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Sündhaft 100 werden Völlerei, Wollust, Trägheit, Zorn, Gier, Neid und Hochmut: Haben die „sieben Todsünden“ heute noch eine Bedeutung – und wie viel Sünde ist (noch) gesund? Dr. Markus Metka hat mit „Sündhaft gesund“ einen anregenden Ratgeber geschrieben, in dem er den klassischen Lasterkatalog aus der Perspektive der Anti-Aging-Medizin durchleuchtet. Eine spannende Entdeckungsreise, auf der es so manche Überraschungen gibt. Vor 1800 Jahren entwickelten Eremiten in der ägyptischen Wüste in Selbstbeobachtung einen fast universellen Lasterkatalog, der später als die „sieben Todsünden“ kirchliche Karriere machte. Nun beschäftigt sich der Hormon- und Anti-Aging-Spezialist Markus Metka unter dem Aspekt der Präventions- und Anti-Aging-Medizin mit diesen menschlichen und allzu menschlichen Verhaltensweisen. Anders als die Kirchenväter lässt er aber den moralischen Zeigefinger weg und zeigt, dass sich hinter Stolz, Habgier, Neid, Wollust, Zorn, Völlerei und Trägheit unser evolutionäres Erbe, Vitalität und Lebendigkeit verbergen. Das Wechselspiel von Körper und Psyche, untersucht in Hirnforschung, Pychosomatik und Psychoneuroimmunologie, zeigt freilich auch eines: Die Dosis macht das Gift. Auf der Suche nach Erfolg, Liebe, Lust und Leidenschaft warten immer wieder gefährliche Passagen. Sie können einher gehen mit chronischem Stress, Angstzuständen und Suchtverhalten. Wer sich viel und falsch vergleicht, den „zerfrisst“ der Neid, wer aus Geltungssucht oder Habgier in den Cäsarenwahn verfällt, kann im frühen Tod enden. Die Wolllust, falsch verstanden, führt zu zwanghafter Sexsucht, Völlerei und Trägheit kann das Leben zum Dasein als Couchpotato und Diabetes-Hochrisikopatient engführen. In „Sündhaft gesund“ zeigt der Anti-Aging-Experte nun, wie wir diese Risken ohne asketische Lebensweise umschiffen und dennoch glücklich 100plus werden können.
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Seitenzahl: 138
Veröffentlichungsjahr: 2021
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Markus Metka: Sündhaft gesund Die sieben Todsünden im Lichte der Anti-Aging-Medizin Das Buch zum Anti-Aging der Seele
1. Auflage 2021
ISBN: 978-3-903229-38-9
Alle Urheberrechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung, Verbreitung und öffentlichen Wiedergabe in jeder Form, einschließlich einer Verwertung in elektronischen Medien, der reprografischen Vervielfältigung, einer digitalen Verbreitung und der Aufnahme in Datenbanken, ausdrücklich vorbehalten.
Satz, DTP & Umschlaggestaltung: delta x Verlag
Copyright © 2021 by delta x Verlag, Wien
Coverfoto: © nelic/iStock by Getty Image
E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH
delta x Verlag im Internet: www.deltax.at
Markus Metka
Sündhaft gesund
Die sieben Todsünden im Lichte der Anti-Aging-Medizin
Das Buch zum Anti-Aging der Seele
delta X Verlag
Cover
Impressum
Titel
Vorwort
Warum „Anti-Aging der Seele“ wichtig ist
Zur Biologie der Sünde
Wie spätantike Hippies die Sünde erfanden
Völlerei
„Silent Inflammation“ – das stille Entzündungsaltern
„Eat food, not too much, mostly plants“
Gesunder Genuss – tödliche Sucht
Alkohol-Sucht: Das Orpheus-Prinzip
Wollust
Verhaltenssüchte – die stofflosen Süchte
Trägheit
Bewegen statt beten
Zorn
Wie man Stress abbaut
Habgier
Geld als Glücks- und Unglücksfaktor
Neid
Warum wir leichte Beute für die „Sünde“ sind
Schöne Engel – hässliche Teufel
Kleine Dämonenkunde
Hochmut
Hochmut als „Pro-Aging-Faktor“
Und was jetzt?
