Taschenatlas der Zungendiagnostik - Beate Schnorrenberger - E-Book

Taschenatlas der Zungendiagnostik E-Book

Beate Schnorrenberger

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Beschreibung

Spezifische Zungenzeichen erkennen und daraus die Therapie ableiten: Wie das geht, zeigt Ihnen dieser Taschenatlas. Vom Befund direkt zur Therapie: Eine übersichtlich strukturierte Doppelseite liefert Ihnen im Hauptteil zu einem spezifischen Zungenbild diagnostische und therapeutische Informationen. Diesen folgen Therapiehinweise zu Akupunktur, chinesischer Phytotherapie und Diätetik. Sie profitieren vom klaren didaktischen Nutzen: Die einzelnen Buchteile sind so konzipiert, dass Sie sich immer wieder selbst überprüfen können. Die bereits gelernten diagnostischen Kriterien sind im klinisch-therapeutischen Teil farbig hervorgehoben - ideal für einen unmittelbaren Wissenstest.

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Seitenzahl: 161

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Die Autoren

Prof. h. c. (China Medical College, Taichung, Taiwan, Republic of China) Dr. med. Claus C. Schnorrenberger

Lifu International College of Chinese Medicine Karl-Jaspers-Allee 8 4020 Basel/Schweiz und Deutsches Forschungsinstitut für Chinesische Medizin Silberbachstraße 10 79100 Freiburg i. Br. (Anatomie, klinische Dokumentation, Rezepturen und Arzneimittelgruppen)

Beate Schnorrenberger

Bachelor of Chinese Medicine,

Taschenatlas Zungendiagnostik

Mit Therapiehinweisen zu Akupunktur, Rezeptur und Diätetik

Claus C. Schnorrenberger Beate Schnorrenberger

2., aktualisierte Auflage

Vorwort zur 2. Auflage

Aufgrund unserer umfangreichen praktischen Erfahrungen in den letzten Jahren können wir bestätigen, dass die Zungendiagnostik eines der wichtigsten diagnostischen Elemente in der Praxis der chinesischen Medizin darstellt, das die bewährten Methoden der westlichen Diagnostik für jeden einzelnen Fall entscheidend ergänzt. Denn die Zungendiagnostik schärft und erweitert den klinischen Blick des Arztes in Richtung Ganzheitsverständnis des Menschen.

Es ist selbst für den Fachmann immer wieder erstaunlich, wie logisch die menschliche Zunge die inneren Organe und ihre durch Störungen bedingte Modifikationen reflektiert. Dies macht die Zungendiagnostik besonders für Verlaufskontrollen geeignet. Darüber hinaus ermöglicht die richtige Beurteilung der Zunge eine echte Evidenz der individuellen Diagnostik und Therapie. Diese Evidenz geht in ihrer medizinisch-wissenschaftlichen Aussagekraft weit über das hinaus, was die derzeit propagierte Evidence Based Medicine (EBM) bereitstellt, die sich über Prozentzahlen an Mittelwerten orientiert, aber nicht am leidenden Einzelmenschen. Dem praktizierenden Arzt und den Patienten, diesen seit Jahrtausenden unveränderten Eckpfeilern der Heilkunde, muss es indessen um das erkrankte Individuum gehen, weniger um artifizielle Kollektive, wenn sie nicht den phänomenologisch gesicherten und bewährten Boden unter den Füßen verlieren wollen.

Nach einem Spezialstudium der chinesischen inneren Medizin, der Kräuterheilkunde und ihrer Rezepturen sowie der Nadel- und Moxatherapie (Zhen-Jiu) steht dem Mediziner insbesondere mit der gekonnten Zungendiagnostik eine umfassende diagnostische Methode zur Verfügung. Sie stützt sich unter Einbeziehung aller anderen diagnostischen Möglichkeiten auf die genaue Analyse des individuellen Zungenbildes. Dadurch werden die heute im Westen dem medizinischen Vorgehen zugrunde gelegte Zersplitterung der Welt in Natur und Geist, die Aufspaltung des Lebendigen in Materie und Bewusstsein sowie die Trennung des Menschen in Leib und Seele überflüssig. So war es in der richtig verstandenen chinesischen Heilkunde von jeher selbstverständlich.

