Systemische palliative Psychotherapie - Sandra Burgstaller - E-Book

Systemische palliative Psychotherapie E-Book

Sandra Burgstaller

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Beschreibung

Die individuelle Auseinandersetzung mit dem Tod ist eine anspruchsvolle Aufgabe, der letztendlich niemand entgeht. Wenn nur noch wenig Lebenszeit übrig bleibt, müssen wir uns der Endlichkeit des Lebens stellen. Die Systemische palliative Psychotherapie leistet einen bedeutsamen Beitrag zur Begleitung von Menschen mit schweren Erkrankungen im fortgeschrittenen Stadium. Systemische Sichtweisen und Interventionstechniken unterstützen anspruchsvolle Entwicklungsschritte, wenn es darum geht, das Leben abzuschließen. Sandra Burgstaller bietet dafür ein Transitionsmodell an, das Menschen darin anleitet, ihren Selbstwert zu stärken und hingebungsvolle Qualitäten in sich zu kultivieren. Es erleichtert den Umgang mit dem Sterben und ermöglicht eine selbstbestimmte Gestaltung des letzten Lebensabschnitts. Das Buch erläutert die im therapeutischen Prozess nützlichen Theorien, Modelle und Methoden. Es ermutigt professionelle Helferinnen und Helfer, sich gegenüber den Themen des Todes zu öffnen, und inspiriert sie, ihre eigene Haltung zu reflektieren. So wird es möglich, die verbleibende Lebenszeit von Klientinnen und Klienten authentisch und verantwortungsvoll zu begleiten.

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Systemische Therapie und Beratung

In den Büchern der Reihe zur systemischen Therapie und Beratung präsentiert der Carl-Auer Verlag grundlegende Texte, die seit seiner Gründung einen zentralen Stellenwert im Verlag einnehmen. Im breiten Spektrum dieser Reihe finden sich Bücher über neuere Entwicklungen der systemischen Arbeit mit Einzelnen, Paaren, Familien und Kindern ebenso wie Klassiker der Familien- und Paartherapie aus dem In- und Ausland, umfassende Lehr- und Handbücher ebenso wie aktuelle Forschungsergebnisse. Mit den roten Bänden steht eine Bibliothek des systemischen Wissens der letzten Jahrzehnte zur Verfügung, die theoretische Reflexion mit praktischer Relevanz verbindet und als Basis für zukünftige nachhaltige Entwicklungen unverzichtbar ist. Nahezu alle bedeutenden Autoren aus dem Feld der systemischen Therapie und Beratung sind hier vertreten, nicht zu vergessen viele Pioniere der familientherapeutischen Bewegung. Neue Akzente werden von jungen und kreativen Autoren gesetzt. Wer systemische Therapie und Beratung in ihrer Vielfalt und ihren transdisziplinären und multiprofessionellen Zusammenhängen verstehen will, kommt um diese Reihe nicht herum.

Tom LevoldHerausgeber der Reihe Systemische Therapie und Beratung

Sandra Burgstaller

Systemische palliative Psychotherapie

Wandlungsprozesse am Lebensende begleiten

Mit einem Vorwort von Tom Levold

2023

Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Carl-Auer Verlags:

Prof. Dr. Rolf Arnold (Kaiserslautern)

Prof. Dr. Dirk Baecker (Witten/Herdecke)

Prof. Dr. Ulrich Clement (Heidelberg)

Prof. Dr. Jörg Fengler (Köln)

Dr. Barbara Heitger (Wien)

Prof. Dr. Johannes Herwig-Lempp (Merseburg)

Prof. Dr. Bruno Hildenbrand (Jena)

Prof. Dr. Karl L. Holtz (Heidelberg)

Prof. Dr. Heiko Kleve (Witten/Herdecke)

Dr. Roswita Königswieser (Wien)

Prof. Dr. Jürgen Kriz (Osnabrück)

Prof. Dr. Friedebert Kröger (Heidelberg)

Tom Levold (Köln)

Dr. Kurt Ludewig (Münster)

Dr. Burkhard Peter (München)

Prof. Dr. Bernhard Pörksen (Tübingen)

Prof. Dr. Kersten Reich (Köln)

Dr. Rüdiger Retzlaff (Heidelberg)

Prof. Dr. Wolf Ritscher (Esslingen)

Dr. Wilhelm Rotthaus (Bergheim bei Köln)

Prof. Dr. Arist von Schlippe (Witten/Herdecke)

Dr. Gunther Schmidt (Heidelberg)

Prof. Dr. Siegfried J. Schmidt (Münster)

Jakob R. Schneider (München)

Prof. Dr. Jochen Schweitzer ✝ (Heidelberg)

Prof. Dr. Fritz B. Simon (Berlin)

Dr. Therese Steiner (Embrach)

Prof. Dr. Dr. Helm Stierlin ✝ (Heidelberg)

Karsten Trebesch (Berlin)

Bernhard Trenkle (Rottweil)

Prof. Dr. Sigrid Tschöpe-Scheffler (Köln)

Prof. Dr. Reinhard Voß (Koblenz)

Dr. Gunthard Weber (Wiesloch)

Prof. Dr. Rudolf Wimmer (Wien)

Prof. Dr. Michael Wirsching (Freiburg)

Prof. Dr. Jan V. Wirth (Meerbusch)

Themenreihe »Systemische Therapie und Beratung«

hrsg. von Tom Levold

Reihengestaltung: Uwe Göbel

Umschlaggestaltung: B. Charlotte Ulrich

Umschlagfoto: © Goumbik – pixabay.com

Redaktion: Veronika Licher

Satz: Drißner-Design u. DTP, Meßstetten

Printed in Germany

Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck

Erste Auflage, 2023

ISBN 978-3-8497-0470-4 (Printausgabe)

ISBN 978-3-8497-8426-3 (ePUB)

© 2023 Carl-Auer-Systeme Verlag

und Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg

Alle Rechte vorbehalten

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: https://www.carl-auer.de/

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Carl-Auer Verlag GmbH

Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg

Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22

[email protected]

