser Fragen mit »Ja« beantworten, Sie also einen dieser Berufe und Interessen haben, dann finden Sie in diesem Buch zahlreiche Antworten. Vor allem hoffe ich aber, dass Ihnen dieses Buch eines gibt: Inspiration, selbst mehr Geschichten zu erzählen.

Ein Hinweis jedoch an alle Schriftsteller oder Drehbuchautoren, die bis hierher gelesen haben: Sorry, aber Sie sind hier wahrscheinlich nicht richtig. Dieses Buch wendet sich an alle, die Geschichten im professionellen Umfeld der Marketingkommunikation, der Öffentlichkeitsarbeit und Online-Kommunikation nutzen wollen. Autoren haben weit mehr Freiheiten und Möglichkeiten, die in diesem Buch leider keine Berücksichtigung finden und die Kommunikationsprofis im Geschäftsleben nicht ganz zur Verfügung stehen. Aber dazu kommen wir später.

Sie wollen weiterlesen? Dann herzlich willkommen, denn dieses Buch gibt Ihnen einen Überblick über die Möglichkeiten des Storytellings und präsentiert Ihnen auch eine Methodik: einen Baukasten, bestehend aus fünf Erfolgsfaktoren, der es Ihnen ermöglicht, selbst ein erfolgreicher »Storyteller« zu werden. Nur fünf, werden Sie fragen? Selbstverständlich gibt es weit mehr als nur fünf Bausteine für eine gute Geschichte. Doch lassen Sie uns auf das Wichtigste fokussieren. Fünf Faktoren lassen sich leicht an einer Hand abzählen. Und so reiche ich Ihnen gerne die Hand – eine »Helping Hand« –, um das Prinzip »Storytelling« schnell und einfach zu verstehen.

Warum Storytelling?

Kommunikation hat im Geschäftsleben vor allem eine Funktion: Menschen zu überzeugen. Persuasion ist der Motor aller kommunikativen Aktivitäten in Unternehmen und Organisationen, von Marken und Produkten. Manager überzeugen Geschäftspartner und Geldgeber von den Zielen und Strategien des Unternehmens. Marketing und Vertrieb überzeugen Meinungsbildner und Kunden von den Vorzügen ihrer Produkte. Personalverantwortliche und Führungskräfte überzeugen Mitarbeiter von Zukunftsplänen und notwendigen Veränderungen im Unternehmen.

Mit oft erheblichem Aufwand werden hierfür Informationen zusammengetragen, gebündelt, aufbereitet, in eine mehr oder weniger logische Reihenfolge gebracht, dargestellt und präsentiert.

Robert McKee, Autor des Standardwerkes Story. Substance, Structure, Style and the Principles of Screenwriting nennt zwei verschiedene Techniken, wie man diese Informationen sinnvoll bündelt: erstens rational mit der Auflistung und Aneinanderreihung von Daten und Fakten und zweitens emotional, durch eine Geschichte.

McKee ist ein Meister des Storytellings. Generationen von Drehbuchautoren – halb Hollywood – gingen durch seine Schule. Es ist also nicht verwunderlich, dass er die zweite Variante, emotionale Persuasion mithilfe einer Geschichte, als die erfolgreichere ansieht.

Rationale Persuasion ist ein intellektueller Prozess, der darauf basiert, dass Erzähler und Rezipient die gleichen Interessen sowie das gleiche Wertesystem teilen und einem Thema die gleiche Aufmerksamkeit widmen. Der Weg der rationalen Informationsvermittlung ist dann erfolgreich, wenn beide Seiten sich auf ein gemeinsames Beurteilungssystem geeinigt haben und ähnliche Maßstäbe an Daten und Fakten anlegen. Entscheidend für den Erfolg rationaler Persuasion ist vor allem, dass der Rezipient, also der Empfänger der Botschaft, einwilligt, konzentriert die gegebenen Informationen aufzunehmen, Zusammenhänge selbstständig zu erarbeiten und für sich logisch zu verarbeiten.

Sobald wir jedoch auf Rezipienten stoßen, die unkonzentriert, kritisch, verschiedener Meinung oder flüchtig oder gar uninteressiert sind – und dies ist meistens der Fall –, dann stößt rationale Persuasion an ihre Grenzen. Schon lange hat die Persuasionsforschung nachgewiesen, dass emotionale Überzeugung durch Geschichten weit effizienter und erfolgreicher ist als die pure Aufzählung von Daten und Fakten.

Mehrwert durch Geschichten

Dass Geschichten jedoch nicht nur effizient sind, sondern auch einen objektiven Mehrwert bieten, zeigten die Journalisten und Sprachwissenschaftler Joshua Glenn und Rob Walker anhand eines eindrucksvollen Experiments unter dem Titel »Significant Objects«.

