Tahiti - Erik Schreiber - E-Book

Tahiti E-Book

Erik Schreiber

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Beschreibung

Friedrich Gesrtäcker deckt in seinem ersten Band über die Insel die Gegebenheiten, kulturell, sozial, religiös auf. Im Laufe der Zeit erschienen insgesamt vier Bände. In seinem vorliegenden Band geht es vornehmlich um den Mann Reneé und das Mädchen Atiu. Dazu kommen weitere Personen, die eine zentrale Rolle auf der Südseeinsel spielen.

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Seitenzahl: 306

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Herausgeber

Erik Schreiber

Windrose 35

Reiseerzählungen

Friedrich Gerstäcker

Tahiti

1. Band

e-book 18

Windrose 35

Reiserzählungen

Friedrich Gerstäcker - Tahiti (1857) 1. Band

Erscheinungstermin 01.12.2025

© Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

Titelbild: Archiv Andromeda

Lektorat Peter Heller

Vertrieb neobook

Herausgeber

Erik Schreiber

Windrose 35

Reiseerzählungen

Friedrich Gerstäcker

Tahiti

1. Band

Inhalt des ersten Bandes

Capitel 1 Der Walfischfänger

Capitel 2 Die Flucht, und welchen Dolmetscher René fand

Capitel 3 Das Mädchen von Atiu

Capitel 4 Der Mi-to-na-re

Capitel 5 Das Geständnis

Capitel 6 Was der ehrwürdige Mr. Rowe dazu sagt

Capitel 7 Der Verrat, und wie sich beide Teile dabei irrten

Capitel 8 Tahiti

Capitel 9 Die vier Häuptlinge

Capitel 10 Die Versammlung

Capitel 1

Der Walfischfänger

Von einem leichten Ostpassat getrieben, dazu die Obersegel fest, ja sogar noch mit einem Reef im Kreuzsegel, der vor einigen Abenden hineingenommen, und den man sich gar nicht die Mühe gegeben hatte wieder auszustechen, kam ein schwerfälliges, schmutzig aussehendes Schiff langsam bei dem Winde nach Süden herunter und näherte sich einer, in der Ferne eben sichtbar werdenden kleinen hohen Insel der Cooksgruppe.

Schon die großen fettigen Stellen in den Segeln, auf denen die Leute, nach dem Tranauskochen, beim Reefen allabendlich gelegen, verrieten den Walfischfänger, hätten ihn nicht auch die, an besonderen Krahnen zu beiden Borden aufgehangenen und noch auf Querstützen über Deck besonders gehaltenen Boote als solchen Dargethan. Andere Fahrzeuge besuchten auch selten diese Gewässer und selbst die Walfischfänger nur in diesen Monaten Januar und Februar, ehe sie wieder mit einbrechendem Frühling nach Norden aufgingen, die einträglichere, wenigstens ergiebigere Jagd der „rechten Walfische“ der der Spermacetis vorzuziehen.

Es war diesmal aber noch ziemlich früh in der Jahreszeit und der Delaware, wie der Walfischfänger getauft worden, hatte im Anfang beabsichtigt gerade zu Tahiti anzulaufen; durch den starken Ostpassat aber und die klein geführten Segel, wie mit der starken Äquatorialströmung gegen sich zu viel nach Westen versetzt, musste er erst wieder nach Süden hinunter, etwas mehr in die Region der veränderlichen Winde zu kommen, oder auch vielleicht einen der dann und wann einsetzenden Westwinde zu benutzen, und beschloss jetzt nur die erste in Sicht befindliche Insel anzulaufen, um einige Erfrischungen und vielleicht etwas Holz einzunehmen.

Das Wasser zwischen diesen Inseln ist übrigens, häufiger Riffe wegen, den Schiffen oft gefährlich, und die mit den Lokalitäten nicht sehr gut vertrauten Fahrzeuge machen, wenn sie in solchen Gruppen nichts zu tun haben, lieber einen ziemlich bedeutenden Umweg, sie zu umgehen, als dass sie sich leichtsinnigerweise hineinwagen. Mit einem Walfischfänger ist das aber ganz etwas anderes; er versäumt, sobald er sich erst einmal auf seinem Jagdgrund befindet, keine Zeit mehr, denn wenn er segelt, hat er die Möglichkeit eben so auf seiner Seite, dass er von Fischen weg, als ihnen gerade entgegenläuft, und wenn er stillliegt, kann er eben so gut eine ganze „School“ versäumen, die vielleicht dort vorübergeht, wo er hätte sein können, als die auf ihn zukommenden gerade wie auf der Lauer abfangen. Das Ganze ist Glückssache und dem Pirschen auf Rothwild in einem fremden Walde nicht unähnlich. Kommen diese Walfischfänger also an solche Stellen, so suchen sie, ehe es dunkel wird, hinter irgendeine kleinere Insel oder Riffbank zu laufen, wo sie entweder Ankergrund oder Raum zum Kreuzen haben, und treiben dort die Nacht herum, bis ihnen die aufsteigende Sonne wieder ihre Bahn beleuchtet.

Gerade mit Sonnenuntergang war denn auch der Delaware, bis westlich von Atiu, einer nicht ganz unbedeutenden Insel, gekommen, und der Capitain wäre gern die Nacht vor Anker gegangen, die Stellen aber, die er untersuchte waren überall, bis fast dicht an die schäumenden Riffbänke, so tief, dass er sich nicht der Gefahr aussetzen mochte, so nahe unter dem bösartigen Ufer vielleicht einmal von einem der hier oft sehr rasch eintretenden Weststürme überrascht zu werden. Er ließ also die Segel dicht reefen und kreuzte, (eben nicht zum Vergnügen der Mannschaft, die sechs bis acht Mal in der Nacht mit dem Schiff herum musste) in Lee der Insel auf und nieder.

