Ini - Ein Roman aus dem 21sten Jahhundert - Erik Schreiber - E-Book

Ini - Ein Roman aus dem 21sten Jahhundert E-Book

Erik Schreiber

0,0
4,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.

Mehr erfahren.
Beschreibung

Ich Unglücklicher soll dich meiden, rief Guido wehmütig. Wozu die Klage, entgegnete Ini. Mögen dich rüstige Adler zum Pol tragen, magst du dich in die Tiefen des Ozeans senken, mein Bild bleibt dir nahe. Frei durchfliegt der Gedanke des Liebenden die Ferne, und die Region der Phantasie ist eine wirkliche. Auch wäre daheim dein Ziel nicht zu umarmen. Das Anschaun der Welt, die Übung der Kraft in Taten, müssen jene Bildung der Schönheit vollenden, deren Lohn meine Gegenliebe sein wird. Darum scheide männlich!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 291

Veröffentlichungsjahr: 2025

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Herausgeber

Erik Schreiber

Klassische Science Fiction

Julius von Voß

INI

Ein Roman aus dem

ein und zwanzigsten Jahrhundert

e-book 16

Klassische Science Fiction

Julius von Voß - Ini - Ein Roman aus dem einundzwanzigsten Jahrhundert (1810)

Erscheinungstermin 01.11.2025

© Erik Schreiber

An der Laut 14

64404 Bickenbach

Titelbild: Archiv Andromeda

Vertrieb neobook

Herausgeber

Erik Schreiber

Klassische Science Fiction

Julius von Voß

INI

Ein Roman aus dem

ein und zwanzigsten Jahrhundert

Erstes Büchlein

Die Trennung

Ich Unglücklicher soll dich meiden, rief Guido wehmütig.

Wozu die Klage, entgegnete Ini. Mögen dich rüstige Adler zum Pol tragen, magst du dich in die Tiefen des Ozeans senken, mein Bild bleibt dir nahe. Frei durchfliegt der Gedanke des Liebenden die Ferne, und die Region der Phantasie ist eine wirkliche. Auch wäre daheim dein Ziel nicht zu umarmen. Das Anschaun der Welt, die Übung der Kraft in Taten, müssen jene Bildung der Schönheit vollenden, deren Lohn meine Gegenliebe sein wird. Darum scheide männlich!

Guido war ein Jüngling von etwa zwanzig Jahren. Seine Herkunft blieb ihm noch immer geheim. Die Sage machte ihn zum Findling, und als solchen, wollten die Gesetze, dass die Landespflege ihn erziehen ließ. Früh hatte man ihn in das große Knabenhaus gebracht, das am Meerstrande unweit Palermo angelegt war, und wo die sinnigen Vorsteher, bis zum zwölften Jahre, für die Entwicklung des Körpers durch Laufen, Ringen, Schwimmen und für die Stärkung des Denkvermögens durch Gymnastik des Kalküls Sorge trugen. In vergangenen Jahrhunderten würde auch der tiefsinnigste Geometer nicht geahnt haben, was im Felde der Rechnung junge Knaben hier schon vermochten. Allein es war überhaupt so weit damit gekommen, (zudem die mechanischen und optischen Handwerke so leicht durch Maschinen, so einfach durch neue Entdeckungen, so allgemein bekannt durch Schulen), dass Hirten, welche die Sternkunde gleich ihren Altvätern wieder trieben, sich bei Tage Teleskope fertigten, zur Nacht den Himmel beobachteten, und die Finsternisse der vielen neugewahrten Planeten und ihrer Trabanten ausmittelten.

Von da ward Guido dem treuen Gelino übergeben, dessen Villa nicht weit von dem großen Lustgarten, der den Ätna einschließt, lag. Dieser Mann hatte, ehe er sich nach dem Wohnplatz der Ruhe zurückgezogen, am Hofe zu Rom ein Amt bekleidet und umfasste die Kunst zarte Jünglinge auf die Bahnen der Tugend zu leiten, mit Liebe.

Der Kaiser, gewohnt, wenn ihn nicht wichtigere Dinge abhielten, den lieblichen Februar auf Sizilien zu verleben, hatte den jungen Guido gesehen, wie es schien, Behagen an dem Knaben gefunden und ihm Fürsorge zugesagt. Ehrender Antrieb für ihn.

Doch möchte es vielleicht nicht gelungen sein, die mit Guidos flammender Lebenskraft verbundenen wilden Neigungen zeitig zu entwaffnen, wenn nicht folgender Umstand hinzugetreten wäre. Neben Gelino wohnte seit einiger Zeit die edle Athania, Witwe des afrikanischen Helden Medon. Sie hatte nach des Gatten Tode ihren Sitz auf dem lieblichen Eiland genommen und eine Pflegetochter mitgebracht, über deren Geburt auch viele Dunkelheit lag.

Guido sah das Mädchen in seinem siebzehnten Jahre. Ini zählte kaum vierzehn, doch prangte ihre Schönheit in üppiger Fülle, ihr Verstand entzückte.

