Im Jahr 2000 - Erik Schreiber - E-Book

Im Jahr 2000 E-Book

Erik Schreiber

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Dieses e-book versammelt fünf Kurzgeschichten aus den letzten Jahrhunderten. In ihrer Zusammensetzung sind sie sehr abwechslungsreich und fernab jeglicher Space Opera. In der damaligen Zeit war man gerade dabei auf den Planeten des Solaren Systems fremde Kulturen zu entdecken. Damals galt es vor allem neue soziale Strukturen zu erfinden. Neu politische und kulturelle Formen waren die Hauptanliegen der damaligen Autoren.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 537

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Herausgeber

Erik Schreiber

Klassische Science Fiction

Verschiedene Autoren

Im Jahr 2000

e-book 021

Klassisische Science Fiction

Verschiedene Autoren - Im Jahr 2000

Erscheinungstermin: 01.01.2026

© Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

Titelbild: Simon Faulhaber / Archiv Andromeda

Lektorat: Peter Heller

Vertrieb: neobook

Herausgeber

Erik Schreiber

Klassische Science Fiction

Verschiedene Autoren

Im Jahr 2000

Inhaltsverzeichnis

Carlos da Silva - Botschaft von der Venus

Carlos da Silva - Plan-Rak II antwortet nicht

Claudius Claesen - Die Herrschaft der Marsmolche

Charles Gerlier - Das Licht der Dämonen

John Wymore - Der Unsichtbare

Carlos da Silva Botschaft von der Venus

Auf Island ereignet sich eine Katastrophe, alle Einwohner werden tot aufgefunden, bis auf zwei Agenten der Weltregierung, die aus ihrem Haus verschwunden sind. Sie wurden als Versuchobjekte von Venusbewohnern in seltsamen, tannenzapfenartigen goldenen Raumschiffen entführt.

Ramon und Dagmar können mit den völlig andersartigen Venusbewohnern kommunizieren, müssen aber wegen der für sie giftigen Luft in einem für sie errichteten Biotop leben. Ramon macht einen Fluchtversuch und kann die Erde per Funk informieren.

Die Erde baut dann eine Raumflotte, um Venus anzugreifen, aber die beiden Agenten können letztlich einen Krieg und eine Katastrophe verhindern.

Der Sekretär des Außenministeriums, Arturo Vigiani, blickte auf die Uhr. Gott sei Dank, schon sieben. Und mit einem Aufatmen begann er die verschiedenen, mit Geheimakten angefüllten Fächer seines Schreibtisches abzuschließen. Mit seinen Gedanken hatte er längst das Büro verlassen und tanzte bereits im Lords-Hotel, wo er sich mit Donna Corinna, der schönsten Frau, die er je kennengelernt hatte, treffen wollte. Übrigens machte Arturo Vigiani regelmäßig etwa alle acht Wochen die Bekanntschaft der „schönsten Frau, die er je gesehen hatte“.

Er schickte sich eben an, sein Arbeitszimmer zu verlassen, als aus dem kleinen Lautsprecher auf dem Tisch die quäkende Stimme von Armando Lima, dem Chef des Informationsdienstes, tönte.

„Lieber Vigiani, Sie müssen sofort zu mir kommen. Ich habe sensationelle Meldungen von A 615“, sagte Lima und man vermeinte seiner Stimme förmlich die Erregung, die ihn erfüllte, anzumerken. Ehe noch Vigiani irgendeine wenig höfliche Bemerkung gemacht hatte, schaltete Lima bereits ab. Seufzend verließ der Sekretär den Raum und fuhr zum 25. Stockwerk empor, in dem sich die Informationsabteilung befand.

Sämtliche Herren der Abteilung standen um einen Fernschreiber versammelt und schienen jeden Buchstaben, den das Gerät schrieb, voll brennender Ungeduld zu erwarten. Die übrigen Fernschreiber und Fernsehgeräte an den Wänden des Saales, die alle eifrigst arbeiteten, beachteten sie gar nicht. Aufgeregt winkte Lima den Sekretär zu sich, der mit mürrischer Miene den Saal betreten hatte. Er bekam einen Stoß Depeschen ausgehändigt.

„Alle von A 615!“, sagte Lima voll Stolz.

„A 615? Kenn’ ich nicht. Wohl Ihr neuer Star, was?“ erwiderte Vigiani spöttisch.

„Sie kennen ihn doch … Ramon Azevedo, den wir mit der kleinen Dings … wie hieß sie, so ein verrückter Name war es, Dagmar oder so ähnlich? Na, ich weiß nicht mehr, also kurz jenen Azevedo, den wir als Chefagenten nach Island geschickt haben. Arbeitet ausgezeichnet. Da …!“ Und er begann aus einer Depesche vorzulesen: „Seit drei Stunden verstärkt sich auf der ganzen Insel mit jeder Minute der Nebel. Dabei stetiger Temperaturanstieg. Bisher um 15 Grad … Na, was sagen Sie jetzt? Da will irgendjemand landen … Meinen Sie nicht?“

Vigiani erwiderte nur, dass dies seiner Meinung nach auch am nächsten Morgen hätte behandelt werden können. Doch Lima schien ihn gar nicht gehört zu haben und fuhr fort: „Da, der letzte Funkspruch bisher: ‚Insel in undurchdringlichen Dampf gehüllt. Panik im ganzen Land. Lufttemperatur 35,5 Grad’.“

Triumphierend hielt Lima inne, so, als sei er selbst jener A 615, der solche Sensationen zu melden hatte. „Der Herr Luftfahrtminister hat bereits Kenntnis. Hier seine Anordnungen.“ Und ein neues Aktenbündel landete in den Armen Vigianis. Der blickte wütend zum Fenster hinaus, durch das man, geradezu, als wollte man ihn verhöhnen, die große Kuppel des dreißig Stock hohen Lords-Hotel erblickte, wo er mit Donna Marina …

Ach, nicht daran denken. Und sein Blick verfing sich in dem Antennendrahtgewirr vor der Empfangsstation der Informationsabteilung. Da! Täuschte er sich? Kleine Flämmchen liefen den Draht entlang.

„Dort!“ schrie er plötzlich zu Lima, der zusammenschrak. „Sehen Sie nichts?“ Und er deutete aufgeregt zum Fenster hinaus. Lima folgte seinem Blick. Dann lief er zum Fenster und wollte einen Flügel öffnen. Dabei berührte er mit seinem goldenen Ring den metallenen Riegel. Ein bläulicher Funke sprang mit hörbarem Knall von Metall zu Metall, tödlich erschrocken sprang Lima einen Schritt zurück und blickte rings im Zimmer umher. Erst jetzt bemerkte er, dass der Großteil der Apparate stillstand. Das Klappern der automatischen Tasten hatte aufgehört. Stattdessen sprühten aus den Metallteilen der Geräte bläuliche Strahlenbündel. Nur hin und wieder tickte noch ein Telegraph. Wie traumverloren klang es.

Da schrie Vigiani neuerlich auf: „Dort, das Lords-Hotel!“

Und sie blickten auf die mit Kupferblech gedeckte Kuppel des Wolkenkratzer-Hotels, die in einen Kranz flammender, zuckender, blauer Lichter gehüllt schien. Voll unerträglicher Furcht, die aus der Luft selbst auf sie einzuströmen schien, standen alle ratlos in dem großen Raum. Da begann der Apparat, der die Meldungen von A 615 aufgenommen hatte, zu ticken.

Immer wieder von elektrischen Entladungen unterbrochen, brachte das Gerät dennoch einige Worte zustande. Lima stürzte zu dem Apparat. Als er eine metallene Schreibtischlampe berührte, sprang ein kleiner Blitz von seiner schweißnassen Hand auf den Lampenfuß. Doch Lima hielt aus. Er kroch förmlich in den Fernschreiber.

„… Licht von oben … unerträglich … wahrscheinlich Ultraschall … schon tot …“, schrieb das Gerät, machte dann eine längere, von ständigen Funkenüberschlägen unterbrochene Pause, um schließlich noch drei verständliche Worte zu schreiben: „… wie goldene Tannenzapfen …“

Dann aber verbreitete sich der durchdringende Geruch von verbranntem Gummi, und der Apparat schwieg endgültig. Lima, der allerlei erlebt hatte und selbst jahrzehntelang als Agent gearbeitet hatte, schauderte. Was konnte Azevedo zugestoßen sein? Der Sinn der Depesche war unverständlich, doch gerade deswegen umso furchterregender.

Wenige Sekunden später brach ein furchtbares Gewitter los, das die Meteorologen später für die seltsamen und die Bevölkerung ängstigenden elektrischen Symptome verantwortlich machten.

Sechzehn Stunden später startete ein Geschwader von Stratosphärenflugzeugen nach Island, um festzustellen, was sich dort ereignet hatte. Als Beobachter des Außenministeriums machte Arturo Vigiani die Reise mit.

Peer Albin Gudmundson war schon 73 Jahre alt, aber ein solches Unwetter hatte er noch niemals erlebt, obwohl seine Heimat, eine kleine Insel der Äußeren Lofoten, hoch im Norden Norwegens, nicht gerade arm an Stürmen ist. Zuerst, ehe der Orkan begann, wehte eine widerliche, warme Brise. „Heiß, wie in Singapore“, hatte Thore Asbjörn gesagt, der als Matrose weit in der Welt herumgekommen war. Und dann brach es los. Es donnerte und blitzte 24 Stunden ohne Unterlass und als Peer einmal vor das Haus ging, um nach fernem Boot zu sehen, das an seiner Leine zerrte, wie ein Kettenhund, da sah er, dass der Strand von hunderten und aberhunderten von toten Fischen bedeckt war. Da lagen sie in allen Größen, vom Kabeljau mit 200 Pfund bis zur Sardine.

