Superkapitalismus - Robert Reich - E-Book

Superkapitalismus E-Book

Robert Reich

4,7

Beschreibung

Früher gab es einfach nur Kapitalismus. Heute gibt es den Superkapitalismus. Unter dem Druck der globalen Konkurrenz und der Finanzmärkte haben die einzelnen Unternehmen an Macht verloren, hat die Wirtschaft insgesamt an Dynamik und Stärke gewonnen. Sie expandiert und nutzt alle Mittel, bemächtigt sich der Politik und gefährdet so die Demokratie. Dieser Konflikt steckt in jedem von uns.Wir sind Anleger und Verbraucher und als solche werden wir von der Wirtschaft gut bedient. Zugleich sind wir Bürger und spüren die Schwäche der von der Wirtschaft dominierten Politik. Robert Reich ruft dazu auf, unsere bürgerlichen Interessen wieder klar zu erkennen und den Superkapitalismus aus der Politik zu verbannen.

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LESEPROBE

Reich, Robert

Superkapitalismus

Wie die Wirtschaft unsere Demokratie untergräbt

LESEPROBE

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Impressum

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Copyright © 2008. Campus Verlag GmbH

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E-Book ISBN: 978-3-593-40434-9

|5|Im Gedächtnis an Mildred Reich

|9|Vorwort zur deutschen Ausgabe

Die Revolution in Wirtschaft, Demokratie und Alltag

Ein Blick auf den Superkapitalismus der USA zu Beginn des 21. Jahrhunderts vermittelt Ihnen einen Eindruck davon, wie Deutschland in zehn Jahren aussehen wird. In den USA ist der Superkapitalismus am weitesten entwickelt, doch der Rest der Welt hat denselben Weg eingeschlagen. Von allen Industrienationen weisen die USA die größte Ungleichverteilung von Einkommen und Wohlstand auf, doch die Einkommensschere geht auch in den anderen Nationen immer weiter auseinander, da Globalisierung und technologischer Wandel die Arbeitsmärkte weltweit spalten. Im Vergleich zu ihren Mitarbeitern verdienen US-Vorstandsvorsitzende mehr denn je, doch die Vorstandsvorsitzenden anderer Länder holen auf, da der Arbeitsmarkt für Topmanager immer globaler wird. Die Arbeitsplatzunsicherheit ist in den USA größer als in anderen Industrienationen, doch diese Entwicklung hat längst auch den Rest der Welt erfasst. Die USA verbrauchen weltweit die meisten Rohstoffe und sind der größte Umweltverschmutzer, doch der Abstand zu Ländern wie China, Indien und der Europäischen Union verringert sich. In den USA leiden mehr Menschen unter Übergewicht, doch auch hier holen andere Länder auf.

Kritiker beschuldigen gern die USA für Fehlentwicklungen, sprechen von der »amerikanischen Krankheit« oder beklagen, dass die USA dem Rest der Welt »ihr System« aufzwängen. Doch das ist ein naives und gefährliches Missverständnis. Der wahre Schuldige |10|ist der Superkapitalismus, ein immer stärker werdendes Wirtschaftssystem, in dem Verbraucher und Anleger immer mehr Macht haben und Arbeitnehmer und Bürger immer weniger.

Dieser Superkapitalismus ist jedoch eine paradoxe Erscheinung, denn wir sind in der Regel nicht nur Arbeitnehmer und Bürger, sondern auch Verbraucher und in wachsendem Maße Anleger. Die Machtverschiebung von Arbeitnehmern und Bürgern zu Verbrauchern und Anlegern, die wir in den letzten Jahren beobachten konnten, ist also auch eine Verschiebung in uns selbst und hat einen Wandel unserer Weltsicht, unserer Prioritäten, unseres Alltags und unserer gesamten Gesellschaft zur Folge. Immer häufiger sehen wir uns an erster Stelle als Verbraucher und Anleger und sind als solche unablässig auf der Suche nach den bestmöglichen Kaufangeboten und Anlagemöglichkeiten.

Der Superkapitalismus hat unsere Spielräume als Verbraucher und Anleger radikal vergrößert und ermöglicht es uns, in aller Welt nach Schnäppchen zu suchen. Den Preis dafür bezahlen wir als Arbeitnehmer und Bürger. Unsere Arbeitsplätze und Löhne werden immer unsicherer, und wir sind immer weniger imstande, unsere Rolle als Bürger auszufüllen.

In vielen Ländern der Welt ging dem Superkapitalismus ein Wirtschaftsmodell voraus, in dem Kapitalismus, Sozialismus und Demokratie eine wie immer geartete Verbindung eingingen. In den USA nannte sich dieses Modell »demokratischer Kapitalismus«, in Deutschland war es die »soziale Marktwirtschaft«. Wie immer man dieses System nennen mag, es handelte sich um eine Mischung aus freier Marktwirtschaft, sozialer Absicherung und demokratischen Prozessen. Diese »Mischwirtschaften« waren enorm erfolgreich, sie ließen weite Teile der Bevölkerung am Wohlstand teilhaben und boten ihren Bürgern ein hohes Maß an Sicherheit.

Doch dank der neuen Technologien haben Verbraucher und Anleger in den vergangenen Jahren eine geradezu grenzenlose Vielfalt neuer Wahlmöglichkeiten hinzugewonnen. Die Folge war |11|eine Stärkung der freien Märkte und eine Schwächung der sozialen Sicherungssysteme.

