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9 Erfolgsgeschichten, 73 Standpunkte, 10 Key Learnings, 1 Mission: erfolgreich innovieren. Das Successbook wirft einen Blick in die Innovationsprozesse eines Schweizer Großunternehmens. Erfolgsfaktoren und Innovationsmythen werden zusammen mit Expert:innen beleuchtet.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 273
Veröffentlichungsjahr: 2023
Wenn Innovationen gelingen: Erfolgsgeschicheten, Schlüsselfaktoren, Innovationsmythen – und was man daraus lernen kann
Cover
Titel
Inhalt
Expert*innenmeinungen zum Thema Erfolg im Innovationsumfeld
Wie alles begann
Wo alles begann
Neun Erfolgsgeschichten
Twint
Tilbago
Valuu
Cardossier
Toni
Miira
Swiss Trust Chain
Green Coin
Yuh
Innovationsmythen
Key Learnings
Glossar
Index Personen alphabetisch
Impressum
Ruth Armalé
Artur Baldauf
Alice Baumann
Florian Baumgartner
Katharina Berger
Claudia Bienentreu
Christoph Birkholz
Bastian Cantieni
Oliver Csendes
Lukas Diem
Lars Diener-Kimmich
Andreas Dietrich
Pascal Egloff
Andreas Erbe
Laura Erickson
Thomas Etter
Olivier Ferilli
Giulia Fitzpatrick
Silvan Forster
Miriam Gantert
Orlando Gehrig
Adrian Gerber
Silvana E.S. Leasi (-Gmür)
Sunnie J. Groeneveld
Sascha Gysel
Fredrik Hacklin
Mik Häfliger
Jean-Philippe Hagmann
Michael Hartschen
Natascha Hebestreit
Bettina und Christian Hirsig
Johannes Höhener
Daniel Höfelmann
Julia Holzgreve
Daniel Huber
Christoph Hunziker
Urs Jaschke
Jeremias Jurt
Heiner Kaufmann
Natalie Kistler
Kathrin Kramer
Gabriela Länger
Daniel Ledermann
Matthias Lenssen
Katka Letzing
Bernhard Lingens
Nicole Loeb
Simon May
Max Meister
Rolf Meyer
Marc Michel
Niklaus Moor
Eliane Noverraz
Ralph-Christian Ohr
Alex Osterwalder
Claudia Pletscher
Matthias Max Pohle
Eric Postler
Thomas Puschmann
Michael Sauter
Deborrah Schaer
Beat Scheidegger
Sankha Som
Jürg Stuker
Christina Taylor
Sandra-Stella Triebl
Cordelia Trümpy
Falk Uebernickel
Marc Wenig
Patricia Wolf
Lorenz Wyss
Angela Zellweger
VNTR | Innovation & Venturing
Als wir 2018 als Innovationsteam von PostFinance zurückblickten und uns fragten, was wir bisher erreicht hatten, waren wir alles andere als überrascht, als wir viele Innovationsmisserfolge sahen. Wer sich mit Innovation beschäftigt, dem ist klar, dass es meist deutlich mehr Misserfolge als Erfolge gibt. Erstaunt waren wir aber darüber, wie viele Erkenntnisse wir daraus gewinnen konnten und wie viel wir auch später noch davon profitierten. Die Grundlagen und Informationen unserer gescheiterten Innovationsvorhaben waren alle noch vorhanden und in einer riesigen Excel-Liste und Ordnerstruktur gespeichert. Wir sammelten unsere Erkenntnisse kurzerhand in einem selbst zusammengeschusterten Buch, dem Failbook. 2018 hielten wir es das erste Mal in den Händen. Die Reaktionen auf das Failbook waren überraschend zahlreich und positiv, sodass wir uns 2021 entschlossen, das Buch gemeinsam mit einem Verlag zu publizieren und so die Learnings allen zugänglich zu machen.
Parallel zu den Reaktionen zum Failbook kam sehr schnell die Frage auf: «Und wann bringt ihr das Erfolgsbuch raus?» – «Erfolgsbuch?», fragten wir uns, «Haben wir überhaupt schon Erfolge vorzuweisen? Was sind Erfolge für uns und wann spricht man im Innovationsumfeld von einem Erfolg?» Wir schauten uns um und erkannten, dass wir sicher nicht nur Misserfolge vorzuweisen hatten. Je länger wir unterwegs waren und je mehr wir dabei gelernt hatten, desto mehr Innovationsvorhaben schafften es auf den Markt.
Doch war dies schon ein Erfolg? Die Konzeption dieses Successbooks hat uns zum Nachdenken bewegt und wir führten viele Diskussionen zur Frage, ab wann im Innovationsumfeld ein Erfolg als Erfolg gilt. Denn Erfolg in der Innovation ist vielschichtig. Das Wort «Innovation» beinhaltet bereits den Erfolg mit der Definition «etwas Neues erfolgreich umsetzen», und trotzdem ist es nicht eindeutig definiert. Bereits der Blick ins eigene Unternehmen zeigt, dass der Erfolg eines Teams nicht unbedingt bereits auch einen Erfolg für das gesamte Unternehmen bedeutet. Innovationen, die wir heute erfolgreich am Markt lancieren, garantieren noch keine grossen Gewinne in der Zukunft. Wir hatten also alle eine vage Vorstellung davon, was Erfolg bedeutet, aber wir wollten konkretere Antworten.