Peer schüttelte seinen grauen Fischerkopf und stapfte gegen den Sturm zu den toten Fischen. Der Orkan drohte ihn umzuwerfen, als er mit einer Stiefelspitze nach einem der gut zwei Meter langen Fische stieß. Der Ozean tobte gegen die Klippen, dass die Gischt viele Meter hochsprühte. Der Himmel war blau, obwohl noch immer Blitze zuckten. Die Sonne schien, während langgezogener Donner das Brüllen der Brandung übertönte.

Und wieder schüttelte Peer Albin Gudmundson seinen Kopf. Das gab’s doch nicht, Gewitter und blauen Himmel? Alles Schuld dieser verd… Atombomben. Und er fluchte herzhaft. Plötzlich wurde sein Blick von einem Stück Metall gefangen genommen, das in der Sonne glänzte.

Ein paar hundert Meter hatte der Fischer im Sturm zurückzulegen, ehe er dem glitzernden Ding da vorne in die Nähe kam. Immer größer und mächtiger wurde es und schließlich ragte es in der Größe eines Eisenbahnwaggons aus dem Sande. Peer berührte die Fläche des Metallkörpers, der blank poliert und von rotgoldener Farbe war. Sie fühlte sich kalt und glatt an. Dachziegelartig übereinandergelegte Platten schienen seine Oberfläche zu bilden.

Peer kehrte ins Dorf zurück und holte seinen alten Freund Thore Asbjörn. Gemeinsam besahen sie dieses augenscheinlich gestrandete Ding, dessen seltsame, riesige Formen zu nichts zu passen schienen, was es auf Erden gab.

„Wir müssen unseren Fund den Behörden melden“, sagte schließlich Thore. „Vielleicht ist es ein neuartiger Sprengkörper. Man weiß nicht, was sie sich heute alles ausdenken. Sieht ja komisch genug aus, das Zeug!“

„Weißt du, was ich dachte, als ich das erste Mal hier war?“, fragte Peer Albin Gudmundson den Freund. „Ich dachte: Sieht aus, wie ein goldener Tannenzapfen. Ja, das dachte ich …“ Und er spuckte einen gewaltigen Pfriem Kautabak in den Wind.

Wenige Stunden später traf in Oslo eine Meldung ein, die man für einen Aprilscherz hielt, obwohl man den 15. Juli schrieb. Auf den Lofoten hieß es darin, hätten zwei Fischer ein Gebilde gefunden, das aus „goldähnlichem Metall besteht und einen Körper, der der Form eines Tannenzapfens ähnelt, besitzt“.

Der Nachrichtenchef des zuständigen Ministers, der nicht wusste, was er mit diesem noch nie dagewesenen Fall tun solle, sandte zwei junge Hauptleute nach den Lofoten, um den Fund zu besichtigen.

Hätte irgendjemand in Norwegen den letzten Funkspruch von A 615 gekannt, es wäre vielerlei zu tun gewesen …

Ramon Azevedo erwachte von einem schrillen, hohen Klingeln. Verdammt, dachte er, mitten in der Nacht und wollte sich unwillig auf die andere Seite drehen. Sein Körper aber gehorchte nicht. Der Kopf schmerzte unerträglich, ihn schwindelte geradezu. Was war denn nur los gewesen gestern? Wo hatte er so viel Whisky …?

Er versuchte, sich durch die Haare zu streichen. Doch die Hand prallte knapp vor seinem Kopf an irgendeinem Hindernis ab. Mit einem Mal war Azevedo voll wach. Und im selben Augenblick fiel ihm auch alles wieder ein.

„Die Tannenzapfen!“, dachte er und „Dagmar!“ Diese gräuliche Klingelei nahm wohl kein Ende? Sie zerstörte jeden vernünftigen Gedanken. Manchmal schien der Ton der Klingel höher zu sein, manchmal schnarrte oder rasselte es bloß.

Azevedos Hand tastete sich allmählich bis zu seinem Hals empor. Nichts zu spüren als der vertraute Stoff des Anzugs, das Hemd, die Brieftasche. Und da, der Revolver, Gott sei Dank, der war ihm geblieben. Instinktiv umklammerte er die Schusswaffe und fühlte sich gleich besser. Dann stellte er fest, dass sein Kopf von einem kugelförmigen Gebilde umgeben war, das sich völlig luftdicht an seinen Hals anschmiegte. Es war ihm unmöglich, auch nur den kleinen Finger zwischen Haut und Wulst dieser seltsamen Haube zu zwängen.

Er beklopfte das Kugelgefäß und stellte fest, dass es vollkommen schalldurchlässig war. Und zuletzt erkannte er auch, dass er hindurchsehen konnte. Er bemerkte, dass es Nacht war. Freilich eine ungewöhnliche Nacht. Denn er erblickte auf der gegenüberliegenden Wand zwei grelle Lichtflecke, die er kaum anzusehen vermochte, so blendeten sie ihn. Sie schienen hart und ohne jeden weichen Übergang in der sie umgebenden Finsternis zu schwimmen.

Azevedo war ein zäher Bursche und hatte schon zahlreichen Gefahren getrotzt. Dieser Situation aber schien auch er kaum gewachsen zu sein. Hunderte Fragen durchschossen sein Gehirn, ohne jedoch beantwortet zu werden. Seine Gedanken glichen einem aufgestörten Ameisenhaufen.

Mühsam richtete er sich auf und versuchte durch das Fenster zu blicken, das jene zwei gleißenden Lichtflecke in das Innere seines „Zimmers“ warf, das nichts, keinen Stuhl, keinen Tisch, kein Lager enthielt. Bequem konnte er durch zwei kleine, kreisrunde Scheiben hinausblicken. Doch vor Entsetzen starr, taumelte er zurück, sank zu Boden und musste sich einige Minuten mit aller Willenskraft beruhigen, ehe es ihm gelang, sich wieder zu erheben und, dieses Mal für längere Zeit, aus dem Fenster zu blicken.

Tief unter ihm schwebte eine riesige Kugel, etwa dreimal so groß, als der Mond am Himmel erscheint. Hellere und dunklere Flecken zeichneten sich auf der Kugel ab. Ein weißer Fleck glänzte und glitzerte.

„Das muss der Südpol sein“, dachte Ramon und plötzlich wusste er: Es war die Erde, seine Heimat, die Heimat aller Menschen, die dort unten schwebte und er, Ramon Azevedo, war als einziger Mensch hier im Weltenraum. Als einziger? Wo war Dagmar? War sie tot? Azevedo zwang sich, nicht daran zu denken. Er betrachtete aufmerksam den Raum vor den Fenstern.

Sterne in einer Zahl und in einem ruhigen Glanz, wie er ihn noch nie gesehen hatte, standen am pechschwarzen Himmel. Die Sonne war mitten unter ihnen, ohne sie zu überstrahlen; ein roter Glutball, der riesige, zuckende Strahlenbündel in den Raum schleuderte.

Vor, neben und hinter Azevedo schwebten, so weit er sehen konnte, golden schimmernde Gebilde, jene seltsamen Körper, die er „Tannenzapfen“ genannt hatte. Gleich einer Herde von reglosen, goldenen Schafen schwebten sie gleißend und glänzend in der ewigen Nacht des Alls. Nichts gab es, mit dessen Hilfe man hätte feststellen können, ob die „Zapfen“ ruhig im Raum schwebten oder mit rasender Geschwindigkeit dahinfuhren. Nur der riesige Ball da unten, die Erde, drehte sich langsam, ganz unmerklich. Allmählich trat die Südspitze von Amerika in den Gesichtskreis Ramons. Wie lange er zum Fenster hinausgestarrt hatte, was er gedacht hatte, er wusste es nicht.

„Warum sie nur unausgesetzt klingeln?“, dachte er später wieder, als er sich an den phantastischen Anblick gewöhnt hatte. Aber er hielt plötzlich in seinen Gedanken inne: Wer waren denn die, die hier klingelten, diese Unbekannten, die ihn ins Weltall entführt hatten? Was wollten sie von ihm? Seine Angst von vorhin schlug urplötzlich in ohnmächtige Wut um. Wer gab „ihnen“ das Recht, ihn gefangenzunehmen? Ihn, und, wie er hoffte, auch Dagmar? Er ging vom Fenster weg und trommelte gegen die metallene Wand. Vielleicht kam jemand?

„Hallo, aufmachen, aufmachen, was fällt Ihnen ein? Ich bin ein freier Bürger! Aufmachen!“ Und er brüllte und schlug dazu mit Fäusten und Schuhen einen Trommelwirbel gegen die Wände seines Gefängnisses.

Nichts. Er brüllte weiter, er schrie sinnlose Laute, machte seiner Angst und Wut Luft. Wieder nichts. Nur das Klingeln wurde zum tieftönenden Rasseln, setzte für Sekunden aus, um dann mit neuer Wucht wieder zu beginnen.

Plötzlich fühlte Ramon seinen Revolver. Er riss die Waffe aus der Tasche und feuerte das ganze Magazin gegen die Wand, irgendwohin, ohne zu zielen, nichts anderes im Sinn, als sich bemerkbar zu machen, gehört zu werden, nicht allein im Weltenraum zu schweben. Er ertrug dieses elende Gefühl des hilflosen Ausgeliefertseins nicht länger.

Das Klingeln schwoll sofort zu einem Toben an. In den Wänden der Kabine zeigten sich einige Einschussöffnungen, die von den Revolverkugeln herzurühren schienen. Es schien Ramon, als bebten die Wände seiner Zelle ein wenig. Die Töne der Klingel wurden immer höher, bis sie schließlich überhaupt nicht mehr zu vernehmen waren, obgleich er deutlich mit jedem Muskel, jedem Nerv spürte, dass die Schallwellen mächtiger denn je pulsierten und nur für sein Ohr nicht mehr als Töne vernehmbar waren, weil sie zu hoch waren.

