Strangers On A Bridge - James B. Donovan - E-Book

Strangers On A Bridge E-Book

James B. Donovan

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Beschreibung

Die Hintergrundgeschichte zum großen Kinofilm
„Bridge of Spies – Der Unterhändler“


Ostberlin 1962. An der Glienicker Brücke findet der Austausch zweier Topagenten statt. Verhandelt hat diese politische Sensation der New Yorker Anwalt James B. Donovan. In einem spektakulären Prozess bewahrte der Pflichtverteidiger den 1957 in den USA verhafteten sowjetischen Meisterspion Rudolf Abel vor dem Elektrischen Stuhl, da man ihn, so das Plädoyer, noch lebend brauche. Als ein U-2-Pilot über Russland abgeschossen wird, ist es so weit ...

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Buch

An einem grauen Wintermorgen finden sich die Akteure dieses Politthrillers auf der nebelverhangenen Glienicker Brücke zwischen Berlin und Potsdam wieder. Als sie die Mittellinie überqueren, sehen sie aneinander vorbei, niemand spricht ein Wort. Innerhalb weniger Minuten ist der Austausch abgewickelt, und an der Seite des legendären Unterhändlers James B. Donovan geht U-2-Pilot Francis Gary Powers zurück in die Freiheit.

Rechtsanwalt James B. Donovan beschreibt den wohl spektakulärsten Spionagefall zur Zeit des Kalten Krieges. Sein mutiger Kampf um Recht und Gerechtigkeit ist so beharrlich wie fesselnd: Die Hintergrundgeschichte zum großen Kinofilm »Bridge of Spies«.

Autor

James B. Donovan wurde 1916 in New York geboren und studierte Rechtswissenschaften an der Fordham University und an der Harvard Law School. Während des Zweiten Weltkriegs diente er als Marine-­Offizier und juristischer Berater des Office of Strategic Services (militärischer Nachrichtendienst). Als Assistent des Hauptanklagevertreters wurde er zu den Nürnberger Prozessen nach Deutschland berufen. In den USA wirkte er später als leitender Rechtsberater des Cuban Families Comittee und erreichte die Freilassung von über 9700 Kubanern und Amerikanern aus kubanischer Haft. Er starb 1970 und hinterließ Frau und vier Kinder.

JAMES B. DONOVAN

Strangerson a Bridge

Der Fall des Oberst Abel

Aus dem amerikanischen Englischvon Eva Bornemannund Michael Molitor

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Die amerikanische Originalausgabe erschien zuerst 1964 unter dem Titel»Strangers on a Bridge. The Case of Colonel Abel«bei Atheneum House, Inc.Das Vorwort zur Neuausgabe von Jason Matthewshat Thorsten Schmidt ins Deutsche übertragen.Trotz sorgfältiger Nachforschungen konnten leider nicht alle Rechteinhaber ermittelt werden. Bei berechtigten Ansprüchen wenden Sie sich bitte an den Verlag.

1. AuflageNeuausgabe Dezember 2015Wilhelm Goldmann Verlag, München,in der Verlagsgruppe Random House GmbHCopyright © 1964 by Jane Amorosi, John B. Donovan und Mary Ellen FullerVorwort zur Neuausgabe: © 2015 by Jason MatthewsCopyright © 2015 dieser Ausgabe by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbHPublished by arrangement with the original publisher, Scribner, a division of Simon & Schuster, Inc.Umschlaggestaltung: UNO Werbeagentur, MünchenUmschlagabbildungen: © akg-images (Brücke), © Getty Images (Mann)KF · Herstellung: Str.Satz: DTP Service Apel, HannoverISBN: 978-3-641-18805-4www.goldmann-verlag.deBesuchen Sie den Goldmann Verlag im Netz

Allen amerikanischen Anwälten gewidmet,die hilflosen, armen und verachteten MenschenBeistand gewähren

INHALT

Vorwort zur Neuausgabe

von Jason Matthews

Einleitung

1957

1958

1959

1960

1961

1962

Danksagung

Vorwort zur Neuausgabe

Dieses Buch ist die Neuauflage eines Bestsellers aus dem Jahr 1964, der von dem Spionageprozess gegen den sowjetischen Nachrichtenoffizier Rudolf Abel berichtet und von Abels Pflichtverteidiger, James B. Donovan, geschrieben wurde. Es ist heute nicht weniger relevant – und unterhaltsam – zu lesen als damals. Es wird Fans klassischer Intrigenspiele im Kalten Krieg ebenso in den Bann ziehen wie Liebhaber von Gerichtsdramen. Donovans geistreiche Beschreibungen seiner raffinierten Verteidigungsstrategie werden bestimmt begeistern und auch inspirieren. Und der polizeiliche Blick in die rätselhafte und komplexe Psyche des sowjetischen Spions Abel ist faszinierend. Aber dieser Schnappschuss des berühmten Spionagefalls der 1950er-Jahre erinnert uns vor allem daran, dass Spionage ein uraltes Phänomen ist, das zweitälteste Gewerbe der Welt. Und vergessen wir nicht, dass moderne Schlagzeilen, die die jüngsten Verhaftungen russischer Spione und Schläfer in den USA dokumentieren, zeigen, dass sie bis heute fortgesetzt wird. Die erfolgreichste HUMINT (human intelligence – nachrichtendienstliche Informationsbeschaffung aus menschlichen Quellen)-Operation im 20. Jahrhundert war wohl die Auskundschaftung des Manhattan-Projekts durch die Sowjetunion und die Erlangung US-amerikanischer Atomgeheimnisse in den 1940er- und 1950er-Jahren. Die Russen stahlen diese frühen Informationen – »Atomgeheimnisse« im Sprachgebrauch der damaligen Zeit – von den USA, Großbritannien und Kanada und erfüllten damit das, was Joseph Stalin »Aufgabe Nummer eins« genannt hat. Es wird von Wissenschaftlern weiterhin kontrovers diskutiert, welche streng geheimen Informationen die Sowjetunion tatsächlich stahl – und wie – und ob diese Informationen den Russen in nennenswertem Umfang halfen, knifflige physikalische und Konstruktionsprobleme zu lösen, von denen ihr eigenes Waffenprogramm gebeutelt wurde.