Capitain Lewis kümmerte sich übrigens den Henker darum, ob er seinen Leuten damit einen Gefallen tat oder nicht , er und sie standen, wie man’s am Lande nennen würde, „auf Hofton“ miteinander, d. h. er sprach, seit sie das letzte Mal auf den Sandwichsinseln gewesen, wo es zu einigen Auftritten gekommen war, nur höchst höflich mit ihnen und nannte sie, wenn er sie zu einer Arbeit im Einzelnen aufforderte, gewöhnlich Mister, und, if you please, mit starker Betonung des letzten Wortes, aber mit einem Blick dabei, der deutlich genug sagte: „Wenn Du nicht springst, Canaille, zu tun was ich Dir sage, so lass ich Dich bei den Beinen aufhängen.“

Er, zum Dank dafür, hieß bei den Leuten, statt wie sonst die Capitaine gewöhnlich „den Alten“ zu nennen, der alte Teufel und wusste das auch recht gut, ja es schien ihm ordentlich Spaß zu machen, dass er so genannt wurde, und er hatte seiner Mannschaft schon mehrmals versichert, er wolle sich bemühen, seinem Namen keine Schande zu machen; welches Versprechen er auch bis jetzt, so weit es in seinen Kräften stand, redlich gehalten.

Die Mannschaft eines Schiffes ist in solchen Fällen übel daran, widersetzt sie sich, so ist es Meuterei, und sie wird darnach bestraft, mögen die Leute recht gehabt haben oder nicht, und halten sie, auf der anderen Seite aus bis zum Letzten, und verklagen nachher den Capitain, so ist Zehn gegen Eins zu wetten, dass dieser dennoch Recht bekommt. In sehr vielen Fällen hat er’s aber auch, und es gibt wohl auf keinen Fahrzeugen der Welt, Kriegsschiffe vielleicht ausgenommen, toller zusammen gewürfeltes Volk, als auf diesen Walfischfängern. Ein ordentlicher Matrose geht selten oder nie darauf, es ist meist lauter aufgelesenes Ufervolk, die faul genug sind ihre eigene Arbeit bei Seite zu werfen, und Romantik genug im Kopf haben, sich von einem „Walfischzug“ ein ganz besonderes Vergnügen und außerdem einen bedeutenden Nutzen zu versprechen. Die guten Leute sehen dann gewöhnlich immer etwas zu spät ein, dass sie sich in der ersten Erwartung jedes Mal, und nur zu häufig auch in der anderen getäuscht haben, und sie sind dann eben einmal und nicht wieder Walfischfänger gewesen, so dass fast jedes neu ausgehende Schiff, die Offiziere ausgenommen, auch eine durchaus neue Besatzung hat.

Schuster und Schneider, besonders die Letzteren, sieht man sehr häufig dabei, Tischler und Maurer, Schmiede und Böttcher, Gerber und Zigarrenmacher, alles wird Walfischfänger und der Capitain eines solchen Fahrzeugs, der von dem Rheeder, sobald er eine volle Besatzung hat und die Jahreszeit gekommen ist, in See hinaus geschickt wird, hat dann oft, wie sich nicht leugnen lässt, eine entsetzliche Zeit dies Volk, von dem er vorher weiß, dass es doch nur eine Reise bei ihm aushält, ja schon an den nächsten Plätzen, wo er anlegt fortläuft, wenn er ihnen nur Gelegenheit dazu gäbe, so weit einzurichten, dass sie wenigstens erst einmal verstehen lernen, was sie nur überhaupt zu tun haben. Dies sie nachher wirklich tun zu machen hat dann schon weniger Schwierigkeiten. Kommen nun ordentliche ruhige Menschen manchmal zwischen diese hinein, d. h. die Mannschaft, denn die Offiziere, vom Bootsteurer aufwärts, bilden ein ganz besonderes, abgeschlossenes Corps, so fühlen sich diese gewöhnlich höchst unglücklich und verwünschen den Augenblick, wo sie sich von der Romantik der Sache betören ließen, aber leider zu spät, und die viertehalb Jahr, die eine solche Fahrt sehr häufig dauert, werden ihnen zur Hölle.

Doch zurück an Bord unseres Fahrzeugs. Zum Ausschauen auf der Back vorn stand ein junger Mann, dessen edle, fast schöne Gesichtszüge, wie der schlanke schmächtig gebaute Körper wohl passender für einen Salon als das Vorcastle eines Walfischfängers geschienen hätten. Das volle braune Haar quoll ihm in dichten Massen unter der breiten schottischen, dunkelblauen Mütze vor, und seine reinliche Kleidung selber unterschied ihn auffällig von der übrigen, besonders in diesem Punkt höchst nachlässigen Schar. Es war ein junger Franzose aus sehr guter Familie, der sich in Boston mehr einer tollen Laune oder ziellosen Reiselust zu Liebe, als aus irgendeiner andern Ursache hatte verleiten lassen, an Bord des Delaware eine Reise nach der Südsee mitzumachen, und der jetzt still und brütend nach dem nahen Lande hinüberschaute, das mit dem dunklen Schatten seiner Palmen in träumerischer Ruhe vor ihm lag.

