Team XXZ7 gibt nicht auf - Peter Drescher - E-Book

Team XXZ7 gibt nicht auf E-Book

Peter Drescher

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Beschreibung

Drohende Wolken über Birkenbach. Gefahr! Die Gegend soll in einen riesigen Braunkohlentagebau verwandelt werden. Das bedeutet Abriss des Ortes, Vertreibung der Bewohner. Team XXZ7, ein Geheimbund von Schülerinnen und Schülern der 7c, liebt seine Heimat und beschließt, um Birkenbach zu kämpfen. Da gibt es Weste, den Anführer der Truppe, uns begegnet der nachdenkliche Luca, wir verstehen die hilfsbereite Lea. Ralf, Spitzname Löffelschnitzer, spielt eine besondere Rolle. Er kommt aus den Thüringer Bergen, seine Eltern haben sich getrennt, er wohnt jetzt bei seinen Verwandten in Billerbach. Allmählich schließt Ralf mit Luca Freundschaft, beide besuchen zwei Tage lang das Thüringer Dorf. Dort verläuft für die Jungen manches nicht glatt. XXZ7 bleibt am Ball – Birkenbach darf nicht verschwinden. Das Team organisiert eine Demo zum Erhalt seines Ortes und nimmt Verbindung mit dem Direktor des Kohlewerkes auf. Der schlägt klare Töne an, redet von Umweltschutz und „Energiemix“. Und es gibt noch Lucas’ dicken Onkel Helmut, der sich sehr seltsam verhält. Hat das mit dem Schatz auf der Burg zu tun? Dann passiert Unerwartetes ...

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Peter Drescher

TEAM XXZ7

GIBT NICHT AUF

Engelsdorfer Verlag

Leipzig

2017

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Copyright (2017) Engelsdorfer Verlag Leipzig

Alle Rechte beim Autor

Fotocollage Titelbild: Uwe Schreiber, Koethen

Hergestellt in Leipzig, Germany (EU)

www.engelsdorfer-verlag.de

Inhaltsverzeichnis

Cover

Über den Autor

Titel

Impressum

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

VON WESTE STAMMT DIE IDEE. Er meinte, dass wir sieben Schüler aus der 7c, die in Wollheide zur Schule gehen, aber in Billerbach wohnen, uns in einem Geheimbund zusammenschließen sollten. Der müsste natürlich einen ganz besonderen Namen tragen; geheimnisvoll, rätselhaft. Jule plapperte was vom XXZ, Weste gab seinen Senf dazu und fügte den drei Buchstaben eine 7 hinzu, und damit hieß unser Geheimbund XXZ7.

Jetzt, auf dem Schulhof, stemmt er die Arme in die Hüften. „Wir treffen uns 15 Uhr auf der Lichtung!“

Ich nicke und nicke noch einmal. Dass Westes Befehl kein Kleinkram ist, hat man schon an der Stimme gehört. Wie ein scharfes Messer. Und was macht Jonas neben mir, spinnt der? Stützt lässig ein Bein auf die Strebe des Fahrradständers und schaut in die Luft. „He, Jonas, pünktlich sein, klar“, schnauze ich. Dann klingelt es, die Hofpause ist zu Ende.

Ich also am Nachmittag rein in den Wald, dem Treffpunkt entgegen. Nach einer Weile stehe ich vor der dicken Ella. Nicht, was ihr vielleicht vermutet, Braut im Walde, nee, nee. Ella ist ein Baum, eine uralte Eiche. Einige aus unserer Truppe haben sich mal um sie herum gestellt, an die Hände gefasst und versucht, den mächtigen Stamm zu umketten. Mensch, war gar nicht so leicht, die haben das gerade so geschafft. Ja, so dick ist Ella, eben die dicke Ella. Was die in den Jahrhunderten schon alles gesehen haben mag. Sicher haben hier Landsknechte gekämpft und eine schöne Königstochter aus den Klauen eines Fieslings befreit. Meine Tante Brunhilde erzählte mir, dass es hier im Wald und in der nahen Burg gespukt haben soll. Ein Geist sei durch die Gegend gefegt und habe jämmerlich gejault.

In den Baumkronen raschelt es, Geruch nach Harz und Kiefernnadeln, bei jedem Schritt knistert es. Der Pfad wird immer schmaler, hinter einer Kurve bleibe ich stehen, biege Zweige beiseite und wie von einer unsichtbaren Hand werden Äste fort geschoben. „Okay“, raune ich und krieche durch ein enges Schlupfloch im Heckenwall.