Inhalt

Vorwort des Herausgebers

Einleitung

1 Systemische Therapie im Palliativbereich

1.1 Palliative Care

1.2 Systemische Therapie

1.2.1 Theoretische Grundlagen

1.2.2 Haltung

1.2.3 Methoden

1.3 Systemische palliative Psychotherapie

1.4 Reflexion über Sterben und Tod

2 Übergangsprozesse im theoretischen Diskurs

2.1 Phasenmodelle in Übergangsprozessen

2.1.1 Übergangsriten nach van Gennep und Turner

2.1.2 Heldenreise nach Campbell

2.1.3 Phasenmodelle in der systemischen palliativen Psychotherapie

2.2 Neurobiologische Grundlagen

2.2.1 Dreieiniges Gehirn nach MacLean

2.2.2 Die Polyvagal-Theorie nach Porges

2.2.3 Das Stresstoleranzfenster nach Siegel

2.2.4 Körperorientierung in der systemischen palliativen Psychotherapie

3 Transitionsprozesse im Palliativbereich

3.1 Begriffsklärung

3.2 Das palliative Transitionsmodell

3.2.1 Phase der Lebenssehnsucht

3.2.2 Phase der Todessehnsucht

3.2.3 Hingabebereitschaft und der Moment der Hingabe

3.2.4 Phase der Hingabe

3.3 Zwischen Ohnmacht und Stärke

3.3.1 Widerstand aus systemischer Sicht

3.3.2 Die Ich-Selbst-Verkörperung nach Essen

3.4 Transitionselemente

3.4.1 Verschlossenheit – Offenheit

3.4.2 Sinnlosigkeit – Demut

3.4.3 Misstrauen – Vertrauen

3.4.4 Abwesenheit – Präsenz

3.4.5 Abwertung – Selbstliebe

3.5 Der Selbstwert in Übergangszeiten

3.5.1 Begriffsklärung

3.5.2 Das Selbstwert-Modell

3.5.3 Der Selbstwert in der systemischen palliativen Psychotherapie

3.6 Rituale zur Gestaltung von Übergängen

3.6.1 Formen

3.6.2 Funktion

3.6.3 Gestaltungsmerkmale

3.6.4 Rituale in der systemischen palliativen Psychotherapie

4 Der Therapieprozess im palliativen Transitionsmodell

4.1 Beschreibung von Frau P.

4.2 Lebenssehnsucht

4.2.1 Veränderung der Identität

4.2.2 Lebenssehnsucht im Therapieverlauf

4.3 Todessehnsucht

4.3.1 Umgang mit schmerzlichen Emotionen

4.3.2 Trostquellen im Umgang mit schmerzlichen Emotionen

4.3.3 Todessehnsucht im Therapieverlauf

4.4 Hingabe

4.4.1 Drei Fragen zur Gestaltung der letzten Lebenszeit

4.4.2 Hingabe im Therapieverlauf

4.5 Reflexion und Nachbereitung des Therapieverlaufs

5 Weitere Therapieprozesse

5.1 Frau H. – Lebenssehnsucht

5.2 Herr F. – Lebens- und Todessehnsucht

5.3 Herr M. – Lebens-, Todessehnsucht und Hingabe

6 Conclusio

6.1 Kritische Betrachtung

6.2 Persönliche Reflexion

Gedichte

Verdrängter Schmerz

Meine größte Angst

Es gibt immer ein nächstes Mal

Jahreszeiten-beheimatet

Dank

Anhang

Reflexionsfragen zum Umgang mit Veränderungen

Drei Fragen zur Gestaltung der letzten Lebenszeit

Trostquellen im Umgang mit schmerzlichen Gefühlen

Reflexionsfragen zur Stärkung des Selbstwerts

Vorbereitung eines Transitionsrituals

Literatur

Über die Autorin

Vorwort des Herausgebers

Der systemische Ansatz hat in den vergangenen Jahrzehnten in vielen Praxisfeldern eine enorme Verbreitung erfahren. Mit systemischen Vorgehensweisen ist die Erwartung verbunden, in vergleichsweise kurzer Zeit effektiv und zukunftsbezogen Lösungen für problematische Wahrnehmungs-, Verhaltens- und Beziehungsmuster finden und dafür die Ressourcen von Systemen für allfällige Veränderungen mobilisieren zu können. Aber wie sieht es aus, wenn wir mit Menschen zu tun haben, denen die Zukunft gar nicht mehr offen steht? Wenn es eher um Abschied vom Leben, Trauer um das Nichtgelebte oder Nichtlebbare und den bevorstehenden Verlust geht? Wenn sich der Blick auf die unumkehrbare Vergangenheit und die damit verbundenen guten und schlechten Erfahrungen richtet oder die Ankunft des Todes nur noch Schmerz und Angst auslöst? Wenn es nicht mehr um Veränderung und Zielerreichung geht, sondern um Begleitung bei der Konfrontation, aber auch Aussöhnung mit dem Unveränderlichen?

Zwar sind Themen von Trauer und Verlust mittlerweile im systemischen Feld gut vertreten, aber zur palliativen Therapie gibt es bislang wenig zu lesen. Umso mehr freut mich als Herausgeber der Reihe Systemische Therapie und Beratung, dass Sandra Burgstaller diese – nicht geringe – Herausforderung angenommen hat, vor dem Hintergrund ihrer praktischen Erfahrungen in der palliativen Arbeit mit unheilbar erkrankten Menschen ein Konzept zu entwickeln, das eine systemische Perspektive mit der würdevollen Begleitung von Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt verbindet. Sie begreift diesen Abschnitt als einen Wandlungsprozess, einen Übergang, der aktiv gestaltet werden kann und nicht einfach nur passiv erduldet werden muss. Die Erfahrung des Lebensendes als absolute Grenze ist freilich immer auch eine Grenzerfahrung für die helfenden Professionellen. Sie müssen sich dieser existenziellen Erfahrung selbst stellen, wenn sie hilfreich sein wollen, ohne – wie Burgstaller schreibt – »die Ohnmachtsgefühle der PatientInnen zu füttern«. Insofern ist die dialogische Beziehung zwischen Professionellen und Menschen an ihrem Lebensende ein Prozess, der nicht nur professionelles Fachwissen und Empathie, sondern auch intensive Selbstreflexion aufseiten der Fachleute erfordert.

Neben systemischen und neurobiologischen Theorieelementen bezieht sich die Autorin auf das Modell der Übergangsriten Arnold van Genneps und Victor Turners ebenso wie auf das Konzept der Heldenreise von Joseph Campbell. Sie fügen sich gut in ihr Transitionsmodell ein, das einen möglichen Wandel von Lebenssehnsucht über Todessehnsucht bis hin zur Hingabe an das Unvermeidliche skizziert. Ob diese Transition gelingt und in welcher Qualität, ist von unterschiedlichen polaren Aspekten abhängig. Sandra Burgstaller verortet sie im Spannungsfeld von Ohnmacht und Stärke, in dem sich viele Patienten befinden: Verschlossenheit vs. Offenheit, Empfindung von Sinnlosigkeit vs. Demut, Misstrauen vs. Vertrauen, Abwesenheit vs. Präsenz, Abwertung vs. Selbstliebe. Die therapeutische Aufgabe besteht darin, dieses Spannungsfeld gemeinsam mit den Sterbenden zu erkunden und jeweils individuelle Möglichkeiten zu entdecken, wie der Übergangsprozess aktiv angenommen und wie Dinge geklärt oder entschieden werden können, wo das ansteht. Dazu gehören letzte Wünsche (»Was wollen Sie noch erleben?«), Abschiede (»Von wem möchten Sie sich bewusst verabschieden?«) und Wünsche für die Zeit nach dem Tode ebenso wie die Einsicht, was jetzt nicht mehr möglich ist.

