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Wer nur herumsitzt, ist eine faule Socke. So jedenfalls denken viele. Aber was ist mit Diogenes in der dicken Amphore oder dem japanischen Reise-Philosophen Basho, der besonders gerne in einer Hütte aus Bananenblättern hockte? Sie alle dachten nach. Wer bin ich und wenn ich bin, wo bin ich? Was macht das Leben für einen Sinn? Das sind doch mal durchaus Fragen, die der Mensch sich stellen kann. Viele dieser grundlegenden Gedanken über den Sinn unseres Lebens werden in dem Buch gestellt und es wird versucht, hinter das eine oder andere Geheimnis zu kommen. Eines ist aber jedenfalls klar: Das Paradies ist möglich und wer sitzt und nachdenkt, ist alles andere als eine faule Socke.
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Seitenzahl: 103
Veröffentlichungsjahr: 2023
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Buch
Übrigens – wie klingt das Klatschen einer Hand? Da stimmt doch was nicht. Solche paradoxen Zen-Koan, diese unlösbaren Aufgaben, mit denen sich die buddhistischen Mönche der Rinzai-Shū (Rinzai-Schule) beschäftigen müssen, kennt fast jeder, der sich mit dem Buddhismus befasst. Lösungen dazu finden sich mittlerweile im Internet. Aber sind es wirklich Lösungen? Das vorliegende Buch versucht sich im Nachdenken über buddhistische Themen, angelehnt an die Form des japanischen Haibun. Allerdings enden die Texte nicht, wie dort, mit einem lyrischen Haiku, sondern ab und zu mit einem schlichten Nachdenksatz.
Autor
Helmut Mülfarth ist gelernter Journalist, studierte Kulturwissenschaften und arbeitete viele Jahre als Redakteur und Dokumentarfilmer für deutsche und französische Sender.
Er lernte im japanischen Kloster Shinsho-Ji Hokusai Zendo bei Abt Noritake Roshi die Zen-Meditation. Danach besuchte er verschiedene Retreats buddhistischer Formen wie Vipassana und Sati-Zen nach Thich Nhat Hanh, besuchte ein buddhistisches Kloster im Himalaya-Königreich Bhutan, das Paro Rimpong Dzong, und lernte dort den tibetischen Buddhismus kennen.
Helmut Mülfarth setzt sich für einen europäischen engagierten Buddhismus eigener Prägung ein und leitet Kurse für Zen-Meditation.
Von Helmut Mülfarth erschien bisher:
Tierzeit, DuMont-Verlag
Wen die Schwerkraft tötet, Twentysix
Tässchen Tee mit Wildschwein und Co., Twentysix
Wir unterscheiden uns nur in dem, woran wir uns festklammern.
„Was du für richtig hältst, halte ich für falsch. Was ich für richtig halte, hältst du für falsch. Sind wir nicht beide sehr gewöhnliche Menschen?“
Prinz Shōtoku, im Jahr 604 verfasst.
GEMEINSAM ALLEIN – SUPER!
BLUMENSCHNEIDEN FÜHRT ZUM LEBEN
SEIN ODER NICHT SEIN? WO IST ER HIN?
FAULE SOCKE!
OZEAN DES SEINS
GEDANKEN AUFLÖSEN MIT SISYPHOS
WER BIN ICH?
WANN FÄLLT DER SCHEINWERFER?
MIT DEM BALLON DURCHS LEBEN
ES HEILT MICH NICHT
DER BAUM WIRFT BLÄTTER AB
ANGST ESSEN SEELE AUF
CHAN, ZEN, SEON – WAS DENN NUN?
EGO HEISST ICH UND ICH JA MAL ZUERST
WER STRAMPELT, VERZICHTET NICHT
MEHR NICHT: DIE ANMUT DER ARMUT
WAS SAGT DER SCHNEEMANN DAZU?
BASHŌS ZEN-WEG DER POESIE: KADO
SANGHA FRIENDS AROUND YOU …
STEHT DA AUCH ZEN-MEISTER DRAUF?