Wir fassten den Entschluss, Meinungen und Einschätzungen aus unserem Innovationsnetzwerk einzuholen. Wir wollten wissen, was Innovationsprofis und andere Innovationsteams aus den unterschiedlichsten Branchen, Innovationslaboren, Innovationsagenturen und -beratungen, Spezialistinnen innerhalb des Innovationsumfelds, Dozierende an Universitäten und Fachhochschulen und Buchautoren über Erfolg im Innovationsbereich zu sagen haben. Daher erstellten wir einen Fragebogen und konfrontierten damit mehr als 70 Personen aus unserem Netzwerk, um dem Geheimnis der Innovationserfolge auf die Spur zu kommen. Wir waren überwältigt von den positiven Reaktionen und den vielfältigen Antworten und Erkenntnissen, die dabei herauskamen.
Hatten wir beim Failbook noch eine Excel-Liste als Basis, so mussten wir beim Successbook bei Null beginnen. Wir mussten unsere eigenen Erfolgsgeschichten identifizieren und für Nicht-Insider verständlich niederschreiben, wir führten Interviews und trugen Erkenntnisse zusammen. Mit Schweizerischer Bescheidenheit begannen wir mit drei Geschichten, die wir als echte Erfolge ansahen, nach langen Diskussionen einigten wir uns schliesslich auf neun, von denen wir sagen können: Das ist eine Erfolgsgeschichte!
Nun hatten wir den Inhalt zusammen: Auf der einen Seite Erfolgsgeschichten, die mit unserem Innovationsteam zusammenhängen. Diese Stories sollen aufzeigen, auf wie viele verschiedene Arten Innovationen entstehen können, an welchen Stellen und aus welchen Gründen Innovationserfolge (und nicht Misserfolge) eintreten und warum diese Vorhaben aus unserer Sicht überhaupt Erfolge sind. Auf der anderen Seite die Antworten aus den Fragebögen, welche aus verschiedenen Blickwinkeln ergründen, was Erfolg im Innovationsumfeld bedeutet und aus welchen Gründen Innovationsprojekte erfolgreich sein können – oder eben auch nicht. Aus diesen mehr als 70 Expert*innenmeinungen haben wir zum Schluss die wichtigsten Erfolgsfaktoren und Innovationsmythen zusammengefasst.
Es bleibt vielleicht die Frage, warum ein Innovationsteam eines Dienstleistungsunternehmens, genauer gesagt einer Bank, überhaupt ein solches Buch herausbringt. Warum überlassen wir dies nicht Forschenden und Buchautor*innen? Das Successbook ist keine wissenschaftliche Abhandlung des Themas, sondern soll Einblicke bieten in unsere Innovationspraxis, in die unseres Netzwerks und in das daraus erworbene Wissen im Umgang mit Innovationen. Dadurch soll das Bewusstsein für die relevanten (Erfolgs-)Faktoren in diesem Bereich gestärkt werden. Wir hoffen auch, dass das Resultat einem breiteren Publikum oder zumindest allen Innovationsinteressierten einen Blick ermöglicht, der sonst nicht verfügbar wäre. Dies entspricht unserem Open Innovation-Credo und dem Öffnen des eigenen Innovationsprozesses.
An dieser Stelle ist es auch angebracht, uns ganz herzlich bei allen Mitwirkenden zu bedanken. Bei den Autorinnen und Interviewten der Erfolgsgeschichten, den Inputgeberinnen und den Antwortgebern auf unsere Erfolgs- und Innovationsfragen, den Mitschreibenden, Feedbackgeber*innen, unserem Erfolgsgeschichten-Visualisierer LAIN und vielen mehr, insbesondere dem Verlag vatter&vatter und unserer Texterin Julia (ohne dich wäre das Werk nie möglich gewesen).
Allen, die das Successbook in den Händen halten, wünschen wir gute Unterhaltung, viele neue Erkenntnisse und Heureka-Erlebnisse. Erfolg und Misserfolg sind manchmal eine Frage der Perspektive und hängen oft vom richtigen (oder falschen) Zeitpunkt ab – doch fast immer gehen sie Hand in Hand. In diesem Sinne: Viel Erfolg!
PS: Eine gendergerechte Sprache ist uns wichtig. Damit der Text flüssig lesbar bleibt, haben wir uns dafür entschieden, neben dem Gendersternchen (*) manchmal auch die generische Form zu verwenden, wobei wir zwischen männlich und weiblich abwechseln.
PPS: Für alle Lesenden, die mit den zahlreichen Fachbegriffen aus dem Innovations- und Businesskontext nicht vertraut sind oder die genauer verstehen wollen, worum es sich bei inkrementellen oder disruptiven Innovationen, bei einem Spin-Out oder beim Pivoting handelt, haben wir ein Glossar erstellt: www.postfinance.ch/vntr
Man nehme ein Dienstleistungsunternehmen, beispielsweise eine Bank, und frage sich, wie sichergestellt werden kann, dass nicht nur das Tagesgeschäft erledigt, sondern auch die Zukunft geformt wird. In vielen, vor allem grossen Unternehmen findet man heute zu diesem Thema eine Innovationsverantwortliche oder ein Innovationsteam. Das heisst, ein Team, das den expliziten Auftrag hat, sich mit der Zukunft, neuen Produkten, Dienstleistungen und Herangehensweisen auseinanderzusetzen. Diese Auseinandersetzung soll garantieren, dass Opportunitäten aufgegriffen und blinde Flecken vermieden werden und das Unternehmen auf die Zukunft vorbereitet ist. Dazu werden Trends verfolgt, Signale aufgegriffen, Zukunftsszenarien erstellt, Suchfelder bzw. Innovationsopportunitäten erarbeitet, Technologien und Startups analysiert usw. Dies alles mit dem Ziel, als Unternehmen neben dem erfolgreichen Vorantreiben des Tagesgeschäfts auch für die Zukunft gewappnet zu sein.
