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Eine sehr persönliche, intensive Auseinandersetzung mit der Frage eines eigenen durchdachten und entschiedenen Freitods, teilweise aus philosophischer Perspektive.
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Seitenzahl: 199
Veröffentlichungsjahr: 2020
Hermann-Otto Leng
Suizid als Freitod
Prüfsteine
© 2020 Hermann-Otto Leng
Umschlag, Illustration: tredition Gmbh
Lektorat, Korrektorat: Dieter Goeschel
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
ISBN
Paperback
978-3-347-07902-1
Hardcove
978-3-347-07903-8
e-Book
I978-3-347-07904-5
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Inhaltsverzeichnis
1 Einige Gedanken vorab
2 Was ist für Dich ein würdevoller Tod?
2.1 Den freien Tod in Würde akzeptieren
2.2 Das Lebensende
2.3 Die Freiheit im mors voluntari
2.4 Erasmus von Rotterdam
2.5 Dem Tod rational und gelassen ins Auge sehen
3 Kennst Du genügend Einwände gegen Suizid?
3.1 Freitodwille und die heftigen Suizideinwände
3.2 Unsere Suizidkultur
3.3 Und die Bibel hat doch recht
3.4 Die Bannkraft des Mythos
3.5 Der kleinkarierte Hass des großen Immanuel Kant
3.6 Wann wird es beim Sterben eine Autonomie geben?
3.7 Das Gesellschaftsargument
3.8 Der „Lebensschutz“
4 Tot - und was kommt danach?
4.1 Sterbewunsch und Jenseitshoffnungen
4.2 Alles ist wie es ist gut
4.3 Den Tod entdramatisieren
4.4 Das wohl älteste Zeugnis der Suizidliteratur
4.5 Muss der Tod einen Sinn haben?
5 Der Freitod bedeutet eine individuelle Entscheidung wie kann sie in Dir wachsen?
5.1 Sterbewunsch und Todesangst
5.2 David Hume und das Abschiednehmen
5.3 Freitod als Lebenskunst
5.4 Friedrich Nietzsche ermuntert zur Tapferkeit
6 Das Leben vereinnahmt – wie steht es um Deine gefühlten und um die „tatsächlichen“ Unentbehrlichkeiten?
6.1 Alterssuizid und Bilanztod
7 Beuteln Dich auch innere Ängste und Zweifel?
7.1 Die Todesangst und der Vitaltrieb
7.2 Die Todesfurcht als Maske
7.3 Loslassen
7.4 Nicht Knecht sein
8 Sterbebegleitung und Garantenpflicht – was ergibt sich aus dem § 217?
8.1 Sterbehilfe
8.2 Der deutsche § 217
8.3 Eine neue Lage
8.4 Der § 217 ist weg
9 Welche technischen und praktischen Vorkehrungen hast Du bereits getroffen?
9.1 Sanfte Selbsttötung
9.2 Kleiner Naturwissenschafts- und Technik- Talk
9.3 Zwei Edelgasmethoden
10 Das Schwanken: wann kommt der richtige Zeitpunkt?
10.1 Sterbewunsch
10.2 Seelisch geistiges Misslingen
10.3 Todesfurcht und Lebenstrieb
11 Was soll denn als Wahrheit gelten?
11.1 Was als Wahrheit gelten soll
12 Soll der Mensch in Furcht und Hoffnung leben?
12.1 Soll der Mensch in Furcht und Hoffnung leben?
1 Einige Gedanken vorab
Auf der Startseite steht: „Das Leben nehmen“. Eigentlich gehört Dein Leben doch Dir, denkst du. Also hast auch nur du allein das Recht, es Dir zu nehmen. Oder? Schon sind wir mittendrin im Wust der ungeklärten Gemütslagen, den man auch gerne „Seele“ nennt. Allgemein wird geglaubt, der / die Einzelne besitze zwar sein Leben, das sei sein grundlegendes Eigentum, wie Locke meinte, - aber am Ende wird es uns weggenommen. Von Gott, oder vom Schicksal, oder vom Teufel, oder von wem auch immer. ´Mein Tod gehört mir` (so auch der Titel eines klugen kleinen Buches von Svenja Flaßpöhler, 2013), das wird als eine bornierte und freche, ja sündhafte Behauptung abgewiesen.
