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Eine witzig-schräge Erzählung über das Amerika der Zukunft – und über den großen Wert der Menschlichkeit in allen Zeiten
Amerika, in einer nahen Zukunft: Das Land steht vor dem finanziellen Kollaps und die eigentlich doch so geduldigen chinesischen Gläubiger sind kurz davor, den Laden endgültig dichtzumachen. Lenny Abramov, Sohn einer russischen Einwandererfamilie aus Queens, kommt das äußerst ungelegen. Denn erstens besteht sein Job in der Abteilung für »Unbeschränkte Lebensverlängerung« darin, Superreichen nichts weniger als das Versprechen auf Unsterblichkeit zu verkaufen, und zweitens hat er sich gerade in Eunice Park verliebt, eine schöne, aber grausame Vierundzwanzigjährige mit koreanischen Wurzeln. Als in New York Unruhen ausbrechen und Panzer in den Straßen stehen, schwört sich Lenny, seiner unberechenbaren Geliebten zu zeigen, dass es sich auch in einer Welt ohne Werte und Stabilität auszahlt, ein Mensch zu sein.
»Gary Shteyngart gilt als Spezialist des liebevoll Absurden, als ein Meister der Satire, der sich in überbordendem erzählerischem Einfallsreichtum austobt.« Die Zeit
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Seitenzahl: 581
Veröffentlichungsjahr: 2022
Gary Shteyngart wurde 1972 als Sohn jüdischer Eltern in Leningrad, dem heutigen St. Petersburg, geboren und kam im Alter von sieben Jahren in die USA. Seine vielfach preisgekrönten Werke werden in dreißig Ländern veröffentlicht und stehen regelmäßig auf den Bestsellerlisten. Super Sad True Love Story gehört zu den bekanntesten Romanen des New Yorker Kultautors.
Super Sad True Love Story in der Presse:
»George Orwell trifft Woody Allen.« Welt am Sonntag
»Gary Shteyngart gilt als Spezialist des liebevoll Absurden, als ein Meister der Satire, der sich in überbordendem erzählerischem Einfallsreichtum austobt.« Die Zeit
»Zum Schreien komisch. Wenn es nicht so realistisch wäre.« ZDF Aspekte
»Shteyngart hat eine leichtfüßige Antiutopie geschrieben – die Romanrealität ist unserer Wirklichkeit zum Verwechseln ähnlich.« Neue Zürcher Zeitung
Außerdem von Gary Shteyngart lieferbar:
Willkommen in Lake Success. Roman
Landpartie. Roman
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Gary Shteyngart
SUPER SAD TRUE LOVE STORY
ROMAN
Aus dem Englischen von Ingo Herzke
Die Originalausgabe erschien 2010 unter dem Titel Super Sad True Love Story bei Penguin Random House, New York. Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen. Sollte diese Publikation Links auf Webseiten Dritter enthalten, so übernehmen wir für deren Inhalte keine Haftung, da wir uns diese nicht zu eigen machen, sondern lediglich auf deren Stand zum Zeitpunkt der Erstveröffentlichung verweisen. Copyright © 2010 der Originalausgabe by Gary Shteyngart Copyright © 2011 der deutschen Übersetzung by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Copyright © 2022 dieser Ausgabe by Penguin Verlag in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München This translation published by arrangement with Random House, an imprint and division of Penguin Random House LLC Die Zitate aus Drei Jahre von Anton Tschechow stammen aus der Übersetzung von Marianne Wiebe, die aus Milan Kunderas Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins aus der Übersetzung von Susanna Roth. Umschlaggestaltung: Sabine Kwauka nach einem Entwurf von Rodrigo Corral Design Gesamtherstellung: GGP Media GmbH, Pößneck ISBN 978-3-641-28640-8V001www.penguin-verlag.de
SUPER SAD TRUE LOVE STORY
Aus dem Tagebuch des Lenny Abramov
1. Juni
Rom – New York
Liebstes Tagebuch,
heute habe ich eine wichtige Entscheidung getroffen: Ich werde niemals sterben.
Um mich herum werden andere sterben. Von ihrer Persönlichkeit wird nichts überdauern. Sie werden genullt, ihr Licht wird ausgeknipst werden. Ihr Leben, ihr gesamtes Sein, wird auf marmornen Hochglanzgrabsteinen falsch summiert (»ihr Stern leuchtete hell«, »werden Dich nie vergessen«, »er hörte gern Jazz«), und irgendwann werden auch diese vom Meer überflutet oder von einem genmanipulierten Truthahn der Zukunft in Stücke gehackt sein.
Lass dir nicht weismachen, das Leben sei eine Reise. Bei einer Reise kommt man irgendwo an. Wenn ich die Linie 6 nehme und zu meiner Sozialtherapeutin fahre, ist das eine Reise. Wenn ich in diesem klapprigen UnitedContinentalDeltamerican-Flieger, der sich gerade vibrierend über den Atlantik quält, den Piloten anflehen würde, zu wenden und direkt nach Rom zurückzusteuern, in die wankelmütigen Arme von Eunice Park, wäre das eine Reise.
Aber Moment mal. Da ist noch mehr, oder? Unser Erbe. Wir sterben nicht, denn unsere Nachkommen leben weiter. Die rituelle Weitergabe des Erbgutes, Mamas Korkenzieherlocken, Großvaters Unterlippe, ah buh-lieve thuh chil’ren ah our future. Ich zitiere hier aus »The Greatest Love of All«, dem neunten Stück auf der Debüt-LP von Whitney Houston, der Popdiva der Achtziger.
Totaler Quatsch. Kinder sind nur im allerengsten, transitiven Sinn unsere Zukunft. Sie sind es nur so lange, bis sie selbst ins Gras beißen. Die nächste Zeile des Songs fordert den Hörer dazu auf, »ihnen viel beizubringen und sie dann vorausgehen zu lassen«, also das eigene Selbst zugunsten der zukünftigen Generationen aufzugeben. Wenn man sagt: »Ich lebe für meine Kinder«, gibt man im Grunde zu, dass man in Kürze tot sein wird, dass das eigene Leben praktisch schon gelaufen ist. »Ich sterbe nach und nach für meine Kinder« wäre treffender.
Was sind unsere Kinder überhaupt? Entzückend und unverbraucht in ihrer Jugend; der Sterblichkeit gegenüber blind; wälzen sich, darin Eunice Park nicht unähnlich, mit ihren Alabasterbeinen durchs hohe Gras; Rehkitze, anmutige Rehkitze, alle miteinander, strahlend in ihrer verträumten Künstlichkeit, eins mit der oberflächlich simplen Natur ihrer Welt.
Und dann, nicht mal ein Jahrhundert später, sabbern sie in einem Hospiz in Arizona eine arme mexikanische Altenpflegerin voll.
Genullt. Wusstest du, liebes Tagebuch, dass jeder friedliche, natürliche Tod im Alter von 81 Jahren eine unvergleichliche Tragödie darstellt? Jeden Tag fallen Menschen, Individuen – Amerikaner, falls dir das nähergeht – auf dem Schlachtfeld Gesicht voran in den Staub und stehen nie wieder auf. Existieren nie wieder. Komplexe Charaktere, in deren Großhirnrinde schillernde Welten schweben, ganze Universen, die unsere Schafe hütenden, Feigen essenden, analogen Vorfahren zu Boden gestreckt hätten. All diese Leute sind kleine Gottheiten, Gefäße der Liebe, Lebensspender, unbesungene Genies, Helden der Arbeit, die morgens um sechs Uhr fünfzehn aufstehen, um die Kaffeemaschine anzuwerfen, und stumme Gebete sprechen, damit sie den nächsten Tag noch erleben und auch noch den übernächsten und Sarahs Examensfeier, und dann …
Genullt.
Aber nicht mit mir, liebes Tagebuch. Glückliches Tagebuch. Unwürdiges Tagebuch. Von diesem Tage an wirst du einen nervösen, durchschnittlichen Mann von ein Meter fünfundsiebzig Körpergröße, 73 Kilogramm Körpergewicht und einem nicht ganz ungefährlichen Body-Mass-Index von 23,9 auf seinem bisher größten Abenteuer begleiten. Warum »von diesem Tage an«? Weil ich gestern Eunice Park kennengelernt habe und sie mich für immer und ewig durchhalten lassen wird. Schau mich gut an, Tagebuch. Was siehst du? Einen schmächtigen Mann mit grauem Gesicht, eingefallen wie eine alte Festung, mit eigenartig feuchten Augen, riesiger glänzender Stirn, auf der ein Dutzend Höhlenmenschen hübsche Zeichnungen hätten hinterlassen können, einer Sichelnase, die über winzigen Kräusellippen thront, und, am Hinterkopf, einer immer größer werdenden Kahlstelle exakt in der Form des Bundesstaates Ohio, dessen Hauptstadt Columbus ein dunkelbrauner Leberfleck markiert. Schmächtig. Mein Fluch, in jeder Hinsicht. Ein gewöhnlicher Körper in einer Welt, in der man einen ungewöhnlichen braucht. Ein Körper im kalendarischen Alter von neununddreißig Jahren, schon angegriffen von zu viel LDL-Cholesterin, zu viel ACTH, zu viel von allem, was das Herz gefährdet, die Leber belastet, die Hoffnungen zerstört. Vor einer Woche, bevor Eunice mir neuen Grund zu leben schenkte, hättest du mich nicht bemerkt, Tagebuch. Vor einer Woche existierte ich nicht. Vor einer Woche sprach ich in einem Restaurant in Turin einen potentiellen Klienten an, eine klassisch gutaussehende Vermögende Privatperson. Er sah von seinem winterlichen Bollito misto auf, schaute an mir vorbei, senkte den Blick wieder zum gekochten Liebesakt der sieben Fleischsorten und sieben Gemüsesaucen auf seinem Teller, sah dann wieder hoch und erneut an mir vorbei – schon klar: Wenn ein Mitglied der oberen Schichten mich überhaupt nur wahrnehmen soll, muss ich mindestens einen tanzenden Elch mit einem flammenden Pfeil treffen oder mir von einem Staatsoberhaupt in die Hoden treten lassen.
