Stress bewältigen – Gelassenheit gewinnen - Johann Ceh - E-Book

Stress bewältigen – Gelassenheit gewinnen E-Book

Johann Ceh

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Beschreibung

Stress - an sich ein Geniestreich der Natur - ist eine natürliche Reaktion unseres Körpers und war vor allem zu Zeiten unserer Urahnen in bedrohlichen Situationen überlebenswichtig. Doch das archaische Wechselspiel zwischen Stress und Erholung scheint in der Schnelligkeit und Hektik des 21. Jahrhunderts immer weniger zu funktionieren. Auf Anspannung erfolgt Anspannung - und erneut Anspannung. Die Konzentration der Stresshormone bleibt hoch, was langfristig desaströse gesundheitliche Folgen hat. Die rasante Zunahme von psychischen Erkrankungen hat die Gesunderhaltung der menschlichen Psyche stark in den Fokus gerückt. Dem Erreichen von Gelassenheit kommt dabei ein besonderer Stellenwert zu. Denn: Gelassenheit ist in jeder Lebensphase ein Gewinn, eine Ressource, die das Leben leichter macht. Wahre Gelassenheit kann loslossen, weiß um den prinzipiell möglichen guten Ausgang der Dinge, dramatisiert das Unvermeidliche nicht. Sie verzichtet nicht auf entschlossenes Handeln, wenn der geeignete Zeitpunkt - Kairos genannt - gekommen ist. Wer regelmäßig entspannt, baut Stress besser ab, ist gesünder und geistig fitter. Denn: Stress und Entspannung wirken genau entgegengesetzt und schließen sich gegenseitig aus. Wie bei einer Münze kann nur eine Seite nach oben zeigen. Doch gibt es einen gravierenden Unterschied: Im Gegensatz zu Stress, der sich in der Regel von selbst einstellt, müssen wir, um Entspannung zu erreichen, selbst gezielt aktiv werden. Viele Menschen müssen die Fähigkeit zur Entspannung erst (wieder) erlernen - Schritt für Schritt. Achtsamkeit ist eine innere Haltung, die das bewusste Wahrnehmen, das Achtgeben auf das Hier und Jetzt, das wertungsfreie Beobachten des gegenwärtigen Moments ermöglicht. Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR) ist eine Methode, die - evidenzbasiert - psychische Beschwerden wie Angst, depressive Verstimmungen oder Erschöpftsein lindert und das Wohlbefinden verbessert. Dieses Buch will Sie durch Fakten, Perspektiven und Methoden anregen, sich selbst zu entdecken. Es fordert dazu auf, die eigene Lebensführung zu überdenken und Konsequenzen zu ziehen. Notwendig ist dazu Ihre Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen. Ein besonderer Akzent wird auf die Begründung, der den einzelnen Verfahren zugrundeliegenden Prinzipien, gelegt. Techniken zur Entspannung und Versenkung aus verschiedenen Kulturkreisen werden erklärt und gegeneinander abgegrenzt. Finden Sie heraus, welche Methode für Sie die richtige ist. Die gewählte Stressbewältigungstechnik muss zu Ihnen passen. Sie müssen sich wohlfühlen und den Wert, der von Ihnen gewählten Methode spüren. Nur dann kann Entspannung zu einem festen Teil Ihres Lebens werden. Mit Lesen, Verstehen und gedanklichem Nachvollziehen allein ist es nicht getan.

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Das ist eine große Zeitersparnis…1

„Guten Tag“, sagte der kleine Prinz.

„Guten Tag“, sagte der Händler.

Er handelte mit höchst wirksamen, durststillenden Pillen. Man schluckt jede Woche eine und spürt überhaupt kein Bedürfnis mehr zu trinken. „Warum verkaufst du das?“, sagte der kleine Prinz.

„Das ist eine große Zeitersparnis“, sagte der Händler. „Die Sachverständigen haben Berechnungen angestellt. Man erspart dreiundfünfzig Minuten in der Woche!“

„Und was macht man mit diesen dreiundfünfzig Minuten?“

„Man macht damit, was man will...“

„Wenn ich dreiundfünfzig Minuten übrighätte“, sagte der kleine Prinz, „würde ich ganz gemächlich zu einem Brunnen laufen...“

1 Saint-Exupéry, A.: Der kleine Prinz, Düsseldorf 1988, S. 56

Für meine Enkel

Josefine

und

Anton

„Wer glaubt, er könne ohne die Welt auskommen, der irrt sich. Wer glaubt, ohne ihn könne die Welt nicht auskommen, der irrt sich noch mehr.“

François de La Rochefoucauld

„Wenn man die Ruhe nicht in sich selbst findet, ist es vergeblich, sie anderswo zu suchen.“

François de La Rochefoucauld

„Du bist zu schnell gelaufen für dein Glück. Nun, da du müde wirst und langsam gehst, holt es dich ein.“

Friedrich Nietzsche

Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Was ist das eigentlich – Stress?

Burn-out ist keine Krankheit

Reaktionen des Körpers unter Stress

Die drei Stadien des allgemeinen Adaptationssyndroms

Zur Physiologie der Stressreaktion

Zusammenhang zwischen Erregungsniveau und Leistungserbringung: Die Yerkes-Dodson-Kurve

Psychosomatische Krankheitsrisiken

Stresstypen – Stress-Bewertung – Aus „A“ mach „B“

Kampftyp, Fluchttyp oder Schrecktyp?

Skala zur Bewertung der sozialen Wiederanpassung

Typ A-Verhaltensmuster und Herzinfarktrisiko

Tests zur Selbst- und Fremdeinschätzung des Verhaltens

Tipps zur Änderung einer zwanghaft zeit-, konkurrenz- und leistungsbestimmten Lebensweise

Grundsätzliche Möglichkeiten zur Bewältigung von Stress

Kunst der Gelassenheit

Erkenntnisse der Hirnforschung in Sachen Gelassenheit

Achtsamkeit – was ist das?