„Jetzt verwenden sie wieder diesen scheußlichen Ultraschall“, dachte er, während sich sein Körper unter der Wucht der Schallwellen wand. Dann begann ihn langsam die Besinnung zu verlassen. Er versank in einen Raum, in dem Tausend farbige Sterne einen schmerzenden Reigen tanzten, in der Mitte aber schwebte ein junges Mädchen. „Dagmar!“, wollte er rufen. Aber er lallte nur noch. Sein in das runde Gebilde gehüllter Kopf sank nach rückwärts. Im nächsten Augenblick setzte das hörbare Klingeln wieder ein.

Ungestört, lautlos, mit unbekannter Geschwindigkeit und unbekanntem Ziel flogen die „goldenen Tannenzapfen“ durch die ewige Nacht des Weltalls. Kleiner und kleiner wurde der fahlgelbe Ball der Erde. Ramon Azevedo, einstmals Geheimagent 615, regte sich nicht mehr.

Am 16. Juli durcheilte eine Schreckenskunde die Welt. Island, die Insel unter dem Polarkreis, war von einer unbekannten, furchtbaren Katastrophe heimgesucht worden. Der Großteil der Einwohner war tot, ja sogar sämtliche Tiere, Hunde, Katzen, Ziegen, selbst Insekten, waren zugrunde gegangen.

Es war die größte Katastrophe in der Geschichte der Menschheit. Ein Walfischfänger, der nach dem schweren Unwetter, das den Untergang der Insel begleitet hatte, auf Island landete, fand ein verwüstetes Land. Gras und Büsche, der ganze, ohnedies nur dürftige, Pflanzenwuchs der Insel war schwarz gebrannt, so, als hätte eine riesige Feuersbrunst das Land heimgesucht.

Die „New York Expreß“ schrieb, ein Meteor habe die Insel getroffen, die Londoner „Daily Post“ wusste zu berichten, dass der große Vulkan der Insel ausgebrochen sei und giftige Gase ausgestoßen habe. Doch so sehr man danach brannte, Näheres zu erfahren, die aufeinander eifersüchtigen Regierungen der Großmächte verwehrten jedermann die Abreise. Nur die Militärbehörden hatten Expeditionen ausgesandt, um die Insel zu durchforschen.

Das südamerikanische Luftgeschwader, das auch Arturo Vigiani, den Sekretär des Außenministeriums und Armando Lima, den Chef des Informationsbüros, nach Island brachte, landete wenige Stunden vor den europäischen Verbänden auf der Insel. Der Anblick der verödeten Dörfer und Städte war grauenvoll.

Doch Lima kannte nur ein Ziel: das Wohnhaus von A 615. Es stand außerhalb einer kleinen Hafenstadt im Westen der Insel. Ein kleiner Hubschrauber, den man mitgebracht hatte, führte Lima bald ans Ziel. Auch hier, in dieser Kleinstadt, schien alles leblos und ausgestorben.

Endlich fand Lima, der von Vigiani begleitet wurde, das Haus, dessen genaue Adresse ihm bekannt gewesen war. Zögernd traten die Männer ein. Niemand war da.

Das Schlafzimmer schien unberührt zu sein. Auf dem Schreibtisch des Wohnzimmers lag ein Notizblock, daneben die Füllfeder. Aus einem kleinen Silberrahmen, dessen Glas zersprungen war, blickte die Photographie einer jungen Frau. „Deine Dagmar“ stand darauf.

Vigiani betrachtete alles ruhig und sachlich. Er war gewohnt, langsam zu überlegen. Nichts war ihm verhasster, als rasches, impulsives Handeln. Den „Zauderer“ nannten ihn seine Kollegen scherzhaft. Anders Lima, der sich sogleich auf den Notizblock stürzte und die Zeilen überflog. „Er hat alles aufgeschrieben!“, schrie er schließlich und fuchtelte mit dem Notizblock in der Luft herum. „Es sind Unbekannte, sie kamen in Fahrzeugen, die wie Zapfen aussahen!“

Vigiani dachte nach. Welch furchtbarer Gegner war hier der Menschheit erwachsen! Es schien zudem nur eine kleine Probe seiner Macht gewesen zu sein. Er wollte Lima seine Gedanken mitteilen, doch der beachtete ihn gar nicht. Er überflog Seite um Seite der Notizen Ramons und vergaß dabei Ort und Zeit …

Als die beiden blutjungen Hauptleute, Erik Söderquist und Gunnar Börge, auf der Lofoteninsel eintrafen und den alten Fischer Peer Albin Gudmundson zu sprechen wünschten, der den seltsamen „Zapfen“ entdeckt hatte, da war ihnen recht froh zu Mute. Alle Welt sprach von Island. Expeditionen wurden zu der Todesinsel gesandt, wo es nichts gab, was einen jungen Offizier hätte reizen können. Hier, diese unwichtige, kleine Aufgabe, jenen Metallklotz zu untersuchen, schien dagegen ein reines Vergnügen, eine Abwechslung im öden Einerlei des Dienstes.

„Hast du gesehen, wie uns die Mädels alle angestarrt haben?“, fragte Söderquist seinen Freund, als sie in einem kleinen Auto zu der Fundstelle fuhren. Doch der antwortete nicht und zeigte nur stumm auf das goldglänzende Ding vor ihnen. Der Fischer stand neben dem „Tannenzapfen“ und nahm sich dagegen klein aus, wie eine Fliege, die auf einer Melone krabbelt.

„Sieht gut aus, das Zeug! Wie ein Riesenzapfen. Der alte Fischer hat gar nicht so unrecht!“ sagte er schließlich.

Dann gingen die beiden Offiziere um den Platz, besahen den Sand, der den Metallkörper bis zu etwa einem Drittel bedeckte und das untere, spitze Ende des „Zapfens“ verbarg. Mit Hilfe mitgebrachter Spaten und Schaufeln machten sie sich daran, von Peer Albin Gudmundson und einigen anderen Fischern unterstützt, das Gebilde auszugraben, das 16 Meter lang war und einen Durchmesser von vier Metern hatte.

Nach mehreren Stunden, es dämmerte bereits, lag der Koloss völlig bloßgelegt vor ihnen. Fugenlos lag das Gebilde da, von regelmäßigen, schuppenartig gegliederten Flächen bedeckt. Auch die Spitze des „Zapfens“ war ohne jede Öffnung.

Gunnar Börge nahm verschiedene Messungen vor und entwarf eine kleine, maßgetreue Skizze des Gebildes. Söderquist holte einen Meißel und schickte sich an, ein Stück aus der Metallwand zu stemmen, um es daheim chemisch untersuchen zu lassen.

Es war schon dunkel geworden. Am klaren Himmel erschienen die Sterne. Söderquist setzte den Meißel an und führte einige leichte Schläge, um auszuprobieren, ob das Metall sehr hart und spröd sei.

Plötzlich begann im Inneren des „Zapfens“ eine Klingel zu rasseln. Laut und deutlich, auf- und abschwellend, bald hoch und schrill, bald tief und brummend, läutete es, so, als habe Söderquist mit seinen Hammerschlägen eine Weckeruhr ausgelöst.

Entsetzt flohen die Fischer. Sogar Peer Albin Gudmundson mit seinen 73 Jahren rannte, wie er seit Jahrzehnten nicht mehr gelaufen war. Die beiden Offiziere waren gleichfalls tödlich erschrocken. Söderquist ließ Meißel und Hammer fallen und sprang zum Auto. Börge, als alter Frontsoldat, lief instinktiv hinter den nächsten Felsblock und nahm volle Deckung.

Nach einigen Augenblicken erhob sich der Zapfen, als sei er ein Lebewesen, stand dann in seiner ganzen Höhe auf der Spitze seines Metallkörpers und, ging. Ja, er ging. Er hüpfte über Steinblöcke und Sandhügel in einer lächerlichen, an einen Gummiball erinnernden Weise. Einige seiner Schuppen schienen sich geöffnet zu haben.

Plötzlich erstrahlte der ganze Strand in gleißendem Licht. In seinem Mittelpunkt, dem der Zapfen zuhüpfte, erscholl alsbald ein lautes Heulen und Brausen. Einzelheiten waren nicht mehr zu erkennen.

Dann, der Lärm und die Helligkeit hatten ihren Höhepunkt erreicht, schoss ein feuriger Streif gegen den nächtlichen Himmel. Unmittelbar darauf erlosch das blendende Licht. Das Getöse verstummte. Doppelt finster war die Nacht. Nur das Meer rauschte.

Der Zapfen war verschwunden.

„Das war der Scheinwerfer irgendeines Dampfers!“, schrie Söderquist, der sich rasch gefasst hatte. Doch Börge, der besser beobachtete, schwieg. Er hatte deutlich gesehen, dass das Licht nicht vom Meere her gekommen war. Die Schatten der Felsen und Sandhügel waren ganz kurz gewesen. Das Licht kam von oben her, aus dem Weltall.

Lima war eben mit seiner aufregenden Lektüre fertig geworden und schickte sich an, dem ungeduldig auf eine Erklärung wartenden Vigiani zu erzählen, was er wusste. Plötzlich aber hörten sie beide den Motorenlärm eines überschweren Motorfahrzeuges.

„Was kann denn das sein?“, rief Lima nervös und stürzte zum Fenster. „Unser Hubschrauber ist doch ganz allein hierhergekommen.“

Nachdem er hinausgeblickt hatte, fuhr er, wie von der Tarantel gestochen, zurück und fluchte leise und ingrimmig. „Ausgerechnet jetzt müssen die hierherkommen!“, sagte er zu Vigiani und deutete in den Vorgarten des Hauses, durch den eben drei Männer dem Hause zuschritten. Sie trugen die Uniformen einer anderen Großmacht. Vor dem Hause hielt ein großer, mit Atomgeschützen armierter Panzer. Einige Männer blickten aus der geöffneten Turmluke.

