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Yukan Q. Theben von Andromeda: Eine Gruppe junger, deutsch-franzö̈sischer Wissenschaftler gelingt der Bau eines Zugangs in eine benachbarte Galaxie. Um den intergalaktischen Status zu bewahren, begrenze ich, Y.Q.T. die Aktionen. Besuche auf exogalaktischen Planeten konfrontieren die Wissenschaftler mit fundamentalen Fragen zum Leben, zur Menschheit und zum Dasein an sich. Trotz faszinierender Fortschritte werden sie unmissverstä̈ndlich auf sich selbst als Menschen zurü̈ckgeworfen. Im 18. Jahrhundert hieß es für sie: Selber denken! Fü̈r Heute und Morgen gilt: Sie haben die Mittel, sie haben die Chance. Die Zukunft beginnt bei Ihnen. Selber handeln!
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Seitenzahl: 457
Veröffentlichungsjahr: 2020
In einem hochgewölbten, engen gotischen Zimmer
Faust, unruhig auf seinem Sessel am Pulte
Faust:
Habe nun, ach! Philosophie,
Juristerei und Medizin,
Und leider auch Theologie Durchaus studiert, mit heißem Bemühn.
Da steh ich nun, ich armer Tor!
Und bin so klug als wie zuvor;
Heiße Magister, heiße Doktor gar
Und ziehe schon an die zehen Jahr
Herauf, herab und quer und krumm
Meine Schüler an der Nase herum –
Und sehe, daß wir nichts wissen können!
Das will mir schier das Herz verbrennen.
Zwar bin ich gescheiter als all die Laffen,
Doktoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Skrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –
Dafür ist mir auch alle Freud entrissen,
Bilde mir nicht ein, was Rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab ich weder Gut noch Geld,
Noch Ehr und Herrlichkeit der Welt;
Es möchte kein Hund so länger leben!
Johann Wolfgang von Goethe, Faust: Der Tragödie Erster Teil
terrane Manifestationen
Ein Bericht aus Vergangenheit,Gegenwart und Zukunft
Klaus Paschenda
Klaus Paschenda
terrane Manifestationen
Ein Bericht aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft 2020
Internet
www.manifestationen.de
ISBN
ISBN 978-3-7497-8252-9 (Paperback)
ISBN 978-3-7497-8253-6 (Hardcover)
ISBN 978-3-7497-8254-3 (e-Book)
Verlag, Layout, Druck
Umschlaggestaltung, Illustration: Klaus Paschenda
Verlag & Druck: tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg
https://tredition.de/buchshop/
Copyrightvermerke
© 2020 Klaus Paschenda
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Kapitel 12: Abbildung Gravitationswellen,
© Körber-Stiftung/Friedrun Reinhold
Kapitel 42 Kurzgeschichte: ‚Der Hund im Thyssenkanal‘,
© Theodor Weißenborn, Abdruck mit freundlicher Genehmigung Kapitel 43 Szene 2 baut an einzelnen Stellen textlich in geringem Umfang auf der Autobiographie Albert Schweitzers auf:
© 2011, Felix Meiner Verlag, Hamburg, Albert Schweitzer: Aus meinem Leben und Denken
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Nachwort aus der Vergangenheit
„Wie lange willst du es noch aufschieben, dich der Erfüllung höchster sittlicher Ansprüche für wert zu erachten und in keinen Fall gegen die Vernunft zu verstoßen, die die grundlegende Unterscheidung der Dinge erlaubt? Du hast die philosophischen Lehren empfangen, denen du zustimmen mußtest, und du hast ihnen zugestimmt. Auf was für einen Lehrer wartest du jetzt noch, um ihm die Aufgabe zu übertragen, deine sittliche Besserung zu bewirken? Du bist kein Knabe mehr, sondern schon ein erwachsener Mann. Wenn du jetzt nachlässig und leichtsinnig bist, immer nur einen Vorsatz nach dem anderen faßt und einen Tag nach dem anderen festsetzt, von dem an du auf dich achten willst, dann wirst du, ohne es zu merken keine Fortschritte machen, sondern immer ein Ignorant bleiben im Leben wie im Sterben. Trau es dir doch endlich zu, wie ein erwachsener Mensch zu leben, der moralische Fortschritte macht; und alles, was dir als das Beste erscheint, sei dir ein unverbrüchliches Gesetz. Und wenn dir etwas Aufreibendes oder Vergnügliches, Ruhmvolles oder Ruhmloses begegnet, so denk daran: jetzt gilt es zu kämpfen.“1
(Terraner Epiktet vor knapp 2000 Jahren)
1 Epiktet: Handbüchlein der Moral; Stuttgart, 1992, S. 76f.
Inhaltsverzeichnis
1 Yukan Q. Theben
2 Geneviève
3 Tische
4 La Ferme
5 Demo
6 Gesetze
7 IOP
8 Sokrates
9 3,141592653
10 Die Höhle
11 To-Do !?
12 Gravitation
13 Fragen
14 Gold
15 Frust
16 Groton
17 Diebe
18 Zürich
19 Sukal
20 Luxor
21 Zwölf
22 Maginot
23 Tausend
24 LFM
25 DNA
26 Funktionen
27 Baguette
28 10 Prozent
29 Schmetterlinge
30 Kuschelei
31 Weg 2
32 Spion
33 Hamlet
34 Fessenheim
35 Neid, Gier und Krieg
36 Daphne!
37 Schubladen
38 Alarm
39 β: Balu
40 Paris
41 γ: Bibliothekare
42 Menschheit? Hund!
43 Le Cadre Noir
44 Leben
45 λ: Ein Kommunikator
46 Voll ?
47 es ist
48 Vernichten
49 Hoffnung
50 sum(ma)
51 Weg oder weg ?
1 Yukan Q. Theben
Haben Sie schon einmal über die Zeit nachgedacht? Sicherlich.
Haben Sie schon einmal über die zeitliche Einteilung Ihrer Tage nachgedacht? Sicherlich.
Haben Sie schon einmal über die zeitliche Einteilung Ihres Lebens nachgedacht? Sicherlich.
Und Sie wollen nicht wissen, wann es endet.
Haben Sie schon einmal über die zeitliche Einteilung der Geschichte nachgedacht? Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft? Das ist einfach. Aber:
Die Intelligenz der Einzeller, der Saurier, der alten Ägypter, des Abendlandes, der Andromedaner, ist das auch ein zeitlicher Ablauf? Oder ist die Zeit nur eine erdachte Konstruktion zur Ordnung der Ereignisse? Selbst wenn die Zeit nicht mehr wäre, es ist für Sie nicht von Bedeutung. Sie nutzen die Zeit zur Strukturierung ihres Lebens. Dabei soll es bleiben.
Also:
Haben Sie schon einmal darüber nachgedacht, wie die Erfindung der Zeit Ihnen das Handeln ermöglicht? Diese Seiten könnten für Sie der Start in eine neue Zeitepoche sein. Sie haben Ihr Leben, Sie haben die Chance.
Zu mir: Auf der Erde trage ich den Namen Yukan Q. Theben. Ich bin ein Mensch, in etwa zumindest. Warum dieser Name? Unwichtig, über meine Herkunft werde ich vielleicht später berichten, Sie würden es im Moment nicht verstehen. Lassen Sie mich anfangen.