„Nun René, so in Gedanken?“, sagte plötzlich, dicht neben ihm, eine freundliche Stimme und eine Hand berührte leise seine Schulter, „an was denkst Du?“

Der Angeredete fuhr erst wie erschreckt aus seinem Nachdenken empor und schaute sich um, als er aber den Sprechenden erkannte, sagte er rasch und fast erfreut:

„Es ist mir lieb, Adolph, dass du gerade in diesem Augenblick zu mir kommst, ich bin eben mit meinem Entschluss ins Reine gekommen, ich verlasse dies Schiff.“

„Torheit“, sagte Adolph kopfschüttelnd, „Du kennst die Verhältnisse hier nicht, René. Kämst Du wirklich glücklich an Land, so brauchte der Capitain nur eine unbedeutende Belohnung auf Deinen Fang zu setzen und Du würdest rettungslos ausgeliefert. Ich bin schon früher hier gewesen und habe den Fall zweimal ausgeführt gesehen. Die Eingebornen sind seelensgut, aber wie die Kinder, ein Spielzeug könnte sie zu irgendetwas verführen, sei es nun zum Guten oder zum Bösen.“

„Hab’ ich erst festen Boden unter den Füßen, so könnten sie mich nur als Leiche wieder zurückschaffen“, murmelte René mit düsterem Blick und fester Entschlossenheit zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch.

„Das wäre Torheit“, sagte aber sein älterer Freund, ein Landsmann von ihm und jetzt dritter Harpunier auf dem Delaware, der mit René schon in Algier gefochten und in Canada gejagt, und damals alles versucht hatte ihm einen so tollen Entschluss, wenn auch vergebens, auszureden, als gemeiner Matrose das Leben eines Walfischfängers zu versuchen. „Du bist noch jung René und das Leben steht Dir weit und freudig offen, hier nun einmal in die Klemme geraten, bring Dich deshalb nicht gleich um alles, bloß weil es Dir in den Sinn kommt, die Suppe, die Du Dir selber eingebrockt, nicht ausessen zu wollen. Ein, höchstens zwei Jahre, und Du bist wieder frei wie der Vogel in der Luft, und selbst diese Zeit wird Dir dann, so schmerzvoll und entsetzlich sie Dir jetzt auch scheint, eine freudige, vielleicht liebere Erinnerung sein, als manche froh und glücklich verlebte Stunde.“

„Ich halt’ es nicht aus, Adolph, ich halt’ es bei Gott nicht aus“, sagte René kopfschüttelnd, „hier unter dem rohen Volk noch jahrelang bleiben und an Geist und Körper zu Grunde gehen, ich vermag es nicht. Du weißt dabei, wie nahe ich zweimal schon daran war mit dem Capitain selber, der fast schlimmer ist als der Schlimmste seiner Leute, zusammenzugeraten, und wer schützt mich dann vielleicht sogar vor seinen rohen Misshandlungen? Das Resultat bliebe dasselbe, auch das ertrüge ich nicht, und lieber will ich mein Leben hier wagen, wo mir noch die Möglichkeit eines Entkommens bleibt, als zuletzt gezwungen werden dem Capitain vielleicht ein Messer in den Leib zu rennen und über Bord zu springen. Nein, Adolph, ich bin fest entschlossen“ setzte er leise aber mit ruhiger und überzeugter Stimme hinzu, „die erste Gelegenheit, die sich mir bietet an Land zu kommen, und sollt’ ich es schwimmend zu suchen haben, benutz ich, und die Folgen mögen dann sein wie sie wollen, ich weiß und fühle, dass mir nichts Schlimmeres begegnen kann, als was ich jetzt in Seelenqual und innerer Unruhe zu leiden habe.“

„Hol’s der Henker“, sagte Adolph nach kurzem Sinnen, „wer weiß ob ichs nicht an Deiner Stelle, und mit Deinem jungen Blut in den Adern am Ende auch täte. Aber wie willst Du an Land kommen? Es ist noch ganz ungewiss ob der alte Teufel ein Boot abschickt Erfrischungen einzunehmen oder nicht, er traut uns allen mit einander nicht.“

„Doch“ entgegnete ihm René, „ich habe vorher zufällig gehört, dass unser Boot mit dem ersten Harpunier morgen mit Tagesanbruch hinüber soll, etwas Brotfrucht und Kokosnüsse abzuholen. Die Gelegenheit will ich jedenfalls benutzen, noch dazu da es uns einen Vorwand gibt, reichliche Kleider mit zu nehmen. Die Leute haben ja sonst nichts, sich Kleinigkeiten von den Eingebornen einzutauschen.“

„Und sowie Du im Wald drin bist“, sagte Adolph immer noch kopfschüttelnd, „hetzt der alte Seehund von Harpunier Dir die ganze Einwohnerschar hinterher, wie willst Du ihnen entgehen?, René, René es ist wahr, das Land liegt wohl verlockend genug vor uns da, und selbst mir zuckt’s in den Knochen, einmal frei darauf herumzuspazieren und von diesem, verdammten Marterkasten loszukommen, aber, ich weiß doch nicht, hast du einmal das Schiff verlaufen und wirst wieder eingefangen, so kommst Du nachher erst in eine Hölle, wenn Du vorher in keiner gewesen bist, und wenn ich ganz aufrichtig sein soll, so glaub’ ich nicht, dass Du zwei Tage von uns bleibst, ehe sie Dich wieder haben und die zwei Tage über bist Du dann mehr wie ein gehetzter Wolf als wie ein Mensch.“

„Und es hilft doch Alles Nichts“ lächelte René trüb; „ich hab’s mir nun einmal in den Kopf gesetzt, und ich führ es auch aus, mag daraus entstehen was da will; schlimmer kann’s nicht werden als es schon ist.“

„Doch, doch“, sagte Adolph „es kann noch viel schlimmer werden, Du hast es noch nicht gesehen, wenn es an Bord eines Schiffes einmal recht schlimm ist“, setzte er schaudernd hinzu „und ich verlang’ es ebenfalls nie, nie wieder zu erleben. Außerdem bist Du der Sprache gar nicht mächtig, wie willst Du Dich den Leuten verständlich machen? René, es geht in der Welt alles nach Eigennutz, bist Du erst einmal älter, wirst Du das auch selber erfahren und die Eingeborenen hier wissen recht gut, dass sie von einem entlaufenen Matrosen nicht viel Gutes und gar keinen Nutzen zu gewärtigen haben, während ihnen der Capitain eine Masse Sachen geben kann, die für sie und ihr einfaches Leben förmliche Schätze sind.“