Und dennoch wird Lenny Abramov, demütiger Tagebuchschreiber, winzige Nichtigkeit, ewig leben. Die Technologien beherrschen wir fast schon. Als Koordinator der Öffentlichkeitsarbeit Lebensfreunde (Ebene G) in der Abteilung Posthumane Dienstleistungen der Staatling-Wapachung Corporation, werde ich als Erster davon profitieren. Ich muss mich nur gut führen und an mich glauben. Muss mich von Transfetten und Fusel fernhalten. Jede Menge grünen Tee und alkalisiertes Wasser trinken und mein Genom den richtigen Leuten zur Verfügung stellen. Ich muss meine schrumpfende Leber wieder wachsen lassen, mein gesamtes Blut durch »SmartBlood« ersetzen und mir ein sicheres und warmes (aber nicht zu warmes) Plätzchen suchen, wo ich sowohl das Wüten der Jahreszeiten als auch die Massenvernichtungen aussitzen kann. Und wenn die Erde vergeht, was sie sicher tun wird, dann verlasse ich sie und begebe mich auf eine neue Erde, mit mehr Grün, aber weniger Allergenen; und wenn mein Intellekt in etwa 1032 Jahren voll erblüht, während unser Universum sich wieder zusammenfaltet, dann wird meine Persönlichkeit durch ein Schwarzes Loch in eine Dimension unvorstellbarer Wunder gleiten, wo all die Dinge, die mich hier auf der Erde 1.0 am Leben gehalten haben – Tortelli lucchese, Pistazieneis, das Frühwerk von Velvet Underground, glatte, gebräunte Haut, die sich über den barock gebauten Hinterbacken einer Zwanzigjährigen spannt –, mir so lachhaft und kindisch vorkommen werden wie Bauklötze, Babynahrung und »Alle Vögel fliegen hoch«.
Richtig: Ich werde niemals sterben, caro diario. Nie, nie, nie, nie. Und wenn du mir nicht glaubst, fahr zur Hölle.
Gestern war mein letzter Tag in Rom. Gegen elf aufgestanden, einen caffè macchiato in der Bar, in der es die besten Honig-Hefezöpfe gibt, aus dem Fenster schrie mich der antiamerikanische zehnjährige Nachbarsjunge an – »Nix global! Niemals!« –, das schlechte, mir wie ein warmes Handtuch um den Nacken geschlungene Gewissen, weil ich nicht noch in letzter Minute bei der Arbeit war, mein Äppärät summte vor Kontakten, Daten, Bildern, Projektionen, Karten, Einkommen, Schall und Wahn. Wieder ein Tag frühsommerlichen Schlenderns, ich ließ mein Schicksal von den Straßen lenken, die mich in ofenwarmer ewiger Umarmung wiegten.
Und landete, wo ich immer lande. Am allerschönsten Bauwerk Europas. Dem Pantheon. Die idealen Proportionen der Rotunde; das Gewicht der Kuppel, die sich über unseren Schultern erhebt, von eisiger mathematischer Präzision in der Schwebe gehalten; ihr Auge, durch das Regen oder sengendes römisches Sonnenlicht hereinkommt; die Kühle und der Schatten, die trotzdem darin herrschen. Nichts kann das Pantheon in seiner Wirkung schmälern! Nicht die kitschige religiöse Umgestaltung (offiziell ist es heute eine Kirche). Nicht die aufgeblasenen, abgebrannten Amerikaner, die sich fett und schutzsuchend unterm Säulenvorbau drängen. Nicht die Bewohner des heutigen Italiens, die davor streiten und schmeicheln, die Jungs, die darauf aus sind, Mädchen zu bespringen, die Mopeds, die unter haarigen Beinen brummen, die Großfamilien, die mehrere Generationen umfassen und vor pickligem Leben überschäumen. Nein, dies ist der großartigste Grabstein, der für ein Menschengeschlecht je errichtet wurde. Sobald ich die Erde überlebt habe und ihrem vertrauten Mutterbauch enteile, werde ich die Erinnerung an dieses Bauwerk mit mir nehmen. Ich werde es in Nullen und Einsen codieren und durchs Universum senden. Sehet, was der primitive Mensch erschaffen hat! Erkennet sein erstes Streben nach Unsterblichkeit, seine Disziplin, seine Selbstlosigkeit.
Mein letzter Tag in Rom. Ich trank meinen Macchiato. Ich kaufte ein teures Deodorant, vielleicht im Vorgefühl der Liebe. Ich gönnte mir ein dreistündiges entspanntes Masturbationsnickerchen im unfassbaren Leuchten meiner sonnenbelagerten Wohnung. Und dann, auf einer Party meiner Freundin Fabrizia, begegnete ich Eunice –
Halt, nein. Das ist nicht ganz richtig. Die Reihenfolge stimmt nicht. Ich lüge dich an, Tagebuch. Ich bin gerade mal auf Seite 12, und schon lüge ich. Vor Fabrizias Party geschah etwas Furchtbares. So furchtbar, dass ich nicht darüber schreiben möchte, denn du sollst doch ein positives Tagebuch sein.
Ich ging zur amerikanischen Botschaft.
Das war nicht meine Idee gewesen. Sandi, ein Freund von mir, hatte mir Folgendes erzählt: Wer mehr als 250 Tage im Ausland verbringt und sich nicht bei Welcome Back, Partner – dem offiziellen Rückkehrprogramm für US-Bürger – registrieren lässt, kann gleich am New Yorker Flughafen wegen Landesverrat verhaftet und in eine »sichere Beobachtungseinrichtung« im Hinterland gebracht werden, was immer das auch sein mag.
Sandi weiß wirklich alles – er arbeitet in der Modebranche –, darum hatte ich beschlossen, seinen lebhaft und koffeinbefeuert vorgetragenen Ratschlag zu befolgen und in die Via Veneto zu gehen, wo die Vertretung unseres Landes in einem cremefarbenen Palazzo hinter einem jüngst ausgehobenen Wassergraben residiert. Aber nicht mehr lange, darf ich wohl hinzufügen. Laut Sandi hat das mittellose Außenministerium das ganze Gebäude gerade an StatoilHydro verkauft, die staatliche norwegische Ölgesellschaft, und als ich in der Via Veneto ankam, hatte man die Bäume und Sträucher des gewaltigen Anwesens bereits zu länglichen, agnostischen Formen zurechtgestutzt, wie es den neuen Besitzern halt gefiel. Gepanzerte Umzugslaster umstanden das Gelände, und von innen hörte man den Lärm massenhaften Aktenschredderns.
Vor der Visaabteilung des Konsulats gab es fast gar keine Warteschlange: Nur ein paar äußerst traurige und abgerissene albanische Gestalten wollten weiterhin in die Staaten auswandern, und diese wenigen wurden noch zusätzlich von einem Poster abgeschreckt, auf dem ein tapferer kleiner Otter mit Sombrero in ein vollgestopftes Schlauchboot zu springen versucht, darüber der Slogan: »Das Boot ist voll, Amigo.«
In einem improvisierten Sicherheitskäfig saß ein älterer Mann hinter Plexiglas und schrie mir unverständliche Dinge zu, während ich mit meinem Pass vor ihm herumwedelte. Endlich tauchte eine kompetente Filipina auf – unverzichtbar in diesen Breiten – und winkte mich durch einen vollgerümpelten Flur zur Nachbildung eines ausgeblichenen Highschool-Klassenzimmers, das rundum mit dem Werbemotiv des Welcome Back, Partner-Programms ausstaffiert war. Der mexikanische Otter vom »Das Boot ist voll«-Plakat hatte sich amerikanisiert (statt eines Sombreros trug er ein rot-weiß-blaues Tuch um den stark behaarten kleinen Hals) und hockte auf einem dämlich aussehenden Pferd, mit dem er auf eine feurig aufgehende, wahrscheinlich asiatische Sonne zugaloppierte.
Ein halbes Dutzend meiner Mitbürger saß an zerkratzten Schultischen und murmelte leise in ihre Äppäräte. Auf einem freien Stuhl lag eine leblose Kabelschnecke, und auf einem Hinweisschild stand: OHRHÖRER INS OHR STECKEN, DEN MITGEBRACHTEN ÄPPÄRÄT AUF DEN TISCH LEGEN UND ALLE SICHERHEITSEINSTELLUNGEN DEAKTIVIEREN. Ich tat wie geheißen. Eine elektronische Version von John Cougar Mellencamps »Pink Houses«(»Ain’t that America, somethin’ to see, baby!«) dröhnte mir ins Ohr, und dann erschien auf dem Display meines Äppäräts eine gepixelte Version des tapferen kleinen Otters, der auf seinem Rücken die Buchstaben ARR schleppte, bevor sie von einem schimmernden Schriftzug überblendet wurden: Amerikanische Restaurationsregierung.
Der Otter stellte sich auf die Hinterbeine und klopfte sich demonstrativ den Staub vom Fell. »Hi, Partner!«, sagte er mit vor karnevalesker Liebenswürdigkeit triefender Stimme. »Ich heiße Jeffrey Otter, und ich wette, wir werden Freunde.«
Ein Gefühl des Verlusts und Alleinseins überwältigte mich. »Hi«, sagte ich. »Hi, Jeffrey.«
»Selber hi!«, sagte der Otter. »Ich werde Ihnen jetzt ein paar freundliche Fragen stellen, nur zu statistischen Zwecken. Wenn Sie eine davon nicht beantworten wollen, sagen Sie bloß: ›Diese Frage möchte ich nicht beantworten.‹ Nicht vergessen: Ich will Ihnenhelfen! Also los. Fangen wir ganz einfach an. Name und Sozialversicherungsnummer?«
Ich sah mich um. Menschen flüsterten ihren Ottern dringliche Informationen zu. »Leonard oder Lenny Abramov«, murmelte ich und ließ meine Sozialversicherungsnummer folgen.
