Suite 6 - Layla Sommer - E-Book

Suite 6 E-Book

Layla Sommer

3,0

Beschreibung

Willkommen im Wellnesshotel "Suite 6", dem Ort, wo deine geheimsten Wünsche wahr werden ... Teil 1 - Die Hoteliers: Nicht Liza erbt das Hotel "Suite 6" ihres Stiefvaters, sondern dessen drei Söhne. Die frischgebackenen Hoteliers bieten Liza einen Job an, den sie aus Geldnot annimmt. Während ihrer Arbeit fühlt Liza sich immer stärker zu ihrem Stiefbruder Julian hingezogen - was Liza in eine Zwickmühle bringt, denn ihre Mutter hasst die drei Erben und würde einer Beziehung zwischen Liza und Julian nicht zustimmen ... Teil 2 - Alles oder nichts: Spontan flieht die Malerin Lydia vor ihrem Lebensgefährten, der sie ständig kontrolliert. Sie bucht sich ein Zimmer im "Suite 6" und lernt den charmanten Hotelier Sandro kennen. Sandro entführt sie in eine Welt der Dominanz und Unterwerfung, nach der sie sich schon lange heimlich sehnt, die sie aber noch nie betreten hat. Plötzlich steht Lydia vor der Entscheidung ihres Lebens ... Teil 3 - Mr. Perfect: Sandra nimmt sich eine Auszeit im "Suite 6", um sich Gedanken über ihre Zukunft zu machen. Doch aus der erhofften Ruhe wird nichts. Sandra lernt erst den jüngeren Studenten Lars, dann den Koch Sven kennen, und landet schneller, als sie sich versieht, im Abenteuer ihres Lebens! Doch reicht ein kurzes Abenteuer aus, um den Alltag komplett auf den Kopf zu stellen? Gesamtausgabe der "Suite 6"-Trilogie.

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Layla Sommer

Suite 6

Die HoteliersAlles oder nichts - Mr. Perfect

© 2020 Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

Covergestaltung: © Sabrina Dahlenburg

ISBN Taschenbuch: 978-3-86495-473-3

ISBN eBook: 978-3-86495-474-0

Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden Sämtliche Personen in diesem Roman sind frei erfunden. Dieses Buch darf weder auszugsweise noch vollständig per E-Mail, Fotokopie, Fax oder jegliches anderes Kommunikationsmittel ohne die ausdrückliche Genehmigung des Verlages oder der Autorin weitergegeben werden.

Inhalt

Teil 1 Die Hoteliers

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Epilog

Teil 2 Alles oder nichts

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Epilog

Teil 3 Mr. Perfect

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Epilog

Autorin

Teil 1 Die Hoteliers

Kapitel 1

„Schöne Gegend.“ Julian schaltete in den zweiten Gang herunter, anders waren die Serpentinen, die sie immer weiter den Berg hinauf führten, nicht zu bewältigen.

„Hm“, brummte Noah.

Von Sandro kam dagegen gar kein Kommentar. Er hatte es sich auf dem Rücksitz bequem gemacht, wenn man es sich denn in einem alten Mini bequem machen konnte. Er lag mehr, als dass er saß. Dennoch füllte er das gesamte Heck aus. Julian verkniff sich ein Grinsen. Mit dem kleinen Auto hatten seine Brüder nicht gerechnet, als sie ihn, den Jüngsten, beauftragt hatten, sie zu dem Hotel ihres verstorbenen Vaters zu kutschieren.

„Pass doch auf!“, meckerte Sandro, der unsanft mit dem Kopf gegen die Scheibe gestoßen war.

Wahrscheinlich waren sie ein optisches Highlight, wie sie zu dritt, jeder fast einen Meter neunzig groß, in dem winzigen Wagen saßen. Seine Brüder hatten nicht glauben wollen, dass es das kleine Gefährt schaffen würde, sie zu transportieren, und hatten gewettet. So war das eben, wenn man sich nicht mit Fahrzeugen beschäftigte und den pfiffigen Engländer unterschätzte.

„Jetzt werde ich noch mit Mr. Bean verwechselt“, hatte Sandro geknurrt, dann hatte er sich höchst unelegant auf den Rücksitz gezwängt.

Julian schürte flott um die nächste Kurve, was ihm einen strafenden Blick von Noah einbrachte. Er betätigte den kleinen Schalter am Armaturenbrett und ließ das Dach zurückfahren. British Open nannte sich das Modell, das mit ein wenig Fantasie schon beinahe Cabriofeeling vermittelte. Nun schienen die Felsen zu ihrer Rechten auch noch über ihren Köpfen emporzuragen.

„Noch tiefer in die Pampa geht’s wohl nicht?“, nörgelte Sandro, der seine schlechte Laune wieder einmal nicht für sich behalten konnte. Dabei war Frühling, die Sonne schien und sie würden gleich ihr erstes eigenes Hotel begutachten.

„Ist bestimmt nur eine Abrissbude“, kam es prompt von der Rückbank.

„Mutter hat gesagt, so schlimm ist es nicht“, meldete sich Noah zu Wort.

„Freut ihr euch gar nicht? Wer bekommt denn schon ein Hotel geschenkt?“

„Vererbt, nicht geschenkt.“

„Ist doch das Gleiche.“

„Nein, ist es nicht. Ein Geschenk kann man verkaufen, an dieses Erbe sind wir gebunden.“

„Wie kommst du auf so eine Idee? Warum sollten wir das Hotel nicht verkaufen können? Aber dafür, dass wir unseren Vater seit Jahren nicht gesehen haben, ist so ein unerwartetes Erbe doch nicht schlecht.“

„Wem hätte er das Haus denn auch sonst vermachen sollen?“

Julian zuckte mit den Schultern. Sollten sich die anderen ruhig Gedanken machen, wieso, weshalb, warum. Er freute sich. Außerdem waren sie nun quitt, sein Vater und er. Er hatte sie einst verlassen, und jetzt gab er ihnen eben wieder etwas zurück, freiwillig oder auch nicht. Gut fand er das. Richtig gut sogar.

Noch eine Kurve, dann lichtete sich der Wald und die Felswände verschwanden. Bald würden sie am Hotel ankommen, so sagte es zumindest das Navi, das Noah ihm aufgedrängt hatte. Sie düsten weiter die Landstraße entlang und wurden in dem fast dreißig Jahre alten Auto kräftig durcheinandergeschüttelt. Sogar die Spargelbauern, die auf den Feldern arbeiteten, hoben neugierig ihre Köpfe, und als sie durch das nächste Dorf fuhren, wurde ihnen interessiert nachgeschaut.

„Oldtimer kommen hier wohl selten durch“, stellte Noah trocken fest.

Julian schmunzelte wieder in sich hinein, entgegnete jedoch nichts.

Noch hundert Meter, sagte das Navi.

Als Erstes sah er einen See. Einen richtigen See statt eines trüben Fischweihers. Keine Häuser weit und breit, nur ein in die Jahre gekommenes Gebäude, das vor Jahrzehnten einmal mondän gewesen sein musste, mittlerweile aber seinen Glanz verloren hatte und nicht mehr so richtig in die Schönheit der Landschaft passen wollte.