Die Antwort kann nicht darin bestehen, den globalen Konzernen mehr »soziale Verantwortlichkeit« abzuverlangen oder zu erwarten, dass Nichtregierungsorganisationen einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz schaffen. Im Zeitalter des Superkapitalismus können es sich global agierende Konzerne gar nicht leisten, sozial verantwortlich zu handeln, da Kunden und Investoren anspruchsvoll sind und die Konkurrenz groß ist. Nichtregierungsorganisationen sind nützliche Einrichtungen, doch sie können kein Ersatz für demokratische Prozesse sein, in denen wir als Arbeitnehmer und Bürger die Vorstellungen unserer Gesellschaft formulieren.

Wie ich auf den folgenden Seiten ausführen werde, muss die Antwort vielmehr darin bestehen, den Unternehmen so viel Spielraum im Konkurrenzkampf zu lassen, wie sie im Superkapitalismus benötigen, um uns als Verbraucher und Anleger auf diese Weise die bestmöglichen Angebote unterbreiten zu können. Doch sie muss auch darin bestehen, die Demokratie vor dem Superkapitalismus zu schützen und den Einfluss der Unternehmensgelder und der Lobbyisten einzuschränken, sei es in Washington, Brüssel, Berlin, Tokio, Peking, Seoul, New Delhi, Sydney oder an jedem anderen Ort, an dem die repräsentative Demokratie unsere Werte als Arbeitnehmer und Bürger zum Ausdruck bringt.

|13|Einleitung

Das Paradox

Im März 1975 nahm Milton Friedman eine Einladung des chilenischen Diktators Augusto Pinochet an, der rund 18 Monate zuvor die demokratisch gewählte Regierung von Salvador Allende gestürzt hatte, und reiste nach Chile. Die US-Presse kritisierte Friedman für seine Reise, doch es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der Wirtschaftswissenschaftler Pinochets Militärputsch guthieß. Er wollte vielmehr die chilenische Junta überzeugen, Reformen im Sinne der freien Marktwirtschaft durchzuführen, die Regulierung der Wirtschaft und die Auswüchse des Sozialstaats aus den Zeiten der Demokratie zurückzunehmen und sich dem Welthandel und den internationalen Investitionen zu öffnen. In einer Vortragsreihe, die er in Chile hielt, wiederholte Friedman seine Überzeugung, dass freie Märkte die notwendige Voraussetzung für politische Freiheit und stabile Demokratien sind. Pinochet hielt sich an Friedmans wirtschaftliche Ratschläge, doch er setzte seine brutale Diktatur noch weitere 15 Jahre lang fort. Die beiden Männer starben kurz nacheinander Ende 2006.

*

Die Vereinigten Staaten von Amerika gelten gemeinhin als der beste Beweis für die Vorstellung, dass Kapitalismus und Demokratie Hand in Hand gehen.1 Doch seit Friedmans Chilereise ist das Verhältnis angespannter geworden: Die Marktwirtschaft hat gesiegt, doch die Demokratie ist geschwächt.

Seit den 70er Jahren des vergangenen Jahrhunderts befindet sich |14|die Wirtschaft der Vereinigten Staaten im Aufschwung, trotz dreier Rezessionen. Verbraucher haben heute eine große Vielfalt neuer Produkte zur Auswahl, wie Computer, MP3-Player, Antidepressiva und Hybridfahrzeuge, um nur einige wenige zu nennen. Standardgüter und -dienstleistungen haben sich inflationsbereinigt verbilligt. Die Gesundheitsversorgung ist teurer geworden, doch US-Bürger leben heute im Durchschnitt fünfzehn Jahre länger als noch 1950, vor allem dank neuer Medikamente und medizinischer Apparate.

Unternehmen wurden sehr viel effizienter und der Aktienmarkt explodierte regelrecht. Im Jahr 1975 stand der Aktienindex Dow Jones noch bei 600 Punkten, wo er sich lange mehr oder weniger unverändert gehalten hatte. Im Oktober 2006 durchbrach er die Marke von 12000 Punkten und im April 2007 wurden erstmals 13000 Punkte erreicht. Auch die Inflation ist seit Anfang der 80er Jahre weitgehend unter Kontrolle.

Diese Erfolge wiederholten sich auch in anderen Ländern der Welt. Im Wettstreit mit dem Kommunismus hat der Kapitalismus die Oberhand behalten und sich nahezu über den gesamten Erdball ausgebreitet. Die meisten Nationen sind heute Teil eines einzigen, integrierten und globalen Handelssystems. Osteuropa ist mit dem kapitalistischen Europa verschmolzen und Russland entwickelt sich zu einer ernst zu nehmenden kapitalistischen Macht. China ist zwar offiziell weiterhin kommunistisch, doch in Wirklichkeit haben wir es inzwischen mit einem kapitalistischen Kraftwerk zu tun. Vermutlich würde kaum jemand dem Kapitalismus seinen Erfolg absprechen wollen.

Allerdings weisen viele Beobachter zu Recht darauf hin, dass dieser Erfolg mit einer zunehmenden Ungleichverteilung von Einkommen und Wohlstand einhergeht. Dazu kommen weitere Probleme wie die wachsende Arbeitsplatzunsicherheit und Umweltbedrohungen wie die Erderwärmung. Genau genommen sind diese Probleme jedoch nicht auf ein Versagen des Kapitalismus zurückzuführen. Die Aufgabe des Kapitalismus besteht darin, den Kuchen |15|zu vergrößern. Wie dieser Kuchen jedoch zwischen der Privatwirtschaft und der Allgemeinheit verteilt wird und ob davon beispielsweise private Computer oder staatliche Maßnahmen zur Luftreinhaltung finanziert werden, das entscheidet die Gesellschaft. Dies ist die Aufgabe der Demokratie.