„Ich habe Geld bei mir“, sagte René rasch, „Peste, ich brauche des alten Schuftes Blutgeld nicht, mir meine Bahn auch im schlimmsten Fall zu erkaufen, wenn es denn nicht anders sein kann.“

„Das ist schon ein sehr sehr großer Vorteil“ lächelte Adolph, „und es werden wenig Matrosen von Walfischfängern weglaufen, die wirklich einen Franc in der Tasche haben, aber der Capitain bleibt immer im Vorteil. Äxte, Beile, Kattune und Schmuck und besonders Spirituosen sind ihnen weit lieber als Geld, und über derlei Sachen hast Du immer nicht zu verfügen.“

„Vernünftiger Weise magst Du Recht haben, Adolph“, lächelte aber der junge Mann, auf alle diese Argumente, „und ich glaube selbst, dass es eine Art verzweifelter Schritte ist, auf einer so kleinen Insel, wie diese zu sein scheint, zu entlaufen, die Möglichkeit ist immer eher da, dass man eingefangen wird.“

„Sag’ lieber die Wahrscheinlichkeit“, unterbrach ihn Adolph.

„Und meinethalben auch die Wahrscheinlichkeit“, murmelte René zwischen den zusammengebissenen Zähnen durch, „ich habe mir aber noch nie etwas so fest vorgenommen gehabt, ohne es durchzuführen, und den Versuch will ich machen, oder darüber zu Grunde gehen!“

„Eh bien“, lachte Adolph, „sobald Du einmal so weit gekommen, ist es nicht nötig, mehr darüber zu sprechen. Meine Wünsche für Dein Wohl hast Du übrigens, und ich wollte nur, dass ich Dir in irgendetwas dabei nützlich sein könnte; ich sehe nur noch nicht wie.“

„Wer weiß, wie sich das noch alles machen kann“, sagte René „aber auf dem Quarterdeck werfen sie schon wieder die Falle los, in der Mitternachtswache möcht’ ich Dir noch etwas sagen.“

„Ship about“, unterbrach ihn hier der eintönige Ruf; die Leute traten sämtlich an ihre Posten und das Schiff wurde über den anderen Bug gelegt, jetzt wieder vom Lande abhaltend.

Mit der nächsten Morgendämmerung hatten sie die Küste, und zwar eine kleine Art Bai, die von zwei auslaufenden Corallenriffen gebildet wurde, gerade vor sich, und der Ruf des ersten Harpuniers sammelte die Leute in sein Boot; mehre dort schon aufgeschichtete Sachen, Handels- und Tauschartikel für die Eingebornen, wurden hineingelegt, das Boot schwang frei und auf das Wasser nieder, und die Mannschaft legte sich in die Ruder.

„Was sind das für Pakete da vorn?“, sagte der Harpunier, als sie eben von Bord abgestoßen waren, „wer hat die eingeworfen?“

„Ein paar Hemden und andere Kleinigkeiten, Mr. Rowsy“, erwiderte einer der Leute, „wir wollten uns auch was von Früchten eintauschen!“

„Und das andere daneben?“

„Dasselbe“, erwiderte René, den die Frage anging. Der Harpunier sagte nichts weiter und René warf noch einen verstohlenen Blick nach Bord zurück, wo Adolph stand und ihm zunickte. Er war ihm behilflich gewesen die Sachen rasch, und ohne dass sie an Bord selber etwas davon zu sehen bekamen, ins Boot zu schaffen, der Capitain hätte es sonst unter keiner Bedingung zugelassen, obgleich dies etwas ziemlich gewöhnliches an Bord von Walfischfängern ist.

In Kanus kamen übrigens keine Indianer ab und ihnen entgegen, obgleich sie mehrere Kanus in der Bai liegen sahen, und nur erst als sie die Corallen-Bank berührten, erschienen oben zwischen den Büschen eine Anzahl Männer und Frauen mit Körben aus Kokosblättern geflochten, in denen sie Früchte und Muscheln trugen, und erst ein Zeichen der Fremden abzuwarten schienen, ehe sie sich ihnen näherten.

Der Harpunier, der sich seit seiner Jugend fast in diesen Meeren herumgetrieben, sprach ihre Sprache ziemlich geläufig, und ein paar freundliche Worte in dieser hatten fast eine zauberhafte Wirkung auf die Schar. Die, die im Anfang die furchtsamsten gewesen waren, riefen sich erstaunt unter einander zu, dass die Fremden Freunde seien, und dieselbe Sprache mit ihnen hätten, und aus allen Büschen und Dickichten brachen sie jetzt heraus, und mischten sich so sorglos und vertrauend wie Kinder zwischen die Leute, befühlten das Zeug ihrer Kleider, lachten über ihre Bärte und Schuhe, und sprangen und sangen, als ob sie schon Jahre lang mit ihnen bekannt gewesen wären.

Der Tauschhandel ging indessen rüstig vor sich; gegen Messer und Tabak, Kattune und Glasperlen brachten sie Massen der herrlichsten Früchte, besonders vortreffliche Orangen und Brotfrucht, und während der Harpunier unter einem stattlichen Pandanus saß, die ihm gebrachten Waren musterte, und bestimmte was er dafür geben wolle, mischten sich die Leute, nur einen derselben bei dem Boot lassend, ebenfalls unter die Eingebornen, die wenigen Kleinigkeiten die sie mitgebracht, gegen Früchte und Muscheln, hauptsächlich aber die ersten zu vertauschen.

