Sumchi - Amos Oz - E-Book

Sumchi E-Book

Amos Oz

4,9

Beschreibung

Eine Hans-im-Glück- und eine Liebesgeschichte, eine Geschichte vom Erwachsenwerden, ein Buch für Kinder, aber längst nicht nur - geschrieben vom Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels.PREIS DER STIFTUNG BUCHKUNST, 1993, »LUCHS« (DIE ZEIT und RADIO BREMEN)

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“Einmal bekam ich ein Fahrrad geschenkt und tauschte es gegen eine Eisenbahn, für die ich einen Hund bekam, an dessen Stelle ich dann einen Spitzer fand, den ich gegen Liebe hergab. Doch auch das ist nicht die volle Wahrheit, denn die Liebe gab es die ganze Zeit, schon bevor ich meinen Spitzer herschenkte….“

Eine Hans-im-Glück und eine Liebesgeschichte, eine Geschichte von der Sehnsucht (nach dem Land Ubangi-Schari tief in Afrika) und vom Erwachsenenwerden, ein Buch für Kinder, aber längst nicht nur – und vielleicht das persönlichste des Friedenspreisträgers des Deutschen Buchhandels.

Amos Oz

Sumchi

Eine wahre Geschichte

über Liebe und Abenteuer

Aus dem Hebräischen

von Mirjam Pressler

Carl Hanser Verlag

Die Originalausgabe erschien 1978 unter dem Titel Sumchi bei Am Oved Publishers Ltd. in Tel Aviv und erscheint nun bei Keter Publishing House in Jerusalem.

ISBN 978-3-446-25522-7

© Text: Amos Oz 1978

Alle Rechte der deutschen Ausgabe

© Carl Hanser Verlag München Wien 1993/2016

Satz: Reinhard Amann, Aichstetten

Umschlag: Quint Buchholz

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Datenkonvertierung E-Book:

Kreutzfeldt digital, Hamburg

Inhalt

Einleitung

Über Veränderungen

In dieser Einleitung stehen ein paar Dinge, die ich für nicht ganz uninteressant halte: ein paar Erinnerungen, Vergleiche und Schlußfolgerungen. Man kann sie aber auch überspringen und sofort zum ersten Kapitel weiterblättern, wo meine Geschichte dann wirklich beginnt.

1

So erblühte die Liebe

In diesem Kapitel werden endlich ein paar private Dinge offenbart, die bis heute ein gut gehütetes Geheimnis waren. Es geht um Liebe und andere Gefühle.

2

Eine große, edle Seele

Onkel Zemach geht diesmal zu weit, und ich mache mich auf zu einer Expedition zu den Quellen des Flusses Sambesi (auf dem afrikanischen Kontinent).

3

»Wer wird zum Berg Gottes hinaufsteigen?«

Hier wird von den Verhandlungen erzählt, von der Unterzeichnung eines Vertrages, von ungeheuren Plänen und von abgelegenen Gebieten, die noch nie der Fuß eines Weißen betreten hat.

4

Geld oder Leben

Nun werden wir gleich mit einem alten Feind konfrontiert werden, einem erbitterten, listigen Widersacher, der vor nichts zurückschreckt. Wir werden gezwungen sein, uns unseren Weg durch ein Dickicht von Intrigen zu bahnen, werden Blutvergießen verhindern und sogar ein junges Raubtier beherrschen müssen.

5

Zur Hölle mit allem

König Saul verlor Eselinnen und fand ein Königreich. Auch wir verlieren etwas und finden etwas anderes. Wie es Abend wird in Jerusalem, und wie eine schicksalhafte Entscheidung getroffen wird.

6

Jetzt ist alles aus

Nie mehr werde ich über die Schwelle eines ganz bestimmten Hauses treten. Statt dessen werde ich die Berge Moabs zu Fuß überqueren und von weitem die Bergketten des Himalaja erblicken. Meine Faust werde ich nicht öffnen, solange noch Leben in mir ist.