Es ist bekannt, dass gestohlene US-Informationen den Sowjets dabei halfen, eine Reihe spezifischer mechanischer Probleme zu lösen – etwa die Konstruktion eines barometrischen Zünders –, aber das Meiste haben sowjetische Physiker aus eigener Kraft geschafft. Tatsächlich hat das NKWD (die Vorläuferorganisation des KGB) die entwendeten Atomgeheimnisse eifersüchtig gehütet und die Informationen mit den meisten russischen Wissenschaftlern niemals geteilt. Vielmehr benutzte der Chef des NKWD, Lawrenti Beria, die US-Daten überwiegend dazu, um die theoretischen und Konstruktionsarbeiten sowjetischer Wissenschaftler zu bestätigen. Heute besteht Einigkeit darüber, dass die sowjetische Spionage den Russen vermutlich erlaubte, die Bombe ein bis zwei Jahre eher herzustellen.

Anfang der 1940er-Jahre stellte die Erfüllung der Aufgabe Nummer eins die Sowjetunion vor große Herausforderungen. Stalin hatte den Einsatz unbegrenzter Ressourcen für das Vorhaben genehmigt. Beria und dem NKWD wurde die Leitung der Operation übertragen. Das Manhattan-Projekt war ein weitverzweigtes Vorhaben, das aufgrund der zahlreichen inländischen Standorte und der hohen Anzahl von Personen, die daran mitwirkten – über 100 000 Naturwissenschaftler, Techniker, Mechaniker, Verwaltungsmitarbeiter und Hilfskräfte –, sowie der uneinheitlichen und unkoordinierten Sicherheitsvorkehrungen bei den Anlagen und Forschungslabors, für die jeweils verschiedene Behörden zuständig waren, ein recht ungeschütztes Ziel für feindliche Spionageaktivitäten darstellte. Zu diesem Zeitpunkt des Zweiten Weltkriegs galt die Sowjetunion als ein bedrängter Verbündeter der USA, und sie hatte nicht nur die Sympathien der amerikanischen Öffentlichkeit, sondern auch politische Unterstützung in Washington. Diese positive Sicht Russlands unter vielen der von Moskau rekrutierten Wissenschaftler bzw. »Atomspione« schlug sich in der philosophischen Überzeugung nieder, die Weitergabe von Waffengeheimnissen schaffe faire Rahmenbedingungen für die Nachkriegsordnung, beseitige Misstrauen und wahre den Weltfrieden.

Die Anwerbung idealistischer und wohlwollender Amerikaner und Emigranten, die am Manhattan-Projekt arbeiteten, war für russische Nachrichtenoffiziere, die getarnt als Diplomaten in der sowjetischen Botschaft in Washington, im sowjetischen Konsulat in San Francisco und bei der sowjetischen Gesandtschaft bei den Vereinten Nationen in New York arbeiteten, wie das Pflücken reifer Früchte. Viele der Zielpersonen aus dem Kreis von Wissenschaftlern waren ethnische Russen oder Anhänger der amerikanischen Kommunistischen Partei oder beides; dazu zählen etwa Klaus Fuchs, Harry Gold, David Greenglass, Theodore Hall sowie Julius und Ethel Rosenberg (alle Mitglieder des Spionagerings mit dem Deckname »Volunteer«).

Die sowjetischen Aufklärungserfolge beim Manhattan-Projekt zogen jedoch vertraute Probleme nach sich. Die wirkliche Arbeit beginnt nämlich erst dann – und das war 1952 nicht anders als heute –, wenn die aufregende Rekrutierungsphase einer menschlichen Quelle abgeschlossen ist. Es ist schwieriger, eine geheime Informationsquelle zu führen, als sie anzuwerben. Aus Moskau treffen massenweise nachrichtendienstliche Aufklärungsersuchen ein – Stalin persönlich will mehr Informationen, bessere Informationen, und dies schnellstens.

Es ist eine heikle Sache, eine Quelle dazu zu drängen, Informationen zu beschaffen, und es steht völlig außer Frage, dass eine Quelle umso eher auffliegt, je länger sie spioniert. Im Jahr 1950 wurde es für russische Agenten gefährlich, in den USA zu operieren. Das Wohlwollen Amerikas gegenüber der Sowjetunion war weitgehend aufgezehrt, überdeckt von der Roten Angst und dem aufkommenden Kalten Krieg. Und die Abteilung Spionage­abwehr des FBI war aktiv und gefährlich. Es war für einen amerikanischen Wissenschaftler nicht länger ratsam, sich öffentlich mit einem russischen Diplomaten sehen zu lassen.

Um das Volunteer-Netzwerk funktionstüchtig zu halten, griff man auf eine typisch sowjetische Lösung zurück: Man warb weitere Amerikaner (Kuriere) an, die sich mit den Atomspionen trafen, und die die Informationen einem Kontrolleur (einem Illegalen) übergaben, der die Berichte nach Moskau übermittelte. Diese Vorgehensweise stellte sicher, dass es keine beobachtbare russische Beteiligung gab; Sicherheit und Abschottung blieben erhalten; und die Kommunikation mit Der Zentrale (dem ­NKWD-Hauptquartier) wäre nicht nachweisbar.

Das NKWD hat im Ausland im Allgemeinen drei Typen von Nachrichtenoffizieren eingesetzt: einen sogenannten Legalen mit amtlicher Tarnung, der in der Regel aus einer diplomatischen Vertretung heraus operiert; einen nichtoffiziellen, getarnten Nachrichtenoffizier, der sich als ausländischer Kaufmann, Wissenschaftler oder technischer Experte ausgibt, um sich regelmäßig Zugang zu einer Zielperson zu verschaffen, und einen Illegalen, der sich als Inländer ausgibt, mit einer ausgeklügelten und plausiblen, aber erfundenen persönlichen Geschichte (einer sogenannten Legende). Der Illegale führt jahrelang ein unauffälliges Leben, um Fuß zu fassen, und nimmt vielleicht einen ruhigen Einstiegsjob an, der scheinbar keinerlei nachrichtendienstliches Interesse besitzt. Ein solcher illegaler Mitarbeiter wird erst dann aktiviert, wenn er gebraucht wird. Bis dahin können viele Jahre vergehen (daher werden diese Agenten auch »Schläfer« genannt). Die Erstellung einer Legende (für gewöhnlich durch Übernahme der Identität einer vor langer Zeit verstorbenen Person) ist ein mühsames Unterfangen – jahrelang damit zu leben muss eine extreme psychische Belastung sein. Die administrative Unterstützung für einen Illegalen ist langwierig und beschwerlich. Der Einsatz von Illegalen ist extrem kostspielig, und sie müssen gründlich ausgebildet werden. Kommunikation und Sicherheit sind von entscheidender Bedeutung – wenn ein NKWD-Illegaler verhaftet wurde, genoss er keine diplomatische Immunität. Auch das fließende Sprechen einer Fremdsprache ist unabdingbar. Es gilt, die Nachteile dieser ineffizienten, kostspieligen und riskanten Methode des Agenteneinsatzes gegen den erheblichen Vorteil einer wasserdichten persönlichen Geschichte, Anonymität und Unsichtbarkeit abzuwägen.