Im einundzwanzigsten Jahrhundert hatte man die Erziehungskunde einer Arithmetik unterworfen, die schon lange genaue Anzeigen ergab und sich immer mehr erweiterte. Streben und Erfahrung hatten die Linie gefunden, bis an welche die Natur Freiheit zu reinen Ausbildungen der Formen bedingt, und wieder das Maß von Gegenwirkungen entdeckt, mit welchem ihr am glücklichsten zu begegnen ist. Da nun zugleich die Chemie der höheren Arzneikunst, diejenigen Krankheiten nach und nach in ihren Stoffen vertilgt hatte, welche sonst das Geschlecht entstellten, da die edlere Verfassung, jene Eigensucht, mit ihren leidenschaftlichen Ausgeburten, Neid, Hass, niedrige Sinnlichkeit, meistens entfernte, so konnte sie auch nicht mehr, wie ehedem Antlitz und Haltung verunbilden. So musste von Geschlecht zu Geschlecht die menschliche Schönheit sich lieblicher entfalten, und jene harmonischen Gestalten, welche einst Bildner in Athen aussannen, erblickte die Wirklichkeit da lange schon lebend, wo die Kultur waltete. Ja, jene Statuen wurden bereits auf eine nie zuvor geahnte Weise übertroffen, denn eine ganz neue Ideenmasse hatten die Menschen in sich aufgenommen, welche der Schönheit einen neuen irdisch-göttlichen Ausdruck zulegte. Wie würden die Phidias und Raphael gestaunt haben, wäre ihnen vergönnt gewesen, aus dem Totenlande wiederzukehren, und die Formen dieses Zeitalters zu betrachten.

Die Schädelkunde, am Ende des achtzehnten Jahrhunderts entdeckt, sparsam im neunzehnten vervollkommnet, doch im zwanzigsten und einundzwanzigsten zur tiefen Wissenschaft erhoben, leistete auch zur allgemeinen Veredlung bedeutende Hilfe, wie wir in der Folge zeigen wollen.

Guido sah die junge Ini kaum, als er ahnte, von den Strahlen dieser Schönheit werde ein neuer Frühling in seinem Gemüte aufblühen. Süße Betäubung, schmachtende Unruhe, stellten sich als Vorboten der Liebe ein, holde Träume umgaben ihn wachend.

Guido war im siebzehnten Jahre so stark und gewandt, dass er manches Raubtier mit unbewaffneten Händen würde überwunden haben. Er sprang in die See, wenn ein Orkan ihre Wogen erhob, und kämpfte dann lächelnd mit der empörten Flut. Er konnte im Laufen das fliehende Reh ereilen und den Gemsen des Hochgebirges nachklimmen. Dabei war er ein fleißiger Mathematiker, hatte eine Karte von dem Meergrunde zwischen Sizilien und Kalabrien gefertigt, die Beifall fand. Kriegerische Künste beschäftigten seine Einbildungskraft, und mit Chemie vertraut, gab er die Konstruktion einer dichten Gewitterwolke an, die ein künstlicher Wind über ein feindliches Heer treiben, wo sie in so viel Blitzen niederwärts sich entladen sollte, als das Heer Köpfe zähle. Anmaßend, wie es unerfahrener Jugend wohl eigen ist, hatte er, ohne seines Lehrers wissen, den Entwurf nach Rom gesandt und dem Strategion zur Prüfung übergeben. Die Männer aber, welche diesen Rat bildeten, lachten allgemein, indem sie einwandten, die Gegner dürften sich ja nur sämtlich mit Ableitern versehn und der Wolke spotten. Doch setzten sie hinzu: Der Jüngling möge nicht ohne gute Anlage sein, und ihm gebühre einige Aufmunterung.

Manches andere Wissen dagegen war unserm Guido noch fremd. Besonders konnte er sich immer nicht an die Geschichte ketten, weil ihm gar zu winzig und unbedeutend schien, was die vergangenen Jahrhunderte vollbracht hatten.

Nachdem er lange in sich verschlossen gewesen war, eilte er an einem schönen Sommerabend zu Ini. Sie hatte den kleinen Marmorsaal in ihrem Hause zum Aufenthalt während der Tageshitze bestimmt. Hier strömte ein Springbrunnen geläutert Quellwasser, der andere gepressten Orangensaft, der dritte Zuckeressenz aus mancherlei Wurzeln des Gartens gezogen. Einen niedlichen Goldbecher mit Sorbet, aus den Flüssigkeiten gemengt, in der Hand, stieg nun Ini auf das platte Marmordach, wo aus Vasen Blumen dufteten und ihr Webestuhl sich befand. Sie malte fertig und bei der kunstvollen Einrichtung des Stuhles ahmte sie ihre Malereien in Seidenarbeit nach. Wo blieben die Gobelintapeten, lange zuvor berühmt, neben diesen Geweben!

Guido kam ihr nach auf die Zinne. Mädchen, rief er, seit ich dich sah, bin ich erkrankt und genesen, die Lüge wird mir Wahrheit, die Wahrheit Lüge, immer drängt es mich, dich zu sehn wie das Sehenswerteste, und ich fliehe dich wie das Furchtbarste. Ich bin in des Ätna Tiefe gestiegen, doch die Flammen deines Auges trag ich nicht. Deute mir das hohe Schönheit!

Das Mädchen zog dunkle Falten der Stirne, die aber ihr frohes Auge Lügen strafte. Mit verstelltem Unwillen entgegnete sie: Ich glaube, du willst mir gar mit Liebe nahen!

Guido rief: Ich bin mir keinen Willen bewusst. Dem Zuge deiner Schönheit folge ich unterwürfig.

Ini sann einen Augenblick mit hochgeröteter Wange nach. Dann sagte sie lächelnd: Den Worten soll ich Liebe glauben? Beweise sie durch die Tat und ich will mich fragen, ob ich sie hören darf.

Entzückt von dem holden Strahl einer aus weiten Fernen schimmernden Hoffnung, flehte Guido mit Ungestüm, ihm die Tat zu nennen, wodurch er seine Liebe zu bewähren hätte?

Tritt näher, sagte Ini, nimm Platz, dort auf den Sessel von Elfenbein, dass ich dein Haupt von der Seite erblicke.

Guido gehorsamte still.

Ini zog ein anderes Seidenzeug auf ihren kunstreichen Webestuhl, und in wenigen Minuten hatte sie Guidos Abbild darin gewirkt. Hier, rief sie, des sichtbaren Guido Umriss, wie er zeugt von dem unsichtbaren, die Urkunde seines geheimen Lebens, der Tag seiner innen waltenden Nacht.