„Was sollen wir tun?“, flüsterte Vigiani, dem das ganze wenig Spaß machte. Doch zu Besprechungen blieb keine Zeit mehr. Laut miteinander sprechend, betraten die Männer den Raum. Sie waren offensichtlich der Meinung, dass sie ganz allein seien.

„… und da sag ich also zum Oberst“, erzählte einer von ihnen, „Herr Oberst mögen sich mal vorstellen, wenn wir auch bei uns zu Hause solch eine Katastrophe mitmachen müssen. Und was glaubt ihr, hat er erwidert?“

Doch niemals sollte man erfahren, was der Herr Oberst darauf erwidert hatte. Denn Lima sprang mit einem plötzlichen Satz vor. Der Erzähler von vorhin, der furchtbar erschrocken war, rief: „Was wollen Sie denn von uns? Was tun Sie hier?“

Lima wollte eben eine grobe Antwort geben, doch Vigiani ergriff überraschend das Wort.

„Meine Herren!“, rief er, und man merkte, dass er sich sowohl an Lima als an die Neuankömmlinge wandte, die sich gleich Streithähnen gegenüberstanden. „Vergessen wir nicht, dass wir von unzähligen Toten umgeben sind. Es waren Menschen. Die Menschheit ist in Gefahr, nicht Ihre oder meine Heimat allein. Besprechen wir uns!“

Lima warf seinem Landsmann wütende Blicke zu; es schien, er hätte lieber Raufhändel gesucht. Dann, nachdem sein Ärger verflogen war, betrachtete er nachdenklich den Notizblock von A 615. „Sie haben recht, Vigiani“, sagte er schließlich.

„Ich schlage vor“, fuhr Vigiani fort, „dass unverzüglich Bevollmächtigte der drei Großmächte hier auf Island zusammenkommen, um angesichts der Katastrophe zu beraten, was man tun soll, um in Zukunft derartige Unglücksfälle, wenn Sie es so nennen wollen, zu vermeiden.“

Da die drei Männer erklärten, mit ihren Vorgesetzten Rücksprache halten zu müssen und auch Lima sagte, dass er mit seiner Regierung telefonieren müsse, beschlossen sie, in etwa fünf Stunden wieder zusammenzukommen. Als Treffpunkt wurde das größte Hotel der Hauptstadt ausgewählt.

Zur verabredeten Stunde setzten sich vier Herren von jeder der beiden auf der Insel vertretenen Gruppen an den Tisch. Lima eröffnete den Versammelten, dass ihn seine Regierung ermächtigt habe, offen all das bekanntzugeben, was er wisse.

„Meine Herren“, sagte er, „mir sind die Aufzeichnungen des einen der beiden Menschen, die die Katastrophe überlebten, in die Hände gefallen. Die Menschheit ist in der größten, tödlichsten Gefahr, der sie sich seit ihrem Bestehen je gegenübersah. Ich bitte Sie, mir genau zuzuhören und Ihre Regierungen dann zu verständigen.“

Und er entfaltete, während seine Hände vor Aufregung zitterten, den Notizblock Ramon Azevedos. Dann begann er zu lesen …

„14. Juli, 23 Uhr 40. Merkwürdig, wie der Nebel zunimmt. Dabei ist es schon seit Stunden geradezu ekelhaft warm. Dagmar kam eben zu mir und sagte, dass die Empfangsbedingungen der Funkstation elend schlecht sind. Sie kann kaum ihre Radiogramme absetzen.

15. Juli, 2 Uhr 30 früh. Ich kann nicht schlafen. Das Thermometer zeigt 34 Grad. In Italien ist es kühler als hier in Island am Polarkreis. Ich sehe nicht einmal mehr die Birke vor meinem Fenster, so dicht ist der Nebel. Als Dagmar den Sendeapparat einschaltete, sprang ein Funke von ihrem Ring zum Metall des Apparates über.

3 Uhr. Die Sonne ist aufgegangen, obwohl man nichts davon sieht. Der Nebel ist unbeschreiblich. Wir sind von einem unerträglichen Angstgefühl erfüllt. Steht ein Vulkanausbruch bevor? Temperatur: 39 Grad.

4 Uhr 35. Soeben beginnen alle Metallgegenstände zuckende Strahlen auszusenden. Dagmars Armband strahlt kaltes, blaues Feuer in den Raum. Entsetzt warf sie es von sich. Was geschieht mit uns? Ich habe mich entschlossen, bis zum letzten Hauch meines Lebens Notizen zu machen.

4 Uhr 55. Ich glaube, wir waren beide für Minuten völlig apathisch und unfähig, irgendetwas zu fühlen. Es hat 42 Grad. Wir atmen heißen Dampf. In der Stadt heulen die Luftschutzsirenen. Männer, Frauen und Kinder stürzen in wilder Flucht an uns vorbei zum Meer und kämpfen um die wenigen Boote und Schiffe.

5 Uhr 20. Täusche ich mich? Der Nebel leuchtet. Nein, es stimmt. Wir müssen versuchen, ein Radiogramm abzusetzen.

5 Uhr 35. Gott sei Dank, es hat noch geklappt. Wir waren von elektrischen Entladungen umzuckt. Dagmar arbeitet noch. Ich höre fortwährend ein seltsames Klingeln. Kommt wohl von den überreizten Nerven.

5 Uhr 45. Das Klingeln wird lauter. Auch das Licht wird stärker. Leuchtender Nebel. Ich vermag kaum noch zu schreiben. Sitze nun neben Dagmar, die den Sendeapparat zu mir gebracht hat. Wir werden sterben, davon bin ich überzeugt. Es passiert irgendetwas unfassliches. Das ist ja kein Klingeln mehr, das ist ein Ticken. Unsere Körper winden sich wie im Krampf. Dieser Lärm. Dagmar hält sich die Ohren zu. Das nützt nichts, ich weiß es jetzt, das ist Ultraschall. Unhörbare Wellen, deswegen werden wir so furchtbar geschüttelt.“

Lima unterbrach seine Vorlesung. „Nun folgen Zeilen, die kaum noch zu entziffern sind“, erklärte er und fuhr mühsam buchstabierend fort:

„6 Uhr. Ich glaube, es ist bald zu Ende. Der Nebel strahlt. Alles heult, das Glas in den Fenstern zerspringt, auch im Rahmen von Dagmars Bild. Das Tintenglas fließt aus. Ich habe wahnsinnige Schmerzen. Dagmar ist ohnmächtig geworden.

6 Uhr 10. Das sind sie. Ein riesiger, goldener Gegenstand …  ein Zapfen … er hüpft durch meinen Garten … das muss ich durchgeben durch den Sender … Ich bin sicher schon wahnsinnig. Das gibt es nicht, das ist ein Fiebertraum. Es donnert und blitzt, oder klingelt es? Ich weiß es nicht … Der Zapfen ist so groß wie ein Haus. Er hat viele Arme. Er greift durch das Fenster. Sein Arm ist aus Gold. Er hat Greifhaken aus Gold. Er greift nach Dagmar …“

Schon als das Wort „Goldene Zapfen“ gefallen war, hatten die anderen Männer aufgehorcht und als nun Lima mit einem Seufzer das Buch schloss, sprach längere Zeit niemand ein Wort. „Ich darf wohl annehmen, dass Sie, meine Herren, mit den Zapfen nichts zu tun haben?“, fragte Lima seine Partner.

„Nein. Aber wir wissen etwas dazu.“ Und der Chef der Gruppe erzählte jene Episode auf der Lofoteninsel und schilderte die Himmelfahrt des Zapfens, so gut er konnte. „Dann ist mein Gedankengang richtig.“ Lima setzte sich bleich und zitternd nieder.

„Was ist Ihre Meinung?“, fragte einer der Herren.

„Der Mann, dessen Bericht ich Ihnen vorgelesen habe, ist von Wesen, die nicht von dieser Erde sind, entführt worden. Welche Mittel ihnen zur Verfügung stehen, wir haben es gesehen und gehört. Ich verstehe noch nicht alles, aber ich weiß, dass jeder einzelne Mensch noch niemals in solcher Gefahr war, als jetzt. Wenn Ramon Azevedo noch lebt …“, er setzte den Satz nicht fort.

Alle waren von dem Schrecklichen, das sich vor ihren Augen abzuzeichnen begann, stumm geworden.

„Warum sie nur immer klingeln?“, fragte schließlich Vigiani, nur um die Stille zu brechen. In diesem Augenblick wurde die Tür zum Verhandlungssaal aufgerissen und ein Offizier stürzte in den Saal.

„Rasch, bitte kommen Sie zu unserem Radioempfänger. So etwas habe ich noch nicht gehört. Auf allen Wellenlängen … ja, wie soll ich’s Ihnen erklären?“

„So sprechen Sie doch, Mann?“, brüllte ihn Lima an.

„Auf allen Wellenlängen ist nichts zu hören, als so eine Art von lautem Klingeln!“

„Warum es mir nur immer diese Kralle hinhält?“, dachte Azevedo, der aus einer todesähnlichen Betäubung erwacht war. Es schien, dass ihn das vor ihm sitzende Ding schon seit Stunden beobachtete. Seit Stunden hielt ihm der Apparat oder das Lebewesen oder was immer es war, ein krallenähnliches Ding entgegen.

Azevedo tastete langsam zu seinem Kopf. Noch immer war er von dieser prallen Kugel umgeben. Die Sonne war gleißend und hell, viel heller, als er sie jemals auf der Erde verspürt hatte. Und plötzlich fiel ihm ein, dass er ja höchstwahrscheinlich gar nicht mehr auf der Erde war. Und er betrachtete mit verzweifeltem Schrecken das Lebewesen vor ihm, das gerade eine ruckartige, maschinenähnliche Bewegung machte.