Achtsamkeitsbasierte Stressreduktion (MBSR)

Achtsamkeitsübungen

Anspannung – Entspannung – Spannungsausgleich

Entspannung contra Stress: Das 3-Ebenen-Verständnis der Reaktions- und Verhaltensbereiche

Motorische Ebene

Physiologische Ebene

Subjektiv-kognitive Ebene

Ansätze zur Entspannung und zur Erregungsreduktion

Physiologische Veränderungen und Alpha-Wellen

Entspannungsübung: „Loslassen und Fallenlassen

Richtiges Atmen: Zug um Zug ruhiger werden

Der Atem bestimmt unseren Lebensrhythmus

Atmung und Gasaustausch

Atemübung: Sich dem Ausatmen überlassen

Progressive Muskelrelaxation

Autogenes Training – eine suggestive Methode

Das ideomotorische Grundgesetz und die leib-seelische Einheit des Menschen

Übungen der Unterstufe

Wirkungen

Durchführung

Die Oberstufe

Kontraindikationen

Eutonie – Harmonie durch Wohl-Gespanntheit

Spannungsbalance

Prinzipien der Eutonie

Hautkontakt-Bewusstsein

Verlängerungs-Bewusstsein

Innenraum-Bewusstsein

Knochen-Bewusstsein

Eutonische Übungen

Alexander-Technik: Körperliche Fehlhaltungen auflösen

Feldenkrais-Methode: „Bewusstheit durch Bewegung“

Meditative Techniken in Ost und West

Meditation – was ist das?

Äußere Voraussetzungen

Sitzhaltungen

Wo, wann, wie oft üben?

Yoga

Zen

Nirwana – das Ziel des buddhistischen Heilsweges

„Hara, die Erdmitte des Menschen“: Wege in die Mitte

„Leerwerden“ im Sinne des Zen: Das Nicht-Denken denken

Zu sich selbst kommen: Hilfen zur geistigen Sammlung

Transzendentale Meditation und Benson-Technik

Initiatische Meditation

Christliche Meditation

Entspannung im Rhythmus der Musik

Biofeedbackmethoden

Stressverhalten verhaltenstherapeutisch ändern lernen

Selbstbeobachtung

Verhaltensanalyse

Veränderungsansätze

Überleben im Stress durch physische Fitness

Körperliche Bewegung

Fit auf die sanfte Tour: Stretching

Vernünftige Ernährung

Kneippen: Hebung des Schwellenwerts der Stressbeantwortung

Akupressur: Beruhigung und Harmonisierung durch Fingerdruck

Anti-Stress-Mittel aus der Apotheke

Positives Denken und psychische Hygiene contra Stress

Die Frage nach dem Sinn des Lebens

Nachwort

Literaturverzeichnis

Quellenangaben der Karikaturen

Vorwort

Es ist nicht genug zu wissen — man muss es auch anwenden.

Es ist nicht genug zu wollen — man muss es auch tun.

Johann Wolfgang von Goethe

Seit der österreichisch-kanadische Mediziner Hans Selye in den siebziger Jahren erstmals den positiven „Eustress“ vom negativen „Disstress“ unterschied, ist das Bild der Forscher differenzierter geworden. Der gute Stress trägt uns durchs Leben, motiviert, begeistert, bringt Glücksmomente hervor. Der schlechte schlaucht, überfordert, setzt unter Druck.

Die Stressreaktion des Menschen entwickelte sich im Laufe der Evolution. Droht Gefahr, stellt sich der Körper hormonell auf Kampf oder Flucht ein. Dieses körpereigene „Doping“ lässt Blutdruck, Puls und Leistungsfähigkeit der Muskeln ansteigen. Die Reaktionszeiten verkürzen sich, die Schmerzempfindlichkeit sinkt. Der Mensch achtet kaum mehr auf sich selbst, sondern ist ganz auf sein Ziel fixiert.

Wir brauchen die Stressreaktion, um bei Gefahr richtig zu reagieren. Problematisch wird Stress jedoch dann, wenn er über einen langen Zeitraum anhält, also chronisch wird. Ist die Beute erlegt, der Gegner besiegt, geht die Konzentration der Stresshormone wieder nach unten. Der Körper kehrt in seinen Normalzustand zurück. Auf die Anspannung folgt die Entspannung. So jedenfalls lautet der Rhythmus, den die Natur vorgesehen hat. Doch das archaische Wechselspiel zwischen Stress und Erholung, Neugier und Muße – es scheint in der Schnelligkeit und Hektik des 21. Jahrhunderts immer weniger zu funktionieren. Auf Anspannung erfolgt Anspannung – und erneute Anspannung. Die Konzentration der Stresshormone bleibt hoch, was langfristig desaströse Folgen hat. Im Gegensatz zu Zeiten, als wir noch mit Speeren auf die Jagd gingen oder vor einem Säbelzahntiger flüchten mussten, bleibt in unseren Tagen meist auch die körperliche Bewegung aus, die normalerweise dafür sorgt, dass die ausgeschütteten Stresshormone rasch wieder abgebaut werden.

In der dauernden Erregung sterben auch Nervenzellen ab, das Gedächtnis leidet. Gleichzeitig verändert sich die Wahrnehmung. Die ständige Belastung führt dazu, dass die Emotionen verflachen. Das Leben wird zunehmend als dumpfe Abfolge bedeutungsloser Geschehnisse erlebt. Die Betroffenen neigen zu Depressionen.

Die permanent hohen Cortisolwerte schwächen nachweislich die Immunabwehr und begünstigen damit Virusinfektionen und chronische Leiden. Wie US-Forscher belegen konnten, beschleunigt chronischer Stress sogar die Zellalterung. Auch das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes ist erhöht. Der Körper konzentriert sich aufs Kämpfen – und richtet sich dabei selbst zu Grunde. Wird der Alarmmodus zum Dauerzustand, leiden Gesundheit und Leistungsfähigkeit drastisch.