Auf der gleichnamigen Webseite http://significantobjects.com präsentieren sie eine Reihe von Gegenständen, die sie für wenige Cent auf Flohmärkten erstanden haben. Dies sind ausrangierte Dinge, die Menschen wegwerfen, wie zum Beispiel eine verbeulte Gabel, ein alter Aschenbecher oder eine kitschige Vase in Form einer rosa Kuh. Glenn und Walker bitten anschließend eine Reihe von Autoren, für jeden einzelnen Gegenstand eine Geschichte zu erfinden. So schreibt zum Beispiel Cyperpunk-Autor William Gibson, Verfasser des Romans Zero History, eine wilde Pentagon-Spionage-Story, in der ein Aschenbecher eine zentrale Rolle einnimmt. Diesen Aschenbecher stellen Glenn und Walker anschließend – zusammen mit der Geschichte – auf der Online-Auktionsplattform eBay ein und verkaufen ihm meistbietend.

Und hier passiert das Erstaunliche. Joshua Glenn und Rob Walker zahlen beim Ankauf der alten Gegenstände geringe Centbeträge. Wenn sie diese Dinge zusammen mit einer Geschichte verkaufen, erzielen sie jedes Mal ein Mehrfaches des Ankaufspreises. Den oben beschriebenen Aschenbecher hatten sie ursprünglich für 2,99 US-Dollar gekauft. Zusammen mit der Geschichte von William Gibson erhielten sie 101 US-Dollar dafür. Eine alte Gabel, die sie für 50 Cent erstanden hatten, verkauften sie zusammen mit einer Geschichte von Don Chaon für 26 US-Dollar, und den Preis für die kitschige Vase in der Form einer rosa Kuh steigerten sie von ursprünglich zwei US-Dollar auf 62 US-Dollar, mithilfe einer Geschichte von Ed Park.

»Stories are such a powerful driver of emotional value that their effect on any given object’s subjective value can actually be measured objectively.«

(»Geschichten sind so ein kraftvoller Treiber emotionaler Werte, dass sich dieser Effekt auch objektiv messen lässt.«)

Joshua Glenn und Robert Walker

Geschichten geben einen echten Mehrwert und »verkaufen« besser. Dies beweisen nicht nur Joshua Glenn und Robert Walker mit ihrem eBay-Experiment, dies zeigt auch eine außergewöhnliche Produkteinführung des Elektronikkonzerns Philips. Dieser brachte das »Wake up Light«, eine innovative Lampe, gleich mehrmals auf den Markt – einmal mit und einmal ohne Geschichte. Ein direkter Vergleich war dadurch möglich und eine Antwort auf die Frage: »Was funktioniert besser – rationale Persuasion oder emotionales Storytelling?«

Die Produktidee zum »Wake up Light« entstammt einer umfangreichen Schlafstudie, die Philips im Rahmen seines Geschäftsbereichs Medizin durchführte. Schlafforscher fanden heraus, dass ein sanftes Aufwachen wesentlich zum langfristigen Wohlbefinden von Menschen beiträgt und weit über den Morgen hinaus reicht. Die ideale Form wach zu werden, ist, sich langsam vom Sonnenaufgang wecken zu lassen. Alltagsrealität ist jedoch, dass Menschen abrupt ihren Schlaf beenden, hochgerissen von einem Alarmton oder Radiowecker, immer häufiger sogar vom Smartphone auf dem Nachttisch. Nur wenige Menschen haben den Luxus, sich sanft von der Morgensonne wecken zu lassen, abgesehen davon, dass diese für viele Menschen viel zu früh oder für andere viel zu spät aufgeht. Philips entwickelte deshalb das »Philips Wake up Light«, eine Lampe, die den Sonnenaufgang imitiert, indem sie langsam immer heller wird und so ihren Nutzer wohltuend aus dem Schlaf holt.

Philips führte dieses neue Produkt mithilfe seiner umfangreichen Studie, dem gesamten wissenschaftlichen Hintergrundmaterial, mit Daten und Fakten, Statistiken und fundiertem, medizinischem Fachwissen am Markt ein. Doch die rationale Erklärung der Wirkungsweise der neuen Lampe interessierte nur mäßig.

So entschloss sich Philips zu einer erneuten Produkteinführung, dieses Mal jedoch mithilfe einer Geschichte. Diese Geschichte handelt von Longyearbyen, der nördlichsten Stadt der Welt. Sie liegt weit oberhalb des Polarkreises, auf Spitzbergen. Hier herrscht elf Wochen lang komplette Dunkelheit, denn der Ort liegt so weit nördlich, dass die Sonne im Winter fast drei Monate lang nicht über den Horizont hinauskommt. Menschen, die hier leben, unterscheiden zwischen Tag und Nacht nicht anhand des Sonnenstandes, sondern anhand der Ladenöffnungszeiten. Wenn die Geschäfte offen haben, ist es Tag. Wenn sie geschlossen haben, ist es Nacht. Wer hier überleben will, muss Durchhaltevermögen zeigen und sich anpassen. Mit »The Arctic Experiment«, so der Titel der Geschichte, führt uns Philips in diese unwirkliche Gegend und zeigt uns gleichzeitig ein Experiment, auf das sich die Bewohner von Longyearbyen einlassen. Philips lädt die Spitzbergener ein, das »Wake up Light« auszuprobieren.