Literaturverzeichnis
Zum Autor
Wenn wir die Anti-Aging-Medizin und ihre Entwicklungen in den letzten Jahren und Jahrzehnten verfolgen, so sehen wir eines sehr deutlich: Wir haben in der Prävention und im Bereich der Langlebigkeit einige Fortschritte erzielt. Es sind keine gewaltigen, die sich durch eine „disruptive Innovation“ auszeichnen würden, also ein Durchbruch bei der Behandlung von Krebs oder eine neue Medizintechnologie, die einen Sprung nach oben in der Lebenserwartung auslösen würde. Aber die durchschnittliche Lebenserwartung ist – auch wenn es immer wieder regionale oder zeitlich begrenzte Rückschläge gibt, stetig im Steigen begriffen. Ein Lebensalter jenseits der 80 ist heute für den Durchschnitt, vor allem für Frauen, aber auch für Männer, erreichbar und – was natürlich auch sehr wichtig ist – auch bei guter Gesundheit erlebbar.
Möglicherweise aber werden wir in den nächsten Jahren noch eine ganze Reihe von technologischen Durchbrüchen erleben: in der Gentechnik und Mikrobiologie, in der individualisierten Medizin und in angrenzenden Forschungsgebieten. Manche Forscher und Visionäre wollen bereits eine deutliche Erhöhung unserer durchschnittlichen künftigen Lebenserwartung sehen, die weit jenseits von 100 Jahren liegt.
In diesem Buch wollen wir dazu ebenfalls unseren kleinen Beitrag leisten. Dabei werden wir unter anderem auch auf Faktoren eingehen, die Anti-Aging-Forscher bisher wenig beachtet haben: Sie betreffen Empfehlungen für die mentale Gesundheit („Mental-Health“), die man auch als Ratschläge für ein „Anti-Aging der Seele“ bezeichnen könnte. Nichts schützt besser vor dem Alter, so könnte man sagen, als eine Psyche, die jung geblieben ist. Genau diese Jugendlichkeit im Geist kann man sich – auch wenn man sie schon verloren zu haben glaubt – wieder zurückerobern. Prinzipiell ist diese Umkehr, die Rückkehr zur Jugendlichkeit im Denken, nicht schwierig. Aber man muss dafür manchmal auch gewillt sein, in eigene Abgründe zu blicken, das heißt, metaphorisch gesprochen, auch durch die Hölle zu gehen.
Nein, ich will Ihnen nun keinen faustischen Pakt mit dem Teufel anbieten. Aber ich will Ihnen eines verdeutlichen: Die Psyche ist ebenso verwundbar wie der Körper und wenn wir uns die Worte Schillers vor Augen führen, dass es der Geist ist, der sich den Körper formt, so sind wir schon mittendrin im Thema: dass es nämlich nicht unwichtig ist, was man denkt und wie man seine Gedanken ordnet. Oder wie es die Parsen, die Anhänger einer Zarathustra-Religion mit Ursprung in Persien, sagen: Auf gute Gedanken folgen gute Worte und auf gute Worte gute Taten. So gesehen haben Sie, wenn Sie Ihre Gedanken „in Ordnung“ halten, schon ein gutes Fundament für Ihre Altersprävention gelegt.
Markus Metka, im Frühjahr 2021
Als junger Assistenzarzt kam ich in den 1980er-Jahren in den USA erstmals mit der beginnenden Anti-Aging-Bewegung in Kontakt. Ich war fasziniert von den neuen biotechnologischen Möglichkeiten, die gerade diskutiert wurden oder sich bereits in der Entwicklungsphase befanden. Es wurde in der Genetik über das Klonen debattiert oder in der Hormonforschung sogar über die hochriskante Gabe von Wachstumshormonen. Mit welch großem Pioniergeist und auch viel privatem Engagement in den Staaten neue Forschungsfelder bearbeitet und finanziert wurden, hinterließ bei mir bleibende Eindrücke. Als ich dann nach Wien zurückkam, sah ich, dass hierzulande noch viel Entwicklungsarbeit zu leisten war. Altersprävention und Anti-Aging waren noch kaum ein Thema. Als ausgebildeter Facharzt für Gynäkologie führte ich dann die erste Ambulanz für klimakterische Beschwerden und Osteoporose-Prophylaxe („Wechsel-Ambulanz“) Österreichs an der Wiener Universitätsklinik ein. Die Nachfrage war so groß, dass die Telefonanlage der Klinik zusammenbrach. Gemeinsam mit meinen lieben Kollegen und Freunden, Dr. Tuli Haromi und Professor Dr. Johannes Huber entwickelte ich zudem eine neue Methode, um den Kinderwunsch von Paaren zu verwirklichen, bei denen der Mann nur sehr wenige und qualitativ eingeschränkte Samenzellen produziert. Die „Mikromanipulatorische Spermieninjektion“ zählt heute zu einer der Standardmethoden in Kinderwunsch-Kliniken.