An dieser Stelle möchten wir erwähnen, dass wir im Rahmen dieses Buchs Produkt- und Dienstleistungsinnovationen meinen, wenn wir von Innovationen reden. Also neue Produkte und Dienstleistungen am Markt, die das Leben von Privatpersonen oder Geschäftsleuten vereinfachen sollen. Zusammengefasst dreht es sich um Neuerungen, die am Markt umgesetzt werden und die den Kund*innen ebenso wie dem Unternehmen einen wirtschaftlichen, sozialen oder anderen Mehrwert bieten. Die hier vorgestellten Erfolgsgeschichten beziehen sich auf die Innovationen einer Bank und somit um Angebote aus dem Umfeld von Finanzdienstleistungen. Unseres Erachtens können die Erkenntnisse aber in andere Branchen übertragen und generell für den Umgang mit Innovationen zur Hand genommen werden.
Jetzt fehlt uns noch ein letzter wichtiger Aspekt. In Unternehmen gibt es im besten Fall verschiedene Mitarbeiterprofile, die sich um Innovationen kümmern. Im Bereich «Exploitation» lancieren wir im Unternehmen Innovationen zu Produkten und Dienstleistungen, die in unserer Kernkompetenz liegen und die für uns und die Welt nicht ganz so neu sind. Bei der «Exploration» hingegen kümmern wir uns um Innovationen, die weiter in der Zukunft liegen oder Themen betreffen, die für das Unternehmen noch neu sind. Dabei muss das Thema nicht immer neu für die Welt sein, aber zumindest neu für unser Unternehmen. Das Beratungsunternehmen McKinsey hat vor einiger Zeit das 3-Horizonte-Modell aufgestellt, anhand dessen Unternehmen den Neuigkeitsgrad von Innovationen einordnen können. Es unterscheidet einerseits, wie nahe eine Innovation beim Kerngeschäft liegt und wie bekannt sie dem Unternehmen ist, andererseits wie hoch ihr Neuheits- oder Innovationsgrad ist. Dieses Modell muss auf jedes Unternehmen individuell angepasst werden (siehe Grafik Horizonte-Modell).
Horizonte-Modell von PostFinance. Als Quelle dient das «3 Horizons Model» von McKinsey.
Im Horizont 1 werden Vorhaben zur Aufrechterhaltung, Anpassung und Weiterentwicklung des Kerngeschäfts behandelt (Exploitation resp. inkrementelle Innovation).
Im Horizont 2 werden digitale Angebote im angrenzenden Kerngeschäft entwickelt (Digital Transformation), aber auch spezifische, strategische Stossrichtungen umgesetzt.
Im Horizont 3 entdecken wir Zukunftsthemen und entwickeln neue Geschäftsmodelle und -felder ausserhalb des heutigen Kerngeschäfts (Future Banking). Ziel ist es, die Innovationsvorhaben, die im Horizont 3 starten, in den Horizont 1 zu bringen, damit sie zum Kerngeschäft von morgen werden. Der Innovationsprozess wird auf den jeweiligen Horizont abgestimmt.
In Unternehmen arbeiten also im Idealfall verschiedene Innovationsteams an verschiedenen Arten von Innovationen. Wir beleuchten hier das Innovationsteam im dritten Innovationshorizont. Jeder Horizont hat seine Eigenheiten – der dritte ist geprägt von grosser Unsicherheit. Zu Beginn eines Vorhabens ist unklar, welches Potenzial eine neue Entdeckung bietet, wie mit ihr umgegangen werden muss und welchen Zeitbedarf, welche Kosten und welchen Umfang ihre Umsetzung mit sich bringen wird. Gerade für diesen Horizont braucht es eine eigene Herangehensweise, Strukturen und einen Prozess sowie Personen und Teams, die mit dieser Unsicherheit umgehen können. Wie wir unseren Innovationsprozess im dritten Horizont gestaltet haben und wie wir damit arbeiten, ist übrigens im Failbook und auf www.postfinance.ch/vntr im Detail nachzulesen.
Die Welt der Innovationen ist schnelllebig – und wenn wir eines gelernt haben, egal ob Erfolg oder Misserfolg, dann: Das einzig Beständige ist die Veränderung. Wagten wir im Failbook eine Retrospektive auf die vergangenen und beendeten Innovationsvorhaben, so blicken wir im Successbook auf die aktuell laufenden und am Markt lancierten Innovationen. Dabei fokussieren wir auf die Erfolgsgeschichten aus dem dritten Horizont.
Im dritten Horizont nähern wir uns grob gesehen aus zwei Themenrichtungen der Zukunft an: Aus Sicht der Innovationsthemen mit einer Innovations-Initiative und aus Sicht der Finanzierungen von Startups mit einer Venturing-Initiative.
Die Innovations-Initiative kümmert sich um die Entwicklung von Zukunftsszenarien, die frühe und systematische Trenderkennung und die Ableitung relevanter Suchfelder und deren Innovationsopportunitäten. Zudem verantwortet sie das firmenübergreifende Innovationsmanagement mit Fokus auf den Innovationsprozess im dritten Horizont und pflegt ein Portfolio von Innovationsvorhaben und Innovationsbeteiligungen mit Potenzial für die Zukunft. Es sollen neue und relevante Themen frühzeitig entdeckt, schnell, kostengünstig und kundennah getestet und umgesetzt werden.