Seegrün, las er auf dem Schild, das über dem Eingang hing. Seegrün war der Name des Hotels ihres verstorbenen Vaters. Sie waren angekommen.

„Das?“, entwich es Noah.

„Das ist größer, als ich angenommen habe“, kam es plötzlich interessiert von der Rücksitzbank.

„Das schaut aber nicht gut aus“, gab Noah seinen Kommentar ab.

„Ausbaufähig“, widersprach Sandro.

„Du scherzt …“

„Nein.“

Julian hatte genug gehört. Noah war nicht begeistert, aber Sandro schien mit einem Mal ziemlich angetan.

Und er?

Er wusste noch gar nicht, was er denken sollte. Zu ungewohnt war die Vorstellung, plötzlich Hotelier zu sein.

Er warf einen Blick auf sein Handy. Kurz vor vierzehn Uhr. Sie waren pünktlich. Gleich müsste diese Liza auftauchen, mit der er WhatsApp-Nachrichten geschrieben hatte. Die Frau sollte ihnen die Schlüssel überreichen und das Gebäude zeigen. Eigentlich war der beauftragte Anwalt zwar dafür gewesen, die Schlüssel schon vor Wochen einzufordern, aber er hatte sich nicht dazu überreden lassen. Ihr Vater hatte zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin das Hotel geführt. Sein Tod war anscheinend vollkommen überraschend eingetreten. Sonst wären kaum er und seine Brüder, sondern die Freundin, deren Tochter Liza war, in den Genuss des Erbes gekommen. In den WhatsApp-Nachrichten hatte sie sich ihm gegenüber freundlich gezeigt, und das, obwohl sie und ihre Mutter leer ausgegangen waren. Tat es ihm um die beiden leid? Eigentlich kaum, denn er kannte sie nicht, und schließlich war es sein Vater gewesen, der verstorben war. Dass der den Kontakt zur Familie abgebrochen hatte, war weder seine Schuld noch die der Mutter oder seiner Brüder. Da kein Testament existierte, war die natürliche Erbfolge eingetreten. Außer dem Zusatz, dass die Erben das Hotel führen sollten, gab es keine weiteren Bestimmungen, und ob diese handschriftliche Forderung überhaupt rechtlich gültig war, musste noch geprüft werden.

Julian hatte nicht vor, sich mit der Lebensgefährtin seines Vaters total zu verstreiten, deswegen hatte er – gegen den anwaltlichen Rat – mit ihrer Tochter Kontakt aufgenommen. Vielleicht war es irgendwie möglich, auf einer freundschaftlichen Ebene miteinander zu verkehren, was ihm am liebsten wäre.

Julian stieg aus und blickte sich suchend um, doch außer einem rothaarigen Mädchen auf einem Fahrrad wirkte die Gegend wie ausgestorben.

Liza glaubte, ihren Augen nicht zu trauen, als sie ein grünes Zwergenauto und daneben drei stattliche Männer entdeckte. Das waren sie also: Brunos Söhne, die den Vater nie besucht, aber nun sein Lebenswerk geerbt hatten. Ihr konnte es egal sein, denn Bruno war ihr nicht wirklich ein Vater gewesen, doch ihre Mutter litt sehr unter seinem plötzlichen Tod, der mittlerweile bereits ein halbes Jahr zurücklag, und natürlich auch unter dem Verlust des Hotels. Es hatte Zeit gekostet, bis das Gericht alle Unterlagen, die die Besitzverhältnisse und Erbschaftsformalitäten betrafen, sorgfältig geprüft hatte und sie letztendlich akzeptieren mussten, dass wirklich kein Testament zu ihren Gunsten existierte. Ihre Mutter war zusammengebrochen, hatte sie doch alles verloren: ihren Mann, ihr Zuhause, ihre Arbeit, ihr Lebensziel. Liza dagegen hatte gekämpft, sich arbeitssuchend gemeldet und war mit ihrer Mutter vorübergehend in eine kleine Zwei-Zimmer-Wohnung gezogen.

Fast musste sie grinsen, als ihr Blick auf das einst prachtvolle Hotelfiel. Heruntergekommen sah es aus, dabei stand es erst seit Herbst leer; die letzten Angestellten hatten im Oktober ihre Jobs verloren. Die ersten Spuren des nahenden Verfalls waren bereits deutlich sichtbar, denn auf Anraten ihres Anwaltes hatte sich niemand mehr um das Gebäude und den Garten gekümmert.

Das Hotel war schon früher kein optisches Highlight gewesen, obwohl ihre Mutter das anders sah. Rosaroter eben. Auch Brunos Idee, die unteren Etagen in ein Casino zu verwandeln, um damit das große Geld zu verdienen, hatte in der idyllischen Gegend nicht gefruchtet. So hatten sich die Gästezahlen in Grenzen gehalten, denn Spielhallen gab es in der Stadt genug, und nur wenige Gäste hatten die zusätzliche Übernachtungsmöglichkeit genutzt.

Ob die drei Männer überhaupt wussten, was sie geerbt hatten?

Gut sahen sie aus, das musste Liza sich eingestehen, als sie ihnen immer näher kam. Allzu freundlich wollte sie dennoch nicht sein. Schließlich waren die Brüder die Nutznießer von Brunos Tod, und ihre Mutter und sie wären beinahe auf der Straße gelandet. Aber das sollte nun keine Rolle spielen, denn sie war nur da, um den Schlüsselbund zu überreichen. Wenigstens hatte dieser Julian darauf verzichtet, ihn vom Anwalt übermittelt zu bekommen. Überhaupt war er sehr höflich gewesen – oder zumindest die Art, wie er seine WhatsApp-Nachrichten geschrieben hatte. Er hätte auch jeden einzelnen Handgriff anwaltlich regeln können, was ihnen noch mehr Geld gekostet hätte, da ihr Rechtsbeistand sich seine Dienste teuer bezahlen ließ. Nur aus diesem Grund hatte sie sich überhaupt dazu bereit erklärt, die Brüder zu treffen, ansonsten hätte sie mit dem Seegrün längst abgeschlossen.

Genau vor den Brüdern kam sie zum Stehen, schwang sich von ihrem Mountainbike und strich sich das rote, störrische Haar aus dem Gesicht.

„Bist du Liza?“, sprach sie der hübscheste der Männer an. Hellbraune Locken fielen ihm fast bis auf die Schultern und ein verschmitztes Lächeln spielte um seine Lippen. Er wirkte sympathisch, die anderen zwei dagegen schauten aus, als wären sie direkt aus dem Kühlschrank gekrochen. Arrogant, wie sie sich typische Stadtmenschen vorstellte.

Sie nickte. „Julian?“

Es war lediglich eine Vermutung, aber sie war sich fast sicher, dass es sich nur um ihn handeln konnte.

Wieder lächelte er.

Der große Schwarzhaarige mit dem gegelten Haar betrachtete sie dagegen abschätzend von oben bis unten, während der Braunhaarige, der seine Haare zu einem modernen Dutt geschlungen hatte, sie keines Blickes würdigte, sondern mit seinem Smartphone beschäftigt war.

„Dein Auto?“, rutschte es ihr heraus, obwohl sie kein privates Wort hatte wechseln wollen.