Die meisten Nachrichtendienste setzen wegen der oben aufgelisteten praktischen Probleme keine Illegalen ein. Aber das Ganze hat auch eine menschliche Dimension. Man stelle sich einmal vor, was es bedeutet, einen Nachrichtenoffizier, der eine Frau, Kinder und Freunde hat, für möglicherweise zwanzig Jahre in eine Art Exil auf feindliches Territorium zu schicken, wo er in einer angenommenen Identität atmet, isst und schläft. Man stelle sich außerdem vor, dass diesem Offizier eine wildfremde Person als Tarn-Ehepartner (wenn auch einer, der sich sehr gut im Morsealphabet auskennt) zugewiesen wird. Dies alles widerspricht westlichen Idealen und Vorlieben.

Es ist so russisch, so sehr Kalter Krieg der Fünfzigerjahre, so sowjetisch, dass wir annehmen, kein vernünftiger Nachrichtendienst würde heute noch Illegale einsetzen.

Aber das wäre eine irrige Annahme: Elf Illegale, die für Wladimir Putin und den SWR (den Nachfolger des KGB) arbeiteten, wurden im Juni 2010 in New York, New Jersey und Boston verhaftet.

Der NKWD-Nachrichtenoffizier Oberst Rudolf Iwanowitsch Abel wurde in den frühen Morgenstunden des Juni 1957 in einem Hotelzimmer in Brooklyn wegen Verschwörung und Spionage festgenommen. Dies war das zentrale Kapitel des sogenannten Hollow Nickel Case des FBI, der mit Abels Verurteilung durch ein US-Bundesgericht im Oktober desselben Jahres zu einer Freiheitsstrafe von 45 Jahren endete, die er im Bundesgefängnis in Atlanta verbüßen sollte.

Rudolf Abel reiste 1948 über Frankreich und Kanada in die USA ein, wobei er in die Identität eines verstorbenen litauischen Emigranten schlüpfte. Er war als ein »illegaler« NKWD-Offizier ausgebildet worden und hatte den Befehl erhalten, das Volunteer-Netzwerk von Atomspionen, das seit 1942 geheime Dokumente aus den Forschungslabors des Manhattan-Projekts in Los Alamos, New Mexico, verraten hatte, dessen Produktion jedoch aufgrund erhöhter Sicherheitsmaßnahmen in der Nachkriegszeit zurückgegangen war, neu zu beleben. Bald nach seiner Ankunft änderte Abel abermals seine Identität und betätigte sich als Fotograf und Künstler in Brooklyn. Sein unauffälliges Fotoatelier war perfekt für einen Illegalen – als freiberuflicher Fotonarr konnte Abel umherreisen und dabei nicht näher konkretisierte Aufträge vorschützen, ohne Verdacht zu erregen –, und es lieferte eine natürliche Erklärung für die fotografische Ausrüstung und die Instrumente, die sich in seinem Besitz befanden.

Rudolf Abel war ein Paradebeispiel für einen Illegalen-Nachrichtenoffizier. Er sprach fließend Englisch, Russisch, Deutsch, Polnisch und Jiddisch. Als Jugendlicher hatte er Talent für Maschinenbau, Musik, Malerei, Fotografie und Funktechnik gezeigt. Während des Zweiten Weltkriegs schulte er Funker der Roten Armee, wurde zum sowjetischen Nachrichtendienst abkommandiert und war an einer kühnen Radio-Täuschungsoperation gegen die deutsche Abwehr (den deutschen Militärgeheimdienst) beteiligt. Abel wurde für seine Leistungen während des Kriegs belohnt, indem er als Illegalen-Nachrichtenoffizier für das renommierteste ausländische Einsatzgebiet des NKWD ausgewählt wurde: die Vereinigten Staaten.

In seinen ersten beiden Jahren in den USA baute sich Abel zum Schein eine Existenz auf, erhielt Geld und Anweisungen und reiste vermutlich nach Santa Fe, New Mexico, um Kuriere auszusuchen, pflichtvergessene Quellen auf Trab zu bringen und neue Kommunikationspläne zu erstellen. In seinem Atelier in Brooklyn spannte Abel eine Drahtantenne für seinen Kurzwellensender auf, die er an einer Kaltwasserleitung erdete, um über verschlüsselte Funksprüchen mit der Zentrale zu kommunizieren. Anscheinend hat er bei Reaktivierung des ­Volunteer-Netzwerks gute Arbeit geleistet, denn im Jahr 1949 funkte Moskau an Rudolf, dass ihm der Rotbannerorden verliehen worden sei, eine bedeutende sowjetische militärische Auszeichnung, die normalerweise für Tapferkeit im Kampf vergeben wurde. Er muss erstklassige Informationen geliefert haben, die niemand anderem als Onkel Joseph Stalin persönlich gefielen. Doch bescherte das Jahr 1950 dem Volunteer-Netz gravierende Probleme. Julius und Ethel Rosenberg, wichtige Kuriere und Aufklärer des Agentenrings, wurden aufgrund des Geständnisses und der Aussagen einer anderen Quelle des Netzes, David Greenglas (der Ethels Bruder war), verhaftet. Ein russisches Kurierteam, das Ehepaar Lona und Morris Cohen, flog auf und wäre ebenfalls hochgenommen worden, wenn sie sich nicht rechtzeitig über Mexiko nach Moskau abgesetzt hätten. Als der Spionagering in seinen Grundfesten wankte, geriet Rudolf Abel, der Kopf und Organisator, den viele der Kuriere kannten, in Gefahr. Aber die Cohens hatten sich aus dem Staub gemacht, und die inhaftierten Rosenbergs weigerten sich standhaft, mit dem FBI zusammenzuarbeiten, auch nicht gegen die Zusicherung, mit einer Freiheitsstrafe davonzukommen. Sie wurden im Juni 1953 hingerichtet.