Abbildung 1-1Arctic Experiment – Philips präsentiert sein Wake-up-Light mit einer Geschichte aus Spitzbergen.

Die Geschichte wird multimedial erzählt: Mehrere YouTube-Videos berichten vom Leben hoch im Norden und den Details des Experiments. Einzelne Bewohner schildern auf Facebook ihre individuellen Erfahrungen mit dem »Wake up Light«, Pressemitteilungen informieren Journalisten über die Hintergründe der innovativen Lampe.

Videotipp

Wie Philips die Bewohner von Spitzbergen begeistert, sehen Sie auf YouTube als Philips Arctic Experiment unter:http://bit.ly/2jIQqQi

Die Kampagne wurde zum vollen Erfolg. Während das Interesse an der Studie selbst zu Beginn der Produkteinführung noch mäßig war, weckte die Geschichte über den nördlichsten Ort der Welt und seine Bewohner nun die volle Aufmerksamkeit der Presse. Die Berichterstattung internationaler Medien überstieg schnell die Auflage von 40 Millionen. Zahlreiche Länder verwiesen auf eine gestiegene Nachfrage und vermehrtes Kaufinteresse. Der Abverkauf stieg in einigen Regionen um zweistellige Prozentpunkte.

Und das alles nur, weil wir sehen, wie heldenhaft eine Handvoll Menschen am 79. Breitengrad ihr Leben meistern?

Durchaus. Menschen lieben Geschichten. Sie helfen uns, zu lernen und zu verstehen.

Geschichten sind das älteste und erfolgreichste Knowledge-Sharing-System, das wir kennen – ein System, das wir jeden Tag selbstverständlich und unbewusst anwenden. Der Anthropologe und Evaluationsbiologe Robin Dunbar wies nach, dass 65 Prozent unserer Konversation aus persönlichen Geschichten und Gerüchten bestehen, unabhängig von Alter oder Geschlecht.

Geschichten sind ein essenzieller Teil unserer Kommunikation. Wir sind sogar bereit, Geschichten mehr zu glauben als puren Fakten. 2006 konfrontierte die Psychologin Melanie C. Green in einer Studie ihre Testpersonen mit Informationen, die unterschiedlich markiert waren. Manche Informationen erhielten die Markierung »Fakt«, andere Informationen waren mit dem Wort »Fiktion« markiert. Obwohl die Testpersonen erkennen konnten, dass diese Markierungen wahllos getroffen worden waren, waren sie eher bereit und offen, die »fiktiven« Informationen zu glauben. Skeptisch machten sie hingegen Informationen, die mit dem Wort »Fakt« markiert waren. Diesen traten sie kritisch gegenüber und wiesen diese sogar zum Teil zurück.

Emotionale, narrative Persuasion scheint schon immer das effizientere Modell im Vergleich zur rationalen Persuasion gewesen zu sein.

Storytelling – Warum jetzt?

Doch warum interessieren sich Kommunikationsexperten und Marketingprofis jetzt plötzlich für das Storytelling? Die Technik des Geschichtenerzählens ist ja nicht neu. Sie wird seit Jahrtausenden genutzt und seit über hundert Jahren auch in der klassischen Werbung angewendet. Nachweislich erfolgreich. 2007 bestätigte die Kommunikationswissenschaftlerin Jennifer Edson Escalas an der Vanderbilt-Universität den positiven Effekt von Storytelling in der Werbung. In einer Reihe von Versuchsanordnungen zeigte sie, dass Rezipienten narrative, erzählende Werbemotive wesentlich positiver wahrnahmen als Anzeigenmotive, die klar und unverblühmt die Vorteile eines Produkts auflisteten.

Warum also der Hype? »Storytelling« scheint das neue Lieblingswort der Kommunikationsbranche zu sein. Es gibt kaum einen Fachartikel, der das Buzzword nicht in irgendeiner Weise erwähnt, kaum eine Konferenz oder einen Fachkongress, der »Storytelling« nicht im Programm hat.

Warum also jetzt? Storytelling ist nicht nur ein Trend, sondern die Antwort und Reaktion auf das neue Kommunikations- und Informationsumfeld, in dem wir heute leben.

Eine komplizierte Welt

»Das Aufkommen des Storytellings lässt sich (…) auch als Reaktion auf neue Unübersichtlichkeiten verstehen.«

Philipp Schönthaler

Noch nie hatten Menschen weltweit so leicht Zugang zu Informationen wie heute. Noch nie konnten wir Themen, Wissensfelder und Nachrichten so schnell, umfangreich und tief durchdringen wie heute. Googles Vision, das Wissen der Welt jedem Menschen überall und jederzeit zur Verfügung zu stellen, scheint sich zu erfüllen. Eine Vision, die ungeahnte Möglichkeiten bietet, uns aber auch gleichzeitig vor große Herausforderungen stellt.