Optimale Erholungsphasen sind ein Muss. Sie wirken wie ein Schutzschild gegen Überforderung und Erschöpfung. Wie Arbeitspsychologen und Erholungsforscher herausgefunden haben, ist der Relax-Faktor bei Freizeitaktivitäten, die sich deutlich von den Aufgaben im Job unterscheiden, am höchsten. Erholung bedeutet oft nicht unbedingt nichts zu tun, sondern etwas zu tun, was man sonst nicht tut. Erholung ist demnach Wechsel in der Art der Tätigkeiten – für einen Dachdecker etwas anderes als für einen Büroarbeiter.

Problemlösungen entstehen nicht selten dadurch, dass man sich vom Problem lösen kann. Stressmanagement bedeutet auch, die eigene Einstellung gegenüber beruflichen und privaten Anforderungen zu überprüfen. Dazu muss man zuerst stressverschärfende Denkmuster erkennen, akzeptieren und eine innere Distanz dazu gewinnen.

Wer die eigenen Ressourcen mobilisiert, kann Stress besser abfedern und Belastungen auf ein erträgliches Maß reduzieren. Emotionen spielen hierbei eine große Rolle. Angst bewirkt Stress, Freude reduziert ihn. Alles, was dazu führt, dass man die Kontrolle über sein Leben abgibt, ist ungünstig, selbst bestimmen ist positiv. Der stressgeplagte Mensch unserer Tage ist aus seiner „Mitte“ herausgefallen, und er fühlt sich durch den „Sog an die Peripherie“ (Klemens Tilmann) überfordert. Die heilende Kraft der inneren Stille – in den Kulturen des Fernen Ostens seit Jahrhunderten erprobt und bewährt – bietet auch dem Menschen in unserer schnelllebigen, hektischen Zeit die Chance, zu seiner Mitte zurückzufinden, um sich dort zu regenerieren und körperliche Gesundheit, seelische Stabilität, geistige Klarheit und schöpferische Spontaneität zu gewinnen. Wer in seine Mitte kommt und in seiner Mitte bleibt, hält sich in den Wirbelstürmen des Alltags gleichsam im Zentrum des Orkans – im Auge des Hurrikans – auf, in dem es windstill ist.

Wer regelmäßig entspannt, baut Stress besser ab, ist gesünder und geistig fitter. Denn: Stress und Entspannung wirken genau entgegengesetzt und schließen sich gegenseitig aus. Wie bei einer Münze kann nur eine Seite nach oben zeigen. Entweder bin ich gestresst oder entspannt. Doch gibt es einen gravierenden Unterschied: Im Gegensatz zu Stress, der sich in der Regel von selbst einstellt, müssen wir, um Entspannung zu erreichen, selbst gezielt aktiv werden. Viele Menschen müssen die Fähigkeit zur Entspannung erst (wieder) erlernen – Schritt für Schritt.

Die chronische Stressspirale lässt sich somit durchbrechen. Unter Stress ist der aktivierende Teil des autonomen Nervensystems, der sogenannte Sympathikus, aktiv, unter Entspannung sein Gegenspieler, der Para-Sympathikus. Der Aha-Effekt der Biologie der Entspannung besteht darin, dieses System bewusst umzukehren. Sämtliche Entspannungstechniken haben gemein, dass sie den Para-Sympathikus – das heißt das „Bremspedal“ – aktivieren und so für die Einleitung der Entspannung sorgen. Dafür gibt es unterschiedliche Methoden, die allesamt höchst effektiv sind und relativ kurzfristig wirken.

Unsere beste geistige Leistung rufen wir ab, wenn wir körperlich entspannt sind und das Gehirn Alpha-Wellen produziert. Damit wird klar, dass wir mit Entspannungstechniken zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Zum einen schalten wir den Organismus in den Erholungsmodus, zum anderen bringen wir das Gehirn auf optimale „Betriebstemperatur“, wie sie zum Beispiel unmittelbar vor einer Prüfung oder einem anderen wichtigen Termin erforderlich ist. Leistungssportler nutzen daher Entspannungstechniken unmittelbar vor einem Wettkampf.

Entspannung löst eindeutig stressreduzierende organische Veränderungen aus. In Gegenwart von Reizen, die als beängstigend empfunden werden, vermindert die Herbeiführung des entspannten Zustands die Stressreaktivität. Wer sich in bedrohlichen Situationen entspannt, kann nicht gleichzeitig Angst haben.

Es gibt unterschiedliche Zugangswege zur Entspannung. Alle in diesem Buch vorgestellten Methoden haben gemein, dass sie den Para-Sympathikus aktivieren, Körper und Geist entspannen und somit für innere Ruhe und Ausgeglichenheit sorgen. Wichtig ist: Die Entspannungstechnik muss zu Ihnen passen. Sie müssen sich wohlfühlen und den Wert, der von Ihnen gewählten Methode spüren. Nur dann kann Entspannung zu einem festen Teil Ihres Lebens werden.

Finden Sie heraus, welche Methode für Sie die richtige ist. Aber bitte ohne Stress – einfach weiterlesen und entspannen.

Dieses Buch will Sie durch Fakten, Perspektiven und Methoden anregen, sich selbst neu zu entdecken. Es fordert dazu auf, die eigene Lebensführung zu überdenken und Konsequenzen zu ziehen. Notwendig ist dazu Ihre Bereitschaft, sich auf Unbekanntes einzulassen. Ein besonderer Akzent wird auf die Begründung, der den einzelnen Verfahren zugrundeliegenden Prinzipien, gelegt. Techniken zur Entspannung und Versenkung aus verschiedenen Kulturkreisen werden erklärt und gegeneinander abgegrenzt.

1993 veröffentlichte ich das Buch „Entspannen jederzeit! Techniken zur besseren Stressbewältigung“, das im Laufe der Jahre vier Auflagen erlebte. Wesentliche Inhalte des vorliegenden Werkes wurden – in erheblich überarbeiteter und ergänzter Form – diesem nicht mehr im Handel erhältlichen Buch entnommen.

Unabdingbare Voraussetzung für Erfahrungen der Entspannung, der inneren Stille und des eigenen Körpers ist das regelmäßige und systematische Üben. Wichtig ist, dass Sie sich dabei nicht selbst unter Druck setzen, um eine bestimmte Leistung zu erreichen.