Zugleich begann ich meinen eigenen Weg in der Anti-Aging-Forschung einzuschlagen. Zum einen beschäftigte ich mich als Hormonexperte nun nicht nur mehr mit dem Klimakterium der Frau, sondern auch mit dem männlichen Wechsel. Der Grund dafür lag paradoxerweise in meiner Tätigkeit als Frauenarzt. Viele meiner Patientinnen, die ich erfolgreich behandelt hatte, fragten, ob ich nicht auch ihren Partnern helfen könnte, die sich, um die 50 Jahre alt, oft müde und abgeschlagen fühlten. In dieser Zeit begann ich auch immer mehr zu erkennen, dass es einen deutlichen Zusammenhang gab zwischen Hormonstatus, Ernährung, Bewegung und Umweltproblemen. Diese Lifestyle-Faktoren, heute sagen wir, „epigenetischen“ Faktoren des Alterns, machte ich immer mehr zum Thema meiner medizinischen Tätigkeit. Wie sich mittlerweile herausgestellt hat, hatte ich aufs richtige Pferd gesetzt. Denn die Forschung zeigt, wie wir noch sehen werden, dass der Lebensstil eine entscheidende Rolle im Alterungsprozess spielt. Ein Aspekt dabei ist aber noch immer unterbelichtet gewesen. Was wir in der Anti-Aging-Medizin bisher noch zu wenig berücksichtigten, war und ist die Wechselwirkung zwischen Psyche und Physis, also die Wechselwirkung zwischen Seele und Körper auf den Alterungsprozess. In diesem Buch will ich mich daher diesem Thema widmen und mich mit dem „Anti-Aging der Seele“ beschäftigen. Damit sollen praktische Mittel und Wege gezeigt werden, um möglichst alt und möglichst gesund alt werden zu können.
Wenn wir uns in Folge mit den sieben Todsünden auseinandersetzen, so hat das keinen religiösen, sondern einen einfachen biologischen Grund. Der Katalog der sieben Tod- oder Wurzelsünden ist im Prinzip nichts anderes als die moralische Bewertung von basalen menschlichen Verhaltensweisen. Genau diese werde ich anhand der Kriterien der Anti-Aging-Medizin bewerten. Dabei wird es zum Teil ähnliche, zum Teil aber auch diametral der Kirchenmoral entgegenstehende Bewertungen für das jeweilige Verhalten im Sinne der Altersprävention geben.
Insgesamt, so möchte ich hier noch einmal zusammenfassen, baut die Anti-Aging-Medizin auf fünf Säulen auf:
→ Ernährung
→ Bewegung
→ Umwelt
→ Hormone
→ Spiritualität (Psychoneuroimmunologie und Soziale Beziehungen)
Auch wenn bei der nun folgenden Analyse der „sieben Todsünden“ die spirituellen Überlegungen der Anti-Aging-Medizin, das „Anti-Aging der Seele“ im Mittelpunkt stehen, werden auch alle anderen Säulen der Anti-Aging-Medizin angesprochen werden. Deshalb beginne ich die Untersuchung der sieben Todsünden auch nicht wie im kirchlichen Kanon mit dem Hochmut, sondern stelle die Völlerei an erste Stelle, da für individuelle Anti-Aging-Therapien die Ernährung einen wesentlichen Einflussfaktor darstellt. Dabei werden wir sehen, dass nicht nur das „Zuviel“, sondern auch das „Zuwenig“ aus Sicht der Altersprävention Lebensjahre kosten und zu einem „Pro-Aging-Faktor“ werden kann. Fress-„Sucht“ und Mager-„Sucht“ zeigen dann bereits den Ansatzpunkt, wo Genuss in Krankheit umschlagen kann.