Guido blickte hin. Die höchste Wahrheit hatte die Bildnerin getroffen. O webe mir dein Bild, flehte er wehmütig, mit Entzücken will ich es von hinnen tragen.

Das steht weit hinaus, erwiderte sie. Doch will ich nun ein zweites Gewebe fertigen.

Sie ging wieder an die Arbeit, während der Jüngling sich mit trunkenen Blicken an der hohen Gestalt weidete, und bisweilen ärgerlich auf sein Konterfei sah. Denn es wollte ihm nicht gefallen, ob er schon nicht wusste, warum.

Nach einer Viertelstunde hatte Ini geendet.

Sie zeigte ihm ein neues Seitenbild, das Guido in den Zustand der höchsten Verwunderung brachte. Er sah seine Grundzüge wieder, aber in einer bezaubernd schönen Idealität. Höher strebte des Schädels Mitte empor, regelmäßig wölbte sich das Hinterhaupt, weit drang die reine Wellenlinie der Stirn hervor, eine unbeschreibliche Veredlung wohnte in dem ganzen Profil, liebliche Anmut um den Mund, in dem klarer, tiefer, strahlender gewordenen Auge, redete der volle, Ehrfurcht gebietende Ausdruck jugendlicher Weisheit, der in früheren Zeiten nicht lebend anzutreffen war, den auch die Künstler, welche einst den Apollon vom Belvedere oder den Antinous fertigten, noch nicht dargestellt hatten. Indessen konnte ihn die Entwicklung der Menschheit erst spät hervordringen.

Guido blickte bald verlegen auf das Kunstwerk, bald auf die hochsinnige Meisterin. Ich sehe mich hier in ein Gedicht verklärt, hub er an, was willst du mir deuten?

Kein Gedicht, entgegnete das Mädchen, erreichbare Wahrheit. Du hast mir süßen Schmerz der Liebe geklagt. Gestalte dich nach diesem Bilde um, ich gebe dir zwei bis drei Jahre Zeit, hast du dann diese Schönheit dir anerzogen, soll meine Gegenliebe dein Lohn sein.

Wie soll ich das anfangen! Rief der Befremdete. Bin ich Herr über meine Gestalt?

Du bist es.

Bin ich ein Schöpfer?

Wenn dein Lieben wahr ist! Ich sage dir nichts mehr. Dem Geist deiner Liebe hast du das Geheimnis zu entwinden. Doch nicht allein sollst du umwandeln. Ich werde mir auch ein Ideal meiner Gestalt entwerfen.

Eitles Mühn! Wie könnte deine Phantasie einen schöneren Traum erschaffen als die Wirklichkeit!

Schmeichelei, oder, wenn es dir so scheint, Unvollkommenheit in deinem Urteil. Es wird sich stärken, dein Tadel erwachen, und das Streben, mich vor dem Tadel zu retten, mir wohltun. Der Augenblick, wo einem Mädchen zum Erstenmale Liebe bekannt wird, gibt neue Aussichten in die Welt höherer Anmut. Nach einem Jahre sollst du mein Ideal sehen. Ehe nicht. Bis dahin begnüge dich auch, an mich zu denken. Wie, ich soll dich in dem langen Zeitraume nicht erblicken?

„Die erste Prüfung! Auch eine notwendig ungestörte Frist!“

Unbegreifliche! Und dennoch erwacht mir die Hoffnung, ich werde den hohen Sinn deiner Worte fassen lernen.

„Frage den Geist der Liebe, sein Orakel tönt in deiner Brust. Und nun nichts weiter. Lebe wohl!“

Ehrerbietig entfernte sich Guido, irrte umher in den lieblichen Tälern, bis Nachtviolen die Orangenblüte überdufteten und der Vollmondschein durch die Ölbäume und Mandelsträucher des blumigen Hügels winkte.

Wie auch der Sturm heiliger Empfindungen in ihm wogte, immer ward die Frage laut.

Und der Liebe Geist antwortete ihm leise: So du der Seele Schönheit pflegst, wird sie sich in der Gestalt verkünden.

Guido kniete nieder vor der Gottheit in seiner eigenen Brust und flehte innig um Lehre.

Wer so innig fleht, wird erhört. Aus dunkeln Nachtgewölken enthüllte sich mit jedem Tage die Mysterie reiner, bis die Pfade ihm von tausend Morgensternen erhellt schienen.

Er machte sich mit den Schriften neuer gerühmter Weisen bekannt. Im ein und zwanzigsten Jahrhundert gab es Wenige, die es zu dem Namen bringen konnten, denn die Weisheit galt keine Seltenheit mehr. Auch sah man nur wenige Bücher, in der allgemeinen Sprache von Europa, vor hundert Jahren eingeführt, als man hier endlich die Torheit beseitigte, ein und dasselbe Ding auf so verschiedene Arten zu nennen, und dem, der bedeutendes Wissen umfangen will, das halbe Leben im Studium der Mundarten abzufordern. Es gab dagegen unermessliche Büchersammlungen in den alten Sprachen, aber sie galten meistens Denkmäler vorzeitlicher Irrtümer. Die wenigen, welche in den Tagen höher gediehener Bildung noch den Namen Weisen errangen, waren Männer, die mit rüstiger Kraft, aus den Schätzen der Vergangenheit, das Beste, das Allgemeingültige sonderten, was sich denn auf wenige Blätter bringen ließ, nun aber auch die Mitwelt desto leichter in Stand setzte, die Höhe des vorhandenen Wissens schnell zu erfliegen und mit starken Schritten weiter zu dringen.