Diesen Zeitpunkt benutzte René, schnallte sein kleines Bündel, dass er im Anfang vor den Eingeborenen ausgebreitet gehabt, wieder zusammen, und verlor sich damit, ohne dass irgendjemand auf ihn acht hatte, im Dickicht. Von den Eingeborenen sahen ihn vielleicht Einige, achteten aber nicht auf ihn, und die Leute vom Schiff waren viel zu sehr mit sich selber und ihrer Umgebung beschäftigt, sich nur im mindesten darum zu bekümmern, was einer der ihrigen Tat.

Zwei Stunden später etwa, als der Harpunier alles weggegeben was er mitgebracht, und sein Boot fast gefüllt war mit all den Massen von Sachen die er dafür eingetauscht, rief sein Befehl die Leute wieder zusammen, und er stieg selber ins Boot, an Bord zurückzukehren.

„Wo ist René!“, frug er, als er einen Blick über die Mannschaft geworfen.

„René!“, tönte der Ruf der Matrosen, „Oh René!“ Kein René ließ sich blicken und niemand wusste was aus ihm geworden, ja ein paar bezweifelten, dass er überhaupt mit an Bord gekommen sei, so wenig hatten sie sich, mit dem Land vor sich, um einander bekümmert. Jedenfalls fehlte aber ein Mann, und der Offizier wusste auch, dass er bei der Herüberfahrt seine volle gewöhnliche Besatzung gehabt.

„Damn it“, rief der Harpunier endlich im Boot, in dem er seinen Sitz schon wieder eingenommen, in die Höhe springend, „He has bolted, die Pest über den Hallunken; aber den wollen wir bald wieder haben. Bleibt Ihr hier im Boot bis ich zurückkomme!“, rief er dann seinen Leuten zu, und über die Sitze wegspringend, eilte er wieder an Land und wandte sich dort an einen der Eingebornen, der eine Art Oberherrschaft über die Andern auszuüben schien.

„Hallo Freund!“ redete er ihn an, „Einer von meinen Leuten ist mir weggelaufen, könnt Ihr ihn wieder fangen, und was wollt Ihr dafür haben?“

„Hat er Gewehr mit?“, frug der Alte ziemlich vorsichtig, denn er schien danach den Preis des Einfangens bestimmen zu wollen.

„Nein, kein Schießgewehr, vielleicht nicht einmal ein Messer“ lautete die ermutigende Antwort.

Die Eingebornen fingen jetzt eifrig an untereinander zu verhandeln, und zwar in so rascher und oft eigentümlicher Sprache, dass der Amerikaner selber nicht verstehen konnte, was sie mitsammen hatten. Aus ihren Bewegungen wurde es ihm jedoch bald deutlich, denn zwei davon gingen nach einem besonderen Teil im Busch und untersuchten hier die Fährten und ihren Gestikulationen nach schien es, als ob der Flüchtige sich dort hinein gewandt habe. Der alte Indianer zeigte sich auch bald erbötig ihm den Mann wieder zu verschaffen; seine Forderung dafür war aber ziemlich bedeutend; er wollte Kattun und Messer, etwas Tabak und in der Tat ein wenig von allem haben, und als jener endlich einwilligte ihm das alles zu geben, hatte er noch ein Beil und ein Hemd und mehrere andere Kleinigkeiten vergessen.

Der Harpunier wusste übrigens, dass sich der Capitain nicht lange hier aufhalten wollte, und wütend sein würde über die Flucht des Mannes; er sagte also dem Alten seine sämtlichen Forderungen zu, vorausgesetzt dass sie mit dem Gefangenen am Ufer wären, sobald sie mit dem Boot und den verlangten Sachen wieder vom Schiff zurück sein könnten.

Dies abgemacht, stieß das Boot augenblicklich vom Lande, die eingetauschten Früchte mit der fatalen Nachricht an Bord zu bringen und den Fanglohn für den Entflohenen herüber zu holen, während die Eingebornen indessen wie Spürhunde den einmal angenommenen Fährten des Flüchtigen nachliefen.

Capitel 2.

Die Flucht, und welchen Dolmetscher René fand.

René war, als er sich nur einmal außer dem Bereich seiner Kameraden sah, so rasch er konnte gerade einem der nächsten Hügel zugeeilt, und das selbst schien mit der Last die er trug, gerade kein kleines Unternehmen. Für ein Hemd hatte er sich nämlich vorher ein paar grüne Kokosnüsse und einige Bananen eingetauscht, damit er nicht genötigt wäre, gleich in den ersten vierundzwanzig Stunden wegen Nahrungsmitteln einen irgendwo gefundenen Versteck zu verlassen, und diese, neben seinen Bündel Kleidern tragend, musste er sich durch das, manchmal entsetzlich dicke Gebüsch, fortwährend mit dem fatalen Gefühl verfolgt zu werden, Bahn brechen. Er wusste aber was ihm bevorstand, wurde er von den Leuten des Delaware wieder eingefangen, und wollte wenigstens Nichts was in seinen eigenen Kräften stand unversucht lassen, sich so weit als möglich jeder solchen Gefahr zu entziehen. In dieser Absicht arbeitete er sich auch dem höheren Teil der Insel zu, weil er dort erstens den Lagunen aus dem Weg ging, die hier seinen Pfad zu beengen drohten, und dann auch wahrscheinlich in dichtes Buschwerk hineinkam, was von den Eingebornen selber selten betreten wurde.

