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- Wie kann Strategiearbeit den komplexen Ansprüchen an die Unternehmensführung von heute gerecht werden? - Wie lassen sich systemisches Denken und agile Strategieentwicklung miteinander verbinden? - Wie gelangen Unternehmen vom bloßen Reagieren zur gelingenden Antwort auf Chancen? - Ihr exklusiver Vorteil: E-Book inklusive beim Kauf des gedruckten Buches Strategie dient dazu, ein Unternehmen überlebensfähig zu halten, was auch immer geschieht. Um diese „Business Agility“ zu erreichen, muss Strategie die Zusammenarbeit aller Beteiligten fördern, denn Unternehmen sind erfolgreich, wenn die Menschen in der Organisation effektiv zusammenwirken. Für diese Kaskade von Entscheidungen brauchen wir moderne Instrumente und Denkweisen, die Strategie durch kommunikationsfördernde Methoden aus dem Elfenbeinturm der langwierigen und manchmal realitätsfremden Planung holen. Heute zählt, Optionen geschickt und rasch zu nutzen und gelingende Antworten auf die Veränderungen im Außen zu finden. Boris Gloger zeigt in diesem Buch, wie Strategie zur Gestaltung der Zukunft im Jetzt wird. Er befreit die Strategiearbeit aus dem mechanistischen Weltbild einfacher Ursachen und Wirkungen und zeigt, wie sie zum Bestandteil eines Führungsalltags werden kann, der Neues laufend integriert. Dazu stellt er die Strategiearbeit auf systemische Grundlagen und verbindet sie mit Werkzeugen wie V2MOM, OKRs, Futures Thinking und Wardley Maps. Deren iterativer Charakter macht es möglich, strategische Entscheidungen immer wieder frisch zu bewerten und umgehend in die Organisation zu kommunizieren. In Verbindung mit einem neuen Führungsverständnis können so antifragile Organisationen entstehen, die nicht nur überleben, sondern an Unsicherheiten wachsen. AUS DEM INHALT // - Das Ende eines Weltbilds - Warum das mechanistische Strategieverständnis nirgends hinführt - Strategie als systemische Disziplin - Vom starren Plan zum Nutzen und Schaffen von Optionen - Gelingende Führung in der Strategiearbeit - Wie Unternehmen das unendliche Spiel spielen - Tools für den Ausbruch aus dem mechanistischen Strategie-Paradigma
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Seitenzahl: 417
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Boris Gloger
Strategie als Praxis
Business-Agilität und Resilienzdurch konsequentes Handeln im Jetzt
Print-ISBN: 978-3-446-48353-8E-Book-ISBN: 978-3-446-48375-0Epub-ISBN: 978-3-446-48469-6
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© 2025 Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München Kolbergerstraße 22 | 81 679 München | [email protected]: Brigitte Bauer-Schiewek, Kristin Rothe Redaktion: Dolores Omann, Ternitz, www.doloresomann.comIllustrationen: Karin Hofmann, www.karinhofmann.comCopy editing: Petra Kienle, Fürstenfeldbruck Coverkonzept: Marc Müller-Bremer, www.rebranding.de, München Covergestaltung: Thomas West Titelmotiv: © Boris Gloger / Thomas West / KI-generiert Satz: le-tex publishing services GmbH, Leipzig
Strategiebücher haben bei mir den Ruf, theoretisch, abstrakt und wenig praxisnah zu sein. „Strategie als Praxis“ von Boris Gloger stellt eine bemerkenswerte Ausnahme dar.
Als ich das Vorabexemplar erhielt, war ich neugierig. Schon nach den ersten Seiten wurde klar: Boris Gloger verfolgt einen einzigartigen, praxisorientierten Ansatz. Durch seine konsequente Ich-Perspektive schafft er eine direkte Verbindung zur Leserschaft. Sein Schreibstil ist klar, prägnant und authentisch – wer ihn kennt, hört ihn beim Lesen regelrecht sprechen.
Das Buch spannt einen weiten inhaltlichen Bogen – von den philosophischen Grundlagen René Descartes‘ („cogito ergo sum“) bis hin zu den strategischen Prinzipien moderner Unternehmensführung, exemplifiziert durch Microsoft-CEO Satya Nadella. Im Mittelpunkt steht die Idee, dass Organisationen aus Konversationen bestehen und dass Strategie nicht als einmaliger Plan, sondern als dynamischer, fortlaufender Prozess verstanden und gestaltet werden sollte.
Boris stellt klar heraus, dass erfolgreiche Strategiearbeit nicht in isolierten Konzeptpapieren entsteht, sondern in der aktiven Gestaltung von Unternehmensrealitäten. Seine Argumentation ist fundiert und praxisnah, unterstützt durch zahlreiche anschauliche Beispiele und unmittelbar umsetzbare Handlungsempfehlungen.
Für Fach- und Führungskräfte, die Strategie als lebendigen Prozess begreifen und direkt in ihrer Organisation anwenden möchten, ist dieses Buch ein wertvoller Begleiter. „Strategie als Praxis“ bietet tiefgehende Einblicke und einen pragmatischen Ansatz, der den aktuellen Herausforderungen moderner Unternehmensführung gerecht wird.
Eric-Jan Kaak, Ehem. Global CIO – Innovation Lead, Flow Master und notorischer Tool-Skeptiker
Wer noch daran zweifelt, dass Strategiearbeit agiler werden muss, sollte dieses Buch zur Hand nehmen. Boris Gloger erläutert, warum Strategiearbeit in unserer zunehmend VUCA-artige Welt dem Grundsatz „Doing as a way of thinking!“ folgen sollte und liefert Ansätze sowie konkrete Tools für den Ausbruch aus einem mechanistischen Weltbild. Absolut lesenswert!
Prof. Dr. Thorsten Petry, Lehrstuhl für Unternehmensführung, Studiengang Media Management, Hochschule RheinMain
„Nichts ist so beständig wie die Lageänderung.“ Dieser Satz wurde lange Zeit mit einem Lächeln ausgesprochen, doch heute ist er zu einem unverzichtbaren Mindset für Führungskräfte geworden, die zeitgemäß führen möchten. Die tägliche Strategiearbeit als Führungsaufgabe zu verstehen, stellt für viele einen Paradigmenwechsel dar, der das Erlernen neuer Ansätze und die Bereitschaft zur Veränderung erfordert. Dies ist oft eine anspruchsvolle, manchmal sogar sehr herausfordernde Arbeit an sich selbst.
In seinem Buch „Strategie als Praxis“ präsentiert Boris Gloger die notwendigen Methoden, Werte und Werkzeuge und erklärt diese auf unterhaltsame Weise. Ich empfehle dieses Buch daher jeder Führungskraft, die vor der Herausforderung steht, ihre Mitarbeitenden im Hier und Jetzt zu führen.
Constantin Hoya, Agile Organization, Global – Olympus Corporation Director
Inspirierend und motivierend! Das Buch bringt meine Erfahrungen der letzten Jahre mit den Anforderungen an Manager:innen präzise auf den Punkt. Es bietet einen guten Überblick über Umsetzungsstrategien und zeigt, wie wichtig Erfahrungswissen und „Machen“ beim Paradigmenwechsel ist. Besonders gelungen: die fundierte, kurzweilige Darstellung der Evolution von Strategiearbeit und die kritische Würdigung moderner Change-Management-Methoden. Absolut lesenswert!
Ssonja Peter, Unternehmensstrategin, vormals Geschäftsleitung GLS Bank
Boris Gloger schafft es mit Strategie als Praxis, Strategieentwicklung greifbar und vor allem anwendbar zu machen. Sein Buch ist kein weiterer typischer Managementratgeber voller abstrakter Konzepte, sondern eine inspirierende Einladung, Strategie als gelebten Prozess zu verstehen. Statt abstrakter Theorien bietet er einen praxisnahen Ansatz, der zeigt, dass Strategie nicht auf PowerPoint-Folien existiert, sondern im täglichen Handeln entsteht. Man spürt in jeder Zeile, dass Gloger nicht nur über Strategie spricht, sondern sie selbst lebt.
Mit einer gelungenen Mischung aus fundierten Methoden, inspirierenden Beispielen und persönlichen Erfahrungen vermittelt er, worauf es wirklich ankommt: Strategie erfordert den Mut, in unsicheren Zeiten Entscheidungen zu treffen. Erfolgreiche Unternehmen sind nicht die, die am besten planen und absichern, sondern die, die am schnellsten und klügsten handeln.