Der Kopf, oder das, wo die Menschen den Kopf hinstellen würden, war ein luftballongroßer, braunschwarzer, runder Körper, der durch mehrere Reifen in einzelne Schichten geteilt wurde. Dann folgte ein dünner Hals und ein etwas dickerer Leib, aus dem acht krallenartige, etwa zwei Meter lange Arme herauswuchsen. Das ganze Wesen war drei Meter hoch. Das Lebendigste schienen die Reifen zu sein, die sich um den Kopf wanden. Von Zeit zu Zeit schienen sie sich im Kreis um die Kopf-Kugel zu bewegen. Ohren, Augen, Mund oder Nase bemerkte Azevedo jedoch nicht.

Eine lange Zeit verging, ohne dass das Wesen seine Lage verändert hätte. Auch Ramon rührte sich nicht. Plötzlich aber verfärbte sich einer der Ringe auf dem Körperteil des Wesens, den er mit „Kopf“ benannt hatte. Er wurde fahlgelb. Gleichzeitig bewegte sich einer der acht krallenähnlichen Arme, gab einem der vielen schwarzen Hebel, die an einer Wand angebracht waren, einen kleinen Stoß und im selben Augenblick erstrahlte die eine Wand des Raumes in hellem Licht.

Ramon erkannte, dass es ein Fernsehbild von seltener Vollkommenheit war. Es glich eher riesenhaften Landkarte der Erde und zeigte den nördlichen Teil Europas und Amerikas. Island lag im Mittelpunkt des Bildes. Mit einer herrischen, nicht missverstehenden Gebärde bedeutete ihm das Wesen, während das Klingeln um einige Töne höher stieg, vor das Bild der Erde zu treten.

Als er davorstand, ergriff ihn unvermutet eine der Krallen und hob ihn in die Höhe. Er erschrak tödlich. Durch den Stoff des Anzuges spürte er die Wärme, die von den Krallen ausging. Doch er blieb unverletzt. Er schwebte in etwa drei Metern Höhe vor der Landkarte der Erde, sein Gesicht war direkt auf Island gerichtet.

„Was will er nur von mir?“, dachte er verzweifelt. Doch allmählich bemerkte er, dass sich das Bild Islands vergrößerte, Berge und Täler, einzelne Häuser begannen hervorzutreten und schließlich sah er sein Haus.

„Das ist ja mein Haus!“, brüllte er plötzlich und zeigte aufgeregt auf das Gebäude. Er berührte mit seinen zitternden Fingern die Fläche. Sie war tot und kalt wie Glas, und er kam wieder zur Besinnung, wandte sich zu dem stummen Wesen um und erschrak. Blutrot blickte jetzt einer der beiden Ringe.

Im nächsten Augenblick wurde er zu Boden gesetzt. Auf einem tischähnlichen Gebilde hatte man eine kleine Erdenstadt aufgebaut. Einem Spielzeug glich alles. Irgendjemand musste das Tischchen in das Zimmer gebracht haben, während er vor dem Fernsehschirm schwebte.

In den Straßen der Stadt, die unter Glas untergebracht war, liefen statt der Menschen Käfer, Ameisen und andere kleine Tiere umher. In einer Ecke bemerkte er sogar eine weiße Maus. Er erkannte dass es sich um eine Versuchsanlage handeln müsse und blickte voll fassungslosem Staunen auf diese Miniaturstadt und die Tiere, dann auf das Wesen.

Doch unbeweglich saß es da, nur der blutrote Schein blieb. Das Klingeln, an das sich Ramon schon so gewöhnt hatte, dass er es gar nicht mehr hörte, nahm nun plötzlich stark zu. Das Wesen berührte mit zwei seiner Krallenarme das kleine Modell. Nach einigen Minuten, während Ramon angestrengt beobachtete, bemerkte er, dass die Tiere unruhig wurden. Nach etwa zehn Minuten starben die ersten, das Wasser in dem Miniaturteich begann zu sieden, die Spielzeughäuschen stürzten ein, schließlich begann sogar der aus Papier nachgebildete Wald zu brennen und dichter Rauch verhinderte die weitere Sicht. Die weiße Maus, die sich in eine Ecke zu verkriechen versucht hatte, verendete.

Plötzlich erkannte Ramon, was man von ihm wollte: Gewarnt sollte er werden, die Macht jener Wesen sollte ihm vordemonstriert werden. Allgegenwärtig waren sie, das hatte die Fernsehsendung von Island gezeigt, allmächtig waren sie, alle Tiere und Häuser der Spielzeugstadt waren tot.

Er blickte auf das Wesen mit den Krallen und sah, dass es wieder einen der vielen Knöpfe niederdrückte. Innerhalb weniger Sekunden öffnete sich die Tür und zwei andere, völlig gleichartige Wesen stellten eine menschliche Gestalt, die augenscheinlich nicht in der Lage war, sich zu bewegen, auf die Füße. Der Kopf des Wesens stak in einer gläsernen Kugel. Ramon blickte auf die Gestalt.

„Dagmar“, schrie er und stürzte auf sie zu. Die Ringe im Kopf des Wesens verfärbten sich fahlgrün. Ohne darauf zu achten, sprang Ramon die wenigen Schritte vor. Das Mädchen lehnte leblos an der Wand. Als er sie jedoch berührte, schlug sie die Augen auf.

Die Menschheit hatte einige Tage gebraucht, ehe sie den furchtbaren Schrecken, der der Kunde von der Wahrheit über den Untergang Islands folgte, überwunden hatte. Dann aber erwachte in ungeahnter Stärke die Tatkraft der Bevölkerung der gesamten Erde.

Wissenschaftler aller Kategorien, allen voran die Astronomen und Radiotechniker, beschäftigten sich mit dem Rätsel der Klingelzeichen, die nach wie vor über alle Radiostationen zu hören waren. Radio- oder Fernsehsendungen waren unmöglich, die Menschen, die sich ein Leben ohne Rundfunk gar nicht mehr vorzustellen vermocht hatten, lebten wieder so, wie ihre Urgroßeltern im Jahre 1914. Nur der Telegrammverkehr war ungestört und ermöglichte, neben dem Kurierdienst durch Flugzeuge, eine rasche Nachrichtenübermittlung.

Die Wissenschaftler gingen zunächst daran, festzustellen, woher die unbekannten Zeichen kamen. Sie stellten fest, dass es sich um außergewöhnlich starke Sender handeln müsse, deren Kraft jeden Erden-Sender überdecken konnte. Die Energie war so gewaltig, dass es den Männern an den Radargeräten spielend leicht möglich war, die Standorte dieser Sender zu ermitteln.

Alle Berechnungen stimmten überein. Es handelte sich um Standorte, die mehrere Millionen Kilometer weit von der Erde entfernt waren. Nachdem ein zentrales Gelehrtenkomitee alle Beobachtungen ausgewertet hatte, verkündete sie der Menschheit, dass sie von Bewohnern des Planeten Venus bedroht sei.

„Dieser Planet ist etwa so groß wie unsere Erde, umkreist jedoch die Sonne in einer wesentlich geringeren Entfernung als die Erde. Man hat bisher angenommen, dass seine Atmosphäre aus Wasserstoff, Salmiak und anderen, für Lebewesen der Erde nicht atembaren Gasen besteht. Die Bewohner verfügen über Kenntnisse in der Beherrschung der Naturkräfte, die den unseren weit überlegen sind.“

Dies war nun nicht dazu angetan, die Menschen zu beruhigen. Tag für Tag ereigneten sich sinnlose Angstausbrüche der gepeinigten Menschheit. Als an einem Augusttag die Südstaaten der USA von einer Hitzewelle heimgesucht wurden und die Hitze um mehrere Grade anstieg, brach in den größeren Städten eine Panik aus, die 4500 Menschen das Leben kostete. Doch die Venus-Bewohner, wie man sie nun nannte, schienen keinerlei Anstrengungen zu machen, ihre grässlichen Experimente von Island zu wiederholen.

Die Menschheit wurde von ihren Staatsmännern aufgefordert, alle erforderlichen Geldmittel zur Verfügung zu stellen, um die Ultraschall- und Strahlenforschung weiterzuführen. Laboratorien schossen aus dem Boden, Gelehrte, die sich früher mit ganz anderen Problemen befasst hatten, sattelten um und versuchten, in die Geheimnisse der Ultraschall-Gewalten einzubringen, wie sie Island erlebt hatte.

Der kleine, goldmetallähnliche Span, den der junge norwegische Offizier von dem auf den Lofoten augenscheinlich notgelandeten „Tannenzapfen“ abgeschlagen hatte, wurde chemisch untersucht. Das Ergebnis der Überprüfung war so sensationell, dass man es zunächst geheim hielt. Der „Zapfen“ war aus einer Legierung von Gold und Platin, das winzige Stück Metall, das Börge abgesprengt hatte, war mehrere hundert Dollar wert.

Die Frage, womit die Zapfen betrieben wurden und wieso sie sich hüpfend fortbewegten, konnte nicht beantwortet werden.

Die Regierungsoberhäupter kamen schließlich überein, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln eine Expedition in den Raum auszurüsten, die imstande sein sollte, die Venus zu erreichen und mit deren übermächtigen Bewohnern erträgliche Beziehungen herzustellen. Man hoffte, dass es gelingen würde, eine Rakete in etwa acht Monaten fertigzustellen.

An Ramon Azevedo und Dagmar dachten nur noch seine engsten Freunde. Zunächst war er als Nationalheld gefeiert worden, man hatte ihm lange, von Rührung triefende Nachrufe gehalten, nun aber, da sich nichts neues ereignete, da kein neuer Überfall zu verzeichnen war, gerieten die beiden Entführten in Vergessenheit.

Bis eines Tages, es war etwa drei Monate nach dem Überfall auf Island, das Klingeln in den Radiogeräten immer leiser wurde. Als es schließlich ganz erstorben war, meldete sich eine Stimme, eine unzweifelhaft menschliche Stimme.

„Ich bin Ramon Azevedo, der Überlebende von Island. Ich rufe die Erde. Ich spreche vom Planeten Venus. Ich grüße die Menschheit. Ich werde alles tun, um sie zu retten. Habt Vertrauen zu mir und Dagmar Le Roy. Wir werden die Erde retten.“

Dann tönte wieder das pausenlose Klingeln über alle Sender.