Basel, im Februar 2007

Professor h. c. Dr. Claus C. Schnorrenberger Beate Schnorrenberger

Vorwort zur 1. Auflage

Das zuverlässige Erlernen der chinesischen Medizin erscheint heute schwieriger denn je zuvor. Schulen haben sich dazu im Westen aufgetan, deren holprige Begrifflichkeit kaum noch eine Identität mit dem Denken und den Vorstellungen der originalen Schöpfer der fernöstlichen Heilkunde erkennen lassen. Man redet da bedenkenlos von „TCM“, von „Energie“, von „Meridianen“, von „Konzeptionsgefäß“ bei Frau wie Mann (obwohl Männer in China wie im Westen bisher nie konzipiert haben), ohne die eigentliche Bedeutung der ursprünglichen Schriftzeichen auch nur zu ahnen. Mancher ehrgeizige Protagonist übersetzte gar die Bilder der chinesischen Ideogramme forsch ins Küchenlatein, offenbar in der Hoffnung, so wenigstens einen Schimmer von „Wissenschaftlichkeit“ für seine eigene Version der Medizin Chinas zu erhaschen. Nun ist aber Wissenschaft „das Ganze eines Begründungszusammenhangs, in welchem die Gegenstände der Wissenschaft im Hinblick auf ihren Grund vorgestellt, d. h. begriffen werden“ (Gottlob Frege nach M. Heidegger). Es gilt demnach, den Grund der chinesischen Heilkunde zu erblicken, d. h. ihn mit den Augen wahrzunehmen. Es ist erforderlich, den Denkhorizont der fernöstlichen Medizin zu enthüllen, ihn für den Westen in abendländischer Begrifflichkeit verständlich zu machen, was schwierig ist. Es gilt vor allem, ein neues Verständnis für den Menschen und für die Natur, aus der der Mensch stammt, zu gewinnen. Die Erste Europäische Hochschule für Chinesische Medizin, das in Basel, Schweiz, angesiedelte Lifu International College of Chinese Medicine, 1998 gegründet durch den hundertjährigen Bewahrer und Retter der chinesischen Medizin im letzten Jahrhundert, den chinesischen Gelehrten und Kulturpolitiker, Dr. Chen Lifu, hat sich dieses zur Aufgabe gesetzt.

„Eure Augen sollen Eure Professores sein!“ sagte einst Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus, Stadtarzt zu Basel, zu seinen Studenten. Doch können die Augen nur dann richtig sehen, wenn zuvor der Grund erkannt ist und die Zusammenhänge richtig enthüllt wurden. Deshalb meinte J. W. von Goethe:

„Das Schwierigste ist, zu erkennen, was vor den Augen Dir liegt.“ So mancher Schulmediziner schaut gelegentlich seinem Patienten in den Mund. Doch was sieht er da? Nichts Besonderes, weil ihm das Verständnis für den Grund des Menschen und der Natur im Sinne der fernöstlichen Heilkunde fehlt und er keinen Begründungszusammenhang, geschweige denn das Ganze zu denken und zu verstehen vermag. Das Verständnis des Ganzen, d. h. auch des ganzen Menschen, erschließt sich erst aus dem Verstehen der Dimension der Zeit, hier: der Lebenszeit des Patienten.

Alles ist in Bewegung in der Zeit; die Zeit fließt ständig, der Patient bewegt sich in ihr und seine Zunge (wie auch sein Puls) reflektiert das. Chinesische Medizin ist Medizin der Zeitabläufe, der dafür vorgegebene Horizont ist Yin – Yang als Wechsel von Nacht und Tag. Diese grundlegende Einheit der Medizin Chinas entstammt dem Buch der Wandlungen (I-Ging). Daran orientiert sich alles Weitere in der Heilkunde Chinas: jedes Krankheitsverständnis, jede Diagnose und Therapie. Und die menschliche Zunge reflektiert diesen Zeithorizont höchst lebendig und zuverlässig.