Denn es scheint, dass wir nicht wirklich an Wissen hinzugewinnen. Die Fülle und Komplexität des Informationsüberangebots überfordert viele. Um sich vor der Lawine der täglich einströmenden Nachrichten zu schützen, nutzen viele die Möglichkeiten des Filterns, Selektierens und Blockierens. Sie schotten sich ab – mit dem Ergebnis, dass sie sich nur noch sehr einseitig und eingeschränkt informieren. Medienkritiker sehen darin die Anzeichen des sogenannten »postfaktischen Zeitalters«.

Gleichzeitig fördern soziale Netzwerke und Communities eine sehr schnelle und fragmentierte Kommunikation. Der spontane Griff zum Smartphone lässt nicht zu, dass wir lange Texte formulieren, daher beschränken wir uns auf wenige Sätze. Twitter erlaubt uns ohnehin nur 140 Zeichen. Was übrig bleibt, ist eine rudimentäre, assoziative Kommunikation durch hingeworfene Stichworte, die wir mit Hashtags markieren. Mehr und mehr verzichten wir auf Worte und überlassen es Bildern, für uns zu sprechen. Das Ergebnis ist ein schneller, oberflächlicher Informationsaustausch in kleinen Dosen, der auch süchtig machen kann.

Das Zukunftsinstitut, das sich seit 1998 mit Trend- und Zukunftsforschung in Deutschland beschäftigt (www.zukunftsinsitut.de), nennt dieses Phänomen Attention Economy. Information und Kommunikation umgeben uns ständig und überall, mit der Folge, dass das Ringen um Aufmerksamkeit zum wichtigsten Gut der Informationsgesellschaft wird.

Mehr denn je sind Kommunikationsprofis auf der Suche nach Techniken, die die Aufmerksamkeit von Konsumenten, Mitarbeitern und Geschäftspartnern wecken. Techniken, die es schaffen, den Informationsüberfluss zu überwinden. Techniken, die Botschaften zum Durchbruch verhelfen.

Storytelling erweist sich derzeit als eine der erfolgversprechendsten Techniken in dieser neuen Welt.

Und dies gilt nicht nur für Werbung und Öffentlichkeitsarbeit. Seit Jahren fordern zum Beispiel Mediziner, mehr Storytelling in der ArztPatienten-Kommunikation. Namhafte Wissenschaftler treten für eine zusätzliche Ausbildung ein, die Ärzte zu Geschichtenerzählern ausbildet. Ärzte, die ihre Patienten über ihr Krankheitsbild und dessen Folgen, Therapien und Behandlungsmethoden mithilfe von Geschichten informieren, sind weit erfolgreicher und werden besser verstanden als bei der herkömmlichen Patientenaufklärung. Das Penn State College of Medicine zum Beispiel berichtet von einem Versuch mit Medizinstudenten, die demenzkranke Patienten behandeln. Durch eine Zusatzausbildung in Storytelling gelang es den Studenten, einen besseren Zugang zu diesen sensiblen Patienten aufzubauen.

Auch die Medical School der University of Massachusetts erzielte positive Effekte durch diese Methode. Geschichten erwiesen sich als bester Weg, um vor den Risiken von Bluthochdruck zu warnen und Patienten darauf hinzuweisen, dass sie zukünftig besser auf ihren Blutdruck achten sollten.

Vorbild für viele Mediziner und Wissenschaftler ist der Neurologe und Arzt Oliver Wolf Sacks. Mit einer Reihe an emotionalen Geschichten und ausgewählten Beispielen zum Thema Halluzination gelingt es ihm immer wieder, das komplexe Wissenschaftsfeld der Neurologie anschaulich zu erklären.

Videotipp

Ein Mediziner, der vortrefflich Geschichten erzählen kann, ist Oliver Wolf Sacks – hier auf der TED-Konferenz:http://bit.ly/2jQ0GKI

Gute Geschichten geben kommunikative Hilfestellung und Erklärungsmuster für komplexe Themen. Sie bringen Fakten in interpretierbare Zusammenhänge, reduzieren Komplexität und ordnen unsere Welt. Daher gelingt es Geschichten auch immer noch – bei allem Informationsüberfluss – zu uns durchzudringen.

Hunger nach guten Geschichten

Wo immer Menschen zusammenkommen, werden Geschichten erzählt. Ein Partygast, der gute Geschichten erzählen kann, steht schnell im Mittelpunkt. Und wer das Internet als eine einzige große Party versteht – allen voran Social Communities und Plattformen –, dem wird schnell klar, dass der Hunger nach guten Geschichten kontinuierlich wächst.

