Tag X - Gernot Rohrhofer - E-Book

Tag X E-Book

Gernot Rohrhofer

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Beschreibung

Im November 2024 stellt der österreichische Verfassungsschutz in einem Forsthaus in Niederösterreich 30 Kilogramm Munition, Waffen und Propagandamaterial sicher. Das Haus sollte als Rückzugsort für die Gruppe der "Sächsischen Separatisten" dienen. Die "Sächsischen Separatisten" – junge rassistische und antisemitische Männer aus dem Osten Deutschlands – wälzen über Jahre hinweg Umsturzfantasien. Paramilitärische Übungen werden absolviert, der Häuserkampf, der Umgang mit Schusswaffen und Märsche trainiert. Die deutsche Bundesanwaltschaft stuft die Gruppierung als terroristische Vereinigung ein. Ende 2024 werden acht ihrer Mitglieder festgenommen. Die Spuren führen nicht nur nach Polen, sondern auch – nach Österreich. Der "Tag X" – in rechtsextremen Kreisen der Tag, an dem die staatliche und gesellschaftliche Ordnung zusammenbricht. Der Tag, an dem die "Sächsischen Separatisten" mit Waffengewalt Gebiete im Osten Deutschlands erobern, einen nationalsozialistisch geprägten Staat errichten und nötigenfalls auch ethnische Säuberungen durchführen wollen. Wie ernst zu nehmen waren die Umsturzfantasien? Warum sollte ausgerechnet Österreich als Rückzugsort dienen? Und wie weit reicht dieses Netzwerk in höchste politische Ämter?

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Seitenzahl: 143

Veröffentlichungsjahr: 2025

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DER TAG X

DIE UMSTURZFANTASIEN DER RECHTEN

GERNOT ROHRHOFER

INHALT

Abkürzungsverzeichnis

Prolog

1. Die Sächsischen Separatisten

2. Die Verbindungen nach Österreich

3. Wehrsportübungen in Kronsegg

4. Von Generation zu Generation

5. „Die Sachen von damals würde ich heute nicht mehr machen“

6. Langenlois – ein braunes Nest?

Einordnung – Epilog

Anmerkungen

unveränderte eBook-Ausgabe

© 2025 Seifert Verlag

1. Auflage (Softcover): 2025

ISBN: 978-3-903583-15-3

ISBN Print: 978-3-903583-06-1

Umschlaggestaltung: Davor Kujundzic, unter Verwendung eines Fotos von Gernot Rohrhofer

Trotz aufwendiger Recherche war es uns nicht möglich, bei Drucklegung des Buches jeden einzelnen Urheber der abgedruckten Fotos ausfindig zu machen. Wir bitten um Verständnis dafür und werden gegebenenfalls Urheberrechtsansprüche in angemessener Form nachträglich abgelten.

Sie haben Fragen, Anregungen oder Korrekturen? Wir freuen uns, von Ihnen zu hören! Schreiben Sie uns einfach unter [email protected]

www.seifertverlag.at

ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS

AfD - Alternative für Deutschland

AWD - Atomwaffen Division

BDM- Bund Deutscher Mädel

BKA - Bundeskriminalamt

CDU - Christlich Demokratische Union Deutschlands

DSN - Direktion für Staatsschutz und Terrorismusbekämpfung

DST - Der Störtrupp

DVU - Deutsche Volksunion

FPÖ - Freiheitliche Partei Österreichs

HD - Hausdurchsuchung

HJ - Hitlerjugend

IB - Identitäre Bewegung

IfS - Institut für Staatspolitik (mittlerweile geschlossen)

JA - Junge Alternative für Deutschland (mittlerweile aufgelöst)

JVP - Junge Volkspartei

LILA - Kulturinitiative „Leben in Langenlois“

LKA - Landeskriminalamt

LSE - Landesamt für Staatsschutz und Extremismusbekämpfung

NÖN - Niederösterreichische Nachrichten

NPD - Nationaldemokratische Partei Deutschlands

OPAL - Liste „Ohne Parteibuch für alle Langenloiser“

ORF - Österreichischer Rundfunk

ÖVP - Österreichische Volkspartei

PEGIDA - Bewegung „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“

Prepper - Personen, die sich auf Katastrophen oder Notfallsituationen vorbereiten