Der erschöpfte, permanent von Enttarnung bedrohte Abel bat um Hilfe. Im Jahr 1952 entsandte das NKWD Oberstleutnant Reino Hayhanen als Assistent Abels in die USA. Reino traf an Bord der Queen Mary mit einer finnischen Emigranten-Legende in New York ein und verbrachte die nächsten beiden Jahre größtenteils damit, sich eine Scheinexistenz aufzubauen und aus toten Briefkästen in Manhattan, Brooklyn und der Bronx Geld, Codes und Ausrüstungsgegenstände zu bergen. Hayhanen war nicht der disziplinierte, technisch bewanderte, mit dem Spionagehandwerk bestens vertraute Illegale, der Rudolf Abel war. Er war ein starker Trinker, der sich in aller Öffentlichkeit mit seiner ihm »zugewiesenen« finnischen Ehefrau stritt (seine wahre, russische Ehefrau war in Moskau geblieben), er fiel durch häufige häusliche Streitigkeiten auf und vernachlässigte seine Pflichten als illegaler Geheimagent.

Einer der toten Briefkästen, die Reino leerte, enthielt eine ausgehöhlte US-amerikanische Fünf-Cent-Münze, die als Versteck für Mikrofilme und miniaturisierte verschlüsselte Botschaften diente. Ehe der konfuse Hayhanen die Münze öffnete, gab er sie in einem Moment der Zerstreutheit aus – oder benutzte sie als U-Bahn-Münze. Die Münze war sieben Monate lang in New York in Umlauf, ehe sie ein Zeitungsverkäufer fallen ließ und sie aufsprang, wobei ein winziges Blatt mit Zifferngruppen herausfiel. Dieser sogenannte Hollow Nickel Case des FBI blieb vier Jahre lang ungelöst, da die Bundespolizisten die verschlüsselte Botschaft nicht dechiffrieren konnten.

Vor dem Aufkommen automatischer Verschlüsselungstechniken wurden der sichere Funkverkehr zwischen der Zentrale eines Geheimdienstes und dessen Agenten im Einsatzgebiet durch Verwendung sogenannter »Einmalblöcke« (one-time pads, Einmalschlüssel)gesichert. Diese Ziffernblöcke waren Einzelblätter mit gedruckten Zeilen und Spalten fünfstelliger Zifferngruppen. Diese Blocks waren mit Gummikleber zusammengeklebt und zur besseren Tarnung normalerweise in Kleindruck beschriftet. Ein Agent im Einsatzgebiet empfing über einen sogenannten Einwegsprachkanal (OWVL,One-­Way-Voice-Link) einen Kurzwellenfunkspruch von der Zentrale. Diese OWVL-Funksprüche bestanden aus einer Zahlenfolge, die von einer monotonen weiblichen Stimme vorgelesen wurde – einer verschlüsselten Botschaft. Der Agent schrieb die aufgesagten Zahlen in Fünfzifferngruppen nieder und subtrahierte sie auf dem richtigen Einmalblockblatt. Die Werte, die er so erhielt, entsprachen den 26 Buchstaben des Alphabets und verrieten die Nachricht. Da jede Seite des Einmalblocks aus einer anderen Zufallsfolge von Zahlen besteht und nur einmal verwendet wird, sind bei einer Kryptoanalyse keine Muster zu erkennen. Dieser Schlüssel lässt sich nicht knacken, wie man auch daran erkennt, dass der Hollow Nickel Case zunächst in einer Sackgasse endete.

Hayhanens Verhalten und Leistung verschlechterten sich weiter, und das Volunteer-Netz begann sich aufzulösen, insbesondere während der sechsmonatigen Abwesenheit Abels, der sich zur Erholung in Moskau aufhielt. Tote Briefkästen wurden vernachlässigt, Funkbotschaften wurden verpfuscht, und Reino gab Einsatzgelder für Wodka und Prostituierte aus. Abel drängte die Zentrale, Hayhanen nach Moskau zurückzubeordern, was diese schließlich Anfang 1957 auch tat. Hayhanen, der vielleicht ein Trinker, aber kein Dummkopf war, begab sich daraufhin in die US-Botschaft in Paris und lief über. Die Botschaft beförderte ihn zurück in die USA, wo ihn die Spionageabwehr des FBI verhörte. Reino kooperierte uneingeschränkt. Er begann, Namen zu nennen, die Standorte von toten Briefkästen zu verraten, und er beschrieb Abel und sein Fotoatelier. Die Akte Hollow Nickel wurde wieder aus der Schublade hervorgeholt.