Wer einen langen Weg vor sich hat, ist gut beraten, sich nicht in gewaltigen Sprüngen vorwärts zu bewegen, sondern stetig einen Fuß vor den anderen zu setzen. So kommt er Schritt für Schritt voran beim Erlernen von Verfahren, die er bereits von den ersten Übungen an als angenehm und wohltuend empfinden wird.

Johann Ceh Biberach an der Riß, April 2019

Was ist das eigentlich – Stress?

Auf den Physiologen Hans Selye, der als Begründer der Stress-Forschung gilt, geht folgende Definition des Begriffes zurück: ,,Stress ist die unspezifische Reaktion des Körpers auf jede Anforderung, die an ihn gestellt wird.“2 Körperliche Stress-Reize sind zum Beispiel: Hitze, Kälte, Hunger, Krankheit, Verletzungen… Seelische Stressoren sind etwa Ängste oder Schwierigkeiten im privaten bzw. beruflichen Bereich. Bedingt durch die Leib-Seele-Einheit des Menschen löst jedoch jeder Stress-Reiz körperliche und seelische Reaktionen aus, da die psychischen nicht unabhängig von den organischen Vorgängen ablaufen können.

Das Wort Stress stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie Anspannung, Druck, Beanspruchung, Belastung, sowohl im positiven wie im negativen Sinn. Demgemäß unterscheidet man zwei Formen von Stress:

Beispiel:

Die trockene Hitze der Sauna stellt für den menschlichen Organismus einen Stress-Reiz dar. Ein Sauna-Aufenthalt von fünf Minuten wird von den meisten Menschen als angenehm und anregend erlebt. Ein übermäßig langer Saunagang wird jedoch nicht als wohltuend, sondern als gesundheitlich belastend empfunden und kann zu Herz- und Kreislaufbeschwerden führen.

An diesem Beispiel wird klar, dass Eu- und Disstress nur in Bezug auf den Menschen zu definieren sind, der den jeweiligen Stressoren ausgesetzt ist. Inwieweit ein Reiz oder eine Situation für jemanden eine Belastung darstellt, hängt sowohl von objektiven Bedingungen (etwa der Reizstärke), als auch von der individuellen Konstitution und den in der Interaktion mit der Umwelt gemachten Erfahrungen des mit Stress konfrontierten Menschen ab.

Die Lebensvorgänge im menschlichen Organismus werden vom Nervensystem gesteuert und reguliert. Dabei unterscheidet man aus der Sicht der Biologie zwei Anteile: Das motorische und das vegetative Nervensystem. Das motorische Nervensystem steuert Tätigkeiten des Bewegungsapparates. Der Funktionsbereich des vegetativen Nervensystems, das dem Einfluss des Willens nicht zugänglich ist, umfasst die Steuerung und Regulation der inneren Organe. Im vegetativen Nervensystem lassen sich unter anatomischen und funktionellen Aspekten zwei antagonistisch wirkende Anteile erkennen: Der Sympathikus und der Parasympathikus (Vagus). Der sympathikotone Anteil des vegetativen Nervensystems steuert die Organfunktionen in der Weise, dass der Organismus leistungsbereit und leistungsfähig wird. Im Gegensatz dazu sorgt der Parasympathikus für die Erholung des Körpers und ist zuständig für den Aufbau neuer Reserven. Entsprechend dominiert tagsüber die Aktivität des Sympathikus und nachts, die des Parasympathikus.

Im übertragenen Sinn wirken Sympathikus und Parasympathikus ähnlich wie Gaspedal und Bremse beim Auto. Solange sich die Einflüsse beider Systeme die Waage halten, arbeitet zum Beispiel das Herz mit normaler Frequenz. Bei zunehmendem Einfluss des Sympathikus wird sich der Herzschlag beschleunigen. Bei stärkerem Einfluss des Parasympathikus wird sich die Herzfrequenz verringern.

Einige Wirkungen der Erregung des sympathischen und des parasympathischen Teils des Nervensystems sind in Tabelle 1 zusammengestellt:

Organ oder Funktion

Erregung des sympathischen Teils

Erregung des parasympathischen (vagotonen) Teils

Herzfrequenz

Beschleunigung

Verlangsamung

Herzkranzgefäße

Erweiterung

Verengung

Blutgefäße

Verengung

Erweiterung

Luftwege

Erweiterung

Verengung

Atmung

Beschleunigung

Verlangsamung

Körpertemperatur

Erhöhung

Senkung

Blutzuckerspiegel

Erhöhung

Senkung

Pupillen

Erweiterung

Verengung

Harnblase

Harnverhaltung

Harnentleerung

Verdauung

Hemmung

Förderung

Tabelle 1: Beispiele für die Tätigkeit des vegetativen Nervensystems

Der Optimalzustand der inneren Ordnung des Organismus ist dann gegeben, wenn Aktivierung und Entspannung beider Anteile des vegetativen Nervensystems sich in sinnvollem Rhythmus abwechseln.

Welcher Teil des vegetativen Nervensystems eines Menschen in Stresssituationen jeweils dominiert, hängt von anlagebedingten Faktoren und individuellen Lernerfahrungen ab. Idealtypisch gesehen unterscheidet man in diesem Zusammenhang zwischen Sympathikotonikern und Vagotonikern. Der typische Sympathikotoniker steht meist unter Überspannung, ist ständig auf dem Sprung, neigt zu Unruhe, Nervosität und Reizbarkeit, bekommt häufig „Herzklopfen“ und klagt oftmals über Kopfschmerzen und zu hohen Blutdruck. Der idealtypische Vagotoniker zeigt gegensätzliche Reaktionstendenzen. Er reagiert auf Belastungssituationen häufig mit Schwäche-, Hilflosigkeits- und Angstzuständen. Weitere Kennzeichen der vagotonen Fehlsteuerung in Stresssituationen sind das Absinken des Blutdrucks durch Weitstellung der Blutgefäße („Blutleere“ im Gehirn), die Verkrampfung der Muskulatur von Magen und Harnblase und Atemnot (bedingt durch Kontraktionen der Bronchien).