Demokratie bedeutet weit mehr als freie und gerechte Wahlen. Demokratie, so wie ich sie verstehe, ist ein System, das Dinge ermöglicht, wie sie nur die Gemeinschaft leisten kann: Spielregeln zu schaffen, die auf das Gemeinwohl abzielen. Diese Spielregeln können sich natürlich auch auf die Geschwindigkeit des Wirtschaftswachstums auswirken. Regeln, die den Kuchen in gleiche Stücke aufteilen, verringern den individuellen Anreiz zu sparen, zu investieren und zu erneuern. Andere Regeln sind möglicherweise besser geeignet, das Wirtschaftswachstum anzukurbeln. Die Demokratie sollte uns in die Lage versetzen, solche Abwägungen vorzunehmen und ein Gleichgewicht aus Wachstum und Gerechtigkeit herzustellen und andere gesellschaftliche Ziele zu formulieren.

Doch die Demokratie hat heute Schwierigkeiten, diese grundlegenden Aufgaben wahrzunehmen. Mit zunehmender Ungleichverteilung wurden die Instrumente immer schwächer, mit denen die US-Gesellschaft diese einst abpufferte: etwa die progressive Besteuerung, ein funktionierendes staatliches Bildungssystem und starke Gewerkschaften. Mit zunehmender Arbeitsplatzunsicherheit wurde auch das System der sozialen Sicherung immer schwächer. Immer mehr Bürger haben keine Krankenversicherung. Die Vereinigten Staaten scheinen außerstande, die Maßnahmen einzuleiten, die zum Klimaschutz notwendig wären. Viele US-Bürger sind besorgt angesichts der Verrohtheit und Brutalität eines guten Teils der Gegenwartskultur und beklagen den Verlust der städtischen Gemeinschaft. In all diesen Punkten war die Demokratie nicht in der Lage, effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen oder auch nur eine Diskussion darüber anzustoßen, welcher Interessensausgleich und welche Opfer dazu erforderlich wären.

Der Kapitalismus reagiert heute besser auf unsere individuellen |16|Bedürfnisse als Verbraucher, doch die Demokratie reagiert schlechter auf unsere gemeinschaftlichen Bedürfnisse als Bürger. Es entsteht ein Gefühl der Machtlosigkeit, das in Umfragen immer deutlicher zum Ausdruck kommt. Im Jahr 1964 hatten nur 36 Prozent aller Bürger das Gefühl: »Den Politikern ist es egal, was Menschen wie ich denken.« Im Jahr 2000 waren es mehr als 60 Prozent. Im Jahr 1964 waren zwei Drittel der US-Bürger der Ansicht, die Regierung vertrete die Interessen aller Bürger, und nur 29 Prozent meinten, »die Regierung wird von wenigen Großinteressen bestimmt, die sich nur um ihre eigenen Belange kümmern«. Im Jahr 2000 hatte sich das Verhältnis beinahe umgekehrt.2

Warum ist der Kapitalismus so stark und die Demokratie so schwach geworden? Besteht ein Zusammenhang zwischen diesen beiden Entwicklungen? Lässt sich die Demokratie wieder stärken, und wenn ja, wie?

*

Auch wenn eine Zusammenfassung immer die Gefahr der übermäßigen Vereinfachung birgt, möchte ich meine Argumentation an dieser Stelle grob umreißen. In den letzten Jahrzehnten hat sich Macht weg von den Bürgern hin zu Verbrauchern und Anlegern verschoben. Nach der Weltwirtschaftskrise und dem Zweiten Weltkrieg standen die Wirtschaft und die Demokratie der Vereinigten Staaten gestärkt da. Das Land erlebte einen beispiellosen Wohlstand, an dem weite Teile der Bevölkerung teilhatten. Es war zwar kein Goldenes Zeitalter, denn Frauen und Minderheiten waren nach wie vor Bürger zweiter Klasse und die Kommunistenjagd fügte der Politik schweren Schaden zu. Doch sämtliche Einkommensgruppen und sozialen Klassen zählten zu den Gewinnern, die Ungleichverteilung von Einkommen und Wohlstand verringerte sich, und es entstand eine sehr viel breitere Mittelschicht. Mit einiger Zeitverzögerung setzte dieselbe Entwicklung auch in Europa und Japan ein. Die meisten Bürger gaben an, Vertrauen in die Demokratie zu haben, während sie ihre neuen Eigenheime mit Geschirrspülmaschinen, Kühlschränken, Fernsehern und Stereoanlagen |17|einrichteten und ihre nagelneuen Straßenkreuzer in der Hauseinfahrt parkten. Kapitalismus und Demokratie schienen ein Tandem zu bilden und miteinander zu verschmelzen. Der demokratische Kapitalismus der USA wurde zum Modell für die Welt und zum historischen Gegenentwurf zum Sowjetkommunismus.