ES DREHT SICH UM RUMI
NICHT DEN BUDDHA BELÄSTIGEN
NUR NICHT VERSCHUSSELN
SWAMI ODER NICHT?
AUFMERKSAME WUT
SIDDHĀRTHA UND PACHAMAMA
NICHT ANHALTEN
NIWAKI ODER DAS BILD DER NATUR
LEBEN GEHT LANGSAM
ES GIBT KEINEN NATÜRLICHEN SUV
DIE WISSENSCHAFT, DIE WISSEN SCHAFFT
HUME UND DAS LEID
LASST UNS WERDEN WIE DIE PILZE
ICH KANN DICH GUT RIECHEN
DIE GRÖSSTE KRAFT IM UNIVERSUM?
ROT – DIE URFARBE
SITZEN IST REVOLUTION
DAS MODELL MENSCH. WARUM?
DIE ZWEI ODER KEINE
OHNE KLAREN HIMMEL KEINE WOLKE
DAS PARADIES IST MÖGLICH
DSCHUNGELPARADIES WO BIST DU?
ICH ERKENNE DICH NICHT WIEDER!
KANN UNS DIE WELT ERNÄHREN?
GESCHICHTEN REGIEREN DIE WELT
TOD – RICHTIG TOT?
TIERE UND DIE BUDDHA-NATUR
IST DIE STILLE TATSÄCHLICH STILL?
AUF DEM TROCKENEN
Quellenangaben
GLOSSAR
RINZAI SHU
NIHON SHOKI
ZENDŌ
SHIKANTAZA
AJAHN
SHIKI
MAHAYANA
THERAVADA
KOJIEN
SHIZUKA
THICH NHAT HANH
NIWAKI
MENOIKEUS
PRÄFRONTALER KORTEX
LIMBISCHE SYSTEM
AMYGDALA
HIPPOCAMPUS
Er hört schon sehr früh von indischer Philosophie und das prägt vor allem sein Verhältnis zur Natur und zum Beobachten. Von wem ich schreibe? Tatsächlich von einem Pfarrer und Schriftsteller aus Amerika. Klingelt es? Nein? Ralph Waldo Emerson ist einer der ganz Großen, wenn es um das Gedankengut des Buddhismus geht.
Hier ein Zitat:
„Es ist sehr leicht, in der Welt zu leben, wenn man der Meinung der Welt folgt. Es ist sehr leicht, in sich selbst zu ruhen, wenn man allein ist. Doch der vollkommene Mensch ist der, welcher inmitten der Menge mit aller Freundlichkeit seine einsame Unabhängigkeit bewahrt.“
Ralph Waldo Emerson lebte im 19. Jahrhundert und begründet die Philosophiegeschichte der USA. Auf die indische Philosophie wird er bei einer Europareise aufmerksam, einer Philosophie, die vor allem auf die indischen Veden zurückgeht. Aber eben auch der Buddhismus gehört zur indischen Philosophie und die buddhistischen Gedanken finden sich bei Emerson in seinen Vorträgen und seinen Texten wieder. Der Mensch soll vor allem ganz einfach und im Einklang mit der Natur leben. Für ihn war Gott keine höhere Macht, obwohl Emerson ja auch Pfarrer war. Der Mensch soll sich selbst durch seine schöpferische Kraft aus den Leiden befreien. Vor allem durch die Selbstbeobachtung in der Meditation. Selbsterkenntnis führt zur Heilung und zur Veränderung des Selbst.
Ich gehe jetzt vor die Tür und in die Fußgängerzone. Dabei bemühe ich mich, in mir zu ruhen und den anderen mit Freundlichkeit zu begegnen. Keine leichte Aufgabe.