Dabei werden erfolgreich validierte Vorhaben bis zu einer gewissen Maturität geführt, am Markt angeboten und weiter ausgebaut. Dazu gehört auch die Wahl einer geeigneten Weiterführung und Monetarisierung am Markt (zum Beispiel eine Übergabe an eine Geschäftseinheit, ein Spin-Off, Joint Venture etc.). Ein Kernelement ist der nach aussen offene Innovationsprozess (Open Innovation) und die damit verbundenen Kollaborationen mit Universitäten, Startups, Netzwerken und anderen Unternehmen.
Die Venturing-Initiative beinhaltet die Führung eines diversifizierten Startup-Portfolios durch finanzielle Beteiligungen an bestehenden Startups. Der Fokus liegt dabei auf Startups aus den Bereichen FinTech, InsurTech und anderen technologischen Startups, die Disruptions-Potenzial in Bereichen bieten, die relativ nahe bei den Geschäftstätigkeiten des eigenen Unternehmens liegen.
Im Bereich der Innovationen gibt es nicht den einen Weg zum Erfolg. Denn jedes Innovationsvorhaben hat seine Eigenarten, seine eigenen Herausforderungen, seine «ups and downs». Wir wollten Innovationsvorhaben von uns, die es bereits in den Markt geschafft hatten, auf ihre Erfolgsfaktoren hin analysieren. Warum sehen wir darin einen Erfolg und wie zeigte sich dieser vielleicht bereits in der Entstehungsgeschichte?
Unsere Geschichte als Innovationsteam bietet sowohl die Grundlage für Erfolg, ist aber auch selbst eine Erfolgsgeschichte. Zu Beginn war uns dies gar noch nicht bewusst. Der Weg der Innovations- und Venturing-Initiativen war weder geradlinig noch klar vordefiniert. Wie das Failbook zeigt, funktionierte vieles nicht und musste kontinuierlich angepasst werden. Diese Irrtümer und Anpassungen waren aber entscheidend dafür, dass die jeweils nächsten Vorhaben überhaupt entstehen konnten. Nachfolgend skizzieren wir diese Reise und erläutern die aus unserer Sicht zentralen Schritte und Erfolgsmomente.
2013 etablierte PostFinance einen Innovationsprozess, um die in der jeweiligen Strategieperiode auftretenden Ideen und Innovationsvorhaben für neue Geschäftsmodelle bearbeiten zu können (CO-STAR-Prozess, siehe Failbook). Dieser Prozess war damals vor allem gegen innen gerichtet und für Mitarbeitende offen. 2015 öffneten wir diesen Prozess nach aussen und boten Startups, anderen Unternehmen und Universitäten die Möglichkeit, mit uns gemeinsam Ideen zu bearbeiten und Innovationen zu lancieren. Ende 2015 wurde das PFLab eröffnet, das Innovationslabor von PostFinance. Dieses war ein physischer Ort für die Erstellung schneller Prototypen, und um Ideen in einer frühen Phase zu unterstützen und zu beschleunigen. Davor waren nämlich zu viele Ideen gescheitert. Anfang 2016 fiel der Entscheid, dass wir uns finanziell an Startups beteiligen wollten, um an neuen Geschäftsmodellen und an Wissen ausserhalb des Unternehmens zu partizipieren. 2017 kreierten wir mit dem Growth-Team ein weiteres Element, das es uns erlaubte, einen Fokus auf Themen zu legen und Kompetenzen aufzubauen, die im Unternehmen unbekannt oder noch zu wenig vertieft vorhanden waren. Damals lag der Fokus auf der Blockchain-Technologie und ihren Anwendungsmöglichkeiten für eine Bank.
2018 erkannten wir die Notwendigkeit, die im Unternehmen vorhandenen Innovationsarten zu unterscheiden, Verantwortlichkeiten zu bestimmen und das Horizonte-Modell einzuführen. «Future Banking», wie die Teams damals zusammengenommen intern hiessen, konzentrierte sich ab diesem Zeitpunkt auf Innovationen im dritten Horizont. Es sollten Zukunftsthemen entdeckt, getestet und entwickelt werden, zu denen im Unternehmen kein oder wenig Wissen vorhanden war, die aber als relevant eingestuft wurden. 2019 traten wir zum ersten Mal als PFLab am Markt auf und repräsentierten damit die Philosophie, die Strukturen und alle Teams des Future Bankings nach aussen. Wir nutzten das PFLab als Gefäss, um die Innovationsvorhaben direkt am Markt zu testen und gleichzeitig zu zeigen, dass wir noch in einer sehr frühen Phase steckten und experimentierten – bei Produkten und Services spricht man hier vielfach von einem «early-Label». Ebenfalls traten wir als PFLab mit Innovationspartnerinnen in Kontakt und präsentierten uns bestehenden oder möglichen neuen Kunden. Wir konnten je nach Bedarf die Nähe zum Mutterhaus suchen oder eben bewusst eine Distanz dazu schaffen, um sehr neue, noch fremd erscheinende Themen anzupacken. Ende 2020 reflektierten wir unsere fortlaufend erfolgte Evolution. Dabei erkannten wir, dass wir damit eine optimale Ausgangslage für die nächste Strategieperiode geschaffen hatten. Wir konnten einen «Fachbereich» stellen, der als Innovations- und Venturing-Initiative fungiert.