Sie kennen den Spruch ‚Der Weg ist das Ziel‘. Das umschreibt in gewisser Weise meine Mission. Als Ziel habe ich den Weg, den Weg zu beobachten. In der deutschen Sprache, in der ich im Moment kommuniziere, kann das Wort Weg auch klein geschrieben werden: weg. Das dazugehörige Substantiv ist Wegsein im Sinne von nicht anwesend sein. Dann gälte: Das Wegsein ist das Ziel. Ganz abwegig ist das für meine Arbeit nicht. Doch noch bin ich nicht weg.
Zurück zu Zeit und Zeitrechnung. An, auf einem Punkt in der Welt, in der wir uns im Moment befinden, in dem Moment, in dem diese Zeilen geschrieben werden oder auch in dem Moment, in dem diese Zeilen gelesen werden, existiert die Welt. Die Fragen, ob man an oder auf einem Punkt ist oder ob hier ein Moment vorliegt, bleiben außen vor. Der Einfachheit halber nehmen wir an, dass diese Erde, Sie und ich existieren. Wir sind in einer Manifestation. Genauer: Geschrieben habe ich diesen Bericht in einer relativ freien Gesellschaft, einer demokratischen Staatsstruktur mit einer Drei-Gewalten-Teilung. Das Leben des Einzelnen findet in der Regel in irgendeiner Form von Berufsleben, in Freundschaftskreisen und unterschiedlich gestalteten individuellen Beziehungen statt. Physikalisch betrachtet, geschieht dies in einem vierdimensionalen Konstrukt aus Raum und Zeit, in dem auch, nach Ihren Vorstellungen, die Entwicklungen des Kosmos und der Evolutionen ablaufen.
Warum hebe ich auf die Zeit ab? Sie erfahren täglich, wie sich mit der Zeit der erlebbare Raum verändert. Denken Sie an die Römer, Columbus oder das Apollo-Programm. Nach üblicher Vorstellung mutierte in dieser skizzierten Zeitspanne die Erde räumlich gesehen von einer Scheibe zur Kugel. Hier ist nicht das Thema, was der Kugel folgt. Der für den Menschen verfügbare Raum vergrößerte sich. Basis zur Beherrschung des Raumes ist eine verlässliche Zeitmessung. Anders gesagt: Erst mit der Fähigkeit zur Zeitmessung wird eine Erweiterung des Lebensraumes möglich.
Die Welt und ihre Größe zu erfahren, sind dem Leben von Natur gegeben. Um sich zurechtzufinden, wird der Raum in Meilen, Metern oder einer sonstigen Einheit gemessen. Auch die Zeiterfahrung ist grundsätzlich. Jedes bewusste Lebewesen kann zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft unterscheiden. Ein Hinweis auf eine implizite Zeitwahrnehmung findet sich schon bei Tieren. Säugetiere können ebenso wie Menschen nach einer gewissen Zeit von sich aus das Bewusstsein abschalten, um es dann nach einer Erholungsphase wieder in Betrieb zu nehmen. Dieses sogenannte Schlafen ist ein Prozess, der kaum in seiner Dauer gesteuert werden kann. Mit dem Tag-Nacht-Wechsel ist eine einfache Zeitstrukturierung möglich. Eine Messbarkeit, wie sie dem Menschen mit Schritten im Raum möglich ist, steht für die Zeit nicht zur Verfügung. Sie können in der Zeit nicht zurückgehen. Mit der kulturellen Fähigkeit, Zeit zu messen, beginnt eine neue Epoche einer jeden Intelligenz. Die Vierdimensionalität wird grundsätzlich erfassbar, die Tür zur Technik geöffnet. Hier nicht zu diskutieren sind intergalaktische Zeitskalen.
In Ihrer Geschichte der Erde scheint diese Phase etwa 4000 Jahre alt zu sein. In der 11. Dynastie, etwa um 2120 v. Chr. beginnend, entwickelte sich Theben als Hauptstadt Ägyptens und blieb es bis zur 18. Dynastie. Mentuhotep II., Pharao der 11. Dynastie, ließ sich in Theben einen Palast errichten, neben den 550 Jahre später Hatschepsut ihr heute noch beeindruckendes Millionenjahrhaus erbaute. Millionenjahrhäuser sind in der Interpretation der klassischen Ägyptologie Totentempel, die die mystischen Vereinigungen von Königen und Gottheiten darstellten. Aber das ist zu eng gesehen. Sie sind die Dokumentation der Wahrnehmung von Manifestationen durch den Menschen. Schon die weit vorher erbauten großen Pyramiden können als besondere Form der Geschichtsschreibung angesehen werden. Regeln und Gesetze des Seins, des Werdens und Vergehens wurden angewendet und archiviert. Häuser wie Bilder wie Texte sind Darstellungen von Sichtweisen der Welt. Der Mensch begann zu gestalten und zu dokumentieren.
Um 1550 v. Chr. hinterließ Amenemhet2, ein Fürst jener Zeit, diese Grabinschrift:
Ich … fertigte seiner Majestät Amenophis I. eine Wasseruhr, die zu jeder Jahreszeit richtig war. Sommer und Winter zeigte sie die Stunde an ihrer Stelle. Nie wurde Ähnliches seit der Urzeit hergestellt.
Dabei berücksichtigte er auch die unterschiedliche Viskosität3 des Wassers bei Tag und Nacht. Theben kann als der Ort angesehen werden, in dem die Zeitmessung der Menschen ihren Ursprung fand. In der Folge waren die Ägypter in der Lage, ihre Manifestation in Raum und Zeit zu erfassen. Gestirne und Terra konnten in einen stimmigen Zusammenhang gebracht werden. Die Regeln, nach denen sich die Lebenswelt veränderte, wurden formuliert.
Mit der Möglichkeit, Zeit zu strukturieren, begann die technische Epoche der Menschheit. Bis heute wurde auf Terra nicht erkannt, dass dies ein besserer Zeitpunkt ist, um die historische Zeitskala festzumachen. In weiten Bereichen gilt immer noch der gregorianische Kalender, der am Geburtstag eines Religionsgründers verankert ist.
Jahrtausende später, davon berichte ich hier, wird ein neues Tor aufgestoßen. Wieder bieten sich Ereignisse für eine Unterteilung der Zeitskala an. Nach der naturwissenschaftlich-technischen Phase könnte eine neue Epoche folgen. Das ist zumindest die Erfahrung, die wir Andromedaner aus der Beobachtung von Tausenden von kosmologischen Habitaten gewonnen haben.
Betrachten Sie die Abbildung.
Mit der Konstruktion von Chronometern, Zeitmessern präzise übersetzt, beginnt die technische Epoche. Vor dem Schritt zur nächsten Epoche ist eine Raute gezeichnet. In der klassischen Symbolik von Flussdiagrammen, wie sie auf der Erde verwendet werden, steht dieses Zeichen für eine Entscheidung. Der Ablauf der Ereignisse kann zu einer höheren Stufe führen aber auch zum Untergang der Zivilisation, was planetarisch ein Rückfall auf die Ebene der Materie bedeuten würde. Aus kosmologischer Perspektive wäre das nicht weiter erwähnenswert.