7

Eine Nacht der Liebe

Nur wer alles verloren hat, ist ein Kandidat für das Glück. Wenn jemand alles, was er besitzt, hergibt für die Liebe. Und wir schämten uns nicht.

Schlußwort

Ende gut, alles gut

Auf das Lesen dieses Abschnitts kann man getrost verzichten. Ich selbst habe ihn nur geschrieben, weil das so üblich ist.

Für Fania, Galia und Daniel

Einleitung

Über Veränderungen

In dieser Einleitung stehen ein paar Dinge, die ich für nicht ganz uninteressant halte: ein paar Erinnerungen, Vergleiche und Schlußfolgerungen. Man kann sie aber auch überspringen und sofort zum ersten Kapitel weiterblättern, wo meine Geschichte dann wirklich beginnt.

Alles wechselt. Die meisten meiner Freunde und die meisten meiner Bekannten wechseln zum Beispiel in gewissen Abständen die Wohnung, wechseln einen freundlichen Gruß, wechseln vom Fahrrad zum Motorrad und vom Motorrad zum Auto, wechseln Vorhänge und Arbeitsplätze, wechseln Briefe, Ansichten und Ideen, und manchmal wechseln sie sogar ein Lächeln. In Scha’arei Chesed, einem Viertel von Jerusalem, lebte einmal ein Kassierer, der in einem Monat das Haus und die Frau wechselte, dazu wechselte er sein Aussehen (er ließ sich einen roten Bart wachsen und lange Koteletten, die waren ebenfalls rot), er wechselte den Vor- und den Familiennamen sowie seine Eß- und Schlafgewohnheiten; kurz gesagt, er wechselte alles. Eines schönen Tages wechselte dieser Kassierer sogar den Beruf und wurde Trommler in einem Nachtklub. (Genau genommen handelte es sich dabei nicht um ein wirkliches Wechseln, sondern es war eher so, wie wenn man die Hand in einen Strumpf schiebt und ihn von innen nach außen wendet: ein Wenden und kein Wechseln.)

Übrigens, während wir hier noch reden und philosophieren, wechselt die Welt um uns herum ihr Aussehen:

Noch ist blauer, durchsichtiger Sommer, noch ist es heiß, und der Himmel brennt über uns, und doch kann man abends schon eine gewisse Kühle spüren. In der Nacht kommt Wind auf und bringt den Duft von Wolken. Und siehe da, die Blätter werden langsam rot oder dunkelbraun, das Meer ist etwas blauer als vorher, die Erde ein bißchen brauner, und sogar die fernen Berge sehen noch ferner aus.

Es wechselt eben einfach alles.

Als ich, sagen wir, elf Jahre und zwei Monate alt war, passierten mir einmal vier oder fünf Wechselfälle an einem einzigen Tag.

Man könnte die Geschichte, die nun folgt, mit Onkel Zemach oder mit Esthi anfangen. Ich fange sie mit Esthi an.

1

So erblühte die Liebe

In diesem Kapitel werden endlich ein paar private Dinge offenbart, die bis heute ein gut gehütetes Geheimnis waren. Es geht um Liebe und andere Gefühle.

Bei uns in der Secharjastraße wohnte ein Mädchen mit Namen Esthi. Ich liebte sie. Morgens am Frühstückstisch, mit einem Bissen Brot im Mund, sagte ich leise zu mir: »Esthi.«

Daraufhin sagte mein Vater laut: »Man kaut nicht mit offenem Mund.«

Und abends sagten sie über mich: »Dieser verrückte Junge hat sich schon wieder im Badezimmer eingeschlossen und spielt mit dem Wasser.«