Die Produktion von Gütern und Dienstleitungen war sehr viel berechenbarer und stabiler als heute. Vor allem konzentrierte sie sich auf eine überschaubare Anzahl von Großkonzernen. So gab es etwa auf dem Automobilsektor die drei Giganten General Motors (GM), Ford und Chrysler (die »großen Drei«). Um profitabel produzieren zu können, benötigten diese riesigen Unternehmen berechenbare Verhältnisse, Stabilität und eine weitgehende Abschaffung des Wettbewerbs. Sie waren außerdem auf eine motivierte Arbeiterschaft angewiesen, denn Streiks oder Ausstände hätten den reibungslosen Ablauf behindert, auf den diese Unternehmen angewiesen waren. Daher erklärten sich diese Konzerne bereit, ihre Arbeitnehmer, die vielfach nach Branchen in Gewerkschaften organisiert waren, in größerem Umfang an ihren Gewinnen teilhaben zu lassen. Diese Giganten spielten eine so große und wichtige Rolle in der amerikanischen Wirtschaft, dass sie auch auf die Unterstützung der Öffentlichkeit angewiesen waren. Also handelten sie mit der Regierung aus, inwieweit die Gewinne des Wirtschaftswachstums verteilt werden sollten und wie Arbeitsplätze gesichert, Standortregionen unterstützt und schließlich auch die Umwelt geschützt werden konnten. Diese Einigungen wurden teils über staatliche Regulierungsbehörden erzielt, teils schlugen sie sich in der Gesetzgebung nieder. Manchmal wurden sie auch durch die Vermittlung von Vorstandsvorsitzenden erreicht, die seinerzeit oft eine staatsmännische Rolle wahrnahmen. Das Ergebnis war ein ungefährer Ausdruck dessen, was man seinerzeit unter dem Begriff Gemeinwohl verstand.

Der Preis für dieses relativ stabile und gerechte System war eine Einschränkung der Wahlmöglichkeiten für Verbraucher und Anleger. Bessere Produkte oder Anlageformen waren kaum zu finden, |18|größere Produktinnovationen waren rar. Die Heckflossen der Straßenkreuzer wurden immer länger, die Kühlergrille immer barocker und die Chromleisten immer breiter, doch unter der Motorhaube blieb alles beim Alten. Mein Vater war ein treuer Plymouth-Fahrer, doch er gab gern zu, dass es im Grunde keine Rolle spielte, welches Auto er fuhr. Auch Anleger verhielten sich eher passiv und wechselten ihre Anlagen nur selten. Es gab auch kaum einen Grund dafür, denn sämtliche Investitionen versprachen mehr oder minder dieselben bescheidenen Gewinne. Der Dow Jones Index dümpelte vor sich hin.

Seit den 70er Jahren hat sich die Landschaft radikal verändert. Großkonzerne agierten sehr viel konkurrenzorientierter, globaler und innovativer. Es entstand etwas, das ich Superkapitalismus nenne. Von diesem Wandel haben wir als Verbraucher und Anleger sehr profitiert. Als Bürger haben wir jedoch an Boden verloren. Dieser Wandel begann, als die Technologien, die in den Rüstungsprogrammen des Kalten Krieges entwickelt worden waren, der zivilen Nutzung zugeführt wurden. Dies eröffnete Möglichkeiten für neue Wettbewerber im Transportwesen, in der Kommunikation, der Produktion und der Finanzierung. Damit wurde das stabile Produktionssystem aufgebrochen, was dazu führte, dass Unternehmen ab Ende der 70er Jahre immer stärker um Kunden und Anleger in Wettbewerb treten mussten. Die Kaufkraft der Verbraucher wurde durch Großmarktriesen wie Wal-Mart gestärkt, die ihre Marktstellung nutzten, um die Preise ihrer Zulieferer zu drücken. Die Macht der Anleger wurde durch große Renten- und Investitionsfonds gebündelt und gestärkt, was die Unternehmen zwang, höhere Gewinne zu erzielen.

Das führte dazu, dass Verbraucher und Anleger mehr Auswahl hatten und bessere Angebote wahrnehmen konnten. Dagegen verschwanden die Einrichtungen, die zuvor über die Verteilung des Wohlstands gewacht und die Werte der Bürgergesellschaft geschützt hatten. Großkonzerne, die ganze Branchen beherrschten, verloren an Macht, und den Gewerkschaften liefen die Mitglieder |19|davon. Der Einfluss der Regulierungsbehörden wurde beschnitten. Vorstandsvorsitzende verloren ihre Rolle als staatsmännische Unternehmensführer. Der immer schärfere Wettbewerb der Unternehmen griff schließlich auch auf die Politik über: Die Politiker kümmerten sich immer weniger um die Städte und Gemeinden in ihren Wahlbezirken und immer mehr um das Sammeln von Wahlkampfspenden. Schwärme von Lobbyisten fielen über Washington und andere Hauptstädte der Welt her, um Gesetze zu bewirken, die ihnen einen Wettbewerbsvorteil verschafften (oder einen Nachteil abwendeten). Diese Interessenvertreter erhielten immer größeren Einfluss auf politische Entscheidungen. So kam es, dass der Superkapitalismus den demokratischen Kapitalismus verdrängte.

Um die Hintergründe dieser Entwicklung zu verstehen und Möglichkeiten für eine Erneuerung der Demokratie zu erkennen, ist eine detaillierte Untersuchung der strukturellen Veränderungen innerhalb der politischen Ökonomie erforderlich. In den folgenden Kapiteln sollen verschiedene weitere Fragen geklärt werden, etwa warum Vorstandsvorsitzende zu Superstars werden konnten und warum dies früher nicht der Fall war. Warum Inflation heute eine geringere Bedrohung darstellt als vor drei oder vier Jahrzehnten. Oder warum Gesetzgebung zum Schutz vor Kartellen und Monopolen heute weniger wichtig ist. Außerdem gehe ich darauf ein, warum Washington und andere Hauptstädte heute von so viel mehr Lobbyisten und Unternehmensanwälten bevölkert werden als vor drei Jahrzehnten, obwohl es heute scheinbar sehr viel weniger Gründe dafür gibt (schließlich ist die Staatsquote am Bruttoinlandsprodukt zurückgegangen, die Macht der Regulierungsbehörden ist geschwunden, und die Gewerkschaften sind nur noch ein Schatten ihrer selbst). Ich untersuche, warum Politiker von Unternehmen Patriotismus einfordern, obwohl diese immer internationaler agieren müssen, wenn sie im Wettbewerb bestehen wollen. Und warum immer mehr über die soziale Verantwortung von Unternehmen geredet wird, obwohl Unternehmen nie als soziale Einrichtungen gedacht waren und heute weniger denn je als solche fungieren können.