Unsere Geschichte im Zeitstrahl
Für den Auftritt nach aussen nahmen wir im Frühling 2021 eine Namensänderung vor. Einerseits hatten wir einen Bekanntheitsgrad erreicht, der einen gewissen Namensschutz forderte, wenn wir Vorhaben am Markt darunter platzierten, andererseits hatte PFLab unbewusst immer auch ein einzelnes Team oder einfach nur das Innovationslabor dargestellt. Unter «VNTR | Innovation & Venturing by PostFinance» repräsentieren wir jetzt alle unsere Tätigkeiten, Strukturen, Angebote und Teams noch besser. Dabei steht «Venture» sowohl für Wagnis- oder Risikokapital, das in Startups investiert wird, als auch für neu geschaffene Vorhaben und lancierte Startups, so genannte «Ventures», am Markt.
Einerseits können wir nun während der laufenden Strategieperiode auftretende Opportunitäten erkennen und testen, die das auf die bestehende Strategie fokussierte Unternehmen nicht verfolgen kann und auch nicht darf. Andererseits können wir allfällige blinde Flecken entdecken und Themen für die nächste Geländekammer vorbereiten, d.h. Themen, welche innerhalb der nächsten oder übernächsten Strategieperiode relevant werden. Zudem haben wir über die Jahre ein Partnernetzwerk aufgebaut, das nun hilft, die aktuelle digitale Transformation und Strategieumsetzung zu unterstützen. Insbesondere der Zugang zu Startups und ihren Netzwerken, sowie die damit verbundene Möglichkeit, zusammen Machbarkeitsversuche aufzusetzen, sind für das gesamte Unternehmen wertvoll. Ebenfalls vermitteln wir heute unser eigenes Innovationswissen an Fachhochschulen und Universitäten, halten Referate oder lancieren eigene «Produkte», wie das vorliegende Successbook. Damit zeigen wir nicht nur unsere Innovationsmöglichkeiten auf, sondern positionieren gleichzeitig unser Unternehmen bei potenziell spannenden Partnern und zukünftigen Mitarbeitenden.
Die Erfolgsgeschichten im Zeitstrahl
Mit den Anpassungen im Innovationsteam, sprich den Anpassungen der Strukturen und der Abläufe, schaffen es immer mehr Innovationsvorhaben von der Idee in den Markt. Im Successbook werden neun erfolgreiche Vorhaben und die Geschichten dahinter vorgestellt. Nachfolgend werden diese mit einem kurzen Teaser angeschnitten und es wird beleuchtet, aus «welcher Ecke» sie entstanden sind.
Die App ermöglicht bargeldloses Zahlen mit dem Smartphone. TWINT ist ein Startup, das auf einer Idee von Mitarbeitenden von PostFinance basiert und ausgegründet wurde.
Die digitale Betreibungsplattform führt Nutzende mit wenigen Klicks automatisiert durch den Betreibungsprozess. Die Lösung wurde zusammen mit Externen entwickelt und als eigenes Startup am Markt lanciert.
Die digitale Hypothekenvergleichs- und Vermittlungsplattform basiert auf Ideen aus dem Innovationsprozess und wurde nach einem strategischen Entscheid intern als «Corporate Startup» und eigener Geschäftsbereich aufgesetzt.
Das Ökosystem aggregiert die Daten von Schweizer Fahrzeugen über eine sichere Blockchain-Technologie an einem Ort und bietet die Grundlage zur transparenten Abwicklung und Verrechnung sämtlicher Automobil-Lebensprozesse vom Kauf bis zur Verschrottung. cardossier ist ein Verein, der aus einem InnoSuisse-Projekt entstand, mit PostFinance als Gründungsmitglied.
Die kostengünstige, erste Autoversicherung von PostFinance wurde zusammen mit einem Startup entwickelt.
Die Applikation unterstützt dabei, die persönliche Vorsorge- und Absicherungssituation zu erkennen und zu verbessern. miira wurde aus einem Design-Thinking-Projekt mit der Universität St. Gallen zusammen mit Studierenden entwickelt.
Eine hochsichere Infrastruktur im Bankenumfeld für Blockchain-Anwendungen auf dem Markt: Das Vorhaben wurde von PostFinance-Mitarbeitenden zusammen mit der Post und Swisscom gestartet.
Das Vorhaben, welches die vorhandene «Swiss Climate Challenge»-App nutzt, analysiert nachhaltiges Verhalten, vergibt Punkte in Form einer digitalen Währung und bietet einen Marktplatz, auf dem diese Währung wiederum für nachhaltige Produkte und Services eingesetzt werden kann. Die Lösung wurde von PostFinance-Mitarbeitenden zusammen mit Swisscom lanciert.
Die wichtigsten Finanzfunktionen wurden in einer App für digital affine Kunden vereint und als eigenständiges Startup von PostFinance und Swissquote lanciert.
Unsere Erfolgsgeschichten zeigen, wie Innovationsvorhaben entstehen, aber auch, welche Höhen und Tiefen dabei durchlaufen werden. Es wird ersichtlich, dass es auch (oder eben gerade) für Grossunternehmen nicht einfach ist, neuartige, von der Kerntätigkeit entfernt liegende Innovationen hervorzubringen. In den nachfolgenden Geschichten werden Produkte und Services vorgestellt, die schon länger am Markt bestehen, sowie Vorhaben, die sich noch in einer sehr frühen aber spannenden Phase befinden. Dabei wird schnell klar: Erfolg braucht seine Zeit – und was heute ein Erfolg ist, ist nicht automatisch morgen auch noch einer.