Abbildung 1: Eustress als vitalisierende Herausforderung

Ursprüngliche Untersuchungen zur Stressproblematik, die von Richard Lazarus an der Universität Berkeley in Kalifornien durchgeführt wurden,3 lassen den Schluss zu, dass es - langfristig gesehen – eher die kleineren Probleme des Alltags sind, die den großen Stress verursachen. Gegen lebensverändernde Ereignisse bzw. traumatische Erlebnisse (Tod des Lebensgefährten, Trennung von einem Partner, schwere Krankheit oder Verletzung…) haben, nach Meinung von Lazarus, viele Menschen unserer Tage, in einer Reihe von Fällen, bereits wirksame psychische Abwehrmechanismen entwickelt. In „normalen“ Stresssituationen des täglichen Lebens (Konflikte in Familie und Beruf, Ärger im Straßenverkehr…) hingegen, die der einzelne Mensch subjektiv wahrnimmt und auf die von Person zu Person sehr unterschiedlich reagiert wird, stehen solche Abwehrstrategien häufig nicht zur Verfügung. Die vielen kleinen Ärgernisse des Alltags haben demnach kumulative schädigende Auswirkungen auf die Gesundheit des davon Betroffenen. Zahlreiche Versuche mit Tieren und Menschen haben bewiesen, dass ein Mangel an Stress sich ebenso schädlich auswirken kann wie eine übermäßige Stressbelastung. Stressmangel wird also offensichtlich selbst zum negativen Stress. „Absolute Abwesenheit von Stress ist Tod.“4 Ein gewisses Maß an Stress ist notwendig, weil sonst die Anpassungsfähigkeit des Organismus an sich ändernde Verhältnisse und Situationen verloren geht. Ein stressfreies Leben – eine visionäre Vorstellung – ist etwa vergleichbar mit Wohnen in gleichbleibend klimatisierten Räumen. Wer sich ausschließlich in solcher Umgebung aufhält, beeinträchtigt dadurch die Fähigkeit seines Körpers, sich auf Klimaveränderungen einzustellen, schwächt die Abwehrkraft des Organismus und wird damit besonders anfällig für Krankheiten. Stress wird dann problematisch, ja u.U. lebensbedrohend, wenn er im Übermaß auftritt und wenn keine Möglichkeit zum Abbau der bereitgestellten Energien gegeben ist. Die Wirkung von Eustress als „vitalisierende Herausforderung“ ist in Abbildung 1 dargestellt.

Abbildung 2: Management by Stress5

2 Selye, H., 1977, S. 38

3 Vgl. Universität Berkeley Kalifornien Gesundheitsreport „Intern", Band 1, Ausgabe 2, Mai 1985, S. 1

4 Selye, H., 1977, S. 42

5 Halbritter, K., München/Wien 1978

Burn-out ist keine Krankheit

Der Begriff „burn-out“6 kommt aus dem Englischen und bedeutet übersetzt „ausbrennen“, „durchbrennen“, „verheizen“. Erstmals verwendet wurde das Wort von William Shakespeare. Thomas Mann beschrieb die Burnout-Symptomatik in der Figur des Thomas Buddenbrook.

Ausgebrannt, überfordert, erschöpft – so fühlte sich der Psychotherapeut Herbert Freudenberger im New York der 1970er Jahre, nachdem er lange Zeit über seine Kräfte gearbeitet hatte. Bis zu einem Punkt, an dem plötzlich nichts mehr ging. Freudenberger schrieb über seine Erfahrung, sein Ausgebranntsein und definierte Burn-out als: „Nachlassen bzw. Schwinden von Kräften oder Erschöpfung durch übermäßige Beanspruchung der eigenen Energie, Kräfte oder Ressourcen.“ 7 Prävention und Therapie zielen darauf ab, die Strategien der Betroffenen im Umgang mit solchen Belastungen zu verbessern und Entlastungsmöglichkeiten zu schaffen. Mehr als 130 verschiedene Burn-out-Einzelbeschwerden – überlappt mit diversen anderen Störungbildern (z. B. Depression) – sowie eine Vielzahl von unterschiedlichen Stufenmodellen wurden publiziert. Verbindliche Diagnosekriterien einer gesonderten Krankheit Burn-out ergeben sich daraus jedoch nicht. Entsprechend hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) in der ICD-10 (International Classification of Diseases) eine Burn-out-Erkrankung nicht aufgeführt. Die Burn-out-Symptomatik ist demnach ein Einflussfaktor, ein Sammelbegriff, aber keine eigenständige Krankheit – zumindest nicht nach der Definition der WHO. In dieser internationalen statistischen Klassifikation werden im Anschluss an die Krankheitskapitel lediglich Problembereiche genannt, die zwar zur Kontaktaufnahme mit den Gesundheitsdiensten führen können, jedoch selbst keine Krankheiten sind. Die richtige Bezeichnung ist: Burn-out-Syndrom. Ein Syndrom, ist eine Ansammlung von mehreren Symptomen, die auf verschiedene Krankheiten schließen lassen können. Daher ist Burn-out keine Krankheit, sondern eine Sammlung von Anzeichen dafür, dass ein oder mehrere Krankheitsbilder vorliegen.

Im strengen Sinn gibt es deshalb auch keine Diagnose Burn-out, im Gegensatz zum Beispiel zur Diagnose Depression. Letztere ist als Krankheitsbild allgemein anerkannt und wissenschaftlich gut untersucht. Die Merkmale des Burn-outs unterscheiden sich deutlich von denen der Depression. Bei einer Depression beziehen sich die negativen Gedanken und Gefühle nicht nur auf die Arbeit, sondern auf alle Lebensbereiche. Ein typisches Symptom für eine Depression ist mangelndes Selbstwertgefühl. Burn-out kann allerdings durchaus die Vorstufe zu einer Depression sein, doch: Nicht jeder Burn-out muss von einer Depression begleitet werden. Einige Burn-out-Beschwerden überschneiden sich mit den Symptomen einer Depression – zum Beispiel Antriebslosigkeit, Mutlosigkeit, Müdigkeit, das Gefühl der Leere und Sinnlosigkeit. Manche Experten vermuten daher, dass es keine scharfe Trennlinie zwischen den beiden Leiden gibt. Von außen betrachtet, anhand medizinischer Kriterien, erfüllt aktuell etwa jeder sechste Mensch, der sich ausgebrannt fühlt, die Kriterien einer Depression.