|20|Ich werde auch einige Scheinheiligkeiten erklären: Etwa, warum sich jemand einerseits über den Lohnverfall aufregen und gleichzeitig den besten Schnäppchen aus Indien oder China hinterherjagen kann. Warum jemand das Verschwinden der unabhängigen Einzelhändler und Ladengeschäfte in der Innenstadt beklagen und gleichzeitig in Megamärkten oder im Internet einkaufen kann. Warum sich jemand Sorgen um die Erderwärmung machen und ein spritfressendes SUV fahren kann. Und warum Politiker gern öffentlich mit dem Finger auf Vorstandsvorsitzende zeigen (zum Beispiel Vorstände von Energiekonzernen, die immense Gewinne erzielen, Vorstände der Tabakindustrie, die Jugendliche zum Rauchen verführen, oder Vorstände, deren High-Tech-Unternehmen in China die Menschenrechte mit Füßen treten) ohne Gesetze zu erlassen, die deren Aktivitäten einschränken würden.

Schließlich ziehe ich einige möglicherweise überraschende Schlussfolgerungen – etwa die, dass eine Verschärfung der Grundsätze verantwortlicher Unternehmensführung (corporate governance) dazu führt, dass Unternehmen weniger sozial verantwortlich handeln. Ich zeige, warum die Forderung nach mehr Demokratie im Unternehmen eine Illusion ist. Warum die Besteuerung von Unternehmensgewinnen abgeschafft werden sollte. Warum Unternehmen nicht strafrechtlich verfolgt werden sollten. Und warum Aktionäre davor geschützt werden sollten, dass eine Aktiengesellschaft ohne ihre Zustimmung Geld für politische Zwecke ausgibt.

Obwohl mein Hauptaugenmerk den Vereinigten Staaten gilt, haben die Veränderungen, die hierzulande stattgefunden haben, auch andernorts zu ähnlichen Veränderungen geführt. Auf der ganzen Welt haben die Menschen heute mehr Möglichkeiten, ihre Konsumbedürfnisse zu befriedigen und von Investitionen zu profitieren, doch auf der ganzen Welt geht diese neue Freiheit der Verbraucher und Anleger einher mit einer Einschränkung ihrer Möglichkeiten als Bürger. Auch in anderen Ländern fällt es Demokratien immer schwerer, einen neuen Begriff des Gemeinwohls zu finden und nach diesem zu handeln. Umfragen in Deutschland, Großbritannien|21|, Spanien, Belgien, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Irland und Japan zeigen, dass die Bürger dieser Länder sich beinahe so machtlos fühlen wie die der USA.3

Wie Milton Friedman darlegte, ist der Kapitalismus mit großer Wahrscheinlichkeit eine Voraussetzung der Demokratie. Demokratie erfordert privatwirtschaftliche Machtpole, die unabhängig sind von einer Zentralmacht. Nur so ist es möglich, dass Menschen gleichzeitig der staatlichen Sicht der Dinge widersprechen und ihre Familien ernähren können. Doch die Demokratie ist umgekehrt nicht unbedingt eine Vorbedingung für die Entwicklung des Kapitalismus, wie wir in den letzten Jahrzehnten vor allem in Südostasien beobachten konnten. China, die nach den USA zweitgrößte kapitalistische Nation der Welt, dessen Volkswirtschaft bei gleichbleibendem Wachstum die der USA in zwanzig Jahren überflügelt haben wird, hat zwar den freien Markt zugelassen, nicht aber politische Freiheiten. Der freie Markt ist essenzielle Voraussetzung für Chinas wirtschaftlichen Erfolg: Solange die Bürger keine Eigentumsrechte haben und freien Handel treiben können, ohne befürchten zu müssen, dass der Staat ihre Güter konfisziert, haben sie keinerlei Anreiz, zu sparen und zu investieren. Nur wenn sie wissen, dass das Spiel des Kapitalismus nicht mit gezinkten Karten gespielt wird, sind sie bereit, ihr Bestes zu geben. Politische Freiheit scheint dafür jedoch keine Voraussetzung zu sein. Einige Beobachter vertreten zwar die Auffassung, dass China sich irgendwann hin zu einem demokratischen Kapitalismus entwickeln wird. Andere sind jedoch der Ansicht, dass China ein neues System verkörpert, das man als autoritären Kapitalismus bezeichnen könnte.4

Heute bezeichnen sich weit mehr Nationen als »Demokratien« als noch vor dreißig Jahren. Die früheren osteuropäischen Satelliten der Sowjetunion sind zu unabhängigen Demokratien geworden. Russland selbst ist formell ein demokratischer Staat. Viele der früheren europäischen Kolonien in Afrika und Asien bezeichnen sich heute als Demokratien, ebenso wie lateinamerikanische Staaten. Vor drei Jahrzehnten fanden in einem Drittel aller Nationen |22|der Welt freie Wahlen statt, heute sind es beinahe zwei Drittel. In den 70er Jahren kannten weniger als fünfzig Länder die bürgerlichen Freiheiten, die wir mit einer Demokratie in Verbindung bringen, Ende des zwanzigsten Jahrhunderts waren es rund neunzig.5

Diese Zahlen machen Mut, solange wir nicht genauer hinsehen. Viele dieser Länder sind nämlich nur dem Namen nach Demokratien. Sie leiden unter denselben Problemen, die in den letzten Jahren die US-Demokratie behindert haben, nur intensiver: Korruption, die Herrschaft kleiner Cliquen oder eine Einparteienherrschaft. Keine dieser sogenannten Demokratien ist in der Lage, effektiv mit den negativen Nebenwirkungen des Superkapitalismus umzugehen.