Diese Entscheidung steht auf der Erde an. Was auf dem Weg bis heute passierte, können Sie im kollektiven Wissen unter dem Stichwort Geschichte nachlesen. Nur weniges, wie Galilei, die Französische Revolution oder Norbert Wiener4, sind erwähnenswert.
Noch eine Anmerkung zu meinem Bericht aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft: So wenig ein Mensch der Vergangenheit die Sprache der Gegenwart versteht, so schwierig ist es für den Gegenwärtigen, Gedanken der Zukunft zu verstehen. Ich bin aus der Zukunft. Wenn ich mich bemühe, Ihre Sprache zu sprechen, werden Sie vielleicht manches nicht gleich nachvollziehen. Berichte sind von Natur aus gelegentlich langweilig, dann anstrengend. Sie sollen Informationen für zukünftiges Handeln bereitstellen. Daher müssen sie verschiedentlich zweimal gelesen werden.
Ihre Sprache hat mehr als fünf Millionen Wörter. Üblicherweise kennen Sie etwa fünfzigtausend davon, was circa ein Prozent ist. Diese Darstellung hat ungefähr neunzigtausend Wörter. Wie viele verschiedene Wörter auch in diesem Bericht enthalten sind, der eine wird dieses, ein anderer jenes Wort nicht verstehen. Selbst ich verstehe nicht alle Ihre Wörter. Menschen sind kreativ im Erfinden neuer Deutungen. Aus den genannten Gründen sind hier und dort Fußnoten zur Erläuterung eingefügt.
Beginnen wir mit dem Bericht.
2 Amenemhet war ein Fürst, der einen der Verwaltungsbezirke am Nil betreute. Die Pharaonen hatten Ägypten entlang des Nils ein mehrere Verwaltungsgebiete aufgeteilt. Aus: https://de.wikipedia.org/wiki/ Amenemhet_(18._Dynastie) (18.11.2019)
3 Mit Viskosität wird die Zähigkeit einer Flüssigkeit bezeichnet. Die Viskosität von Honig ist ungefähr 10.000-mal größer als die von Wasser.
4 Der Mathematiker Norbert Wiener hat 1948 die Kybernetik als Wissenschaft von Steuerung und Regelung entscheidend begründet.
2 Geneviève
In einem kleinen Ort in der Nähe von Neuf-Brisach knurrte, nicht schnurrte, eine junge Frau vor sich hin. Ihr Name war Geneviève, doch sie wurde nur Geniè genannt. Hier, auf und um den geerbten Hof, den sie einfach La Ferme5 nannten, hatte sich eine bunte Truppe junger Wissenschaftler gefunden, die auf etwas gestoßen waren. Geniè war ein temperamentvolles Mädel, groß, schlank, mit langen schwarzen Haaren und einem lockeren Mundwerk. Wenn sie nicht weiter kam, hatten die anderen ganz schön zu leiden. Auf dem kleinen Anwesen lebten sie zu fünft. Ihre Schwester Marie, von Beruf Mathematikerin, kochte mit Leidenschaft, und fand ihre Ergänzung in Pierre, einem schraubenden Experimentalphysiker. Ihr Bruder Maxim, theoretischer Physiker, war von praktischer Arbeit im Grunde weniger angetan. Das wurde aber akzeptiert, da Geniè sich einen handwerklich veranlagten Italiener, kurz Lodo genannt, geangelt hatte.
Sie hatten sich die Aufgaben geteilt. Geniè kümmerte sich um den Papierkram und die sonstige Verwaltung. So war sie in den Bereich hineingewachsen, Berichte zu schreiben, Wissensbanken zu pflegen und sich um alles Dokumentative zu kümmern. Im Grunde mochte Geniè das, aber manchmal war es auch sehr knifflig zu verstehen, was die anderen von sich gaben. Dann konnte ein wenig Meckern nicht schaden, das befreite die Seele.
Innerlich dachte sie gelegentlich: ‚Immer bin ich der Depp, der die Brut von diesen Ein-, Zwei-, Dreisteins und den anderen Intelligenzbestien ins Normale übersetzen darf.‘ Die Bildschirme, die sie umgaben, waren mit Diagrammen, Formeln und Textwüsten überfüllt. Was ist der Kern?
‚Der Zero-Time-Transmitter im Vergleich zur konventionellen Nachrichtenübertragung durch Funk‘.
Der Titel war einfach.
‚Konventionelle Nachrichtenübertragung durch Funk? Langweilig, aber wie erkläre ich einen Zero-Time-Transmitter?‘, überlegte sie und fertigte eine Liste von Stichwörtern an, um sich durch die wichtigsten Begriffe zu hangeln.
- konventionell: Wie Nachrichtenübertragung heute funktioniert.
- Nachrichtenübertragung: Eine Nachricht wird von A nach B befördert.
- Nachricht: Eine Information, die von etwas ausgeht (Sender) und mit der etwas Anderes (Empfänger) was anfangen kann, das für ein Anderes also eine Bedeutung hat.
- Bedeutung: Voraussetzung ist eine gemeinsame Sprache; Bedeutungen werden Symbolen zugeordnet.
- Information: Das Symbol und seine Bedeutung bilden die Information.
- Symbol: Das Symbol benötigt einen Träger z.B. ein Blatt Papier.
=> Information kann nur bezogen auf einen Träger existieren. Einer Eigenschaft von Materie oder Energie wird eine andere Eigenschaft zugeordnet. Eine Bedeutung wird definiert. Beispielsweise weist der Konstrukteur einer grünen Leuchte eine bestimmte Eigenschaft zu, etwa ‚alles läuft‘. Das kann jemand, der die Verknüpfung von grüner Kontrollleuchte und ‚alles läuft‘ kennt, verstehen; er wird informiert.
Und weiter:
- Funk: Sendung und Empfang von elektromagnetischen (= em) Wellen, die Nachrichten übertragen. Die em-Wellen sind die Träger.
- Senden: Die Nachricht wird auf die elektromagnetische Welle gepackt. Die Welle wird ausgestrahlt.
- Empfangen: Die elektromagnetische Welle wird registriert, die Nachricht wieder herunter genommen und in eine für den Empfänger brauchbare Form wie beispielsweise Sprache umgewandelt.
- wichtig hier: Die Übertragungszeit, elektromagnetische Wellen sind schnell, aber es wird immer Zeit gebraucht. Von der Erde zum Mond brauchen sie etwa 1,3 Sekunden.
- neu: Der Zero-Time-Transmitter, Geräte, zwischen denen die Nachrichtenübertragung unendlich schnell ist. Es wird keine Zeit zur Übertragung der Nachricht benötigt. Damit könnte ein Roboter auf dem Mond von der Erde in Echtzeit gesteuert werden, weil es keine Verzögerungen durch die Laufzeit elektromagnetischer Wellen gibt.
‚Das war es schon‘, dachte Geniè. Schnell noch eine Grafik dazu:
Damit eine Nachricht in dem Moment, zu dem sie der Sender erstellt, gleichzeitig beim Empfänger ankommt, braucht jeder einen Zero-Time-Transmitter (kurz: ZTT). Transmitter heißen sie, weil jedes Gerät zugleich senden und empfangen kann.