Ramon hatte kaum bemerkt, dass Dagmar noch lebte, als sie vor Glück und freudigem Erschrecken, dass sie nicht allein sei, neuerlich das Bewusstsein verlor. Erst nach etwa zehn Minuten schlug sie wieder die Augen auf. Ramon hatte versucht, ihr den Glashelm vom Kopfe zu ziehen. Doch ein jäh aufflammendes tobendes Klingeln und ein kaltblaues Aufleuchten der Ringe auf der „Kopfkugel“ des Wesens dort drüben hatten ihn davor gewarnt, und er unterließ es sogleich.

Endlich war Dagmar wieder voll bei Bewusstsein und erzählte ihm, dass sie gleichfalls erst in einem der „Goldenen Tannenzapfen“ zu Bewusstsein gekommen war. Auch sie wusste nicht, wie sie in den Raum, in dem sie sich jetzt befanden, geschafft worden war. Sie erzählte lediglich, dass sie in einem anderen Zimmer gewesen sei, das mit allen möglichen Gegenständen des täglichen Bedarfes der Menschen, vom Rasierpinsel bis zum Konversationslexikon, angefüllt gewesen sei.

Das Lebewesen hörte ihrem Gespräch ohne jedes Zeichen von Anteilnahme zu. Seine Krallenarme bedienten lediglich hin und wieder das Knopf-System an der Wand. Doch irgendwelche sichtbare Ereignisse traten nicht ein.

Schließlich, nachdem die beiden Menschen ihre Erlebnisse ausgetauscht hatten, stellte Ramon die Frage, die ihnen seit langem auf den Lippen schwebte: „Was sollen wir nur tun, Dagmar?“

Es zeigte sich, dass Dagmar wesentlich praktischer dachte, als Ramon. „Wir werden mit dem ‚Kugelfisch’ dort einfach reden!“ sagte sie entschlossen und wandte sich dem Lebewesen zu.

„Guten Tag“, sagte sie, und ihre Stimme zitterte ein wenig. „Wie geht es, was haben Sie mit uns vor, wo sind wir eigentlich?“

Schien es ihnen nur so, oder würde das Gebimmel der Klingeln wirklich sanfter? Sie wussten es nicht genau zu sagen. Und Dagmar sprach ununterbrochen weiter. Sie erzählte dem „Kugelfisch“, dass sie von Südamerika sei, dass sie beide eine Beobachtungsstelle in Island innegehabt hätten und dass sie es als eine Barbarei betrachte, so viele Menschen zu töten.

„Ich glaube nicht, dass sie ein Wort verstehen, aber es wäre meiner Meinung nach ganz ausgezeichnet, wenn wir ein Verständigungsmittel finden könnten, das uns näher bekannt macht“, schloss sie ihre Rede.

Ramon blickte Dagmar bewundernd an. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er nicht schon früher den Mut besessen hatte, mit dem Wesen da vorne zu reden.

Der „Kugelfisch“ verzog keine Miene, wenn man das aus mehreren Ringen bestehende „Gesicht“ überhaupt einer Miene für fähig halten sollte. Der oberste der Ringe drehte sich ganz langsam und war von unbestimmt grüner Farbe. Die acht Arme ruhten am unförmig dicken Unterkörper.

Als Dagmar ihre Rede beendet hatte, öffnete sich die Tür automatisch und ein kleines Wägelchen, das auf Walzen zu laufen schien, rollte auf die beiden zu. Es war mit vielen Bänden von Büchern beladen. Ramon erkannte, dass es ein Konversationslexikon war, wohl jenes, von dem Dagmar ihm erzählt hatte.

Wiederum die herrische Geste des Wesens da vorne. Und ohne sich darüber Rechenschaft geben zu können, was ihn nach vor zwang, trat Ramon an den Tisch. Er merkte, dass auch Dagmar ihm gefolgt war. Eine neue Geste. „Öffnet das erste Buch“, hieß das wohl. Das Klingeln war wieder etwas lauter geworden.

Zögernd ergriff Ramon den ersten Band des Lexikons. „A bis Austern“ stand auf dem Lederrücken des Bandes. Er öffnete ihn, blätterte unschlüssig die Seiten hin und her. Da, er hatte eben das Bild des menschlichen Auges aufgeschlagen, fühlte er sich zu seinem namenlosen Entsetzen neuerlich von der Krallenhand gepackt. Ein anderer Arm hob ihn hoch, ein dritter deutete unmissverständlich auf sein Auge, das hinter der runden, glasartigen Schutzhülle verborgen war.

„Auge“, rief Ramon und schien damit das richtige getroffen zu haben. Denn sogleich stellte ihn das Wesen wieder auf den Boden. Aus einem Lautsprecher, der irgendwo in der Wand eingelassen sein musste, hörte Ramon seine eigene Stimme das Wort  „Auge“ wiederholen. Ohne Unterlass klang es „Auge, Auge, Auge …“ Ramon blickte sich nach Dagmar um und sah, dass sie in einem anderen Buche eifrig blätterte.

Sie suchte eine Liste der Buchstaben. Endlich hatte sie eine Bildtafel gefunden, die sämtliche Buchstaben enthielt. „A“, fasste sie und zeigte auf den großen Buchstaben, der hier aufgezeichnet war. „A“ wiederholte der Lautsprecher an der Wand immer wieder. In das unheimliche Wesen kam Leben. Einige der acht Arme bewegten sich, Knöpfe wurden gedrückt und mit einem Male flammte die Wand, auf der vorhin das Bild der Erde erschienen war, in blendender Helligkeit auf.

Das Bild des Buchstabens „A“ erschien auf der Fläche. Dagmar ging zum „B“ über. Das gleiche Spiel wiederholte sich. Nach mühevollen Stunden waren sie endlich beim „Z“ angelangt. Auf der Fläche der beleuchteten Wand stand das ganze Alphabet. Aus dem Lautsprecher tönte abwechselnd das einzige, von Ramon gesprochene Wort „Auge“ und die einzelnen Buchstaben, wie sie Dagmar vorgesagt hatte.

Schließlich hielt das Mädchen erschöpft inne. Sie wandte sich zu Ramon, der unverwandt das seltsame Lebewesen beobachtet hatte und sagte: „Hast du nicht auch einen riesigen Hunger? Ich glaube, ich habe seit dem letzten Abend ‚unten’ nichts mehr gegessen …“ Und laut sagte sie: „Hunger!“

„Hunger, Hunger, Hunger …“, tönte es aus dem Lautsprecher. Doch nichts geschah. Die seltsamen Kreise am Kopf des Ungeheuers drehten sich und schimmerten wie schon die ganze Zeit, grünlich. Ramon und Dagmar blickten einander an. Dagmars schöne braune Augen mit den langen Wimpern füllten sich mit Tränen. „Ramon, wir werden verhungern!“ sagte sie.

Gleich einem Echo nahm der Lautsprecher ihre Worte auf und wiederholte sie so lange, bis die Frau mit einem wütenden Satz, den ihr ihre Verzweiflung eingab, auf das Wesen vor ihnen lossprang.

„Genug, genug, Schluss!“, schrie sie, so laut sie konnte und schlug auf das Wesen ein, dessen dunkle „Bauch-Kugel“ sie zu treffen schien. Innerhalb des Bruchteils einer Sekunde war der Kopf des Wesens in gelbes Licht getaucht. Das Klingeln schwoll zu lautem Toben an und einer der Arme drückte mehrere Knöpfe nieder. Die Tür öffnete sich und mit einer seltsamen Bewegung, die Ramon an das Hüpfen der „Goldenen Tannenzapfen“ erinnerte, entfernte sich der „Kugelfisch“. Dagmar und Ramon waren allein in dem Raum, allein mit der leuchtenden Wand, auf der das Alphabeth stand, allein mit dem Lautsprecher, der in sinnloser, ewiger Wiederholung „Genug, genug, Schluss!“, die letzten Worte Dagmars in den Raum plärrte.

„Ach, Ramon, was sollen wir tun? Wir sind verloren?“ sagte Dagmar und wollte sich in die Arme des Mannes schmiegen. Doch die unförmige Kopfkugel hinderte sie daran. Sie zerrte an der Hülle. Doch unmöglich. Wie angewachsen saß der gummiähnliche Verschluss am Halse fest.

Der Hunger der beiden wuchs. Ramon sprach kein Wort. Er näherte sich der Schalttafel, deren Druckknöpfe das Lebewesen stets berührt hatte. Zaghaft berührte er den ersten schwarzen Knopf. Er fühlte sich kalt an. „Soll ich ihn niederdrücken?“, fragte er Dagmar. Und sie erwiderte, dass alles gleich sei.

„Sterben müssen wir ja doch. Ach, Ramon …“ Und wieder begann sie zu schluchzen.

Ramon drückte auf den Knopf. Er schien Glück gehabt zu haben. Es war der Taster, der den Fernsehschirm ein- und ausschaltete. Als Ramon den Knopf niederdrückte, verschwanden die leuchtenden Buchstaben des Menschen-Alphabets. Dafür aber erschien wieder die Ansicht der Erde, wie sie zu Beginn der „Unterredung“ mit dem seltsamen Lebewesen aufgetaucht war. Auf dem Tisch, an dem es gesessen war, bemerkte Ramon, der von Sekunde zu Sekunde mutiger wurde, einen kleinen Drehgriff. Als er ihn nach rechts drehte, verkleinerte sich das Bild, kurbelte er nach links, zeigte die Darstellung auf dem Bildschirm Einzelheiten. Alsbald hatte er wieder Island im Blickfeld. Er drehte noch weiter nach links und fand nun nach einigem Suchen einen zweiten Griff, der es ihm ermöglichte, das unsichtbare Auge des Fernseh-Empfängers sogar auf sein Haus zu richten.