Erfolgs- aber auch Fail-Geschichten sind eine Momentaufnahme, die sich auch wieder verändert. Aufmerksame Leser:innen einer alten physischen Buchversion werden es gemerkt haben: Die Erfolgsgeschichte Ormera ist nicht mehr in der eBook-Version aufgeführt und als neue Erfolgsgeschichte taucht Yuh auf.
Neben dem Fokus auf unsere eigenen Erfolgsgeschichten wollten wir den Erfolg im Innovationsumfeld auch aus anderen Perspektiven beleuchten. Daher definierten wir Fragen aus dem Innovationsumfeld, die sich rund um Erfolg drehen und fragten Innovationsexpert*innen in unserem Netzwerk nach ihren Einschätzungen und Erkenntnissen.
Unser Fragebogen setzt sich aus 15 Fragen zusammen, wobei die Befragten frei wählen konnten, welche und wie viele der Fragen sie beantworten wollten. Es durften dabei auch eigene Fragen ergänzt werden. Auf der folgenden Doppelseite werden alle 15 Fragen vorgestellt und mit einprägsamen Icons ergänzt. Dank der Icons können einzelne Fragen in den abgedruckten Expert*innenmeinungen im Buch leicht wiedergefunden werden.
Insgesamt erhielten wir aus über 70 Anfragen 763 Antworten auf unsere Fragen. Wir trafen eine Auswahl der gegebenen Antworten, so dass möglichst viele Aspekte rund um Innovation abgedeckt werden können. So kommen 438 Antworten zu den Erfolgshintergründen bei Innovationen zusammen. Zu jeder befragten Person werden im Folgenden die erkenntnisreichsten Antworten auf einer bis zwei Doppelseiten präsentiert.
Beim Durchlesen stachen besonders die Innovationsmythen und -missverständnisse heraus. Wir mussten schmunzeln, wie bekannt uns die Aussagen vorkamen und wussten gleich: Diese mussten ein eigenes Kapitel erhalten. Auch kristallisierten sich spannende Erfolgsfaktoren heraus, die immer wieder genannt wurden. Also haben wir diese zusammen mit den Erfahrungen aus unserer eigenen Innovationsreise zu zehn Key Learnings zusammengefasst.
Die Interviewfragen zu Erfolg im Innovationsumfeld im Überblick:
Was ist deine Definition von Erfolg bei Innovationen?
Wie wird Erfolg im Innovationsbereich gemessen?
Woran merkt man, dass ein Innovationsprojekt erfolgreich ist?
Ab wann kann man von einem Erfolg sprechen?
Wie reagierst du, wenn du bei einer neuen Idee gleich beweisen musst, dass sie einen positiven Return on Investment (ROI) aufweist?
Auf welche Innovationsmythen und -missverständnisse triffst du oft?
Gehört für dich zum Erfolg auch das Scheitern?
Was war dein persönlich grösster Erfolg im Bereich der Innovation?
Was sind generelle Erfolgsfaktoren im Innovationsbereich?
Was ist das Wichtigste an einem Erfolg?
Gibt es neben einer Fail-Kultur auch eine Success-Kultur?
Wie wird der Erfolg gefeiert?
Warum haben Unternehmen Innovationslabs, wenn diese mehr Fehler als Erfolge produzieren?
Wird heute Innovation ein höherer Stellenwert beigemessen als früher?
Wohin geht der Trend im Innovationsmanagement?
Eigene Fragen, welche die Innovationsexpert*innen sich gestellt und beantwortet haben.
Wollen wir twinten? Wenn sich ein Markenname in die Umgangssprache einbürgert, muss eine Erfolgsgeschichte dahinterstecken. Thierry Kneissler erzählt sie. Der ehemalige CEO von Twint startete das Innovationsvorhaben 2014 gemeinsam mit zwei Arbeitskollegen bei PostFinance aus dem damaligen Innovations- und Strategieteam.
2014 startete der Umbruch in der Payment-Welt. Erste Zahlungslösungen via Handy entstanden, neue globale Player begannen sich zu positionieren. Für PostFinance bedeutete dies eine strategisch herausfordernde Situation: «Ein wesentliches Element unseres Kernmarkts stand vor potenziell starken Veränderungen – und wir hatten keine Antwort darauf», erklärt Thierry Kneissler, der damals als Mitglied der Geschäftsleitung die strategische Entwicklung von PostFinance prägte. Zwar arbeitete das Finanzinstitut bereits an einem Mobile Payment-Projekt, das aber aus technischen und kommerziellen Gründen abgebrochen werden musste. Hinzu kam, dass aufgrund der anstehenden Migration der Kernbankensoftware die IT-Ressourcen für Innovationen nicht vorhanden waren.
Im März 2014 diskutierten Alessandro Rausa, Michael Hügli und Thierry Kneissler, die alle drei bei PostFinance arbeiteten, die Situation. «Wir waren uns rasch einig: Wir brauchen eine Antwort.» Die ersten Skizzen entstanden. Die Lösung sollte ein zu hundert Prozent digitales Payment erlauben, direkte Zahlungen zwischen Systemteilnehmenden in Echtzeit ermöglichen und das Smartphone als persönliches Terminal nutzen. Zudem sollte sie eine eigene Zahlungsart von Konto zu Konto ohne Nutzung der Kartengeld-Systeme bieten und – was in der Konsequenz separate Infrastrukturen an der Ladenkasse verlangte und ein eigentliches No-Go war – im E-Commerce funktionieren. Schliesslich müsste Peer-to-Peer, das heisst das direkte Geldversenden von einer Person zu einer anderen Person, möglich sein. Wie dies alles technisch funktionieren sollte, wusste das Trio noch nicht. «Aber wir waren überzeugt, dass es irgendwie gehen wird. Wir dachten uns: So kompliziert kann Payment ja nicht sein», erinnert sich Kneissler.