»Hi, Leonard oder Lenny Abramov, 205-32-8714. Im Namen der Amerikanischen Restaurationsregierung würde ich Sie gerne wieder in den neuen Vereinigten Staaten von Amerika willkommen heißen. Sieh dich vor, Welt! Jetzt hält uns nichts mehr auf!« Einige Takte von McFaddens und Whiteheads Disco-Hit »Ain’t No Stoppin’ Us Now« schallten mir laut ins Ohr. »Und jetzt erzählen Sie mal, Lenny. Aus welchem Grund haben Sie unser Land verlassen? Arbeit oder Vergnügen?«
»Arbeit«, sagte ich.
»Und in welcher Branche sind Sie tätig, Leonard oder Lenny Abramov?«
»Ähm, Unbeschränkte Lebensverlängerung.«
»Sie haben ›Unbedingte Penisverlängerung‹ gesagt. Ist das korrekt?«
»Unbeschränkte Lebensverlängerung«, wiederholte ich.
»Und wo in etwa ist Ihre Bonität angesiedelt, Leonard oder Lenny, auf einer Skala mit dem Höchstwert 1600?«
»1520.«
»Das ist ziemlich gut. Sie wissen anscheinend, wie man sein Geld zusammenhält. Sie haben Geld auf der Bank, Sie arbeiten in der ›Unbedingten Penisverlängerung‹. Jetzt muss ich einfach fragen: Sind Sie Mitglied der Überparteilichen Partei? Und wenn ja, würden Sie gern unseren neuen wöchentlichen Äppärät-Stream empfangen, ›Jetzt hält uns nichts mehr auf!‹? Darin finden sich alle möglichen tollen Tipps, wie man sich wieder ans Leben in diesen Vereinigten Staaten gewöhnt und wie man am meisten für sein Geld bekommt.«
»Ich bin kein Mitglied der Überparteilichen, aber den Stream würde ich gerne abonnieren.« Ich bemühte mich, versöhnlich zu klingen.
»Okey-Dokey! Sie stehen auf der Liste. Sagen Sie mal, Leonard oder Lenny, haben Sie während Ihres Auslandsaufenthaltes irgendwelche netten Ausländer kennengelernt?«
»Ja«, sagte ich.
»Und was waren das für Leute?«
»So, hm, Italiener.«
»Sie haben ›Somalier‹ gesagt.«
»Italiener«, sagte ich.
»Sie haben ›Somalier‹ gesagt«, beharrte der Otter. »Sie wissen ja, Amerikaner fühlen sich im Ausland manchmal einsam. Passiert dauernd! Darum verlasse ich nie meine schöne Heimat. Wozu auch? Sagen Sie mir, nur der Statistik wegen, hatten Sie während Ihres Auslandsaufenthaltes irgendwelche intimen Beziehungen zu Nicht-Amerikanern?«
Ich starrte den Otter an, meine Hände zitterten unterm Tisch. Bekam jeder diese Frage gestellt? Ich wollte nicht in eine »sichere Beobachtungseinrichtung« im Hinterland gesteckt werden, nur weil ich auf Fabrizia gelegen und versucht hatte, in ihr meine Einsamkeit und Minderwertigkeitsgefühle zu versenken. »Ja«, sagte ich. »Aber bloß mit einer. Ein paarmal haben wir es miteinander gemacht.«
»Und wie lautet der vollständige Name dieser Nicht-Amerikanerin? Zuerst den Nachnamen bitte.«
Ich hörte einen Kerl, der ein paar Tische vor mir saß und Teile seines kantigen Anglo-Gesichts hinter einer dichten Mähne versteckte, italienische Namen in seinen Äppärät hauchen.
»Ich warte immer noch auf den Namen, Leonard oder Lenny«, sagte der Otter.
»De Salva, Fabrizia«, flüsterte ich.
»Sie sagten ›De Salva –‹« Der Otter erstarrte mitten im Namen, und mein Äppärät fing an, die typischen Geräusche für »heftiges Nachdenken« von sich zu geben, ein Rädchen drehte sich verzweifelt in der Hartplastikhülle, die uralten Schaltkreise waren vom Otter und seinem Getue völlig überfordert. Die Worte FEHLERCODE IT/FC-GS/ZUGRIFF VERWEIGERT erschienen auf dem Display. Ich stand auf und ging zurück zum Sicherheitskäfig vorn. »Entschuldigen Sie«, sagte ich in die Sprechöffnung. »Mein Äppärät ist abgestürzt. Der Otter spricht nicht mehr mit mir. Könnten Sie wohl die nette Dame von den Philippinen nochmal zu mir schicken?«
Der Alte auf seinem Posten knarzte mir Unverständliches zu, die Sterne und Streifen an seinem Revers zitterten. Ich verstand die Worte »warten« und »Servicemitarbeiter«.
Eine Stunde verging im bürokratischen Takt. Möbelpacker trugen eine mannshohe Statue unseres E Pluribus Unum-Nationaladlers und einen Esstisch, dem drei Beine fehlten, aus dem Gebäude. Schließlich kam eine ältere Weiße in riesigen Gesundheitsschuhen den Korridor entlanggeklackert. Sie hatte eine prächtige dreistufige Nase, römischer als jeder Zinken, der je einem Menschen an den Ufern des Tibers gewachsen ist, und trug die Sorte rosarote Monsterbrille, bei der ich gleich an Freundlichkeit und progressive geistige Gesundheit denken muss. Schmale Lippen bebten vom täglichen Kontakt mit dem wahren Leben, und in den Ohrläppchen hingen Silberringe, die eine Nummer zu groß waren.
Erscheinung und Gesichtszüge erinnerten mich an Nettie Fine, eine Frau, die ich seit meinem Highschool-Abschluss nicht mehr gesehen hatte. Sie war der erste Mensch, der meine Eltern am Flughafen begrüßt hatte, nachdem sie vor vier Jahrzehnten auf der Suche nach Geld und Gott von Moskau in die Vereinigten Staaten geflogen waren. Sie war ihre junge amerikanische Mama gewesen, die Ehrenamtliche von der Synagoge, die ihnen Latkes brachte, Englischunterricht vermittelte, gebrauchte Möbel besorgte. Tatsächlich, Netties Mann hatte in Washington im Außenministerium gearbeitet. Ebenso tatsächlich hatte meine Mutter mir kurz vor meiner Abreise nach Rom erzählt, er sei inzwischen in eine gewisse europäische Hauptstadt versetzt worden …
»Mrs. Fine?«, fragte ich. »Sind Sie etwa Nettie Fine, Ma’am?«
Ma’am? Ich hatte zwar als Kind gelernt, Nettie Fine zu verehren, aber in Wirklichkeit hatte ich Angst vor ihr. Sie hatte meine Familie im Nacktzustand gesehen, unübertroffen arm und schwach (meine Eltern besaßen bei ihrer Einreise in die USA zusammen nur einen Satz Unterwäsche). Dabei hatte diese Frau, dieser freundliche Vogel gemäßigter Breiten, mir immer nur bedingungslose Liebe geschenkt, eine Liebe, die in Wellen über mir zusammenschlug und mich matt und erschöpft zurückließ, da ich gegen eine Unterströmung ankämpfen musste, deren Ursprung mir nicht ganz klar war. Jetzt schlang sie die Arme um mich und schrie mich an, warum ich sie nicht längst einmal besucht hätte und wieso ich auf einmal so alt aussähe (»Aber ich bin fast vierzig, Mrs. Fine« – »Ach, Leonard, wo geht die Zeit bloß hin?«), und zeigte weitere Anzeichen fröhlicher jüdischer Hysterie.
Wie sich herausstellte, arbeitete sie für das Außenministerium als freie Beraterin im Welcome Back, Partner-Programm.
»Aber damit wir uns nicht missverstehen«, betonte sie, »ich mache nur Kundenbetreuung. Ich beantworte Fragen, ich stelle keine. Das macht alles die Amerikanische Restaurationsregierung.« Dann beugte sie sich vor und sprach mit gesenkter Stimme weiter, ihr Artischockenatem streifte sacht mein Gesicht: »Ach, was ist uns bloß widerfahren, Lenny? Ich kriege Berichte auf den Schreibtisch, die bringen mich zum Heulen. Die Chinesen und die Europäer wollen sich von uns abkoppeln. Ich weiß nicht genau, was das bedeuten soll, aber gut kann es kaum sein, oder? Und wir werden alle Einwanderer mit schwacher Bonität deportieren. Und unsere armen Jungs werden in Venezuela massakriert. Diesmal, fürchte ich, kriegen wir den Kopf nicht aus der Schlinge!«
»Ach was, das wird schon wieder, Mrs. Fine«, sagte ich. »Es gibt immer noch nur ein Amerika.«
»Und dieser zwielichtige Rubenstein. Ist das zu glauben, dass er einer von uns ist?«
»Von uns?«
Kaum hörbares Flüstern: »Ein Jude.«
»Meine Eltern finden Rubenstein toll«, erklärte ich hinsichtlich unseres herrischen, aber unglückseligen Verteidigungsministers. »Die sitzen den ganzen Tag zu Hause und gucken FoxLiberty-Prime und FoxLiberty-Ultra.«
Mrs. Fine zog ein angewidertes Gesicht. Sie hatte dabei geholfen, meine Eltern ins amerikanische Gesellschaftskontinuum einzuführen, hatte ihnen beigebracht, mit Mundwasser zu gurgeln und Schweißflecken auszuwaschen, doch letztendlich war sie von ihrem angeborenen sowjet-jüdischen Konservatismus immer abgestoßen gewesen.
Sie kannte mich seit meiner Geburt, als die ganze Abra-mov-Mischpoke in einer übervollen Gartenwohnung in Queens lebte, die heute nur noch nostalgische Gefühle weckt, aber damals ein armseliges und kümmerliches Loch gewesen sein muss. Mein Vater hatte in einem Regierungslabor draußen auf Long Island einen Hausmeisterjob, der die ersten zehn Jahre meines Lebens das Dosenfleisch auf den Tisch brachte. Zur Feier meiner Geburt wurde meine Mutter von einer bloßen Tippse zur echten Sekretärin in der Genossenschaftsbank befördert, wo sie trotz fehlender Englischkenntnisse tapfer schuftete, und auf einmal waren wir auf dem besten Weg in die untere Mittelschicht. Damals fuhren meine Eltern mich immer in ihrem rostigen Chevrolet Malibu Classic durch noch ärmere Stadtviertel, damit wir einerseits über die komischen, abgerissenen, braunhäutigen Leute lachen konnten, die da in Sandalen herumhuschten, und andererseits wichtige Lektionen darüber lernten, was Scheitern in Amerika bedeutete. Nachdem meine Eltern Mrs. Fine von diesen Ausflügen nach Corona und in die sichereren Gegenden von Bedford-Stuyvesant erzählt hatten, begannen sich ihre und meine Familie zu entzweien. Ich weiß noch, wie meine Eltern »grausam« im Englisch-Russisch-Wörterbuch nachschlugen und schockiert waren, dass unsere amerikanische Mama uns für genau das hielt.