Auch die Geschichte des Menschengeschlechts hatten tiefe Forscher so bearbeitet, dass die Erscheinungen sich immer deutlicher in ihrem Ursprung erklärten und dass daraus, sowohl die Kräfte als der Zweck des Lebens deutlicher wurden.

Guido erbeutete nach und nach reiche Summen von Wissen, eine schon durch die Mathematik gestärkte Denkkraft, eine durch die Liebe entzündete Phantasie, nehmen leicht auf, bewahren dauernd und fühlen mit jedem Tage mehr, wie des Genius Fittig sich regt.

Bei diesem Geschäft, das er mit heiligem Eifer trieb, kamen Empfindungen über ihn, deren Hoheit und Würde er nie geträumt hatte. Stark fühlte er alles Große, edle Tat sprach ihn an, dass er lebhaft sich in den Zustand dessen denken musste, der sie verrichtet hatte, mit tief liebender Ehrfurcht füllte ihn die Religion, er schwärmte für alle Schönheit der Natur, um so mehr, als er Inis Verwandtschaft darin zu erkennen wähnte.

So floh denn das Jahr eilig dahin, und hatte sich Guido schon bei seinem Anfang durch die Wunder der Liebe verändert gefunden, so schien er sich jetzt gar nicht mehr das Wesen von ehedem zu sein. Trat er seit einem halben Jahre an den Spiegel, meinte er auch schon, hie und da hätten sich seine Formen umgewandelt. Doch war er mit sich selbst nicht einig, ob er hier an Wahrheit oder Täuschung glauben sollte.

Das Jahr war endlich um, und er eilte mit hochklopfendem Busen zu Ini. Wie gespannt ist das junge Herz, wenn es nach einer so langen Abwesenheit dem Gegenstand heiliger Liebe wieder nahen darf.

Ini saß eben im Garten und rührte die Zephirharmonika. Es war dies ein Instrument, mit vielen langen Harfensaiten bespannt, die hoch in die Luft reichten. Zu jedem Ton gehörten hundert gleich gestimmte Saiten, hintereinander an widerhallende Laden gefügt und vorne mit einer Blende versehn. Unten befand sich ein Tastenwerk, wodurch jedes Mal, nachdem man schwache oder starke Töne hervorrufen wollte, die Blende, weniger oder mehr entfernt ward. Nun berührten die aufgefangenen Luftströme die Saiten und man vernahm jene reizende ätherische Schwingungen, welche früher hin schon an den sogenannten Äolsharfen bezauberten, nur dass damals noch niemand Herr der Melodien zu werden verstand.

Guido trat in das Gartentor, leicht aus Porphir gearbeitet, und nahm seinen Weg durch einen, von hohen blühenden Rosensträuchern beschatteten, Gang, an dessen Ende die Zephirharmonika auf einem frei emporragenden, nur mit niedrigen Lilien und Anemonen bepflanzten Hügel stand. Die Töne wehten ihm her durch die balsamhauchende Abendluft, ehe er noch das Instrument sah. Er wähnte, sie stiegen von glücklicheren Sternen nieder. Endlich erblickte er Ini. Das Piedestal des Instruments, etwa zwanzig Schuh hoch, war aus hell durchsichtigen Glassäulen erbaut. Ein Maschinenwerk hob auf den Sitz. Dieser, wie auch die Laden und Blenden waren mit goldfarbigen dünnem Zeug bedeckt und wolkenartig gestaltet. Über sie weg in gefälliger Rundung wölbten sich dieses Zeug. Die Saiten gewahrte das Auge in einiger Entfernung nicht, und so schien es, Ini schwebe ob dem Hügel auf einem Wolkenthron.

Eine Umgebung der Art müsste jede Schönheit erhöhen, um wie mehr, wenn erquickende Blumendüfte und zaubervolle Harmonien bestachen, um wie mehr, wenn die wirklich hohe Schönheit mit dem Blick der Liebe angestaunt ward.

Guido erschrak freudig, da er um die letzte Krümmung des Rosenganges trat, und nun Ini ersah. Nieder musste er anbetend sinken. Ihre Gestalt lag in so hoher Vollkommenheit in seiner Einbildung verwahrt, aber das erste Anschaun jetzt belehrte ihn von neuer Trefflichkeit.

Sie wandte bald das Auge nach ihm hin. Nicht konnte man diese Bewegung eben zufällig nennen, wohl hatte sie Tag und Stunde gemerkt, da das Jahr umgelaufen wäre, sie hoffte jetzt den Jüngling erscheinen zu sehn, und wenn sie ihn gerade so empfing, sind wir berechtigt, den Grund in ihrer Weiblichkeit aufzusuchen.

Sie errötete, da hätten Abendsonne und Rosen sich beschämt abwenden mögen, sie endete ihr Spiel, da konnte der Nachtigallenchor sich freuen, weil er nun gehört zu werden hoffte.

Sie stieg herab, winkte freundlich dem Jüngling aufzustehen. Lächelnd und gesammelter nahm sie seine Hand und führte ihn nach dem Zimmer im Wohnhause, das mit ihren malerischen Geweben umhängt war. Hier befand sich jenes Ideal von Guidos künftiger Schönheit, das sie gleich herbeilangte.

Du wecktest schöne Kräfte in dir, hob sie an, ihr Walten spricht in deinem Auge, ein reiner Sinn erzog dir diese Reinheit im Antlitz, edle Gefühle, hohe Einbildung, angenehme Effekte trugen den Ausdruck dieser Harmonie aus Linien, Farben, Zügen zusammen. Eile emsig weiter auf der hold betretenen Bahn, und das schöne Ziel wird dir nicht entfliehn.

Guido empfand selige Wonne. Als sich seine Gefühle erst in Worte zu kleiden vermögten, sagte er Ini, wie auch ihre Schönheit, ob er sie schon auf den Gipfeln der Vollendung geträumt hätte, unendlich erhöht sei.