„Gefällt er dir?“

„Cool sieht er aus, der Mini“, gab sie zu.

„Wir können später gern ein paar Meter fahren, wenn du möchtest.“

„Mal schauen“, wich sie aus. Eigentlich hatte sie nicht vorgehabt, sich länger als nötig hier aufzuhalten.

„Willst du uns das Hotel zeigen?“

„Ich?“

„Natürlich du. Wer sonst? Du kennst dich sicherlich aus, oder?“

„Ich habe hier gewohnt“, antwortete sie steif. „Und gearbeitet. Ebenso wie meine Mutter.“

„Und jetzt?“ Verwunderung spiegelte sich in seinem Blick wider.

Wusste er etwa von nichts? Das konnte nicht sein. Oder hatten die drei ihr Erbe angenommen, ohne sich darüber informiert zu haben?

„Jetzt sind wir alle arbeitslos.“

„Wer, alle?“

„Na, die Leute, die hier angestellt waren.“

„Das Hotel war zu dem Zeitpunkt, als …“, er stockte, „mein Vater gestorben ist, noch von Gästen besucht?“

„Hotel? Das ist es früher einmal gewesen.“

„Wie?“, mischte sich nun auch der geschniegelte Schwarzhaarige, der ein südländisches Aussehen hatte und überhaupt nicht zu seinen Brüdern passen wollte, ein.

„Das Seegrün war zuletzt ein Casino. Manchmal ist die Location auch für Feiern gebucht worden. Natürlich gab es Zimmer, aber der Schwerpunkt lag schon lange nicht mehr auf Übernachtungen.“

„Oh nein“, stöhnte der Schönling.

„Was heißt hier Oh nein? Da hätten Sie sich eben schlaumachen müssen“, fuhr sie ihm über den Mund.

„Sei leise, Sandro!“, beschwichtigte Julian. „Sie ist unschuldig daran, dass wir nichts über das Hotel wissen.“

Liza warf ihm einen dankbaren Blick zu.

„Meine Brüder sind manchmal ein bisschen gewöhnungsbedürftig.“

Sandro sah aus, als könnte er seinen Bruder eigenhändig erwürgen.

„Würdest du uns trotzdem herumführen?“

Sie zögerte.

„Hab‘ ich was verpasst?“ Der Mann mit dem Dutt steckte sein Handy in die Hosentasche. „Ich bin übrigens Noah“, stellte er sich vor. „Und den liebenswürdigen Herren mit dem schwarzen Haar musst du auch nicht siezen, er heißt Sandro und ist unser Halbbruder beziehungsweise der Adoptivsohn unseres verstorbenen Vaters.“

Liza war überrascht, dass ihm, trotz seines Telefonats, ihr Gespräch nicht entgangen war.

Aber: Halbbruder? Adoptivsohn?

Sie blickte nun überhaupt nicht mehr durch. Es war das erste Mal, dass sie von einem Adoptivverhältnis hörte. Der Schönling war folglich gar nicht Brunos leibliches Kind. Ob ihr Anwalt ihnen wirklich alle relevanten Daten mitgeteilt hatte?

Natürlich hatte er das. Zumindest ihre Mutter musste er diesbezüglich informiert haben. Warum die nichts davon erzählt hatte, war ihr allerdings ein Rätsel.

Julian erkannte, dass sie vollkommen ahnungslos in ihre Erbschaft gestolpert waren. Ein Casino – er war sprachlos.

Nun konnten seine zwei großen Brüder aber schauen, wie sie den zukünftigen Hotelbetrieb hinbekommen wollten … Immerhin war Sandro gelernter Reisekaufmann und Noah hatte Betriebswirtschaft studiert, womit sie in seinen Augen wesentlich mehr Ahnung von einem Hotel- oder Casinobetrieb hatten als er, denn er war der Drückeberger der Familie, hatte das Textildesign-Studium abgebrochen, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch und restaurierte zusätzlich Oldtimer. Noch nie in seinem Leben hatte er ein Casino betreten, und in einem Hotel hatte er auch noch nie ein Zimmer gebucht. Früher hatte das Geld nicht für einen Urlaub gereicht und mittlerweile war er einige Male als Rucksacktourist mit Zelt unterwegs gewesen.

Die Gesichter seiner Brüder schauten alles andere als begeistert aus, als sie hörten, dass das Seegrün schon seit Längerem nicht mehr als Hotel genutzt worden war, aber ihn störte das nicht. Er sah stets alles positiv und außerdem gab es jetzt auch noch Liza. Eine Liza, die ihn sehr überrascht hatte. Als er mit ihr WhatsApp-Nachrichten geschrieben hatte, hatte er nicht damit gerechnet, auf eine kleine Schönheit zu treffen. Er fragte sich ernsthaft, warum seine Brüder diese Tatsache nicht zu bemerken schienen, denn normalerweise drehten sie sich nach jeder gut aussehenden Frau um. Allerdings stand Noah eher auf den In-Typ, wohingegen Sandro stets mit der Dame von Welt liebäugelte, auch wenn ihm dies bisher meist Kummer und Ärger eingebracht hatte. Liza wirkte so frisch, so unverdorben – eine natürlich schöne Frau eben. Das leuchtend rote Haar, das ihr in einer wilden Mähne bis weit über den Rücken fiel, die helle Haut, die spitzbübisch wirkenden Sommersprossen auf ihrer Nase und die strahlend grünen Augen, die so offen in die Welt schauten, verzauberten ihn. Liza sah stark und verletzlich zugleich aus.

Wie musste sie sich gefühlt haben, als sie von heute auf morgen ihr Zuhause und ihren Job verloren hatte?

Bisher hatte er sich darüber keine Gedanken gemacht. Keiner von ihnen.

„Deiner“, sagte sie in dem Moment und hielt ihm den Schlüsselbund entgegen.

„Willst du nicht aufschließen?“

Sie schüttelte den Kopf. „Die Zeiten gehören der Vergangenheit an.“

Wieder empfand er einen Anflug schlechten Gewissens, obwohl er an der ganzen Misere nicht schuld war. Mutter hatte stets gesagt, sein Vater sei es nicht wert, ihm auch nur eine Träne nachzuweinen. Um nichts und niemand, außer sich selbst, habe er sich je gekümmert. Anscheinend hatte sie mit dieser Meinung recht gehabt.

Julian öffnete seine Hand und berührte leicht Lizas, als er den Bund ergreifen wollte. Ihre Haut war weich. Nicht wie bei einer Frau, die es gewohnt war, in der Küche zu arbeiten.

In der Küche? Wie kam er nur auf so eine Idee?

Sie hatte von einem Casino gesprochen. Egal. Fasziniert blickte er sie an. Eine leichte Gänsehaut bildete sich auf ihren Armen. Am liebsten hätte er darübergestrichen, doch natürlich verbot er es sich, sie erneut zu berühren. Schon allein der Kontakt ihrer Hände hatte eine Idee zu lange gedauert. Aus großen Augen schaute sie ihn verwundert an, dann schlug sie scheu die Lider nieder. Wie unschuldig sie doch wirkte …

Er mochte das, hatte es schon immer gemocht. Ein forsches Wesen sprach ihn nicht an, Arroganz noch viel weniger, aber diese Weichheit, die sich in ihrem Gesicht widerspiegelte, strahlte einen verletzlichen Charakter aus, was ihn irgendwie berührte. Vielleicht kam auch noch die Ahnung hinzu, was sie die letzten Monate durchgemacht haben musste. Er wusste es nicht.