*

Meine Darstellung läuft einigen verbreiteten Ansichten zuwider. Einige Beobachter begründen den Triumph des Kapitalismus und die Schwächung der Demokratie mit dem Aufstieg global agierender Konzerne, die so mächtig seien, dass sie Nationen gegeneinander ausspielen und Politiker kaufen könnten, um den Reichtum ihrer Aktionäre zu mehren. Gegen diese These spricht, dass die globalen Konzerne heute weit weniger Macht haben als noch vor drei Jahrzehnten. Damals gab es in den Vereinigten Staaten drei große Automobilhersteller, die informell Preise und Investitionen miteinander absprachen. Heute stellen mindestens sechs große Konzerne ihre Fahrzeuge in den USA her, die ihren Konkurrenzkampf mit harten Bandagen führen. Vor drei Jahrzehnten gab es in den USA lediglich drei landesweite Fernsehanstalten, eine riesige Telefongesellschaft und eine Hand voll Filmstudios. Heute konkurrieren Tausende Unternehmen um den großen und sich ständig wandelnden Markt von Telekommunikation, High Tech und Unterhaltung. Vor drei Jahrzehnten brachten die Menschen ihr Geld auf eine der zwei oder drei Banken in ihrer Stadt, heute buhlen Tausende Finanzinstitute, darunter Investment- und Pensionsfonds, um unsere Ersparnisse. In sämtlichen Bereichen der Wirtschaft |23|verfügen typische Branchenvertreter heute über weit weniger Marktmacht als noch vor drei Jahrzehnten.

Natürlich sind einige Unternehmen sehr groß, und viele agieren in aller Welt. Doch der Konkurrenzkampf zwischen Unternehmen jeder Größe ist heute heftiger denn je. Die Weltwirtschaft kennt heute weit weniger Oligopole als noch vor wenigen Jahrzehnten und so gut wie keine Monopole, wenn man von denen des Staates einmal absieht. Die Macht, die riesige Konzerne einst innehatten, und die Planung und Produktion in gewaltigem Maßstab, sind Geschichte.

Politiker sind dagegen in den letzten drei Jahrzehnten nicht merklich korrupter, gieriger oder insgesamt verantwortungsloser geworden. In der Politik gibt es auch nicht mehr schwarze Schafe als in jeder anderen Berufsgruppe, auch wenn Letztere üblicherweise weniger Schlagzeilen machen. Doch in den vergangenen Jahrzehnten sahen sich Politiker weit mehr Lobbyisten gegenüber als je zuvor, und die Wahlkampagnen wurden immer teurer. Daher hat sich das Verhalten der Politiker geändert. Die immens gestiegenen Lobbyaktivitäten und Wahlkampfkosten sind jedoch nicht der gewachsenen Marktmacht einiger weniger Konzerne zuzuschreiben. Wie sich noch zeigen wird, liegt der Grund dafür im Gegenteil in der Schwächung ihrer Marktstellung.

Andere Theorien beschuldigen und / oder loben Ronald Reagan, Margaret Thatcher oder andere konservative Politiker der letzten Jahrzehnte, für die Stärkung des Kapitalismus und die Schwächung der Demokratie verantwortlich zu sein. Natürlich spielen Politiker eine wichtige Rolle, doch sie können wirtschaftliche und gesellschaftliche Veränderungen nur dann bewirken, wenn die Voraussetzungen für diese Veränderungen bereits gegeben sind oder ihnen außergewöhnliche Umstände entgegenkommen. Als Reagan die Präsidentschaft übernahm, war der wirtschaftliche Wandel bereits im Gange. Die Deregulierung hatte zahlreiche Branchen erfasst, lange bevor Reagan ins Weiße Haus einzog. Kleine, profitable Banken, Fluggesellschaften und High-Tech-Unternehmen hatten sich |24|bereits eine konkurrenzfähige Position erarbeitet und drängten auf die Abschaffung der staatlichen Regulierungen. Die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer war im Rückgang begriffen. Und die Zahl der Lobbyisten in Washington war gestiegen, um dann unter dem demokratischen Präsidenten Bill Clinton zu explodieren.

Eine letzte Theorie besagt schließlich, dass die USA und der Rest der Welt in den letzten Jahrzehnten von einer Denkrichtung beherrscht wurde, die wahlweise »Neoliberalismus«, »neoklassische Wirtschaftstheorie« oder »Neokonservatismus« genannt wird und die freien Handel, Deregulierung, Privatisierung und ganz allgemein mehr Markt und weniger Staat sowie mehr Effizienz und weniger Gleichheit fordert. Diese Denkrichtungen stammen genauso aus akademischen Kreisen wie die Theorie, sie hätten die Welt verändert, doch diese Wahrnehmung überschätzt die Bedeutung von akademischen Gedankengebäuden. Es stimmt zwar, dass Politiker gelegentlich auf den Rat von Wissenschaftlern hören, so wie Pinochet, als er Friedman nach Chile einlud. Aber um es mit den Worten des Wirtschaftswissenschaftlers John Maynard Keynes zu sagen: »Verrückte Machthaber, die Stimmen hören, brauen sich ihren Wahn aus den alten Schriften irgendeines akademischen Schreiberlings zusammen.«6 Die fraglichen akademischen Schreiberlinge hatten seit den Zeiten Adam Smiths im achtzehnten Jahrhundert mehr oder minder dasselbe geschrieben. Es kann durchaus sein, dass sie in den letzten Jahrzehnten größere Aufmerksamkeit gefunden haben, weil sie eine Veränderung erklärten und rechtfertigten, die längst im Gange war. Doch sie waren nicht der Grund für den Wandel, sondern bestenfalls ein Feigenblatt.