Der Ort unserer Geheimtreffen ist ein bombiges Versteck – überall wildes Gestrüpp, rechts die birkenbewachsene Anhöhe, links die dichte Kiefernschonung.

Ich falle neben Jonas auf den Boden. „Es kann losgehen“, sagt Weste, unser Boss. Er rubbelt an seiner spinatgrünen Mütze. Ich drehe meinen Kopf und stelle fest, alle sind da, alle sieben. Der dicke Jonas, die beiden Mädchen Jule und Lea, Rico mit den Sommersprossen. Und Tim, den wir Professor nennen, er ist der beste Schüler der 7c. Wir sitzen rittlings im Halbkreis.

„Was hast du für Nachrichten? Packe schon aus, Weste.“ Jule boxte in die Luft, ihre roten Haare stehen wirr ab. Typisch Jule, denke ich, immer ran, volle Power.

Weste schaut uns reihum an. „Ich habe es aus sicherer Quelle: die Lage hat sich enorm verschlimmert, unser Ort soll ausradiert werden.“

Aus-ra-diert. Ich gucke angestrengt auf den Boden, in Gedanken sehe ich unser Billerbach vor mir. Billerbach hat ein Autohaus und einen runden See fast in der Ortsmitte, auf dem man mit dem Paddelboot fahren kann. Der Schotterweg rechts vom See schlängelt sich bis zur alten Schäferei. Schafe gibt es in Billerbach schon längst nicht mehr. Die Gemeindeverwaltung hat das Gebäude – ein länglicher Feldsteinbau – vor dem völligen Zerfall gerettet, es herrichten lassen und der Jugend übergeben. Die nennt den Ex-Stall nun Club. Ein Schüler aus der zehnten Klasse hat kürzlich ein poppiges Schild an die Tür gepinnt „Geschlossene Gesellschaft“. Und dann gibt es noch die Kurze Straße, die nicht nur kurz ist – vier Häuser –, sondern ‚Sibirien‘ genannt wird, weil sie etwas abgelegen hinter dem Bahnhof liegt.

Höchstens dreihundert, vierhundert Meter vom Marktplatz entfernt endet urplötzlich die Hauptstraße und das Braunkohlenwerk fängt an. Es breiten sich Fabrikhallen, Lagerplätze, Werkstätten und das in Qualm getauchte Kraftwerk aus. Weiter hinten recken sich zwei hohe Schornsteine, die mich an riesige Stoßzähne erinnern. Aus dem linken Schornstein kommt kein Rauch mehr raus. Das ist total ungewohnt, Billerbach „ohne“ – undenkbar. Seit Ewigkeiten gibt es das Werk, und mein Vater plaudert manchmal, wenn ihm danach ist, vom Cousin seines Vaters. Rudi hieß der, soll ein richtiger – wie nennt das Vater? – na, ein „Lausebengel“ soll er gewesen sein. Wäre mal auf den Kirchturm geklettert und hätte den Kopf aus dem sechseckigen Fenster gesteckt und ganz laut gesungen. Rudi ist mit vierzehn Jahren im Werk in die Lehre gegangen und stand dann in der Fabrik an einer Kohlenpresse. „Ich bin Bergmann, wer ist mehr“, hätte der Rudi oft stolz gesagt.

Damit Briketts hergestellt und Strom erzeugt werden kann, braucht’s natürlich massenhaft Rohbraunkohle. Die kommt aus der Grube, aus dem Tagebau. Doch der Tagebau ist leer, die Fachleute sagen „ausgekohlt“ dazu. Mein Vater weiß aber Bescheid, er kennt Leute, die behaupten, dass noch Kohle da ist. Sogar unter unserer Schule.

„Es gibt Pläne“, Weste ist aufgekratzt, er nimmt seine spinatgrüne Mütze vom Kopf, knetet sie, setzt sie wieder auf, „Pläne, nach denen unsere Ecke in einen großen Tagebau verwandelt werden soll.“ Er schießt wie angestochen in die Höhe. „Hallo, das ist Horror.“

Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, wie es sein würde, wenn Billerbach, wenn der Wald, die Burg, die dicke Ella plötzlich weg wären. Weg, fort. Nur noch ein tiefes Loch, in dem nach Kohle gegraben wird.

„Verdammt, wir müssen was tun!“, schreie ich.