Besonders spannend ist sein Blick auf Führung: Statt Kontrolle und Mikromanagement betont er die Bedeutung von Vertrauen, Selbstorganisation und einer Kultur, die Innovation und Verantwortung ermöglicht. Führungskräfte sollten weniger als Planer:innen und mehr als Möglichmacher:innen agieren – eine Botschaft, die in der heutigen Welt relevanter ist denn je.
Dieses Buch ist ein wertvoller Begleiter für alle, die sich fragen: Wie können wir unser Unternehmen nicht nur stabil halten, sondern es gemeinsam mit unseren Mitarbeitenden in eine erfolgreiche Zukunft führen? Eine inspirierende und zugleich praxisnahe Lektüre – für Führungskräfte, Strateg:innen und alle, die Wandel aktiv gestalten wollen.
Dagmar Hebenstreit, agileus consulting
Strategie als Praxis ist ein inspirierender Praxisleitfaden, der die Schwächen traditioneller, linearer Strategieansätze aufzeigt und durch pragmatische, kreative und systemische Methoden ersetzt. Bedeutsam finde ich die Aussage: „Strategie lebt von Entscheidungen, die wirksam sind.“ Diesen Dreiklang für sein eigenes Handeln ableiten zu können, kann wie ein Kompass sein. Erzielen unsere Strategien und Entscheidungen die „Wirksamkeit“, die wir uns wünschen? Boris verbindet Theorie, Praxis und Beispiele zu einem ganzheitlichen Ansatz, der Führungskräften hilft, aus alten Denkschleifen auszubrechen und zukunftsfähige Antworten zu finden. Dieses Buch empfehle ich allen, die Verantwortung für eine nachhaltige Entwicklung für ihre Organisation übernehmen wollen – es bietet wertvolle Impulse für eine positive Entwicklung unseres Planeten.
Dirk Kannacher, Mensch im Vorstand der GLS Gemeinschaftsbank
Stimmen zum Buch
Vorwort
Über den Autor
Teil 1: Strategie neu definiert
1 Das Ende eines Weltbilds
1.1 Wie wir Strategie heute verstehen können
1.2 Strategie ist Wandel
2 Warum Organisationen keine Uhrwerke sind – Strategie als systemische Disziplin
2.1 Die Organisation als System aus Konversationen
2.2 Das Management von Kommunikationen
3 Strategie als das Nutzen und Schaffen von Optionen
3.1 Antifragilität
3.2 Long Gamma und die vier Felder der potenzialorientierten Strategieentwicklung
3.3 Unternehmerisches Denken im Umgang mit Risiken
4 Vom endlichen zum unendlichen Spiel
4.1 Business Agility
4.2 Fokus und Flow
4.3 Agile Management-Frameworks als Weg durch die Komplexität
5 Prinzipien des agilen Arbeitens
5.1 Scrum: Das Herzstück der agilen Produktentwicklung
5.2 Design Thinking: Innovation durch Empathie, Kreativität und divers zusammengesetzte Teams
5.3 Objectives and Key Results (OKR): Ziele klar definieren und erreichen
5.4 Lean Startup: Schnell und effizient testen und lernen
6 Die wichtigsten Lektionen des Change-Managements für die Strategieentwicklung
6.1 Appreciative Inquiry
6.2 Die acht Schritte der Veränderung nach John P. Kotter
6.3 Virginia Satir: Die Rolle der Emotionen
6.4 Revolution von oben – das Topmanagement
6.5 Die Bedeutung des Sense of Urgency
7 Strategie braucht (gelingende) Führung
8 Tools für den Ausbruch aus dem mechanistischen Weltbild
8.1 V2MOM
8.1.1 Vision – was willst du erreichen?
8.1.2 Werte – was ist dir wichtig?
8.1.3 Methoden – wie gelangst du an dein Ziel?
8.1.4 Hindernisse – was hindert dich am Erfolg?
8.1.5 Messungen – wie weißt du, dass du es erreicht hast?
8.2 OKRs: Der Fokus bringt den Erfolg
8.2.1 Die Prinzipien von OKRs
8.2.2 Der Prozess – die ersten Schritte machen
8.2.3 OKRs als Mittel für den Dialog
Teil 2: Strategie ist Ausführung
9 Opportunitäten und Szenarien
9.1 Zuhören
9.2 Agile Innovation Sprints
9.3 Exkurs: Annahmen als Grundlagen von Entscheidungen
9.4 Wardley Maps
9.5 Futures Thinking
9.5.1 Prepare – die Ausschau nach Signalen
9.5.2 Foresight – Ideen generieren
9.5.3 Insights – Szenarien formulieren
9.5.4 Action – Maßnahmen ableiten
10 Die Realität beobachten und managen
10.1 ABCD-Riskmanagement
10.2 Entscheiden – die vergessene Kunst
10.2.1 Extreme Programming und Test Driven Development
10.2.2 Der Mut, für etwas zu stehen
10.2.3 Der Mut, loszulassen
10.3 Strategische Führung nach innen
10.3.1 Die Identität der Führungskraft
10.3.2 Die Fähigkeiten der strategischen Führung
10.4 Die Zukunft der Führungskraft
11 Epilog: Die Zukunft der Strategieentwicklung
Literatur
Recife, Brasilien. Ich sitze dem CEO eines großen Softwareunternehmens gegenüber. Wir sitzen in einem kleinen Raum, die Klimaanlage kühlt so sehr, dass es mich fröstelt. Ich erkläre ihm die Grundlagen des agilen Arbeitens. Er hört mir aufmerksam zu, macht sich Notizen, dann schreibt er plötzlich einen Satz auf ein A4-Blatt: „Doing as a way of thinking!“ Ich frage ihn, ob ich diesen Satz nutzen darf. „Sicher, du hast das gerade selbst gesagt, ich habe es nur aufgeschrieben“, antwortet er. Erst da wird mir bewusst, wie tief dieses Prinzip in mir verankert ist. Für mich ist „das Machen“ nicht einfach eine Tätigkeit, sondern eine Denkhaltung: Manchmal erkennt man erst durch das Handeln, ob eine Idee trägt. Das Denken wird im Tun geschärft.
Doch dieses „Tun“ ist nur ein Teil meiner Motivation. Das zweite zentrale Prinzip in meinem Leben ist der Blick in die Zukunft. Ich war schon immer eine Art Futurist: Seit meiner Jugend fasziniert mich Science-Fiction. Geschichten von Autor:innen wie Isaac Asimov oder Robert A. Heinlein haben mich gelehrt, dass unsere Welt in ständiger Veränderung ist und dass wir uns darauf einstellen müssen. Mehr noch: Gerade, weil der Wandel so schnell und so tiefgreifend abläuft, sehe ich es als meine Aufgabe, Entwicklungen wie Puzzleteile zusammenzufügen, um ein möglichst klares Bild davon zu gewinnen, was als Nächstes auf uns zukommt.
Das Ausmaß dieser Veränderungen spüre ich persönlich als Unternehmer. Die Frage, wie eine Strategie in Zeiten sich rasant ändernder Markt- und Gesellschaftsbedingungen erfolgreich umgesetzt werden kann, beschäftigt mich nicht nur in der Theorie, sondern in der konkreten Praxis. Ein aktuelles Beispiel: Durch Krisen wie die Pandemie oder wirtschaftliche Umbrüche ausgelöste Veränderungen stellen viele Geschäftsmodelle infrage. Ökonomen wie Adam Tooze in „Crashed“ weisen immer wieder darauf hin, wie stark die globale Vernetzung alle Ebenen eines Unternehmens beeinflusst. Das ist der Grund, weshalb das Topmanagement, die Führungsetagen und Strategieabteilungen die besten Wege und Optionen finden müssen, um Unternehmen zukunftsfähig zu halten und sie antifragiler zu machen.
Ich glaube fest daran, dass wir in dieser High-Speed-Welt die Zukunft nicht einfach passieren lassen sollten. Als Georg Wilhelm Friedrich Hegel einst sagte, dass Freiheit die Einsicht in die Notwendigkeit sei, meinte er damit das aktive Mitgestalten. Mich treibt die Frage um, wie wir Unternehmen so führen können, dass auf Veränderungen nicht nur reagiert wird. Das bedeutet für mich, Zukunft nicht zu erleiden, sondern sie zu machen.