Im Hauptteil des Buches präsentiert Sandra Burgstaller vier ausführliche Fallgeschichten, in denen ihre konzeptuellen Überlegungen fein verwoben werden. Mit großer Präzision und Empathie wird hier geschildert, wie der Anspruch einer aktiven und selbstwirksamen Gestaltung des Lebensendes trotz aller Schmerzen, Verzweiflung und anderer Hemmnisse umgesetzt werden kann – ein Prozess, der eben auch die Helfer nicht unberührt lassen kann.

Als Herausgeber konnte ich mit Sandra Burgstaller im Entstehungsprozess dieses Bandes immer wieder offene inhaltliche Fragen diskutieren, und ich freue mich, dass über die vielen verschiedenen Versionen hinweg dieser Text nun der Öffentlichkeit zugänglich ist. Auch mir hat die Lektüre in meiner eigenen Auseinandersetzung mit diesem existenziellen Thema neue Aspekte eröffnet, für die ich dankbar bin – ich habe dieses Buch mit Gewinn gelesen.

Diesen Gewinn möchte ich auch allen Leserinnen und Lesern dieses Buches von Herzen gönnen.

Tom Levold

Köln, im März 2023

Einleitung

Der Tod fordert uns zum Leben auf. Leben bedeutet Veränderung, Entwicklung und Wandlung. Jeder Moment ruft dazu auf, uns von Vertrautem zu verabschieden und uns für Neues zu öffnen. Besonders gefordert sind wir dann, wenn der Tod uns schonungslos mit dem ultimativen Ende unseres Lebens konfrontiert und uns jegliche vermeintliche Sicherheit nimmt.

Menschen zu begleiten, die sich ihrer Endlichkeit stellen und sich endgültig von all dem verabschieden müssen, was sie zurücklassen, stellt auch uns professionelle HelferInnen vor die große Aufgabe, uns gegenüber dem Tod zu positionieren. Bei meiner Tätigkeit als Psychotherapeutin auf einer Palliativstation und als Sozialarbeiterin in einem Palliativkonsiliardienst1 begegnete mir – wenngleich mit anfänglicher Unsicherheit – der Tod allmählich als Lehrmeister für das Leben. Er forderte mich schonungslos dazu auf, meine bislang richtungweisenden Überzeugungen, Werte und Prioritäten zu überdenken, und zeigt sich nun auch – in meiner Arbeit in freier Praxis – in zahlreichen Facetten, die mich sowohl auf die Vergänglichkeit als auch die Einmaligkeit eines jeden Augenblicks aufmerksam machen.

Im Rahmen meiner Tätigkeit hielt ich Ausschau nach wissenschaftlichen Theorien und Modellen der palliativen Psychotherapie. Umfassende Recherchen und die reflexive Auseinandersetzung mit meinen beruflichen Erfahrungen steigerten mein Interesse für die unterschiedlichen Haltungen und Umgangsformen der Menschen mit ihrem bevorstehenden Tod. Aus daraus gewonnenen Erkenntnissen, dem professionellen Austausch mit KollegInnen auf der Palliativstation sowie meiner direkten Arbeit mit PatientInnen entwickelte ich eigene Hypothesen und Modelle, die ich in diesem Buch präsentiere.

Das erste Kapitel lädt mit einer kurzen Beschreibung des Palliativbereichs dazu ein, sich ein Bild über das Setting zu machen, innerhalb dessen sich diese Arbeit bewegt. Die daran anschließende Ausführung theoretischer Grundlagen der systemischen Familientherapie ermöglicht es, diese beiden Bereiche aufeinander zu beziehen und in weiterer Folge die meinerseits eingeführte Begrifflichkeit der systemischen palliativen Psychotherapie nachzuvollziehen.

Im zweiten Kapitel möchte ich einen Einblick in bedeutsame Forschungen zu »Übergängen«, also zu Zeiten von größeren Veränderungen im Leben, geben. Dafür ziehe ich Forschungsarbeiten zu Übergangsriten, die die Dynamiken von Übergängen beschreiben, heran und beschreibe die Heldenreise2, die diese Dynamiken sowohl in Märchen als auch in existenziellen Lebensphasen thematisiert. Wie sich anspruchsvolle Lebensphasen auf den Körper auswirken und wie wir anhand von Körperübungen für mehr Wohlbefinden sorgen können, zeigt eine anschließende Beschreibung von neurobiologischen Ansätzen, wie unter anderem der Polyvagaltheorie.

Für eine differenzierte Darstellung der unterschiedlichen Umgangsformen mit dem Tod habe ich aus bestehenden Theorien und Konzepten ein neues Modell entwickelt, das ich als palliatives Transitionsmodell bezeichne. Im dritten Kapitel beschreibe ich dieses aus drei Phasen bestehende Modell, nämlich der Phase der Lebenssehnsucht, in der Menschen sich mit allen Mitteln darum bemühen, am Leben zu bleiben, der Phase der Todessehnsucht, in der Menschen um einen baldigen Tod ringen, und der Phase der Hingabe, in der Menschen ihren bevorstehenden Tod annehmen und dadurch ihre letzte Lebenszeit bewusst gestalten. Diese Einteilung dient dazu, Menschen mit Erkrankungen im palliativen Stadium in Bezug auf ihre Haltung gegenüber ihrem bevorstehenden Tod einzuschätzen. Das Modell bietet uns anhand einer Einordnung des individuellen Entwicklungsstandpunkts Vorschläge für eine darauf abgestimmte bedürfnis- und anliegenorientierte psychotherapeutische Behandlung an.

Menschen bewegen sich im Zuge ihres Entwicklungsprozesses zwischen Polen der Ohnmacht und der Stärke (vgl. Abschn. 3.3). Diese werden ebenso erläutert wie jene inneren Qualitäten, die sich im Zuge solcher innerpsychischen Entwicklungsprozesse verändern, sogenannte Transitionselemente (vgl. Abschn. 3.4).

Der Selbstwert hat einen großen Einfluss darauf, wie erfolgreich Veränderungsprozesse bewältigt werden. Der von mir konzipierte Selbstwert-Orientierungskreis zeigt, woran Menschen ihren Selbstwert messen. Mit dem daraus entwickelten Selbstwert-Modell können wir PatientInnen dabei unterstützen, ihren eigenen Wert und ihre damit verbundene Lebensweise zu reflektieren und so zu adaptieren, dass sie ihr Leben bis zum letzten Augenblick authentisch gestalten können (vgl. Abschn. 3.5).