»Erzähl mir alles!«, sagte Nettie Fine. »Was hast du so in Rom getrieben?«
»Ich arbeite in der Kreativwirtschaft«, sagte ich stolz. »Unbeschränkte Lebensverlängerung. Wir werden Menschen helfen, ewig zu leben. Ich bin auf der Suche nach europäischen VPPs – also Vermögenden Privatpersonen –, die unsere Klienten werden sollen. Wir nennen sie ›Lebensfreunde‹.«
»Meine Güte!« Mrs. Fine hatte offensichtlich keinen Schimmer, wovon ich redete, doch diese Mutter von drei höflichen Absolventen der University of Pennsylvania konnte nichts als lächeln und ermutigen, ermutigen und lächeln. »Das klingt doch nach – nach etwas!«
»Ist es auch«, sagte ich. »Aber ich glaube, ich stecke hier ein bisschen in Schwierigkeiten.« Ich erklärte ihr das Problem, das ich gerade mit Welcome Back, Partner hatte. »Vielleicht glaubt der Otter, dass ich mit Somaliern befreundet bin. Dabei habe ich ›So Italienern‹ gesagt.«
»Zeig mal deinen Äppärät«, forderte sie mich auf. Sie schob die Brille hoch, sodass die Anfang-Sechzig-Falten sichtbar wurden, die ihr Gesicht genau so aussehen ließen, wie es schon am Tag ihrer Geburt angelegt gewesen war – ein Trost für jedermann. »FEHLERCODE IT/FC-GS/ZUGRIFF VERWEIGERT«, sagte sie seufzend. »Auweia, Freundchen. Du bist kaltgestellt.«
»Aber wieso?«, rief ich. »Was habe ich getan?«
»Sschhht«, sagte sie. »Ich werde deinen Äppärät neu starten. Versuchen wir es mit Welcome Back, Partner noch mal.«
Etliche Anläufe wurden unternommen, aber immer wieder erschien der erstarrte Otter mit der Fehlermeldung. »Wann ist denn das passiert?«, fragte sie. »Was hat dieses Etwas dich zuletzt gefragt?«
Ich zögerte, denn jetzt kam ich mir vor der Retterin meiner Familie noch nackter vor. »Er wollte den Namen der Italienerin wissen, mit der ich ein Verhältnis hatte«, sagte ich.
»Gehen wir mal ein paar Schritte zurück«, sagte Nettie, ganz die Problemlöserin. »Als der Otter dich aufgefordert hat, das ›Jetzt hält uns nichts mehr auf!‹-Ding zu abonnieren, hast du es gemacht?«
»Ja, habe ich.«
»Gut. Und wie sieht es mit deiner Bonität aus?« Ich nannte ihr die Punktzahl. »Schön. Ich würde mir an deiner Stelle keine Sorgen machen. Wenn du am JFK angehalten wirst, gibst du ihnen meine Kontaktdaten und sagst, sie sollen sofort mit mir in Verbindung treten.« Sie gab ihre Koordinaten in meinen Äppärät ein. Als sie mich umarmte, spürte sie, wie meine Knie vor Angst schlotterten. »Ach, Schätzchen«, sagte sie, und eine warme Stammesträne tropfte von ihrem Gesicht auf meines. »Mach dir keine Sorgen. Das kommt schon in Ordnung. Ein Mann wie du. Kreativwirtschaft. Ich hoffe nur, mit der Bonität deiner Eltern sieht es gut aus. Da sind sie den ganzen Weg nach Amerika gekommen, und wofür? Wofür?«
Aber ich machte mir Sorgen. Wie auch nicht? Kaltgestellt von einem Scheißotter. Herrgott. Ich nahm mir vor, mich zu beruhigen, die letzten zwanzig Stunden meines einjährigen europäischen Idylls zu genießen und mich womöglich mit saurem Montepulciano heftig zu betrinken.
Mein letzter Abend in Rom, Tagebuch, begann wie üblich. Wieder mal eine halbherzige Orgie bei Fabrizia, der Frau, mit der ich ein Verhältnis hatte. Ich bin dieser Orgien nicht wirklich müde. Wie jeder New Yorker würde ich für Immobilien alles tun, und ich liebe diese Ende des 19. Jahrhunderts erbauten Wohnhäuser rund um die riesige, von Palmen bestandene Piazza Vittorio mit dem Blick auf die grünlichen Albaner Berge in sonniger Ferne. An meinem letzten Abend bei Fabrizia kreuzte der erwartbare Haufen Vierzigjähriger auf, reiche Kinder von Cinecittà-Regisseuren, die gelegentlich Drehbücher für die erfolglose RAI schreiben (früher mal Italiens größter Fernsehsender), aber vor allem die schwindenden Vermögen ihrer Eltern vergeuden. Das bewundere ich so an jungen Italienern: das langsame Verkümmern jeglichen Ehrgeizes, die Erkenntnis, dass das Beste bereits weit hinter ihnen liegt. (Eine italienische Whitney Houston hätte vielleicht gesungen: »Ich glaube, die Eltern sind unsere Zukunft.«) Von ihrem eleganten Niedergang können wir Amerikaner eine Menge lernen.
In Fabrizias Gegenwart werde ich immer schüchtern. Ich weiß genau, sie mag mich nur, weil ich »unterhaltsam« und »witzig« (will sagen: jüdisch) bin und schon eine ganze Weile kein einheimischer Mann mehr ihr Bett gewärmt hat. Aber da ich sie nun an den Otter der Amerikanischen Restaurationsregierung verraten hatte, sah ich Konsequenzen auf sie zukommen. Die italienische Regierung ist die letzte in Westeuropa, die uns noch in den Hintern kriecht.
Jedenfalls konnte ich mich auf der Party kaum vor Fabrizia retten. Zuerst küssten sie und eine dicke britische Filmemacherin mich abwechselnd auf die Augenlider. Und als sie danach einen dieser ungeheuer wütenden italienischen Äppärät-Chats auf der Couch führte, spreizte sie die Beine, um mir ihren Neonslip zu zeigen, und ihr dichtes mediterranes Schamhaar war deutlich zu sehen. Sie unterbrach ihr geiles Gekreische und rasendes Getippe und sagte auf Englisch zu mir: »Du bist viel dekadenter geworden, seit ich dich kennengelernt habe, Lenny.«
»Ich gebe mir Mühe«, stammelte ich.
»Gib dir mehr Mühe«, sagte sie. Sie ließ die Beine wieder zusammenklappen, was mich fast umhaute, und ging dann abermals auf ihren Äppärät los. Ich wollte diese aparten vierzigjährigen Brüste noch einmal berühren. Ich machte ein paar langsame hüftkreisende Schritte auf sie zu und klimperte mit den Wimpern (soll heißen, ich zwinkerte heftig), was ein Versuch sein sollte, mit einem Schuss Ostküstenironie ein heißes Cinecittà-Sternchen aus den Sechzigern darzustellen. Fabrizia zwinkerte zurück und steckte sich eine Hand in den Slip. Wenige Minuten später öffneten wir die Tür zu ihrem Schlafzimmer, wo wir auf ihren dreijährigen Sohn stießen, der sich unter einem Kissen versteckte und von einer Rauchwolke aus dem Wohnzimmer umfangen war. »Scheiße«, sagte Fabrizia, als sie sah, wie der kleine Asthmatiker übers Bett auf sie zukrabbelte.
»Mamma«, flüsterte das Kind. »Aiutami.«
»Katia!«, schrie sie. »Puttana! Sie sollte doch auf ihn aufpassen. Bleib, wo du bist, Lenny.« Sie machte sich auf die Suche nach dem ukrainischen Kindermädchen, und ihr kleiner Junge stolperte durch den filmreifen Rauch hinterher.
Ich ging in den Flur, der einem wie die Ankunftslounge am Flughafen Fiumicino vorkam: Paare lernten sich kennen, taten sich zusammen, verschwanden in Zimmern, kamen aus den Zimmern wieder heraus, knöpften Blusen und Hemden zu, zurrten Gürtel fest, trennten sich wieder. Ich zog meinen veralteten Äppärät mit der Retro-Walnussoberfläche aus der Tasche, auf dessen staubigem Display immer noch träge Daten blinkten, und versuchte herauszufinden, ob sich irgendwelche Vermögende Privatpersonen im Raum aufhielten – letzte Gelegenheit, neue Klienten für meinen Chef Joshie zu gewinnen, nachdem ich im Lauf eines ganzen Jahres nur einen aufgetrieben hatte –, aber kein Gesicht war berühmt genug, um auf meinem Display seinen Niederschlag zu finden. Ein mehr oder weniger bekannter Medienhengst, Künstler aus Bologna, selbst mürrisch und schüchtern, sah seiner Freundin zu, wie sie lachhaft mit einem weniger versierten Menschen flirtete. »Ich arbeite ein bisschen, amüsiere mich ein bisschen«, sagte jemand auf Englisch mit starkem Akzent, gefolgt von niedlichem, hohlem Frauenlachen. Eine gerade erst in Italien angekommene junge Amerikanerin, Yogalehrerin für Promis, wurde von einer viel älteren Einheimischen, die ihr immer wieder mit einem langen, lackierten Fingernagel aufs Herz stach und sie persönlich der US-Invasion in Venezuela bezichtigte, zum Weinen gebracht. Ein Bediensteter kam mit einem großen Tablett marinierter Anchovis herein. Ein kahlköpfiger Mann, den alle »Cancer Boy« nannten, trottete niedergeschlagen der afghanischen Prinzessin hinterher, an die er sein Herz verloren hatte. Ein ansatzweise berühmter RAI-Schauspieler wollte mir erzählen, wie er in Chile ein Mädchen aus gutem Hause geschwängert hatte und dann zurück nach Rom geflohen war, ehe die chilenischen Behörden ihn zur Rechenschaft ziehen konnten. Doch als jemand auftauchte, der wie er aus Neapel stammte, sagte er: »Entschuldige uns, Lenny, wir müssen Dialekt sprechen.«
Ich wartete weiter auf meine Fabrizia, knabberte unterdessen an einer Sardelle und hatte das Gefühl, in ganz Rom könnte es keinen notgeileren Neununddreißigjährigen geben – und das will einiges heißen. Vielleicht war meine Gelegenheitsgeliebte während unserer kurzen Trennung einem anderen in die Arme gefallen. Auf mich wartete in New York kein Mädchen, ich war mir nicht mal sicher, ob nach meinem Versagen in Europa überhaupt noch ein Arbeitsplatz auf mich wartete, darum wollte ich Fabrizia unbedingt vögeln. Sie war die weichste Frau, die ich je berührt hatte, ihre Muskeln regten sich irgendwo weit unterhalb der Haut wie ein geisterhaftes Getriebe, und ihr Atem ging, wie der ihres Sohnes, flach und angestrengt; wenn sie »die Liebe machte« (wie sie sich ausdrückte), klang sie wie kurz vorm Ersticken.