SPD - Sozialdemokratische Partei Deutschlands

SPÖ - Sozialdemokratische Partei Österreichs

StG 77 - Sturmgewehr 77

SSS - Skinheads Sächsische Schweiz (mittlerweile verboten)

WJ - Wiking-Jugend

PROLOG

Erst wenige Tage im Amt, ist die neue deutsche Bundesregierung im Frühjahr 2025 mit einem neuen Höchstwert an politisch motivierten Straftaten konfrontiert. Aus einer Statistik, die das Innenministerium und das Bundeskriminalamt am 20. Mai 2025 vorstellen, geht hervor, dass 2024 84.000 Straftaten verübt wurden, die einen politischen Hintergrund hatten – um 40 Prozent mehr als 2023.⁠1 Besonders stark stiegen die Straftaten aus dem rechten bzw. rechtsextremen Milieu: Propagandadelikte, Sachbeschädigungen, Körperverletzungen. „Hitlergrüße, Volksverhetzung, Schläge ins Gesicht – alle zwölf Minuten eine rechte Straftat in unserem Land“, heißt es bei der Präsentation.⁠2

Ebenfalls im Mai 2025 zieht die Generalbundesanwaltschaft die „Letzte Verteidigungswelle“ aus dem Verkehr. Bei ihr handelt es sich um eine terroristische Vereinigung, die sich als „letzte Instanz zur Verteidigung der ‚Deutschen Nation‘“ verstand.⁠3 Auf das Konto der auffallend jungen Verdächtigen sollen Brandanschläge in den deutschen Bundesländern Brandenburg und Thüringen gehen: „Nach unseren Erkenntnissen ist das Ziel dieser Gruppierung die Begehung schwerer Gewalttaten, insbesondere gegen Migra-nten und politische Gegner. Dazu gehören Brand- und Sprengstoffanschläge etwa gegen Flüchtlingsunterkünfte oder Einrichtungen aus dem politischen linken Bereich“, so die Sprecherin der Generalbundesanwaltschaft in einem Interview Mitte Mai 2025.⁠4 Die Ermittler berichten von 200 Mitgliedern aus mehreren Bundesländern, die sich über Chatgruppen organisiert haben sollen – ein Phänomen, das Extremismusforscher wie Peter Neumann vom King’s College in London immer öfter beobachten. Dabei sei nicht nur die große geografische Ausdehnung – in diesem Fall über mehrere Bundesländer – ein typisches Merkmal, sondern auch die sofortige Radikalisierung in Richtung Gewalt.

Geködert, aufgehetzt und angestiftet werden die Teenager auf den großen Social-Media-Plattformen wie Tik-Tok und Instagram, die Absprache findet auf verschlüsselten Plattformen wie Telegram statt. „Das ist das Muster, und das ist die Art von Terrorismus, die wir nicht nur in Deutschland, sondern möglicherweise auch in Österreich und anderen europäischen Ländern in den 2020ern immer stärker sehen werden“, sagt Neumann.⁠5

Junge Männer und in zwei Fällen junge Frauen waren es auch, die sich Sächsische Separatisten genannt haben sollen. Sie waren ebenfalls im Osten Deutschlands aktiv, sollen aber andere Ziele gehabt haben: die Übernahme der Macht nach einem Zusammenbruch des Systems. Für acht mutmaßliche Mitglieder von ihnen klickten am 5. November 2024 in Sachsen und im Fall ihres mutmaßlichen Anführers in Polen die Handschellen, weitere sieben wurden angezeigt. Sie sind „dringend verdächtig, sich in einer inländischen terroristischen Vereinigung mitgliedschaftlich betätigt zu haben.“⁠6 In den Wohnungen der Verdächtigen – damals 15 bis 28 Jahre alt – kam es zu Hausdurchsuchungen. Neben mehreren Hundert Silbermünzen und zwei Goldbarren wurden „legale und illegale Schusswaffen [. . . ] Waffenbestandteile, Munition, Softair-Waffen, militärische Ausrüstungsgegenstände und – im Sachverständigenjargon – nicht konformitätsbewertete Pyrotechnik gefunden“, berichtet am 13. November 2024 ein Staatsanwalt der Generalbundesanwaltschaft den Mitgliedern des Ausschusses für Inneres und Heimat im Deutschen Bundestag.⁠7

Weitere Objekte wurden in Wien und im niederösterreichischen Bezirk Krems-Land durchsucht. Dort wurden in einem Forsthaus unterhalb der Ruine Kronsegg nicht nur zahlreiche NS-Devotionalien, sondern auch 30 Kilogramm Munition, taktische Ausrüstungs-gegenstände, ein Schalldämpfer und das für die österreichischen Behörden bislang nicht bekannte Logo der Sächsischen Separatisten sichergestellt.