Schon merkwürdig, dass ich etwas, was mir gehört, mir nicht nehmen darf. Aber man kann es ja auch so sehen zu sagen, dein Leben gehört gar nicht Dir, es gehört Gott, dem Staat, der Familie, der Gesellschaft, wem auch immer. Wir werden das aufzugreifen haben.
Jeder Freitod sollte „wohlerwogen“ sein.
Wie sieht es aktuell bei Dir aus? Ist Dein Denken und Vorstellen akut von Suizidabsichten besetzt? Dann bist Du hier falsch. Dir geht Pathologisches durch den Kopf. Dir hilft kein Lesen, Du brauchst Gespräche, Gespräche.
Telefon
0800-1110111 (auch anonym)
Wir verhandeln hier den Freitod als einen Bilanz- und Alterssuizid. Dieser eigentliche Freitod fristet noch das Dasein eines Mauerblümchens, die pathologischen und die Verzweiflungssuizide überwiegen eindeutig. Und viele scheitern.
Die sorgfältig geplante Freitodabsicht klingt anders: „Alles war mir letztlich angemessen, ich hatte ein reiches, ein schönes Leben. Aber nun ist es gut. Es wird Zeit zu gehen.“ Eine schöne kleine Broschüre in dieser Tonlage hat Ines Moll-Schmidhäuser geschrieben, Aus freiem Willen gehen, DGHS-Schriftenreihe Nr. 14.
An ein bestimmtes Alter ist natürlich auch der Bilanztod nicht geknüpft, natürlich spielt auch die körperliche und geistige Verfassung eine gewichtige Rolle. Es kann dann auch halt zu spät sein. Hast du Deinen Bodensatz an Verdrängungen kritisch im Blick?
Weitgehend gilt der Freitod noch als ein Tabu. Aber der Tod schlechthin wird ja auch weitgehend tabuisiert. Zumindest solange er für uns noch nicht wirklich da ist. Hernach folgen die salbungsvollen Worte. Eine klarere, nüchterne Betrachtungsweise kommt aber voran, besonders seit dem Beginn dieses Jahrhunderts.
Traditionell besaß der „Selbstmord“ als heroische Ausnahme von der Regel zwei Rechtfertigungen: zum einen die verlorene „Ehre“ (das letzte Duell in Deutschland wurde 1937 ausgetragen) zum zweiten gab es und gibt es den gewollten (?) Opfertod (die christlichen oder sonstigen Märtyrer/innen). Den einen wurde Respekt zuteil, die anderen hat man oft bewundert.
Beides ist in unserer demokratischen Zivilgesellschaft nahezu verschwunden. Zugleich aber sehen wir, wie grausam eine künstliche, medizinisch-technische Lebensverlängerung sein kann, mit all ihren Ermahnungen zum Durchhalten - eine neue Version des Opfertods? Werden wir Opfer einer Instrumentalisierung?
In der Antike wurde Hegesias als „Selbstmordprediger“ bekannt (Peisithanatos =„der zum Tod Überredende“). In dessen Fußstapfen wollen wir nicht treten. Wir sind keine Suizid-Prediger und hoffentlich auch frei davon, uns in aller Eitelkeit mit einem interessanten Thema ins Schaufenster zu stellen. In aller Geringfügigkeit wollen wir uns an einem Kulturwandel beteiligen, wie er bereits eingesetzt hat: den Tod zu entmythologisieren.
Bleib also locker und halte lächelnd Distanz zum Reden der Leute.
Der Schritt in den mors voluntari, in den Freitod, ist wahrlich nicht leicht, gerade auch beim Alterssuizid nicht. Selbst wenn du das Gerede der Leute , so ein „Selbstmord“ sei doch abwegig, hinter dir gelassen hast, musst du Dir noch viel Selbstsicherheit, auch Demut (nimm Dich und Dein kleines Leben nicht so wichtig…) und Tapferkeit aneignen.