Ich entdeckte jemanden, der in Rom zum Inventar gehörte, einen alten amerikanischen Bildhauer von kleinem Wuchs und verrottendem Gebiss, der eine beatleske Pilzkopffrisur trug und gerne erwähnte, wie gut er mit einem legendären Schauspieler aus TriBeCa befreundet war, Robert De Niro, den er bloß »Bobby D.« nannte. Schon mehrmals hatte ich seine trunkene Fassfigur in ein Taxi geschoben, den Fahrern seine repräsentative Adresse auf dem Monte Gianicolo genannt und ihnen zwanzig Euro aus meiner eigenen knappen Kasse in die Hand gedrückt.
Fast hätte ich die junge Frau vor ihm gar nicht bemerkt, eine kleine Koreanerin (ich war schon mit zweien zusammen gewesen, beide herrlich verrückt), die ihr Haar zu einem aufreizenden Knoten gebunden hatte, sodass sie ein wenig an eine asiatische Audrey Hepburn erinnerte. Sie hatte volle, glänzende Lippen, eine allerliebste, wenn auch ungewöhnliche Prise Sommersprossen auf der Nase und konnte nicht mehr als knapp vierzig Kilo wiegen – ihre Kompaktheit weckte schlechte Gedanken, die mich zittern ließen. Ich fragte mich beispielsweise, ob ihre Mutter, wahrscheinlich eine winzige, makellose Frau mit einem Sack voll Immigrantenängsten und übler Religiosität, wohl wusste, dass ihre Tochter keine Jungfrau mehr war.
»Ach, da ist ja Lenny«, sagte der Bildhauer, als ich ihm die Hand entgegenstreckte. Er war eine Vermögende Privatperson, wenn auch gerade mal so, und ich hatte ihn schon mehrmals umworben. Die junge Koreanerin warf mir einen Blick zu, den ich als ernsthaftes Desinteresse deutete (ihr normaler Gesichtsausdruck war offenbar finsteres Stirnrunzeln), und hielt die Hände zu Fäusten geballt vor sich. Ich dachte bereits, ich hätte ein junges Pärchen gestört, und wollte mich gerade entschuldigen, aber schon fing der Amerikaner mit dem Vorstellen an. »Die liebreizende Eunice Kim aus Fort Lee, New Jersey, zuletzt auf dem Elderbird College, Massachusetts«, sagte er in dem ruppigen Brooklynakzent, den er für charmant authentisch hielt. »Euny studiert Kunstgeschichte.«
»Eunice Park«, verbesserte sie ihn. »Und ich studiere eigentlich nicht Kunstgeschichte. Ich studiere gar nicht mehr.«
Ihre Demut gefiel mir, und ich bekam eine dauerhaft pulsierende Erektion.
»Und das ist Lenny Abraham. Er hilft alten Börsenmaklern, ein bisschen länger zu leben.«
»Ich heiße Abramov«, sagte ich mit einem unterwürfigen Diener vor der jungen Dame. Ich bemerkte das Glas tintendunklen sizilianischen Roten in meiner Hand und trank es in einem Zug leer. Auf einmal schwitzte ich mein frisch gewaschenes Hemd und meine hässlichen Schuhe nass. Ich zog meinen Äppärät hervor, schnippte ihn mit einer Geste auf, die vor vielleicht einem Jahrzehnt en vogue gewesen war, hielt ihn mir albern vor die Nase, steckte ihn wieder in die Hemdtasche, griff nach einer Flasche in der Nähe und schenkte mir nach. Nun oblag es mir, etwas Beeindruckendes über mich zu sagen. »Ich mache Nanotechnologie und so Zeugs.«
»Als Wissenschaftler?«, fragte Eunice Park.
»Eher als Verkäufer«, grummelte der amerikanische Bildhauer. Er war berüchtigt dafür, um jede Frau zu wetteifern. Auf der letzten Party hatte er über einen jungen Mailänder Animator triumphiert und sich von Fabrizias neunzehnjähriger Cousine einen blasen lassen. So etwas kam in Rom einer Top-Nachricht gleich.
Der Bildhauer drehte sich halb zu Eunice um und verdeckte mich zum Teil mit seiner breiten Schulter. Ich nahm das als Wink zu verschwinden, doch immer, wenn ich mich absetzen wollte, schaute sie in meine Richtung, warf mir beiläufig einen Rettungsanker hin. Vielleicht hatte sie selbst Angst vor dem Bildhauer und fürchtete, auf Knien in einem schwach beleuchteten Zimmer zu enden.
Ich trank viel und beobachtete die ausladenden Versuche des Bildhauers, die gänzlich unbeeindruckbare Eunice Park zu beeindrucken. »Ich sag also zu ihr: ›Contessa, Sie können in meinem Strandhaus in Apulien wohnen, bis Sie wieder auf die Beine gekommen sind. Ich habe ja sowieso keine Zeit, an den Strand zu gehen. Die wollen, dass ich so einen Auftrag in Schanghai annehme. Sechs Millionen Yuan für zwei Arbeiten. Wie viel ist das – fünfzig Millionen Dollar? Ich sag zu ihr: ›Nicht weinen, contessa, Sie gewiefte alte Schachtel. Ich war auch schon mal völlig pleite. Keinen centavo in der Tasche. Bin praktisch im Werfthafen von Brooklyn aufgewachsen. Das Erste, woran ich mich erinnere, ist ein Schlag in die Fresse. Bamm!‹«
Mir tat der Bildhauer leid, und das nicht nur, weil ich seine Chancen bei Eunice Park pessimistisch einschätzte, sondern auch weil mir aufging, dass er bald tot sein würde. Von einer seiner ehemaligen Geliebten hatte ich erfahren, dass sein fortgeschrittener Diabetes ihn bereits zwei Zehen gekostet hatte, und heftiger Kokainmissbrauch brachte seinen betagten Kreislauf an die Grenzen. In unserer Branche nannten wir solche Leute NK, nicht konservierbar, da die Lebensfunktionen schon so zerrüttet waren, dass sie durch Eingriffe nicht wiederhergestellt werden konnten, und psychische Anzeichen auf eine »extreme Todesbereitschaft/-neigung« schließen ließen. Noch verzweifelter war seine finanzielle Situation: Ich zitiere wörtlich aus meinem Bericht an Chef Joshie: »Jährliches Einkommen 2,24 Mill. Dollar, Yuan-gekoppelt; Verbindlichkeiten, darunter Alimente/Unterhalt, 3,12 Mill. Dollar; investierbare Vermögenswerte (ohne Immobilien) 22 Mill. Nordeuro; Immobilien 5,4 Mill. Dollar, Yuan-gekoppelt; Außenstände insgesamt 12,9 Mill. Dollar, nicht gekoppelt.« Mit anderen Worten: ein Schlamassel.
Warum tat er sich das an? Wieso hielt er sich nicht von Drogen und anspruchsvollen jungen Frauen fern, verbrachte ein Jahrzehnt auf Korfu oder in Chiang Mai, flutete seinen Körper mit Alkalien und Biotechnologie, stoppte die Zufuhr von freien Radikalen, konzentrierte sich ganz auf die Arbeit, stockte sein Aktien-Portfolio auf, trainierte sich den Rettungsring von den Hüften, ließ sich die alternde Bulldoggenvisage von uns richten? Was hielt den Bildhauer hier, in einer Stadt, die sich nur als Erinnerung an die Vergangenheit eignete, was ließ ihn der Jugend nachsteigen, sich auf dicht behaarte Muschis und Teller voller Kohlenhydrate stürzen, warum schwamm er mit dem Strom in Richtung Auslöschung? In diesem hässlichen Körper, hinter den faulenden Zähnen, dem sauren Atem, steckte ein Visionär und Schöpfer, dessen plumpe Arbeiten ich gelegentlich bewunderte.
Während ich den Bildhauer begrub, indem ich hinter den Sargträgern hermarschierte und seine wunderschöne Exfrau misamt den engelsgleichen Zwillingssöhnen tröstete, musterten meine Augen Eunice Park, jung, stoisch, flachbrüstig, die zu den selbstgefälligen Bemerkungen des Bildhauers nickte. Ich wollte die Hand ausstrecken und ihre hohle Brust berühren, die harten kleinen Warzen spüren, die, wie ich mir ausmalte, ihre Liebe zum Ausdruck brachten. Mir fiel auf, dass ihre scharf geschnittene Nase und ihre schmalen Arme leicht mit Feuchtigkeit überzogen waren und dass sie beim Trinken mit mir mithielt, Weingläser von vorbeischwebenden Tabletts nahm und sich ihre zusammengepressten Lippen lila färbten. Sie trug modische Jeans, einen grauen Kaschmirpullover und eine Perlenkette, die sie mindestens zehn Jahre älter wirken ließ. Das einzige Jugendliche an ihr war ein glatter weißer Anhänger – ein Kiesel fast –, der so etwas wie ein brandneuer Miniatur-Äppärät zu sein schien. In einigen wohlhabenden Kreisen der transatlantischen Gesellschaft verschwanden zusehends die Unterschiede zwischen Alt und Jung, in anderen Kreisen lief die Jugend fast nackt herum, aber was war mit Eunice Park? Wollte sie älter oder reicher oder weißer wirken? Warum müssen attraktive Menschen überhaupt jemand anders sein als sie selbst?