‚Wir wissen, wie es geht. War doch einfach. Den Kaffee hab ich mir verdient.‘
Beim Gang in die Küche kam es ihr in den Kopf:
‚Verschränkte Photonen.6 Das muss ich ja auch noch halbwegs allgemeinverständlich in die Köpfe bringen. Im alltäglichen Leben sehen wir die Verschränkung nicht, diese schon etwas unheimliche Verbindung zwischen zwei Lichtteilchen.‘
Geniè wühlte sich durch Texte, stolperte über Physiker wie Einstein und Bohr, aber eine anschauliche Erklärung für das, was hinter dieser wunderlichen Eigenschaft stand, war nicht zu finden.
‚Der Normalverstand schien ungeeignet. Vermutlich waren die höheren Weihen der physikalischen Päpste erforderlich.Aber die schienen sich in der Sache auch nicht alle einig zu sein.‘
Sie beschloss, das nochmals mit den anderen zu diskutieren.
5 ‚La Ferme‘ aus dem Französischen übersetzt bedeutet Bauernhof oder auch Bauerngut.
6 Sind zwei Teilchen so miteinander verbunden, dass eine Zustandsänderung des einen Teilchens direkt eine Zustandsänderung des anderen Teilchens verursacht, nennt man diese beiden Teilchen verschränkt. Dabei spielt weder die Entfernung noch der zeitliche Abstand zwischen den beiden Teilchen eine Rolle. Befindet sich eines der beiden Teilchen in irgendeiner anderen Galaxie und das andere auf der Erde, wird keine Zeit für die Übertragung der Verschränkung benötigt. (Stand 2018)
3 Tische
Geneviève versuchte sich entspannt hinzusetzen, scheiterte jedoch wieder an Platz und Härte. Für eine Größe von 1,87 Metern waren die Sitzabstände nicht geplant. Warum mussten sich die Airlines mit ihren Sitzen an den Folterstühlen der Hexenverhöre orientieren? Zugegeben, die Nägel fehlten, aber das machte die Sache auf einem Transatlantikflug nicht angenehmer.
Sie hatte sich im Freizeit-Look gekleidet. Die dunkelblaue Jeans betonte ihre schlanke Figur. Nur der kaffeebraune Rollkragenpulli harmonierte nicht hundertprozentig mit der schwarzen Haarpracht, doch egal, bequem hatte heute Vorrang.
Toronto war besser gelaufen, als sie alle erwartet hatten. Die Nachricht ‚Habe Vater gefunden‘ war schon durch. Es war nicht ganz einfach gewesen, die Investoren zu überzeugen, aber auf der Basis der Publikationen ihres Bruders Maxim im Umfeld der Verschränkungstheorien hatten sich Konsorten aus Physikern und Geschäftswesen fangen lassen. Physiker sind immer neugierig. Die hatte man gleich in der Tasche. Ihre Schwester Marie, das mathematische Genie der Familie, vertrat die These, dass die bisher bekannten Eigenschaften der Verschränkung nur der Gordische Knoten an den Tempeltüren eines neuen Weltbildes seien. Aber das behielten sie für sich, das war die Zukunft von La Ferme. Mit der Verschränkung waren Physiker und Techniker auf der ganzen Erde gut beschäftigt, sollten die erst einmal das verstehen.
Dagegen tickten die Geschäftswesen völlig anders. Es gab nichts außer ungezügelter Macht- und Geldvermehrung, das erste Gebot der heutigen Zivilisation. Sie hielt das für schwachsinnig.
Mit einem ungewöhnlichen Manöver war es Geniè gelungen, diese zu vereinnahmen. Schon als Schülerin hatte sie sich mit der Deutung physikalischer Phänomene auseinandergesetzt. Ein alter Lehrer hatte sie auf Bertrand Russell und dessen Beobachtungen zum Sehen eines Tisches hingewiesen.7 Zunächst hatten sich die Geschäftswesen bei der Präsentation wie ungläubige Geister angeschaut, als Geniè begann, aus einem Buch vorzulesen. Das ging während einer Businesspräsentation doch nicht! Wo waren denn da die Punkte, die zu Geld führten? Aber sie las vor:
Es scheint mir, daß ich jetzt auf einem Stuhl sitze, an einem Tisch von bestimmter Gestalt, auf dem ich beschriebene oder bedruckte Papiere sehe. Wenn ich meinen Kopf drehe, sehe ich vor dem Fenster Gebäude, Wolken und die Sonne. Ich glaube, dass die Sonne etwa 150 Millionen Kilometer von mir und der Erde entfernt ist, daß sie eine heiße Kugel und sehr viel größer als die Erde ist, daß sie dank der Erdumdrehung jeden Morgen auf- und noch bis in die ferne Zukunft aufgehen wird. Ich glaube, daß, wenn irgendein anderer normaler Mensch in mein Zimmer kommt, er dieselben Stühle, Tische, Bücher und Papiere sehen wird, die ich auch sehe, und dass der Tisch, den ich sehe, derselbe ist wie der Tisch, dessen Druck gegen meinen aufgestützten Arm ich spüre.
Es lohnt sich eigentlich kaum, dies alles so ausdrücklich zu betonen, außer wenn ich es mit jemandem zu tun habe, der zweifelt, ob ich überhaupt etwas weiß. …
Obwohl ich glaube, daß der Tisch ‚in Wirklichkeit‘ überall die gleiche Farbe hat, sehen die Stellen, die das Licht reflektieren, viel heller aus als die übrigen, einige Stellen erscheinen in Folge des reflektierten Lichts sogar weiß. Ich weiß, daß andere Stellen das Licht reflektieren werden, wenn ich mich bewege; die scheinbare Verteilung der Farben auf dem Tisch wird sich bei jeder Bewegung, die ich mache, verändern. …
Aber die anderen Farben, die unter anderen Verhältnissen erscheinen, haben ein ebenso gutes Recht, für ‚wirklich‘ genommen zu werden, und deshalb müssen wir - um den Verdacht der Begünstigung zu vermeiden – leugnen, daß der Tisch, für sich genommen, irgendeine bestimmte Farbe habe.
Dasselbe gilt für die Struktur der Oberfläche. Mit dem bloßen Auge kann man sehen, wie die Fasern des Holzes verlaufen, aber im Übrigen sieht der Tisch glatt und eben aus. Wenn wir ihn durch ein Mikroskop betrachteten, dann würden wir
Unebenheiten bemerken, Erhöhungen und Vertiefungen und allerlei Unterschiede, die für das bloße Auge unsichtbar sind. Wann sehen wir den ‚wirklichen‘ Tisch?