So verführerisch Geschichten über heroische oder heimtückische Vorstandsvorsitzende und Investoren, korrupte Politiker oder teuflische Ideenhändler klingen mögen, sie gehören ins Reich der-Märchen. Auch wenn einige dieser Gestalten besonders klug oder skrupellos sein mögen, spielen sie vor dem Hintergrund des großen Ganzen keine Rolle. Die Veränderungen, um die es hier geht, werden |25|nicht von Einzelnen bewirkt, sondern sind struktureller Natur. Auch Geschichten von unmoralischen Konzernen, die sich gegen die Öffentlichkeit verschwören, sind nichts als Schwarz-Weiß-Erklärungen. Unternehmen handeln weder moralisch noch unmoralisch. Jede solche Erklärung lenkt nur von den eigentlichen Fragen ab, sucht am falschen Ort nach Schuldigen und Helden und verhindert so eine wirkungsvolle Reform des Kapitalismus und der Demokratie.

Tatsache ist, dass die meisten von uns Verbraucher und Anleger sind und als solche immens vom Superkapitalismus profitieren. Konzerne wie Wal-Mart haben beispielsweise dafür gesorgt, dass zahlreiche Güter um einiges preisgünstiger zu erhalten sind, was uns als Verbrauchern sehr entgegenkommt. Der Erfolg von Wal-Mart schlägt sich auch in unseren Gewinnen als Anleger nieder. Doch wir sind nicht nur Verbraucher und Anleger, sondern auch Bürger, und als solche haben wir bestimmte Vorstellungen von sozialer Gerechtigkeit. Daher sind wir entsetzt über die niedrigen Löhne und schlechten Sozialleistungen. Wir sind erbost über die Art und Weise wie Wal-Mart seine Zulieferer knebelt und sie so zwingt, ihre eigenen Löhne und Sozialleistungen zu kürzen und die Produktion ins Ausland zu verlagern. Und wir beklagen das Verschwinden der unabhängigen Einzelhändler und Ladengeschäfte in unseren Innenstädten.

Doch die Manager von Wal-Mart oder jedes anderen Großkonzerns sind keineswegs außergewöhnlich brutal, abgebrüht, rücksichtslos oder gierig. Sie tun das, was sie nach den geltenden Spielregeln tun müssen: Sie machen ihren Kunden günstige Kaufangebote und mehren die Gewinne ihrer Aktionäre. Wie die Teilnehmer an jedem anderen Spiel tun sie alles, um zu gewinnen. Doch wie jedes Spiel Fairnessregeln benötigt, braucht auch die Wirtschaft Regeln, die von der Gesellschaft festgelegt werden müssen. Wenn die Gesellschaft etwas gegen die Methoden von Wal-Mart unternehmen will, muss sie die geltenden Regeln ändern. Theoretisch könnte der Staat Gesetze erlassen, die den Beschäftigten den Zusammenschluss |26|zu Gewerkschaften erleichtern, den Konzernen die Einzahlung in private Kranken- und Rentenversicherungen vorschreiben, den unabhängigen Einzelhandel vor den mächtigen Discounterketten schützen, und er könnte den Mindestlohn so festlegen, dass er den Beschäftigten ein gutes Auskommen ermöglicht. In der Folge müssten Wal-Mart und andere Großkonzerne vermutlich ihre Preise anheben und ihre Ausschüttung an Anleger reduzieren.

Ich persönlich wäre durchaus bereit, einige der Vorteile, die ich als Verbraucher und Anleger genieße, für soziale Zwecke zu opfern, vorausgesetzt, dass alle anderen mitziehen. Doch wie können wir neue Spielregeln festlegen? Der Markt hat großes Geschick darin entwickelt, uns als Verbraucher und Anleger zu bedienen. Die Demokratie hingegen reagiert immer weniger auf unsere Bedürfnisse als Bürger, die wir uns fairere Spielregeln wünschen. Wie wir noch sehen werden, liegt das vor allem daran, dass der Superkapitalismus auf die Politik übergreift. Das Geld, das Wal-Mart und andere Konzerne nach Washington pumpen, steht effektiven Änderungen im Wege.

Meiner Ansicht nach kann die Antwort nicht darin bestehen, die Unternehmen zu »gesellschaftlich verantwortlicherem« Handeln zu zwingen. Wenn wir Wal-Mart dafür beschimpfen, dass das Unternehmen seine Angestellten schlecht bezahlt, dann mag uns das emotional befriedigen, doch damit lassen wir die Kräfte außer Acht, die es dazu bringen, Löhne und Sozialleistungen zu drücken und seinen Kunden und Aktionären attraktive Angebote zu machen. Wie jeder andere kapitalistische Akteur hält sich Wal-Mart nur an die Spielregeln. Doch wir sollten diese Spielregeln vorgeben, und zwar solche, die unsere Werte als Bürger genauso wiederspiegeln wie unsere Werte als Verbraucher und Anleger.