Sie ward verlegen, lächelte und holte eine zweite Malerei, welche auch ihre Gestalt in einem Ideal bildete. Guido wollte die neue Versündigung gegen ihre dermaligen Reize schelten, doch Staunen und Bewunderung schlossen seinen Mund.

Von der Zeit an sahen sich die Liebenden öfter. Viel inniger noch wurden ihre gegenseitigen Beziehungen und dennoch mehr Verständigkeit hineingelegt. Die Rückwirkung war für jeden Teil segnend.

Gelino, der sorgsame Lehrfreund, hatte schon im Laufe jenes Jahres manche Veränderungen bemerkt, welche Guido in seinem Charakter zeigte. Der Übergang war zu plötzlich gewesen. Die Fortschritte im Guten hatten zu schnell geeilt, als dass der lebenserfahrene Greis nicht richtig auf den Grund davon hätte schließen sollen. Gleichwohl konnte er nichts weiter erspähn, da Guido in diesem Zeitraume fast seine Wohnung nicht mied.

Auch Athania, die edle Erzieherin, war zu scharfsichtig, um nicht Ini bald aus ihren Umgestaltungen zu erraten, wenn ihr gleich der Jüngling ihrer Liebe noch ein Geheimnis blieb.

Doch da die Liebenden sich nachher öfter zusammenstahlen, konnten sie der forschenden Beobachtung nicht entgehen. Beide Alten waren schnell mit ihrem Glauben aufs Reine und bei einer Zusammenkunft entstand folgendes Gespräch.

Gelino. Werte Athania, mein Zögling scheint Ini zu lieben.

Athania. Eben wollte ich dir meine Bemerkungen über diesen Gegenstand vortragen.

Gelino. Ich gerate in keine kleine Verlegenheit. Wohl hat diese Liebe, ohne Zweifel, die erste, und eben so gewiss auf eine würdige Art erwidert Veredlung im Gefolge, dennoch muss ich darauf sinnen, wie sie am bequemsten zu hindern sei.

Athania. Harte Strenge gegen die jungen Seelen.

Gelino. Aber notwendig. Der Kaiser nimmt sich meines Guido, den er hier kennen lernte, an, hat mir bei seiner letzten Gegenwart vertraut, wie er ihn zu hohen Staatsämtern berufen wolle.

Athania. Und Ini ward mir von einer Afrikanerin übergeben, die ich nur verschleiert sah, die aber auf einen hohen Stand schließen ließ, und bis dahin die Tochter in einem Findlinghaus hatte erziehen lassen. Dass sie sich Inis Ehe zu bestimmen vorbehalten bat, lässt sich um so eher erwarten, als ich bald mit dem Mädchen nach Afrika beschieden bin. Gleichwohl dürften wir mit all' unserer Sorge nicht so viel an den Pflegebefohlenen erziehen wie die Liebe.

Gelino. Darin stimme ich vollkommen ein.

Athania. Gestatten wir den jungen Leuten sich zu lieben, den Frühling ihrer Jahre entzückt zu genießen. Doch werde ihnen auch gleich verkündet, wie Besitz nimmer das Ziel dieser Liebe sein könne, wie sie sich an den Freuden des Augenblicks und an wechselseitiger Erziehung zu genügen hat.

Gelino wandte noch manches ein, gab aber endlich nach, wobei denn noch beschlossen ward, die jungen Personen sollten sich immer in einiger Entfernung bewacht finden.

Athania sprach mit Ini, welche errötete. Bald sammelte sich aber das Mädchen und entgegnete, wie sie sich eine solche Ankündigung gar wohl gefallen lassen könne, da zwischen Guido und ihr eigentlich ja nur das bildnerische Problem gelöst werden sollte, die höchst mögliche Schönheit zu erringen.

Athania war nicht wenig befremdet, als ihr dies näher erklärt wurde, hoffte, dass dem feinen Sinn der so etwas zu erfinden vermöge, auch die Selbstherrschaft nicht abgehen werde, wenn die Trennung geboten sei.

Gelino fand höhere Bestürzung an dem Jüngling, da sich dieser so unerwartet entdeckt sah. Doch fasste er sich auch und erklärte: Könne er Ini nimmer besitzen, solle doch das Geschäft, sich ihrer würdig zu machen, sein Glück heißen. Dies lobte sein Führer mit Wärme.

Die Liebenden eilten einander mitzuteilen, was jedes von ihnen eben gehört hatte. Guido war in trüben Kummer versenkt. Ini zeigte eben nicht ihren gewohnten heiteren Mut, doch sagte sie mit Festigkeit: Ich verhieß dir, wenn du mein Ideal erreicht haben würdest, dir mit Gegenliebe zu lohnen. Bis dahin erwarte nichts, dann alles, was das Schicksal auch einreden mag.

Bald darauf kam ein Eilbote durch die Luft aus Afrika geflogen und meldete, wie Inis Mutter ihre Tochter zu sehen begehre. Er brachte zugleich ein bequemes Fahrzeug mit, das die Reisenden nach jener Küste tragen sollte.