Wie in meinen anderen Büchern zeige ich, dass Sachverhalte sehr einfach sein können, wenn man die Sichtweise ändert. Verändert man die Paradigmen, dann wird aus dem scheinbar schwer beherrschbaren Thema Strategie das Gegenteil. Dieses Buch ist mein Versuch, Unternehmenslenker:innen, Strateg:innen und all jenen, die Organisationen in die Zukunft führen müssen, einfache und damit nutzbare Tools an die Hand zu geben, die Strategie zu einem integralen Bestandteil der Unternehmensführung machen, und nicht zu einem „Add-on“.
Ich denke, wir brauchen diesen neuen Ansatz, weil uns die gegenwärtigen Ereignisse oft überrollen. Wir brauchen Klarheit und einen praktischen Ansatz, damit wir die nächsten Monate und Jahre möglichst zielgerichtet gestalten können. Es geht darum, auf Kurs zu bleiben und gleichzeitig offen für Neues zu sein, während wir den Menschen, mit denen wir innerhalb und außerhalb unserer Unternehmen zusammenarbeiten, in der Unsicherheit so viel Sicherheit wie möglich geben.
Eine Warnung vorweg: Ich habe kein Buch der fertigen Rezepte geschrieben. Stattdessen verbinde ich verschiedene Perspektiven zu einem Ganzen: kulturelle Aspekte, Managementlehren, agile Vorgehensweisen, strategische Tools. Das soll dabei helfen, Strategie als „Way of Doing“, also als Praxis, zu verstehen und umzusetzen. Darin sehe ich den Schlüssel zum Erfolg: Alle großen Ideen dieser Welt sind nur dann von Wert, wenn sie in konkretes Handeln münden.
Mein Dank gilt Menschen, die dieses Buch möglich gemacht haben: Dolores Omann, die mir mit ihrer Redaktionsarbeit und ihren Fragen geholfen hat, den Text klarer zu fassen. Karin Hofmann, die mit ihrer Kunst des Graphic Recordings wesentliche Inhalte bildhaft auf den Punkt bringt. Dem Carl Hanser Verlag, insbesondere dem Team um Brigitte Bauer-Schiewek, das die Idee sofort verstanden und ermöglicht hat, das Buch in kurzer Zeit umzusetzen.
Und natürlich danke ich meiner Frau Kathrin und unseren Kindern, die mir Rückhalt geben, wenn ich zwischen Unternehmeralltag und Schreibarbeit ständig neue Ideen entwickle und umsetze.
Ich möchte mit einem Gedanken von Friedrich Nietzsche schließen, der mich immer wieder daran erinnert, dass der Glaube an die Zukunft und aktives Handeln Hand in Hand gehen: „Die Zukunft gehört denen, die sie am stärksten herbeisehnen – und herbeiholen.“
In diesem Sinne lade ich Sie ein, sich auf meine Ideen einzulassen, sich inspirieren zu lassen und zugleich aktiv ins Tun zu kommen. Lassen Sie uns die Zukunft nicht bloß denken, sondern formen.
Moosbrunn bei Wien, Januar 2025
Boris Gloger
Foto: Salome Rössler
Boris Gloger ist seit 20 Jahren einer der progressivsten Denker im Bereich Management und Organisation im deutschsprachigen Raum und ein gefragter Vortragender auf Managementkonferenzen. Er war 2004 der weltweit erste zertifizierte Scrum-Trainer und hat die Methode in Deutschland und Österreich populär gemacht. Durch die Arbeit mit namhaften Unternehmen aus allen Sektoren hat Gloger die Methode zu einem agilen Management- und Führungssystem weiterentwickelt, das heute dabei hilft, den Herausforderungen volatiler Märkte zu begegnen.
Folgende Bücher von Boris Gloger sind im Carl Hanser Verlag erschienen:
Agile Entrepreneurship. Zukunftsfähige Unternehmen gründen und aufbauen. Carl Hanser Verlag 2024.
From teaching to learning. Mit Scrum4Schools Lernen und Unterricht verbinden. Carl Hanser Verlag 2024.
Der agile Festpreis. Leitfaden für wirklich erfolgreiche IT-Projekt-Verträge. 4., überarb. Aufl., Carl Hanser Verlag, 2023.
Selbstorganisation braucht Führung. Die einfachen Geheimnisse agilen Managements. 3., überarb. Aufl., Carl Hanser Verlag, 2022.
Scrum. Produkte zuverlässig und schnell entwickeln. 5., überarb. Aufl., Carl Hanser Verlag, 2016.
Wie schätzt man in agilen Projekten – oder wieso Scrum-Projekte erfolgreicher sind. Carl Hanser Verlag, 2014.
Erfolgreich mit Scrum: Einflussfaktor Personalmanagement. Finden und Binden von Mitarbeitern in agilen Unternehmen. Carl Hanser Verlag, 2011.
Kontakt: [email protected]
1700 Kilometer und 22 000 Höhenmeter über Feldwege, Berge, Sand, Felsen und Wälder lagen vor mir. 18 Monate hatte ich auf diesen Tag hintrainiert: Jeden Sonntag war ich um vier Uhr morgens aufgestanden, um durch die Kälte zu radeln. Ich hatte gefroren und geschwitzt, war Berge hinaufgetreten und völlig außer Atem oben angekommen. Jede Woche war ich rund zwölf Stunden auf dem Fahrrad gesessen, war mit dem Rad zur Arbeit nach Wien gefahren und hatte Hunderte Stunden an Videokonferenzen im Radsattel abgehalten. Die nächsten zwölf Tage der Bikepacking Trans Germany 2020 sollten mich an meine körperlichen Belastungsgrenzen bringen, so wie ich es nie zuvor erlebt hatte. Ich wusste im Vorhinein, was meine Frau danach zu mir sagen würde: „Du hast es dir wieder einmal zu einfach vorgestellt.“ Naiv hatte ich geglaubt, bestens vorbereitet zu sein, denn schließlich hatte ich viel Geld in die Ausrüstung gesteckt – Optimierung war meine Devise! Und dann kam alles anders als gedacht.
Doch das Motto der Bikepacking-Community – „Eat, Sleep, Cycle, Repeat“ – trug mich bis zum Ziel. Den Plan, das Ganze locker in acht Tagen zu fahren, konnte ich allerdings schon nach den ersten zwei Stunden des Rennens aufgeben. Meine Bremse war defekt, die Hydraulikflüssigkeit war ausgelaufen. Sonntags war an eine professionelle Reparatur nicht zu denken. Die Ironie: Ich strampelte tatsächlich am Werk von Deutschlands Nr. 1 für Fahrradbremsen – Magura – vorbei, doch das nützt nichts, wenn die Bremsen hinter verschlossenen Türen lagern. Mit nur einer Bremse und auf einem Umweg von 40 Kilometern fuhr ich tags darauf zum nächsten Radgeschäft. Drei Stunden dauerte die Reparatur. Endlich, nach 240 gefahrenen Kilometern kam ich am Abend am ersten Etappenziel an: auf der Spitze des 913 Meter hohen Zeller Horns. Um 22.00 Uhr schlug ich mein Zelt auf, nur um gegen 1.00 Uhr in Eiseskälte wieder aufzuwachen, alles zusammenzupacken und bis 5.00 Uhr den Berg im Dunkeln über Stock und Stein wieder hinunterzufahren. Es war so kalt. Nichts lief so, wie ich es geplant hatte.
Das soll kein Buch über die Welt des Bikepacking werden, aber dieses Beispiel zeigt, was oft genug passiert: Selbst der beste Plan überlebt den Kontakt mit der Realität nicht. In meinem Fall hatte der Plan nicht einmal zwei Stunden gehalten. Sofort musste ich iterativ und inkrementell, von Tag zu Tag, von Stunde zu Stunde, mit dem Ziel im Blick innerhalb der gesteckten Rahmenbedingungen vorankommen. Eat, Sleep, Cycle, Repeat – dieses Mantra gilt für die Strategie eines Unternehmens in abgewandelter Form: strategize, execute, review, repeat.