Als ich das nächste Mal hinsah, hatte der Bildhauer ihr die schwere Pranke auf die ätherische Schulter gelegt und drückte fest zu. »Chinesinnen sind so zierlich«, sagte er.
»So zierlich bin ich gar nicht.«
»Doch!«
»Und ich bin keine Chinesin.«
»Also, Bobby D. und Dick Gere zanken sich auf einer Party. Da kommt Dick zu mir und jammert: ›Wieso hasst Bobby mich so?‹ Moment. Wo war ich gerade? Brauchst du noch was zu trinken? Oh! Dass du nach Rom gekommen bist, war die richtige Entscheidung, Mäuschen. New York ist am Ende. Amerika ist Geschichte. Und jetzt, wo diese Arschlöcher am Ruder sind, gehe ich nie wieder zurück. Scheiß-Rubenstein. Scheiß-Überparteiliche. Das ist 1984, Baby. Nicht, dass du die Anspielung verstehen würdest. Vielleicht kann unser Bücherfreund Lenny uns aufklären. Was hast du für ein Glück, dass du mit mir hier sein darfst, Euny. Willst du mich nicht küssen?«
»Nein«, sagte Eunice Park. »Nein danke.«
Nein danke. Ein nettes koreanisches Mädchen, Absolventin vom Elderbird College in Massachusetts. Wie gern ich diese vollen Lippen selbst küssen und den schmalen Rest von ihr im Arm halten würde.
»Warum nicht?«, rief der Bildhauer. Und weil er schon längst nicht mehr in der Lage war, die kurzfristigen Folgen seiner Handlungen abzuschätzen, rüttelte er sie an der Schulter, bloß ein betrunkenes Schütteln, doch offenbar zu heftig für ihren winzigen Körper. Eunice sah auf, und ich entdeckte in ihren Augen die vertraute Wut eines Erwachsenen, der plötzlich in die Kindheit zurückgeworfen wird. Sie presste sich eine Hand auf den Bauch, als hätte man sie dorthin geboxt, und senkte den Blick. Rotwein war auf ihren teuren Pullover gespritzt. Sie wandte sich zu mir, und ich bemerkte, dass sie sich schämte, nicht für den Bildhauer, sondern für sich selbst.
»Jetzt mal locker bleiben«, sagte ich und legte dem Bildhauer die Hand auf den angespannten, feuchten Nacken. »Vielleicht setzen wir uns mal auf die Couch und trinken ein Glas Wasser.«
Eunice rieb sich die Schulter und wich vor uns zurück. Sie sah aus, als würde sie routiniert Tränen unterdrücken.
»Verpiss dich, Lenny«, sagte der Bildhauer und schubste mich leicht. Seine Hände waren zweifellos kräftig. »Geh mit deinem Jungbrunnen woanders hausieren.«
»Such dir eine Couch und entspann dich«, herrschte ich den Bildhauer an. Ich ging zu Eunice und streckte meinen Arm in ihre Richtung, ohne sie wirklich zu berühren. »Tut mir leid«, murmelte ich. »Er trinkt zu viel.«
»Ja, ich trinke zu viel!«, rief der Bildhauer. »Vielleicht bin ich sogar ein bisschen besoffen. Aber morgen früh werde ich Kunst erschaffen. Und was wirst du tun, Leonard? Irgendwelchen Greisen von den Überparteilichen grünen Tee und geklonte Lebern verticken? Tagebuch schreiben? Lass mich mal raten. ›Mein Onkel hat mich missbraucht. Ich war drei Sekunden lang heroinabhängig.‹ Vergiss den Jungbrunnen, Kumpel. Du kannst tausend Jahre alt werden, und es wird trotzdem nichts bedeuten. Mittelmäßige wie du verdienen nichts Besseres als Unsterblichkeit. Vertrau diesem Kerl nicht, Eunice. Er ist nicht wie wir. Er ist ein echter Amerikaner. Ein echt cleverer Hund. Er ist der Grund, dass wir in Venezuela einmarschiert sind. Dass sich in den Staaten niemand mehr traut, ›buh‹ zu sagen. Er ist keinen Deut besser als Rubenstein. Schau in diese dunklen, unehrlichen Aschkenasenaugen. Kissinger der Zweite.«
Eine Menschentraube hatte sich um uns gebildet. Den berühmten Bildhauer »ausrasten« zu sehen war für die Römer immer ein Quell der Belustigung, und die Stichwörter »Venezuela« und »Rubenstein«, langsam und genüsslich anklagend ausgesprochen, konnten selbst einen komatösen Europäer in Erregung versetzen. Aus dem Wohnzimmer hörte ich Fabrizias Stimme. So sanft wie möglich schob ich die Koreanerin in Richtung Küche, die zum Dienstbotentrakt mit seinem separaten Eingang führte.
Im schwachen Licht einer nackten Glühbirne sah ich das ukrainische Kindermädchen den süßen, dunklen Schopf von Fabrizias Sohn tätscheln, während sie ihm den Inhalator in den Mund bugsierte. Das Kind nahm unser Eindringen kaum überrascht zur Kenntnis, das Kindermädchen wollte gerade »Che cosa?« sagen, wir aber marschierten geradewegs an ihr und dem ordentlichen kleinen Stapel von Kleidern und billigen Souvenirs (einer Küchenschürze mit Michelangelos David rittlings auf dem Kolosseum) vorbei, ihrem unmittelbaren Besitz. Als Eunice und ich die laute Marmortreppe hinab liefen, hörten wir Fabrizia und andere die Verfolgung aufnehmen und den Drahtkäfig des Aufzugs nach oben rufen, weil sie unbedingt von uns wissen wollten, was passiert war, was die trunkene Wut des Bildhauers geweckt hatte. »Komm zurück, Lenny«, rief Fabrizia. »Dobbiamo scopare ancora una volta. Wir müssen nochmal ficken. Noch ein letztes Mal.«
Fabrizia. Die weichste Frau, die ich je berührt hatte. Aber vielleicht brauchte ich keine Weichheit mehr. Fabrizia. Ihr von kleinen Haar-Armeen belagerter Leib, ihre von Kohlenhydraten geformten Kurven, nichts als Alte Welt in ihrer sterbenden, nichtelektronischen Körperlichkeit. Und vor mir: Eunice Park. Eine Frau in Nano-Größe, die wahrscheinlich noch nie das Kitzeln des eigenen Schamhaars gespürt hatte, der sowohl Brust als auch Körpergeruch fehlten, die ebenso gut auf dem Display eines Äppäräts wie vor meinen Augen auf der Straße existierte.
Draußen hockte der südländische Mond schwanger und zufrieden auf den hochgereckten Palmwedeln der Piazza Vittorio. Der übliche Haufen Immigranten schlief nach einem langen Tag körperlicher Arbeit oder brachte gerade die Kinder der jeweiligen Herrschaft ins Bett. Die einzigen Fußgänger waren fesche Italiener, die vom Abendessen nach Hause wankten, das einzige Geräusch das Gemurmel ihrer galligen Gespräche und das elektrisch zischende Klappern der alten Straßenbahn, die den Nordostrand des Platzes befuhr.
Eunice Park und ich gingen weiter. Sie ging, ich hüpfte, denn ich konnte meine Freude darüber nicht verbergen, dass ich der Party gemeinsam mit ihr entkommen war. Ich wollte, dass Eunice mir dankte, weil ich sie vor dem Bildhauer und seinem Todeshauch gerettet hatte. Ich wollte, dass sie mich kennenlernte, damit ich all die furchtbaren Dinge, die er über mich gesagt hatte, entkräften konnte, meine angebliche Gier, meinen schrankenlosen Ehrgeiz, meinen Mangel an Talent, meine fiktive Mitgliedschaft in der Überparteilichen Partei, meine Eroberungspläne für Caracas. Ich wollte ihr erzählen, dass ich selbst in Gefahr war – dass der Otter der Amerikanischen Restaurationsregierung mir Landesverrat unterstellte, weil ich mit einer einzigen mittelalten Italienerin geschlafen hatte.
Ich beäugte Eunice’ ruinierten Pullover und den obszön frischen Körper, der darunter verborgen lebte, schwitzte und, wie ich hoffte, auch begehrte. »Ich kenne eine gute Reinigung, die mit Rotweinflecken fertigwird«, sagte ich. »So ein Nigerianer eine Straße weiter.« Ich betonte »Nigerianer«, um meine Offenheit und Toleranz zu unterstreichen. Lenny Abramov, jedermanns Freund.
»Ich arbeite freiwillig in einer Flüchtlingsunterkunft am Bahnhof«, sagte Eunice, was sich wohl auf irgendwas bezog.
»Ehrlich? Das ist ja phantastisch!«, sagte ich.
»Bist du ein Nerd.« Sie lachte mich grausam aus.
»Was?«, fragte ich. »Tut mir leid.« Ich lachte auch, nur für den Fall, dass es ein Witz gewesen war, aber ich war verletzt.
»PPKM«, sagte sie. »IGIMGK. ROFLAARP. PRGV. Total PRGV.«
Die Jugend und ihre Abkürzungen. Ich tat, als wüsste ich, wovon sie redet. »Klar«, sagte ich. »IWF. PLO. ESL.«
Sie sah mich an, als wäre ich übergeschnappt. »BGM«, sagte sie.
»Wer ist das denn?« Ich stellte mir einen großgewachsenen Protestanten vor.