Als er nur erst einmal hügeligen Boden erreichte, wurde seine Flucht dadurch sehr erleichtert, dass er kultiviertes und eingefenztes, wenn auch durch Unkraut ziemlich arg überwachsenes Land traf. Dort hatte er sich wenigstens durch keine verwachsenen Büsche mehr Bahn zu brechen und konnte sein Terrain ein wenig freier übersehen. Blieb er da in der Nähe, so wuchs auch Frucht genug, ihn ein Jahr im Proviant zu halten; überdies war der ganze Wald voll Früchte, denn die Guaven standen mit Äpfeln, wenn auch noch nicht vollkommen gereift, förmlich bedeckt. Nur die Kokospalmen reichten nicht so weit hinauf, doch sah er hier in den Feldern eine Masse Wassermelonen, die ihn reichlich dafür entschädigen konnten. Weiter durfte er sich für jetzt aber nicht beladen, denn er trug schon, was er überhaupt tragen konnte, und die Hitze war groß. Die ungewohnte Anstrengung und Aufregung taten natürlich auch das Ihrige dabei.

Durch die Felder ging das auch ganz gut, überhalb diesen wurde das Dickicht aber wieder so schlimm wie es je gewesen, und die Guavenbüsche schienen hier eine förmliche undurchdringliche Hecke zu bilden, durch die er sich nur gebückt, und sein Gepäck oft nachschleppend, hindurchdrängen konnte. Nur erst, wo diese endlich aufhörten, und mit ihnen jede Art von Frucht, begannen hohe dunkle Casuarinen, die einen weit bessern Durchgang gewährt haben würden, wären nicht so viele trockene und dürre Äste von ihnen heruntergefallen gewesen, die sich ihm oftmals wie förmliche Palisaden entgegenstellten.

Aber er musste hindurch, und das war ein tüchtiges Wort, ihn alle Schwierigkeiten mit leichtem Muth überwinden zu lassen. Hier wurde der Grund auch steinig, und er fand, als er den höchsten Punkt endlich erreichte, zu seiner Freude einen kleinen felsigen Platz, den er sich selber hätte nicht schöner und passender zu einem Castell ausbauen können, als es hier die Natur für ihn getan. Zehn Fuß war er dort oben von allen Seiten frei, und das bröcklige Gestein, was den steil auflaufenden Gipfel bildete, konnte ihm im Anfang eben so wohl zum Verbergen, als später, sollte er gefunden werden, als Waffe dienen, auf irgendeinen andringenden Feind niederzurollen.

Mit einem förmlichen Triumphruf nahm er von dieser kleinen Festung Besitz, und als er oben seine Last abgeworfen, und sich die nassen Haare aus der Stirn gestrichen hatte, sagte er lächelnd:

„Beim Himmel, mit Adolph hier und zwei guten Gewehren, wollt’ ich mir die ganze Besatzung des Delaware vom Leibe und einem förmlichen Sturm abhalten, Ha Le Delaware!“, unterbrach er sich plötzlich selber überrascht, und fast unwillkürlich trat er hinter einen der Felsstücke, denn als er den ersten Blick nach außen warf, sah er, dass er frei über das Meer schauen konnte, und dort lag auch sein altes Schiff so klar und nah vor ihm, dass er die einzelnen Leute an dessen Bord konnte, auf- und abgehen sehen. Mit dem Glas mussten sie im Stande sein ihn, sobald er sich nur frei zeigte, vollkommen gut zu unterscheiden. Er überlegte sich jedoch bald, dass sie bis jetzt an Bord noch keine Ahnung von seiner Flucht haben konnten, denn eben kam erst das Boot, dem er entflohen, dorthin zurück, und er konnte selbst erkennen, wie die Leute von unten hinauf an Bord kletterten.

Jedenfalls war er also schon vermisst und er musste darauf gefasst sein dass ihn die Eingeborenen aufspüren würden, denn mit seiner Ladung hatte er an vielen Stellen eine ziemlich breite und tiefe Fährte zurückgelassen. Die kurze Zeit also die ihm bis dahin blieb, wollte er benutzen sich noch so gut, als es eben anging zu befestigen, nachher dem Schicksal und seinem guten Glück das Übrige zu überlassen. Er war jung und ein Franzose, also weit davon entfernt sich Sorgen vor der Zeit zu machen, überdies hatte er alles, was ihm jetzt bevorstand voraus gewusst und es kam ihm Nichts unerwartet.

Schießwaffen hatte er, zwei kleine Terzerole ausgenommen, keine; außer diesen aber ein langes zweischneidiges schweres Messer in lederner Scheide, wovon er sich die meiste Hülfe versprach, und ein leichtes trotziges fast muthwilliges Lächeln überflog seine schönen Züge, als er die beiden kleinen Pistolen aus der Tasche nahm, und vor sich auf die Steine legte.

„Es sind zwar keine Zweiunddreißigpfünder“, sagte er dabei lachend vor sich hin, „und ich weiß in der Tat nicht einmal ob sie überhaupt losgehen werden, aber sie haben doch Mündungen, und ist den Eingebornen hier schon überhaupt jemals ein solches Instrument wie eine Pistole zu Gesicht gekommen, so müsste ich mich sehr irren, wenn ich nicht glauben sollte die ganze Insel damit von mir abhalten zu können. Kurze Frist werden sie mir aber doch wohl Ruhe lassen, und die will ich denn wenigstens benutzen, meinen Körper ein wenig zu restaurieren und mit Speise und Trank zu erquicken.“

Und damit schnürte er wohlgemut seinen Bündel wieder auf, in dem er auch ein kleines Paket mit einem paar Schiffszwiebacken und einem Stück Salzfleisch verborgen hatte, und mit einem Teil von diesem und einigen Bananen, wozu er eine der Kokosnüsse anzapfte und etwas davon trank, seinen allerdings brennenden Durst zu löschen, hielt er eine so vortreffliche und ruhige Mahlzeit, als ob er sich in voller Sicherheit in irgendeinem guten Gasthaus befände, und nicht jeden Augenblick fürchten musste, umstellt und gefangen zu werden.