Dieser Ablauf hat mich die letzten 30 Jahre meines beruflichen und privaten Lebens begleitet. Zunächst als Deming Cycle, dann als Scrum Flow, später wurde es zu meiner Lebensphilosophie. Wenn ich recht überlege, trug mich dieses Prinzip bereits als Schüler, doch meine Eltern taten meine Überlegungen oft mit dem Spruch „Probieren geht über studieren“ ab. Damals brachte mich das aus dem Grübeln und Analysieren heraus. Erst in den letzten 15 Jahren wurde deutlich, dass es einmal die Grundlage meiner Überlegungen zur Strategiearbeit in Unternehmen sein würde. Mein eigenes Unternehmen, borisgloger consulting, war gerade einmal ein Zehntel so groß wie die Strategieabteilung der Daimler-Gruppe, die bei uns anfragte, was Agilität sei. Doch es war völlig klar: Wir mussten darüber nachdenken, wie Strategie agil geht. Die Antwort ist so einfach wie klar, und doch so komplex: iterativ und inkrementell, immer wieder. Die Praxis ist die Strategie, und damit wäre ja alles gesagt. Es gilt das Gleiche, was über Scrum immer wieder gesagt wurde: Es ist „simple, but very hard“.
„Hard“ ist das Entwickeln und Umsetzen von Strategien sowie das Erreichen der Ziele nicht deshalb, weil die verfügbaren Instrumente dafür so schwer zu handhaben wären – ganz im Gegenteil. Die agilen Tools, die ich in diesem Buch vorstellen werde, sind so einfach, dass es fast lächerlich ist, darüber zu sprechen. Doch sie zu nutzen und die Praxis zur Strategie zu machen, hält man nur durch, wenn man mit vielen der Konzepte bricht, die Manager:innen im Rahmen ihrer Ausbildung und in Unternehmen gelernt haben.
Ich nenne das einen Paradigmenwechsel, da kommt wieder der Philosoph in mir durch. Um zu verstehen, was dieses Umdenken tatsächlich bedeutet, wie es dazu führen kann, dass wir Strategie sowie deren Entwicklung und Umsetzung gänzlich anders verstehen, und warum das gleichzeitig so schwer ist, hilft vielleicht ein Blick in die Geschichte der Philosophie und Physik.
Im sanften Licht des Frühsommers 1543 lag Nikolaus Kopernikus in Frauenburg, Nordpolen, auf seinem Sterbebett. Umgeben von astronomischen Instrumenten und Manuskripten hielt er sein Lebenswerk in den Händen: das frisch gedruckte „De revolutionibus orbium coelestium“.
Während Europa im Wandel war – die Renaissance entfaltete sich, Martin Luther stellte die Kirche infrage und Konquistadoren eroberten die Neue Welt – hatte Kopernikus still an seiner revolutionären Theorie gearbeitet. Als junger Mann hatte er in Italien nicht nur Kirchenrecht und Medizin studiert, sondern auch den Nachthimmel erforscht. Zurück in seiner Heimat beobachtete er jahrelang die Planeten und erkannte schließlich, dass nicht die Erde, sondern die Sonne im Zentrum des Universums stehen musste.
Für einen Kirchenmann war diese Erkenntnis erschütternd. Jahrzehntelang hatte er gezögert, seine Theorie zu veröffentlichen, aus Angst vor Kontroversen und Verrat an seiner Kirche. Doch nun, am Ende seines Lebens, fühlte er Ruhe. Er hatte das Unvorstellbare gedacht und gewagt, es der Welt mitzuteilen.
Sein Buch sollte die Welt für immer verändern. Obwohl es von der Kirche zeitweise verboten und erst ein Jahrhundert später vollständig anerkannt wurde, brachte es die Trennung von Wissenschaft und Kirche ins Rollen. Dass Kopernikus so lange gezögert hatte, zeigt uns, dass wahre Innovation nie einfach ist. Sie ist riskant und herausfordernd, aber genau darin liegt ihr unschätzbarer Wert.
In der heutigen Geschäftswelt stehen wir vor ähnlichen Herausforderungen. Wir müssen bereit sein, unsere eigenen kopernikanischen Wenden zu vollziehen. Führungskräfte brauchen den Mut, das Undenkbare zu denken und das scheinbar Unmögliche zu wagen. Das beginnt damit, Unternehmen anders zu definieren, Wandel zur Regel zu machen und Organisationen als Gestalterinnen der Zukunft zu betrachten. Doch für diesen Wandel muss sich zunächst die Einstellung zu der Frage ändern, was Strategie überhaupt ist und wie Strategien inhaltlich kommuniziert und schließlich ausgeführt werden können.
Daher werden wir in diesem Buch Tools und Methoden wie V2MOM, OKRs, Wardley Maps und Futures Thinking erkunden. Wir werden sehen, wie Organisationen entstehen können, die nicht nur resilient, sondern antifragil sind und deshalb von Veränderung und Unsicherheit profitieren, statt sich davor zu fürchten. Wir werden sehen, dass echte Innovation, ob in der Wissenschaft oder in der Geschäftswelt, immer mit Wandel zu tun hat. Und Wandel, wie Kopernikus uns lehrt, erfordert Mut und nicht zuletzt eine neue Form der Führung.
Ich mute Ihnen mit diesem Buch einiges zu, denn ich kombiniere meine Erfahrungen aus zwanzig Jahren agilem Management, Entrepreneurship, Organisationsentwicklung und systemischem Denken in einem Vorgehensmodell, das Sie dabei unterstützen wird, Ihre Organisation resilient und antifragil aufzustellen. Mit diesem Buch will ich Ihnen helfen, wieder die Chancen im Hier und Jetzt zu sehen. Immer wieder fällt mir nämlich auf, dass Unternehmer:innen und Topmanager:innen in einem dichten Nebel aus alten Vorstellungen, neuen Technologien, tagesaktuellen Anforderungen, Globalisierungsdiskussionen, Lieferengpässen und Fragen zur Umsetzung von Strategien und Projekten gefangen sind.
Plötzlich sollen Organisationen agil gesteuert und geführt werden, obwohl die Kolleg:innen oft schon mit simplen Metriken für die Zielerreichung nicht klar kommen. Technologisch müssen Management und Führung ebenso auf dem neuesten Stand sein: Claude.ai, ChatGPT, Sora, Gamma, Social Media – auch das soll man alles beherrschen. Seth Godin ist der Meinung, dass Führungskräfte die neuen AI-Tools jeden Tag mindestens 30 Minuten nutzen sollen, während die Stakeholder gleichzeitig verlangen, dass die Geschäftsmodelle regenerativ umgebaut werden. Da beruhigt es nicht gerade, wenn Zukunftsforscher:innen wie Amy Webb davon sprechen, dass es gegenwärtig nicht einen wichtigen Trend gibt, sondern gleich mehrere Dutzend Trends.1) Im Gegensatz dazu meint der Marketingprofessor Scott Galloway, dass nicht AI der alles bestimmende Trend sei, sondern GLP-1-Antagonisten wie Ozempic die Wirtschaft fundamental verändern werden. Wem soll man glauben, wer hat die korrekte Idee für die Zukunft? Nebenbei sollen noch die Diversität im Unternehmen gefördert, der Fachkräftemangel bekämpft und frische Initiativen angeschoben werden. Freilich darf das alles den Wohlstand nicht gefährden: Die Löhne sollen steigen, die Arbeitsbelastung sinken und die Gewinne für die Stakeholder hoch genug bleiben. Während in Management-Magazinen viel und gerne über disruptive Geschäftsmodelle geschrieben wird, sind die Mitarbeiter:innen froh, wenn sie genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Und auch die Kund:innen wollen am liebsten immer das Gleiche, allerdings zu günstigeren Preisen, die auf magische Weise mit höheren Erträgen zusammenpassen sollen. Wie kann man sich da ohne klar erkennbaren Leuchtturm noch zurechtfinden?