Wenn sie sich unter anderen Umständen kennengelernt hätten …

Hatten sie aber nicht, brachte er seine durcheinandergeratenen Gefühle wieder unter Kontrolle.

„Dann wollen wir mal“, sagte er leichthin, nahm den Bund an sich, schritt auf das Gebäude zu und öffnete mit dem größten Schlüssel die Eingangstür.

Ein schaler Geruch schlug ihnen entgegen.

„Was ist das?“ Noah fuchtelte mit der Hand vor seinem Gesicht herum.

„Wir haben alles so hinterlassen, wie es zu dem Zeitpunkt war, als wir das Haus räumen mussten.“ Liza starrte angestrengt auf den weiß gefliesten Boden im Eingangsbereich.

„Wie meinst du das?“ Julian schwante Schlimmes, und doch musste er aufgrund ihrer Reaktion schmunzeln, denn auch sie schien sich mit einem Mal nicht mehr sonderlich wohl in ihrer Haut zu fühlen.

„So, wie ich es gesagt habe“, würgte sie hervor. „Ich lass euch jetzt allein. Im Erdgeschoss findet ihr die ehemaligen Speisesäle, die Küche sowie ein paar Räume, die als Büro genutzt werden können. Im Keller gibt es ein Schwimmbad, das allerdings schon lange nicht mehr befüllt worden ist, ebenso eine Sauna und mehrere Umkleidekabinen. In den oberen Etagen haben sich einst Schlafzimmer befunden. Eine Dachterrasse existiert ebenfalls und hinter dem Gebäude erstreckt sich ein weiterer stillgelegter Pool“, ratterte sie die räumlichen Gegebenheiten des Hotels herunter.

„Was ist mit den Automaten?“, erkundigte sich Sandro.

„Automaten?“ Sie tat, als wenn sie das Wort noch nie gehört hätte.

„Ich dachte, dieses Gebäude hat als Spielcasino gedient.“

„Ach so“, sagte sie leichthin. „Die sind längst von der Firma abgeholt worden.“

Sandros Augenbrauen schnellten nach oben. Auch er schien zu spüren, dass Liza sich in ihrer Gegenwart immer unwohler fühlte. Unter seinem prüfenden Blick zappelte sie nur so von einem Bein aufs andere. Sie verheimlichte ihnen etwas. Julian konnte es förmlich riechen. Aus genau diesem Grund würde er sie nun definitiv nicht gehen lassen. Und wenn er sie eigenhändig daran hindern musste.

„Ich würde sagen, wir teilen uns auf“, schlug Noah vor.

„Ich nehme mir den Keller vor“, willigte Sandro sofort ein.

„Ich geh in die oberen Etagen“, nickte Noah.

Er und seine Brüder verstanden sich auch ohne große Worte.

„Und du, Liza? Du willst mir sicher die Küche zeigen, nicht wahr?“ Zuckersüß lächelte er Liza an, die noch eine Nuance blasser wurde, als sie es eh schon war.

„Ich möchte euch nicht stören.“

„Du störst nicht. Ich wäre sehr froh, wenn du mich führen würdest.“

Noah zwinkerte ihm heimlich zu. Natürlich war ihm Lizas Ausweichaktion ebenfalls nicht entgangen. Auch Sandro warf ihm einen vielsagenden, aber zugleich warnenden Blick zu, ging jedoch mit seinem Bruder seiner Wege.

Julian machte eine übertriebene Verbeugung und fasste Liza sacht am Arm. „Nach dir!“

„Ich glaube, ich muss wirklich …“

„Willst du mir etwas sagen?“, fragte er direkt und verlieh seiner Stimme einen ernsten Klang.

„Warum?“, stotterte sie. „Ich möchte einfach gerne gehen, das ist alles.“

„Vielleicht können wir uns ja irgendwie einigen.“ Er würde ihr mehrere Möglichkeiten bieten, ihr zeigen, dass man mit ihnen reden konnte und sie nicht aus Stein waren.

„Wie meinst du das?“

„Na ja, auch wir werden Personal benötigen.“ Es war ein Angebot, das ihm eben in den Sinn gekommen war. Keine Ahnung, ob es überhaupt umsetzbar wäre oder was seine Brüder dazu sagen würden.

„Ich werde nicht zu eurer Putzfrau, falls du das im Auge hast“, fauchte sie ihn an.

Oh … Sie hatte sein Angebot nicht als gut gemeint aufgefasst.

Beschwichtigend hob er die Hände. So wirklich einfach war es anscheinend nicht, mit Liza klarzukommen. Jedes Wort musste er sich zweimal überlegen, damit er sie nicht verletzte. Schon wieder war er in ein Fettnäpfchen getreten, von dessen Gegenwart er nichts geahnt hatte.

„So habe ich das nicht gemeint.“ Er legte etwas Schärfe in seine Stimme, damit sie nicht auf die Idee kam, er würde zu allem stets ergeben lächeln. Sofort erkannte er an dem kurzen Flackern ihrer Lider, dass sie die Veränderung bemerkt hatte. Er ahnte, dass er nur weiterkommen würde, wenn er bestimmter auftrat, da sie genau auf diesen Tonfall ansprach. „Also: Hast du mir etwas zu sagen?“, fragte er erneut.

Liza wich seinem Blick aus.

„Ich werde dich nicht gehen lassen, bevor du nicht mit der Wahrheit herausrückst“, drohte er.

„Was soll das werden? Freiheitsberaubung?“ Doch ihre Stimme klang schon längst nicht mehr so angriffslustig wie eben.

„Nachdem du mir die Küche gezeigt hast, kannst du tun, was immer du tun möchtest.“

Schließlich konnte er sie kaum gegen ihren Willen festhalten. Sie sollte bleiben, weil sie es wollte. Egal, welches Durcheinander die Angestellten inklusive ihrer Person hier hinterlassen hatten.

Lizas Gesicht sprach Bände. Julian ahnte, dass ihn in der Küche das vollkommene Chaos erwarteten würde und die unangenehmen Gerüche dort ihren Ursprung hatten. Ein scheinbar fluchtartiges Verlassen des Hotels war eine nachvollziehbare Reaktion derer gewesen, die von heute auf morgen ihre Arbeit verloren hatten. Das leuchtete ihm ein und dennoch konnte er Liza so ein Verhalten nicht durchgehen lassen. Schließlich sah es bei ihr nach einem kleinen persönlichen Rachefeldzug aus. Ganz nach dem Motto „Ich überlasse euch das Haus in dem schlechtesten Zustand, der möglich ist“. Egal, jetzt war er erst einmal auf ihren Gesichtsausdruck gespannt, wenn sie auf das vermeintliche Chaos stießen. Eigentlich hatte er erwartet, dass sie sich sträuben würde, ihm den Weg zu zeigen, aber sie führte ihn wahrhaftig durch das Gebäude.