Die Sächsischen Separatisten hinterließen ihre Spuren in Deutschland, Polen und Österreich und gerieten nach einem Hinweis aus den USA ins Visier der Ermittler. Die Vorwürfe wiegen schwer. Die Ideologie der jungen Männer und Frauen sei „von rassistischen, antisemitischen und in Teilen apokalyptischen Vorstellungen geprägt.“⁠8

Mit paramilitärischen Trainings und Kampfausrüstung sollen sie sich auf den Zusammenbruch des politischen und gesellschaftlichen Systems vorbereitet und geplant haben, „mit Waffengewalt Gebiete in Sachsen und gegebenenfalls auch in anderen ostdeutschen Ländern zu erobern, um dort ein am Nationalsozialismus ausgerichtetes Staats- und Gesellschaftswesen zu errichten.“⁠9 Bei der Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe geht man davon aus, dass sich zumindest fünf Mitglieder der Sächsischen Separatisten spätestens im November 2020 formierten. Die Größe der Gruppierung war mit fünfzehn bis zwanzig Mitgliedern überschaubar, ihre Absichten hingegen seien brandgefährlich gewesen. Demnach wären die jungen Männer und Frauen aus dem Osten Deutschlands bereit gewesen, „unerwünschte Menschengruppen notfalls durch ethnische Säuberungen aus der Gegend zu entfernen.“⁠10 Bei den Übungen, die sie auf einem alten Flugplatz in der sächsischen Kleinstadt Brandis und in nahe gelegenen Wäldern durchführten, wurden der Häuserkampf, der Umgang mit Schusswaffen und Märsche trainiert.

Bild 1: In diesem Forsthaus im Bezirk Krems-Land finden Ermittler Munition und taktische Ausrüstungsgegenstände. Das Haus sollte, so der Verdacht, den Sächsischen Separatisten nach dem „Tag X“ als Rückzugsort dienen.

Foto: Gernot Rohrhofer

Mit ihrer Festnahme nahmen die Umsturzfantasien der Sächsischen Separatisten ein jähes Ende. Doch ihr Fall zeigt: Auch achtzig Jahre nach dem Ende des Nazi-Regimes sind antisemitische und rassistische Ideologien weiter ein fester Bestandteil der Gesellschaft, besonders im Osten Deutschlands. Für zusätzliche Brisanz im Fall der Sächsischen Separatisten sorgt die politische Komponente: Unter den Verdächtigen befanden sich drei Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Festnahme Mitglieder der AfD waren. Zwei weitere Beschuldigte waren bei der Bundeswehr beschäftigt, einer bei einem Gericht in Sachsen.⁠11

Dass derartige Fantasien, aber auch politisch motivierte Straftaten zunehmen, ist nicht nur eine statistische Erscheinung, sondern auch Ausfluss der gesellschaftlichen Entwicklung: Hass, Hetze, Desinformation. Dazu kommen Täter, die immer jünger werden, und immer weiter sinkende Hemmschwellen. Globale Auseinandersetzungen, die wirtschaftliche Unsicherheit, aber auch gesellschaftliche und politische Veränderungen als (Spät-)folge der Corona-Pandemie bilden den Nährboden für Proteste, Spannungen und die immer höhere Gewaltbereitschaft. Im Fall von Deutschland gilt das sowohl für extrem rechte als auch extrem linke Bewegungen, wie die „Antifa-Ost“ bzw. „Hammerbande“.