Organisatorisch stand fest: Ein so radikales Vorhaben musste ausserhalb der bestehenden Strukturen entwickelt und realisiert werden, aus regulatorischen Gründen, aber auch aus Innovationssicht. Ebenso offensichtlich war, dass die IT aufgebaut werden musste, dass es eigenes Personal brauchte, dass das Preisschild beträchtlich war und alles sehr schnell gehen musste. In der Summe bedeutete dies ein Vorhaben, das es so bei PostFinance noch nie gegeben hat. «Aber wir spürten: Hier entsteht etwas Spezielles. Die Idee hat Kraft, sie macht Sinn, sie ist eine Antwort auf die Marktherausforderungen, sie ist innovativ. Und wir treiben das, wir können das schaffen», erzählt Thierry Kneissler. Die Tage wurden länger, der Energieverbrauch höher. Zwischen März und Juni 2014 hatten die Initianten faktisch zwei Jobs – am Tag die normale Linientätigkeit, in der Nacht «Monexio», wie sie das Vorhaben inzwischen nannten.
Die Idee war geboren und das Konzept befand sich in der Entwicklung. Jedoch fehlten noch die Mittel zur Umsetzung. Doch wie erhält man nun das OK der unternehmensinternen Gremien? Thierry Kneissler und sein Team nahmen die Abkürzung: «Normalerweise bedeutet dies einen monatelangen Hürdenlauf. Wir gingen bewusst einen anderen Weg: Wir vereinbarten im Mai 2014 ein Meeting zu viert – mit dem CEO und dem Verwaltungsratspräsidenten von PostFinance, der Konzernleiterin der Post (und gleichzeitiger Verwaltungsrätin von PostFinance) und mir.» Das Konzept, inzwischen angewachsen auf zehn bis zwanzig Folien, wurde diskutiert. Nach einer Stunde war klar, dass das Vorhaben umgesetzt werden sollte. Bis Ende Juni wurden der Businessplan geschrieben, die Gremien abgeholt und die Entscheide getroffen. Oder anders gesagt: Es ging von null auf hundert in weniger als hundert Tagen. Die Zeit war offensichtlich reif für die Idee. Bereits im August wechselten die drei Initianten in eine neu gegründete Firma, um die Idee umzusetzen.
Eine der grössten Herausforderungen bestand darin, den Detailhandel zu überzeugen. Mindestens einer der beiden «Grossen» in der Schweiz musste für das Vorhaben begeistert werden. In diesem Fall war es die Coop-Gruppe. «Es gab ein ähnlich denkwürdiges Gespräch wie das Post-/PostFinance-interne Meeting: Nach einer Stunde Präsentation und Diskussion war Coop dabei», weiss Thierry Kneissler. Unverzüglich begannen die Projektarbeiten und gemeinsam wurden die Kassenprozesse inkl. Supercard-Integration definiert. Eine ausgezeichnete Zusammenarbeit begann.
Was nun noch fehlte, war die IT-Lösung. «Um Zeit einzusparen, und weil uns das Konzept gefiel – es entsprach ziemlich genau dem, was wir bauen wollten –, erwarben wir im Sommer 2014 die Rechte an der Mobile Payment Plattform Mobino.» Dies führte dazu, dass wir im August 2014 sofort mit der technischen Implementierung beginnen konnten. In dieser Zeit formte sich – als letzter Baustein – auch das Team, das aus sechs Personen bestand und im selben Monat eigene Büros in Bern bezog.
Der Rest ist Geschichte. Nach nur neun Monaten ging TWINT im April 2015 mit dem produktiven Piloten im Hauptsitz der Post live. Bis wenige Stunden vor dem Start gab es keine Gewissheit, ob es funktionieren würde. Ein letztes Gateway musste in den Systemen geöffnet werden, so dass die erste Aufladung der Prepaid-App am Postomaten und danach die erste Zahlung abgewickelt werden konnte – mit echtem Geld. Im Sommer 2015 folgte der nächste und weit grössere Kaltstart im Stade de Suisse, bei dem an einem Sonntagnachmittag mehrere tausend Kund*innen auf das System kamen. Dieser verlief ebenso erfolgreich wie im Herbst 2015 der nationale Rollout von Coop, bei dem innert weniger Wochen mehrere Tausend TWINT-Terminals installiert und in Betrieb genommen wurden – eine logistische Meisterleistung von Coop.
«Parallel brachten wir die Marke TWINT auf den Markt, mit unkonventionellen Massnahmen wie der Beschriftung des Eishockey-Mittelkreises in der PostFinance Arena in Bern im Februar 2016 – und prompt verlor der SCB kein einziges Spiel und wurde Meister», freut sich Thierry Kneissler. Mit solchen Aktionen gelang es, die Bekanntheit der Marke weit über das hinaus zu steigern, was aufgrund der damals tatsächlich abgewickelten Transaktionen zu erwarten gewesen wäre. Und dann, als das Team im Frühling 2016 gerade an die erste Konsolidierung dachte, kamen die Fusionsgespräche im Schweizer Mobile Payment zwischen TWINT und Paymit in Gang. So ging alles wieder von vorne los. Das Resultat war die nationale Fusion mit Paymit im Herbst 2016, im Sommer 2017 der Go-Live mit den sechs grössten Schweizer Banken und die erste Million Kunden per Herbst 2018. Heute ist TWINT eingebürgert, sogar im Wortschatz.