Doch damit war nichts getan. Er suchte zwar noch einige Zeit verschiedene andere Städte der Erde, entdeckte, dass in New York ein großer Brand wütete und dass die Steppen in Ostafrika gleichfalls in Flammen standen; praktische Ergebnisse, die ihre Lage hätten verbessern können, erzielte er nicht. Ein neuer Druck auf die ersten der vielen Knöpfe, und der Schirm erlosch.

Der zweite Knopf … Ramon drückte ihn nieder. Nichts zu hören. Der Lautsprecher wiederholte noch immer gespenstisch und unerträglich die letzten gesprochenen Worte. Der dritte Knopf. Nichts. Der Vierte. Nichts. Oder täuschte er sich?

Das angenehme Licht, mit dem der Raum erfüllt war, wurde zusehends dunkler. Auf dem Fernsehschirm erschien das Bild einer nächtlich-geheimnisvollen Welt. Nebel wallten, verdeckten die Konturen riesiger Gebäude, die von innen her erleuchtet schienen. Wieder drehte Ramon an den beiden Griffen am Tisch. Die dunklen Konturen der Gebäude wurden deutlicher. Da, ein Tor, aus dem schwacher Lichtschein drang.

Aus dem Tor trat eben mit seiner hüpfenden Gangart ihr „Kugelfisch“. Oder war es ein anderes Lebewesen dieses geheimnisvollen Sterns? Sie wussten es nicht. Der Überraschungsschrei, den die Frau ausstieß, wurde von dem Lautsprecher sinnlos und quälend wiederholt.

Von einem wahren Fieber der Neugierde und Forschungssucht gepackt, drehten die beiden Menschen an den Kurbeln und beobachteten angespannt den Fernsehschirm. Immer neue Gebäude, immer neue Lebewesen kamen in ihr Blickfeld. Die Nacht wich einem fahlen Morgengrau, das allmählich heller wurde. Aus dem Nebel hob sich einmal ein goldglänzender „Tannenzapfen“. Ein anderes Bild führte ihnen ein besonders großes Gebäude vor Augen, das sie für eine Fabrik hielten.

Endlich, nach mehreren Stunden, wie ihnen schien, drückte Ramon wieder auf den Knopf. Die Wand versank in Dunkelheit, die Beleuchtung des Zimmers schaltete sich automatisch wieder ein. Der fünfte Knopf.

Die Tür öffnete sich und zwei Geschöpfe traten ein, die dem „Kugelfisch“ von vorhin aufs Haar glichen, nur waren sie etwa einen Meter hoch und hatten lediglich vier Arme. Sie schienen Dienende zu Sein. Denn als sie den Raum betreten hatten, das Klingeln war zu höchsten Tönen emporgestiegen, legten sie sich wie zum Zeichen der Unterwerfung auf den Boden.

„Was sollen wir mit ihnen tun?“, fragte Ramon überrascht. Sofort flüsterte der Lautsprecher ohne Unterlass diese Worte. Ratlos drückte er den nächsten Knopf. Die beiden Wesen sprangen auf und öffneten eine weitere Tür, die in einen Raum führte, der augenscheinlich ein Beobachtungsraum für einen Astronomen war. Eine gläserne Kuppel wölbte sich und gab einen kleinen Ausschnitt des nächtlichen Himmels frei, der sich auch über diesem Stern zu spannen schien. Die beiden Wesen, Zwerge nannte sie Ramon bei sich, manipulierten an den Geräten, die in dem Nebenraum waren. Auf einem Tischchen leuchtete eine astronomische Karte auf.

Ramon trat heran. Ja, er verstand sofort. Ein Lämpchen in der Mitte, das war die Sonne, die anderen, kleineren Lämpchen, die sie umkreisten, das waren die Planeten. Da, der dritte, vom Mittelpunkt aus gesehen, das war die Erde. Und der zweite, vor Freude über diese Entdeckung hätte er beinahe aufgeschrien, das war die Venus. Sie war so groß und sorgfältig dargestellt, dass Ramon keinen Augenblick daran zweifelte, dass es das Heimatgestirn dieser Leberwesen war. Endlich wusste er, wo er war. Endlich konnte er sich über alles ein besseres Bild machen.

Nun interessierte ihn hier nichts mehr. Er ging sofort wieder in seinen Aufenthaltsraum zurück und drückte wieder auf den Knopf. Die beiden „Zwerge“ ließen sich wieder zu Boden fallen und verschwanden dann. Der nächste Knopf …

In seltsam-rhythmischem Klingeln ertönte nun aus dem Lautsprecher eine Art Melodie. Ramon konnte nicht sagen, wieso er davon überzeugt war, dass dies eine Radiosendung war.

„Das ist eine Radarstation von hier!“, sagte Dagmar, als hätte sie seine Gedanken erraten. Und der Lautsprecher, obwohl er mit dem rhythmischen Klingeln erfüllt war, wiederholte ihre Worte noch immer.

Ramon drehte an den beiden Knöpfen, die bei den Fernsehsendungen schon solche Wunder gewirkt hatten. Das Klingeln nahm ab, wenn er nach rechts drehte und schwoll an, wenn er in entgegengesetzter Richtung kurbelte. „Ob es ein Sender ist?“, fragte Ramon und der Lautsprecher wiederholte seine vom Klingeln überdeckten Worte so lange, bis Dagmar erwiderte: „Versuchen wir es doch, wenn es keiner ist, macht es auch nichts. Sprich irgendetwas, sie sollen sehen, dass wir uns nicht geschlagen geben.“

Und Ramon drehte das Klingeln so leise als möglich und sprach schließlich jene Worte in den Äther, die durch eine Verkettung merkwürdiger Umstände über alle Sender der Erde gehört wurden.

„Ich bin Ramon Azevedo, der Überlebende von Island …“, begann er und je länger er sprach, desto mehr war er davon überzeugt, dass er die Menschen retten müsse, retten vor einer Gefahr, die ihnen von diesen Venusbewohnern drohte, mit denen er sich nicht verständigen konnte.

Schließlich, da das Klingeln nicht enden wollte, drückte er wieder den Knopf und der Lautsprecher verstummte. Noch weitere zehn Knöpfe berührte Ramon, ohne dass sich irgendetwas ereignet hätte. Wahrscheinlich, so dachte er, bedienten sie Maschinen oder Apparate, die außerhalb des Hauses aufgestellt waren.

Nach seiner Schätzung waren seit dem Zeitpunkt, da er mit Dagmar zusammengetroffen war, etwa acht Stunden vergangen. Mindestens fünf Stunden waren sie schon allein in diesem Raum. War schon vorher der Hunger groß gewesen, so steigerte er sich jetzt neben einem nicht minder quälenden Durst zur Unerträglichkeit.

Dagmar hatte sich auf dem Boden des Raumes in einer Ecke niedergelassen und sich in den Schlummer geweint, aus dem sie jedoch immer wieder aufschreckte und mit verstörtem Blick in dem Zimmer umherschaute. Ramon setzte sich neben sie auf den Boden und wartete.

Warten, worauf? So fragte er sich. Und es schien keine andere Antwort zu geben als: auf den Tod. Den Tod durch Verhungern und Verdursten.

Die Zeitungen der Erde schrieben wochenlang über nichts anderes als die Botschaft Azevedos aus dem Weltall. „Es ist klar, dass uns eine Gefahr droht!“ so hieß es in den Berichten, die von den höchsten Regierungsfunktionären gegeben wurden. „Wir müssen alles tun, um uns zu schützen.“

Der Präsident einer Großmacht schlug einen Verteidigungsbund gegen die Feinde aus dem Weltenraum vor, der innerhalb von vier Tagen mit seiner Tätigkeit beginnen konnte. Ein Wissenschaftler-Ausschuss, dem die größten Geister der Menschheit angehörten, wurde ins Leben gerufen, der sich mit zweierlei zu beschäftigen hatte.

„Als „Aufgabe Nummer eins“ wurde der Schutz der Erde gegen einen neuen Überfall bezeichnet. Als zweites galt es, sogleich alle Mittel ausfindig zu machen und alle jene Konstruktionen zu entdecken, die notwendig waren, um selbst in den Weltraum, in den: Bereich des Feindes vorzudringen. Ein Ingenieur war in der glücklichen Lage, dem Wissenschaftler-Ausschuss genaue Pläne über die Errichtung einer Station im Weltenraum vorzulegen, an denen er schon ein ganzes Menschenleben gearbeitet hatte. Von dieser Station, die frei im Raume schweben sollte, musste man dann die Rakete aufsteigen lassen, die schließlich den fernen Planeten Venus erreichen sollte.

Ramon wurde durch ein merkwürdiges, klopfendes Geräusch aus seinen düsteren Träumen gerissen. Er schrak empor, sah aber nichts, als das ihm nun schon wohlvertraute Bild des Raumes mit den Schaltknöpfen. Dagmar schien zu schlafen. Die seltsamen Geräusche kamen näher, es klang so, als würden in regelmäßigen Abständen schwere Spazierstöcke gegen den Boden gestoßen.

Schließlich ging die Tür auf. Zuerst traten zwei „Zwerge“ ein, warfen sich, wie es schien voll Angst, zu Boden und verharrten regungslos in dieser Lage. Dann, das Klopfen war immer lauter geworden, sah Ramon, der sich erhoben hatte und zur Türe gegangen war, dass eine große Zahl von Lebewesen der Venus, er schätzte, dass es etwa ein Dutzend waren, sich seinem Zimmer näherte. Er rüttelte die schlummernde Dagmar an den Schultern.

„Wach auf!“, sagte er halblaut, „man kommt!“

Schlaftrunken blickte sie um sich, erkannte nach wenigen Augenblicken, wo sie war und schlug die Hände vors Gesicht. Mittlerweile schob sich der erste der „Kugelfische“ in das Zimmer. Er hüpfte geradezu lächerlich auf einen spitzzulaufenden Punkt seiner Körperkugel. Jedes Mal, wenn er und seine Begleiter den Boden berührten, gab es jenen harten Aufschlag, den Ramon schon längere Zeit gehört hatte.