Die Hoffnungen hinter dem „Tag X“ liegen darin, dass an diesem nicht näher bekannten Tag die verfassungsmäßige Ordnung zusammenbricht und es zu einer Machtübernahme durch staatsfeindliche bzw. rechtsextreme Gruppierungen kommt. Das Szenario, das der Anführer der Sächsischen Separatisten skizziert haben soll, war der Ausbruch eines Bürgerkrieges zwischen rechtsextremen und linksextremen Gruppierungen, „wenngleich er hierfür zunächst Umwälzungen in den USA für erforderlich erachtete, da andernfalls die in Deutschland stationierten US-Truppen intervenieren würden. Ferner prognostizierte er, dass bei weiterem Fortschreiten der ‚Migrationskrise‘ rechte Gruppierungen auf die Straße gehen würden, um selbst das ‚Gesetz umzusetzen‘“, heißt es in den Akten. Doch wie ernst zu nehmen sind derartige Umsturzfantasien? Kann eine Gruppe, die gerade einmal 15 bis 20 Mitglieder zählt, wirklich einen Staat aushebeln? Und wie weit reichte ihr Netzwerk in höchste politische Ämter? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, wurden fast 40 Personen interviewt. Unter ihnen sind Angehörige der Beschuldigten, aber ebenso Experten aus den Bereichen Extremismus, Politik und Staatsschutz.

Aus Sorge um ihre Sicherheit wollen viele Personen, die auf den folgenden Seiten zu Wort kommen, nicht namentlich genannt werden. Das gilt für die Recherchen in Deutschland ebenso wie im niederösterreichischen Bezirk Krems-Land. Dort trafen sich vor 40 Jahren schon einmal junge Nationalsozialisten und trainierten bei Wehrsportübungen das lautlose Töten von Menschen bzw. bereiteten sich auf den „Tag X“ vor. An vorderster Front stand damals Hans Jörg Schimanek junior, der ein enger Vertrauter des Neonazis Gottfried Küssel war. Nun, 30 Jahre später, sind es die Söhne von Hans Jörg Schimanek, die mit den Behörden in Konflikt stehen: Sie sollen Gründungsmitglieder der Sächsischen Separatisten sein.

Bild 2: Stammbaum der im Buch vorkommenden Mitglieder der Familie Schimanek. Hans Jörg Schimanek Junior hat außerdem noch einen Sohn, René Schimanek hat einen Sohn und eine Tochter.

Fotos: Hans Jörg Schimanek senior: APA / Georg Hochmuth, Hans Jörg Schimanek junior: APA / Robert Jäger, René Schimanek: Stadtgemeinde Langenlois, Jörg Schimanek: Vue Critique, Jörn Schimanek: Vue Critique

EINS

DIE SÄCHSISCHEN SEPARATISTEN

Die Geschichte der Sächsischen Separatisten beginnt in Brandis, einer Kleinstadt im deutschen Bundesland Sachsen. Anders als im 20 Kilometer entfernten Leipzig ist das Leben hier überschaubar. Ein Hotel, einige Imbissstuben und Restaurants, kleinere Geschäfte und ein Schulzentrum prägen die Stadt mit ihren 10.000 Einwohnerinnen und Einwohnern. In einem Einfamilienhaus im Westen der Stadt leben die Schimaneks. Die Spuren, die die Polizei am 5. November 2024 an ihrer Haustür hinterlässt, sind auch im Sommer 2025 noch deutlich zu sehen. Im Morgengrauen nutzt die Polizei das Überraschungsmoment und verschafft sich gewaltsam Zutritt zum Haus. Tür und Türstock werden massiv beschädigt. An drei Stellen wurden Sprengladungen angebracht, berichtet ein Mann, der in derselben Siedlung wie die Schimaneks wohnt und kurz vor 6:00 Uhr aus dem Bett gerissen wird. „Zuerst haben wir an eine Explosion, zum Beispiel einer Heizungsanlage, gedacht. Kurz danach gab es aber bereits die ersten Ansagen der Polizei.“ Streifenwagen, gepanzerte Fahrzeuge der Spezialeinheit GSG 9 und Zivilstreifen riegeln nicht nur das Haus der Schimaneks, sondern den gesamten Straßenzug ab. Per Lautsprecher wird die Familie aufgefordert, ins Freie zu kommen. Alle anderen Bewohnerinnen und Bewohner dürfen ihre Häuser erst gegen 7:00 Uhr verlassen, können also weder ihre Kinder in die Schule bringen noch selbst in die Arbeit fahren. „Worum es ging, haben wir erst im Laufe des Tages erfahren. Als ich das in der Früh wissen wollte, wurde mir von einem Polizisten ein Sturmgewehr ins Gesicht gehalten und gesagt, dass ich wieder in mein Haus gehen solle“, erzählt der Mann.