„Wie war mein Vater?“, fragte er einem kurzen Impuls folgend.

Überraschung spiegelte sich in ihrem Gesicht wider. Mit dieser Frage hatte sie nicht gerechnet. „Egoistisch“, lautete die trockene Antwort.

„War er dir ein Vater?“, hakte er weiter nach.

Liza lachte ihm ins Gesicht. „Bruno? Ich bin fünfundzwanzig. Als meine Mutter ihn kennengelernt hat, habe ich keinen zweiten Vater gebraucht, da hat meiner noch gelebt und ich habe jedes Wochenende bei ihm verbracht. Ich habe mich mit Brunos Anwesenheit arrangiert, das war alles.“

Ihr leiblicher Vater lebte also auch nicht mehr. Ganz einfach schien ihr Leben nicht verlaufen zu sein. Er und seine Brüder hatten eigentlich Glück gehabt, dass sich ihre Mutter keinen neuen Partner gesucht hatte. Mit einem Ersatzvater hätte er bestimmt so seine Probleme gehabt. Und nicht nur er.

Mittlerweile waren sie vor der Küche angekommen. Mit einem Ruck öffnete er die Tür, worauf es ihm förmlich die Sprache verschlug, aber auch Liza schwieg. Alles Blut war ihr aus dem Gesicht gewichen, und sie beeilte sich, zu den Fenstern zu gelangen und sie aufzureißen. Weit beugte sie sich hinaus und atmete die angenehm frische Frühlingsluft ein. Julian trat hinter sie. Kurz versteifte sie sich, als sie sich seiner Nähe bewusst wurde, doch weder versuchte sie, ihm auszuweichen, noch sagte sie einen Ton. Nein, sie lehnte sich sogar ein wenig weiter aus dem Fenster, sodass ihr Hintern leicht seine Schenkel berührte.

Ein Zufall?

„Es ist so, wie ich es denke, oder?“, fragte er leise. „Die vergammelten Lebensmittel sind eure persönliche kleine Racheaktion gewesen.“

Liza nickte nur. „Es tut mir leid, aber …“

„Das war nicht sehr nett.“

„Das, was ihr getan habt, war es auch nicht.“ Mit einem Ruck versuchte sie, sich herumzudrehen, doch da stand er und sah zuerst gar nicht ein, einen Schritt nach hinten zu machen. Er ließ ihr gerade so viel Spielraum, dass sie sich zu ihm umdrehen konnte. Ganz nah stand sie nun vor ihm. So nah, dass ihre Nasenspitze beinahe sein Kinn berührte.

„Was haben wir denn getan?“

Ihre grünen Augen funkelten angriffslustig, und doch lag eine Idee Unsicherheit in ihnen. Unsicherheit und noch etwas anderes. Genoss sie es vielleicht, so dicht vor ihm zu stehen? „Euch hat es doch gar nicht interessiert, was aus uns wird.“

„Nein“, bestätigte er. „Wir haben euch weder gekannt, noch haben wir etwas von eurer Existenz bewusst.“

„Nein?“, blaffte sie. „Euer Anwalt hat nicht erzählt, dass Bruno in einer festen Beziehung war? Wenn du das behauptest, bist du ein Lügner. Ihr habt euch einfach genommen, was euch nie gehört hat.“

Stopp! Natürlich hatte er von der Lebensgefährtin seines Vaters erfahren. Ebenso von Lizas Existenz, sonst hätte er sie gar nicht kontaktieren können. Das wusste er, das wusste sie. Aber er und seine Brüder hatten sich nichts genommen, was ihnen nicht gehört hatte. Da lag sie falsch, vollkommen falsch.

„Natürlich wusste unsere Mutter, dass unser Vater sie wegen einer anderen Frau verlassen hat. Ziemlich zeitgleich, als er sich die Schnapsidee, ein Hotel zu führen, in den Kopf gesetzt hatte. Doch wir hatten keine Ahnung, dass er noch mit dieser Frau zusammen war.“

„Seltsam, dass wir uns damals nie begegnet sind“, murmelte sie und lenkte damit ein. „Immerhin hatte doch Bruno anfänglich noch kurzzeitig Kontakt zu euch.“

„Hm“, machte er nur. Sein Vater hatte anscheinend sehr darauf geachtet, dass sich alte und neue Familie nicht über den Weg gelaufen waren, denn er konnte sich überhaupt nicht an das Hotel erinnern, und seine Brüder ebenso wenig. Doch nun genug mit dem Thema. Um es zu wechseln, ließ er seinen Blick über die heruntergewirtschaftete Küche schweifen. „Wir werden definitiv hilfreiche Hände benötigen.“

„Ich habe dir bereits gesagt, dass ich nicht eure Putzfrau sein werde“, fauchte sie erneut.

„Ich kann leider nicht mehr tun, als dir als Ausgleich für den Verlust deiner Arbeitsstelle eine neue anzubieten.“ Er wusste, dass sie dies nicht hören wollte, aber es war nun einmal die Wahrheit. Gern hätte er ihr etwas Netteres gesagt, doch er konnte ihr kaum seinen Erbteil schenken.

Sachlich bleiben, ermahnte er sich.

„Und bei der Beseitigung dieses Chaos wirst du uns ebenso helfen müssen. Freiwillig, versteht sich.“

Wütend stieß Liza mit den Händen gegen seine Brust, wovon er sich jedoch nicht beeindrucken ließ. Schließlich musste sie nicht vor ihm stehen bleiben, sondern konnte jederzeit einen Schritt zur Seite treten. Wenn sie das allerdings nicht wollte, war das nicht sein Problem.

„Und wenn ich nicht möchte?“

„Dann werde ich mir Gedanken machen müssen, was dich dazu bewegen könnte, uns helfen zu wollen.“

„Willst du zum Anwalt rennen?“

„Ich bin nicht berechtigt, so eine Entscheidung allein zu treffen“, stellte er vollkommen ruhig richtig.

„Deine hochmütigen Brüder?“

Er mochte es nicht, wenn man schlecht über seine Familie sprach. „Wie kommst du zu der Annahme, dass sie hochmütig sind?“

„Schau sie dir doch nur mal an!“

„Ich weiß nicht, was du mir damit sagen willst.“

Liza holte tief Luft. „Du könntest mich wenigstens um Verzeihung bitten.“

Um Verzeihung bitten?

Beinahe hätte er lachen müssen, doch gleichzeitig kribbelte es ihm gewaltig in den Fingern, ihr gehörig die Meinung zu sagen oder sie anderweitig davon zu überzeugen, dass sie solche Aussagen in Zukunft besser unterlassen sollte. Im Moment reizte sie ihn außerordentlich. Gerade wegen ihres aufmüpfigen Wesens.

Nein!, stoppte er seine Gedanken.

Tief in ihrem Inneren war Liza verletzt. Verletzt und vor den Kopf gestoßen. Schließlich hatte sie von heute auf morgen ihr Zuhause und ihren Job verloren. Außerdem sollte er nicht eine begehrenswerte Frau in ihr sehen, immerhin hatte sie mit seinem Vater zusammengelebt, und ihn besser gekannt, als er sich überhaupt an ihn erinnern konnte. Sie hätte seine Schwester sein können.