Stress ist zwar ein Schlüsselphänomen für das Burn-out-Syndrom, reicht allein als Erklärung jedoch nicht aus. Problematisch wird es dann, wenn Anforderungen und Ressourcen nicht mehr im Gleichgewicht sind. Bei gesunden Menschen wie bei Burn-out-Gefährdeten wird bei Stress Cortisol ausgeschüttet. Während bei Gesunden die Ausschüttung des Stresshormons bald wieder gestoppt wird, bleibt der Spiegel bei Burn-out-Betroffenen weiterhin hoch. Cortisol ist jedoch neurotoxisch. Ein dauerhaft hoher Spiegel reduziert die Zahl der Synapsen und anderer Strukturen der Neuronen.

Um nicht in die Burn-out-Falle zu tappen, ist es wichtig, über die Burn-out-Gefahren Bescheid zu wissen, die Symptome und Bedingungen zu kennen.

Es gibt ganz typische Verhaltensweisen – zum Teil sehr unterschiedlich bis hin zur Gegensätzlichkeit – die konkrete Anzeichen eines schon bestehenden Burn-outs sein können:

Täglicher Widerstand zur Arbeit zu gehen (nicht nur gelegentliche Unlust)

Gefühle des Ärgers, des Versagens, des Widerwillens

Schuldgefühle und Gleichgültigkeit Gesprächspartnern gegenüber

Mutlosigkeit und Zweifel an der eigenen beruflichen Tüchtigkeit

Tägliche Gefühle von Müdigkeit und Erschöpfung

Häufiges auf die Uhr schauen während der Arbeit

Große Müdigkeit vor und während der Arbeit

Verschieben von Kontakten, weil etwas „viel Wichtigeres“ dazwischengekommen ist

„Zeit schinden“ (einige Minuten später anfangen; bei Pausen schnell weg vom Arbeitsplatz)

Kein Interesse am Gesprächspartner

Freude über ausgefallene Termine, Sitzungen…

Zunahme zynischer Kommentare

Zunahme von Strenge und Intoleranz, größere Bereitschaft zu Tadel

Infektanfälligkeit

Kopfschmerzen, Magen-Darm-Probleme, Beschwerden im Bewegungs- und Stützapparat

Suchtmittelmissbrauch

Faktoren im Arbeitsleben, die die Wahrscheinlichkeit von Burnout-Konstellationen erhöhen, sind:

Unerfüllbare Vorgaben

Unklare Erfolgskriterien

Große Verantwortung unter Zeitdruck; langweilige Routinen

Mangelnde Kontroll- und Einflussmöglichkeiten

Ständige Unterbrechung des Arbeitsablaufes

Schlechtes Betriebsklima, Konflikte mit Vorgesetzten und Kollegen

Burn-out ist ein Zustand mit prozesshafter Entwicklung, der durch emotionale Erschöpfung, Depersonalisation und Leistungseinbuße beziehungsweise verringerte Leistungszufriedenheit gekennzeichnet ist. Man spricht nur dann von einem Burn-out, wenn diese drei Hauptsymptome vorliegen.

Unter emotionaler Erschöpfung versteht man den Verlust von positiven Empfindungen (Freude, Genuss, Liebe…) oder allgemeinem Wohlbefinden, sowie die Abnahme bis hin zum Verlust von Sympathie oder Achtung für andere Menschen. Ein weiteres Kennzeichen ist die Müdigkeit – oft schon beim Gedanken an die Arbeit. Es kommt zu Schlafstörungen bis hin zur Schlaflosigkeit. In vielerlei Hinsicht macht sich eine Krankheitsanfälligkeit bemerkbar. Neben einer Vielzahl von körperlichen Beschwerden wird oft noch von herabgesetzter Libido berichtet.

Depersonalisierung meint so etwas wie „Entmenschlichung“ und bedeutet, dass negative, zynische Grundhaltungen gegenüber anderen Personen vorliegen. Dies führt zwangsläufig zu einer Einschränkung von sozialen Kontakten, zu Rückzugsverhalten und nicht selten zur Reduzierung der Arbeit auf das Nötigste. Unzufriedenheit und Gleichgültigkeit machen sich breit. An die Stelle der ursprünglichen Begeisterungsfähigkeit tritt Zynismus, schließlich Verzweiflung und Hoffnungslosigkeit.

Leistungseinbuße – beziehungsweise verringerte Leistungszufriedenheit – hat zu tun mit: Erfahrungen der Erfolgs- und Machtlosigkeit, der fehlenden Anerkennung (Gratifikationsdefizit), von mangelndem Feedback und Insuffizienzgefühlen. Chronische Überforderung tritt auf. Aus Selbstwirksamkeit wird Leistungsunzufriedenheit und Leistungseinbuße. Die Arbeit gelingt nicht mehr. Es kommt zu Konzentrationsstörungen und Nervosität. Entscheidungen fallen schwer, Fehler passieren. Oft versuchen die Betroffenen dann, umso intensiver zu arbeiten, um gegenzusteuern, was ihnen noch mehr Kraft raubt. Ängste können entstehen. Die emotionale Belastbarkeit nimmt ab.

Als Ursache für emotionale Erschöpfung werden vor allem Arbeitszusammenhänge genannt (Arbeitsbedingungen, Zeitdruck, Überlastung...), während emotionaler Stress hauptsächlich zum Rückzug und somit zur Depersonalisation führt.

Burn-out kann Menschen prinzipiell in jedem Lebensbereich, in jeder beruflichen Lage betreffen. Besonders belastet sind Menschen mit Berufen im Sozialbereich, Berufe bei denen emotionale Zuwendung erwartet wird. Vor allem Menschen, die dazu neigen, besonders hochgesteckte Ziele anzustreben, zusätzlichen Aufwand zu übersehen, Zeitbedarf zu unterschätzen und Erfolgsaussichten zu überschätzen („Wunschdenken“) sind gefährdet. Hier bedarf es dringend einer Korrektur des Anspruchsniveaus.