Nach weiteren Befragungen Hayhanens und einer immer engmaschigeren Überwachung Abels verhafteten FBI-Beamte Rudolf schließlich in den frühen Morgenstunden des 21. Juni 1957 in seinem gemieteten Zimmer. Obgleich er wusste, dass es endgültig vorbei war, bewahrte der eiserne Rudolf Abel seine professionelle Haltung. Er weigerte sich, mit den FBI-Beamten, die ihn festnahmen, zu sprechen – als ihn das FBI später als Doppelagenten gewinnen wollte, ließ er es eiskalt abblitzen –, und bat dann um die Erlaubnis, seine teure und empfindliche Ausrüstung einzupacken. Scharfäugige FBI-Beamte ertappten ihn dabei, wie er versuchte, Einmalblöcke und Mikrofilme in seinem Hemdsärmel verschwinden zu lassen, während er einen Koffer packte. Mit theatralischen Gesten versicherte er, verschiedene seiner Habseligkeiten seien einfach nur Plunder, und warf sie in einen Abfallkorb. Bei einer späteren eingehenden Untersuchung der entsorgten Gegenstände kamen weitere Tarngeräte und Spionagezubehör zum Vorschein. FBI-Beamte beschlagnahmten auch Mikrokameras zur Herstellung von Mikropunkten und mehrere Kurzwellensender. Sie fanden ausgehöhlte Schrauben, Manschettenknöpfe, Pinselstiele, Bleistifte und Druckstöcke, die Codebücher, Einmalblöcke, Mikrofilme, Kontaktpläne und Bargeld enthielten. Auch Fotos der Cohens, des Ehepaars, das als Kurierteam arbeitete und sich über Mexiko abgesetzt hatte, wurden gefunden, ebenso Losungswörter zum Erkennen anderer Mitglieder des Spionagerings. (Die unermüdlichen Cohens konnten das Spionieren einfach nicht lassen: Im Jahr 1959 tauchten sie in Großbritannien als Peter und Helen Kroger wieder auf, um die sowjetische Operation – den sogenannten Spionagering »Portland« – gegen geheime neue Techniken der Unterwasserkriegführung, die die Royal Navy entwickelte, zu unterstützen. Diesmal wuden die Cohens/Krogers von Scotland Yard verhaftet, und schließlich 1969 im Rahmen eines Agentenaustauschs ausgetauscht. Zum Zeitpunkt seiner Verhaftung bereitete Abel vor allem der Verbleib seiner gerahmten Kunstwerke Sorge. Während seines Prozesses und seiner vierjährigen Haftzeit machte er sich unentwegt Gedanken über ihre Aufbewahrung und verlangte, die Gemälde sollten früher oder später nach Ostdeutschland transportiert werden. Wir können nur darüber spekulieren, ob die auf Mikrofilm aufgenommenen Atomgeheimnisse in Hohlräumen in den Rahmen versteckt oder Mikropunkte unter den Farbschichten an der Leinwand festgeklebt waren.

Die Schilderung des Prozesses, erzählt in Donovans witzigem, schnörkellosem Stil, ist faszinierend. Ein Jurist, der unlängst das Buch las, stellte dazu zwei Fragen von historischem Interesse. Die erste betrifft die Tatsache, dass die Geschworenen für diesen famosen, schlagzeilenträchtigen Spionagefall in nur drei Stunden ausgewählt wurden – eine erstaunlich kurze Zeit. Die Auswahl der Geschworenen in juristischen Fällen von großem öffentlichen Interesse dauert heute Wochen, wenn nicht Monate. War dies eine Besonderheit des Abel-Prozesses, oder war es für Fälle, die in den 1950er-Jahren vor Bundesgerichten verhandelt wurden, die Regel?

Die zweite Frage des Juristen lautete: Wie brachte es Donovan fertig, die Todesstrafe für Abel abzuwenden, indem er den vorsitzenden Richter Mortimer W. Byers davon überzeugte, dass Rudolf bei einem künftigen Agentenaustausch mit den Sowjets noch von großem Nutzen sein könnte. Es war das Jahr 1957, und die ersten Agentenaustausche begannen erst drei Jahre später. Zumindest besaß Donovan Weitblick: Der U-2-Pilot Francis Gary Powers wurde 1960 über der Sowjetunion abgeschossen und 1962 (gegen Abel) ausgetauscht; Donovan handelte 1963 mit der kubanischen Regierung die Freilassung von über tausend Kommandosoldaten aus, die bei der fehlgeschlagenen Invasion in der Schweinebucht gefangen genommen worden waren; der amerikanische Student Marvin Makinen, der in der Sowjetunion als Geisel festgehalten wurde, wurde 1963 gegen zwei sowjetische Spione ausgetauscht; »Gordon Lonsdale« (in Wirklichkeit: Konon Molody) ein sowjetischer Spion in Großbritannien, wurde 1964 gegen den britischen Agenten Greville Wynne ausgetauscht. (Der Austausch von Agenten zwischen Ost und West ging bis 1986 weiter, drei Austausche fanden auf der Glienicker Brücke statt, die nahe dem damals ostdeutschen Potsdam, in einem stillen südlichen Winkel des amerikanischen Sektors im geteilten Berlin, über die Havel führt. Das Buch endet mit Donovans fesselnder Schilderung des Austauschs auf dieser Brücke, als Rudolf Abel die Grenze zur DDR überquerte, wo ihn der KGB mit offenen Armen erwartete, während der U-2-Pilot Gary Powers nach Hause zurückkehrte.)

Im Gefängnis von Atlanta malte Abel, pflegte Umgang mit anderen Gefangenen, lernte Siebdruck und stellte alljährlich eine große Anzahl von Weihnachtskarten her. Westlichen Bürgern, die in der Sowjetunion festgehalten wurden, wie etwa Powers, Pryor, Wynne und Makines erging es sehr viel schlechter. Sie verbrachten ihre Jahre der Gefangenschaft unter schwierigsten Bedingungen – mit Hungerrationen und bei ständiger psychischer und körperlicher Misshandlung – in dem unbeschreiblichen Gefangenenlager Wladimirowka nordöstlich von Moskau oder in den Verhörzellen der Lubjanka (KGB-Hauptquartier) oder auch im Butyrka- oder Lefortowo-Gefängnis im Zentrum von Moskau.

Fotos von der Verhaftung im Jahr 1957, die Rudolf Abel mit ausdruckloser Miene und einem Strohhut mit breitem weißen Band zeigen, wie er in Handschellen abgeführt wird, zeigen, gehören zu den sinnträchtigsten Bildern der Spionage im Kalten Krieg und der Sowjetära. Der Hollow Nickel Case mit seinen unscharfen Einmalblöcke, geringelten Mikrofilmstreifen und klobigen Kurzwellensendern vermittelt uns einen Blick zurück in die harte Welt der Spionage nach dem Krieg, die bevölkert war von komischen, wenig anziehenden Charakteren, die zweckdienliche Spionageausrüstung verwendeten, die uns heute überwiegend primitiv, zusammengestückelt und abgenutzt vorkommt. Und man malt sich aus, dass die behäbige Glienicker Brücke – aus genietetem Stahl und mit einer asphaltierten Fahrbahn – noch immer von Nebelschwaden eingehüllt ist, während ihr Gerippe von hinten von Lichtbogenlampen beschienen wird, die alles in ein gespenstisches Licht tauchen. Die Brücke der ­Spione.