Mit der Gestalt des Tisches steht es nicht besser. Wir haben alle die Gewohnheit, Urteile über die ‚wirkliche‘ Gestalt von Dingen abzugeben, und wir tun das so gedankenlos, daß wir uns einbilden, wir sähen tatsächlich die wirklichen Gestalten. Aber wenn wir versuchen, etwas zu zeichnen, müssen wir alle lernen, daß ein bestimmter Gegenstand von jedem Blickpunkt aus eine andere Gestalt hat. Wenn unser Tisch ‚in Wirklichkeit‘ rechtwinklig ist, wird er von fast allen Blickpunkten so erscheinen, als ob seine Platte zwei spitze und zwei stumpfe Winkel hätte. …
Der wirkliche Tisch – wenn es einen gibt – ist uns überhaupt nicht unmittelbar bekannt, sondern muß etwas sein, dass aus dem uns unmittelbar Bekannten erschlossen worden ist.8
Wie vermutet, war dann in einer Spontanphase allerlei an wirren und weniger wirren Gedanken aus den Köpfen der Zuhörer hervorgestoben. Nach Kaffee und Luftholen musste sie den Geschäftlern versprechen, die Lösung für das Tischproblem zu liefern. Nur eine junge Dame mit einem ziemlich langen, komplizierten Nachnamen blieb ruhig und schrieb die eine oder andere Notiz auf ein hochwertiges Tablet. Die Investoren hatte sie als Wirtschaftsjuristin vorgestellt. Den wohl griechischen Namen Konstantineopulos konnte man sich kaum merken. Sie war die Einzige, die das Geschehen wie teilnahmslos verfolgte. Ihre Augen funkelten in einem dunklen Türkis. Geneviève war sicher, dass sich dahinter ein Vulkan verbarg, der, falls notwendig, alles vorhandene mit Lava bedecken würde. Also Vorsicht, denn eine gute Lösung zum Tischproblem hatte Geniè nicht. Sie wusste nur, dass vor Jahren in Deutschland jemand einen brauchbaren Workaround9 entwickelt hatte.
Der ‚wirkliche Tisch‘ war aber nur ihre Einleitung zur Funktion des ZTT. Was im Kopf des Herrn Russell vorgegangen war, hatte sie in die Technik übertragen:
„Nehmen Sie an, eine Person, ich nenne sie Alice, macht ein Foto von dem Tisch. Alice registriert, fotografiert diese, ihre spezielle Sicht des Tisches. Die anderen Sichtweisen bleiben erhalten und könnten von Bob, Charlie oder wem auch immer erfasst werden. Nur die Sichtweise von Alice ist blockiert, denn sie steht ja da mit ihrer Kamera. Ihre Position kann kein anderer einnehmen. Jetzt vereinfachen wir das System: Der Tisch steht so, dass es nur zwei Möglichkeiten gibt, ihn zu fotografieren.“
Um das Gesagte bezüglich zweier Sichtweisen zu veranschaulichen, zeigte sie eine Grafik. Ein rechteckiger Kasten wird von Alice und Bob unterschiedlich gesehen.
Den Gedankengang führte sie dann weiter: „Es gibt eine Sichtweise, die durch Alice belegt ist, und eine andere, die in der Abbildung Bob eingenommen hat. Zwischen beiden besteht eine Verbindung: Das ist der Tisch. Wenn Alice sich mit einer Sichtweise beschäftigt, kann Bob nur die zweite sehen. Beide Sichtweisen zusammen sind ein System. Genau in dem Moment, wo Alice sich für eine Position entscheidet, hat Bob keine Wahl mehr.
Das ist das Entscheidende: Die Auswahl von Alice ist mit den Möglichkeiten von Bob verschränkt, wie man fachsprachlich sagt. Wählt Alice Sichtweise 1, bleibt Bob nur Sichtweise 2. Umgekehrt: Wählt Alice Sichtweise 2, bleibt Bob nur Sichtweise 1. Zwischen der Entscheidung von Alice und der Wahlbeschränkung von Bob vergeht keine Zeit. Aber beide betrachten den gleichen Kasten. Das Objekt ist der Anker für die Verschränkung, das Verbindende
Für das Folgende ersetzen wir jetzt das Verbindende durch die Nachricht, bleiben aber bei der räumlichen Anordnung unseres Beispiels. Wenn Alice jetzt ein Buch auf einen Tisch legt, hat sie eine bestimmte Sichtweise auf das Buch. Bob hat keine Wahl, er sieht das Buch aus einer anderen, durch das System festgelegten Perspektive. Die Sicht von Alice ist mit der von Bob zeitgleich fest verbunden.
Eine solche Verschränkung ist die Basis für den Zero-Time-Transmitter. Der sendende ZTT entspricht Alice, der empfangende ZTT ist Bob. Wenn der sendende ZTT eine Sicht der Nachricht definiert, muss Bob eine andere nehmen. Wenn es nur zwei Sichten gibt und die Sichtweise von Bob, jetzt der empfangende ZTT, bekannt ist, weiß man, was Alice gesendet hat.“
In der Folge war es ihr gelungen, mit Animationen Grundzüge der Physik dahinter zu erklären. Wie auf diese Weise eine Nachrichtenübertragung funktionierte, hatte sie grob angedeutet. Den Investoren sollte genügen, dass damit Geld zu verdienen war.
Mehr war nicht zu verraten. Hier ging es nur um die Beschaffung finanzieller Mittel für die weitere Forschung. Der Weg zu den Manifestationen blieb ihre Sache. Auf atomarer Ebene waren ihren ersten Versuche erfolgreich gewesen. Die Skalierung auf makroskopische Dimensionen schien machbar, mit beträchtlichem Aufwand. In der Theorie deuteten sich Möglichkeiten an, die sie noch nicht überblickten. Daheim in La Ferme hatten sie beim Aperitif bereits häufiger gescherzt, wer welchen Nobelpreis gewinnen würde. Ihr Bruder Maxim zitierte sich dann aus nicht existierenden Artikeln der Nature.10 Bei diesen Erinnerungen und an den Erfolg in Toronto denkend nickte Geniè trotz der quälenden Bestuhlung des Fliegers ein wenig ein.
Auch die Anonymität der Sache schien gut gelaufen zu sein. Im Vorfeld war alles über verschlüsselte Kanäle abgesprochen worden. Auf Toronto, der größten Stadt Kanadas, als Treffpunkt hatte man sich sofort geeinigt. Kanada galt als unauffälliges Land. Toronto mit seinem riesigen Einzugsgebiet gab sich sehr multikulturell, hatte aber dennoch kein übermäßiges Touristenaufkommen. Mittlerweile gab es in den Cafés auf den Islands auch für Europäer akzeptablen Kaffee. Schade, dass der Aufenthalt nicht länger gedauert hatte. Sie wäre noch gern zu den Niagara-Fällen gefahren. Wieder verfiel sie ins Träumen, kam auf Paris. Sie musste den Flieger nach Mulhouse erreichen. Dort wartete hoffentlich wohlbehalten ihr alter Peugeot 405, den ihr Vater kurz vor seinem Tod rundum restauriert hatte. Sie freute sich auf die Heimfahrt. Auch klassische Technik hatte etwas.
7 Bertrand Russell, 1872-1970, Mathematiker, Philosoph, Nobelpreis für Literatur 1950, hat sich unter anderem mit den grundlegenden Fragen nach der Erkenntnis auseinandergesetzt.
8 Russel, Bertrand: Probleme der Philosophie; Frankfurt, 9. Aufl. 1981; S. 9-13 gekürzt
9 Wir nehmen einfach an, dass ein Tisch existiert. Das nennt man hypothetischen Realismus. Aus: Vollmer, Gerhard: Evolutionäre Erkenntnistheorie; Stuttgart, 6. Aufl. 1994, S. 34ff.
10 Die Zeitschrift “Nature” ist eine führende, wöchentlich erscheinende naturwissenschaftlich orientierte Fachzeitschrift.