Status Stories ist das Schlüsselwort, das Geschichten zur neuen Währung im Netz macht. Während wir unseren Status im wahren Leben durch Jobtitel und Karrierestufen, sportliche Autos, dicke Uhren, repräsentative Häuser und das neueste Smartphone-Modell zur Schau stellen, so tun wir dies im Netz durch das Erzählen und Teilen von Geschichten. Wer auf Facebook & Co. die beste Geschichte erzählt, der wird »gelikt«, »kommentiert« und »geshart«. Die aufmerksamkeitsstarke Story hebt unser Ansehen und unseren Status unter unseren »Freunden« und »Fans« im Netz. Daher sind wir, zumindest die Extrovertierten unter uns, ständig wachsam und auf der Suche nach der »besten Geschichte«.

Darüber hinaus gibt es einige wenige, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, noch viel intensiver an ihrem Status – online – zu arbeiten. Sie wollen mehr, als nur »kommentieren« oder »liken« oder Statusmeldungen verbreiten. Sie sind bereit, selbst Inhalte zu kreieren, zu gestalten und ihre eigene Welt an Geschichten zu erschaffen. Die Rede ist hier von Bloggern und YouTubern: einer neuen Generation von Geschichtenerzählern, die sich von Tagebuchschreibern zu interessierten Bürgerjournalisten, zu professionellen Storytellern, Entertainern und Meinungsbildnern entwickelt haben. Die Vielfalt an Bloggern und YouTubern, die im Internet publizieren, ist groß und wächst stetig. Die Qualität ihrer Geschichten ist sehr unterschiedlich. Sie reicht vom laienhaften Charme privater Fans und Hobby-Enthusiasten bis hin zur tiefen Fachkenntnis und Spezialisierung herausragender Experten oder zum künstlerischen oder gar skurrilen Showtalent, das Tausende, oft auch Millionen, regelmäßig anklicken.

Doch so unterschiedlich diese »neuen Publizisten« im Internet sind, ihnen allen ist eines gemeinsam: Sie sind kontinuierlich auf der Suche nach Inspiration für ihre Geschichten, denn sie wenden sich an ein Publikum, das danach hungert, immer wieder Neues zu lesen und anzusehen. Damit bieten sich Kommunikations- und Marketingprofis von Unternehmen, Organisationen und Marken großartige Chancen und Möglichkeiten, sich mit guten Geschichten als Inspirationsquelle zu empfehlen.

Der Hunger nach guten Geschichten wächst aber auch bei einer Berufsgruppe, für die gute Stories das Brot- und Buttergeschäft sind: Journalisten. Qualitätsjournalismus lebt von guten Geschichten, und Investigativjournalisten wenden jede Menge Ressourcen auf – Zeit, Geld und Recherchen –, um besonderen Stories auf die Spur zu kommen. Die Fähigkeit der Presse, uns täglich die Welt zu erklären und die besten Geschichten aus aller Welt in kurze, verdauliche Formate zu packen (ob Tageszeitung, Online-Magazin, Multimedia-Story, TV-Reportage, Hörfunk-Feature oder Hochglanzmagazin), ist das, was guten Journalismus heute und in der Zukunft unverzichtbar macht.

Die Zeiten, in denen die Kunst des Storytellings Künstlern, Schriftstellern, Hollywood und Journalisten vorbehalten war, sind vorbei. Heute kann jeder publizieren, indem er oder sie die eigene Status-Story im Social Web veröffentlichet, die eigene Geschichte im eigenen Blog oder YouTube-Channel präsentiert. Und auch Unternehmen steigen in das Geschäft mit Geschichten ein – mit Erfolg.

Das Ende des Sender-Empfänger-Modells

Wir sind heute Zeugen und Mitgestalter eines Paradigmenwechsels der Kommunikation. Das Sender-Empfänger-Modell, das bis zum Ende des 20. Jahrhunderts noch Gültigkeit besaß, ist tot. Es wurde abgelöst von einem Netzwerk-Modell, in dem jeder die Rolle des Senders oder Empfängers einnehmen kann. Massenkommunikation ist heute nicht mehr einer professionellen Elite vorbehalten, Meinungsbildner und Multiplikator kann heute jeder werden.

Erfolgreiche Kommunikation hängt somit nicht mehr von vordefinierten Wegen oder wenigen Leitmedien ab. Werbeeffekte lassen sich nicht mehr durch massive Penetration und Wiederholung erkaufen. Der moderne Medienmarkt fragmentiert zunehmend, und die partizipative Mediennutzung postmoderner Rezipienten ist zu uneinheitlich, um auf altbewährte Weise Botschaften in den »Markt« hinauszusenden.

Abbildung 1-2Komplexe Kommunikationswelt: Das Sender-Empfänger-Modell wird vom Netzwerk-Modell abgelöst.

Hinzu kommt ein Überangebot an Botschaften, das den Kommunikationsmarkt zunehmend in den Kollaps treibt. Rangen Ende des 20. Jahrhunderts (1997) noch ca. 2,5 Millionen Marken um die Aufmerksamkeit einer weltweiten Käuferschicht, so sind es 2013 geschätzt über 10 Millionen Marken, die kommunikativ aktiv sind. Wie kann man sich bei solch einer Übersättigung noch abheben? Wie kann man seine Botschaften bei so einem hohen Wettbewerbsdruck noch erfolgreich in den Markt tragen?