Es ist eine traurige Tatsache, dass das Spionagespiel heute weitergeht, unabhängig davon, ob man die Prämisse akzeptiert, das ein neuer Kalter Krieg begonnen hat. Hohle Münzen und Mikropunkte und Einmalblöcke wurden von Laptops und Software mit 192-Bit-Verschlüsselung sowie moderner Stegano­graphie abgelöst.

Statt handgezeichneter Skizzen früher Atombombenentwürfe versuchen Geheimdienste heute das elektronische Finanzsystem eines Ziellandes detailgenau auszukundschaften oder seine Energiereserven zu ermessen oder Schwachstellen in seiner Cyberabwehr zu identifizieren. Satelliten und Drohnen lassen uns tiefer in feindliches Territorium hineinsehen. Aber all diese technischen Meisterleistungen können nicht die Pläne und Absichten ausländischer Staatslenker erraten, die skrupellos die Halbinsel Krim annektieren, oder von Mullahs, die unbedingt Kernwaffen entwickeln wollen, oder auch von Psychopathen, die sich mit dem Gedanken tragen, die Welt ins Chaos zu stürzen. Nur die nachrichtendienstliche Informationsgewinnung mit menschlichen Quellen kann dies leisten und Spione wie Rudolf Abel.

Donovans Einverständnis, die Verteidigung Abels zu übernehmen, und dies in einer Zeit, in der die Rote Angst andere prominente Anwälte dazu brachte, sich eilends in Sicherheit zu bringen, war ein Akt von höchstem Patriotismus; es war eine Bekräftigung des amerikanischen Rechtsstaates und von Fairness und Gerechtigkeit – Idealen, die in einer Sowjetunion, die feindliche Agenten einsetzte, um gegen die Vereinigten Staaten zu spionieren, unbekannt waren. Ungeachtet schriller Schlagzeilen in den Tageszeitungen wusste Donovan, was wichtig war.

Mit ausgehöhlten Münzen bewaffnete, einfache Männer und Frauen spielen in jeder Ära das Spiel, das sich seit Jahrhunderten nicht geändert hat: Sie stehlen heimlich Geheimnisse, und manchmal werden sie dabei erwischt. Dann mögen zwei Mitglieder dieser geheimnisumwitterten Bruderschaft im Nebel als Fremde auf einer Brücke aneinander vorbeigehen.

Jason Matthews

Strangers On A Bridge

Der Fall des Oberst Abel

James B. Donovan (Mit freundlicher Genehmigung von Louis Fabian Bachrach/Bachrach Studio)

Rudolf Iwanowitsch Abel (Mit freundlicher Genehmigung von World Wide Photos)

Einleitung

Im frühen Morgennebel waren wir durch das schlafende West-Berlin gefahren, um zu unserem Rendezvous, der Glienicker Brücke, zu gelangen. Nun befanden wir uns an unserem Ende des dunkelgrünen Stahlbogens, der in die Sowjetzone führt. Gegenüber lag Potsdam, auf einem Hügel zur Linken die Silhouette eines alten Schlosses. Zu beiden Seiten des Sees dicht mit Bäumen bestandene Parkanlagen. Das Wetter war kalt und klar an jenem Morgen des 10. Februar 1962.

Unter der Brücke, an unserem Ufer des Havelsees, angelten drei Berliner; von Zeit zu Zeit blickten sie neugierig auf. Ein paar weiße Schwäne segelten vorbei.

Am anderen Ende der Brücke, der im Jahre 1945 unsere GIs und russische Truppen ursprünglich den Namen einer »Friedensbrücke« gegeben hatten, konnten wir eine Gruppe von Männern mit dunklen Pelzkappen erkennen. Einer von ihnen, ein hoch gewachsener Mann, war Iwan A. Schischkin, ein sowjetischer Beamter in Ostberlin, mit dem ich über den Gefangenenaustausch verhandelt hatte, den drei Mächte jetzt abschließen sollten.

In Washington war es 3 Uhr morgens; im Weißen Haus brannte noch Licht. Präsident Kennedy wartete auf Nachricht. Die telefonische Verbindung Washington–Berlin war offen.

Amerikanische Militärpolizisten in Wettermänteln schritten auf unserer Seite der Glienicker Brücke auf und ab. In einer kleinen Wachthütte schlürften Westberliner Grenzpolizisten, denen man unerwartet befohlen hatte, ihre Posten an der Brücke zu verlassen, Kaffee aus Papierbechern. Sie schienen verwirrt und ein wenig eingeschüchtert. Ihre geladenen Karabiner lehnten in einer Ecke.

Zwei amerikanische Militärfahrzeuge hielten hinter uns. Rudolf I. Abel, hager und älter als seine zweiundsechzig Jahre anmutend, stieg aus, von stämmigen Wachtposten flankiert. Die Jahre der amerikanischen Gefangenschaft hatten ihn gezeichnet. Auch jetzt, im allerletzten Augenblick, bestätigte sich seine eingewurzelte Selbstdisziplin.

Rudolf Iwanowitsch Abel war ein Oberst der KGB, des sowjetischen Geheimdienstes. Die Vereinigten Staaten hielten Abel für den »ortsfesten Agenten«, der neun Jahre lang unentdeckt die Operationen des gesamten nordamerikanischen Spionagenetzes von einem Brooklyner Maleratelier aus geleitet hatte. Ein verkommener sowjetischer Unteragent hatte ihn im Juni 1957 verraten. Abel war vom FBI festgenommen, der »Verschwörung zum Zwecke militärischer und atomarer Spionage« angeklagt und abgeurteilt worden; ein Verbrechen, auf das die Todesstrafe stand.

Als Abel zum ersten Mal im August 1957 vor dem Bundesgericht erschienen war, hatte er von dem Richter verlangt, dass dieser ihm »einen von der zuständigen Anwaltsorganisation zu benennenden Anwalt« zur Verteidigung zuweisen solle. Ein Anwaltskomitee hatte mich als Pflichtverteidiger empfohlen. Nach vierjährigen Verhandlungen hatte der Oberste Gerichtshof der Vereinigten Staaten Abels Verurteilung mit fünf zu vier Stimmen bestätigt. Der Oberst hatte inzwischen begonnen, eine dreißigjährige Gefängnisstrafe im Zuchthaus von Atlanta zu verbüßen.