Dass aus TWINT eine Erfolgsgeschichte wurde, liegt nicht zuletzt am Antrieb des Initiantenteams, der nie schwächelte. Denn Hürden gab es haufenweise. «Wir glaubten an die Vision, an unser Team, an die Lösung. Und mit der Zeit wussten wir: Alles ist lösbar. Wo ein Wille ist, ist ein Weg», sagt Kneissler. Für ihn sei es das Wichtigste gewesen, nie aufzugeben, immer wieder aufzustehen und weiter zu machen, sich an diejenigen Personen zu halten, die unterstützen, und den Verhinderern möglichst aus dem Weg zu gehen. «Wir befanden uns in einem Abenteuer, das es im Berufsleben wohl kein zweites Mal mehr gibt. Es war ein Privileg, ein solches Vorhaben umsetzen zu können, auch wenn die Jahre 2014 bis 2016 entsprechend intensiv waren.»
TWINT ist ein schweizerisches Zahlungssystem für bargeldloses Zahlen und Einkassieren. Mit der App kann man unter anderem mit dem Smartphone in Echtzeit Geld an Freund*innen überweisen sowie im Online-Shop, im App-Shop, an der Kasse, am Automaten oder auf dem Parkplatz bezahlen bzw. spenden. TWINT ist übrigens eine Wortverschmelzung aus «twin» für Zwilling, «twist» für Dynamik und «win» für Erfolg.
Wir haben sicherlich viele Fehler gemacht, die sich jedoch mit den Erfolgen die Waage gehalten haben. So hatten wir nie das Gefühl, dass das Vorhaben auf Messers Schneide steht. Wir wollten sicherlich immer zu viel, zum Beispiel beim Mobile Marketing. Hier haben wir den Markt falsch eingeschätzt. Die Händler waren am Anfang noch nicht bereit, Werbung in der App zu machen, weil TWINT damals schlichtweg noch zu wenig Reichweite hatte.
Der erste Glücksmoment war beim Pilotstart im Frühling 2015, als wir das System nach einem Jahr intensiver Arbeit live brachten und merkten: Jetzt fliesst tatsächlich Geld über TWINT. Wir haben ein System, das funktioniert. Der zweite war im August 2015, als wir zum ersten Mal tausende von «echten» Kunden auf das System brachten – und das System dem Ansturm standhielt und reibungslos funktionierte.
Der Puls schlug oft sehr hoch: immer, wenn das System nicht lief und wir wussten, dass unsere Kund*innen gerade jetzt zahlen wollten, aber nicht zahlen konnten. Da brach Hektik aus.
Lange fragten wir uns: Wann kommen die Kunden in Massen auf das System? Wir sahen keinen Grund, dass die Kund*innen TWINT nicht brauchen würden – zu überzeugend waren die Vorteile. Bloss dauerte es, bis es auch die breite Masse so sah. Erst Anfang 2018, also knapp zweieinhalb Jahre nach dem Start am Markt, zeigten die Zahlen, dass sich das System ab jetzt von selbst drehen würde. Und so war es dann auch.
Wir staunten, wie schnell und unkompliziert viele der wegweisenden Entscheidungen gefällt wurden. Sei dies intern bei PostFinance oder auch bei Coop. Intern dauerte das Abholen des OK sowohl beim ersten als auch beim zweiten Meeting nur gerade je eine Stunde.
Die empfand ich beim Start, als wir innert nur drei Monaten von null auf hundert kamen: von einer Skizze zur Firmengründung. Das ist aussergewöhnlich, gerade für einen grossen Konzern wie die Schweizerische Post. Dann das sofortige Mitmachen von Coop, welches uns zeigte, dass wir auch im Markt einen Nerv trafen. Die positiven Signale wirkten selbstverstärkend und es gab einen Sog, der uns immer weiterzog.
- eine starke, einfach erklärbare Vision
- ein Super-Gründerteam mit einer hohen Glaubwürdigkeit. Ein entscheid- und risikofreudiges Management
- Marktteilnehmende, die uns halfen, weil sie die Idee gut fanden
- ein Team, für das die Entwicklung von TWINT nicht Arbeit war, sondern Berufung – egal, ob intern oder extern angestellt
- das richtige Timing: Mobile Payment war am Aufkommen
- die Technologie, welche die Anwendungsfälle zuliess
- eine Marke und ein Branding, das den Zeitgeist einfing und TWINT als Lebensgefühl positionierte
- Kund*innen, welche die Lösung cool fanden
- sowie natürlich viel, viel Glück
Expert*innenmeinungen
Inhaberin und Geschäftsführerin der Ubicon GmbH, Entrepreneurin
Angela Zellweger
«Wenn ich hoffentlich mal hundert bin, möchte ich sehen, dass ich Unternehmen geschaffen und mit Firmen gearbeitet habe, die für gesellschaftlich sinnvolle Produkte stehen und nicht nur Geld einbrachten», beschreibt Angela Zellweger ihre Vision. Sie ist unter anderem Mitgründerin von HelloNina und Coworking Uferbau.