»Das bedeutet ›Bloß gefickt, Mann‹. Dass ich dich bloß verarscht habe.«
»O Mann«, sagte ich. »Weiß ich doch. Ehrlich. Was macht mich deiner Einschätzung nach zum Nerd?«
»›Deiner Einschätzung nach‹«, äffte sie mich nach. »Wer sagt denn so was? Und wer trägt solche Schuhe? Du siehst aus wie ein Buchhalter.«
»Kann es sein, dass ich da etwas Wut verspüre?«, fragte ich. Wohin war das süße, gekränkte koreanische Mädchen von vor drei Minuten hin? Aus irgendeinem Grund drückte ich die Brust raus und stellte mich auf Zehenspitzen, obwohl ich sowieso zwei Handbreit größer war als sie.
Sie fasste meine Hemdmanschette an, besah sie sich dann genauer. »Die ist ja nicht richtig geknöpft«, sagte sie, und ehe ich was entgegnen konnte, hatte sie meine Manschette schon auf- und wieder zugeknöpft und zupfte am Ärmel, damit er sich an Oberarm und Schulter weniger beulte. »So«, sagte sie. »Jetzt siehst du ein bisschen besser aus.«
Ich wusste nicht, was ich sagen oder machen sollte. Wenn ich mit Menschen meines Alters zu tun habe, weiß ich genau, was ich für einer bin. Körperlich nicht unbedingt attraktiv, aber immerhin gebildet, anständig bezahlt, an vorderster Front von Wissenschaft und Technik beschäftigt (auch wenn ich mich mit meinem Äppärät in etwa so geschickt anstelle wie meine alten eingewanderten Eltern). Doch auf dem Planeten Eunice Park spielten diese Eigenschaften offensichtlich keine Rolle. Ich war irgend so ein steinzeitlicher Trottel. »Danke«, sagte ich. »Wüsste nicht, was ich ohne dich täte.«
Sie lächelte mich an, und ich bemerkte die Sorte Grübchen, die ein Gesicht nicht bloß eindellen, sondern ihm unmittelbar Wärme und Charakter verleihen (und in ihrem Fall die Wut ein wenig mildern). »Ich habe Hunger«, sagte sie.
Ich muss ausgesehen haben wie der verwirrte Rubenstein auf der Pressekonferenz, nachdem unsere Truppen bei Ciudad Bolívar vernichtend geschlagen wurden. »Was?«, fragte ich. »Hunger? Ist es dafür nicht ein bisschen spät?«
»Ähm, nein, Opa«, sagte Eunice Park.
Das ließ ich locker abprallen. »Ich kenne so einen Laden an der Via del Governo Vecchio. Heißt ›da Tonino‹. Erstklassige Pasta cacio e pepe.«
»Steht auch in meinem Time-Out-Führer«, sagte das unverschämte Mädchen zu mir. Sie hob ihren äppärätartigen Anhänger an den Mund und bestellte in schockierend tadellosem Italienisch ein Taxi. So eingeschüchtert war ich seit der Highschool nicht mehr. Selbst der Tod, meine schlanke, unermüdliche Nemesis, wirkte matt im Vergleich zur allmächtigen Eunice Park.
Im Taxi setzte ich mich ein Stück von ihr entfernt und redete belangloses Zeug (»Ich habe gehört, der Dollar soll mal wieder abgewertet werden …«). Die Stadt Rom präsentierte sich in lässiger Pracht vor unseren Wagenfenstern, ihrer selbst auf ewig sicher, immer gern bereit, uns Geld aus der Tasche zu ziehen und für ein Foto zu posieren, obwohl sie am Ende nichts und niemanden brauchte. Irgendwann wurde mir klar, dass der Fahrer beschlossen hatte, mich übers Ohr zu hauen, doch ich protestierte nicht gegen seine ausgedehnte Route, vor allem dann nicht mehr, als wir am violett beleuchteten Schildkrötenpanzer des Kolosseums vorbeifuhren, sondern ich sagte mir: Behalt dies in Erinnerung, Lenny; du musst für irgendwas nostalgische Gefühle entwickeln, sonst findest du nie heraus, was wichtig ist.
Doch am Ende jenes Abends erinnerte ich mich nur noch an sehr wenig. Sagen wir mal so: Ich trank. Aus Angst (sie war so grausam). Aus Seligkeit (sie war so schön). Ich trank, bis sich mein Mund und meine Zähne dunkelrot färbten und das beißende Aroma meines Atems und Schweißes mein fortgeschrittenes Alter verriet. Und sie trank ebenfalls. Aus einem mezzo litro des billigen Hausweins wurde ein litro, dann zwei, und dann noch eine Flasche, womöglich ein Sardischer, auf jeden Fall schwerer als Stierblut.
Ungeheure Essensportionen waren nötig, den übermäßigen Alkoholgenuss aufzufangen. Nachdenklich kauten wir auf den Schweinebacken der Bucatini all’amatriciana herum, schlürften einen Teller Penne mit scharf gewürzter Aubergine, zerrupften ein Kaninchen, das nahezu in Olivenöl ertrank. Ich wusste, dass ich all das vermissen würde, sobald ich nach New York zurückgekehrt wäre, sogar das schreckliche Neonlicht, das mein Alter bloßstellte – die Falten um die Augen, die eine lange Schnellstraße und die drei Landstraßen, die meine Stirn durchschnitten, Zeugnisse ungezählter schlafloser Nächte voller Sorgen um unerfüllte Freuden und mein sorgsam gehütetes Einkommen, vor allem um meinen Tod. Unser Restaurant wurde von Theaterschauspielern frequentiert, und während ich mit der Gabel in die dicken Hohlkörper der Pasta und die glänzenden Auberginenstücke stach, versuchte ich, mir ihre lauten, Aufmerksamkeit heischenden Stimmen und die lebhaften italienischen Gesten für immer einzuprägen, für mich Sinnbild des lebendigen Kreatürlichen und daher des Lebens selbst.
Ich konzentrierte mich auf die lebendige Kreatur vor mir und wollte ihre Liebe wecken. Ich sprach großspurig und, wie ich hoffe, ehrlich. An Folgendes erinnere ich mich:
Ich sagte ihr, ich wolle Rom nicht mehr verlassen, da ich nun sie kennengelernt hätte.
Sie sagte wieder, ich sei ein Nerd, aber einer, der sie zum Lachen bringe.
Ich sagte, ich wolle mehr als sie nur zum Lachen bringen.
Sie sagte, ich solle dankbar sein für das, was ich hätte.
Ich sagte, sie solle mit mir nach New York ziehen.
Sie sagte, sie sei wahrscheinlich lesbisch.
Ich sagte, dass Arbeit mein Leben sei, es aber auch noch Platz für Liebe gebe.
Sie sagte, Liebe komme nicht in Frage.
Ich sagte, meine Eltern seien russische Immigranten und lebten in New York.
Sie sagte, ihre Eltern seien koreanische Immigranten und lebten in Fort Lee, New Jersey.
Ich sagte, mein Vater sei pensionierter Hausmeister, der gern angeln gehe.
Sie sagte, ihr Vater sei Fußtherapeut, der seiner Frau und seinen beiden Töchtern gern mit der Faust ins Gesicht schlage.
»Oh«, sagte ich. Eunice Park zuckte die Achseln, entschuldigte sich und ging zur Toilette. Auf meinem Teller hing das kleine tote Herz des Kaninchens aus seinem Brustkorb. Ich legte den Kopf in die Hände und fragte mich, ob ich nicht einfach ein paar Euros auf den Tisch werfen und verschwinden sollte.
Doch bald schon ging ich die efeuumrankte Via Giulia entlang, den Arm um Eunice Parks duftenden, knabenhaften Leib geschlungen. Sie war offenbar bester Laune, liebevoll und anspornend zugleich: versprach mir einen Kuss und tadelte dann mein schlechtes Italienisch. Schüchternheit und Kichern, Sommersprossen im Mondlicht, trunkene, unreife Rufe wie »Halt den Mund, Lenny!« oder »Du bist doch blöd!« – das war sie. Mir fiel auf, dass sie ihr Haar aus dem Knoten befreit hatte und dass es dunkel und endlos und dick war wie ein Seil. Sie war vierundzwanzig Jahre alt.
In meine Wohnung passte nicht viel mehr als eine billige Doppelmatratze und ein offener Koffer voller Bücher (»Meine Freundinnen am Elderbird, die im Hauptfach Text studierten, nannten die Dinger immer ›Türstopper‹«, sagte sie). Wir küssten uns träge, als wäre es nichts, dann heftig, als ob wir es ernst meinten. Es gab Probleme. Eunice Park wollte ihren BH nicht ablegen (»Ich habe absolut keine Brust«), und ich war zu betrunken und verschreckt, um eine Erektion zu bekommen. Aber ich wollte ohnehin keinen Geschlechtsverkehr. Ich überredete sie, aus ihrer Hose zu steigen, umfasste die beiden winzigen Kugeln ihrer Hinterbacken mit den Händen und presste meine Lippen in ihre weiche, vitale Möse. »Ach, Lenny«, sagte sie ein wenig traurig, denn sie spürte wohl, wie viel ihre Jugend und Frische mir bedeuteten, einem Mann, der im Vorzimmer des Todes zu Hause war, der Licht und Wärme seines kurzen Erdendaseins kaum ertragen konnte. Ich leckte und leckte, atmete den Hauch von etwas Authentischem, Humanem ein und muss irgendwann mit dem Gesicht zwischen ihren Beinen eingeschlafen sein. Am nächsten Morgen half sie mir, den Koffer neu zu packen, der ohne ihre Hilfe nicht zugehen wollte. »So macht man das nicht«, sagte sie, als sie sah, wie ich mir die Zähne putzte. Sie ließ mich die Zunge herausstrecken und fuhr grob mit der Bürste über die dunkelrote Fläche. »So«, sagte sie. »Besser.«
Auf der Taxifahrt zum Flughafen spürte ich einen dreifachen Stich: Ich war gleichzeitig glücklich, einsam und bedürftig. Sie hatte verlangt, dass ich mir gründlich Mund und Kinn wusch, um jede Spur von ihr zu beseitigen, aber Eunice Parks alkalisches Aroma hing mir immer noch an der Nasenspitze. Ich schnüffelte in die Luft, um ihre Essenz einzufangen, und dachte schon daran, wie ich sie nach New York locken, sie zu meiner Frau, zu meinem Leben, zu meinem ewigen Leben machen könnte. Ich berührte meine gekonnt geputzten Zähne und tätschelte die grauen Haarbüschel, die aus meinem Hemdkragen ragten und die sie im schwachen Morgenlicht eingehend untersucht hatte. »Süß«, hatte sie gesagt. Und dann mit kindlichem Staunen: »Du bist alt, Len.«
Ach, liebes Tagebuch. Meine Jugend ist vergangen, doch die Weisheit des Alters ist noch fern. Warum ist es in dieser Welt so schwer, ein erwachsener Mann zu sein?