In dieser Situation hilft es, auf das zu schauen, was uns in diesen Nebel geführt hat. Der Neurobiologe Gerald Hüther sagt treffend: Der Erfolg der Industrialisierung hat uns an diesen Punkt gebracht. Ihre Logik aus Arbeitsteilung und Wachstum hat Probleme erzeugt, die mit den Mitteln der Industrialisierung und ihren Wirklogiken nicht mehr zu lösen sind (vgl. Hüther 2019). Nimmt man diese Aussage ernst, dann müssen jene Annahmen, auf denen alle Überlegungen bisher fußten, noch einmal gründlich überdacht werden. Das führt zu der Erkenntnis, dass die Managementmodelle, die am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sind, zwar erfolgreich waren, aber uns unter den heutigen Gegebenheiten vor Probleme stellen, die wir mit neuen Mitteln lösen müssen. Einerseits ist das traditionelle Verständnis über Organisationen falsch und andererseits müssen Management und Führungsmethoden neu eingeordnet werden. Wenn Teams remote geführt und AI-Bots als „Mitarbeitende“ integriert werden müssen, entstehen dadurch völlig neue Möglichkeiten, um Strategien zu entwickeln, zu beurteilen und auszuführen. Von der Szenario-Planung bis zur User Story lassen sich die Dinge dank AI wesentlich schneller ausarbeiten.
Daraus kann ein Ansatz für eine konsistente, integrative und agile Strategieentwicklung entstehen. Strategie ist Exekution, Exekution ist Strategie. Doch wie setzen Führungskräfte das um? Dieses Buch gibt darauf die Antwort.
1.1Wie wir Strategie heute verstehen könnenDer Ursprung des Begriffs „Strategie“ ist auf den Schlachtfeldern des antiken Griechenlands und in den Kriegen des mittelalterlichen Asiens zu finden. Als „strategos“ wurde der Heerführer bezeichnet (vgl. Greene 2007). Wer sich mit Strategie befasst, kommt natürlich nicht umhin, Sun Tzus „Die Kunst des Krieges“ (Sun Tzu 2019) und Clausewitz‘ „Vom Kriege“ (von Clausewitz 2008) zu lesen. Während Clausewitz betont, dass Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln sei, hebt Sun Tzu die Unvorhersehbarkeit des Krieges hervor, die er als den „Nebel des Krieges“ bezeichnet. Aus seiner Sicht lohnt es sich nur dann zu kämpfen, wenn es keine andere Möglichkeit gibt und die Wahrscheinlichkeit des Sieges auf der eigenen Seite ist.
Auch wenn sich die Definitionen von Strategie im Detail unterscheiden, gibt es doch ein zentrales verbindendes Element: Immer gibt es einen Gegner, der zu bekämpfen ist. Obwohl er sich der Komplexität des Krieges bewusst ist, sieht Clausewitz das ultimative Ziel des Krieges darin, den Gegner zur Erfüllung des eigenen Willens zu zwingen. Ich entschuldige seine Sichtweise, weil er ja auch noch an das Prinzip des archimedischen Hebels geglaubt hat.
Mitte des 20. Jahrhunderts überträgt Igor Ansoff die Ideen aus dem Militär auf das Management von Organisationen. Seine Ansoff-Matrix ist eines der ersten systematischen Planungswerkzeuge und wird von der Boston Consulting Group zur berühmten BCG-Matrix weiterentwickelt, mit der die Marktposition eines Unternehmens eingeschätzt wird. Das Geschäft mit der Strategie kam aber erst so richtig in Gang, nachdem Michael Porter in den 1980er-Jahren sein Konzept der „Five Forces“ veröffentlicht hatte. Zusammen mit den nach wie vor relevanten Konzepten der Wertschöpfungskette, des Lean Manufacturing und des Lean Supply Chain Management, entstanden dadurch neue Ideen zu der Frage, wie Unternehmen ihre Position am Markt analysieren und planen können.
In den folgenden Jahrzehnten professionalisierte sich das Feld der Strategieentwicklung rasant. Beratungsunternehmen wie McKinsey und die Boston Consulting Group wurden zu wichtigen Playern, die Strategieentwicklung zu einer eigenen Industrie machten. Neue Überlegungen nach der Dotcom-Krise verwarfen die Ideen von Porter nicht, sondern ergänzten sie. Konzepte wie die „Blue Ocean Strategy“ oder Clayton Christensens „Disruptive Innovation“ zeigten, wie Unternehmen neue Märkte erschließen und bestehende umgestalten können, denn das war mit dem Internet plötzlich ein drängendes Thema geworden. Es musste erklärt werden, wie es Google, Amazon & Co. schafften, ganze Industrien zu verändern, oder wie AirBnB zur größten Hotelkette werden konnte, ohne auch nur ein eigenes Hotel zu besitzen.
Nein, die Zeit der Kriege ist leider noch immer nicht vorbei. Doch zusätzlich zu den geopolitischen Unsicherheiten haben wir es heute mit einer unglaublichen technologischen Dynamik und innenpolitischen Spannungen in einem großen Teil der westlichen Welt zu tun. Die Folgekosten des Klimawandels machen sich in der Wirtschaft allmählich spürbar, die daraus resultierenden Migrationsströme übersteigen derzeit wahrscheinlich noch unsere Vorstellungskraft (vgl. Vince 2023), und wir sind Teil einer alternden und daher unproduktiveren Bevölkerung. Unternehmen stehen also mitten in einem Jahrzehnt, das sie vor gigantische Herausforderungen stellt, wenn sie überleben wollen. Sie brauchen neue Ansätze für die Entwicklung von Strategien, denn sie brauchen flexible Antworten. Datengetriebene Entscheidungsfindung, Agilität und nachhaltige Produktion sind nicht nur die Imperative unserer Zeit, sondern sie bieten die Chance, Unternehmen sicher zu lenken.
Die Geschichte der Strategie lehrt uns, dass Anpassungsfähigkeit der Schlüssel zum Überleben und Erfolg ist. In diesem Buch bezeichne ich das als „Business Agility“ oder die Fähigkeit, jede Herausforderung zu meistern – „no matter what the future brings“ (so drückt es das Business Agility Institute aus2)). Es wäre aber fatal, wenn daraus wieder nur eine Worthülse wird. Führungskräfte brauchen deshalb zum einen inhaltliche Antworten darauf, wie sie die Zukunft meistern sollen, und zum anderen nachhaltige Konzepte, um Unternehmen steuern zu können. Strategie und Steuerung gehören zusammen und sind dennoch zwei Seiten derselben Medaille. Dafür brauchen wir neue Konzepte, denn die bekannten Strategiekonzepte sind zwar wunderbare Bausteine, die wir nutzen dürfen, aber sie greifen nicht mehr so wirklich.
Gleichzeitig müssen wir gegen den inflationären Gebrauch des Begriffs „Strategie“ anschreiben. Sehr oft wird nämlich als Strategie bezeichnet, was eigentlich ein Plan ist. Wenn Topmanager:innen oder Geschäftsführer:innen sagen, sie bräuchten eine Innovationsstrategie, eine Marketing- und Social-Media-Strategie, eine Globalisierungs- und eine Nachhaltigkeitsstrategie, und das alles neben einer Operativen und einer Supply-Chain-Strategie, ist das der Versuch, die eigene Aufgabe aufzuwerten. Ein Unternehmen hat eine Überlebensstrategie, die durch Pläne in verschiedenen Bereichen exekutiert wird. Der Begriff „Strategie“ muss lediglich dafür herhalten, weil es gerade im Trend liegt und gleichzeitig die Tür dafür öffnet, nichts liefern zu müssen – denn eine Strategie ist eben eine Strategie und nicht das Ziel. Man kann sie ausrufen und muss nichts beweisen. Sehr praktisch!
Ich höre schon auf, mich zu beschweren, denn es ist ermüdend und bringt keinen Erkenntnisgewinn. Berater:innen und BWL-Professor:innen finden aus ihrer Sicht auf das Problem immer noch ein kleines Türmchen, das sie Unternehmen an den Strategiebalkon kleben können. Keine dieser Empfehlungen ist konkret genug, sondern ernährt lediglich meine Zunft: die Berater:innen. Doch keine davon löst die Frage: Wie macht man daraus Zukunft?
Wie veraltete Paradigmen sterbenVor 30 Jahren las ich zum ersten Mal Thomas Kuhns augenöffnendes Buch „Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen“ (Kuhn 1996), in dem er den auf dem Sterbebett liegenden Kopernikus erwähnt. Kuhn macht in diesem Essay deutlich, dass Wissen immer in einem Kontext steht und den Normen der aktuell vorherrschenden Meinung – dem Paradigma – folgt. Er bezieht sich, wie der Titel schon sagt, speziell auf die Wissenschaft und erklärt, dass sie sich in Sprüngen entwickelt: Wissenschaftler:innen arbeiten innerhalb eines Paradigmas, um Probleme zu lösen, bis eine „Anomalie“ auftaucht. Das kann eine Krise auslösen und schließlich darin enden, dass neue Paradigmen eine revolutionäre Veränderung mit sich bringen, weil sie die Anomalien besser erklären. Diese Übergänge machen es oft notwendig, Daten völlig neu zu interpretieren. Kopernikus war nicht nur ein Kind seiner Zeit, er war sogar Teil der wissenschaftlichen und kirchlichen Elite – einer Machtelite, die kurz vor ihrem Ende stand.