Am Anfang eines Burn-out-Prozesses steht Überengagement (oft jahrelang), das dann plötzlich oder schleichend einsetzend die beschriebenen Symptome zur Folge hat. Die üblichen Reaktionsweisen zu Beginn der Entwicklung eines Burn-outs sind der Zwang, sich zu beweisen sowie größere Anstrengung und Verleugnung des Schwindens der psychischen und physischen Kräfte, was wiederum verstärkte Anstrengungen hervorruft. Meist gesellen sich noch Schlafmangel und unregelmäßiges Essen sowie die Vernachlässigung von Beziehungen hinzu. Nicht selten versucht man, die Entpersönlichung weiter Lebensbereiche durch den Einsatz von Nikotin, Alkohol, Medikamenten, Drogen… zu kompensieren. Man fühlt sich überfordert und wird zunehmend zynischer und distanzierter.

Männern und Frauen fehlt bei einer Depression Serotonin. Im Zusammenhang mit Testosteron führt der Mangel bei den Männern jedoch eher zu riskantem und aggressiv-impulsivem Verhalten und nicht so sehr zu Traurigkeit und Ängsten. Dazu kommen neurobiologische Unterschiede. Die Gehirnhälften sind bei Männern weniger gut „verdrahtet“. Das erschwert die differenzierte Wahrnehmung von Emotionen. Wenn sie sich schlecht fühlen, wissen Männer häufig nicht so genau, warum und woher das kommt. Sie können Emotionen nicht definieren und erleben eine unklare innere Unruhe und Spannung. Oft sprechen sie kaum darüber. Es sei denn, der Beruf wird damit in Verbindung gebracht. „Gott sei Dank gibt es den Burn-out. Den gestehen sich Männer zu. De facto ist es aber eine Erschöpfungsdepression“, sagte die Psychologie-Professorin Brigitte Schigl von der Karl-Landsteiner-Privatuniversität in Krems in einem Vortrag. De-press-ion ist die Niederdrückung jeglicher Gefühlswahrnehmung; eine Leere, eine Sinnlosigkeit, viel schlimmer als Traurigsein.

Was kann man tun, um einen Burn-out zu verhindern? Maslach und Leiter halten zur Prävention von Burn-out das Zusammenwirken von sechs Bereichen für günstig:8

Ausgewogene bewältigbare Arbeitsmenge – also die Limitierung des Aufgabengebietes (um Überforderung zu verhindern)

Autonomie und Kontrolle: Einfluss nehmen können auf Entscheidungen, Überblick über die Ziele der eigenen Arbeitsgruppe haben, wissen wofür man zuständig ist

Anerkennung und gerechte Entlohnung, Transparenz der Ressourcen. Wissen, welche Anerkennung für welche Leistung zu erwarten ist

Gemeinschaftsgefühl, Verbundenheit, gemeinsame Ziele

Fairness, Respekt, Gerechtigkeit, Krisen bewältigen, Solidarität aufbauen, Konflikte besprechen, Vermeidung von Abwertung/Mobbing

Wertvorstellungen, Bedeutung und Wertigkeit der Arbeit

Als Bewältigungsstrategien sind sinnvoll und oft auch notwendig: Entspannungsmethoden, Stressbewältigungsstrategien, die Veränderung von Haltungen und Einstellungen, die Nutzung von Supervisionsangeboten, Coaching, Psychotherapie bis hin zu medizinisch-medikamentösen Behandlungen.

6 „Burn-out oder Burnout (englisch to burn out ‚ausbrennen‘) ist ein Oberbegriff für Typen persönlicher Krisen, die mit eher unauffälligen Frühsymptomen beginnen und mit völliger Unzufriedenheit oder sogar Suizid enden können.“ (Wikipedia)

7 Freudenberger, H., 1974, S. 163

8 vgl. Maslach, C./ Schaufeli, W.B./Leiter, M. P., 2001, S. 408

Reaktionen des Körpers unter Stress

Die drei Stadien des allgemeinen Adaptationssyndroms

Die Reaktion des Körpers unter Stress lässt sich nach einem theoretischen Konzept von Selye („allgemeines Adaptationssyndrom“) in drei Stadien aufteilen (vgl. Abbildung 3). Dieser theoretische Ansatz eignet sich besonders zur Erklärung stressbedingter psychosomatischer Störungen.

Alarmstadium

Das Alarmstadium ist die Phase physiologischer Veränderungen, die der Organismus als erste Reaktion auf die Einwirkung von Stressoren zeigt. In diesem Stadium werden die Verteidigungskräfte mobilisiert. Einen Moment lang dominieren zunächst die vagotonen Reaktionen. Der Mensch, der mit einem Stressor konfrontiert wurde, sammelt Kräfte. Gelegentlich zeigt sich eine kurzzeitige Reaktionsunfähigkeit, die als Schrecksekunde erlebt wird. Im Anschluss daran erfolgt die Umschaltung auf die sympathikotone Spannungslage: Der Organismus wird aktiviert, er stellt sich auf maximale Leistung ein und ist damit optimal auf Angriff oder Flucht vorbereitet. Beim vom Stress geplagten Menschen unserer Tage wird die bereitgestellte Energie jedoch in der Regel weder durch Kampf noch durch Flucht abgebaut. Häufig verharrt der Gestresste gar in Bewegungslosigkeit.

Widerstandsstadium

Dauert die Stress auslösende Situation weiter an, entwickelt der Organismus einen Widerstand gegen den Stress-Reiz, der die Alarmreaktion ausgelöst hat. Die Widerstandsreaktion ist physiologisch gesehen auf eine erhöhte Ausschüttung von Hormonen der Hypophyse und der Nebennierenrinde in die Blutbahn zurückzuführen. Die Länge dieser Phase hängt von der individuellen Anpassungsfähigkeit und von der Stärke und der Anzahl der Stressoren ab.