Als ihm am 15. November 1957 das Urteil gesprochen wurde, hatte ich unter anderem den Richter in aller Öffentlichkeit ersucht, von der Todesstrafe abzusehen, weil »es durchaus möglich sein konnte, dass in absehbarer Zeit ein Amerikaner gleichen Ranges von der Sowjetunion oder einem ihrer Alliierten gefangen genommen werden könnte. Zu einem solchen Zeitpunkt könnte ein Gefangenenaustausch auf diplomatischem Wege im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten liegen.« Nun war auf der Glienicker Brücke der Zeitpunkt gekommen, an dem ein solcher Austausch stattfinden sollte; er war ausgehandelt worden, nachdem, wie Präsident Kennedy mir später schrieb, »diplomatische Wege sich als nutzlos erwiesen hatten«.

Auf der gegenüberliegenden Seite der Brücke befand sich der amerikanische U-2-Pilot Francis Gary Powers. In einem anderen, entfernten Teil der Stadt, am »Checkpoint Charlie«, warteten die DDR-Behörden darauf, Frederic L. Pryor, einen amerikanischen Yale-Studenten, freizulassen. Er war im August 1961 in Ostberlin wegen angeblicher Spionage verhaftet worden, und die Behörden der DDR hatten öffentlich mit der Todesstrafe gedroht. Die Schlussfigur in diesem Schachspiel war ein junger Amerikaner, Marvin Makinen, Student an der Universität von Pennsylvania. Während Makinen in einem sow­jetischen Gefängnis in Kiew eine achtjährige Gefängnisstrafe verbüßte, hatte ich seitens der Russen, ohne dass er davon wusste, die Zusage seiner baldigen Freilassung erhalten.

Als ich die paar Schritte bis zur Mitte der Glienicker Brücke ging, die vorher genau festgelegte Zeremonie vollzog und zurückbrachte, was man mir jenseits der Berliner Mauer versprochen hatte, war ich am Ende eines langen Weges angelangt. Für einen Anwalt mit einer Privatpraxis war der Fall des Oberst Abel mehr als nur ein Rechtsfall geworden. Die juristische Aufgabe hatte unendlich viel Zeit verschlungen; die damit verbundene nichtjuristische Seite noch weit mehr.

Während der fünf Jahre, die Abel im Gefängnis zugebracht hatte, war ich sein einziger Besucher und Briefpartner in den Vereinigten Staaten gewesen. Der Oberst war ein einzigartiger, ein faszinierend kluger Mensch mit einem echten Wissensdurst, wie er jeden wahren Intellektuellen beseelt. Er sehnte sich nach kongenialer Gesellschaft, nach Gedankenaustausch. So war ihm einmal, als er sich noch im New Yorker Untersuchungsgefängnis befand, nichts weiter übrig geblieben, als einem Zellengenossen, einem fast analphabetischen Mafia-Totschläger, Französisch beizubringen.

Und so unterhielten wir beide uns denn, Abel und ich, und schrieben uns. Wir waren einer Meinung und nicht einer Meinung: über seinen Fall; über amerikanische Gerichtsbarkeit; das Weltgeschehen; über moderne Kunst; die Tiergesellschaft; die Wahrscheinlichkeitstheorie in der höheren Mathematik; über Kindererziehung; über Spionage und Abwehr; über die Einsamkeit aller Verfolgten; und auch darüber, ob er eingeäschert werden sollte, falls er im Gefängnis sterben würde. Das Ausmaß seiner Interessen war fast ebenso groß wie sein Wissen.

Gleich zu Anfang möchte ich hervorheben, worüber Abel stets geschwiegen hat. Nie hat er zugegeben, dass irgendwelche der ihm zur Last gelegten Handlungen aufgrund sowjetischen Befehls geschehen waren. Dies mag vielleicht unglaubwürdig erscheinen, entspricht jedoch der Wahrheit. Es wäre natürlich auch im Bereich des Möglichen gewesen, dass er ein KGB-Oberst war, der auf eigene Faust Spionage treiben wollte. Ich ging jedoch stets von der Annahme aus, dass die Beweise, die die Regierung der Vereinigten Staaten von der Schuld Abels – und der Schuld der Sowjets, die ihn beauftragt hatten – in Händen hielt, überwältigend waren. Die ganze Verteidigung beruhte auf dieser Annahme. Sie war auch ihm bekannt, er akzeptierte sie stillschweigend; ihre Richtigkeit hat er nie geleugnet. Selbst in unseren Unterredungen setzten wir sie als selbstverständlich voraus. Aber er hat sie nie ausdrücklich zugegeben, nicht einmal mir gegenüber.

Warum? Hielt er mich für naiv, für einen Gesinnungsgenossen oder einfach für inkonsequent? Keineswegs. Letzten Endes wäre ein solches Eingeständnis nicht nur völlig seinem Charakter zuwider gewesen, den er dreißig Jahre lang geschult hatte, sondern – und das war hier viel wesentlicher – es wäre für seine Verteidigung ohne jeden Nutzen gewesen. Und nur darum ging es uns beiden. Ich habe ihn einmal gefragt, wie er denn wirklich heiße. Er überlegte einen Augenblick und entgegnete mir dann: »Ist das für meine Verteidigung erforderlich?« Als ich dies verneinte, machte er eine ungeduldige Bewegung: »Also gut. Dann lassen Sie uns zur Sache kommen.«

Überdies hatte er von Anfang an das Paradoxe meiner Situation erfasst. Er hatte begriffen, dass ich, indem ich ihm eine ehrliche Verteidigung gewährte, dies aus der Überzeugung heraus tat, meinem Vaterland und meinem Beruf einen Dienst zu erweisen. Er sah ein, dass zwischen Kenntnissen, die dazu benötigt werden, seine Rechte wahrzunehmen, und anderen Informationen, die nichts mit seiner gerichtlichen Verteidigung zu tun hatten, die aber für die Gegenabwehr der Vereinigten Staaten von Wert sein könnten, ein Unterschied bestand. Und so übten wir beide Offenheit, die mit Vorsicht Hand in Hand ging.