Übrigens: Westliche Schulmedizin ist methodisch der chinesischen Vorgehensweise entgegengesetzt. Hier geht es vor allem um Feststellungen, objektivierte Dokumentationen, gesammelte Daten und Akten, über die der Fluss der Zeit hinwegläuft und sie quasi invalidiert sobald sie erhoben sind. Durch diese ihre feststellende Methodik versucht die Schulmedizin den Fluss der Zeit künstlich anzuhalten, was prinzipiell unmöglich ist. Allerdings vermögen sich westliche und chinesische Medizin auf den verschiedenen Ebenen wohl zu ergänzen.

Der Benutzer des vorliegenden Buches mag nun kritisieren, dass auch die hier veröffentlichten Zungenbilder bloß Feststellungen seien, die den Zeitfluss künstlich anhielten. Das wäre ein sehr guter Einwand, zeigte er doch, dass das oben geschilderte neue Zeitverständnis in der Medizin beim Leser bereits Früchte trüge.

In der Tat verändert sich die Zunge beständig. Jede kleine Veränderung im Körperinneren wie in der Umwelt spiegelt sich an ihr. (Der Leser sei an dieser Stelle ermutigt, sich seine eigene Zunge täglich mehrmals genau zu betrachten. Stets wird sie der Spiegel anders reflektieren, und immer zeigt sie seinen eigenen gegenwärtigen Fließzustand, sein Bian-Zheng, d. h. sein immer wechselndes, unterschiedliches Syndrom an.) Danach wird die passende Therapie mit chinesischer Medizin ausgerichtet. Letztere ändert sich logischerweise auch fortlaufend, sodass es sinnlos ist, dem Kranken nach irgendwelchen „festen“ Diagnose-„Mustern“ stereotype Rezepturen oder Nadelkombinationen zu geben. Das wäre keine chinesische Heilkunde. Die großen klassischen Rezepturwerke (Shang-Han-Lun, Jin-Gui Yao-Lüe, Tausend Goldene Rezepte usw.) enthalten zwar Anregungen zum kreativen Rezeptieren des behandelnden Arztes, genau so sind sie vor fast 2000 Jahren entstanden. Ihre Rezepturen aber stumpfsinnig abzuschreiben und einem Patienten überzustülpen ist ebenso unsachgemäß wie das Behandeln bloß vordergründiger Diagnosen anstelle von lebendigen Menschen. Leider wird diese Praxis in West und Ost oft geübt.

Vor jeder Therapie mit chinesischer Medizin hat somit die Zungenund Pulsdiagnose zu stehen, andernfalls ist die folgende Behandlung eben keine chinesische Heilkunde, sondern bloße Vorspiegelung falscher Tatsachen.

Es sei erwähnt, dass dieser Atlas, insbesondere seine Abbildungen, aus dem 1990 erschienenen Dokumentarfilm „Zungendiagnose – Zentrum der Chinesischen Medizin“ hervorgegangen ist.

Berlin, Basel und Freiburg i. Br. im Dezember 2001

Die Verfasser

Inhalt

Vorworte

Zum Aufbau des Buches

Einführung in das Buch

1 Einleitung

Dokumentatorische und klinische Voraussetzungen

Was ist und was bedeutet die Zunge?