Da sich Rituale als hilfreich für die Begleitung von Übergangsprozessen in der systemischen Familientherapie bewährt haben, finden auch diese mit einer Beschreibung ihrer Funktion und ihrer Gestaltungsmöglichkeiten einen Platz in diesen Ausführungen (vgl. Abschn. 3.6).

Das vierte Kapitel widmet sich der Darstellung eines psychotherapeutischen Prozesses mit einer ausgewählten Patientin, die ich im Zuge ihrer beiden Aufenthalte auf der Palliativstation begleiten durfte. Die Beschreibung des Therapieverlaufs anhand des palliativen Transitionsmodells nährt sich aus den Erkenntnissen in der Begleitung der Patientin und aus der Vertiefung mit damit in Verbindung stehenden Theorien sowie den angewandten Methoden.

Im weiteren Verlauf stelle ich Trostquellen im Umgang mit schmerzlichen Gefühlen (vgl. Abschn. 4.3.2) und drei Fragen zur Gestaltung der letzten Lebenszeit (vgl. Abschn. 4.4.1) vor, die jeweils als Leitfaden für eine selbstbestimmte Gestaltung von Abschiedsprozessen dienen. Sie können nicht nur in der Begleitung von schwer kranken Menschen, sondern auch nach dem Versterben eines wichtigen Menschen einen wertvollen Beitrag zur Erarbeitung eines gelingenden Umgangs mit Verlusten leisten.

Die Beschreibung weiterer psychotherapeutischer Prozesse im fünften Kapitel ermöglicht einen Einblick in die Diversität der Haltungen von Menschen in Bezug auf ihren bevorstehenden Tod. Das sechste und damit letzte Kapitel zeigt eine kritische Auseinandersetzung in Bezug auf die Relevanz dieser Themen für unsere Praxis und ein persönliches Resümee. Im Anschluss daran gibt es noch vier kurze Gedichte von mir zu lesen.

Im Anhang finden sich – auf die im Buch beschriebenen Inhalte abgestimmte – nützliche Arbeitsblätter. Diese können Sie, geschätzte LeserInnen, gerne für Ihre therapeutische Arbeit mit Menschen in ihrem letzten Lebensabschnitt sowie auch – mit entsprechender Modifizierung – in anderen Übergangsphasen ihres Lebens heranziehen.

Das Buch soll dazu beitragen, Orientierungspunkte für die Mitgestaltung eines selbstbestimmten und konstruktiven Umgangs mit der letzten Lebenszeit zu bekommen. Primär ist es in der professionellen Arbeit mit Menschen, die sich mit ihrem bevorstehenden Tod auseinandersetzen, einsetzbar. Obgleich der Schwerpunkt auf der psychotherapeutischen Begleitung liegt, können die Inhalte doch auch von unterschiedlichen Berufsgruppen sowie von Angehörigen von schwer kranken Menschen herangezogen werden.

Die beschriebenen Anregungen beziehen sich auf drei Aufgabenbereiche: Erstens unterstützt das im Buch vorgestellte palliative Transitionsmodell dabei, PatientInnen bezüglich ihrer Haltung gegenüber ihrem bevorstehenden Tod einzuordnen und ihren Wünschen entsprechend zu begleiten. Zweitens stellt es eine Anleitung für die Begleitung jener Menschen dar, die darunter leiden, bald sterben zu müssen, und noch entscheidende Entwicklungsschritte vollziehen möchten. Drittens unterstützt das dafür entwickelte Modell diejenigen, die sich bereits mit ihrem baldigen Tod arrangiert haben und sich eine konstruktive und sinnvolle Gestaltung ihrer letzten Lebenszeit wünschen.

Dieses Werk richtet sich somit an alle in der Sterbebegleitung tätigen Menschen, die sich für die vielseitigen Facetten, in denen uns der Tod im Leben begegnet, interessieren. Die vorgestellten Modelle und Methoden können in sämtlichen Veränderungsprozessen ihre Anwendung finden. Dennoch beziehen sie sich in erster Linie auf die Arbeit mit Menschen, die sich dem letzten aller Abschiede stellen. Zielgruppe für diese Lektüre sind daher Menschen, die im weitesten Sinne mit der Palliativarbeit zu tun haben, wie etwa psychoonkologisch tätige Personen aller Berufsgruppen sowie in der Hospiz- und Palliativarbeit tätige Personen und auch Menschen, die sich für Themen rund um Verlust, Trauer, Sterben und Tod interessieren.

Daher beziehe ich mich mit der »Wir-Form« auf jene Personen, die Menschen in ihrer letzten Lebenszeit begleiten. Wenn ich davon abweiche und mich auf »alle Menschen« beziehe, weise ich explizit darauf hin.

An dieser Stelle spreche ich allerdings eine Warnung aus: Dieses Buch beschäftigt sich mit einem hochsensiblen Thema, das niemanden unberührt lässt. Lassen wir uns emotional darauf ein, können diese Inhalte intensive Gefühle hervorrufen und uns mit bisher zur Seite geschobenen Themen konfrontieren. Es ist nicht für jede/n und nicht zu jeder Zeit ratsam, sich dieses Buch zu Gemüte zu führen. Können Sie, geschätzte LeserInnen, sich allerdings gut und sicher darauf einlassen, lädt es Sie dazu ein, Krankheits-, Sterbe- und Todeskonzepte zu reflektieren und bietet erprobte und konstruktive Sichtweisen für die Arbeit mit Menschen im letzten Lebensabschnitt an.

Personenbezogene Daten wurden für Zwecke dieses Buches anonymisiert, um jegliche Rückschlüsse auf die jeweiligen PatientInnen und deren Angehörige zu vermeiden.

Die Begriffe KlientInnen und PatientInnen werden in diesem Buch synonym verwendet. Speziell im palliativen Kontext sprechen wir eher von PatientInnen, da sich diese im medizinischen Versorgungssystem aufhalten.

Als gendergerechte Schreibweise entschied ich mich für das Binnen-I und hoffe damit für einen angenehmen Lesefluss zu sorgen.

1 Der Palliativkonsiliardienst ist in Österreich und der Schweiz ein einem Krankenhaus zugehöriges multiprofessionelles und speziell qualifiziertes Team, das von KollegInnen anderer Krankenhausabteilungen für die Behandlung und Betreuung von PalliativpatientInnen beratend hinzugezogen werden kann. In Deutschland sprechen wir vom Palliativen Konsildienst.

2 Ich sehe bei dieser Bezeichnung von der gegenderten weiblichen Form ab aufgrund der Verbreitung der maskulinen Form im Sinne von Joseph Campbell.