Dank Thomas Kuhn vertrete ich die folgende Ansicht: Wenn auf Fragen immer kompliziertere Antworten gefunden werden, ist das ein Indikator dafür, dass man sich in einem unpassenden Paradigma bewegt. Die Fragen passen nicht zu dem Problem, das gelöst werden soll, und noch schlimmer: Die Lösungen, die innerhalb des vorherrschenden Paradigmas angeboten werden, erzeugen noch mehr Probleme, als sie lösen. Hier ein paar Beispiele:
Obwohl die Fitnessindustrie boomt, steigt die Zahl von adipösen Kindern und Erwachsenen. Die Ursache dafür ist die Flut an mit Zucker versetzten, hoch verarbeiteten „Lebensmitteln“, die unseren Hormonhaushalt durcheinanderbringt (vgl. Lustig 2018).
Obwohl ständig mehr Geld in den Gesundheitssektor fließt, geht es mit der Qualität der Gesundheitssysteme bergab und die Lebenserwartung sinkt. Das medizinische System hat nicht mehr die Gesundheit der Patient:innen im Blick, sondern deren Ausbeutung.
Obwohl mehr ins Bildungssystem investiert wird denn je, sinkt die Qualität der Schulen in allen OECD-Ländern. Kinder und Jugendliche sind Opfer eines Schulsystems, das nie im Humboldt’schen Sinne gedacht war, sondern Untertan:innen hervorbringen sollte.
Wenn ein Paradigma nicht mehr ausreicht, um einen Sachverhalt zu erklären, oder wenn es immer aufwendiger wird, das zu erhalten, was man schon immer gemacht hat, wächst der Grad der Komplexität immer weiter.
Für Außenstehende sind die überkommenen Ansichten einer Elite immer sofort zu erkennen. Die meisten erfolgreichen Menschen in der Biolandwirtschaft sind Quereinsteiger:innen. Sie erkennen, dass Biodiversität mit weniger Pestiziden einhergeht und dass der Profit steigt, obwohl es möglicherweise weniger Fruchtertrag gibt. Sie ziehen sich aus dem System zurück. Traditionelle Landwirte und Landwirtinnen sehen es nicht, obwohl der Boden Jahr für Jahr schlechter wird. Dann wird eben mehr und mehr Wasser vergeudet und mehr und mehr Dünger eingesetzt.
Anders gesagt: Das vorherrschende, von der Elite gestützte Paradigma kann die beobachteten Phänomene im Laufe der Zeit immer nur komplizierter und komplizierter erklären, statt sie endlich zu lösen. Beispiel Übergewicht: Diabetes ist auf dem Vormarsch, Menschen lassen sich ihre Mägen verkleinern, Nova Nordisk verdient mit Ozempic ein Vermögen, Influencer verdienen sich mit wirkungslosen Pulvern eine goldene Nase. Und doch liegt die Ursache im hohen Zuckerkonsum. Wenn wir weniger Zucker in uns reinstopfen würden, bräuchten wir weder Ozempic noch Magenverkleinerungen, die Hausarztpraxen würden sich leeren, weil ältere Menschen weniger oft am metabolischen Syndrom, Alzheimer und Depressionen erkranken würden. Aber natürlich ist diese Erkenntnis nicht opportun, weil gleich mehrere Industrien gut an der Misere verdienen (vgl. Lustig 2021).
Irgendwann führt diese Kompliziertheit zu derart hohen Aufwänden, dass es sich niemand mehr leisten kann, an diesem Paradigma festzuhalten. Andere, mit einem besseren Paradigma, können die Phänomene nicht nur besser erklären, sondern auch günstigere Lösungen anbieten. Damit vernichten sie die Grundlagen der alten Elite. In der Menschheitsgeschichte ist das immer wieder passiert, und genauso lässt es sich in Unternehmen und beim Thema Strategie beobachten.
Der Aufwand für die Strategieentwicklung wächst und wächst. Am Ende sind Hunderte PowerPoint-Slides entstanden, deren Inhalt jedoch nie umgesetzt wird und die daher auch nicht zu einer fundamentalen Richtungsänderung führen. Es gibt auch nicht eine Strategie, sondern gleich mehrere pro Abteilung. OKRs werden zwar mit großen Erwartungen eingeführt, doch das Um und Auf – nämlich das Fokussieren – fällt dabei unter den Tisch. Die Aufwände für Management und Bürokratie steigen, und obwohl etablierte Unternehmen definitiv mehr Geld als jedes Start-up in die gleichen Themen stecken, übernehmen sie doch nicht die Vorherrschaft über neue Märkte.
Was wir daher brauchen, ist ein Ansatz für die Strategieentwicklung, der tatsächlich immer erfolgreich ist, weil er ein Unternehmen überlebensfähig hält. Damit ist der Zweck von Strategie definiert, Roger Martin nennt es „Playing to Win“. Ich sage: Strategie dient dazu, das Unternehmen überlebensfähig zu halten, was auch immer geschieht.
Unternehmen brauchen heute einen Ansatz, der sie nicht dazu zwingt, unterschiedliche Strategien für unterschiedliche Bereiche zu entwickeln; der das Unternehmen nicht in Einzelteile zerlegt und dazu zwingt, diese Einzelteile unterschiedlich zu führen oder zu managen. Auch wenn es verschiedene Ziele gleichzeitig geben kann, so muss die Synchronisierung doch einheitlich erfolgen.
Eine Strategie sollte in allen Unternehmensbereichen dazu dienen, die Zusammenarbeit aller Beteiligten zu fördern. Denn genau das ist das Erfolgsrezept von Organisationen: Sie sind in der Regel dann erfolgreich, wenn die Menschen in der Organisation effektiv zusammenarbeiten. Dieser Ansatz kann nicht inhaltlicher Art sein, denn wie wir sehen werden, dürfen – ja müssen! – sich die Ziele ändern können. Doch der Prozess selbst muss gleich bleiben, denn in diesem Ritual steckt die Gewissheit. Strategie muss zu einer Checkliste zweiter Ordnung werden, also zu einem Vorgehensmodell, das in jeder Lage zum Erfolg verhilft. Mit ihren Ursprüngen in der alten Kriegsführung und der Industrialisierung sind die meisten „klassischen“ strategischen Ansätze dafür nicht geeignet (denn auch moderne Ansätze im Militär sind Checklisten zweiter Ordnung, wie wir beim OODA-Loop sehen werden).
Das mechanistische Weltbild hat zwar die Industrialisierung ermöglicht und für eine gigantische wirtschaftliche Entwicklung gesorgt. Es hat viele Probleme gelöst und war erfolgreich. Doch es hat uns auch in die Situation gebracht, in der wir uns heute befinden. Deshalb können Organisationen nicht mehr auf Basis derselben Annahmen operieren, unter denen sie einst entstanden sind. Die Vorstellung, dass Organisationen wie Uhrwerke seien, muss einem Ansatz weichen, der auf das Beherrschen komplexer Probleme ausgelegt ist.
Wir werden sehen, dass die strategische Unternehmensführung für alle Beteiligten einfacher und entlastender wird, wenn wir die folgenden Paradigmenwechsel vollziehen:
1. Wir verwerfen die Vorstellung, dass Unternehmen wie Uhrwerke funktionieren.
2. Wir lösen uns von der Idee, dass das Management ein rein planendes, vorhersagendes, zielorientiertes und zentralistisches Element der Unternehmensführung ist.
3. Stattdessen folgen wir einem neuen Verständnis von Management und Führung, das
prozessorientiert,
inklusiv,
beobachtend,
liefernd,
dezentral und
selbstorganisierend ist.
Diese Neuausrichtung ermöglicht einen effektiveren und weniger belastenden Ansatz in der strategischen Unternehmensführung.