Zwei Tage dauert der Polizeieinsatz in der Einfamilienhaussiedlung. Die Polizei stellt nicht nur das Haus der Schimaneks auf den Kopf, sondern auch umliegende Grundstücke. „Im Garten der Schimaneks waren sie mit Sonden, Erdspießen und Spürhunden unterwegs. Auf einem angrenzenden Feld haben sie mit einem Minibagger gegraben und nach Waffen gesucht“, erinnert sich der Anrainer – für ihn sei der Zugriff in den Morgenstunden des 5. November 2024 überzogen gewesen: „Es musste laut sein, es musste knallen, und die Nachbarn sollten mitbekommen, dass hier etwas passiert.“ Von den Vorwürfen, die gegen die jungen Männer und Frauen erhoben werden, hält er nichts: „Einige Medien haben geschrieben, dass sie nach dem ‚Tag X‘ Sachsen erobern wollten, in anderen Medien wiederum hieß es, dass sie sich am ‚Tag X‘ nach Österreich zurückziehen wollten, um ihre Familien in Sicherheit zu bringen. Das ist ein Widerspruch in sich. Ganz abgesehen davon: Wie sollen 15 Leute einen Staat stürzen?“, sagt der Mann und will kein schlechtes Wort über die Schimaneks verlieren: „Man sieht sich, man hilft sich, und man trinkt hin und wieder auch ein Bier zusammen. Ich habe weder etwas von Feiern mitbekommen, wo ‚Heil Hitler‘ gerufen worden sein soll, noch von irgendwelchen Trainings oder Märschen. Eine anständige, hilfsbereite Familie. Mehr gibt es dazu nicht zu sagen.“

Bild 3: Die Spuren, die die Polizei an der Haustür der Familie Schimanek hinterließ, waren im Sommer 2025 noch deutlich zu sehen. Auf dem Schild neben der Tür ist ein Thors Hammer zu sehen. In der nordischen Mythologie ist dieser ein beliebtes Symbol für Stärke und Kraft. In jüngerer Zeit wurde der Hammer als legal verwendbares germanisches Symbol von der rechtsextremen Szene wiederentdeckt.⁠1

Foto: Gernot Rohrhofer

Jörn Schimanek wird bei der Razzia festgenommen. Sein älterer Bruder Jörg soll der Rädelsführer der Sächsischen Separatisten gewesen sein. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin im November 2024 im polnischen Zgorzelec und wird dort verhaftet, wenig später kommt das gemeinsame Kind der beiden zur Welt.

In Summe sind es acht Männer, die am 5. November 2024 festgenommen und etwa 20 Objekte, die durchsucht werden – darunter Gebäude in Wien und im niederösterreichischen Kronsegg im Bezirk Krems-Land. Den Zugriffen geht ein Hinweis aus den Vereinigten Staaten voraus. In einer Chatgruppe lernt Jörg Schimanek einen Amerikaner kennen und hofft laut Ermittlern, taktisches Rüstzeug für den „Tag X“ zu lernen. Was Schimanek nicht weiß: Der angebliche Mitstreiter arbeitet für den US-amerikanischen Inlandsgeheimdienst FBI und ist Verbindungsmann zum deutschen Bundeskriminalamt. Als die Schimaneks und andere junge Sachsen an einem warmen Sommertag im August 2024 für den bewaffneten Kampf trainiert haben sollen, werden sie deshalb nicht nur observiert, sondern auch abgehört – das BKA versah ihre Autos, aber auch das Trainingsgelände mit Wanzen. Auf dem Material, das die Ermittler sichern, ist angeblich zu hören, wie Schimanek von der „Vorherrschaft der weißen Rasse“ oder „ethnischen Säuberungen“ in Ost-deutschland spricht.⁠2 In englischsprachigen Chats, in denen sich Neonazis aus Europa und den USA vernetzen, soll er sich als „Hunter M.“ ausgegeben und Nachrichten wie „Wenn wir keine Juden hätten, hätten wir keine Probleme mit Nicht-Weißen“ gepostet haben.⁠3 Eine dieser Chatgruppen heißt „NSB Chat“ – NSB, die Abkürzung für Nationalsozialistische Bruderschaft. In dieser Gruppe chattet Schimanek auch mit dem Ermittler des FBI.

Auf einem seiner Profilbilder posiert Jörg Schimanek in militärischer Vollmontur. Er bezeichnet sich als taktischer Ausbilder einer Gruppe, die er „Arische Stoßtrupps“ nennt.⁠4 Und er ist angeblich stolz darauf, Teil einer „NatSocFamily“, einer nationalsozialistischen Familie, zu sein. Der Vater von Jörg und Jörn, Hans Jörg Schimanek junior, war in den 1980er- und 1990er-Jahren einer der führenden Rechtsextremen in Österreich.