Grundlagen

2 Geschichte und wissenschaftliche Grundlagen

2.1 Historische Aspekte

2.2 Zusammenhänge mit der chinesi schen Meridian- und Organlehre

2.3 Anatomische und physiologische Grundlagen

2.3.1 Aufbau und Strukturen der Zunge

2.3.2 Papillen der Zungenschleimhaut

2.3.3 Muskeln der Zunge

2.3.4 Weitere Zungenstrukturen

2.3.5 Arterielle Versorgung der Zunge

2.3.6 Venen der Zunge

2.3.7 Lymphgefäße der Zunge

2.3.8 Zungennerven

2.3.9 Nervenverteilung und Geschmacksempfindung an der Zunge

2.3.10 Geschmacksleitung

2.3.11 Speicheldrüsen der Zunge

2.3.12 Regio sublingualis

2.3.13 Embryologische Entwicklung der Zunge

2.3.14 Funktioneller Synergismus sämtlicher Zungenstrukturen

2.4 Zungenanatomie – Grundlagen im Bild (Abb. 5 – 15)

Systematik der Zungendiagnostik

3 Zur Technik der Zungendiagnostik

4 Systematik der Zungendiagnostik

4.1 Zungenkörper

4.1.1 Farbe

4.1.2 Form

4.1.3 Konsistenz

4.2 Zungenbelag

4.2.1 Farbe

4.2.2 Charakter und Konsistenz

4.3 Zusammenfassung

Klinisch-therapeutischer Teil

5 Praxis

5.1 Vorbemerkung

5.2 Veränderungen des Zungenkörpers

Die helle, weiße Zunge

Die rote Zunge

Die dunkelrote Zunge

Die blaugrün-violette Zunge

Die violette Zunge

Die faltige, grobe Zunge

Die zarte, feine Zunge

Die geschwollene Zunge

Die dünne Zunge

Die dunkelrote, dünne und kleine Zunge

Die rissige Zunge

Die Zunge mit Zahnabdrücken

Die körnige oder stachlige Zunge

Körnige Papillen

Körnige Zunge

Körnige Papillen

Körnige Papillen (Zungenspitze)

Die weiche, kraftlose Zunge

Die harte, starre Zunge

Die schiefe Zunge

Die zitternde Zunge

Die verkürzte und geschrumpfte Zunge

Die unruhige und die heraushängende Zunge

5.3 Veränderungen des Zungenbelages

Der weiße Zungenbelag

Der gelbe Zungenbelag

Der graue oder schwarze Zungenbelag

Der dünne Zungenbelag

Der dicke Zungenbelag

Der feuchte Zungenbelag

Stark wässriger Zungenbelag

Der trockene Zungenbelag

Der lockere Zungenbelag

Der klebrige Zungenbelag

Der ausgesparte Zungenbelag

Der fehlende Zungenbelag

Der fehlende und schwarze Zungenbelag

Fehlender oder weißer Zungenbelag

Der dünne weiße Zungenbelag

Der fehlende Zungenbelag bei rotem Zungenkörper

5.4 Sonderformen der Zunge

Die rote, trockene Zunge

Amorphe Zunge

Pathologisches Zungenbild, schwere Störung

Pathologisches Zungenbild

6 Typische topografische Zungenveränderungen und differenzierende Syndrome

6.1 Zungenspitze

6.2 Zungenränder

6.3 Übergang von Zungenspitze zu Zungenmitte

6.4 Gesamte Zunge

6.5 Zungengrund

7 Verlaufsbeurteilung anhand der Zungendiagnostik

Fall 1: Schwere Hepatitis

Fall 2: Therapieresistentes WS-Syndrom

Fall 3: Menorrhagien

Fall 4: Hemiplegie nach Apoplex

8 Zungenbild bei Kopfschmerz

Dokumentation von 14 Fällen

9 Forschungen zur Zungendiagnostik

9.1 Das normale Zungenbild

9.1.1 Deutung des normalen Zungenbildes

9.2 Veränderungen des normalen Zungenbildes

9.2.1 Veränderungen des Zungenkörpers

9.2.2 Veränderungen des Zungenbelages

10 Zusammenfassung und Ausblick

Anhang

Literatur (Auswahl)

Bildnachweis

Lebensmittelgruppen

Die 21 klassischen chinesischen Arzneimittelgruppen

Verzeichnis der chinesischen Heilkräuter, Mineralien, Tierstoffe

Alphabetisches Verzeichnis der chinesischen Heilpflanzen mit Zuordnung zu den 21 Arzneimittelgruppen

Sach- und Namenregister

Zum Aufbau des Buches

Einführung in das Buch

Kapitel 2

repetiert die wichtigsten anatomischen und physiologischen Bezüge der Zunge.

In

Kapitel 4

„Systematik“ wird die Thematik eingehend anhand von über 50 Zungenbildern studiert und erläutert.

Im praktisch-therapeutischen

Kapitel 5

werden die typischen Veränderungen des Zungenkörpers und Zungenbelages mit den verschiedenen therapeutischen Ansätzen (Akupunktur, Rezeptur, Diätetik) verbunden.

Kapitel 6

bringt dann typische Zungenveränderungen bei bestimmten Syndromen.