Die Feinde waren ihm übrigens weit näher als er je vermuhtet, denn kaum hatte er sein Mahl beendet, und eben wieder die Kokosnuss an die Lippen gehoben, noch einen letzten Schluck zu tun, als er gar nicht weit von sich entfernt ein Geräusch zu hören glaubte. Er hielt horchend ein, da krachten wahrhaftig wieder die Büsche. Nichtsdestoweniger trank er erst in aller Ruhe, denn er wusste recht gut, dass er hier oben in seiner festen Stellung nicht so plötzlich überrascht werden konnte, stellte dann die Nuss vorsichtig und ein paar Steine darum legend, bei Seite, dass sie nicht umfiel und seinen Wasservorrat gleich um die Hälfte verringerte, griff seine beiden Terzerole auf, und schaute dann, hinter irgendeinen, der größten Steine gedrückt, aufmerksam nach dorthin, von woher sich jetzt vorsichtig irgendjemand zu nähern schien. Es dauerte auch nicht lange, so konnte er schon die bunten Kattunüberwürfe mehrerer Eingeborener erkennen, die langsam und aufmerksam den Boden betrachtend, seinen hinterlassenen Spuren folgten.

Wie viele es waren, ließ sich noch nicht erkennen, das blieb sich aber auch gleich; war er erst einmal aufgefunden, so konnten sie, so sie überhaupt feindliche Absichten hatten, leicht Verstärkung holen, und er musste vor allen Dingen sehen, sich auf eine friedliche Art mit ihnen zu verständigen. Die Terzerole konnten ihm aber dabei nur mehr Schaden als Nutzen bringen, und er steckte sie deshalb vorläufig wieder in die Tasche, die Ankunft der Indianer jetzt auf das ruhigste und kaltblütigste erwartend.

Diese ließen ihn auch nicht lange mehr über ihre Absicht im Zweifel. Der Erste der voranging mochte eine gewisse Obergewalt über die Andern haben, denn dicht unter den Steinen, auf denen sie den Flüchtling gar nicht zu vermuhten schienen, sandte er zwei rechts und zwei links ab, zu sehen, wohin sich die Spuren etwa den Berg wieder hinunterzögen, während er selber gerade auf den Felsen zukam. René wusste recht gut dass er von diesen fünf Leuten noch weiter keine Gefahr zu fürchten hatte, und doch jedenfalls aufgefunden werden musste, sich also deshalb aufrichtend, und mit beiden Ellbogen auf einem der vor ihm liegenden Blöcke stützend, sah er erst eine kurze Weile den Mann unten, der auf dem hier steinigen Boden nicht recht mit der Spur einig zu sein schien, lächelnd zu, und sagte dann plötzlich mit lauter Stimme den schon mehrfach gehörten und behaltenen Gruß:

„Joranna-Boy!“

Wäre dem Eingebornen, der gebückt und die Augen fest auf den Boden geheftet, fast gerade unter ihm stand, ein grimmer Tausendfuß über den Nacken gelaufen, er hätte nicht rascher und mehr erschreckt in die Höhe und zur Seite springen können, und erst das laute Lachen Renés, der auf ihn herunterschaute, als ob jemand aus dem Fenster einer höheren Etage sieht, brachte ihn wieder ein wenig zu sich. Der erste Schrei, den er aber in voller Überraschung ausgestoßen, war hinreichend gewesen, seine Gefährten um ihn zu sammeln, und die fünf roten Burschen, die hier mit so feindseligen Absichten heraufgekommen waren, wussten eigentlich nicht recht, wie ihnen geschah, als sie den gerade, von dem sie die grimmigste Gegenwehr erwartet, in der größten Gemütlichkeit vor sich und so friedlich gesinnt fanden, wie sie es nimmer hätten erwarten dürfen.

Erst sahen sie eine ganze Zeitlang schweigend zu ihm empor, es war augenscheinlich, sie misstrauten noch dem äußeren Ansehn der Dinge, diese Freundlichkeit konnte Maske sein sie plötzlich zu überrumpeln, und obgleich sie bewaffnet waren, d. h. zwei führten Tapa-Hölzer und die andern drei Eimer ein Beil und Zwei Messer, und der Weiße unten ihnen die Versicherung gegeben hatte, dass der Flüchtling nichts Derartiges mitgenommen habe, wussten sie doch nicht welche außerordentlichen Mittel ihm sonst vielleicht zu Gebote stehen möchten ihnen zu schaden. Sie waren allerdings willens die ausgesetzte Belohnung zu verdienen, dachten aber dabei gar nicht daran ihren Leib oder gar ihr Leben irgendeiner unnötigen und zu vermeidenden Gefahr auszusetzen.

René blieb übrigens in seiner nichts weniger als feindlichen Stellung, wobei er sich jedoch wohl gehütet hatte seine Gestalt den Fernröhren des Schiffes preis zu geben, und da die so erstaunten und verdutzten Gestalten der Indianer allerdings komisch genug aussehen mussten, und er sich gar keine Mühe gab sein Lachen zu verbergen, so verlor sich diese Furcht denn auch endlich.

Der Führer sah seine Begleiter erst ganz ernsthaft an, und dann verzog ein breites Grinsen oder Feixen seine sonst gutmütigen Züge, während sich diese noch eine kleine Weile zu Geniren schienen, endlich mochte ihnen das Komische ihrer Lage aber auch wohl einleuchtend werden. Der Eine schnitt auf einmal ein ganz freundliches Gesicht, und war dann urplötzlich wieder so ernst und finster als vorher, als er aber den Häuptling ansah und dessen ausbrechende Fröhlichkeit bemerkte, glaubte er auch wahrscheinlich dem Anstand volle Genüge geleistet zu haben, und platzte nun auf einmal so rasch und laut heraus, dass sich die Andern ordentlich erschreckt nach ihm umsahen.