5 Demo
Bei den Schwarzwäldern fand die Demonstration des ZTT statt. Anwesend waren von Seiten der Investoren ein Physiker, ein Informatiker und ein Geschäftler. Neben diesen Personen, die in der Öffentlichkeit ihres Unternehmens nicht auftraten, aber entscheidenden Einfluss hatten, war nahezu unsichtbar die Wirtschaftsjuristin dabei. Von der anderen Seite des Rheins herübergekommen waren Geneviève und Lodo, ihr Italiener.
Man hatte sich auf alten Wirtshausstühlen in einem Halbkreis um eine für Laien verwirrende Sammlung von technischen Geräten gesetzt. Nach der Begrüßung kotzte gleich der Geschäftler in den Raum: „Nun lassen Sie sehen und hören. Schließlich haben Sie unsere Vorabzusage. Und mit dem Tisch haben Sie ja schön aufgedeckt. Show, ich will show, jetzt.“
Derartiges hatte Geniè nicht erwartet. Großes Maul, praktisch und physisch. Typisch amerikanisch, jeder Zahnästhet hätte an dem Gebiss seine Freude gehabt. Sie mochte den Kerl überhaupt nicht. Aber darüber standen andere Interessen, und blöd war er nicht. Hinter der dämlichen Fassade schien ein klarer Kopf zu sein.
Sukal, auch Physiker, ein gutmütiger Schwarzwälder, fand den Geschäftler ebenfalls nicht sonderlich sympathisch. Er fühlte sich ein wenig provoziert. So nahm er diesen Pseudostier bei den Hörnern und fing gleich an:
„Also, wie Ihnen meine Kollegin erklärt hat, haben wir auf dem Gebiet der Verschränkung innerhalb der Quantenelektrodynamik einige praktische Erfolge erzielt. Das möchten wir demonstrieren. Hier rechts steht einen Lichtwellensender, dessen Ausgangssignal, rotes Licht, wir mit Daten beaufschlagen werden. Da Sie Daten weder hören noch sehen können, nehmen wir einen einfachen Song, der nur bescheiden instrumentiert ist. Damit hört auch das ungeübte Ohr, worauf es ankommt. Sie werden den Titel nicht kennen, vermutlich wissen Sie nicht einmal, was eine Schallplatte ist. Alles historisch. Das Licht, bepackt mit dem Song, leiten wir hier in die Glasfaser. Insgesamt wird das Signal durch die fünf Trommeln dort drüben geleitet. Das sind 20 km Glasfaser. Im Vakuum legt das Licht in einer Sekunde knapp 300.000 Kilometer zurück, in einer Glasfaser wie hier nur etwa ein Drittel davon. Folglich braucht das Licht für die zwanzig Kilometer Glasfaser 0,2 Millisekunden, im Vakuum wäre die Zeit um den Faktor drei kleiner.
Sie werden im ersten Versuch gleichzeitig das gesendete und das am Ende der Glasfaser empfangene Signal hören. Für die Techniker unter Ihnen, der Zähler hier zeigt die Zeitdifferenz zwischen beiden Signalen an. Wie sagten Sie, show.“
Das Lied ‚Those were the days‘ erklang deutlich wahrnehmbar in doppelter Ausführung.
Mehr oder weniger gelangweilt hörten die Eingeladenen zu, technisch war das nichts Neues. Wenn ein Signal übertragen wird, braucht es seine Zeit vom Sender zum Empfänger. Wusste doch jedes Kind. Und der Inhalt des Songs? Dafür war jetzt keine Zeit.
Nur Sukal schossen für kurzen Moment Fragen durch den Kopf. Wie mag es sein, wenn ich einmal alt bin, meine alte Schule sehe, vor dem Haus meiner ersten Freundin stehe, meine damaligen Kneipen abgerissen sind, ich meine Freunde in der Welt verloren habe? Aus welcher Welt stammt dieses Lied?
Er blieb sachlich. „Ok, soweit das, was Ihre Techniker können und verstehen, die klassische Nachrichtenübertragung. Jetzt zu meiner Linken. In Box eins speisen wir das Audiosignal ein.“
Er steckte kurz ein Kabel um.
„Von Box eins geht es wieder durch die Glasfaser zu Box zwei. Er verband den Ausgang der letzten Glasfasertrommel mit Box zwei. Und wir hören? Sind sie bereit?“
Nicht einmal ein Klack, nur ein reines, einzelnes akustisches Erlebnis. Eine Differenz zwischen gesendetem und empfangenen Signal war nicht hörbar. Die Anzeige des Differenzzählers schwankte mit plus minus einem Digit16 um Null. Selbst dem Geschäftler war bekannt, dass die letzte Stelle einer digitalen Anzeige so schwanken durfte und dieses keine technische oder physikalische Aussage hatte, sondern konstruktionsbedingt war.
Der Song endete, man schaute sich an, eine gewisse Melancholie hing im Raum. Sollten sie das Lied jetzt wahrgenommen haben?
Sukal entfernte alle Verbindungen zur Glasfaser:
„Eigentlich brauchen wir die Glasfaser nicht.“
Er startet den Song neu. Irgendwie gefiel Sukal das Stück. Wie wir mal altern, dachte er. Was werden wir verlieren?
Der Effekt wiederholte sich. Zwischen der Wiedergabe des Senders und der Wiedergabe des Empfängers war kein Unterschied zu hören. Eine lupenreine Datenübertragung, ohne Kabel. Das gesendete Signal gelangte ohne Verzögerung zum Empfänger. Die Begriffe Sender und Empfänger hatten sie durch die neue Bezeichnung Zero-Time-Transmitter ersetzt. Der fremde Physiker begann zu klatschen.
„Ok, perfekte Show. Das ist der Deal. Big Business is coming, wow. These ARE the days!“ Der Geschäftler war begeistert.
Geneviève holte tief Luft:
„Durch Ihre Anwesenheit und diese Zustimmung haben Sie unter anderem Folgendes akzeptiert: Gegen eine wöchentliche Zahlung von Zehn Millionen Euro, zum Teil in Crypto, erhalten Sie das exklusive Recht der Nutzung dieser Technologie für die nächsten drei Jahre. Der Zeitraum startet mit der Anmeldung des Patentes durch uns. Zugleich beginnen Sie mit der regelmäßigen Zahlung. Wir garantieren, dass der Nachbau nicht schwieriger ist als der eines handelsüblichen Robots. Nach Ablauf der Dreijahresfrist erlischt das internationale Patent und die Technik wird offen gelegt. Damit wird sie für jedermann verfügbar. Sollten Sie mit einer Zahlung in Verzug geraten, werden wir innerhalb von vierundzwanzig Stunden jede gebaute Kopie außer Betrieb setzen und alles der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Dies ist aufgrund des von uns implementierten Verschränkungsprinzips jederzeit möglich. Zugleich beachten Sie unbedingt, dass diese Technik nie zu militärischen oder vergleichbaren Zwecken genutzt wird. Sollten wir das in den ersten drei Jahren oder auch später feststellen, werden wir die Technik ebenfalls außer Betrieb setzen. Wir verpflichten uns, Ihnen die Konstruktionsunterlagen innerhalb von vierzehn Tagen zur Verfügung zu stellen. Rechtsstreitigkeiten werden vor den entsprechenden internationalen Gerichtshöfen geklärt. Unabhängig von deren Ausgang bleiben Sie in der Zahlungsverpflichtung. Den Rest werden Ihnen unsere Anwälte mitteilen.“
„Sie erpressen uns, aber Sie ersäufen uns nicht. Wir unterschreiben den Vorvertrag, aber lassen Sie mich, ich muss noch die Nachricht absetzen.“
Lodo nickte. Nach weniger als sechzig Sekunden nickte Lodo ein zweites Mal. Die vereinbarte Anzahlung war eingetroffen. Der Vorvertrag ging in doppelter Ausfertigung herum, noch klassisch in Papierform.