Weste, sein Name lautet Philipp Westhoff, rückt an mich heran. „Eh, Luca, wie sollen wir das anstellen, wie?“

Ehrlich gesagt – das weiß ich auch nicht. In meinem Hals klemmt ein Kloß, ich kriege kein Wort hervor. Jonas, dem man gar nicht zutraut, dass er so beweglich sein kann, springt auf und rudert mit den Armen umher. „Wisst ihr überhaupt, wer hinter dem Irrsinn steckt? Ich sage es euch“, er schaut von einem zum anderen, „die Chefs des Braunkohlenwerkes sind es, die Häuptlinge. Mit denen müssen wir reden.“

„Reden, reden, nichts als reden“, knurrt Weste.

Jonas bohrt mit den Armen Löcher in die Luft. „Wir werden Billerbach retten!“

„Sollen wir etwa den Herrn Direktor besuchen und artig bitte-bitte machen“, spöttelt die hübsche Lea.

Ich komme mit ihr gut zurecht, und Weste traut sich nie, zu ihr ein dummes Wort zu sagen. Passt absolut nicht zu ihm. Ich weiß, warum er so zahm ist – weil er Fußballfan ist. Was das mit Lea zu tun hat? Na, Weste verehrt Leas Vater, der nämlich war mal Torschützenkönig der Bezirksliga. In Billerbach eine Größe, wie ein Super-Bayern-Star. Für den Fußball reißt sich Weste ein Bein aus. Oft schlingt er sich einen Schal mit den Aufklebern von Schalke 04, Borussia Dortmund und den FC Billerbach um den Hals, bei den Spielen in der Ehrla-Kampfbahn fehlt er kaum mal.

„Natürlich werden wir nicht bitte-bitte machen“, unterbreche ich Lea, „wir müssen den Kohlechef zu einem Gespräch zwingen – und den Ort suchen wir aus, wir. Kapiert ihr das?“

Jonas kugelt herum. „Wie kann man so einen Mann zwingen?“

Weste kehrt den großen Maxen hervor, schreitet wie ein General auf und ab, besser: er kreist, die Hände auf dem Rücken, umher. Auf einmal wettert er: „Den Kerl schnappen wir uns.“

Ich gebe ja zu, dass ich Weste bewundere, obwohl mir seine Überheblichkeit manchmal auf die Nerven geht. Und jetzt blickt er mich verschwörerisch an. Gerade mich. Ich merke richtig, wie ich größer und größer werde. „Wie wäre es“, verkündet Weste, er macht eine Kunstpause und legt seine rechte Hand auf meine linke Schulter, „wie wäre es, wenn wir den Direktor entführen würden?“ Weste schnauft auf. „Dann hauen wir auf die Pauke.“

Jule äfft höhnisch: „Pauke hauen.“

Weste passt es nicht, dass Jule dazwischen quatscht und zeigt ihr einen Vogel. Ausgerechnet in diesem Augenblick fällt mir die Straße hinterm Wald ein. Auf der stand vorgestern ein Tramper, hat gewinkt und ein Auto hat ihn tatsächlich mitgenommen.

Ich federe nach oben. „Mir ist eine blendende Idee gekommen. Der Direktor hat doch einen Dienstwagen, so einen schwarzen Schlitten …“

„Und?“ Weste versteht nicht.

„Mann, Weste“, trumpfe ich auf, „ich mache einen auf Tramper, werde beim Direktor einsteigen, ihn volllabern und ab geht’s zu unserem auserwählten Ziel.“

Weste schnappt nach Luft. „Ist ja affenstark.“

Mein Vorschlag wird einstimmig angenommen.

2

ONKEL HELMUT MACHT GERN AUSFLÜGE IN DIE UMGEBUNG. Er nennt sie „Touren auf des Schusters Rappen“. Also Fußmärsche. Vielleicht will er so gegen seine fortschreitende Rundlichkeit angehen. Als er von einem Trip nach Garkenroda zurückgekehrt war, klang seine Stimme irgendwie verrostet. Er habe die fünf Kilometer von uns entfernte Gemeinde kontrolliert, meinte er. Kontrollieren – was hat das zu bedeuten? Jedenfalls hat der Onkel in ein großes kariertes Taschentuch geschnäuzt und gejammert: „Luca, ich sage dir, dort sieht es aus wie nach einem Erdbeben, fürchterlich.“

In Garkenrode hat man auf der Suche nach Kohle die Einwohner bereits vertrieben und mit dem Abriss der Häuser begonnen. Das brachte uns auf die Idee, den verlassenen Ort für unsere Aktion zu nutzen. Erst einmal haben Rico und Tim die dortige Lage geprüft und sind zu dem Ergebnis gekommen: Der Keller des leeren Gasthofes ist für unser Unternehmen geeignet.