Dabei spielte ich gar nicht mit dem Wasser. Ich ließ nur das Waschbecken vollaufen und schrieb mit dem Finger ihren Namen in die Wellen. Manchmal träumte ich nachts, daß Esthi plötzlich auf der Straße mit dem Finger auf mich deutet und »Dieb! Dieb!« schreit. Ich erschrecke und renne weg, und sie rennt mir nach, alle rennen mir nach, Bar-Kochba Sochobolski und Go’el Germanski und Aldo und Eli Weingarten, alle. Die Verfolgungsjagd geht über leere Grundstücke und Höfe, über Zäune und Schrottplätze, durch Ruinen und enge Gassen. Meine Verfolger werden müde und geben allmählich auf, nur Esthi rennt weiter hinter mir her. Schließlich rennen nur noch wir beide und kommen fast gleichzeitig zu irgendeinem abgelegenen Platz, zu einem Schuppen voller Bretter oder zu einer Waschküche auf einem Dach oder zu einem dunklen, dreieckigen Verschlag unter einer Treppe in einem fremden Haus. An dieser Stelle wurde der Traum zugleich süß und schrecklich – dann wachte ich auf und weinte manchmal fast vor Scham. Zwei Liebesgedichte hatte ich schon in das schwarze Notizbuch geschrieben, das mir dann im Wald von Tel-Arsa abhanden kam, und vielleicht ist es gut, daß das passierte.

Und was wußte Esthi?

Esthi wußte gar nichts. Oder sie wußte es und wunderte sich.

Zum Beispiel: Einmal meldete ich mich in der Geographiestunde, und als ich aufgerufen wurde, erklärte ich laut und deutlich: »Der Chula-See wird auch Sumchi genannt.«

Aus irgendeinem Grund brach die ganze Klasse in brüllendes Gelächter aus. Laut Lexikon hatte ich die Wahrheit gesagt, die reine Wahrheit, und trotzdem geriet unser Lehrer, Herr Schitrit, für einen Moment in Verwirrung und fuhr mich ungeduldig an: »Und kannst du bitte auch erklären, warum?«

Die Klasse war schon außer Rand und Band, und von allen Seiten wurde gerufen und geschrien: »Sumchi, erkläre Sumchi, Sumchi, erkläre Sumchi!«

Herr Schitrit schwoll an, wurde rot und brüllte, wie es seine Art war: »Still! Alles ruhig!«

Er brüllte auch: »Das Fleisch möge schweigen!«

Und dann: »Die Hunde sollen aufhören zu hecheln!«

Nach fünf Minuten hatte sich die Klasse wieder beruhigt, aber ich blieb von da an Sumchi, fast bis zum Ende der achten Klasse. Das habe ich jetzt ohne Hintergedanken erzählt, nur um auf einen wichtigen Punkt zu kommen: auf den Zettel, den Esthi mir damals am Ende der Stunde schickte. Auf dem Zettel stand:

»Spinner! Warum mußt du immer Sachen sagen, die dir Schwierigkeiten machen? Hör doch auf damit!«

Der Zettel war zusammengefaltet, und unten war ein Rand umgeknickt, darunter stand in viel kleineren Buchstaben: »Aber das macht nichts. E.«

Also, was wußte Esthi?

Esthi wußte nichts; oder sie wußte es und wunderte sich. Mir kam es jedenfalls nicht in den Sinn, einen Brief in ihrem Ranzen zu verstecken, wie es Eli Weingarten bei Nurit getan hatte; oder Ra’anana, die Heiratsvermittlerin in unserer Klasse, zu Esthi zu schicken, wie es Tarzan Bamberger getan hatte, übrigens ebenfalls bei Nurit.

Im Gegenteil: Ich zog Esthi bei jeder Gelegenheit an den Zöpfen. Und den wunderbaren weißen Pullover, den sie in jenem Frühling trug, klebte ich immer wieder mit einem gut durchgekauten Kaugummi an ihrer Stuhllehne fest.

Warum machte ich solche Sachen?

Nur so. Um es ihr zu zeigen. Warum auch nicht?

Und ihre dünnen Arme bog ich ihr hinter den Rücken, fast so fest, wie ich konnte, bis sie anfing, mich zu kratzen und zu beschimpfen.