1 Systemische Therapie im Palliativbereich

Die Palliativversorgung gewinnt nicht nur aufgrund der zunehmenden Anzahl chronisch kranker und mehrfach erkrankter Menschen an Bedeutung, sondern auch, weil die Erhaltung der Lebensqualität bis zuletzt einen höheren Stellenwert bekommen hat. Palliative Care und die Art von Unterstützung, wie sie in diesem Setting angeboten wird, sowie diesbezügliche Sichtweisen und Interventionstechniken der Systemischen Therapie3 werden im Folgenden vorgestellt. Die Schnittmenge dieser beiden Bereiche bezeichne ich als systemische palliative Psychotherapie. Eine Präsentation der Herausforderungen, Möglichkeiten und Grenzen dieses Therapiefeldes sowie eine reflexive Auseinandersetzung mit den Themen Sterben und Tod mögen dazu beitragen, Sie, geschätzte LeserInnen, mit der diesem Buch zugrunde liegenden Haltung zur (Un-)Endlichkeit des Lebens vertraut zu machen.

1.1 Palliative Care

Palliative Care steht als Überbegriff für alle Aktivitäten in den Hospiz- und Palliativbewegungen. Sie beschreibt alle Maßnahmen, die dazu beitragen, eine würdige Begleitung von schwer kranken Menschen in ihrer letzten Lebensphase und beim Sterben zu ermöglichen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO 2002) schreibt in einer mehrmals adaptierten Definition, dass Palliative Care

»[…] ein Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien [ist], die mit den Problemen konfrontiert sind, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung einhergehen, und zwar durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln von Schmerzen sowie anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und spiritueller Art […]« (ebd., S. 84; Übers.: Dt. Gesellschaft f. Palliativmedizin 2016).

Palliativ leitet sich vom lateinischen pallium ab und bedeutet »Umhang« beziehungsweise »Mantel«. Wir legen, bildlich betrachtet, einen schützenden Mantel um unheilbar kranke PatientInnen, um dadurch ihre Beschwerden zu lindern. Den Ursprung der modernen Hospiz- und Palliativbewegung finden wir bei der englischen Sozialarbeiterin, Krankenschwester und Ärztin Cicely Saunders, die 1967 das St. Christopher’s Hospice in London eröffnete. Der Urologe Dr. Balfour Mount aus Kanada etablierte 1975 den Begriff Palliativmedizin. Seither versucht man die Begrifflichkeiten und Versorgungsangebote in der Hospiz- und Palliativversorgung weltweit zu vereinheitlichen. In den europäischen Ländern gibt es einheitliche Richtlinien mit mehreren Versorgungskonzepten, wobei die nationalen Konzepte nach wie vor Unterschiede aufweisen (vgl. Radbruch et al. 2011a, S. 216 f.)

In allen europäischen Ländern werden zahlreiche gemeinsame Grundwerte in der Palliativversorgung anerkannt. Diese beinhalten die Erhaltung und die Verbesserung der Lebensqualität, eine bedürfnisorientierte Zuwendung, die Bewahrung des Selbstbestimmungsrechts, das Ermöglichen einer vertrauten Umgebung beim Sterben, ein ganzheitlicher Betreuungsansatz, der alle Bereiche menschlichen Lebens miteinbezieht, das Angebot eines multiprofessionellen Teams mit interdisziplinärer Zusammenarbeit sowie eine kontinuierliche vorausschauende Planung der Betreuung und von Hilfestellungen bei der Regelung der Angelegenheiten, die nach dem Tod einer PatientIn auftreten (vgl. Radbruch et al. 2011a, S. 220 ff.).

Ärztliches Personal, (diplomierte) Gesundheits- und Krankenpflegepersonen, SozialarbeiterInnen, PhysiotherapeutInnen, PsychologInnen, PsychotherapeutInnen, ErgotherapeutInnen, LogopädInnen, DiätologInnen, SeelsorgerInnen und ehrenamtlich tätige Personen sind im palliativen Tätigkeitsfeld aktiv und stehen den PatientInnen – je nach Abteilung – rund um die Uhr zur Verfügung oder können in festgelegten Zeiten konsiliarisch angefordert werden. Die Handhabung des Hinzuziehens unterschiedlicher Berufsgruppen weist in den verschiedenen europäischen Ländern große Unterschiede auf. In manchen Ländern zählen zum Beispiel PsychologInnen und PsychotherapeutInnen in der Palliativversorgung zum Kernteam, wohingegen sie in anderen bei Bedarf konsiliarisch hinzugezogen werden können oder überhaupt nicht in die Palliativversorgung eingebunden sind (vgl. Radbruch et al. 2011b, S. 263). In den deutschsprachigen Ländern »kommt [PsychologInnen und PsychotherapeutInnen] in diesem Feld ein vielfältiges Spektrum von Aufgaben zu, das von der präventiven und supportiven Arbeit bis hin zum psychotherapeutischen Wirken im engeren Sinne reicht« (Gramm, Trachsel u. Berthold 2020, S. 1).

Zur Zielgruppe der Hospiz- und Palliativversorgung zählen alle PatientInnen mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung sowie deren Zu- und Angehörige. Es handelt sich also primär um PatientInnen, die sich im fortgeschrittenen Stadium von schweren Erkrankungen, wie Carcinom-, Lungen-, Herz- oder neurologischen Erkrankungen, befinden.

An- und Zugehörige sind diejenigen, die mit den PalliativpatientInnen verwandt sind oder in einem nahen Beziehungsverhältnis stehen und dementsprechend ebenso von der herausfordernden Situation des bevorstehenden Todes der PatientInnen betroffen sind (vgl. Radbruch et al. 2011a, S. 224 f.).

Unterschiedliche Betreuungsmöglichkeiten, wie Palliativstationen, stationäre Hospize, Tageshospize, mobile Palliativteams, Palliativkonsiliardienste und ehrenamtliche Hospizteams ermöglichen eine individuell auf PatientInnen abgestimmte Versorgung. Die Entscheidung über eine ambulante oder stationäre Betreuung wird idealerweise dem Ausmaß des Unterstützungsbedarfs – also zum Beispiel in der Frage, ob medizinische Akutbetreuung erforderlich ist, – und den individuellen Vorlieben angepasst. In allen europäischen Ländern besteht der Anspruch auf einen gleichberechtigten Zugang zu den palliativen Dienstleistungen. Sie sollen allen PatientInnen bedarfsorientiert und unabhängig von deren kulturellen, ethnischen und finanziellen Hintergründen zur Verfügung stehen. Für die unterschiedlichen Dienste gibt es spezifische Aufnahmekriterien, die sich zwischen den europäischen Ländern unterscheiden. Leider führen verschiedene Faktoren, wie der Bedarf nach einer aufwendigen medizinischen und pflegerischen Betreuung, oft dazu, dass PalliativpatientInnen ihre letzte Lebenszeit nicht – wie meist gewünscht – zu Hause verbringen können, sondern in einer Einrichtung, wie in einem Krankenhaus oder einem Pflegeheim (vgl. Radbruch et al. 2011b, S. 261 ff.).