Kein Problem. So ein schöner Blumenstrauß hat immer was. Es ist ja auch einfach: Vase raus, Wasser rein, Stängel gekappt und fertig. Die Blumen wirken schon von alleine, was soll da denn noch Kunst sein? Und vor allem: Was hat das mit der Zen-Philosophie zu tun? Die Kunst des Blumensteckens hat in Japan eine lange Tradition und war nix für Frauen. Schließlich musste man(n) ein Adeliger oder Priester sein, um die Blumen richtig arrangieren zu können. Gerade die Japaner (jedenfalls die meisten) haben ein inniges Verhältnis zur Natur. Bevor der Buddhismus in Japan Fuß fassen konnte, gab es die Naturreligion des Shinto. Sie ist bis heute geblieben. Der Buddhismus hat sich aber mit dem Shinto verbunden. Dabei sind die kleinen und großen Kami, die Naturgötter, überall zu finden. Das spielte sich zunächst bis zum 6. Jahrhundert ab und dann kam der Buddhismus über Korea (Seon) und China (Chan) nach Japan. Daraus wurde dann Zen. Natürlich beschränkt sich der Buddhismus nicht nur auf Zen. Aber zurück zu den Blümchen in der Vase.
Es geht darum Himmel, Erde und Mensch darzustellen mit einem bestimmten Arrangement von Blüten, Blättern und Zweigen und es geht vor allem auch um das, was man nicht sieht: die Zwischenräume, das was leer bleibt. In den Chroniken Japans, den Nihon shoki heißt es: „Jede Pflanze vermag sehr wohl sich selbst auszudrücken.“
Es ist also nicht einfach „Oh – ein schöner Blumenstrauß, den stecke ich mal flugs in eine Vase.“ Ikebana ist vielmehr eine Kunst und hat seinen Ursprung im Zen-Buddhismus. Wenn die Blumen abgeschnitten werden, hat das die Bedeutung des kleinen Todes, der von allen Abhängigkeiten befreit und somit schließlich zum Leben führt. Das scheint paradox. Doch zum Leben gehört die Vergänglichkeit, die Zeit. Beim Arrangieren des Gesteckes ist auch die Leere wichtig, genauso wie im Zen. Erst die Leere führt zur Harmonie der gesteckten Blumen. Es ist vergleichbar mit der Leere eines Speichenrades. Nur durch die Zwischenräume von einer Speiche zur anderen ist das Rad in der Lage, ein Rad zu sein und sich um die Nabe zu drehen. Die Leere schafft die Balance und führt zur Bestimmung in der Natur.
Es klingt immer so hart, wenn es heißt: „Töte den Buddha, wenn du ihn siehst!“ Aber es ist klar, denn der Buddha ist in dir, der soll erkannt werden und nicht woanders. Wenn ich also einen Buddha außerhalb meiner selbst treffe, ist das der falsche Buddha. Nun – er muss ja nicht gleich getötet werden, das ist etwas martialisch ausgedrückt und passt eigentlich überhaupt nicht zum Buddhismus, aber wie wäre es, wenn wir den anderen Buddha einfach ignorieren, bis er sich von selbst auflöst? Im Grunde geht es bei „Buddha oder nicht“, um die Frage, wer ich bin. Und nicht um die Frage: „… und wenn ja wie viele?“
Im Theravada-Buddhismus ist die Frage: Wer bin ich? eines der ersten Dinge, die nach der Ordination als Mönch hinterfragt werden sollen. Ich verändere mich im Laufe des Lebens. Ich bekomme Falten, kann mich nicht mehr gut bücken und brauche eine Brille, um das Kleingedruckte zu lesen. Ich sehe in den Spiegel und bin nicht in der Lage mich wirklich zu sehen. Ich sehe jemanden, der sich nicht verändert hat. Objektiv ist das natürlich anders. Der Weg ist, unser Bewusstsein für Veränderungen zu erweitern. Denn alles verändert sich. Im Laufe des Jahres verändert sich die Natur entsprechend der Jahreszeiten. Menschen sterben, die wir gekannt haben, Babys werden in unsere Familie geboren. All das zeigt uns, dass es kein wirkliches, fixiertes Selbst geben kann, sondern nur Veränderung. Beispiel: Ein Reiskorn ist ein Reiskorn und wenn es ein Selbst hätte (als Reiskorn), würde es nie zu einer Reispflanze heranwachsen, die dann wieder neue Reiskörner wachsen lässt. Es ist also tatsächlich gut, kein Selbst zu haben, sonst gäbe es keinen Wechsel der Umstände. Zen-Lehrer Shunryū Suzuki brachte es auf den Punkt: „Not always so.“
Auch wir sind, wenn wir das lesen, keine Babys mehr. Ansonsten wären wir ziemlich hochbegabt. Wir haben uns entwickelt und verändert. Dann kommt noch etwas anderes hinzu: Wir sind eine Billardkugel auf dem Billardtisch des Lebens. Stellen wir uns vor, der Tisch ist voller Billardkugeln. Immer wenn ich mich bewege und irgendwohin rolle, verändere ich nicht nur meine Position, sondern auch die der anderen.