Dieses einmalige Verhältnis zwischen einem Anwalt und seinem Mandanten hat mir außerordentlich dabei geholfen, die Chronik des Falles Abel niederzuschreiben. Mein berufliches Gewissen hätte mir keine Ruhe gelassen, wenn ich die Tatsache, dass Abel jetzt irgendwo hinter dem Eisernen Vorhang verschwunden ist, ausgenützt hätte. Er wusste, dass ich dieses Buch schreiben wollte, das ich im Jahre 1960, kurz nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs, begonnen hatte. In der Tat hatte er mir versichert, dass es ihm lieber wäre, ich schriebe diese Buch als »irgendein Journalist, der Dinge übertreiben und Tatsachen entstellen würde, nur um eine Sensation daraus zu machen«.

Selbst heute habe ich nicht die Absicht, seinen Glauben an mich zu erschüttern. Und auch diese Erklärung ist eigentlich unnötig, denn ich weiß von nichts, was man gegen ihn anführen könnte, wo immer er jetzt sein mag. Die gleichen Umstände, die einen Spion, der nichts verrät, in den Augen der Amerikaner so gefährlich erscheinen lassen, können in seinem Vaterland nur als Beweise seiner Loyalität gelten. Nathan Hale wurde zwar von den Engländern als Spion hingerichtet, wurde aber von ihnen respektiert; und auch wir verehren heute sein Andenken.

An dem Tag, an dem man mir Abels Verteidigung übergab, entschloss ich mich, Tagebuch zu führen. Drei Gründe waren für mich ausschlaggebend: Erstens ist ein Tagebuch in einem so komplizierten Fall eine gute Gedächtnisstütze; zweitens liegt in ihm eine Bestätigung meiner Motive, sollte mein Mandant zum Tode verurteilt und hingerichtet werden und sich der wenn auch noch so unbegründete Verdacht erheben, ich hätte meinem Mandanten keine ehrliche Verteidigung zuteilwerden lassen. Und schließlich ist ein solches Tagebuch eine persönliche Chronik über einen der faszinierendsten Gerichtsfälle seit meiner Zeit bei den Nürnberger Prozessen.

Aus diesen Aufzeichnungen – den von mir laufend gemachten Notizen, Briefen an und von Abel und seiner »Familie«, dem offiziellen Gerichtsprotokoll und schließlich den gekabelten Berichten für das Außenministerium über meinen Besuch in Ostberlin – ist dann dies Buch entstanden. Warum habe ich die Pflichtverteidigung angenommen? Was für ein Mensch war Abel? Warum hatte der Oberste Gerichtshof Abels Verurteilung bestätigt? Welche Gefühle beseelen einen Amerikaner, der ohne diplomatischen Status oder Immunität durch die Berliner Mauer geht, um mit den Sowjets zu verhandeln? Lag der endgültige Austausch auf der Glienicker Brücke im nationalen Interesse der Vereinigten Staaten? Alle diese und noch mehr Fragen lassen sich aus den Aufzeichnungen beantworten.

Als ich damals, im Jahre 1957, einmal allein abends dasaß, dachte ich an meine täglichen Zusammenkünfte mit Abel und schrieb in mein Tagebuch (heute erscheint es mir etwas gestelzt): »Wir beide sind zwei völlig verschiedene Menschen, die das Schicksal und das amerikanische Gesetz einander sehr nahe gebracht haben … in einem klassischen Rechtsfall, der eine klassische Bearbeitung verdient.«

1957

»The Abel Spy Trial« und »The United States Vs. Abel«, Kopien der Originallithographien von William Sharp. (Mit freundlicher Genehmigung von Dan McDermott und Ed Radzik bei Marshall Dennehey Warner Coleman & Goggin)

Montag, 19. August 1957

»Jim, du hast doch von dem russischen Spion gehört, den das FBI gerade geschnappt hat. Die Brooklyner Anwaltskammer schlägt dich als Verteidiger vor. Was meinst du dazu?«

Es war Ed Gross von unserer Anwaltsfirma, der mich aus New York anrief. Seine Stimme verriet mir, dass es eine schlechte Nachricht war. Ich legte den Hörer auf und wandte mich zu Mary, meiner Frau. Sie ließ sich auf dem Bettrand nieder. »Auch das noch!«, stöhnte sie müde.

Es war halb zehn Uhr morgens. Wir waren gerade in unserem Ferienhaus in Lake Placid, mitten im Adiron­dack-Gebirge, beim Kofferauspacken. Wir wollten zwei Wochen Urlaub machen; ein Prozess vor dem Obersten Gerichtshof von Wisconsin hatte den Ferienbeginn schon etwas hinausgezögert.

Mary war, wie alle Ehefrauen, überzeugt davon, ihr Mann habe sich in der letzten Zeit entschieden überanstrengt. Sie hatte sich auf unsere Ferien gefreut. Wir waren einander während unserer Studienzeit in Lake Placid begegnet und liebten beide die Adirondacks. Für einen Rechtsanwalt aus der Großstadt konnte es einen idealeren Fleck zum Ausspannen kaum geben.

Ed Gross hatte mir erzählt, die Anwaltskammer von Brooklyn wolle mir die Verteidigung des wegen Spionage angeklagten Obersts Rudolf Iwanowitsch Abel übertragen. Die Wahl verdankte ich meinem Brooklyner Nachbarn, Lynn Goodenough, dem Vorsitzenden des Ausschusses. Vor mehr als zehn Jahren hatte Goodenough einen Vortrag über die Nürnberger Prozesse angehört, den ich vor einer Gruppe konservativer Rechtsanwälte aus Brooklyn gehalten hatte und unter denen auch einige prominente Deutsch-Amerikaner waren. Goodenough hatte meinem Kompagnon erzählt, die Schlussdebatte sei damals recht hitzig gewesen, und er meinte, ich sei jedenfalls für meine Überzeugung eingetreten.

Vor fast zwei Wochen hatte ich in der Zeitung gelesen, dass die Grand Jury von Brooklyn Anklage gegen Abel erhoben hatte. Die Boulevardpresse hatte Abel als den sensationellen »Meisterspion« und angeblichen Chef des gesamten russischen Spionagenetzes in den Vereinigten Staaten beschrieben.

Ich verließ unser Ferienhäuschen, um einen Spaziergang zu machen. Etwas später saß ich mit meinem Kollegen Ed Hanrahan, der auch gerade Urlaub machte, bei einer Tasse Kaffee. Er war früher Vorsitzender des Devisen- und Kredithilfeausschusses gewesen, und ich schätzte sein Urteil. Wir besprachen die Angelegenheit gründlich.

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