Dieses Buch bezieht sich weitgehend auf das Setting einer Palliativstation. Eine solche befindet sich mit der Spezialisierung auf PalliativpatientInnen innerhalb eines Akutkrankenhauses. Im Gegensatz zu einer stationären Hospizeinrichtung werden die PatientInnen nach ausreichender Behandlung und je nach Betreuungsbedarf wieder nach Hause oder in eine dauerhafte Einrichtung entlassen. Manche versterben auch im Zuge ihres Aufenthalts.

Die PatientInnen verbringen meist nur einige Tage oder wenige Wochen auf der Station. In einer stationären Hospizstation hingegen können PalliativpatientInnen – unabhängig davon, wie lange sie noch zu leben haben, – bis zu ihrem Lebensende bleiben. Dies setzt voraus, dass ihr Gesundheitszustand eine nicht im Eigenheim bewältigbare, umfassende Betreuung erfordert (vgl. Radbruch et al. 2011b, S. 264 ff.).

In der Palliative Care wird eine lindernde Medizin angewandt. Der Begriff Palliativmedizin bezieht sich auf die medizinische Komponente in der Palliativversorgung, wobei er auch als Synonym für Palliative Care verwendet wird. Die Palliativmedizin betrachtet den Menschen in seinem natürlichen Verlauf zwischen Geburt und Tod und erkennt das Sterben als natürlichen Teil des Lebens an. Mit dieser Haltung grenzt sie sich von den lebensverlängernden und kurativ orientierten Maßnahmen der allgemeinen Schulmedizin ab. H. Christof Müller-Busch weist allerdings ergänzend darauf hin, dass

»kurative Behandlungsstrategien besonders auch in der Onkologie begleiten und ergänzen, falls dies erforderlich ist. Insofern stellen Heilung und Palliation keine sich widersprechenden Behandlungsansätze dar – sie konzentrieren sich allerdings je nach Erkrankungsverlauf und Lebenssituation der Betroffenen auf unterschiedliche Ziele« (Müller-Busch 2016, S. 37).

Eine palliative Betreuung versorgt körperliche Symptome. Oft leiden diese Menschen nämlich an Schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Verstopfung, Atemnot oder geschwürartigen Wunden. Sie inkludiert allerdings nicht nur die Linderung dieser, sondern berücksichtigt auch die jeweiligen Lebenssituationen und findet Verständnis für das individuelle Leid einer jeden PatientIn. Als Kernelemente der Betreuung zählen neben der Symptomlinderung ethisch-reflektiertes Handeln und transparente Kommunikation sowohl mit der Zielgruppe als auch mit dem multiprofessionellen Team. Je nach Situation und je nach individuell definierten Zielen und Herausforderungen ist entsprechend zu entscheiden, wer welche palliativen Dienste in Anspruch nehmen kann (vgl. Radbruch et al. 2011a, S. 224 ff.).

1.2 Systemische Therapie

PsychotherapeutInnen aus allen vier Therapieschulen – der tiefenpsychologisch-psychodynamischen, der humanistischen, der systemischen und der verhaltenstherapeutischen – können Teil der multiprofessionellen Teams in den stationären, mobilen und ambulanten Diensten im Palliativbereich sein. Die therapeutischen Strömungen unterscheiden sich in ihren Haltungen, Persönlichkeitstheorien, Methoden und in der Art der Beziehungsgestaltung zwischen TherapeutInnen und KlientInnen. Sie alle verfolgen allerdings im Grunde das gleiche Ziel, nämlich die Behandlung von psychischen Belastungen und Erkrankungen und die Verringerung von Leidenszuständen von schwer kranken Menschen.

Welche speziellen Denkansätze die Systemische Therapie im Gegensatz zu anderen therapeutischen Schulen in die Palliativarbeit einbringt und wofür diese nützlich sind, wird in den folgenden Abschnitten dargestellt.

1.2.1 Theoretische Grundlagen

Die Systemische Therapie bezieht sich nie ausschließlich auf eine einzelne Person oder auf ein isoliertes Symptom, sondern stets auch auf jenes Bezugssystem, in dem diese eingebettet sind und das für die Lösung der jeweiligen Probleme relevant ist. Im palliativen Setting ist der kontextbezogene Blick besonders wichtig. Immerhin sind Familienmitglieder, FreundInnen, KollegInnen oder NachbarInnen durch den bevorstehenden Tod psychisch belastet – vielleicht sogar im selben Ausmaß oder darüber hinaus – wie die erkrankte Person selbst. Außerdem verändert sich aufgrund zunehmender körperlicher Einschränkungen das soziale Beziehungsgeflecht. Menschen aus dem privaten Umfeld bringen sich oft unterstützend ein und medizinische und psychosoziale Hilfsdienste müssen hinzugezogen werden. Manchmal verändert sich auch die örtliche Umgebung, wenn zum Beispiel eine kurzfristige oder dauerhafte stationäre Betreuung auf einer Palliativ- oder Hospizstation erforderlich ist.

Die Diagnose einer schweren Erkrankung erschüttert die Lebenswelt einer betroffenen Person. Auch wenn Menschen wissen, dass sie sterben müssen, verändert der zeitlich nahe Tod bisherige Identitätskonzepte und Bedeutsamkeiten. Wichtige Lebensthemen treten in den Vordergrund, stellen bisherige Lebensweisen infrage und lösen intensive Emotionen aus. Wir können allerdings keine allgemeingültigen Aussagen über die Herausforderungen im Umgang mit dem Tod treffen. Das der Systemtheorie zugrunde liegende konstruktivistische Denkmodell geht davon ausgehen, dass sich alle Beteiligten in ihren Sicht- und Verhaltensweisen wechselseitig beeinflussen. So haben das örtliche und das soziale Umfeld einen bedeutsamen Einfluss darauf, wie Menschen mit schweren Erkrankungen umgehen und wie sie auf ihren bevorstehenden Tod reagieren. Die Wahrnehmung und Bedeutungsgebung hängt stark von ganz individuellen Erfahrungen und Geschichten ab, die Menschen einander erzählen. Es fällt ihnen leichter, mit dem bevorstehenden Tod umzugehen, wenn sie zum Beispiel gute Erinnerungen an eine Sterbebegleitung haben oder auch schöne Vorstellungen vom Leben nach dem Tod austauschen können, als wenn der Tod als angsteinflößender Feind stets aus dem Blickfeld geschoben wurde.

Für einen erfolgreichen Therapieprozess sind die höchstindividuellen Erwartungen, Anliegen und Ziele der PatientInnen zu Beginn einer Therapie genau zu erfragen und im darauf abgestimmten Prozess in regelmäßigen Abständen gemeinsam mit den PatientInnen zu prüfen.