An der Debatte um den sogenannten assistierten Suizid wollen wir uns nicht beteiligen. Auch in der Schweiz, wo es Exit gibt, wird diese Debatte in aller Heftigkeit geführt. Für uns hier im Blog ist diese Debatte ein Nebengleis. Menschen, denen beispielsweise auch von ärztlicher Seite „ein unerträgliches Leiden“ eingeräumt wird (und die in Deutschland trotzdem nicht sterben dürfen, stattdessen u. U. sediert werden) betteln, so sie ihre Lage klar erkennen, um den Verzweiflungssuizid.
Bewahre Dir die Freiheit, aus eigenem Entschluss zu gehen.
Du hast ein Recht auf Leben, klar. Aus diesem Recht kann aber keine Pflicht zum Leben ableitbar sein. Unsere Bevormunder in der Suizidfrage spielen mit Tabus, mit Deinen Ängsten, auch mit Deiner Autonomie und Deinem Selbstbestimmungsrecht. Und sie stützen sich dabei unterschwellig auf den Vitaltrieb, den Selbsterhaltungstrieb, wie er sich mit aller Heftigkeit zu melden pflegt.
Ach, da fällt uns gerade ein weiser Satz des römischen Dichters Lukrez ein. “Neues Vergnügen bildet sich nicht durch längeres Leben.“ Ja, es gibt das überlange Leben. Seneca sah es bei den Toren, und er hoffte, auch diese würden noch weise werden. Bisher vergeblich.
Albert Camus meinte, „Die Frage nach dem Selbstmord ist das wichtigste philosophische Problem überhaupt.“ Warum? Weil es wirklich schwierig ist, ein Urteil (also auch emotional) darüber zu fällen, wann ein Leben „satt“ ist, wann es nicht mehr lebenswert ist. Die Menschen laufen vor dieser Frage in aller Regel davon.
Der konsequente Entschluss zum Freitod wird immer ein einsamer sein. Es ist keine gesinnungsethische Entscheidung. Da würdest du Gefolgsleute finden oder dich anschließen. Es ist eine verantwortungsethische Entscheidung. Du wirst dabei mit verkrusteten Denkweisen, Tabus, Ängsten und Verdrängungen konfrontiert, wie sie auch zäh in dir selbst leben. Von einem gelassenen Verhältnis zum Tod sind wir noch sehr weit entfernt.
Manches hier im Blog ist wenig geordnet, manches vielleicht auch unausgegoren, und es wird sicherlich auch rhetorische Wiederholungen geben. Diese Wiederholungen werden wahrscheinlich aber auch den Schreiberlingen selbst gut tun. Das Sterben kann man nicht übend lernen, weil es ein einmaliger Vorgang ist. Aber man kann sich in die Gedankenwelt eines freien und würdevollen Sterbens wiederholend mehr und mehr hineinbegeben.
2 Was ist für Dich ein würdevoller Tod?
2.1 Den freien Tod in Würde akzeptieren
Wie viele Menschen sterben in unserer Zeit einen würdevollen Tod? Die allermeisten sicherlich nicht. Wie viele Menschen bringen sich gegenseitig gewaltsam um? Viele – in Kriegen, Attentaten, Unglücksereignissen, auch durch seelische Grausamkeiten. Und überhaupt sieht es so aus, dass sich nun die gesamte Menschheit umbringen will, indem sie den Planeten unbewohnbar macht.
Es ist schon paradox, wie sich die Menschen gegenseitig umbringen und dabei über das fünfte der zehn christlichen Gebote brutal hinweg sehen, und gleichzeitig wollen sie den persönlichen Freitod nicht zulassen. Die individuelle, freie, souveräne Selbsttötung wird mit Vehemenz tabuisiert. Aber sollten wir nicht es geradezu als ein Gottesgeschenk betrachten, dass der Mensch wohl als einziges Lebewesen über diese Gabe verfügt? Seneca hat betont, es sei doch eine Freude zu wissen, dass wir als Menschen wirklich selbstbestimmt unserem Leben ein Ende setzen können.