Pull over Push

Eine Erfolgsformel innerhalb des neuen Kommunikationsmodells ist Pull over Push. Die beiden englischen Begriffe bezeichnen nicht zufällig den Umstand, wie man eine Tür öffnet. Entweder drückt man eine Tür auf oder man zieht sie zu sich heran – je nachdem, auf welcher Seite der Tür man steht. Ähnlich ist es mit der Kommunikation: Entweder drückt man eine Botschaft in den Markt hinein (»push«) oder man zieht sie zu sich heran (»pull«). Botschaften, die Rezipienten freiwillig heranziehen (»pull«), haben einen weit höheren Effekt als Botschaften, die ihnen hingeschoben werden müssen (»push«).

Die Instrumente für diesen Pull-Effekt stehen uns mit dem Web 2.0, Social Media und Social Communities mehr als ausreichend zur Verfügung. Täglich kommen weitere Online-Tools, Apps und Word-of-Mouth-Plattformen hinzu, die wir nutzen können.

Doch wie muss eine Botschaft beschaffen sein, damit sie »magnetisch« wirkt und so attraktiv ist, dass sie vom Empfänger angezogen wird?

In seinem Bestseller Der Tipping Point vergleicht Malcolm Gladwell die Verbreitung von Botschaften mit Virusepidemien. Er analysiert die Gesetzmäßigkeiten von Viralität und betont dabei die Bedeutung des Boten und seine Vernetzung mit der Welt, um einen Virus zu verbreiten. Gleichzeitig weist er auf die Beschaffenheit eines »erfolgreichen« Virus hin:

»Bei Epidemien kommt es auf den Boten an, er verbreitet die Ansteckung. Aber der Inhalt der Botschaft ist ebenso wichtig. Und die spezifische Eigenschaft, die eine Botschaft haben muss, um erfolgreich zu sein, ist ihre Fähigkeit, sich in den Empfängern zu verankern.«

Malcolm Gladwell

Und welches System nutzen Menschen seit über 25.000 Jahren, um zuverlässig Informationen zu verankern? Geschichten.

So kommt ein uraltes System im 21. Jahrhundert zu neuer Blüte. Die virale Kraft von Geschichten macht Storytelling zu einer der attraktivsten Techniken des postmodernen Kommunikationsmodells.

Content-Management

Storytelling ist kein Hype oder das nächste schicke Buzzword der Kommunikationsindustrie, das bald wieder vergessen sein wird. Storytelling ist relevanter denn je.

Storytelling ist eine der erfolgreichsten Techniken im neuen Modell der Netzwerk-Kommunikation.

Denn Geschichten helfen uns, den Informationsüberfluss geschickt zu durchbrechen und attraktive Inhalte (»Content«) mit magnetischer und viraler Wirkung zu entwickeln. Durch Geschichten werden relevante Botschaften von Rezipienten freiwillig aufgegriffen und weitergereicht.

Storytelling ist das Rückgrat von Content-Management, dem Kommunikationsprinzip, mit dem sich Unternehmen, Organisationen, Marken, Produkte und jeder Einzelne von uns zukünftig auseinandersetzen muss, um erfolgreich zu kommunizieren.

Roisin Donnelly, ehemalige Marketingdirektorin von P&G und treibende Kraft hinter Kampagnen wie »Like a girl« oder »Thank you Mom«, der erfolgreichen Olympiakampagne von P&G, fasst treffend zusammen:

»The brands that are really succeeding today are the ones that differentiate through storytelling.«

(»Marken, die heute wirklich erfolgreich sind, sind diejenigen, die sich durch Storytelling abheben.«)

Roisin Donnelly

Checkliste: Storytelling – Top oder Flop? Nützlich für Sie?

Sie sind Unternehmenssprecher/-in und für die Unternehmenskommunikation verantwortlich?Wollen Sie Storytelling als Methodik für das Reputationsmanagement und unternehmenseigene Zwecke nutzen?Wollen Sie Geschichten erzählen, ohne zum »Märchenonkel« oder zur »Märchentante« zu werden?Sind Sie Pressesprecher/-in oder Public Relations Manager/-in?Besteht Ihre Pressemitteilung hauptsächlich aus rationalen Argumenten und suchen Sie nach Alternativen?Sind Sie auf der Suche nach besseren Geschichten?Wollen Sie emotionaler kommunizieren?Sie sind Marketingmanager/-in und mitverantwortlich für die Kommunikation einer Marke?Müssen Sie ein erklärungsbedürftiges Produkt bewerben und suchen neue Wege, um Ihre Zielgruppe anzusprechen?Suchen Sie nach Möglichkeiten, Markenbotschaften attraktiver und einprägsamer zu gestalten?Sind Sie auf der Suche nach Methoden, um Konsumenten besser anzusprechen und effizient Kaufimpulse zu setzen?Sie sind Personalverantwortliche/-r und für die Veränderungskommunikation in Unternehmen und Organisationen verantwortlich?Suchen Sie nach Wegen, Menschen zu motivieren?Sie sind Onlinemanager/-in und für Social-Media-Kanäle und Communities verantwortlich?Suchen Sie nach »viralen Inhalten«, die »gelikt« und »geshart« werden?Sind Sie für das Content-Management Ihres Unternehmens verantwortlich?