Die Welt wird eine andere werden - durch die Gruppe La Ferme.
16 Als Digit bezeichnet man einen Ziffernschritt um 1 oder -1.
6 Gesetze
Daphne Konstantineopulos war in ihre Kanzlei zurückgekehrt, die genau genommen ein Institut für gegenwärtige und zukünftige Rechtsfragen war. Diese jungen Wilden aus dem Elsass, sie war zwar auch nicht älter, musste man genauer ins Visier nehmen. Die schienen mehr zu wissen und zu können. Das, was vorgeführt worden war, stellte vermutlich nur die Spitze eines Eisberges dar.
Und dann die Sache mit dem Tisch. Sie hatte notiert:
Der Tisch existiert - unbestritten, Rechtslage einfacher Realismus. Wie der Tisch existiert - sehr umstritten, Rechtslage völlig unklar !?
Sie hatte die angegebene Quelle gelesen. Das Büchlein von Russell stellte sich leider eher als eine interessante Sammlung von Fragen heraus. Die Zeichenkombination ‚!?‘ blieb. Es war ihre Art zu notieren, dass ein absolutes To-Do vorlag. Wissenslücken ertrug sie nicht. Das war die Basis für ihren beruflichen Erfolg.
Irgendwie hörte es sich nach Auflösung der klassischen Physik an. Eine Masse kann man anschauen, wiegen, vermessen, zerlegen oder was auch immer, aber im Grunde nicht erkennen. Was steckte dahinter? Physik war prinzipiell simpel. Es gab Gesetze, die konnten nicht gebrochen werden und danach richtete sich die Wirklichkeit. Besser formuliert, die Wirklichkeit wurde durch die vom Menschen formulierten Gesetze beschrieben. Und wenn dann ein Gesetz in irgendeinem Experiment oder einer Beobachtung die Wirklichkeit nicht korrekt darstellte, also gebrochen wurde, begann großes und langes Lamentieren, Forschen und Diskutieren mit dem Ergebnis, dass das alte Gesetz abgeschafft und ein neues eingeführt wurde.
Das war eine echt alternative Form zur Juristerei. Man stelle sich das einmal im täglichen Leben vor: Die Gesetze werden an die Wirklichkeit angepasst! Beispielsweise, es bricht jemand ein. Da das ein Gesetzesbruch ist, wird in Folge das Gesetz geändert. In Zukunft sind Einbrüche erlaubt. Was wer auch immer macht, wird Gesetz. In Ansätzen hat es das in der Geschichte der Menschheit bereits gegeben: Vom Wilden Westen bis zur Diktatur. Die letzte, umfassende, erschreckende Umsetzung dieses Verfahrens hatte vor einigen Jahren stattgefunden. In vielen Staaten war der Einbruch von Überwachungsdiensten in Datenverbindungen und Datenbestände legalisiert worden, wie es nett hieß. Und das nur, um den klassischen, gesetzlichen Staat zu retten. ‚Welche Ironie?‘ ging es ihr durch den Kopf.
‚Ich bin das Gesetz‘ war der Leitspruch eines jeden Diktators. Aber, und dieses aber gab zu denken. Auch ein Diktator hatte für seine Untertanen ein gesellschaftliches Gesetzeswesen zu erzwingen. Nur so konnte er regieren. Sie erinnerte sich an Montesquieu:
Die politische Freiheit des Bürgers ist jene Ruhe des Gemüts, die aus dem Vertrauen erwächst, das ein jeder zu seiner Sicherheit hat. Damit man diese Freiheit hat, muß die Regierung so eingerichtet sein, daß ein Bürger den anderen nicht zu fürchten braucht.
Wenn in derselben Person oder in der gleichen obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgebende Gewalt mit der vollziehenden vereinigt ist, gibt es keine Freiheit; denn es steht zu befürchten, daß derselbe Monarch oder derselbe Senat tyrannische Gesetze macht, um sie tyrannisch zu vollziehen.
Es gibt ferner keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und vollziehenden getrennt ist. Ist sie mit der gesetzgebenden Gewalt verbunden, so wäre die Macht über Leben und Freiheit der Bürger willkürlich, weil der Richter Gesetzgeber wäre. Wäre sie mit der vollziehenden Gewalt verknüpft, so würde der Richter die Macht eines Unterdrückers haben.
Alles wäre verloren, wenn derselbe Mensch oder die gleiche Körperschaft der Großen, des Adels oder des Volkes die drei Gewalten ausüben würden: die Macht, Gesetze zu geben, die öffentlichen Beschlüsse zu vollstrecken und die Verbrechen oder die Streitsachen der Einzelnen zu richten.17
Leider setzten sich die Ansätze zu langsam auf der Erde durch. Die Freiheit des Einzelnen, eingeschränkt durch die notwendigen Grenzen eines Lebens in einer Gruppe, war nur gesichert, wenn eine unabhängige Instanz, die sogenannte richterliche Gewalt, darüber wachte. Gesetze und ihre Umsetzungen durften nicht zu unangemessenen Einschränkungen der Freiheit genutzt werden. Nur so war die individuelle Freiheit, die sie kannte, möglich. Leider gab es dennoch zu viele Freiheiten in der Gesellschaft.
In den klassischen Naturwissenschaften gab es keine Freiheit. Naturgesetze tyrannisierten Energie und Materie. In der Quantengravitation18 war noch etwas anderes. Da gab es Ungeheuer wie Schrödingers Katze.19 Was Daphne überhaupt nicht verstand: Wie konnte es einen freien Willen geben, wo doch die Tyrannei der Naturgesetze allgegenwärtig war.
Damit war sie wieder bei einem ihrer Lieblingsthemen. Was gab es für Typen von Gesetzen? In ihrem Büro hing dazu eine Grafik. Diese zeigte den Versuch, Gesetzestypen mit Komplexität in Beziehung zu bringen.
Am Anfang standen die Naturgesetze wie zum Beispiel: Alle Äpfel fallen nach unten, gestern, heute, morgen und in jeder Zukunft, ja bis in alle Ewigkeit. Sie hatte schon gehört, dass diese Naturgesetze vielleicht doch nicht konstant seien, aber das war vom Alltagsleben weit entfernt. Die Gesetze der Evolution, auch Naturgesetze, hatte sie extra abgesetzt, da diese sich auf den lebenden Zustand von Materie bezogen. Die Entwicklung hatte zum Menschen geführt, womit die Gesetze der Erkennens und Denkens auftauchten. Obwohl diese letztlich aus den physikalischen Gesetzen heraus entstanden waren, gab es umgekehrt kein Gesetz, das besagte, was ein Tisch ist. Es war nur eine Übereinkunft: Es gibt kein Gesetz, das besagt, was ein Tisch ist oder was Wirklichkeit ist.