Wir blicken auf eine Mixtur von religiösen Gewissensvorgaben, Trieben, Gemütslagen und Ängsten. Wenn du zu einem ruhigen Urteil über deine Freitodabsichten kommen willst, müssen wir diese Mixtur aufdröseln. Das macht Mühe und ist nicht einfach.
Der bisher wortgewaltigste Befürworter des freien Todes war Friedrich Nietzsche. Er konnte sich dabei auf antike Vorbilder stützen – Pythagoras, Demokrit, Epikur, einige Kyniker und Stoiker und auch Cato beispielsweise. Natürlich war er sich auch darüber im Klaren, dass wir von einer gesellschaftlichen Akzeptanz des Freitodes noch weit entfernt sind. Auch heute, 150 Jahre später, haben wir diese Akzeptanz noch längst nicht erreicht.
Das Selbstbestimmungsrecht über das eigene Sterben ist ein konstitutiver Teil unserer persönlichen Würde. Eine Würde, die gemäß dem Grundgesetz der BRD auch gegen das Übliche, gegen das gesellschaftliche „Man“ (Heidegger), gilt. Es geht um ein individuelles Recht vor aller Vergemeinschaftung. Lass dich nicht einschüchtern.
Für Nietzsche war „der natürliche Tod“ kein Tod in Würde. Der Mensch erlange seine Würde erst dann, wenn er souverän von seiner eigenen Vernünftigkeit Gebrauch zu machen versteht.
Die gängige Vorstellung, ein großer Gott oder die Natur habe uns bei unserer Geburt das Leben „geschenkt“ und sie würden uns dieses Geschenk, wenn es denn an der Zeit ist, dann wieder entziehen, empfand der Philosoph des Ecce Homo als eine klerikale Bevormundung.
Auch Epikur sprach sich deutlich dagegen aus, den Tod religiös oder sonst wie aufzuladen. Solange wir da sind, ist der Tod nicht da. Und wenn der Tod da ist, sind wir nicht mehr existent. So what? Aber Gott und die Götter? Ach, sagt Epikur, die kümmert das nicht; sie haben anderes zu tun als sich einzumischen in die Natur des ewigen Werdens und Vergehens.
Aus diesem Werden und Vergehen besteht das ganze Leben. Indem die Natur alles Leben nur als ein konkretes einzelnes Leben hervorbringt und auch einzeln und individuell beendet, zeigt sie uns ihre tiefe Weisheit und ihr Vermögen.
Der Tod ist immer ein einzelner Tod und als solcher vollkommen vernünftig und sinnvoll. Du bist angehalten, dazu ja zu sagen und deine Sterblichkeit demütig zu akzeptieren. Es ist auch nichts sonderlich Heroisches dabei.
In seiner Fähigkeit zum Freitod zeigt sich allerdings für den Menschen etwas ganz Besonderes. In einer singulären Verantwortung bezüglich seines Lebens und seines Lebensendes, in dieser besonderen Autonomie, offenbart sich eine einzigartige Würde. Dieser Würde und dieser Verantwortung gerecht zu werden ist schwer. Du musst besonnen, demütig und tapfer sein.
2.2 Das Lebensende
Ist ein Kunststück zu dem nur wenige in der Lage sind.
2.3 Die Freiheit im mors voluntari
Unablässig ist sie im leeren Gerede, die Freiheit. Doch du willst, dass es sie auch sinnvoll gäbe?
Die Freiheit „von“ wird ja gerne eingeklagt, als Willkür. Die Freiheit „zu“ wird gern vertagt. Verantwortung würde uns dabei quälen.
Lästig, lästig.
So kommt es dann gar zu einem Freiheitsverbot, - auch dort, wo es die freie Verantwortung doch gäbe, beim freien Tod.
Du sollst hier nicht frei wählen. Schauerliches vom Tod wird man erzählen.
Im Sterben seist du aller Verantwortung beraubt. Wie falsch! Wohl dem, der auf sich selbst vertraut.