„Joranna, Joranna!“, rief jetzt der Erste hinauf, dem augenscheinlich ein Stein vom Herzen gefallen schien, da er die Sache sich so friedlich lösen sah und es zeigte sich jetzt dass er auch etwas gebrochen englisch sprach, wie man fast auf allen diesen Inseln Einzelne findet, die Worte und Redensarten, im Verkehr mit den Fremden, aufgefangen und behalten haben. „Joranna Boy! wie geht’s, wie geht’s Freund, komm herunter, komm herunter, weißer Mann, Capitain sagt, soll herunterkommen.“

„So?“, lachte René in derselben Sprache, „weißer Mann Capitain sagt, also ich soll herunterkommen?“

Der Indianer nickte auf das freundlichste, dass er ihn so gut verstanden hatte, und versicherte, sich zu seinen Begleitern wendend, diesen, dass er die Sache jetzt augenblicklich in Ordnung bringen würde.

„Ja, komm herunter, komm herunter, weißer Mann Capitain sagt“ wiederholte er noch einmal, dieses Faktum vor allen Dingen außer jeden Zweifel zu stellen.

„Und wenn ich, weißer Mann kein Capitain nun nicht will?“ lachte René.

„Nicht will?“, rief der Führer der Eingebornen erstaunt aus, und sah den Fremden an; dann aber, denn er konnte in dessen Gesicht immer noch keinen Ernst entdecken, dies ebenfalls für einen guten Spaß desselben haltend, den er zu ihrem eigenen Vergnügen gemacht habe, schaute er sich nach den Andern um, lachte laut auf, und erzählte ihnen mit der größten Freundlichkeit was der Weiße, da oben eben so Lustiges gesagt habe.

Die übrigen Eingebornen, die gleich von allem Anfang gar nichts Anderes erwartet hatten, konnten darin aber nicht den mindesten Spaß entdecken, und ein paar, zu diesem Zwecke an den Alten gerichtete Worte machten diesen ebenfalls wieder ernsthaft und ließen ihn doch an die Möglichkeit glauben, dass der Fremde am Ende wirklich nicht selber herunterkommen wollte, und ihn da herunterzuholen, war jedenfalls eine missliche Sache.

„Bah, bah“, sagte der Alte jetzt kopfschüttelnd und mit einem Gesicht, als ob man einem unartigen Kind irgendeine Torheit verweisen wolle, „närrisch Ding, närrisch Ding, weißer Mann Capitain guter Mann, verlangen weiter Nichts wie herunterkommen.“

„Was bekommt Ihr dafür mich zu holen?“, frug ihn aber René so gerade mitten in alle seine Berechnungen hinein, dass er ihn ganz wieder außer Fassung brachte, und er erst den Weißen, und dann seine Begleiter erstaunt ansah, augenscheinlich unschlüssig ob er diese, etwas indiskrete Frage, so geradezu und der Wahrheit gemäß beantworten solle. Er hielt es am Ende für besser es erst mit den Seinen zu beraten; da diese aber nicht das mindeste Bedenken darin fanden seinem Wunsche zu willfahren, wandte er sich wieder zu dem jungen Franzosen und zählte ihm jetzt mit der größten Ernsthaftigkeit alle die Artikel auf die sie bekommen würden, und zwar mit einem Eifer und einer Genauigkeit, als ob das noch ein besonderer Beweggrund für ihn selber sein müsse, jetzt augenblicklich niederzusteigen und ihnen den Besitz aller dieser Herrlichkeiten nicht länger, widerrechtlicher Weise, vorzuenthalten.

Zu ihrem Erstaunen ließ sich aber der Fremde selbst nicht durch die Erwähnung des Handbeils und die fünf Yards roten Kattun bestechen, sondern blieb nur ruhig und unbeweglich in seiner Stellung. Angenehm war es ihm aber nicht, diese Masse verschiedenartiger Gegenstände aufzählen zu hören, und er konnte daraus nicht allein sehen wie viel dem Harpunier daran gelegen gewesen war ihn wieder zu bekommen, als auch wie sehr schon die Habgier dieser sonst einfachen und gutmütigen Leute erregt worden, den ausgesetzten Lohn so rasch als möglich zu verdienen. Überredung half hier Nichts, so viel sah er recht gut ein, wäre er selbst ihrer Sprache vollkommen mächtig gewesen, und das Einzige was sich noch mit ihnen im Guten anfangen ließ, war ihnen an Geld und vielleicht Kleidern gleichen Nutzen zu bieten, wo er dann wieder das zu seinen Gunsten hatte, dass sie bei dessen Annahme ihre Gliedmaßen in keine Gefahr brachten.

„So?“, sagte er also, da sie geendet hatten und nun nichts anderes zu erwarten schienen, als dass er nach solchen dargelegten Gründen, ihren Beweisen nicht länger werden widerstehen können „so? das also hat Euch weißer Mann Capitain alles geboten, mich einzig und allein wieder unten abzuliefern?“

„Ja Freund, bloß unten abzuliefern“ lautete die Antwort.

„Todt oder lebendig?“, frug aber der junge Mann mit größter Kaltblütigkeit zurück, und erschreckte dadurch den Alten nicht wenig, der jetzt zum ersten Mal an zu begreifen fing, dass der Fremde doch am Ende nicht so ganz gutwillig mit ihnen gehen werde.

„Todt oder lebendig?“ wiederholte er erstaunt und versuchte zu lachen, was ihm aber missglückte, „tot? wir sollen doch weißen Mann nicht tot abliefern, lebendig versteht sich.“

„Und wenn sich nun weißer Mann zur Wehr setzt?“ sagte René.