Bei der Bewertung der „Wollust“, der zweiten „fleischlichen Sünde“, werde ich zu einer eindeutig anderen Bewertung als die Kirche gelangen. Eingehen werde ich aber auch auf die „Pornografie- und Internetsexsucht“, die die WHO jetzt als Krankheitsbild anerkannt hat und dabei die Rolle der stoffungebundenen Süchte beleuchten.
Bei der Todsünde der Trägheit werde ich auf die vielfältigen körperlichen Ursachen hinweisen, die hinter dem Phänomen der Trägheit versteckt sein können und den Wert der Bewegung als Anti-Aging-Faktor hervorheben. Beim Zorn wird gezeigt werden, inwieweit dabei das vegetative Nervensystem, die Dysbalance des aktivierenden Sympathikus’ und des deaktivierenden Parasympathikus’ eine Rolle spielt. Bei Geiz und Habsucht werde ich Phänomene der Angst und des Kontrollverlustes darstellen und diese erläutern, aber auch Phänomene der Schönheit und der Hässlichkeit.
Beim Neid werde ich den Unterschied zwischen „weißem“ und „schwarzem“ Neid analysieren und die enormen sozialen, aber auch individuellen Risiken aufzeigen. Zum Abschluss wird der Hochmut behandelt, der durch die Neigung zur Selbstüberschätzung unter Umständen eine tödliche Gefahr darstellen kann.
Wenn sich ein Mediziner mit der Sünde beschäftigt, muss er sich die Frage gefallen lassen: Seit wann ist die menschliche Verfehlung ein Thema der Medizin? Und wenn schon Sünde – warum dann gerade die berühmten sieben: Hochmut (superbia), Habgier (avaritia), Wollust (luxuria), Zorn (ira), Völlerei (gula), Neid (invidia) und Trägheit (acedia)?
Den Begriff der Sünde wird man in Lehrbüchern der Medizin vergeblich suchen. Dennoch, so die These dieses Buches, erhellt die Auseinandersetzung mit traditionellen Lasterkatalogen Zusammenhänge. Auch heute noch.
Im Prinzip geht es aus der Perspektive der Vorsorgemedizin, auch in der Auseinandersetzung mit den Todsünden, um Gesundheit – sowohl um die körperliche als auch die mentale. Wie man weiß, wird Gesundheit von der World Health Organization (WHO) nicht nur mit der Abwesenheit von Krankheit definiert, sondern als ein Ideal, das biologisches, psychisches und soziales Wohlbefinden miteinschließt. Gesundheit, so könnte man sagen, ist aus dieser Perspektive ein schier unerreichbarer Zustand.
Das Konzept der sieben Todsünden werden wir daher nicht in einem theologischen Zusammenhang erörtern. Es geht nicht um Höllenstrafen im Jenseits, die die Sünder erwarten. Es geht um ein gelingendes Leben im Diesseits. In diesem Sinne stelle ich mich in eine Reihe von Autoren, die Todsünden als Verhaltensweisen wahrnehmen, als einen Katalog von Lastern und Leidenschaften betrachten, die den Aspekt der Selbstschädigung beinhalten können.
Damit könnte man als Präventionsmediziner mit dem Spezialgebiet des Anti-Agings nun auch als „Spaßbremse“ wahrgenommen werden. Der Ruf: „Kehren Sie um!“ hat aber seine Berechtigung auch als Präventionsmediziner, insofern man Patienten behandelt, deren Lebensstil nicht nur Spaß machte, sondern auch krank.
Auf der anderen Seite zeigt die Medizin natürlich auch, dass die Sünde nicht nur krank macht, sondern auch Ausdruck von Gesundheit, Glück, Lust und Lebensfreude sein kann. Ein Gelage mit Freunden, ein Liebesabenteuer, aber auch das Streben nach Macht, Reichtum und Erfolg können durchaus befriedigend sein und als Ausdruck eines gelingenden und guten Lebens angesehen werden.