Wenn Sie eine dieser Fragen oder mehrere mit »Ja« beantwortet haben, dann sind Sie hier richtig, denn dieses Buch kann Ihnen Antworten geben.

Videos und Links, die zu diesem Kapitel passen

Das Storytelling-Experiment von Joshua Glenn und Robert Walker finden Sie hier: www.significantobjects.comDie Google-Geschichte über zwei Helden der Oder-Flut findet sich auf YouTube unter http://bit.ly/1w1wGqJ – viele weitere Geschichten erzählt Google auf seinem You-Tube-Kanal »Google Stories«.2013 setzt die Telekom auf die Geschichte von Bob Carey, der durch Fotos im rosa Tutu seine krebskranke Frau Lisa erheiterte, zu sehen auf YouTube: http://bit.ly/1DJs9kG. Mehr Hintergrundinformationen zur Kampagne findet man hier: http://bit.ly/2jivHXbWie Microsoft mit Geschichten umgeht, kann man auf der Webseite »Microsoft Story Labs« sehen: http://news.microsoft.com/stories/Weihnachten 2015 berührte Edeka ganz Deutschland mit der hochemotionalen Geschichte #Heimkommen. Taschentücher bereithalten und ansehen: http://bit.ly/1MKkPHHeBay bedankt sich bei seinen Usern mit der Storytelling-Kampagne »eBay Thanks You«, die Sie auf YouTube unter http://bit.ly/2jQ46gm finden.Coca-Colas Webseite heißt nicht ohne Grund »Coca Cola Journey«, denn es ist ein Online-Magazin und eine herausragende Storytelling-Plattform: http://www.coca-cola-deutschland.de/Der Technikkonzern Bosch erzählt immer wieder neue Webstories auf seiner Corporate Webseite und seinen diversen Online-Kanälen: http://bit.ly/2iThf4wWie Ärzte zu Storytellern werden: http://bit.ly/2irvUmt

KAPITEL 2

Storytelling – historisch und wissenschaftlich erklärt

»Die Abenteuergeschichten zuerst, bitte. Erklärungen brauchen immer so schrecklich lange.«

Lewis Carroll in ›Alice im Wunderland‹

»How am I feeling? Well, surprisingly good« – Mit diesen Worten fährt 2013 das am längsten gebaute Automobilmodell in den Ruhestand: der VW T2 Kombi. Der Wagen, der von seinen Fans liebevoll »Bulli« genannt wird, hatte fast sechzig Jahre lang Autofahrer, Camper, Studenten, Hippies, Abenteurer, Familiengründer, Kleinunternehmer, Künstler und viele mehr befördert, beeinflusst und inspiriert. 1957 lief der Wagen erstmals vom Band. Er kann also auf eine lange Geschichte zurückblicken. Grund genug für VW Brasilien, dem Bulli einen würdevollen Abschied zu bereiten und die besten Geschichten des Kombis zusammenzutragen.

Abbildung 2-1Ein Testament zum Abschied – der VW Kombi erzählt seine eigene Geschichte zum Abschied und die seiner Fans. Auf YouTube zu sehen: http://bit.ly/18fBDY1

In dem Kurzfilm »Kombi Last Wishes« nimmt uns der Bulli mit auf eine Reise zu seinen größten Fans: zu Frank und Ivy, die mit dem robusten Wagen eine Weltumrundung schafften – eine Fahrt durch über 25 Länder. Und zu Nene, einem verrückten Fußballfan, der der brasilianischen Nationalmannschaft über Tausende von Kilometern hinterherfuhr, um sie bei drei Fußballweltmeisterschaften immer vor Ort anzufeuern. Und zu Vivian Meyer, die tatsächlich in einem Bulli geboren wurde. Und zu Bob, jenem Hippiekünstler, der den Bus zur Ikone einer ganzen Generation machte, indem er ihn psychedelisch und bunt anmalte und zu dem berühmtesten Festival aller Zeiten fuhr: im Woodstock-Kombi. Sie alle besucht der Bulli noch einmal, um sich bei ihnen mit einem individuellen Abschiedsgeschenk für ihre Treue zu bedanken und um sich schließlich zu seiner letzten Fahrt aufzumachen. Die führt nach Holland. Zu seinem »Bruder«, dem Sohn jenes Mannes, der das erfolgreichste Automobil der Welt Anfang der 50er-Jahre geschaffen hatte: dem holländischen Designer Ben Pon.

Das Ende der Geschichte ist bekannt. Es heißt Abschied nehmen. Abschied von einem Wagen, der eine ganz entzückende Geschichte mit seinen eigenen kleinen Detail-Geschichten erzählt.