In diesem Zusammenhang ist der Begriff gemeinsam von großer Bedeutung. Die Theorie autopoietischer Systeme geht davon aus, dass PatientInnen therapeutische Angebote eigenverantwortlich in ihr Leben integrieren. Wir können (und sollen) unseren PatientInnen keine eigenen Überzeugungen aufdrängen, sondern sie ausschließlich dazu anregen beziehungsweise sie dabei unterstützen, belastende und symptomfördernde Strukturen, Interaktions- und Kommunikationsmuster sowie Denk- und Verhaltensweisen zu hinterfragen, und ihnen hilfreiche alternative Sichtweisen für ihre aktuelle Herausforderung anbieten. Wenn PatientInnen zum Beispiel damit hadern, dass sie bald sterben werden, können wir danach fragen, wie sie es empfinden, im Voraus zu erfahren, dass ihr Lebensende naht, und wie sie dies vielleicht sogar als Chance zur bewussten Gestaltung von Abschieden nützen können. Für manche Menschen ist dies ein hilfreicher Gedanke und führt zur gewünschten Musterunterbrechung bisheriger Gedanken-, Wahrnehmungs- und Verhaltensweisen, andere wiederum können diesem Vorschlag zum Perspektivenwechsel wenig abgewinnen und verwerfen ihn. Dementsprechend orientiert sich unser therapeutisches Handeln daran, den PatientInnen die Optionen dafür, wie sie ihr Denken, Fühlen und Handeln erweitern können, zugänglich zu machen. Anstelle der Behandlung von Symptomen sollen sich PatientInnen in einem entwicklungsförderlichen Kontext dazu inspiriert und ermutigt fühlen, für die Erreichung ihrer vorab definierten Ziele hilfreiche Sichtweisen, Interaktions- und Kommunikationsmuster zu entwickeln und zu erproben.

1.2.2 Haltung

Jeder Veränderungsprozess verlangt das Ablegen bekannter zugunsten vorerst ungewohnter Verhaltens- und Sichtweisen. Der Tod – als größte aller Veränderungen – verlangt dies umso mehr. Der Abschied von Vertrautem löst oft starkes Leid aus. Ist dieses sehr groß, nehmen Menschen durchweg die ihnen im Palliativbereich angebotene Psychotherapie in Anspruch. Die Würdigung ihres Leids und die Anerkennung der damit verbundenen Belastungen ist der Schlüssel für die Herstellung einer vertrauensvollen therapeutischen Beziehung am Beginn eines jeden Therapieprozesses. Wenn wir uns in unserer psychotherapeutischen Tätigkeit darum bemühen, die emotionale Schwere wahrzunehmen und zu würdigen, fühlen sich PatientInnen verstanden und können sich leichter auf das Therapiegeschehen einlassen.

Die Kunst in diesem Zusammenhang ist es, die massive Grenzerfahrung angesichts des bevorstehenden Todes anzuerkennen, ohne mitleidend die Ohnmachtsgefühle der PatientInnen zu füttern. Besonders eine lösungs- und ressourcenorientierte Haltung ist dafür sehr hilfreich. Dauerhafte problemorientierte Sichtweisen führen zu einer von Mitleid erfüllten Haltung anstatt zu einer respektvollen Anteilnahme. Bildlich gesprochen, stellen wir uns mit unseren PatientInnen an den Rand eines schwarzen Lochs, ohne dabei mit ihnen hineinzusteigen.

Für eine Verabschiedung alter Denk-, Fühl- und Handlungsmuster und für die Integration von Lösungsperspektiven bedarf es einer sensiblen Wahrnehmung günstiger Momente. Wir stellen uns mit Geduld und Zuversicht so lange als ZeugInnen für das Leid der PatientInnen zur Verfügung, wie diese das benötigen. Gehen wir allzu schnell zu einer lösungsorientierten Sichtweise über, kann dies verletzend sein und die therapeutische Beziehung gefährden. PatientInnen fühlen sich nicht verstanden, wenn sie zum Beispiel eine große Traurigkeit verspüren und wir uns nach den Vorteilen ihrer Lebenssituation erkundigen. Wir messen der Stabilisierungsarbeit – speziell in existenziell bedrohlichen Lebenslagen – eine große Bedeutung im psychotherapeutischen Prozess bei. Streuen wir dabei Samenkörner für neue Sichtweisen und Strukturen, schaffen wir einen fruchtbaren Boden für anstehende Entwicklungsschritte (vgl. de Shazer 2005).

Angesichts des Todes sind Menschen wissens- und machtlos. Der Tod ist derjenige, der sie mit ihrer Ohnmacht konfrontiert, indem er sie darauf hinweist, wie wenig sie in ihrem Leben letztendlich planen und kontrollieren können. Dieser Gedanke löst Angst und Hilflosigkeitsgefühle in Menschen aus – auch bei uns professionellen HelferInnen. Beruflich in diesem Bereich tätig zu sein bedeutet also nicht, keine Angst, Traurigkeit oder Wut zu verspüren; es bedeutet nicht, auf alles eine Antwort zu haben, und auch nicht, keine Fragen mehr zu stellen. Vielmehr bedeutet es, uns von den Erzählungen unserer PatientInnen berühren zu lassen, ohne von deren Emotionen eingefangen zu werden und ohne uns mit ihnen in Gerechtigkeits- und Sinnfragen zu verlieren.

Psychotherapeutisch im Palliativbereich tätig zu sein erfordert, uns bewusst mit unseren Erfahrungen, Bildern und Geschichten über die Endlichkeit des Lebens auseinanderzusetzen, und unsere Sichtweisen und Umgangsformen kritisch zu reflektieren. Nur indem wir uns unserer eigenen Verletzlichkeit zuwenden, können wir uns für jene anderer öffnen. Auch wir sind weder unverletzbar noch immun, wenn es darum geht, uns mit oft tragischen Lebensumständen zu konfrontieren. Für die Klärung unseres Umgangs mit möglicherweise dominanten oder überwältigenden Gedanken und Gefühlen und des Ausmaßes davon, wie viel Trauer und Tod wir selbst vertragen, ist die regelmäßige Teilnahme an Fortbildungen, Supervisionen und Intervisionen unumgänglich. Dies scheint mir die einzige Möglichkeit dafür zu sein, uns von der Problemtrance (Schmidt 2015), also der einengenden Problemfixierung der PatientInnen zu distanzieren und längerfristig für ihre herausfordernden Anliegen empathisch zu bleiben.