Aber verdammt, sie war es nicht!

Und das änderte die Sachlage gravierend. Egal, wie lange sie mit seinem Vater unter einem Dach gewohnt hatte.

„Ganz bestimmt“, lachte er. Sie um Verzeihung bitten? Wie kam sie nur auf so eine absurde Idee?

„Es ist mein Ernst.“

Ihre Nase befand sich immer noch an seinem Kinn. Zu gern hätte er nach ihrem gefasst, es angehoben und den Daumen über diese trotzig zitternden Lippen streichen lassen. Seine Gedanken wanderten weiter. Wenn er ihren Hintern ein wenig anheben würde, würde sie auf die Fensterbank gleiten und sich damit in der perfekten Position befinden, um sie zu …

Wieder stopp! Seine Fantasie ging mit ihm durch.

„Was würde ich als Gegenleistung für eine …“, er stockte, „Entschuldigung bekommen?“ Gespannt wartete er darauf, was sie anzubieten hatte.

„Dann würde ich darüber nachdenken, euch bei den Aufräumarbeiten behilflich zu sein.“ Kurz schielte sie nach oben und traf seinen Blick, um ihren gleich wieder zu senken.

Julian überlegte. Sie musste sich in einem großen finanziellen Engpass befinden, wenn sie so ein Angebot machte. Wahrscheinlich hätte sie sich ansonsten eher die Zunge abgebissen, als es auszusprechen.

Vielleicht war sie gar nicht offiziell bei seinem Vater angestellt gewesen …

Er wusste es nicht und auf reine Spekulationen konnte er sich nicht verlassen.

„Das reicht mir nicht“, sagte er einem Impuls folgend.

„Was willst du noch?“ Ihre Augen funkelten, als wollte sie ihn jeden Moment erdolchen.

„Dich“, erwiderte er, und erst dann begriff er, dass er seine Gedanken laut ausgesprochen hatte.

Liza erstarrte.

Dich, hatte er gesagt.

Das war frech, dennoch fuhr ihr das Wort wie ein Streicheln über die Haut und drang in ihre Seele, die so etwas noch nie zu hören bekommen hatte. Auch wenn sich dieses Dich nicht auf sie als Mensch bezog, war es ein wunderschönes Kompliment an die Frau in ihr. Sie starrte Julian an, versank in dem warmen Braun seiner Augen, sah in ein Gesicht, auf dem immer noch ein Lächeln lag, obwohl er ernst schaute. Ernst und irgendwie verwundert. Verwundert über sich selbst, dass er so eine Bemerkung ausgesprochen hatte.

„Mich?“, hauchte sie.

Plötzlich lag seine Hand an ihrer Wange. Unbewusst schmiegte sie sich hinein und genoss die Wärme, die sie ausstrahlte.

„Ja, dich“, sagte er leise.

Sein Daumen fuhr ihren Wangenknochen nach, folgte der Linie ihres Kiefers und fand so den Weg zu ihren Lippen. Sacht strich er darüber, um zärtlich in ihre Unterlippe zu kneifen, bevor er ihn ihr in den Mund schob. Spielerisch ließ sie ihre Zunge um seinen Daumen kreisen. Sicherlich würde Julian sie gleich küssen.

Doch nichts dergleichen geschah. Julian lehnte sich lediglich an sie, sodass ihre Brüste gegen seine muskulöse Brust gedrückt wurden. Sofort zogen sich ihre Knospen erwartungsvoll zusammen, dann richteten sie sich steif auf. Liza wusste, dass auch er es bemerkt haben musste. Wie ein Hauch fuhr seine Hand ihren Rücken hinunter, umfasste ohne Umschweife ihre Pobacken, drückte sie so noch enger an sich und sie fühlte die harte Ausbuchtung seines Schwanzes an ihrem Unterleib. Ihr Kopf fiel in den Nacken. Da glitt auch seine andere Hand über ihren Rücken hinab zu ihrem Po und presste sie noch fester an ihn.

Julian senkte den Kopf. Seine Locken kitzelten sie an ihrer Wange, während seine Lippen die empfindliche Haut an ihrem Hals erkundeten. Ein Stöhnen entrang sich ihrer Kehle. Auch sie konnte ihre Hände mittlerweile nicht mehr stillhalten, strich Julians haarlosen Oberarme hinauf, fühlte die harten Rundungen der Muskeln, die im Kontrast zur Weichheit seiner Haut standen. Sein Hals dagegen war schlank, was ihr ebenso gut gefiel, denn Stiernacken waren nicht ihr Ding. Ihre Finger fuhren in seine Haare und drückten Julians Kopf tiefer zu ihrem Hals hinab. Gleichzeitig wurde sein Griff um ihre Pobacken fester, und es kam ihr so vor, als wäre die Beule in seiner Jeans gewachsen. Eng drängte sich Julian an sie, ging leicht in die Knie, um die Erektion an ihrer pochenden Mitte zu reiben. Nur zu willig öffnete sie die Schenkel. Das Fensterbrett hinter ihr, seine Hände an ihrem Hintern, der Druck an ihrer Scham – was blieb ihr da schon für eine andere Möglichkeit, erregt wie sie war? Ihre Beine schlangen sich wie von selbst um seine Hüften, um noch näher bei ihm sein zu können.

„Und jetzt?“, hauchte er in ihr Ohr.

Und jetzt?

Das Blut rauschte durch ihre Adern.

Und jetzt?

Jetzt würde sie in der Küche ihres ehemaligen Zuhauses gefickt werden.

Was?

Nein!

Stimmen drangen leise an ihr Ohr.

Julians Brüder.

War sie wahnsinnig?

Sie benahm sich wie eine Hure, warf sich dem nächstbesten Mann an den Hals, den sie eben erst kennengelernt hatte.

Liza versteifte sich. Versteifte sich, obwohl ihre Pussy glühte, ihr Innerstes nach Erfüllung schrie und sie sich danach verzehrte, von ihm gevögelt zu werden.

Nein!, rief sie sich zur Vernunft, während ihre Füße sich beeilten, wieder Bodenkontakt herzustellen, sich ihre Hände aus Julians Haar lösten, zurück zu seinen Schultern glitten und ihn ein paar Zentimeter von sich schoben.

„Alles okay.“ Doch auch Julian versteifte sich unwillkürlich. Seine Hände fuhren von ihrem Po kurz zwischen ihre Schenkel, bevor sie sich sacht auf ihre Hüften legten.

„Was ist denn das für ein übler Geruch?“, schallte ihnen eine Stimme entgegen.

Julian ließ sie los und trat ein paar Schritte zur Seite.

Ihr war augenblicklich kalt.

Ihr Höschen war nass.

Wie unangenehm …

„Die Angestellten haben wohl ziemlich fluchtartig das Hotel verlassen“, rief Julian. „Wie schaut’s oben aus?“

Noah betrat mit verzogenem Gesicht die Küche und stellte sich sofort ans geöffnete Fenster. „Na ja, viele Zimmer sind nicht möbliert, und die, die es sind, schauen nicht so aus, als würde jemand gern darin übernachten.“

„Warum?“

„Alt, unmodern, nicht sonderlich ansprechend eben.“

„Na toll!“, stöhnte Julian.