2.4 Erasmus von Rotterdam
Wer aber waren vornehmlich diejenigen, die sich aus Lebensüberdruss selbst den Tod gaben? Waren es nicht die Freunde der Weisheit? … Ihr seht wohl nun, was geschehen würde, wenn der Durchschnittsmensch sich einfallen ließe, weise zu sein." Zitiert nach Svenja Flasspöhler, Gibt es einen guten Tod? Philosophie Reclam 2018, die die Frage anfügt, "Was wenn der Suizid ein durch und durch vernünftiger Akt wäre? Welche Folgen hätte dies ganz praktisch?" Siehe dazu auch LF 3 Das Gesellschaftsargument, dort besonders die von Robert Spaemann hervorgehobenen Ängste.
2.5 Dem Tod rational und gelassen ins Auge sehen
Es gibt viele gute und vernünftige Gründe, mit deren Hilfe wir der unmittelbar gegebenen Unheimlichkeit des Todes begegnen können. Norman Brenner, selbst noch recht jung an Jahren, hat sie eingängig aufgeführt.
Mit ,Vernunft‘ ist das allerdings so eine Sache. Im Gegensatz zur Antike, von woher Norman viele seiner guten Zitate bezieht, ist unser Glaube an eine ,höhere Vernunft‘ allerdings doch sehr geschwunden. Übrig geblieben sind rationale Argumente.
Natürlich ist es im Kampf gegen die Todesfurcht zunächst einmal hilfreich, sich überhaupt mit dem Tod zu beschäftigen, dem lange verdrängten. Aber jeder von uns weiß, dass Ratschläge auch Schläge sein können und dass der Verstand allein, die Todesfurcht nicht besiegen kann. Es dauert halt …
Der Link:
https://www.vernuenftig-leben.de/ angst-vor-dem-tod/? utm_source=ActiveCampaign&utm_medium=email&utm_content= % 5BVL % 7CG%5D+Ich+werde+sterben&utm_campaign=40+beruhigende+Gr %C3%BCnde%2C+keine+Angst+mehr+vor+dem+Tod+zu+haben vernuenftigleben.de/ angst-vordem-tod/?utm_source
3 Kennst Du genügend Einwände gegen Suizid?
3.1 Freitodwille und die heftigen Suizideinwände
Diskursive Argumente gegen den Freitod gibt es kaum. Wohl aber gibt es gegen ihn mächtige Vorbehalte, stille Hintergedanken und abwehrende Gefühle. Viele von uns weigern sich ja, den Gedanken an den Tod, geschweige denn den an den Freitod, überhaupt an sich herankommen zu lassen. Und es gibt die Bevormundung seitens derer, die meinen es besser zu wissen, im Lager der Theologen und Mediziner vor allem.
Der Tod ist ein mit Angst und Furcht besetzter Archetyp; wir betrachten ihn gängiger weise nicht als einen Freund, er ist ein Feind, ein Feind des Lebens. Zahllos sind die Geschichten, in denen Gevatter Tod gebeten wird, er möge sich noch einmal davon schleichen.
Das ist verständlich und war wohl noch nie anders. Versetzt man sich in die Lage der Menschen in der Frühzeit, in deren lange, lange Geschichte, der gegenüber unsere stolze Moderne eine historische Winzigkeit ist, lässt sich der Tod als eben jener brutaler Verlust des Lebens nachempfinden, der er ja auch war. Mit einer Lebenserwartung von kaum mehr als 30 Jahren zogen sie bekanntlich als Jäger und Sammler in kleinen Horden umher, und der Tod schlug wohl meist unverhofft zu. Tragisch für den/die einzelne(n), tragisch zumeist als schwerer Verlust für die ganze Gruppe. Die ganz schwach Gewordenen ließ man allerdings notgedrungen einfach zurück.
So gut wie alle starben zu früh. Ein überlanges Leben, wie es heutzutage fast normal geworden ist, lag außerhalb aller Möglichkeiten. Auch heute noch ist das Leben ein Abbruch, es gibt kein ,vollendetes‘ Leben, aber eine Lebensdauer von nur 30 Jahren uns als ,normal‘ vorzustellen, ist doch fast unmöglich.