Die Verlaufsbeurteilung anhand der Zunge wird in

Kapitel 7

vorgestellt.

Kapitel 8

enthält die Zungenbilder von 14 Patienten, abgestempelt mit der stereotypen westlichen Diagnose „Kopfschmerzen“, wobei jeder Patient seine individuelle chinesische Diagnose aufweist, die unterschiedliche Behandlung erfordert.

Moderne Forschungen zur Zungendiagnostik enthält

Kapitel 9

.

Kapitel 10

bringt eine knappe Zusammenfassung mit Ausblick anhand des Zungenfotos von Albert Einstein. Im Anhang befinden sich aufgelistet die verschiedenen Lebensmittelgruppen nach den 5 Elementen sowie die 21 Gruppen der chinesischen Medikamente nebst einem alphabetischen Verzeichnis der letzteren.

1 Einleitung

Dokumentatorische und klinische Voraussetzungen

Mehr als 25 Jahre fotografische und klinisch-medizinische Behandlungs-, Sammel- und Forschungstätigkeit am Deutschen Forschungsinstitut für Chinesische Medizin in Freiburg waren die Voraussetzung für dieses Werk. Die ersten Aufnahmen von Patien ten-Zungen stammen aus den Jahren 1974 – 1976. Alle weiteren hier veröffentlichten Fotografien von Patienten-Zungen machte ebenfalls der ärztliche Verfasser in China und im Westen in den folgenden Jahren in seiner eigenen Praxis. Die diätetischen Empfehlungen wurden von der Koautorin anhand langjähriger eigener Therapie-Erfahrungen speziell für den vorliegenden Taschenatlas verfasst.

Was ist und was bedeutet die Zunge?

Die Zunge (lat. lingua, engl. tongue, franz. langue) ist ein zentrales Organ des menschlichen Organismus und der Kultur. Unsere Sprache und damit unsere gesamte wortbezogene Begrifflichkeit stammt letztlich von der Zunge. Die Zunge ist aber auch ein diagnostisches Zentrum für den richtig und umfassend geschulten Arzt. Denn es gibt keine zwei völlig identische Zungen. Die perfekte Zungendiagnose ist von daher gesehen eine entscheidend wichtige Ergänzung jeder reduktionistischen westlichen Diagnose für das individuelle Krankheitsverständnis. Außer der Zungendiagnose ziehen wir in der chinesischen Medizin das Betrachten des gesamten Patienten (Wang), das Hören und Riechen (Wén), die Anamnese (Wèn) und das Betasten (Qie) einschließlich der Pulsdiagnostik heran. Unser Ziel ist das Herausarbeiten einer differenzierenden individuellen Syndromanalyse, nach der wir unsere Therapie mit Akupunktur, Massage, Moxibustion oder Rezepturen ausrichten. Die orthodoxe westliche Diagnostik dient der objektivierenden Präzisierung der Befunde. Chinesische Medizin allein nach westlichen Diagnosen betreiben zu wollen, wäre Vorspiegelung falscher Tatsachen. Gerade die Zungendiagnose vermag diese im Westen häufig praktizierte Vorgehensweise als Verschleierung der chinesischen Medizin zu entlarven.

Grundlagen Anatomie und Physiologie repetieren & memorieren Medizinische Propädeutik in Text und Bild

2 Geschichte und wissenschaftliche Grundlagen

2.1 Historische Aspekte

Das diagnostische Betrachten und Bewerten der Zunge wird in der chinesischen Medizin die Zungendiagnose (chinesisch: She-Zhen) genannt. Die Zungendiagnostik ist ein wesentlicher Teil der Diagnose durch Betrachten des Patienten (Wang). Sie stützt sich auf Erfahrungen, die die traditionelle chinesische Heilkunde im Laufe der Jahrhunderte bzw. Jahrtausende gemacht hat, und hat eine entsprechend lange Geschichte. Dazu einige Beispiele: Bereits im Buch „Huang-Di Nei-Jing“, dem medizinischen Klassiker des Gelben Kaisers aus der Han-Dynastie, und im Werk „ Jing-Gui Yao-Lüe“, d. h. übersetzt „Der wichtigste Inhalt des goldenen Schreines“, aus der Tang-Dynastie wird über die Zunge, vor allem die trockene und die gelbe Zunge beim Patienten referiert. Seit dieser Zeit wurden in China zusätzliche Erfahrungen gesammelt, und es wurde schließlich eine Systematik der Zungendiagnostik entwickelt. Dabei geht die chinesische Medizin von der ärztlichen Erfahrung aus, dass die Zunge den Zustand des gesamten Organismus und seiner Erkrankungen widerspiegelt. Dazu muss der Arzt die Zusammenhänge zwischen Organismus und Zunge kennen und verstehen lernen.