Der Mensch ist nicht nur Körperlichkeit, sondern, so wie Schiller es eben sagte: „Es ist der Geist, der sich den Körper formt.“ Gedanken führen zu Handlungen – im positiven wie im negativen Sinne. Wie tugendhaft man als Mensch aber auch sein will: Das Somatische, die Körperlichkeit, letztlich die evolutionär geformte Biologie des Menschen, fordert ihren Tribut, immer wieder. Denn nicht weit entfernt vom Denken flüstern die Gene.
Als der Genetiker John Medina im Jahr 2000 ein Buch über die Biologie der Sünde vorlegte1, war der Optimismus noch groß, dass man anhand der genetischen Prädisposition bald Aussagen über Charakter und Verhalten von Menschen würde machen können. Gerade eben erst hatte Craig Venter das Genom des Menschen entschlüsselt.
Manche Visionäre glaubten schon, nur noch eine Haaresbreite davon entfernt zu sein, über die Gene auch individuelles Verhalten entschlüsseln zu können. So wollte man sowohl die Veranlagung für bestimmte Krankheiten, über Diabetes, Krebs bis hin zu seltenen Darmerkrankungen, aber auch für sexuelle Präferenzen aus den Genen vorhersagen können. Die Visionen der Forscher haben sich aber bis jetzt nicht erfüllt. Je nach Standpunkt kann man das bedauern oder auch begrüßen. Einerseits wäre eine exakte Vermessung des Menschen via Gentests extrem hilfreich. Man könnte viel exakter und zielgerichteter medizinische Hilfe entwickeln. Andererseits wäre auch ein hoher Regulierungs- und Datenschutzbedarf gegeben. Prädispositionen können ja auch Aus- und Einschließungsgründe für die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben darstellen. Stellen Sie sich nur vor, dass Sie laut Gentest als ein potenzieller Straftäter dastehen würden, für den die Wahrscheinlichkeit eines kriminellen Daseins deutlich erhöht wäre. Was, wenn Regierungen Sie dann aus lauter Prävention in Schutzhaft nähmen, beziehungsweise Ihnen die Auflage erteilen würden, sich regelmäßig bei der Polizei zu melden?
Diese dystopischen Entwicklungen sind uns zum Glück erspart geblieben und eine so verstandene Prävention aufgrund der genetischen Prädisposition wäre wohl auch meilenweit am Kern der Sache vorbei. Gezeigt hat uns das die Epigenetik. Heute weiß man, dass die individuellen Gensequenzen, also der jeweils eigene Genotypus, wenig über die Ausprägung des Phänotypus aussagen müssen. In anderen Worten ausgedrückt heißt das, dass Menschen, auch wenn sie wie eineiige Zwillinge mit identem genetischen Material ausgestattet sind, nie von vornherein dieselben Gene aktiviert oder deaktiviert haben müssen. So können von Geburt an getrennt lebende Zwillinge trotz völlig gleicher Genausstattung epigenetisch unterschiedlich sein und andere Gene ein- oder abgeschaltet haben und eben auch völlig andere Verhaltensweisen oder Krankheitsschicksale entwickeln. Der eine raucht, der andere nicht. Der eine heiratet und gründet eine Familie, der andere lebt allein. Der eine entwickelt psychische Probleme, der andere nicht. Der eine entwickelt Herz-Kreislauf-Erkrankungen, der andere nicht, auch wenn beide dieselbe Veranlagung dazu hatten. Der eine wird straffällig, der andere nicht. Gene und Umwelt stehen in einem permanenten Wechselspiel. Das heißt, ob bestimmte Veranlagungen schlagend werden, hängt stark vom persönlichen Lebensstil und der Umwelt ab, in der wir leben. Das Match „Anlage versus Umwelt“ steht daher wieder einmal unentschieden.