„Das dachte ich auch.“ Noahs Gesichtsausdruck spiegelte nicht unbedingt Begeisterung wider. „Was hast du gesagt? Die Angestellten haben fluchtartig das Hotel verlassen? Und konnten auf ihrer Flucht die Mülleimer nicht mehr leeren, oder was?“ Der Blick, der sie kurz streifte, war alles andere als freundlich. Er wandte sich vom Fenster ab, ging mit großen Schritten zu den Abfalleimern und öffnete sie. Schlagartig ließ er den Deckel wieder zufallen und wurde mit einem Mal ganz grün im Gesicht. Fast hätte sie lachen müssen, aber sie wusste, dass es nicht angebracht war und man ihr ein Lachen schwer verziehen hätte. Es reichten schon die verdorbenen Lebensmittel, die noch an den verschiedensten Orten lagerten. Aber nicht nur das …

„Was ist mit den Kühlräumen?“ Noahs Augen waren schmal, als er sie kalt ansah.

Die Kühlräume waren eine ganz schlechte Idee für eine Besichtigung.

Liza trat unbehaglich von einem Fuß auf den anderen.

„Du hattest schon gute Gründe, warum du uns das Hotel nicht zeigen wolltest, oder?“ Auch Julians Augen blickten ernst. Ernst, fast ein bisschen eisig.

„Eigentlich gehört ihr der Arsch versohlt“, knurrte Noah.

„Was für derbe Worte aus deinem Mund.“ Auch Sandro hatte den Weg zu ihnen in die Küche gefunden. „Ein Spanking übernehme ich natürlich gern, das steht außer Frage.“

Spanking? Was sollte das sein?

„Dieser kleine, rothaarige Besen hier hat nicht einmal die Abfalleimer geleert, als sie das Hotel verlassen hat.“

„Wie?“ Sandro trat neugierig näher.

„Sieh nicht hinein! Wir entsorgen sie mitsamt dem Inhalt.“

„Was ist nun mit den Kühlräumen?“, kehrte Julian zu dem befürchteten Thema zurück.

„Die sind befüllt“, würgte sie hervor.

„Mit verdorbenen Lebensmitteln?“, zischte Noah, der sichtbar sauer wurde.

„Nein.“

„Was heißt Nein?“ Julian hob ihr Kinn und drehte es sanft in seine Richtung.

Sofort rieselte ihr ein heißer Schauer über den Rücken. Es schien ihm völlig egal zu sein, was seine Brüder von dieser kleinen, aber intimen Berührung denken könnten.

„Antworte!“

Das klang nun eindeutig nach einem Befehl. Er hatte ihr zwar nichts zu sagen, niemand hatte das, doch insgeheim konnte sie die Brüder auch irgendwie verstehen, denn bis jetzt hatte sie die Sache mit der Erbschaft nur aus ihrem Blickwinkel gesehen.

„Der Strom ist nicht abgeschaltet worden.“

Mit einem Ruck drehte sie ihren Kopf beiseite und blickte angestrengt zu Boden. In der Küche herrschte nun eisige Stille.

„Willst du damit etwa behaupten, dass ihr den Strom auf unsere Kosten habt laufen lassen?“ Julians Stimme klang gefährlich ruhig.

Sie zuckte mit den Schultern. Was sollte sie auch antworten? Wie sich rechtfertigen? Sie hatte Brunos Söhne verteufelt, ihnen alles Schlechte an den Hals gewünscht. So wie jeder, der hier beschäftigt gewesen war.

„Wir könnten sie verklagen.“ Noah war nun richtig sauer.

Verklagen? Der spann doch …

„Wären euch Berge von verdorbenen Lebensmitteln lieber gewesen?“ Sie schnaufte leicht genervt auf. „Ihr hättet euch eben einmal hierher bequemen müssen.“ Liza wusste, dass sie jetzt Öl ins Feuer schüttete, aber das Risiko nahm sie gern auf sich. „Eine Person eures Vertrauens hättet ihr auch schicken können. Zum Beispiel euren Rechtsbeistand, der alles ordnungsgemäß hätte überprüfen können. Aber ihr wolltet ja nicht.“ So hatte es der Anwalt zumindest erzählt, als sie Bedenken wegen des Nichtabschaltens des Stromes geäußert hatte. Vielleicht hatte er vergessen, den Brüdern diesen Sachverhalt mitzuteilen? Sie wusste es nicht. Schließlich hatte sie sich nicht jede Kopie der anwaltlichen Schreiben durchgelesen. Außerdem war es müßig, sich nun darüber den Kopf zu zerbrechen. Sie hatte – auf anwaltlichen Rat - den Stromanbieter verständigt und ihm den Zählerstand mitgeteilt, damit er ihre Abrechnung fertigstellen konnte. Wenn die Brüder sich nicht ihrerseits mit ihrem Anbieter in Verbindung gesetzt hatten, war das nicht ihre Schuld. Was sollte also der ganze Aufstand? Wahrscheinlich wollten sich die drei nur ein bisschen wichtigmachen. Das war alles.

„Sandro, wie lautete eben dein Angebot?“, knurrte Noah.

„Immer gern.“

Die wollten sie doch nur auf die Palme bringen …

„In diesem speziellen Fall würde ich es lieber übernehmen.“ Julians Stimme klirrte bedrohlich.

Doch kein Scherz? Liza schluckte.

Und dann erst noch die Aussage, er wolle es übernehmen. Es. Was war es? Wollte er sie spanken? Wenn sie jetzt noch wüsste, was das sein sollte, wäre sie schon einen großen Schritt weiter. Um etwas Angenehmes konnte es sich allerdings nicht handeln, da war sie sich sicher.

„Du?“ Sandro zog überrascht die Augenbrauen in die Höhe. Dann grinste er wissend. „Ich habe es immer geahnt.“

„Behaltet eure Fantasien für euch“, fiel ihm Noah ins Wort. „Ich bin dafür, unseren Anwalt einzuschalten.“

Anwalt? Bitte nicht. Jetzt wurde es echt ernst. Ihre Mutter konnte es sich beim besten Willen nicht leisten, den ihren weiter zu beauftragen.

„Wenigstens ist der Keller ausbaufähig“, ließ sich Sandro in dem Moment vernehmen.

„Wie?“, kam es zeitgleich aus Julians und Noahs Mund.

„Die Sauna funktioniert, das Schwimmbad müsste überprüft und neu befüllt werden. Es gibt eine wunderschöne Terrasse, die geschützt zwischen den Felsen liegt und ab Mittag Sonne pur bekommt. Die untere Etage ist auch kein reines Kellergeschoss, sondern passt sich in die leichte Hanglage ein. Der Baustil ist wirklich gut, das Gebäude perfekt den natürlichen Gegebenheiten angeglichen. Ach ja, an die Terrasse schließt sich noch eine echt ansehnliche Poollandschaft an.“

„Wie bitte?“ Noah schien seinem Bruder nicht glauben zu wollen. „Du neigst zu Scherzen, oder?“

„Habt ihr nicht aus den Fenstern geschaut?“ Sandro stöhnte vor Unverständnis laut auf.

„Was bedeutete das?“, erkundigte sich Julian.