Es war dies ein Häuschen von dünnem Schilfrohr geflochten und mit Fenstern aus einem ganz durchsichtig gemachten, leichten Horn versehn. Zwei Kabinette, eine Kammer für die Dienerschaft und eine Küche, mit dem nötigen kleinen Magazin von Speisen und Getränken, waren im Innern abgeteilt. Kostbare Teppiche schmückten mit andern Gerätschaften die Kabinette. Das Dach war platt, mit einem Geländer und Sitzen umgeben, sich dort bei angenehmer Witterung aufzuhalten. An dies Dach waren die seidenen Stränge befestigt, welche von der oben schwebenden Azotkugel niederhingen. Man wusste jetzt das Azot viel leichter und einfacher zu bereiten als im Anfang der Luftschifferei. Auch hatte lange schon die Versuche, Adler zu zähmen und an die Fahrzeuge zu spannen, Erfolg gekrönt. Man hielt auch viele Institute zur Zucht und Einlehrung dieser Tiere. Postämter befanden sich in allen Richtungen von Grad zu Grad, und wenn Reisende im Abstand einer Meile, bei Tag mit einer lang flatternden Fahne, bei Nacht mit einem Raketenschein sich meldeten, trafen sie alles bereit.

Das Fahrzeug, worin die Schöne nach Afrika eilen sollte, war mit zwanzig rüstigen Tieren bespannt. Guido bat flehend um die Erlaubnis, sie einen Grad begleiten zu dürfen. Athania und Gelino willigten ein. Er mietete also eine kleine offene Gondel, wie sie zu Briefposten im Gebrauch war, die nur an einem kleinen Ball hing und von zwei Adlern fortgeschafft werden konnte. Diese ward an das größere Fahrzeug befestigt und die beiden Adler einstweilen vorne mitgebraucht.

Man stieg an einem herrlichen Morgen ein, und ließ das Fahrzeug sich hoch erheben. Welche herrliche erquickende Empfindung, im reineren Äther oben, welch' entzückendes Schauspiel, die Sonne, die dem Thale erst im Purpurhauche am Ost sich verkündet hatte, nun schnell am tiefen Erdrund zu gewahren, da der Flug ihr zuvor eilte. Die Reisenden sahen die klare Sonnenscheibe des unbewölkten Himmels, doch unter ihnen schwand noch alles in Dunkel, weil Siziliens hohe Fluren noch nicht erhellt wurden. Nur der Ätna, welcher eben Flammen auswarf, entdeckte sich ihnen in feurigen Verschlingungen. Bald aber trafen Föbos Strahlen die Höhen des Eilandes, und kurze Zeit darnach lag es in seiner ganzen Gestalt erkennbar unter ihnen, denn sie schwebten hoch genug, Sizilien vom silberfarbenen Meere umgürtet, zu übersehen. Palermo, Messina und Sirakus waren kaum als Punkte bemerklich, die Orangen- und Pinienhaine zogen sich in blauen Streifen an den Gebirgen hin, die Täler waren in ein heitres Gelb verschmolzen. Der Liebenden Busen wallte hoch auf in dem frohen Anschaun, und nur die nahe Trennung störte ihre erhabenen Gespräche über den erhabenen Gegenstand.

Fürchte nichts, sagte Ini, ich komme gewiss nach Sizilien zurück. Es wird meine erste Bitte an die Mutter sein, meine Erziehung hier zu vollenden. Ich schreibe dir, was sie beschließt, und du kömmst mir dann wieder entgegen.

Die Reise ging schnell, da die Tiere munter die Flügel regten und man sich in einer stillen Luftregion befand, wo sie keinem Widerstand entgegen zu kämpfen hatten. Nach einigen Stunden lag die Bläue des Meeres unter ihnen und eine grüne Linie an seinem mittäglichen Rande bezeichnete Afrika. Der Grad ist bereits überschritten, sagte Inis Erzieherin, es ist Zeit, dass du an die Rückkehr denkst, Guido. Diesem waren die Stunden wie Minuten entwichen, er flehte um eine Zugabe von Frist. Man muss den Vertrag halten, antwortete jene, auch merkte der Knabe, den Guido von der Luftpost zu Palermo mitgenommen hatte, an, die Adler dürften ermüden.

Guido stieg in den kleinen Kahn, vor welchen der Knabe die zwei Adler gelegt hatte, die nun rückwärts gelenkt wurden. Tausend Lebewohl rief er Ini nach, die ihren tränenden Blick zu ihm wandte. Bald sah sie von der kleinen Kugel nur einen hellen Punkt, den sie so lange als möglich mit dem Sehrohre verfolgte.

Guido war sehr traurig, als er wieder in seiner Wohnung anlangte. Nur die Hoffnung, bald einer Nachricht von Ini entgegen sehen zu dürfen, richtete sein Gemüt auf.

Man hatte um diese Zeit die Mittel, sich aus der Ferne zu unterhalten, bedeutend vervielfacht.

Telegraphen standen durch ganz Europa, in allen Linien von namhaften Orten, aufgerichtet, und jedermann konnte sich ihrer gegen eine mäßige Zahlung bedienen. Die vervollkommnete Akustik diente hier aber mehr dem Gehör, als früherhin die wenig umfassenden Zeichen dem Auge. Es gab Sprachtrompeten, welche bei Tag und Nacht, und fast bei jeder Witterung, auf eine Meile deutlich hörbar tönten und durch welche man von Station zu Station melden ließ, was man wollte. Über Meere leisteten dagegen die allgemein gewordenen Taubensendungen Hilfe. Ini hatte deshalb von dem Manne, der die Taubenpost zu Palermo hielt, sechs dieser gefiederten Boten mit sich genommen, um sie mit kleinen Briefchen am Halse zurückfliegen zu lassen. In diesem Orte waren deren ebenfalls aus Neu-Karthago, der jetzigen Hauptstadt von Afrika vorhanden, deren sich Guido bedienen konnte.

Jeden Tag eilte er zu dem Manne und blickte aus seinem Türmchen nach Süden. Manche Taube kam geflattert, eins oder mehrere Papiere am zarten Hals, doch lautete die Aufschrift an andere Personen. Endlich nach einer Woche schwebte es weiß daher und die rötlichen Füßchen einer niedlichen Turteltaube setzten sich auf den Schlag nieder. Das zahme Tier ließ sich willig ergreifen. An Guido, stand auf dem Briefchen. Hurtig ward es abgenommen und geöffnet.