2.2 Zusammenhänge mit der chinesischen Meridian- und Organlehre1

Bereits im frühen China war man der Ansicht, dass der Herz-Meridian mit der Zunge in Verbindung steht. Insofern gab die Zunge wichtige diagnostische Hinweise auf den Zustand des Herzens. Auch der Milz-Meridian hängt nach der chinesischen Medizin mit der Zunge zusammen. Er verbreitet sich in seinem Verlauf unterhalb der Zunge, die deshalb auf den Zustand des Organs Milz hinweist. Ebenso endet der Nieren-Meridian unterhalb der Zunge, und der Leber-Meridian steht ebenfalls mit der Zunge in Verbindung (▶Abb. 1–4). Somit hat die Zunge nach der chinesischen Meridian- und zugehörigen Organtheorie eine direkte Verbindung zum Herzen, zur Milz, zur Niere und zur Leber. Davon ausgehend kann die Zunge Leere oder Fülle, Kälte oder Hitze der genannten Speicherorgane sowie der übrigen Speicher- und Hohlorgane anzeigen, ferner spiegelt sie den Zustand des zirkulierenden Blutes (chinesisch: Qi-Xue) sowie der Körpersäfte (chinesisch: Jin-Ye) wider. Auch den Schweregrad einer Erkrankung sowie die Art der spezifischen äußeren Störung vermag der kundige chinesische Mediziner an der Zunge abzulesen. Dies leuchtet auch dem westlichen Arzt ein, wenn er die anatomischen und physiologischen Beziehungen der Zunge kennt. Allerdings misst die moderne westliche Medizin der Zungendiagnose leider kaum Bedeutung zu, derartige ganzheitliche Beziehungen sind beim Schulmediziner oft in Vergessenheit geraten. Letzteres sollte sich mit dem vorliegenden Werk ändern, das insbesondere den westlichen Ärztekollegen gewidmet sei.

Abb. 1 Herz-Meridian

Abb. 2 Milz-Meridian

Abb. 3 Nieren-Meridian

Abb. 4 Leber-Meridian

2.3 Anatomische und physiologische Grundlagen

Die moderne Zungendiagnose wird durch die Erkenntnisse der modernen Anatomie, Histologie und Physiologie untermauert und dadurch in ihrem Zusammenhang mit dem Organismus wissenschaftlich begründet (s. auch ▶Kap. 2.4: Zungenanatomie – Grundlagen im Bild). Es darf heute mit Nachdruck behauptet werden, dass ein Arzt oder Praktiker der Heilkunde ohne derartige moderne Erkenntnisse über die Anatomie der Zunge die Zungendiagnostik nicht mit der erforderlichen wissenschaftlichen Sicherheit ausführen kann. Hier kommt die weltweit geforderte präzise Untermauerung der traditionellen chinesischen Heilkunde durch Methoden der orthodoxen westlichen Medizin, der sogenannten Schulmedizin, eindrucksvoll zum Ausdruck und zum Tragen. Die verschiedenen Methoden beider Medizinrichtungen müssen zu einer neuen medizinischen Logik im Sinne eines Neuen Paradigmas der Heilkunde verschmolzen werden.

2.3.1 Aufbau und Strukturen der Zunge

Die Zunge besteht aus dem Zungenkörper, der Zungenwurzel, dem Zungenrücken, der Zungenunterfläche, den seitlichen Zungenrändern und der Zungenspitze. Der Zungenrücken ist von der Zungenschleimhaut bedeckt, in welcher sich zahlreiche verschiedenartige Papillenarten als eigene Schleimhautformationen finden.