Okay, ich habe an den nächsten Tagen ausgekundschaftet, dass der Direktor in einem schwarzen Ford mit dem Kennzeichen „WOL – N 422“ mehrmals wöchentlich gegen vierzehn Uhr die Waldstraße passiert.

Weste hatte sich die Hände zufrieden gerieben. „Luca, du wirst am Dienstag Stellung beziehen, den Wagen stoppen und den Direktor zu einer Tour nach Garkenrode bewegen. Dort liegen wir anderen zum Kampf bereit.“

Am Dienstag rumpelt es in meinem Bauch. Und ich schwitze. Hoffentlich wird alles glatt gehen. Ist ja eine verzwickte Sache, einen Direktor schonungslos zur Rede zwingen, zur Zurücknahme seines Kohlebeschlusses – Wahnsinn! In Gedanken höre ich meinen ansonsten so cleveren Onkel Helmut sagen: „Eine verfahrene Karre.“

Ich halte mich also an der Kurve auf, dort wird der Direktor das Tempo drosseln, das ist für mich günstig. Lange starre ich auf die Straße, vor meinen Augen flimmert es. Plötzlich nähert sich ein Fahrzeug. Ich mache zwei Schritte zurück, halte mich an einem Birkenstamm fest, erkenne einen alten Lieferwagen. Mist. Aber mir bleibt keine Zeit zum Überlegen, denn dann gleitet er heran – der schwarze Ford. Ich springe auf die Straße und winke. Wirklich, das Auto bleibt wenige Zentimeter vor mir stehen. Ich achte nicht auf mein Herzklopfen und schaue auf das Nummernschild. „WOL – N 422“.

Der Fahrer glotzt mich durch die Scheibe an, hält.

Herrje, eigentlich habe ich mir einen Direktor ganz anders vorgestellt. Nicht so eine unauffällige und stinknormale Type. Er hat einen grauen Anzug an, ist ganz schön dick, trägt auch keinen Schlips. Die Haare stehen ihm wirr ab.

„Äh, äh“, stottere ich und quäle mir ein Lächeln ab.“ Können Sie mich ein Stück mitnehmen?“

Erstaunlicherweise nickt der rundliche Direktor gnädig und gestattet mir das Einsteigen. Für zwei Sekunden fühle ich mich wie ein Held. Wenn mich jetzt Lea sehen könnte!

Ich setze mich auf den Hintersitz und betrachte mir im Spiegel das Gesicht des Direktors. Das sieht mit seiner Knollennase so treuherzig aus, dass ich bei meinem Mut bleibe und das Ziel nenne: Garkenrode.

„Was? Dort hast du nichts verloren.“ Der Direktor fährt nicht los.

Da haben wir den Salat. Was soll ich nun tun? Etwa von einem Sommerspaziergang faseln? Nimmt der mir doch nicht ab. Ich kaue auf meinen Lippen herum, da fällt mir was ganz Verrücktes ein, und ich strenge mich an, locker zu flöten: „Bin ein großer Donald-Duck-Fan, habe in Garkenrode gewohnt und beim Umzug meine komplette Sammlung von Donald-Duck-Heften vergessen. Das macht mich fix und alle.“

„Fix und alle? Du willst aber nicht nach Entenhausen, sondern nach Garkenrode. Junge, das ist Bergbauschutzgebiet.“

Das kann doch nicht das Ende sein, Pleite schon auf der ersten Etappe. Ich verziehe mit Absicht mein Gesicht, als ob ich gleich heulen würde. „Ich brauche die Comics, ich bin, wie ich Ihnen schon gesagt habe, totaler Donald-Duck-Fan.“

Ist ja ein Ding – der Direktor nickt, dreht sich nach mir um. „Na gut, ich will mal nicht so sein.“ Unterwegs erkundigt er sich friedlich nach Straße und Hausnummer, und ich schwindle, ohne rot zu werden. „Mein Vater war der Wirt vom alten Gasthof.“

Als wir in den Ort einfahren, erschrecken mich die Zerstörung, die Stille, das Schaurige. Manche Häuser haben kein Dach mehr, Fensterrahmen sind rausgebrochen, irgendwo fehlt die halbe Treppe.

Mitten auf der Straße stehen ein Schrank und eine rote Couch mit zerfetzter Polsterung. Eine verrostete Stahlfeder sticht in die Luft. Wir kurven daran vorbei, und ich stiere auf den Nacken des Direktors. Er lenkt uns kaltschnäuzig zum Gasthaus.