Aus Eunice Parks GlobalTeens-Account
1. Juni
Format: Englischer Standardtext Vollanzeige
EUNI-DIOTIN UNTERWEGS AN GRILLBITCH:
Hi, liebstes Pony!
Was geht, du Möse? Vermisst du deine I-diotin? Willst du mich ein bisschen lecken? BGM. Ich hab so die Nase voll davon, mit Mädchen rumzumachen. Übrigens hab ich an der Ehemaligen-Wand vom Elderbird die Fotos gesehen, auf denen du deine Zunge in Bryanas, ähm, Ohr steckst. Du willst doch wohl nicht, dass Gopher eifersüchtig wird? Der hat schon viel zu viele Dreier geschoben. Mehr Selbstachtung, Nutte! Hey – weißt du was? Ich hab in Rom den allersüßesten Typen kennengelernt. Genau mein Fall, groß, vom Aussehen her irgendwie germanisch, total edel, aber kein Arschloch. Giovanna hat uns zusammengebracht, er arbeitet in Rom für KraftGMFordCredit! Ich soll ihn also auf der Piazza Navona treffen (weißt du noch, im Image-Seminar? Das ist der mit den ganzen Tritonen), und da sitzt er vor einem Cappuccino und streamt die Chroniken von Narnia. Weißt du noch, wie wir die in der Katholischen gestreamt haben? Richtig süß. Er sah ein bisschen aus wie Gopher, bloß viel dünner (hahaha). Und er heißt Ben, was ziemlich schwul klingt, aber er war SONETT und so klug. Er hat mir ein paar Caravaggios gezeigt, dann hat er mich ein bisschen an den Arsch gefasst, und dann sind wir zu einer von Giovannas Partys und haben rumgemacht. Da haben uns lauter Italienerinnen in Onionskin-Jeans angeglotzt, als ob ich ihnen einen ihrer weißen Männer klauen würde oder so. Das finde ich so was von scheiße. Wenn ich noch einmal das Wort »Mandelaugen« höre, also echt. Jedenfalls BRAUCHEICH DEINENRAT, weil er mich gestern angerufen und gefragt hat, ob ich nächste Woche mit ihm nach Lucca fahren will, und ich hab mich geziert und nein gesagt. Aber morgen rufe ich ihn bestimmt an und sage ja! WASSOLLICHTUN? HILFE!!!
PS: Gestern auf einer Party hab ich so einen krassen alten Typen kennengelernt, und wir haben uns total betrunken, und ich hab mich gewissermaßen von ihm lecken lassen. Da war ein noch älterer Typ, ein Bildhauer, der mir an die Hose wollte, da hab ich mir gedacht, na ja, das kleinere Übel. Würg, ich werde schon wie du!!!!!! Er war nett, ein bisschen nerdig, hält sich aber für absolut medien, weil er irgendwas mit Biotech macht. Und er hatte echt eklige Füße, mit Hammerzehen und hinten so einem riesigen Überbein, als ob ihm ein Daumen am Hacken klebt. Ich weiß, ich denke wie mein Vater. Aber außerdem putzt er sich ganz falsch die Zähne, ich musste also einem ERWACHSENENMANNZEIGEN, WIEMANEINEZAHNBÜRSTEBENUTZT!!!!! Was läuft bloß falsch in meinem Leben, liebstes Pony?
GRILLBITCH AN EUNI-DIOTIN UNTERWEGS:
Hey, liebster Panda!
Okay, ich sag nur so viel: Arschnutte, bist du total krank? Wie alt war der Typ? Wieso hast du seine Füße angefasst? Bist du heimliche Fußlutscherin oder was? Ich schicke dir eine Reinigungsrechnung, ich muss nämlich beim Schreiben gerade KOTZEN. OK, vergiss den Rollatorschieber. Dieser Ben klingt echt medien, und wenn er in Kredit macht, ist er bestimmt SCHEISSSTINKREICH. Ich wünschte, Gopher könnte einen Job bei KraftGMFord kriegen. Und jetzt der Grillbitch-Praxistipp: Du fährst mit ihm nach Lucca, wo ist das eigentlich genau?, am ersten Tag behandelst du ihn wie ein Stück Scheiße, in der ersten Nacht lässt du dich im Bett HART von ihm rannehmen, den Rest der Zeit bringst du ihn komplett durcheinander. Er wird dir pronto verfallen, vor allem, wenn du ihn an deine ZAUBERMUSCHI lässt!!! Und auf dem Rückweg nach Rom bist du dann richtig nett, damit er zum Schluss einen guten Eindruck hat, aber sich immer noch nicht ganz sicher ist.
So, jetzt kommt, was hier abgeht. So ein Filipino hat in Redondo eine Party geschmissen, Pat Alvarez, kennst du ihn noch aus der Katholischen? Und da taucht Wendy Snatch in Onionskin-Jeans und nippelfreiem Saaami-BH auf und fängt an, sich auf Gophers Schoß zu reiben. Er hat irgendwie versucht, sie wegzuschieben, aber sie sagt, vielleicht möchtest du ja, dass deine Freundin und ich ein bisschen miteinander rumhuren, und dabei PIKST sie ihm praktisch die ganze Zeit ihren Nippel ins Auge, so eine EKLIGE, riesige rosa Weiße-Mädchen-Brustwarze. Gopher guckt mich an, so: Ja, von mir aus könnt ihrs miteinander treiben, oder auch nicht, ist total in Ordnung, macht bloß keine Szene. Und diese ganzen Filippo-Mädels, die gerade an der Irvine Examen gemacht haben, lecken sowieso im Wohnzimmer wie verrückt aneinander rum, um irgendeinen Weißen zu beeindrucken (aber nicht Gopher), also habe ich ihr geteent: ICHGLAUB,EHERNICHT, WENDYSNATCH. Bloß nicht in GROSSBUCHSTABEN, sondern eher so nein danke, und übrigens ist das mein FREUND, an dem du grade rumreibst. Und da geht sie doch glatt KÖRPERLICH auf mich los und TEXTET: »Ach, ich dachte, du wärst Lesbe, weil du auf dem Elderbird warst, ich wusste ja nicht, dass du auch Feminazi bist«, und ich so: »Auch wenn ich die größte Lesbe Amerikas wär, dich würde ich selbst mit ner Scheißzange nicht anfassen«, und was glaubst du, wo sie am Ende der Party gelandet ist? In der Badewanne, wo Pat Alvarez sie mit drei Freunden in den Arsch gefickt und ihr ins Gesicht gepisst hat, und sie haben alles aufgenommen und am nächsten Tag auf GlobalTeens gestellt. RATEMAL, wie ihr Ranking danach hochging? Charakter 764, Fickfaktor 800+. Was läuft bloß FALSCH bei den Leuten?
2. Juni
CHUNG. WON. PARK AN EUNI-DIOTIN UNTERWEGS:
Eunhee,
gestern gekommen dein Aufnametest. Sally will Brief versteken vor mir. Dein Punkte 158. Sehr niedrig. Damit kannst du nicht mal Jura an Rutgers. Ich sehr entäuscht das du nicht mehr Punkte als lezte mal. Das heist du nicht genug lernen dafür. Ich weiß, manchmal Leben ist Mist, aber du bist vierunzwanzig. Großes Mädchen. Kann dich nicht mehr schieben. Du musst lernen, und wenn du lernst, du darfst nicht anderes machen! Nebenher netten Jungen treffen. Aber dabei du musst immer Vorsicht sein, weil du bist Frau. Nicht Geheimnis weggeben. Gibt es in Rom auch koreanisch Junge? Bitte vergib mein schrecklich Englisch.
Ich Liebe dich,
Mommy
PS: Daddy sagt ich soll nicht sagen Ich Liebe dich, weil ich verwöhne dich und Koreanisch Eltern sagen nicht Liebe dich zu Kindern, aber ich Liebe dich aus tiefem Herzen, also ich sag auch!
EUNI-DIOTIN UNTERWEGS AN CHUNG. WON. PARK:
Mom, überweise bitte zehntausend Yuan-gekoppelte Dollar auf mein AlliedWasteCVSCitigroupCredit-Konto. Ich mache die Aufnahmeprüfung nochmal, wenn ich wieder da bin. Ethel Kim hat bloß 154 Punkte geschafft, und die hat vorher drei Vorbereitungskurse belegt, also was soll’s. Ich bin gar nicht so schlecht. Es ist ziemlich schwierig, hier zu arbeiten, man braucht nämlich einen permesso soggiorno, das ist so was wie eine Green Card, und Amerikaner können sie hier nicht ausstehen. Sonst müsste ich als Au-pair arbeiten oder so. Ich helfe schon drei Stunden die Woche freiwillig in einem Flüchtlingslager. Hast du Daddy davon erzählt? Nein, in Rom gibt es keine koreanischen Jungs. Rom liegt in Italien. Guck mal auf eine Landkarte.
3. Juni
CHUNG. WON. PARK AN EUNI-DIOTIN UNTERWEGS:
Eunhee,
wo für du glaubst du hast Mommy? Egal welche Ärger du hast du schreibst mir, nicht nur wenn du Geld brauchst. Wenn du Rechtsanwalt, Mommy stolz auf dich und du bittest nicht mehr nach Geld. Dann du bist auch stolz weil du Mommy und Familie hilfst. Familie ist am wichtigsten, wofür sonst GOTT