In der Sterbebegleitung interessieren wir uns für die individuellen Wahrheiten unserer PatientInnen. Wir treten ihren Werten, Erfahrungen, Einstellungen und Überzeugungen wertschätzend und respektvoll gegenüber. Sie sind und bleiben die ExpertInnen für ihr Leben – auch wenn sie vorübergehend mut- und kraftlos sind und unserer Begleitung bedürfen. Statt um die Bewertung von richtigen und falschen Konzepten geht es um eine »neutrale Haltung« gegenüber allen eingebrachten Anliegen und Lösungsideen. Aus einer »Haltung des Nicht-Wissens« geben wir nicht vor, zu wissen, was die richtigen Lösungen sind und wie sich angebotene Interventionen im jeweiligen System auswirken. Wir lassen uns vielmehr gemeinsam mit unseren PatientInnen auf eine Reise ein, von der auch wir im Voraus nicht wissen, wohin sie führt (vgl. Anderson u. Goolishian 1992).

Dabei sind wir weniger dafür verantwortlich, immer eine Methode oder einen Lösungsvorschlag anzubieten, als einen offenen Rahmen zu gestalten, in dem sich PatientInnen selbstbestimmt und ihrem Tempo entsprechend entfalten können.

»Die erforderliche raumgebende Beeinflussung steht damit in einem deutlichen Gegensatz zu allen einengenden Formen der Beeinflussung, die Abhängigkeit fördern und Autonomie beeinträchtigen. Durch die Form ihrer Präsenz gestalten Therapeuten unterschiedliche Beziehungsangebote und Beziehungsräume. Eine raumgebende Form der Präsenz schafft Raum zur Selbstentfaltung, eine dominante Form der Präsenz schafft Raum für Abhängigkeiten« (Bleckwedel 2015, S. 196 f.).

Besonders im palliativen Setting ist die Sorge um die Eigenverantwortlichkeit der PatientInnen und um eine selbstbestimmte Lebensgestaltung bis zum letzten Atemzug essenziell, da Menschen aufgrund diverser krankheitsbedingter Einschränkungen ohnehin verstärkt auf ihr soziales Umfeld angewiesen sind.

1.2.3 Methoden

Die Systemische Therapie trägt eine Vielzahl an unterschiedlichen Methoden aus verschiedenen Therapierichtungen zusammen. Hier erfolgt eine Auflistung einiger ausgewählter Techniken, die speziell im palliativen Setting immer wieder zur Anwendung kommen. Anzumerken ist an dieser Stelle allerdings, dass die Anwendung von Methoden nicht der entscheidende Einflussfaktor für die Erarbeitung von zieldienlichen Lösungen ist. Ebenso sind es die Persönlichkeit und die Haltung von uns TherapeutInnen sowie die therapeutische Beziehungsqualität, die einen Therapieprozess entscheidend beeinflussen (vgl. Essen 1997).

Aufstellungs- und Symbolarbeiten wie das Familienbrett, das Stellen von Skulpturen, die Arbeit mit Genogrammen und Systemzeichnungen zählen zu den häufig angewandten Methoden in der Systemischen Therapie. Diese machen sowohl intrapsychische als auch zwischenmenschliche Beziehungen sichtbar und erlebbar und bieten dadurch neue Perspektiven an. Aufgrund körperlicher Symptome unserer KlientInnen ist die Verwendung des Familienbretts gegenüber Aufstellungen mit RepräsentantInnen meist einfacher umzusetzen. Aufstellungen im Einzelsetting finden allerdings auch im Palliativbereich durchaus Anwendung (vgl. Abschn. 3.3.2).

Narrative Interventionen würdigen Geschichten, die KlientInnen über ihr Leben erzählen und mit denen sie sich identifizieren. Nachdem diese das Denken, Handeln und Fühlen stark beeinflussen, enttarnen wir einschränkende und problembeladene Narrative zugunsten hilfreicher Geschichten mit neuen Lösungsperspektiven. Im palliativen Kontext können wir belastenden Überlegungen über Krankheit, Sterben und Tod hilfreiche Geschichten mit konstruktiven Perspektiven gegenüberstellen (vgl. White u. Epston 2013).

Systemische Fragen unterstützen ebenso dabei, gewohnte Sichtweisen differenzierter zu betrachten. Dabei werden Beziehungen zwischen verschiedenen Systemen und zwischen Elementen innerhalb der Systeme betrachtet, Denk-, Fühl- und Verhaltensmuster hinterfragt und entsprechend adaptiert. Dazu zählen das Reframing, das eine Situation in einen anderen Rahmen stellt und ihr damit eine neue Bedeutung bemisst, zirkuläre Fragen, die dazu einladen, eigene Annahmen über die Einschätzung der Sicht wichtiger Mitmenschen zu überprüfen, und Skalierungsfragen, die anhand einer subjektiven Skala Standorteinschätzungen und Zieldefinitionen ermöglichen.

Hypnosystemische Methoden eröffnen wiederum Zugänge zu inneren Erfahrungswelten. Dabei werden Konzepte aus der Hypnosetherapie nach Milton Erickson mit systemisch-konstruktivistischen Aspekten in Verbindung gebracht. Imaginationstechniken unterstützen Tranceerfahrungen, durch die wir KlientInnen dazu anleiten, ihre Aufmerksamkeit nach innen zu richten, und so anhand von inneren Bildern Heilungsprozesse einleiten beziehungsweise fördern. Die eigene Vorstellungskraft als Ressource zu nützen ist besonders im palliativen Setting sehr hilfreich. Auf diese Weise können auch Menschen mit körperlichen Symptomen selbstbestimmt Einfluss auf ihr eigenes Erleben nehmen (vgl. Schmidt 2015).

Weitere wertvolle Interventionen sind Metaphern und Rituale. Nicht immer gibt es passende Worte für die Beschreibung innerer Erfahrungsprozesse. Die Verbildlichung von komplexen Situationen und Dynamiken bietet eine gemeinsame Sprache für innere Prozesse an und aktiviert neuronale Strukturen, also kognitive und emotionale Konzepte zur Erreichung unbewusster Anteile. Sprechen wir zum Beispiel von der Ruhe vor dem Sturm, können wir dieses Bild für die Vorbereitung auf große Veränderungsphasen im Leben unserer KlientInnen nützen. Bilder beeinflussen die Aufmerksamkeit und die Wahrnehmung, wodurch wir mit KlientInnen wiederum Strategien zur Bewältigung anstehender Entwicklungsschritte erarbeiten können. Rituale schaffen Ordnung und Struktur und ermöglichen eine selbstbestimmte Gestaltung von Übergängen. Empfehlungen zur Durchführung, die Planung von sich wiederholenden Ritualen sowie auch eine gemeinsame Durchführung von einmaligen Ritualen können Bestandteile psychotherapeutischer Sitzungen sein. Nachdem Rituale besonders bei großen Veränderungen – so auch vor der letzten großen Veränderung – einen wertvollen Beitrag leisten können, werden diese in Abschnitt 4.6 genauer beschrieben.

Therapieeinheiten schließen wir häufig mit Hausaufgaben ab. Diese sollen je nach Inhalt der jeweiligen Einheiten