Wie nun weiter? Ich steige aus, renne zum Gasthof, dessen vordere Mauer abgerissen ist. Gelbe Gartenstühle, von der holprigen Straße aus zu erkennen, sind im Tanzsaal gestapelt – als wäre die Zeit stehengeblieben. An der Kellertreppe pfeife ich zweimal, Weste taucht auf. „Es geht los“, flüstere ich und laufe zum Auto zurück. „Sie müssen mir helfen, bitte. Die Bücherkiste ist soo schwer.“

„Gut, gut.“ Der dicke Mann folgt mir. Im Tanzsaal zeige ich zur Kellertreppe. Ahnungslos stampft er sie nach unten. Ich bleibe dicht hinter ihm.

Der Keller wird von einer Taschenlampe spärlich erhellt. Der Direktor bläst die Backen auf, schüttelt den Kopf. „Wollt ihr mich verklapsen?“

Ich halte die Luft an, der Dicke kreiselt herum. „Ist ja unerhört.“

Oben wird ein Zaunfeld vor den Kellereingang gewuchtet. Bums! Das ist ja unheimlich. Ich lehne mich an die kühle, aus großen Steinen gefügte Kellerwand. Die Taschenlampe verlischt, ich höre nur Atemgeräusche. Ein Feuerzeug flammt auf, der Direktor massiert sein Schienbein, schiebt mit einem Ruck aus dem Schultern heraus ein Regal zur Seite, ragt wie ein Fels auf. Ich angle nach der Taschenlampe, knipse sie an. Jule hat ihre schriftlichen Notizen zu einer Papierrolle gewurstelt und sitzt wie ein verängstigtes Vögelchen in der Ecke. Weste hat sich hinter einen windschiefen Schrank am Eingang verkrochen. Und der dünne Tim, dessen abstehende Ohren mir ausgerechnet jetzt auffallen, kauert in der anderen Ecke, neben einem Haufen Kartoffeln, die fürchterlich stinken. Ab und zu fummelt er an seiner Nase herum. Der Direktor kommt auf mich zu, sieht mich böse an, hebt den Arm und …, will er mir eine kleben?

Weste greift nach der Taschenlampe und schwenkt sie hin und her. Wie ein Lehrer beginnt er laut und deutlich zu reden. „Alles wird kaputt gemacht, alles. Wir wollen mit Ihnen, Herr Direktor, eine Aussprache führen.“ Weste schnieft. „Sie müssen was unternehmen.“

Bei der Anrede „Direktor“ hat der Direktor angefangen, schallend zu lachen. Da kenne sich einer aus. Er wippt und prustet, der oberste Knopf seines Hemdes springt auf. „Ich – Direktor?“ Der Dicke gluckst, fährt sich durch seine Haare, dreht sich um und blickt forschend – dabei immer noch eine Spur belustigt – die Kellertreppe aufwärts. Jonas wird sichtbar, grinst dämlich. Mensch, weshalb grinst die Lusche, der Direktor wird ausrasten.

Und wirklich: der Mann spurtet überraschend flink nach oben, drückt das Zaunfeld zur Seite, schnappt sich Jonas und schleift ihn in den Keller.

„Klartext, ihr Rasselbande, ich bin kein Direktor, sondern der Fahrer des Direktors.“ Er mustert uns der Reihe nach. Lea knetet ihre Hände, Tim zerquetscht eine faule Kartoffel, Jule bosselt an ihrer Papierrolle herum. Wird Weste, der mit offenem Mund zu diesem Fahrer des Direktors starrt, die Situation retten können? Er klappt seinen Mund zu und wieder auf und will etwas sagen. Der Dicke lässt ihn nicht zu Wort kommen. „Hummelsprung ist mein Name, Bruno Hummelsprung. Wo brennt es denn?“

Wir waren auf etwas anderes gefasst und sind von der Rolle. Will uns der Mann austricksen? In die gruselige Stille hinein redet Weste von der Siedlung, in der wir uns echt wohlfühlen, und dass es jetzt soweit sei – Vertreibung, Abriss. Bruno Hummelsprung reibt über seinen linken Ärmel. Auf einmal federt Lea empor. „Die alte Frau Warsönke ist fertig, fix und fertig. Herr Hummel, äh, Herr Hummelsprung, können Sie das verstehen? Die Emma Warsönke gehört nach Billerbach Und jetzt wird sie aus ihrem Haus mit dem großen Garten vertrieben.“ Lea beißt sich auf die Lippen. Bruno Hummelsprung ist ganz erschrocken.

Weste geht einen Schritt auf Hummelsprung zu. „Der Direktor muss Billerbach retten.“

„Wie stellt ihr euch das vor? Als ob mein Chef das allein entscheiden kann.“ Hummelsprung knöpft an seinem Hemd.