„Das wir vielleicht einen guten Preis erzielen können?“, mutmaßte Noah.

„Nein“, widersprach Sandro. „Dass wir es so machen, wie ursprünglich geplant. Wir nehmen einen Kredit auf und bringen das Hotel auf Vordermann. Dann müssen wir uns auch nicht über diese handschriftliche Erbschaftsklausel den Kopf zerbrechen und können das Geld für den Anwalt sparen.“

Kein Anwalt, kein Verkauf. In Lizas Kopf begann es zu arbeiten. Die Brüder würden also hierbleiben. Hier, nahe dem Ort, in dem sie wohnte. Sie würden ganz schön Aufsehen erregen. Schon allein dadurch, dass sie Brunos Söhne waren. Aber auch die Frauen würden große Augen machen, denn attraktiv waren sie alle drei. Jeder auf seine eigene Art.

Noahs misstrauischer Blick streifte sie. „Wir sollten das besser nicht vor ihr besprechen. Sie bringt es fertig und rennt zu ihrem Anwalt, damit der sich noch eine kleine Überraschung für uns einfallen lässt.“

„Liza?“ Julian grinste. „Da täuschst du dich. Liza wird für uns arbeiten. Nicht wahr?“

Sie funkelte ihn wütend an.

„Natürlich wird sie das“, stimmte auch Sandro zu, ebenfalls ein Grinsen auf den Lippen, das allerdings leicht gehässig wirkte. „Sicherlich möchte sie nicht, dass wir einen Prozess wegen der Sache mit dem Strom und der mutwilligen Wertminderung des Ambientes anstreben.“

„Nein, sie ist ein liebes Mädchen und sehr kooperativ“, lachte Julian sichtbar vergnügt.

Am liebsten hätte sie ihm einen Tritt in den Allerwertesten versetzt.

„Wiedergutmachung nennt man das“, brummte nun auch Noah zustimmend. „Das sichert uns ihre Loyalität bis an ihr Lebensende.“

Liza war sprachlos. Hatten die drei noch alle Tassen im Schrank? Sprachen über sie, als wäre sie Luft. Loyalität bis an ihr Lebensende …

„Was geht in deinem schlauen Köpfchen vor, Bruderherz?“, erkundigte sich Julian neugierig.

Sandro grinste von einem Ohr zum anderen. „Wir eröffnen ein Wellness-Hotel.“

Alle starrten ihn an.

„Schaut nicht so. Das ist die Lösung, die genialste Idee überhaupt. Seht euch die Landschaft an. Eine Idylle für stressgeplagte Städter. Ein bezahlbarer Kurzurlaub zur Entspannung. Sport und Natur inklusive.“

„Nicht dein Ernst“, nuschelte Noah, doch auch in seinem Kopf schien es zu arbeiten.

„Wie wollen wir unser Wellnesshotel denn nennen?“

„Seegrün passt doch zu dem See vorm Haus.“

„Seegrün klingt altmodisch“, widersprach Julian.

„Suite“, kam es über ihre Lippen. Spontan war ihr der Name in den Sinn gekommen. „Suite 6.“

„Wie kommst du darauf?“, erkundigte sich Sandro.

„Suite hört sich modern an“, erklärte sie.

„Und warum 6?“

„Die 6 steht für euch drei Brüder, Bruno, meine Mutter und mich.“

„Suite 6? Das klingt wirklich gut“, stimmte Noah zu und Julian nickte sichtlich zufrieden.

Kapitel 2

Liza starrte an die Decke in dem kleinen Wohnzimmer, in dem sie auf der Couch schlief. Das Mondlicht malte helle Kreise auf den unebenen Putz. Nicht einmal Jalousien existierten in dem alten Haus, in dem sie auf die Schnelle eine Wohnung gefunden hatten. Hier hatte sie viele Nächte hindurch gelitten, sich und Mum bemitleidet. Hier in dem kleinen Apartment, in dem sie sich nicht zu Hause fühlte. Noch vor ein paar Wochen hätte sie nie gedacht, irgendwann auf die drei Menschen zu stoßen, die ihr Leben von einem Tag auf den anderen zerstört hatten. Ebenso wenig wie sie je geglaubt hätte, für deren Situation so etwas wie Verständnis aufbringen zu können. Und jenseits jeglicher Vorstellungskraft hatte gelegen, dass sie einen dieser drei Brüder sehr gut aussehend und noch dazu sympathisch fand.

Nur sympathisch? Für nur sympathisch waren sie sich aber gewaltig nah gekommen.

Attraktiv waren alle drei Brüder, jedoch besaß lediglich Julian dieses gewisse Etwas, den ihm eigenen Charme, der sie tief in ihrem Herzen ansprach. Leider nicht nur in ihrem Herzen, wie sich herausgestellt hatte. Ihr Körper schien ihm förmlich entgegenzufliegen. Wenn sie bloß daran dachte, wie es sich angefühlt hatte, Julian zu berühren und von ihm berührt zu werden. Sie hatte völlig vergessen, wo sie sich befunden hatten. In der Küche. Wenn ihre Mutter davon wüsste …

Mums gleichmäßiger Atem klang vom Schlafzimmer herüber. Liza krampfte es das Herz zusammen, wenn sie sich daran erinnerte, wie schwer sie tagtäglich in dem Hotel geschuftet hatte. Ihr ganzes Leben hatte sie Bruno gewidmet. Nur Arbeit und nie ein Wort des Dankes. Liza nahm sich vor, mit Julian zu sprechen. Vielleicht benötigten sie noch eine zusätzliche Kraft. Vielleicht störte es die Brüder ja gar nicht, wenn die Lebensgefährtin ihres verstorbenen Vaters ebenfalls in dem Hotel arbeiten würde.

Doch würde Mum sich dazu herablassen? Würde sie über ihren Schatten springen können? Würde sie noch einmal versuchen, ins Leben zurückzukehren? Nie war sie Chefin gewesen, immer nur Brunos Anhängsel, das er nach Lust und Laune herumkommandiert hatte.

Nein, sie hatte den Freund ihrer Mutter nie gemocht.

Mit ihren Gefühlen schien sie nicht die Einzige zu sein. Selbst seine Söhne waren nicht zur Beerdigung erschienen. Einer der Gründe, warum die Angestellten alles hingeworfen hatten. Ein weiterer war, dass sie arbeitsmäßig in der Luft gehangen hatten. Hätte es eine Option auf Übernahme gegeben, hätten sich die meisten wohl anders verhalten. Aber nicht nur die Angestellten, auch die Leute im Dorf hatten lediglich ein verständnisloses Kopfschütteln für die drei Brüder übrig, die ein Erbe an sich gerissen hatten, das ihnen, aus ihrer Sicht, nicht zustand.

Doch war das wirklich so? Was wusste sie von Brunos Vergangenheit? Konnte es nicht sein, dass er auch seinen leiblichen Kindern kein guter Vater und seiner einstigen Ehefrau kein guter Mann gewesen war? Zutrauen würde Liza es ihm, denn eigentlich war die missliche Lage, in der Mum und sie sich befanden, auch nur durch sein Verschulden entstanden. Nicht durch das seiner Söhne.