Das Leben und den Tod mit einer vornehmen Distanz zu betrachten, Abstand zu gewinnen und den Lebenskampf auch in seinen lächerlichen Zügen zu sehen, war sicherlich unmöglich. Sie konnten nicht anders, als den Tod als einen übermächtigen Eingriff in ihr karges Leben zu sehen, sie mussten ihn mystifizieren.
Den eigentlichen Kampf mit dem Tod, mit dem Ziel, ihn in einem höheren Leben zu überwinden, nehmen dann die großen Mythologien auf. Der Tod darf nicht länger der Tod sein, er muss von einem Leben überwunden werden, das unauslöschlich ist, zumindest geistig und wenn irgend möglich auch durch ein irgendwie geartetes Weiterleben des Körpers. Der ägyptische Osiris-Kult ist ein eindrucksvolles Beispiel. Die Idee des ewigen Weiterlebens war nun da und blieb.
In der griechischen Mythologie ist Thanatos der Dämon des Todes, ein richtig böser. In dem von Euripides ausgestalteten Drama um Alkestis, kann erst der heldenhafte Herakles in einem großen Ringkampf dem Dämon Thanatos das Leben des Atmetos wieder entreißen, ihm also ein Fortleben möglich machen. Der Tod erfährt also eine Negation seiner selbst. Die alten Griechen waren allerdings recht nüchterne Leute, ihre Toten kamen unerlöst in den Hades, in das Schattenreich.
Das Christentum aber verspricht Erlösung. Es steigert das Weiterleben in der Weise, dass eine moralische Zielvorstellung hinzu tritt. Eine Zielvorstellung für das Weiterleben nach dem Tod, der bereits das gesamte irdische Leben unterzuordnen ist.
Heutzutage wird in dem heraklitischen Ringkampf mit dem Tod eine imposante medizinisch-technische Apparatur aufgefahren, mit Maschinen und Medikamenten. Diese Instrumentalisierung des Lebensendes, diese Verdinglichung des Kampfes mit Thanatos ist beeindruckend. Futuristen arbeiten bereits heftig daran, den Tod biologisch ganz abzuschaffen.
Und nun kommst du daher und reklamierst das Recht auf ein selbstbestimmtes Sterben für dich. Das passt nun aber gar nicht zusammen. „Was erlauben Strunz?“ war ein Ausspruch des ehemaligen Fußballtrainers Trapatoni, der zu einem geflügelten Wort für ein freches und abwegiges Auftreten wurde.
Mensch, willst du dich mit dem Tod am Ende sogar anfreunden? Da müssten wir ja grundlegend unsere ganze Einstellung zum Leben ändern. Das Leben gilt uns gemeinhin doch als ein Kampf, eine Bewältigungsaufgabe. Warum können wir den Tod nicht eben auch bewältigen?
Die klerikalen Bevormundungen, wie wir sie in dieser Leitfrage noch zu analysieren haben, wurzeln letztendlich in diesem althergebrachten mythischen Bodensatz, hinter dem wiederum unser Vitaltrieb steckt. Du kannst diese Bevormundungen übergehen, eine solide Urteilsbildung ist dies dann aber nicht.
Betrachten wir das in Frage Stehende noch einmal philosophisch-allgemein. Wir reklamieren für uns in der Freitodfrage Autonomie und Selbstbestimmung und betrachten dies als ein Freiheitsrecht. Freiheit, Selbstbestimmung und Autonomie sind hohe Güter. Unumstritten sind sie gleichwohl nicht, und es ist auch die Frage, ob nicht den meisten Menschen Geborgenheit und Vertrauen am Ende deutlich wichtiger sind. Freiheit vereinzelt, Geborgenheit macht abhängig. Welchen Weg willst du gehen?
Mit deiner Freitodentscheidung stellst du dich gegen den vorherrschenden gesellschaftlichen Konsens, dass das Lebensende nicht in unserer Hand liegt, dass wir dieses Ende schicksalsergeben abzuwarten haben, dass wir auszuharren haben, dass wir aber hoffen dürfen und sollen - dass wir irgendwie vertrauen sollen.