Ini schrieb, wie sie von ihrer Mutter mit froher Zärtlichkeit aufgenommen sei, und diese Mutter, die ganz still auf einem Landhause bei Neu-Karthago lebe, auch ihre Liebe im reichen Maße verdiene. Sie setzte hinzu, wie sie nicht begreife, dass diese Mutter, bei einem so warmen Herzen, ihre Erziehung der Fremden habe übertragen können, und wie hier ein Grund vorhanden sei, bedeutende Geheimnisse zu vermuten, um deren Aufschluss sie vergebens gefleht habe. Noch folgten begeisterte Schilderungen der vorzüglichen Eigenschaften dieser edlen Frau.

Guido, wie unendlich ihn der Empfang des Schreibens erfreute, ward tief bestürzt, dass darin von keiner Wiederkunft die Rede war. Er fürchtete, Mutterliebe werde die Tochter nicht wieder scheiden lassen, und Inis Herz von dem er doch täglich mehr für sich hoffte, von ihm wenden.

Nach einigen Tagen langte ein zweiter Brief an. Hier schrieb ihm Ini, sie käme nach Sizilien zurück. Schwerer, als sie es geglaubt hätte, würde die Bitte darum ihr geworden sein, weil sie die Mutter einen Mangel an Anhänglichkeit hätte argwöhnen lassen können, doch sei diese ihren Wünschen mit der Erklärung entgegen gekommen, Athania werde mit ihr auf ungewisse Zeit den vorigen Aufenthalt nehmen. Ini klagte noch mit schmerzlichem Gefühl über die nahe Trennung von einer Mutter, die so gut und weise sei. Sie setzte hinzu, dass sie, sonderbar, der verschleierten Mutter Antlitz nimmer schauen dürfe.

Guido war hoch entzückt über den einen Punkt, wenn ihn schon der andere nicht ganz ohne Unruhe ließ, denn die Liebenden wollen nichts als sich geliebt wissen, sogar eine Mutter nicht.

Nach einigen Tagen meldete ein Täubchen die Rückkunft auf Morgen an. Wie flog Guido zur Adlerpost, die Couriergondel zu dingen. Wie froh schwang er sich zur Höhe! Man lenkte bei diesen Luftfahrten nach Karten und Kompass, konnte also den Strich nicht verfehlen, um so mehr als beides in sehr verbesserter Art vorhanden war. Denn man bildete die Karten in erhabener Arbeit, so dass sie auf das Genaueste die Berge, Städte, Felder usw. darstellten. Alle Verhältnisse der Länge, Breite, Höhe waren richtig, wenn schon in bequemer Verkleinerung, und so, dass sie dem gewöhnlichen Auge nicht erkennbar wurden. Dann bediente man sich aber der jetzt so trefflichen Mikroskope, unter welchen alles deutlich ward. Der Kompass war mit Uhren, Zeitmessern und andern Vorrichtungen dergestalt verbunden, dass man, zumal auch die Längenfindung entdeckt war, in jedem Augenblicke den Punkt angegeben hatte, in welchem man sich befand. Es konnte mithin unserm Guido nicht fehlen, seinem Mädchen in der Luftregion zu begegnen.

Auch das Sehrohr entdeckte sie ihm schon auf weiter als zwei Grad und er ward zu seinem hohen Vergnügen bald inne, dass auch ihr schönes Auge an dem nämlichen Instrumente lag, nach ihn auszusehen. So lächelten und liebäugelten sie einander schon zu, wenn gleich mehr als zwanzig Meilen entfernt. Bis auf einige Meilen genaht, leisteten ihnen die akustischen Werkzeuge Hilfe, sich zu begrüßen und sich süße Dinge zu sagen. Herrliche Erfindungen für Liebende.

Endlich war das ätherische Häuschen erreicht, in welchem die gefeierte Schönheit saß. Guido konnte die Zeit nicht erwarten, aus seiner Gondel auf das Dach zu springen. Er war zu eilig, versah es, und fiel.

In einer Höhe von viertausend Schuh fiel Guido nieder. Allein sämtliche Luftpassagiere waren gewohnt, eine Hauptbedeckung von einem dünnen Zeug, mit kleinen Stäben aufgesteift, zu tragen, die sich bei einem etwagigen Unfall, durch die natürliche Wirkung der Luft, breit entwickelte. So erfolgte dann nichts weiter, als ein jähes Niedersinken von etwa hundert Schuhen Tiefe, dann hing man gesichert am Fallschirm und schwebte langsam der Erde zu. Der Postknabe flog mit seinen Adlern schnell niederwärts, fischte den Jüngling auf, brachte ihn wieder an Inis Fahrzeug, wo er diesmal vorsichtiger einstieg, nur den Schaden hatte ausgelacht zu werden, und was für den Liebenden freilich wichtig genug ist, eine Minute verloren zu haben.

Guido und Ini hatten einander unendlich viel zu sagen, wenn schon die Weisheit es unendlich wenig genannt haben dürfte. Noch eifriger betrachteten sie einander: Der ganze Prozess der beiden legte es, wie wir schon oft genug berührten, auf Verschönerung an. Verschönt nun Liebe an sich, ist sie die beste Lehrmeisterin in jeder Kunst, fachen zugleich Trennung, Sehnsucht und Entzücken beim Wiedersehn sie um so höher an, so konnte es nicht fehlen, dass diese wenigen Tage sie ihren Zielen um etwas näher geführt hatten.