2.3.2 Papillen der Zungenschleimhaut

Im Einzelnen unterscheiden wir die folgenden sechs Papillenarten:

1. Papillae filiformes

die fadenförmigen Papillen. Sie sitzen an der Zungenspitze und -mitte und sind fadenförmige Epithelerhebungen auf einem Bindegewebszapfen.

2. Papillae conicae

die konischen Papillen. Sie bilden eine Sonderform der fadenförmigen Papillen, sind etwas stärker und länger und zeigen konische, nach hinten abgebogene Spitzen.

3. Papillae fungiformes

die pilzförmigen Papillen. Sie sind oben nicht spitz, sondern pilzförmig und mit einem kleinen Plateau versehen.

4. Papillae vallatae

die umwallten Papillen. Sie liegen am Zungengrund, und in der sie umgebenden Grabenwand sitzen Geschmacksknospen.

5. Papillae lentiformes

kurze, linsenartige Papillen.

6. Papillae foliatae

Dies sind blattartige Schleimhautfalten am hinteren Zungenrand, die ebenfalls mit Geschmacksknospen besetzt sind.

2.3.3 Muskeln der Zunge

Morphologie der Zungenmuskulatur

Der Zungenkörper besteht aus acht Muskeln, die sich in vier äußere oder Skelettmuskeln und vier innere oder Eigenmuskeln unterteilen lassen. Die motorische Innervation aller acht Zungenmuskeln erfolgt über den Nervus hypoglossus (XII. Gehirnnerv).

Äußere oder Skelettmuskeln der Zunge

1. Musculus genioglossus

Er entspringt an der Spina mentalis des Unterkiefers und setzt fächerförmig an der Zunge von ihrer Spitze bis zum Zungengrund an.

Funktion: Er zieht die Zunge nach vorne, d. h. zum Kinn hin. Seine vorderen Fasern biegen ferner die Zungenspitze abwärts.

2. Musculus hyoglossus

Er entspringt am Zungenbeinkörper, wie der Name sagt, und am großen Zungenbeinhorn. Sein Ansatz kommt von unten und er strahlt in die seitlichen Partien der Zunge ein, wobei er bis zur Schleimhaut vordringt.

Funktion: Er zieht den Zungengrund nach hinten abwärts.

3. Musculus chondroglossus

Sein Ursprung ist am kleinen Zungenbeinhorn; er setzt wie der M. hyoglossus von unten her kommend an den seitlichen Partien der Zunge an und dringt ebenfalls bis zur Schleimhaut vor.

Funktion: Er zieht die Zunge nach hinten und unten.

4. Musculus styloglossus

Er entspringt am Processus styloideus, setzt von hinten oben kommend einstrahlend an der seitlichen Partie der Zunge an und durchflicht sich dabei mit dem Musculus hyoglossus.

Funktion: Er zieht die Zunge nach hinten oben.

Innere oder Eigenmuskeln der Zunge

5. Musculus longitudinalis superior

Es handelt sich um dicht unter der Schleimhaut gelegene Muskellängsbündel. Sie ziehen von der Spitze bis in die Gegend des Zungenbeins.

Funktion: Formung der Zunge durch Verkürzung derselben.

6. Musculus longitudinalis inferior

Dies ist ein dicht unter der Zungenunterfläche gelegenes Längsfasersystem. Es zieht von der Basis der Zunge bis zur Zungenspitze.

Funktion: Formung der Zunge durch Verkürzung derselben.

7. Musculus transversus linguae

Dies sind Muskelfasern, die zwischen den Längsfasersystemen gelegen sind und quer verlaufen. Sie kommen vom Septum linguae und ziehen in die Schleimhaut der Zungenseitenränder hinein.

Funktion: Zusammen mit dem Musculus verticalis linguae verlängern sie die Zunge. Ferner verschmälern und runden sie die Zunge.

8. Musculus verticalis linguae

Es sind Muskelfasern, die vom Zungenrücken bis zur Unterfläche der Zunge vertikal verlaufen.

Funktion: Abflachung der Zunge.

Wirkung der Zungenmuskeln