Nun ließe sich einwenden, dass es ein alter Hut ist und schon lange davon die Rede ist, dass Organisationen eben keine Uhrwerke sind. Schon lange sei klar: Es kann nicht funktionieren, wenn sich Topmanager:innen die Strategie ausdenken und alle anderen brav umsetzen. Genau deshalb ist Roger Martin3) für dieses Buch eine Leitfigur, weil er Strategie folgendermaßen definiert (Martin, Lafley 2013):
„The essence of great strategy is making choices – clear, tough choices, like what businesses to be in and which not to be in, where to play in the businesses you choose, how you will win, where you play, what capabilities and competencies you will turn into core strengths, and how your internal systems will turn those choices and capabilities into consistently excellent performance in the marketplace. And it all starts with an aspiration to win and a definition of what winning looks like.“
Roger Martin betont also, dass eine Organisation aus seiner Sicht eine Kaskade von Entscheidungen ist. Von der Spitze bis zur Basis der Organisationen werden ständig Entscheidungen unter Ungewissheit in einem kompetitiven Umfeld getroffen. Wenn wir in diesem Umfeld nun in einem neuen Paradigma darüber, was Organisationen und Wandel sind, agieren wollen, brauchen wir auch neue Tools und wir müssen genauso den Einsatz dieser Tools neu denken. Das ist das Ziel dieses Buchs: zu zeigen, wie all diese Entscheidungen orchestriert werden können und wie es gelingen kann, die Ausführungen Martins in die handelnde Praxis zu übersetzen.
Wir werden sehen, dass diese neue Form der strategischen gleichzeitig eine taktische Unternehmensführung ist, die viel weniger Zeit beansprucht als konventionell planende Strategieprozesse. Das Geheimnis besteht darin, strategisches Arbeiten zu einem integrierten Bestandteil der täglichen Arbeit zu machen. Die Strategiearbeit wird also den Manager:innen nicht zusätzlich aufgebürdet, sondern sie passiert automatisch und entwickelt sich zu einer Routine, die für alle zu einem völlig natürlichen Vorgang wird.
1.2Strategie ist WandelStrategiedefinitionen wie jene von Clausewitz oder Sun Tzu greifen für das Führen von Organisationen zu kurz. Robert Greene entzieht sich der Definition und liefert vielmehr Charakteristiken dafür, was eine Strategie ausmacht: langfristiges Denken, das alle Bereiche des menschlichen Lebens betrifft. Man solle indirekt vorgehen, um die wahre Absicht zu verschleiern etc. Michael Porter ist mehr oder weniger der Meinung, dass es immer darum geht, im Markt eine einzigartige Position einzunehmen. Das sind alles Versuche, Strategie inhaltlich zu fassen. Demgegenüber lässt sich Strategie aber auch durch ihren Zweck, ihre Bedeutung, und damit über ihre Ausrichtung definieren.
Strategie beschäftigt sich einerseits immer mit dem Wandel, weil Zukunft zu gestalten ist. Allen Strateg:innen geht es immer darum, einen erwünschten Zustand durch Befolgen einer Strategie zu erreichen. Strategie beschäftigt sich daher nicht mit dem Ist, sondern immer mit dem Soll und befindet sich deshalb mit dem Tagesgeschäft immer in einem Kampf um Ressourcen – also mit der Arbeit, die getan werden muss, um das System zu erhalten.
Gleichzeitig ist jeder Person, die sich mit der Gestaltung der Zukunft beschäftigt, klar, dass sie sich im Hier und Jetzt befindet. Die Kunst besteht nun darin, die beiden Aspekte Zukunft und Gegenwart nicht gedanklich zu trennen, sondern das Ist immer als Gestaltung der Zukunft zu begreifen. Deshalb muss das Zukünftige im Jetzigen gesehen werden und das Strategische kann nur dann in den Alltag integriert werden, wenn es quasi nebenbei passiert.
Strategische Initiativen sind nicht nur monetär immer eine Investition, sondern auch eine in Wissen und Können. Wer einen höheren Schulabschluss haben will, muss dafür vielleicht die Schule wechseln und Freundschaften zurücklassen oder überhaupt den Wohnort wechseln – das kostet Zeit, Geld und verlangt von der Person, sich mit dem Wissen intensiv auseinanderzusetzen. Lernen ist Arbeit, das bringt den Einzelnen aus der Komfortzone.
Bei Unternehmen, die Veränderungen durchlaufen, ist das nicht anders. Die Einführung einer neuen Software verlangt Zeit, Geld und viel Arbeit und bricht die gewohnten Routinen, denn es verlangt in der Regel von den Personen im Unternehmen, etwas Neues zu lernen. Doch diese Investition sollte tatsächlich nur dem Inhaltlichen geschuldet sein, nicht dem Wandel selbst. Wer ins Fitnessstudio geht, investiert in seinen Körper, und das ist jedes Mal anstrengend. Er oder sie wird es nur durchhalten, wenn diese Arbeit am Körper nicht jedes Mal als Mühsal angesehen wird. Erfolgreich wird die betreffende Person in ihren Bemühungen dann sein, wenn der Prozess der Veränderung, das Training, als Teil des Lebens betrachtet wird und nicht als Nebensache, die man getrost auch wieder vergessen kann.
Der strategische Prozess selbst, also das Nachdenken über die Strategie, das ständige Neuausrichten der Organisation, das laufende Reflektieren darüber, was als Nächstes wichtig sein wird, das Kommunizieren der Strategie in alle Winkel der Organisation – das alles sollte keine zusätzliche Belastung für das Management sein. Es sollte ein Prozess sein, der ob seiner Einfachheit keinerlei Aufwände erzwingt, weil er „nebenbei“ läuft und das Unternehmen führt. Unternehmen brauchen keine getrennten Prozesse für das Alltägliche und das Zukünftige.
Strategie ist die Gestaltung der Zukunft im JetztIn den Diskussionen über Veränderung hängen fast alle Organisationen immer noch am alten Bild von Kurt Lewin (vgl. Lewin 1947). Selbst der große John P. Kotter dachte noch in diesem Paradigma (vgl. Kotter 2012). Demnach läuft der Wandel in drei Zuständen ab:
1. Eine Organisation befindet sich in einem bestimmten stabilen Zustand (Freeze).
2. Dieser Zustand wird aufgetaut (Unfreeze).
3. Wenn der gewünschte Zustand erreicht wird, wird die Organisation wieder in den stabilen Zustand überführt (Refreeze). Der Wandel ist geschafft.
Dieses Change-Paradigma wird dem realen Wandel in heutigen Organisationen nicht mehr gerecht. Veränderung ist heute der Dauerzustand und ein enormer Stressor für Organisationen, weil daran immer noch die Hoffnung hängt, dass der Wandel irgendwann zum Status quo zurückführt.
Unter diesem Zeichen des ständigen Wandels wird strategische Veränderung aber wichtiger als das gegenwärtige Tun. Wäre das nicht so, würden Organisationen sofort ins Hintertreffen geraten. Nach dem Ashbyeschen Gesetz muss – systemisch ausgedrückt – die Änderungsrate im Inneren mindestens so hoch sein wie die Änderungsrate im Außen, wenn eine Organisation nicht den Anschluss verlieren will.4) Das wiederum fordert einen strategischen Prozess, der die Organisation kurz in die Reflexion bringt. Er muss die Organisation kurz innehalten lassen, sie in einen kurzen Stillstand zwingen, damit sie immer wieder die eigene Bewegung überdenken kann.
Das führt mich zu der Aussage: Der Wandel muss dem Management wichtiger sein als die Beibehaltung des Status quo. Wer immer die Gegenwart gewinnen lässt, sich nicht aus der Komfortzone wagt, weil es ihm jetzt gerade gut geht, der wird nicht nur seine Ziele nicht erreichen – er wird vor allem die Organisation nicht and die Änderungen in der Umgebung anpassen. Natürlich ließe sich jetzt sagen: Dann ist eben das Festhalten am Ist die Strategie. Ja, nur ist das sinnlos. Sich dafür zu entscheiden, nicht zu entscheiden und nicht zu handeln, ist kein Vorgehen, das man als Strategie bezeichnen kann.