»Kombis Letzer Wille« (»Kombi Last Wishes«) ist eine Lehrstunde in »Storytelling«. Die Geschichte über die Geschichten des VW T2 zeigt uns, wie einfach Storytelling sein kann, aber auch wie vielschichtig der Begriff ist.

»Storytelling« lässt sich schlicht mit »Geschichten erzählen« übersetzten. Doch hinter dem englischen Fachbegriff verbirgt sich viel mehr als einfach nur das »Erzählen und Wiedergeben von Erlebtem«.

Der deutsche Begriff »Geschichte« hat eine interessante Doppeldeutigkeit. Während die Angelsachsen zwischen »history« und »story« unterscheiden, gibt es im deutschen Sprachgebrauch dafür nur einen gemeinsamen Begriff: »Geschichte«. Dieser Begriff ist gleichsam Vergangenheit (historia) und Erzählung (narratio).

»Geschichte« beschreibt für uns den Rückblick auf die reale, historische Entwicklung der Menschheit oder einer bestimmten Zeitspanne in der Vergangenheit. »Eine Geschichte« ist für uns aber auch gleichbedeutend mit »Erzählung«, der narrativen Form der Darstellung – dies sind Ereignisse aus der Vergangenheit, Gegenwart oder Zukunft, real oder auch fiktional.

»Kombis letzter Wille«, die kleine Reise des Bullis, nutzt beide Bedeutungen. Einerseits ist die Geschichte ein Rückblick auf die Entstehung, den Erfolg und die Historie des VW-Busses. Gleichzeitig werden dem Zuhörer eine ganze Reihe von Geschichten in der Form kleiner Episoden präsentiert, um die Story lebendig und emotional zu bebildern.

Ob historisch oder narrativ, die gemeinsame sprachliche und inhaltliche Bedeutung des Begriffs »Geschichte« brachte der Historiker Gordon A. Craig schön auf den Punkt. In seiner Dankesrede zur Verleihung des Historikerpreises, der ihm von der Stadt Münster für sein Buch Deutsche Geschichte 1866–1945 verliehen wurde, beschrieb er das Wesen von »Geschichte« folgendermaßen:

»Geschichte ist nicht ›exakte Wissenschaft‹ – sie ist eine humanistische Disziplin. Ihr Hauptgegenstand sind Menschen, und Geschichte ist, wie Thukydides vor langer Zeit sagte, das Studium nicht von Umständen, sondern von Menschen in Umständen.«

»Wie Menschen mit und in bestimmten Umständen umgehen« – das ist es, was Historie und genauso jede Erzählung ausmacht und warum beide Begriffe den gleichen Ursprung haben.

Storytelling ist demnach die Kunst, einerseits Handlungen und Erfahrungen der Vergangenheit wiederzugeben, andererseits zeitunabhängige Ereignisse – ob real oder fiktiv – zu erzählen. In beiden Konzepten erfahren Rezipienten, wie Menschen in bestimmten Umständen agieren. Mit beiden Konzepten können Menschen aus der »Geschichte« und »Geschichten« lernen.

Geschichte des Storytellings

Die Geschichte des Geschichtenerzählens beginnt wahrscheinlich vor mehr als 40.800 Jahren. So alt ist die älteste Zeichnung der Welt: die rote Scheibe von La Castillo.

Mit der Entdeckung dieser Höhlenzeichnung im Juni 2012 gelang den britischen Forschern Alistair Pike und Paul Pettitt zusammen mit ihrem spanischen Wissenschaftsteam eine Sensation. In mühevoller Kleinarbeit analysierten sie Kalkschichten und Tropfsteine in elf Höhlen, die 50 steinzeitliche Gemälde bedeckten. Mithilfe der Uran-Thorium-Methode gelang es ihnen, das Alter dieser Zeichnungen genau zu datieren. Die bis zu dieser Entdeckung bekanntesten Höhlenbilder im französischen Chauvet mit ihren zahlreichen Tier- und Menschdarstellungen sind 4000 Jahre jünger. Pike und Pettitt hatten die älteste Zeichnung der Menschheit entdeckt.

Abgebildet ist eine rote Scheibe, umgeben von anderen Scheiben und etwa 40 Abbildungen von Händen. Prähistoriker fragen sich seit ihrer Entdeckung, wer genau diese Steinzeitkünstler waren. Waren es die ersten Vertreter des Homo sapiens? Oder waren es Neandertaler, die uns hier ein Zeichen ihrer Existenz hinterließen?

Wer auch immer die Schöpfer der roten Scheibe waren, die Zeichnungen dienten einem bestimmten Zweck. Paläoanthropologen gehen dabei von zwei Deutungen aus: Höhlenmalerei diente entweder als religiöses Instrument und Ausdruck von Schamanismus. Die Zeichnungen könnten daher Markierungen heiliger Stätten sein. Oder es sind künstlerische Interpretationen: Höhlengemälde als Symbolsprache und Traumdeutung – und als Erzählungen.

Storytelling als Knowledge-Sharing-System