Nicht lange darauf kam der Kaiser nach Palermo. Er ließ sich den Jüngling vorstellen und bezeugte seine Zufriedenheit mit dem vorteilhaften Bericht, welchen sein Erzieher über ihn abstattete. Dann gebot er diesem, sogleich eine Reise mit Guido anzutreten. Wenn diese vollendet wäre, sollten sie nach Rom kommen, und würde dann der Jüngling, bei einer neuen Prüfung, bestehen, verhieß jener, sollte er zu einem wichtigen Staatsamte berufen werden.

So standen also die Sachen. Morgen sollte Guido scheiden. Ini empfahl ihm nichts wärmer, als das Ideal nimmer zu vergessen, welches sie ihm nun auch einhändigte. Sind die drei Jahre um, sprach sie, und wir haben beide erreicht, was wir wollten, dann liegt es schon in der ganzen Natur dieser Schönheit, dass wir uns besitzen müssen. Und nun scheide mit einem männlichen Lebewohl.

Dass es nicht sehr männlich war, und die ermannende Rathgeberin selbst im Geheimen der Fassung erriet, ist zu vermuten. Bei dem Allen ließ die hohe Wehmut des Abschiedes auf lange Dauer wieder einen neuen Zug von Schönheit zurück.

Guido sollte nicht immer durch die Höhen reisen, weil ihm die Tiefe dann nicht kund geworden wäre. Ein segelfertiges Schiff im Hafen ward bestiegen, das den Lehrer und Zögling nach der jetzigen Ostmark des Staates von Europa tragen sollte.

Die Kunst zu schiffen hatte bedeutend gewonnen. Unendlich geringer war die Gefahr dabei. Strand, Klippen, Meergrund hatte die viel erweiterte Geographie trefflich bezeichnet, der gute Pilot wusste den Strich, kannte die Tiefen seines Fahrwassers genau. Nächtliches Dunkel bereitete kein Hindernis, weil man die Fahrzeuge mit Reverberen umhing, die im Umkreis einer Viertelmeile fast Tageshelle verbreiteten. Der Kampf mit Stürmen brachte niemand mehr in Verlegenheit. Denn es gab Ankertaue aus feinen Metalldräten, welche große Haltbarkeit mit geringem Umfang verbanden, und befestigte dadurch das Schiff, mochte die See noch so empört wogen. Bei Windstillen, die früherhin den Seefahrer in zeitraubende Untätigkeit versetzten, halfen neuerfundene Ruderwerke, durch einen einfach kunstvollen Mechanismus in Bewegung gebracht. Man baute auch weit größere Schiffe, was um so eher anging, als die Häfen überall zu ihrer Aufnahme geeignet waren, und benutzte den Raum darin geschickt. Es war endlich ein Lack erfunden worden, der allen Eindrang von Wasser hemmte, daher die Waren in den Kellern ganz trocken lagen und zugleich in sehr großer Menge, denn rohe Erzeugnisse zu verfahren, schämte sich der meisten Nationen Kunstfleiß, und die verarbeiteten nahmen weniger Platz ein. Der obere Teil der Schiffe war gemeinhin sehr vorteilhaft abgeteilt. Die Seeleute hatten Verfeinerung genug angenommen, um sich nicht auf einseitige Beschränkungen zu verstehn, und der Lebensgenuss war jedermann zu wichtig, als dass er irgendwo verbannt gewesen wäre. Deshalb fand man hier einen Konzertsaal, der auch zum Theater umgeschaffen werden konnte, ein Lesezimmer, dessen Wandschränke mit Büchern, Karten und Instrumenten zum Behuf der Seefahrt und Naturkunde gefüllt waren. Eine breite Galerie umlief das Schiff, besetzt mit Fruchtbäumen und Blumen in Töpfen. Hier lustwandelte man, ohne durch das Arbeitsgetöse auf dem Verdeck gestört zu werden.

Zweites Büchlein

Die Reise.

Gelino bemühte sich, während dieser Meerfahrt den Zögling in mancherlei ihm noch unbekannten Dingen zu unterrichten. Das Vergnügen der Bequemlichkeiten mancher Art, die Zerstreuungen durch Musik und Bühne, wurden ihm sparsam zugemessen; er musste dagegen häufig im Kristallturm weilen, und die Natur unter der Wogenfläche beobachten.

Mit diesem Turme hatte es folgende Bewandtnis.

Er war nur so groß, dass etwa drei oder vier Personen, ein scheidekünstlerischer Apparat und mancherlei Beobachtungsinstrumente darin Raum fanden. Von starken Bohlen viereckig gebaut, mit Seitenfenstern von sehr dickem aber vollkommen durchsichtigem Kristall. Der Boden überaus fest, um bei einem Stoß an Klippen nicht in Trümmern zu fallen. Die Decke an einen dicken, hohlen Metalltau gebunden, der ins Innere lief. Zudem vollkommen gegen den Eindrang der Fluten gesichert.

Dieser Turm ward nun ins Meer gelassen, indem er in der Gegend des Steuerruders befestigt blieb. Durch seine Schwere ging er unter. Die Einholung des Taues setzte die unten befindlichen Personen in den Stand, mittelst eines Sprachrohrs verlangen zu können, ob sie tiefer hinabgesenkt, oder höher hinauf gezogen sein wollten. Die Chemie hatte lange schon die Mittel entdeckt, eine verschlossene Luft durch Reinigen und Erzeugen von Sauerstoff atembar zu erhalten. War das Meer nun nicht in zu lebhafter Bewegung, so konnte man durch die Fenster alles weit um sich entdecken, ja man bediente sich einer Art Lampen vor Hohlspiegeln, um die Tiefe nötigenfalls noch mehr zu erhellen.

Welche Entdeckungen hatte die Naturkunde seit dieser Erfindung gemacht! Die Welt im Ozean, von der ehedem so wenig bekannt war, lag nun dem Auge des Forschers offen da.