Du aber machst deinen alleinigen Willen geltend. Philosophisch überhöht und auch etwas hingebogen könntest du dich damit rechtfertigen, dass man alleinig auch als ,all-einig‘ interpretieren kann. Ein solches Wortspiel würde das Ganze zu dem antiken Vernunftbegriff hin gleiten lassen, zu einer Teilhabe an der Logos-Vernunft. Ist doch ein überlanges Leben nicht logisch, vielmehr unvernünftig. Der Logos der Natur will die ständige Erneuerung.
Aber einsam macht dich deine Entscheidung gleichwohl. Wer nicht mit der Herde trottet, für den kann es ungemütlich kalt werden. Wir wollen ja darauf hinarbeiten, dass sich die herrschende Meinung in der Freitodfrage endlich ändert. Und wir können da guten Mutes bleiben, das überlange Leben wird auf Dauer nicht zu halten sein, vieles an den gegenwärtigen Zuständen wird sich nicht fortführen lassen. Das zeigen dir schon ein paar simple Hochrechnungen.
Dennoch und noch einmal: Als ,wohlerwogen‘ kann ein Urteil (und dann die Entscheidung) nur gelten, wenn man zuvor bemüht war, die Gegenargumente an sich herankommen zu lassen. Das musst du dir schon zumuten. In Anbetracht der Ängste, die du ohnehin hast (s. Leitfrage 7) könnte es nämlich sein, dass diese Vorbehalte am Ende doch zuschlagen. Sie leben in dir, auch wenn du bequemerweise über sie hinweggehen möchtest.
Schau dir allein nur die Debatten um den § 217 an. Da fallen dann Sätze wie: „Sterbewünsche sind Lebenswünsche.“ Oder: „Gerade am Ende ist das Leben besonders schützenswert.“ Mit solchen Sätzen beschwören ,Lebensschützer‘ einen Lebensschutz ganz allgemeiner Art, echt paternalistisch.
Philosophisch gesehen gibt es „das“ Leben nicht. Leben ist immer einzelnes, konkretes Leben und dein Leben ist dein Leben. Der Rest ist Abstraktion.
Also gut, das eine ist dein Vitaltrieb, deine Lebenslust, dein Daseinshunger, der entschiedene Wille, das Leben zu ergreifen und zu bewältigen. Das andere ist der Überbau, der mythologische, der religiöse, der ideologische. Er reicht tief hinein in unser historisches Geworden Sein und schlägt sich in unserem Gewissen nieder.
3.2 Unsere Suizidkultur
Seit Émile Durkheim, er schrieb gegen Ende des 19. Jahrhunderts, wird der Suizid wissenschaftlich analysiert. Für Durkheim galt er als ein Ereignis, das an sich zwar gar nicht vorkommen dürfte, das gleichwohl in allen Kulturen, den historischen und den gegenwärtigen, auftritt.
Hier im Blog haben wir zwar nicht die Absicht, soziologische, psychologische, historische etc. Analysen anzustellen; wie sehr aber die Einstellungen zum Suizid bzw. zum Sterbewunsch, in den verschiedenen Kulturen auseinandergehen, ist indes schon ein Phänomen, das nachdenklich macht.
Und zu vergleichen ist ja immer interessant. Leben wir in einer suizidtoleranten Kultur und Gesellschaft, oder ist die gegenwärtige Einstellung zum ,Selbstmord‘ in einem spezifischen Sinne suizidfeindlich? Natürlich steht die jeweilige Sichtweise zum Suizid dann immer auch in dem größeren Horizont der gesellschaftlichen Haltung zu Leben und Tod schlechthin.
Vorweg urteilend lässt sich mit Thomas Macho zunächst einmal sagen, der Suizid habe im 20. Und 21. Jahrhundert eine „radikale Umwertung“ erfahren. Diese radikale Umwertung muss allerdings auf dem Hintergrund gesehen werden, dass wir geschichtlich aus einer extrem suizidfeindlichen Kultur kommen.