Erschöpfungsstadium

Bei langandauerndem Stress erlahmt schließlich der Widerstand durch Verausgabung der Anpassungsenergie und die Erschöpfung setzt ein. Hypophyse und Nebennierenrinde sind nicht mehr in der Lage, genügend Hormone zu produzieren, um dem Dauerstress weiter standzuhalten. Dies kann letztendlich, wenn der Stress nicht reduziert wird, zum funktionellen Zusammenbruch und zum Tode führen.

Abbildung 3: Die drei Stadien des allgemeinen Anpassungssyndroms9

Das menschliche Alarmsystem

Wir werden mit einer Vielzahl von Stressoren konfrontiert, mit denen sich unser Organismus auseinandersetzen muss. Grundsätzlich läuft bei jeder intensiven Reizeinwirkung dasselbe Reaktionsmuster ab: „Aus Psychologie wird Biologie“, sagte Prof. Joachim Bauer diesbezüglich in einem Vortrag zur Neurobiologie der Stressantwort an der Universität Freiburg.

In der Frühzeit unserer Entwicklungsgeschichte war es notwendig auf drohende Gefahren oder Angriffe blitzschnell – in Form von Angriff oder Flucht (fight or flight) - zu reagieren. Um das Überleben der Art zu sichern, wurde ein hochleistungsfähiges System geschaffen, das in kürzester Zeit ein hohes Maß an Energie zur Verfügung stellt und das Reaktionsvermögen stark erhöht. „Unspezifisch“ nennt man die allgemeine, stereotyp gleichbleibende Reaktion des Körpers auf eine Stresssituation, die zu einer kurzfristigen Steigerung der Leistungs-, Widerstands- und Anpassungsfähigkeit führt. Um zu verstehen, warum Stress heute für viele Menschen ein so großes Problem darstellt, dass sie krank werden, ist es hilfreich, sich anzusehen, welche physiologischen Prozesse im Körper ablaufen.

Das menschliche Alarmsystem (vgl. Abbildung 4)

Unsere Sinnesorgane (1) melden einen Gefahrenreiz an die Hirnrinde (2).

In unserer Hirnrinde findet ein Bewusstseinsprozess statt: wir assoziieren „Gefahr!“.

Beim Empfang von Gefahrensignalen entstehen Angstemotionen im Hypothalamus (3), einem Teil des Zwischenhirns.

Die Angstemotionen werden an die Hypophyse (4), die Hirnanhangdrüse, gemeldet.

Die Hypophyse schüttet nun das Hormon ACTH (Adrenocorticotropes Hormon) direkt in die Blutbahn (5) aus.

Die Nebennierenrinde (6), auch eine Drüse, registriert das im Blut enthaltene ACTH und reagiert nun selbst mit der Ausschüttung von Hormonen, insbesondere von Adrenalin.

Diese Hormone (7) versetzen den gesamten Organismus in den Zustand höchster Kampf- und Fluchtbereitschaft. Gleichzeitig haben die Angstemotionen über den Hypothalamus unser vegetatives Nervensystem aktiviert.

Dieser Zustand angespannter Erregung im gesamten Organismus (8) wird wieder an das Gehirn zurückgemeldet. So nehmen wir zum Beispiel bewusst wahr, dass unser Herz schneller schlägt.

Vor allem aber wird der Zustand der Erregung an das Stammhirn gemeldet, dessen Teilsystem, die retikuläre Formation (9), nun Impulse zur Großhirnrinde aussendet.

Diese Impulse der retikulären Formation „feuern“ regelrecht die Großhirnrinde an. Sie wird dadurch in höchste Bereitschaft versetzt, „geweckt“: Gespannteste Aufmerksamkeit ist die Folge, alle Umweltreize werden nun besonders scharf wahrgenommen und sehr sorgfältig verarbeitet.

Wir sind auf die Gefahr vorbereitet. Die Hirnrinde, aufs äußerste erregt, ermöglicht ein der Situation optimal angepasstes Wahrnehmen und Denken und damit ein Handeln unter bestmöglicher Ausnutzung unserer motorischen Leistungsfähigkeit. Der Sympathikus hat ja schon – zusammen mit den Nebennierenrinden-Hormonen – die notwendigen Energien dazu bereitgestellt.

Abbildung 4: So funktioniert unser Alarmsystem10

9 vgl. Selye, H., 1977, S. 47

10 nach Hennenhofer, G. / Heil, K. D., 1975, S. 19

Zur Physiologie der Stressreaktion

Stressreize werden von unseren Sinnesorganen über Nervenbahnen ins Gehirn gemeldet. Der Hypothalamus – ein Teil des Zwischenhirns, der überwiegend für vegetativ-regulierende Funktionen zuständig ist – aktiviert den Sympathikus und die Hypophyse (Hirnanhangdrüse). Durch diese Aktivierung wird das Nebennierenmark zur Ausscheidung der Katecholamine Adrenalin und Noradrenalin veranlasst und die Hypophyse gibt ihr adrenocorticotropes Hormon (ACTH) in den Blutkreislauf ab.

Die ins Blut abgegebenen Hormone bewirken im Körper eine generelle Mobilmachung. Die Blutzufuhr zu den Muskeln wird zum Beispiel auf Kosten der Durchblutung der Haut vermehrt, der Blutzuckerspiegel steigt — bedingt durch den Abbau von Glykogen zu Glucose in der Leber — die Herzfrequenz und der Blutdruck werden erhöht, die Aktivität der Verdauungsorgane wird herabgesetzt. Zudem wird die Immunabwehr geschwächt, was zum Beispiel die unter dem Einfluss von Stress erhöhte allgemeine Anfälligkeit gegenüber Infektionskrankheiten erklärt. Die Blutgerinnungsfähigkeit wird erhöht, um — etwa bei durch Kampf bedingten Verletzungen — die Gefahr des Verblutens zu verringern. Die Fähigkeit rational zu denken ist vermindert oder gar blockiert (Denkblockade), um die reflexartig ablaufenden Kampf- und Fluchtreaktionen nicht zu verzögern oder zu beeinträchtigen.