Strategische Arbeit ist also immer die Arbeit an der Gestaltung der Zukunft, und dieses Gestalten muss ständig und bewusst geschehen. Es ist der Versuch, sich so zu verhalten und ein Unternehmen so aufzustellen, dass es in der Zukunft weiter existieren kann oder im Idealfall sogar besser dasteht als heute. Denn darum geht es immer: Wachstum. Das gilt in der Biologie genauso wie im Kapitalismus: Wer nicht wächst, der stirbt oder wird gefressen.
Strategische Arbeit ist immer wichtiger als operative Arbeit. Das heißt aber nicht, dass operative Arbeit nicht dringlicher sein kann.
Die dringliche operative Arbeit zwingt den Einzelnen und oft ganze Unternehmen dazu, im Jetzt zu reagieren, ohne dieses Tun als Gestaltung zu begreifen. So wird das Arbeiten von der sinnvollen Beschäftigung zum stressigen Beschäftigsein, weil es monoton ist und kein Ziel hat. Es ist wie in der Metapher des Holzfällers, der mit vollem Einsatz tagein und tagaus mit seiner Säge die Bäume umsägt und zerteilt. Doch von Tag zu Tag schafft er weniger, denn die Arbeit wird immer mühsamer. Eines Tages spaziert ein alter Mann vorbei, als sich der Holzfäller gerade wieder abmüht. Der alte Mann sieht dem Holzfäller eine Weile zu und sagt schließlich: „Sie sollten Ihre Säge schärfen, die ist doch schon ganz stumpf!“ Doch der Holzfäller ruft nur eilig zurück: „Keine Zeit!“
Die Moral der Geschichte: Wer sich nicht um die wichtigen, doch gerade nicht dringenden Dinge kümmert, der hat das Problem, dass diese irgendwann zu dringlichen Problemen werden. Indem systematisch auf die dringenden, nicht wichtigen Probleme geantwortet wird (also Wandel angestoßen wird), kann sich die Organisation ständig an das Umfeld anpassen und so ihr Risiko vermindern. Das wurde schon Generationen von Manager:innen gepredigt und die Eisenhower-Matrix ist vielleicht das bekannteste Tool, um Ordnung in die Dringlichkeit der Aufgaben zu bringen.
Die Eisenhower-Matrix
US-Präsident und General Dwight D. Eisenhower war dafür bekannt, Aufgaben sehr effizient zu verwalten. Die Eisenhower-Matrix kann dabei helfen, die Frage zu beantworten, welche Aufgaben dringend und welche wichtig sind. Die Matrix teilt Aufgaben in vier Quadranten ein:
1. Dringend und wichtig: Aufgaben, die sofortige Aufmerksamkeit erfordern und bedeutende Konsequenzen haben.
2. Wichtig, aber nicht dringend: Aufgaben, die wichtig für langfristige Ziele sind, aber nicht zeitkritisch sind.
3. Dringend, aber nicht wichtig: Aufgaben, die sofort erledigt werden müssen, aber wenig zur Zielsetzung beitragen.
4. Weder dringend noch wichtig: Aufgaben, die wenig bis keinen Wert haben und vermieden oder delegiert werden können.
Bild 1.1Aufgaben kategorisieren mit der Eisenhower-Matrix
Strategiearbeit muss genau an dieser Stelle ansetzen: Sie muss alle im Unternehmen darüber informieren, was wichtig und entscheidend ist, und so die entsprechenden Handlungen auslösen. Doch das Informieren und das sinnstiftende Element selbst reichen nicht aus. Der strategische Prozess braucht Mechanismen, die jede Person im Unternehmen ständig daran erinnern, dass das Wichtige wichtiger ist als das vermeintlich unwichtige Dringende. Wenn dann noch klar ist, was die Organisation einfach bleiben lassen kann und worauf sie sich umgekehrt fokussieren sollte, hat sie einen wunderbaren Weg gefunden, wie sie den Kurs halten kann. Neben der Entscheidung, wohin es gehen soll, geht es bei der Strategie also auch um die ständige Kontrolle, ob alle Aktivitäten in die richtige Richtung laufen.
An dieser Stelle sollte schon deutlich geworden sein: Die Veränderung ist das Thema jeder Strategie und damit das Wesen der Strategie. Daher werde ich mich in den nächsten Kapiteln sehr ausgiebig mit Veränderungsarbeit befassen.
Zusammenfassung
Die Art und Weise, wie wir Strategie verstehen und umsetzen, muss sich fundamental ändern. Das alte, mechanistische Weltbild von Organisationen als perfekt planbare Uhrwerke hat ausgedient. Stattdessen brauchen wir einen Paradigmenwechsel hin zu einem prozessorientierten, inklusiven und selbstorganisierenden Verständnis von strategischer Unternehmensführung.
Dieser neue Ansatz erkennt an, dass Wandel nicht mehr die Ausnahme, sondern der Normalzustand ist. Strategie bedeutet heute nicht mehr, einen perfekten Plan zu entwickeln und dann umzusetzen. Vielmehr geht es darum, die Organisation kontinuierlich an Veränderungen anzupassen und die Zukunft aktiv im Hier und Jetzt zu gestalten.
Das verlangt von Führungskräften ein radikales Umdenken: Die strategische Arbeit darf nicht länger als zusätzliche Belastung zum Tagesgeschäft verstanden werden. Sie muss vielmehr zu einem natürlichen, integrierten Bestandteil der täglichen Arbeit werden – zu einer Routine, die das Unternehmen quasi „nebenbei“ in die richtige Richtung lenkt.
Entscheidend ist dabei die Priorisierung: Auch wenn operative Aufgaben oft dringlicher erscheinen mögen, muss die strategische Arbeit an der Zukunft wichtiger sein als das Festhalten am Status quo. Nur so kann eine Organisation ihre Anpassungsfähigkeit erhalten und langfristig überleben. Denn eines ist klar: Wer sich nicht wandelt und wächst, der wird untergehen oder von anderen verdrängt werden.
Die Kunst besteht darin, einen strategischen Prozess zu etablieren, der die Organisation regelmäßig innehalten und reflektieren lässt, ohne dabei den operativen Betrieb zu behindern. Dieser Prozess muss alle Beteiligten darüber informieren, was wirklich wichtig ist, und sie zu entsprechendem Handeln motivieren. Das ist die zentrale Herausforderung moderner Strategiearbeit.
1 SXSW: Amy Webb Launches 2024 Emerging Tech Report | SXSW 2024 https://www.youtube.com/watch?v=5uLSDbh6M_U (16. 10. 2024)
2https://businessagility.institute/ (5.1.2025)
3 Roger Martin ist einer der wichtigsten Management-Denker unserer Zeit und war von 1998 – 2013 Dekan der Rotman School of Management an der University of Toronto. Gemeinsam mit A. G. Lafley hat er das Buch „Playing to Win“ verfasst (Martin, Lafley 2013). Martin leistet wichtige Beiträge zum Thema Strategie und Unternehmensführung, zum Beispiel das Konzept des Integrative Thinking.
4https://de.wikipedia.org/wiki/Ashbysches_Gesetz
Im Winter des Jahres 1619 zog sich der junge französische Gelehrte René Descartes in die Einsamkeit eines kleinen Zimmers in Neuburg an der Donau zurück. Im flackernden Kerzenlicht begann er, seine „Meditationen“ zu schreiben. Er war entschlossen, alles infrage zu stellen, was er je für wahr gehalten hatte. Sein Geist, geschärft durch Jahre des mathematischen Denkens, suchte nach einem unerschütterlichen Fundament der Erkenntnis.
Descartes’ Weltbild war geprägt von der aufkommenden mechanistischen Philosophie seiner Zeit. Er sah das Universum als ein gewaltiges Uhrwerk, jedes Phänomen erklärbar durch Ursache und Wirkung, jede Bewegung vorhersagbar wie der Gang eines Zahnrads. Doch selbst diese grundlegende Annahme stellte er nun in Frage. Er zweifelte an der Verlässlichkeit seiner Sinne, sogar an der Gewissheit mathematischer Wahrheiten. In den dunklen Stunden der Nacht quälte ihn der Gedanke, all seine Überzeugungen könnten das Werk eines täuschenden Dämons sein. Doch aus den Tiefen dieses radikalen Zweifels erhob sich schließlich eine unerschütterliche Gewissheit: „Cogito, ergo sum.“ Ich denke, also bin ich. In diesem Moment der Erkenntnis fand Descartes den Archimedes-Punkt, von dem aus er die Welt des Wissens neu errichten konnte.