Umgedreht genauso. Die anderen beeinflussen mit ihrer Bewegung auch meine Position. Ich kann also auf dem Billardtisch des Lebens nicht völlig unabhängig von den anderen sein. Ich kann mir natürlich einreden, dass ich völlig frei in meinen Entscheidungen, Emotionen und Handlungen bin.
Es ist sehr befreiend, das illusorische Selbstgefühl loszulassen. Es führt zu mehr Mitgefühl zu meinen Mitmenschen, zu mehr Achtsamkeit für und in der Natur. Alles verändert sich und das scheinbare Ich in mir auch und die Selbstlosigkeit wird klar.
Wer kennt den Sketch „Ich will hier nur sitzen …“ von Loriot? Ein Mann sitzt gemütlich in seinem Sessel und seine Frau läuft im Hintergrund immer hin und her und fordert ihn auf, etwas zu tun, aber er will einfach nur sitzen und ist dabei glücklich. Ein Zustand, den uns Shikantaza auch geben kann (natürlich ohne die auffordernde Frau). Der japanische Begriff wird meistens mit „einfach nur sitzen“ übersetzt, aber er ist weitaus mehr. Dogen Zenji, der Gründer der Sōtō-Schule, der Schule des einfachen Sitzens, hat betont, dass Zazen jenseits des Sitzens oder Liegens ist. Und kann der Übende besser werden, wenn er immer dasselbe tut? Die Frage ist schon falsch, da es hierbei scheinbar um eine Leistung geht oder ein Ziel, das es zu erreichen gilt. Es gibt nichts zu erreichen. Wir sind einfach nur da, ganz bewusst, und ein Bewusstsein wächst nicht, ändert sich nicht. Es ist möglich, sich etwas bewusst zu machen, was man vorher nicht gesehen hat, aber das Bewusstsein ist vorher und nachher dasselbe. Es geht nicht darum, ein konzentrierter Yogi zu werden, der im Lotossitz unter einem Blätterdach meditiert. Wir brauchen den Anfängergeist, den Geist eines Kindes im Zen. Es verschmilzt mit dem, was es in der Natur entdeckt und Zeit existiert nicht. Zu dieser kindlichen Neugierde und diesem Wissensdurst müssen wir beim Sitzen kommen. Es wird oft versucht zu erklären, was denn da passiert. Es ist nicht zu erklären. Wir wollen Gebete, Gesang, Visualisierungen, um für uns selbst etwas erklärbar zu machen. Und dieser Dogen sagt einfach Shikantaza und wir hocken uns auf das Kissen, verschließen halb unsere Augen und warten darauf, dass etwas passiert. Es muss ja etwas passieren, sonst bräuchte ich ja nicht so lange auf dem Kissen zu sitzen und mir eingeschlafene Beine anzutun. Aber es passiert nichts. Rein gar nichts. Ein Blatt Papier hat eine Vorder- und eine Rückseite. Selbst wenn die Vorderseite voller geschriebener Gedanken ist, so kann die Rückseite doch leer sein. Kann ich ein Blatt nur mit einer Vorderseite haben? Es wäre dann kein Blatt mehr.
Oft wird gesagt, dass Zazen sterben lernen bedeutet. Das klingt sehr düster, ist aber sicherlich nicht so gemeint. Es könnte auch anders ausgedrückt werden: „Wenn wir im Begriff sind zu sterben, gibt es viele Dinge, über die wir uns keine Sorgen machen müssen“, sagt Zen-Lehrer Lewis Richmond. Stimmt, oder? Das Leben wird also einfacher im Bewusstsein des Sterbens.