*

Die Geschichte, die ich hier erzähle, ist weder technologisch noch wirtschaftlich fremdbestimmt. Wir haben unsere Zukunft zu einem großen Teil selbst in der Hand. Doch um die bestmöglichen Entscheidungen |27|treffen zu können und nicht in mythisches Denken zu verfallen, müssen wir die Vergangenheit und Gegenwart so gut wie möglich verstehen. Wir können und wollen nicht zum demokratischen Kapitalismus der 50er und 60er Jahre zurückkehren, doch wir können die Zukunft so gestalten, dass sie unseren Zielen und Interessen als Bürger besser gerecht wird.

Zunächst einmal müssen wir verstehen, wo die Grenze zwischen Kapitalismus und Demokratie verläuft – zwischen dem wirtschaftlichen Spiel und der Art und Weise, wie dessen Regeln festgelegt werden –, um diese Grenze besser schützen zu können. Unternehmen sind keine Bürger. Sie sind nichts als ein Geflecht von Verträgen. Ein Unternehmen hat die Aufgabe, das Spiel der Wirtschaft so aggressiv zu spielen wie möglich. Wir als Bürger müssen Unternehmen daran hindern, die Spielregeln selbst festzulegen. Das ist die Herausforderung. Es gibt nur einen einzigen konstruktive Weg der Veränderung: Wir müssen den Superkapitalismus daran hindern, auf die Demokratie überzugreifen. Alles andere ist Zeitverschwendung.

|28|Kapitel 1

Das Beinahe Goldene Zeitalter

Zwischen 1945 und 1975 fanden die Vereinigten Staaten von Amerika zu einem erstaunlichen Gleichgewicht zwischen Demokratie und Kapitalismus. Sie verbanden ein immens produktives wirtschaftliches mit einem weithin bewunderten politischen System. In diesen Jahren erreichten die USA ihre gerechteste Einkommensverteilung seit Einführung der statistischen Erhebungen. Es gab mehr gut bezahlte Arbeitsplätze als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt vorher oder nachher, und ein breiterer Anteil der Bevölkerung kam in den Genuss größerer wirtschaftlicher Sicherheit. Es ist vermutlich kein Zufall, dass die Bürger in diesen Jahren großes Vertrauen in die Demokratie und die Regierung hatten, und dass dieses Vertrauen in den folgenden Jahren stark abnahm.1 Dieser einmalige Erfolg stärkte die moralische Autorität des US-amerikanischen Systems in aller Welt. Im Gegensatz zum Sowjetkommunismus wurden die Vereinigten Staaten von Amerika zum Vorbild für politische Freiheit und den Wohlstand der Mittelschicht.

Die Grundlage der Wirtschaft war die Massenproduktion. Sie konnte profitabel sein, da die große Mittelschicht über ausreichende Kaufkraft verfügte, um die massenhaft hergestellten Erzeugnisse zu erwerben. Diese Mittelschicht wiederum verfügte über das nötige Geld, weil die Gewinne der Massenproduktion zwischen den Großkonzernen und ihren Zulieferern, Händlern und Angestellten aufgeteilt wurden. Die Verhandlungspositionen dieser einzelnen Gruppen wurden durch die Gesetzgebung weiter gestärkt. Fast ein Drittel aller Arbeitnehmer war gewerkschaftlich |29|organisiert. Durch Regulierung (der Eisenbahnen, Telefongesellschaften, Strom- und Wasserversorger) und durch Subventionen (Preisstützung, Straßenbau und staatliche Kredite) wurde der wirtschaftliche Erfolg über die gesamte Nation verteilt: auf Bauern, Veteranen, Kleinstädte und Kleinunternehmer. Auf diese Weise glich der Staat die wirtschaftliche Macht der Konzerne aus und verteilte deren Gewinne.

Doch ein Goldenes Zeitalter war es trotzdem nicht. Frauen und Minderheiten mussten nach wie vor für ihre Gleichstellung in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt kämpfen. In ländlichen Regionen und schwarzen Ghettos hielt sich die Armut. Die Außenpolitik, die scheinbar die Bedrohungen durch den Sowjetkommunismus abwehrte, stellte sich allzu oft in den Dienst der US-amerikanischen Großkonzerne und deren Bedarf an billigen ausländischen Gütern wie Bananen, Zinn oder Öl. Die Kommunistenhatz im Lande selbst gefährdete die bürgerlichen Freiheiten. Das Leben war einförmig, konformistisch und todlangweilig. Doch trotz all seiner Nachteile schien der demokratische Kapitalismus erstaunlich gut und immer besser zu funktionieren.

Um zu verstehen, was mit diesem Beinahe Goldenen Zeitalter passierte, müssen wir uns zunächst ansehen, wie es überhaupt entstehen konnte.

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Die Entwicklung setzte mit dem Ende des neunzehnten Jahrhunderts ein, als Großkonzerne die US-Demokratie auf eine harte Probe stellten. Diese Unternehmen brachten dem Land nicht nur neuen Wohlstand, sondern auch Sweatshops, Kinderarbeit und unsichere Arbeitsbedingungen. Sie monopolisierten ganze Branchen. Die beispiellose wirtschaftliche Machtstellung dieser Konzerne machte sie politisch unkontrollierbar. Die Öffentlichkeit in den USA suchte nach Möglichkeiten, um auf diese Situation zu reagieren.

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|72|Kapitel 2

Der Weg zum Superkapitalismus

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|119|Kapitel 3

Zwei Herzen in der Brust

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|174|Kapitel 4

Die überwältigte Demokratie

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|219|Kapitel 5

Politik auf Abwegen

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|272|Kapitel 6

Ein Wegweiser für Bürger

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|292|Anmerkungen

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|318|Dank

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|319|Namenregister

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