Immer wieder besuchen seine Söhne mit anderen Jugendlichen aus der Gegend den ehemaligen Fliegerhorst Waldpolenz, drei Kilometer außerhalb von Brandis. 1934 bis 1936 errichtet, verfügte das Areal über mehrere Hallen, Bunker und Kasernen, einen Kommandostand, eine Feuerwache, eine Telefonzentrale und ein Offizierscasino. Im Zweiten Weltkrieg waren auf dem Flugplatz Kampfflugzeuge der Wehrmacht stationiert. Danach fiel das Gelände in die sowjetische Besatzungszone und wurde erst 1992 wieder an Deutschland zurückgegeben. 2005 wurde der Flugplatz geschlossen und in den Jahren danach zu einer Biogasanlage bzw. zu einem der größten Solarparks der Welt umfunktioniert.

Bild 4: Ein Hangar am Gelände der ehemaligen Blindflugschule in Brandis-Waldpolenz. Hier sollen die Sächsischen Separatisten trainiert haben.

Foto: Gernot Rohrhofer

Die ehemaligen Flughafengebäude sind mittlerweile desolat und übersät mit Graffiti. Bierdosen, Zigarettenpackungen und Aschereste zeugen von nächtlichen Trinkgelagen. Aber auch Matratzen, alte Autoreifen und sonstige Trümmer, die offenbar nicht mehr benötigt werden, türmen sich in den leer stehenden Hallen. Bei den Trainings, die die Sächsischen Separatisten nach Angaben der Ermittler auf dem Flughafengelände absolvieren, tragen sie Tarnuniformen. Einige von ihnen auch Helme und schusssichere Westen. Geübt, so heißt es, wird das taktische Vorrücken von Gruppen. Als „Schützenreihe“ bewegen sich die jungen Männer und Frauen über das Gelände. Übungen, wie man sie sonst nur vom Militär kennt. Auch der Häuserkampf wird trainiert. Die Airsoft-Waffen, die die Separatisten tragen, verschießen kleine Plastikkugeln, fühlen sich aber an wie echte Waffen. Koordiniert haben sollen sie die paramilitärischen Trainings über eine Chatgruppe mit dem Namen „Manöver Schneeflocke“ – so hießen in der DDR die jährlichen Wehrsportwettkämpfe an Schulen.⁠5

Der ehemalige Militärflugplatz ist aber nicht das einzige Objekt, das die jungen Männer und Frauen für ihre Vorbereitungen auf den „Tag X“ in Beschlag genommen haben sollen. In Brandis trainieren sie auf einem Schrottplatz. In nahe gelegenen Wäldern führen sie Nacht- und Gewaltmärsche durch. Einer dieser Wälder gehört Kurt Hättasch. Er ist bis zu seiner Festnahme Fraktionsvorsitzender der AfD im Stadtrat von Grimma, einem Nachbarort von Brandis. Hättasch sitzt für die AfD aber nicht nur im Stadtrat, sondern auch im Kreisvorstand und ist Schatzmeister der Jungen Alternative für Deutschland (JA), die Ende März 2025 aufgelöst wurde. Somit geht es im Fall der Sächsischen Separatisten nicht nur um ein paar junge Männer und Frauen mit eigentümlichen Fantasien, sondern auch um Menschen, die kraft ihrer Ämter an politischen Entscheidungsprozessen beteiligt sind – auf der einen Seite im Staat also mitgestalten, auf der anderen Seite genau diesen stürzen wollen.

Hättasch soll sich den Sächsischen Separatisten 2022 angeschlossen haben, aber schon als Gymnasiast ins rechte Fahrwasser geraten sein, erzählt Tobias Burdukat. Er unterrichtet an den Hochschulen in Leipzig und Nürnberg und leitet in Grimma die Yope gGmbH, die sich auf Jugendarbeit und Jugendhilfe im ländlichen Raum spezialisiert hat. Als Mitbegründer des Projektes „Dorf der Jugend“ wird er 2019 einer breiten Öffentlichkeit bekannt, 2022 stellt er sich als parteiloser Kandidat der Linken der Wahl zum Oberbürgermeister – mit 7,81 Prozent der Stimmen letztlich erfolglos.