Wie aber steht es dann mit der Biologie der Sünde? John Medina hat dafür eine recht belastbare Interpretation vorgeschlagen. Man könne zwar im Einzelnen aus unserer genetischen Disposition nicht herauslesen, wie wir uns im Laufe des Lebens entwickeln werden. Aber andererseits ist der Mensch durch seine evolutionäre Entwicklung mit einem Set an Verhaltensweisen ausgestattet, die – sündhaft hin oder her – für das Überleben notwendig waren und in bestimmten Situationen auch immer noch sind. Hier kommt der berühmte Säbelzahntiger ins Spiel. Wer nicht wegspringt oder sich erfolgreich versteckt, ist des Todes. Man könnte es noch eindringlicher formulieren. Wir heute Lebenden sind die Nachkommen der Überlebenden – also gerade derjenigen Ahnen, deren Instinkte (und späteres Denkvermögen) besonders gut ausgeprägt waren. Die anderen wurden Teil der Nahrungskette. Was hat das nun mit der Sünde zu tun? Evolutionär betrachtet, so sagt es der Biologe Medina, sei die Sünde überlebensnotwendig. Denn im Prinzip würden in den Verhaltensweisen, die als sündhaft geächtet werden, nichts anderes als grundlegend biologische Mechanismen wirksam. Bevor wir uns den sieben Todsünden im Detail widmen, sei daher eine Erkenntnis vorausgeschickt: Die Evolutionsbiologie geht davon aus, dass die sieben Todsünden moralische Bewertungen von menschlichen Verhaltensweisen sind. Hochmut, Zorn, Neid, Wollust oder Trägheit sind unter anderem deshalb nicht ausgestorben, weil die ihnen zugrundeliegenden (Sexual-) Triebe, Angst-, Kampf-, Flucht- und Totstellreaktionen – sozusagen zum anthropologischen Inventar des Menschlichen, manchmal eben allzu Menschlichen zählen und unter gewissen Umständen auch für Überlebensvorteile in der Evolution verantwortlich waren.
Diese Interpretation ist einleuchtend, wenn man sich wieder die berühmte Situation mit dem Säbelzahntiger vorstellt: Wer sich nicht blitzschnell in Sicherheit bringen konnte, wurde selbst zur Mahlzeit und hatte keine Chance mehr auf Weitergabe seiner Gene.
Evolutionsbiologisch betrachtet hatten also grundlegende Verhaltensweisen, die irgendwann einmal als sündhaft, also verwerflich eingestuft worden waren, Menschen Überlebensvorteile gebracht. Das könnte uns zu der falschen These führen, dass „die Sünde“ überlebensnotwendig sei. Diese sozialdarwinistische Interpretation ginge aber gleichfalls am Kern der Sache vorbei. „Sündhaftes“ Verhalten beschreibt eher ein Verhalten, bei dem der Gebrauch der Lüste aus dem Ruder zu laufen droht. Unsere Biologie, unsere Gene, unsere Hirnphysiologie, Hormone und Neurotransmitter bestimmen unser Fühlen und Verhalten mit.
Als Molekularbiologe und Gehirnforscher stellte sich Medina daher die nicht uninteressante Aufgabe, die Biologie der sieben Todsünden zu erklären. Sein auch heute noch lesenswertes Buch verfolgt den Ansatz: Bevor bestimmte Verhaltensweise normativ bewertet werden, lohnt es sich, die darunter liegenden biologischen Mechanismen zu beleuchten. In seinem Narrativ wandelt Medina dabei auf Dantes Spuren. So wie der Renaissance-Dichter in der „Divina Comedia“, der göttlichen Komödie, besucht auch Medina das „Purgatorium“ – den Läuterungsberg – wo Sünder im Jenseits für Hochmut, Zorn & Co zu büßen haben.
Jede Todsünde hat Medina daher einem bestimmten biologischen Mechanismus gewidmet. Bei Wollust etwas analysiert er die komplexen Vorgänge der „sexuellen Erregbarkeit“, bei Zorn analysiert er die Mechanismen der Aggression, bei Trägheit jene des zirkadianen Rhythmus von Wachen und Schlafen.
Ganz allgemein könnte man sagen: Unsere Zentren für Emotionalität und blitzschnelles Reagieren-Können mit Kampf, Flucht oder Totstellen sind in den evolutionär betrachtet ältesten Hirnregionen angelegt. Lieber einmal zu oft aus Angst vor einem Rascheln im Gebüsch zur Seite springen, lieber einmal zu oft den vorsichtigen Überlebensmodus wählen, als heldenhaft Teil der Nahrungskette