In unserem christlichen Abendland war und ist bis heute der Suizid eine schwere Sünde vor Gott. Und zu David Humes Zeiten beispielsweise, also noch im 17. und 18. Jh. und teilweise auch später noch, wurde er auch innerhalb der weltlichen Rechtsprechung als ein so schweres Verbrechen beurteilt, dass auch ein Hume es nicht wagte, öffentlich den Suizid als eine Möglichkeit des Sterbens anzusprechen. Sein Eintreten für den Freitod und seine klugen Gedanken hierzu fanden sich erst in seinen Nachlasspapieren. Siehe zu Hume Leitfrage 5.
Heutzutage stellt uns die industrialisierte Gesellschaft und ihre Produktionsverhältnisse, wie sie ja auch das Gesundheitswesen erfasst hat, vor eine grundlegend neue Situation. Es gibt ja keinen ,natürlichen‘ Tod mehr. Auch hat man von Seiten der Kirchen inzwischen eingesehen, dass jeder Mensch das Recht auf ein würdevolles Begräbnis hat, was früher nicht der Fall war. Den Suizid als ein Verbrechen zu bestrafen, macht keinen Sinn mehr, man kann die Straftäter im Nachhinein ja ohnehin nicht mehr belangen. Gleichwohl, anerkannt als eine fraglos legitime Art zu sterben, ist der „Selbstmord“ nach wie vor nicht.
Der Weg in die künstliche Lebensverlängerung durch die Möglichkeiten der High-Tech-Medizin hat uns vor eine neue Situation gestellt, wie sie geschichtlich ohne Beispiel ist. Die geistige Verarbeitung dieser neuen Situation, dieser Wandel an der ,Basis‘ (Karl Marx grüßt zurecht) kommt nur langsam voran. Dieter Birnbacher fordert folgerichtig zu einer grundlegenden Neubesinnung in der Frage nach dem Tod auf (Dieter Birnbacher, Tod, 2017, S. 10 ff.).
Allein schon die innere Logik der Blockstruktur von Kapital und Technik, die Akkumulationslogik, treibt den Prozess voran. Sterben und Tod sind ökonomisiert worden, wie das gesamte Gesundheitswesen überhaupt. Jeder Arzt ist sich dessen bewusst, bis in die die Details der „Fallpauschalen“ hinein, und hat dies bei seinem Handeln zu berücksichtigen. Einen direkten Akteur in diesem Prozess gibt es nicht, alle handeln sie systemkonform, alle sind sie eingebunden in die große Maschine (Mumford), die uns ja auch viel Segen gebracht hat.
Es ergibt sich ein zwiespältiges Bild was den Suizid betrifft. Wieder etwas vorausgreifend und wieder mit Thomas Macho können wir sagen: wir leben in einer durchaus suizidaffinen Zeit, was die geistigen Eliten betrifft. Der Suizid wird dort häufig verstanden als ein persönlicher Protest gegen die überkommenen Normen und Konventionen. Im allgemeinen Betrieb hingegen, in unserer Gesundheitspolitik, wird der Suizid als Krankheit gesehen und behandelt.
Birnbacher kommt zu dem Ergebnis, dass der Tod zunehmend in den Bereich der Gestaltbarkeit gerückt ist (S. 47). Dies einerseits im Bereich der allgemeinen medizinisch-technischen Handhabung, wie dann eben auch in dem persönlichen Bereich als eine Selbstbestimmung und „Selbsttechnik“ (Foucault).
Auf der Suche nach Orientierung kann ein Kulturvergleich besonders zur vorchristlichen Antike einigen Aufschluss erbringen. Hier steht uns ja erfreulicherweise eine Reihe von schriftlichen Quellen zur Verfügung.
Die Antike war allgemein keine ausgesprochen suizidaffine Kultur, auch der antike Mensch war geprägt von Todesfurcht und von dem uns eingeborenen Vitaltrieb. Es waren die philosophisch ausgerichteten geistigen Eliten, in denen sich die Befürworter des Freitodes fanden. Am wohl bekanntesten wurden hierbei die Kyniker und Stoiker. Vergleiche hierzu auch die bei LF 4 gemachten Aussagen.