Einer nach dem anderen hüpfte in das Zimmer. Es waren vierzehn Venusbewohner. Stumm setzen sie sich um das seltsame, tischähnliche Möbelstück, das die eine Seite des Raumes einnahm.

„Ob einer von ihnen jenes Wesen ist, das sich vorhin mit mir unterhalten hat?“ fragte sich Ramon. Er konnte diese Frage aber nicht beantworten. Ein Lebewesen glich dem anderen so sehr, dass es für ihn unmöglich war, auch nur den geringsten Unterschied zu entdecken.

Jeder von ihnen hatte eine große „Körperkugel“, acht Beine, einen etwas dünneren Halsteil und schließlich die Kopfkugel, in der verschiedenfarbige Ringe kreisten.

Dagmar drückte sich ängstlich an Ramon.

„Jetzt geht es los!“, sagte ihr Ramon beruhigend, „Jetzt müssen sie sich mit uns beschäftigen, und wir bekommen endlich etwas zu essen und zu trinken.“ Und tatsächlich, er war plötzlich völlig sicher, dass er und Dagmar in wenigen Minuten Nahrung erhalten würden. Dagmar blickte vertrauensvoll zu ihm auf. Noch niemals war ihr der große, breitschultrige Südamerikaner so sicher und ruhig erschienen. Als er erkannte, dass er sie so sehr beruhigte, bemühte er sich noch mehr, jede Nervosität, die ihn beschlich, zu unterdrücken.

Bisher hatte man keinerlei Geräusch gehört als das Klopfen, das die Lebewesen beim Eintritt in das Zimmer und beim Niedersetzen verursacht hatten. Kein Klingeln war zu hören. Auch der Lautsprecher, der alle ihre Worte wiederholt hatte, war irgendwann, wohl während Ramon neben Dagmar am Boden gesessen war, abgeschaltet worden.

Als alle Platz genommen hatten und ihre acht Krallenarme in einer bestimmten Art übereinander verschränkt hatten, trat völlige Stille ein. Ramon und Dagmar standen klein und schmal neben den auch im Sitzen riesenhaften Körpern der Venusbewohner.

Schließlich erhob eines der vierzehn Wesen vier seiner Arme, warf sie mit einer seltsamen, jähen Geste in die Luft. Irgendwo begann eine Klingel zu läuten. Ramon horchte genau hin. Es schien ihm, dass das Geräusch von einem der Arme des Lebewesens kam. Wenn das stimmte, dann war dieses schauervolle Klingeln die Sprache jener Lebewesen. Er spannte sein Gehör so sehr an, dass es ihm schien, sein ganzes Wesen bestehe nur aus seinen Ohren. Und tatsächlich, er hörte genau, dass an einem der Arme, die mit jener seltsamen Geste in der Luft gleichsam hängengeblieben waren, der Ausgangspunkt für das Klingeln zu finden sein musste.

Er hatte jedoch keine Zeit, über diese Entdeckung nachzugrübeln. Denn im nächsten Augenblick erschien auf der großen weißen Tafel, die als Fernsehempfänger diente, in menschlichen Buchstaben das Wort „Auge“. Im gleichen Augenblick wurde Dagmar von einem der Riesenarme in die Höhe gehoben.

Dagmar stieß einen furchtbaren Schrei aus. Doch der Venusbewohner ließ sich nicht beirren. Mit einem der anderen Arme zeigte er auf das hinter der Glaskugel befindliche Auge Dagmars, während ein zweites Lebewesen auf das Wort auf der Tafel zeigte. Dazu wiederholte der Lautsprecher das Wort „Auge“, das Ramon vor vielen Stunden ausgesprochen hatte. Und um zu beweisen, was Ramon unter Auge verstanden habe, schlug eines der Wesen mit seinem Krallenarm das Lexikon auf, das er augenscheinlich zu diesem Zweck mitgebracht hatte, und zeigte auf die entsprechende Abbildung im Text. Ramon hätte aufjubeln mögen vor Freude, als er erkannte, dass es sich um Wesen handelte, mit denen man sich zweifellos, wenn auch mühselig, verständigen konnte.

Dann wurde Dagmar wieder mit Schwung auf ihren Platz gestellt. Der „Redner“ von vorhin, dessen Arme in die Luft ragten, „sprach“ weiter, jedenfalls hörte Ramon deutlich das Rasseln der Klingel, das einmal höher, einmal tiefer zu vernehmen war.

Dagmar sagte, kaum dass sie den Boden berührt hatte: „Wir können gerettet werden, wir brauchen nicht sterben!“ Dann brach sie vor übergroßer Gemütsbewegung in Tränen aus. Stumm beobachteten die Lebewesen den Ausbruch dieser menschlichen Gefühle.

Eine Viertelstunde verging, ohne dass sich etwas ereignete. Die Venusbewohner schienen auf etwas zu warten. Plötzlich durchschoss Ramon der Gedanke, dass man ihn aufgefordert haben könnte, weitere Verständigungsversuche zu unternehmen.

Er ergriff das Lexikon und suchte im Bande „M“ das Wort „Mund“, weil er hoffte, auf diesem Wege am schnellsten zu dem Begriff „Hunger“ und „Essen“ zu kommen.

Dagmar, die ihn sofort verstand, fasste sich rasch. Sie hörte zu weinen auf, blickte Ramon, der ihren Arm drückte, dankbar an und sagte laut und klar: „Mund“.

Innerhalb weniger Sekunden erschien das Wort in menschlichen Buchstaben auf der Tafel. Dagmar zeigte auf ihren Mund, dann auch auf den Ramons. Ein Gewirr von Klingeltönen war die Antwort. Es schien, dass die Kommission miteinander sprach. Die Ringe, die in der Kopfkugel der Lebewesen kreisten, nahmen verschiedene Farben an. Der vorherrschende Ton war grün.

Sie verstanden sogleich, was Dagmar wollte. Fieberhaft überlegten die beiden Menschen, welches Wort sie auswählen sollten, um ihren furchtbaren Hunger und Durst verständlich machen zu können.

„Was hältst du von „Nahrung“?“ fragte Ramon und suchte das Wort im Lexikon. Es erschien zwar auf der Bildfläche, doch waren die Menschen nicht imstande, das entsprechende Wort auch bildlich zur Darstellung zu bringen. Der Lautsprecher wiederholte einige Male „Nahrung“, Dagmar wurde emporgehoben, der Arm des Wesens zeigte abwechselnd auf das Ohr, die Nase, die Haare und die Arme des Mädchens, dann aber, als er die Ablehnung Ramons erkennen musste, stellte er sie wieder auf ihren Platz zurück. Sie verstanden nicht.

Da fiel Dagmar ein, dass sie in jenem Raum, in den sie nach dem Flug durch den Weltenraum gebracht worden war, auch eine Konservendose gesehen hatte, die man zweifellos von Island, wie so vieles andere auch, mit auf die Venus gebracht hatte. Sie durchsuchte das Lexikon und fand schließlich bei dem Artikel „Konservenindustrie“ die Abbildung einer Fleischkonservendose. Kein Gemälde war ihr noch so schön erschienen, wie dieses Bild.

„Essen“, sagte sie und zeigte auf dieses Bildchen. Sie machte eine entsprechende Geste, die zeigte, dass sie den Inhalt der Dose durch ihren Mund schütten wollte. „Essen, Mund“, wiederholte der Lautsprecher, obwohl weder Dagmar noch Ramon auch nur ein Wort gesagt hatten.

Das Mädchen stieß einen Jubelschrei aus. „Sie verstehen uns, Ramon, sie verstehen uns!“ und sie tanzte vor Freude in dem Zimmer umher. Schweigend beobachteten sie die Lebewesen. Dann drückte einer von ihnen auf einen Knopf. Die „Zwerge“ erschienen.

Ein kurzes Klingel“Gespräch“ und sie verschwanden wieder, um nach wenigen Sekunden mit einem ganzen Arm voll Konserven zurückzukehren. Fleisch, Sardinen und Gemüse war darunter. Man stellte die Dosen vor Dagmar und Ramon auf den Boden und wartete augenscheinlich, was sie damit anfangen würden. Das Wort „Essen“ schienen sie nicht zu verstehen. Sie hielten es wohl für die Bezeichnung einer Konservendose.

Ramon und Dagmar versuchten nun vergeblich, sich von der Kugelkopfhülle aus glasähnlichem Metall zu befreien. Doch ein rotes Blitzen aus den „Kopfkreisen“ des Venusbewohner ließen sie erschreckt innehalten. Man bedeutete ihnen, zu warten. Einer der Arme deutete in eine Ecke des Raumes. Die „Zwerge“ erschienen wieder und wurden offensichtlich instruiert, irgendeine Arbeit durchzuführen. Dann unterhielten sich die Vierzehn durch lebhafte Klingelsignale. Es schien den beiden Menschen, die sich flüsternd unterhielten, dass die Lebewesen die Ergebnisse ihrer Unterredung besprachen.

Denn von Zeit zu Zeit wurde der Lautsprecher eingeschaltet und man hörte Bruchstücke aus dem Gespräch zwischen Dagmar und Ramon, die Worte Auge, Hunger und viele andere. Auf der Tafel erschienen nacheinander die verschiedensten Zeichen und Zeichnungen, darunter auch das Alphabeth. Vieles schien den Lebewesen unklar zu sein.

„Denen geht es wie uns, sie wissen gar nichts über uns“, sagte Dagmar. Doch Ramon entgegnete: „Wir sind nur etwas schlechter daran. Sie brauchen vor uns keine Angst zu haben, wir aber wissen nicht, ob sie uns morgen schlachten, um an uns zu lernen.“