Wurde eine Gruppe von Menschen betrachtet, konnte diese sich darauf verständigen, was ein Tisch sei, was unter Wirklichkeit zu verstehen sei. Mehr war nicht möglich. Für eine sinnvolle Kommunikation genügte das. Eine solche Verständigung war kein Gesetz sondern eine Übereinkunft. Erst wenn es um die Handlungen innerhalb der Gemeinschaft ging, tauchte der Begriff Gesetz auf.
Neue Gesetzestypen wurden mit zunehmender Komplexität von Materie, Energie, Information beobachtbar. Zwar galten die vorab aufgetretenen Gesetze weiterhin, doch je enger oder komplexer die Gültigkeitsbereiche wurden, desto weniger hart waren die dazugehörigen Gesetze. Vom Menschen für Menschen gemachte Gesetze waren ziemlich weich.
Eine denkbare Erweiterung dieses Schema hatte Daphne oft angedacht. Links oben bot sich an, allgemein von Intelligenzen zu sprechen. Vermutlich wären die Gesetze der Intelligenzen noch weicher als die der menschlichen Gesellschaften. Stände nach weiteren Schritten am Ende der Kette Gott, würde für diesen kein Gesetz mehr gelten. Nach klassischer Lehrmeinung war Gott allmächtig. Er wäre das Unendlich der vertikalen Achse.
Daphne stand nachdenklich vor ihrer Grafik: ‚Mein Kopf ist zu klein. Ist das ein sinnvoller Ansatz? Und der Tisch? Wie existierte der Tisch? Da nutzt mir auch der eingezeichnete Pfeil nichts.‘
Das Problem wollte sich nicht lösen lassen.
‚Wo ist hier das Unbekannte, die neue Theorie? Was wussten diese jungen Wilden, was der Rest der Physiker dieser Welt nicht wusste? Welche neuen Gesetze oder Lücken in alten Gesetzen waren gefunden worden?‘
Im Grunde kam sie nicht weiter. Ihre Anfrage bei den hausinternen Experten zur Vorbereitung der Verhandlungen hatte seinerzeit keinerlei Hinweise ergeben. Wenn ihr nichts einfiel, blieb noch der Versuch von Beschattung und Spionage, was sie grundsätzlich ablehnte.
‚Aber einfach direkt fragen, was ein Tisch ist, war einen Versuch wert.‘
17 Montesquieu, Charles de Secondat: Vom Geist der Gesetze, hrsg. von Forsthoff, Ernst: Tübingen, 1951, 1. Bd. S. 212-215 gekürzt
18 Die sogenannte Quantengravitation ist eine physikalische Theorie, in der die allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenphysik verbunden wird. Damit wären alle Naturkräfte mit einer Theorie dargestellt. Bisher existiert sie nur in Ansätzen.
19 Schrödingers Katze bezeichnet ein Gedankenexperiment, welches sich auf Elementarteilchen bezieht. Erst durch Nachmessen wird feststellbar, in welchem Zustand das Teilchen ist. Vorher kann es formal gleichzeitig mehrere Zustände haben. Übertragen auf die Katze könnte diese gleichzeitig tot und lebendig sein, solange niemand hinschaut.
8 Sokrates
Doch dann war da noch Sokrates, aber das war nur sein Spitzname. Er arbeitete an einem Buch ‚Die Theorie des Denkens konfrontiert mit praktischen Beispielen‘. Das schien ziemlich langweilig. Mit seinen Vorlesungen und Seminaren an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, ehemals nur Zürich, gehörte er zu den Randfiguren des wissenschaftlichen Betriebs. Ihm war es recht, nicht im Zentrum zu stehen.
Zu La Ferme hatte er aufgrund seiner beruflichen Arbeit einen gewissen Abstand und konnte auf diese Art so etwas wie das Gewissen von La Ferme sein. Er war an ihr Netz angeschlossen und verfolgte ihre Tätigkeiten. Einerseits wurde er als Mitglied von allen geschätzt und mit ihm gern und häufig gefeiert, andererseits war die Gruppe für ihn eines der Beispiele, welches er in seinem Buch dokumentierte. Als externer Beobachter und zugleich Mitglied des Systems wechselte er permanent die Rollen. Hier konnte er eine Menge interessanter Beobachtungen machen. In letzter Zeit war das immer schwieriger geworden, da die Arbeiten zunehmend geheimer wurden.
Der Ruf von Pierre, zum Experiment mit dem MF_02 zu kommen, hatte ihn zeitgleich mit den anderen erreicht. Er weilte aber gerade in St. Gallen am dortigen Malik Management Zentrum, um Ansätze von Denktheorien in Business-Modellen zu diskutieren. Es ging um das Erbe von Stafford Beer22 im Dunstkreis des vernetzten Denkens. Sokrates konnte sich nur die Aufzeichnungen des Experimentes anschauen. Marie und Pierre hatten sich sofort nach dem Versuch bei ihm gemeldet.
‚Immer diese Nichtdenker‘, hatte er geseufzt, ‚rennen einfach in der Weltgeschichte los ohne über die Richtung und ihr Handeln auch nur einen Gedanken zu verschwenden.‘
Nach seiner Rückkehr musste er unbedingt mit ihnen reden. Offensichtlich war, dass wieder ein reflexiver Abend angesagt war.
Experimentieren was das Zeug hergab. Er konnte das verstehen. Aber intelligente Menschen sollten zunächst denken und dann handeln. Es war nicht das erste Mal.
Vor einiger Zeit hatte er ihnen eine alte, defekte Uhr geschenkt, um die Temperamente in Spur zu bringen. Die Zeiger waren entfernt und auf das Zifferblatt hatte er vier Worte geschrieben: Erkennen, denken, handeln, lernen. Dann kam die nächste Runde. Es mussten ja nicht zwölf Stunden sein, aber wieder in die Reihenfolge ‚erkennen, denken, handeln, lernen‘.
Sie waren wie Kinder. Manchmal benahmen sie sich dumm wie die meisten Politiker. Erst Denken und dann Handeln waren da recht selten. Lernen kam nicht vor. Unmengen von Energie in was auch immer für ein X-Loch zu schicken! Hoffentlich blieb sie wo auch immer. Ein gegrilltes Fessenheim war nicht sein Geschmack.
„Ist euch eigentlich auch nur annäherungsweise klar, welchen Weg ihr eingeschlagen habt?“ begann Sokrates das Thema.
Sie saßen gemütlich um den offen Kamin, in dem trockenes Buchenholz alles für eine warm leuchtende Flamme gab. Draußen war es heute viel zu kalt. Die Klimaveränderung hatte zu absurden Wetterumschlägen im Vergleich zu fünfzig oder mehr Jahren geführt. Ja, da war es wieder: Denkt erst über die (möglichen) Zusammenhänge nach. Sie nannten Sokrates nicht umsonst Sokrates. Er war derjenige, der an einfachen Beispielen das aktuelle Handeln mit vielen Fragezeichen versah. So auch jetzt.
„Wenn das, was Marie und Pierre mir berichtet haben, was das letzte Experiment andeutet, auch nur in Teilen wahr ist, wird das Grundgefüge der Physik erschüttert. Einstein, Hawking und viele andere haben Pflöcke in die Geschichte der Wissenschaft gerammt. Ihr geht darüber hinaus. Ihr brecht die Tür zu neuen Wirklichkeiten auf. Oder soll ich sagen, ihr habt die Tür eingetreten?