Terroristen - Anonym - E-Book

Terroristen E-Book

Anonym

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Beschreibung

SÂR DUBNOTAL Nr. 9 enthält zwei Geschichten: Ein Terroristenkomplott Ein Attentat auf den Polizeidirektor von St. Petersburg kann in letzter Minute verhindert werden. Wer steckt dahinter? In der Hölle Sibiriens Der frühere Chef der St. Petersburger Ochrana ist in Ungnade gefallen und zur Bergwerksarbeit in Sibirien verdammt worden. Sâr Dubnotal versucht, den Unglücklichen zu befreien.

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Seitenzahl: 214

Veröffentlichungsjahr: 2025

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In dieser Reihe bisher erschienen:

1001 Edgar Rice Burroughs Caprona - das vergessene Land

1002 Ernst Konstantin Sten Nord - der Abenteurer im Weltraum

1003 Unbekannter Autor Jack Franklin, der Weltdetektiv

1004 Robert E. Howard Die Geier von Wahpeton

1005 Robert E. Howard Abrechnung in den Los Diablos

1006 Robert E. Howard Steve Costigan – Seemann und Boxer

1007 Murray Leinster Der tollwütige Planet

1008 Robert E. Howard Grabratten

1009 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 1

1010 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 01: Zurück vom Amazonas

1011 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 01: Das Spukschloss

1012 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 2

1013 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 3

1014 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 4

1015 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 02: Die Expedition

1016 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 5

1017 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 03: Im Dschungel

1018 Hein Patrik Kapitän Grant

1019 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 02: Der verhängnisvolle Brunnen

1020 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 03: Der blutige Streit

1021 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 04: Der Hypnotiseur

1022 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 6

1023 Martin Winfried u. a. Percy Stuart 7

1024 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 05: Jack the Ripper

1025 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 06: Die Braut aus Gibraltar

1026 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 07: Die Vampire vom Friedhof

1027 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 08: Die Schlafwandlerin

1028 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 09: Terroristen

1029 Gerd Frank (Übersetzer) Sar Dubnotal 10: Provokateurs-Agenten

1030 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 04: Unter Kopfjägern

1031 Egon Schott Rifland - Reiseabenteuer 05: In den Todes-Lagunen

Terroristen

Sar Dubnotal 09

Kult Romane

Buch 28

Gerd Frank

Dieses Buch gehört zu unseren exklusiven Sammler-Editionen

und ist nur unter www.BLITZ-Verlag.de versandkostenfrei erhältlich.

In unserem Shop ist dieser Roman auch als E-Book lieferbar.

Bei einer automatischen Belieferung gewähren wir Serien-Subskriptionsrabatt. Alle E-Books und Hörbücher sind zudem über alle bekannten Portale zu beziehen.

Copyright © 2025 BLITZ-Verlag  

Ein Unternehmen der SilberScore Beteiligungs GmbH 

Mühlsteig 10, A-6633 Biberwier 

Redaktion: Hans-Peter Kögler

Logo und Umschlaggestaltung: Mario Heyer

Satz: Gero Reimer

Alle Rechte vorbehalten.

www.Blitz-Verlag.de

ISBN: 978-3-68984-340-3

1028 vom 24.02.2025

Inhalt

Ein Terroristenkomplott

Die verschleierte Dame

Tschergins Galanterie wird verständlich

Das Urteil

Das Komplott

Der Plan eines Verräters

Telepsychie

Ein sensationeller Vortrag

Das Attentat

Heulen und Zähneknirschen

Ein Dolchstoß in den Rücken

Die Hinrichtung

In Trance

Kampf ums Leben

Der Triumph des Psychagogen

Epilog

In der Hölle Sibiriens

Der Konvoi der Verbannten

Der Rebell

Fallensteller und Pelzjäger

Der Hinterhalt

Ein Meisterstreich

Hoffnung

Der Alarm

Die Verfolgung

Wieder gefangen!

Azzef macht wieder von sich reden

Die Jakuten

Das lebende Skelett

Epilog

Ein Terroristenkomplott

Die verschleierte Dame

An der Kathedrale von St. Isaak, dem Dalmatiner, schlug es acht Uhr. Der Himmel war voller schimmernder Sterne und seltsam klar geblieben, obwohl die Sonne an diesem Montagabend schon seit drei Stunden schlafen gegangen war. Der Vollmond verbreitete ein grünliches Licht über St. Petersburg, der Weißen Stadt, dem Hermelin des Nordens. Es herrschte eine solch klirrende Kälte, dass nur sehr wenige Passanten auf den Straßen unterwegs waren. Auf der Fjodorowna-Straße jedoch, die am Dwotsory-Kai, nicht weit entfernt von der Anlage des Zarenpalastes, beginnt, zwischen der Alexanderbrücke und der Peter-und-Paul-Brücke, raste eine Troika auf dem Schnee dahin: Die kleinen Pferde trabten in entgegengesetzter Richtung zur Newa.

Der Lenker beschleunigte das Tempo, um den Bitten der Person zu gehorchen, die im Schlitten saß und ihn unentwegt anfeuerte: „Schneller, Iwanowitsch, schneller, ich bitte Sie!“

Die Sprecherin war eine Frau, die in einen weiten Pelzmantel gehüllt war und eine Krimmermütze⁠1 trug. War sie jung oder alt? War sie hässlich oder hübsch? Das konnte man nicht feststellen, denn ihr Gesicht war hinter einem undurchdringlichen Schleier aus schwarzem Tüll verborgen.

In jedem Fall wiesen sie der Reichtum ihrer Kleidung und die Eleganz der Troika als Dame höherer gesellschaftlicher Stellung – und weit über dem Durchschnitt situiert – aus.

Iwanowitsch peitschte die Pferde noch schlimmer als bisher, und nach einigen Momenten schwindelerregenden Rennens hielt er sie kurz vor dem Geschäft eines Fischhändlers an. Ein Schild wies auf dessen Namen hin: Michail Nagudljekow.

Der Händler und seine Gehilfen hatten ihren Arbeitstag beendet. Während die einen auf Innenregalen Kaviardosen und Verpackungen mit geräucherten Heringen einordneten oder Langusten, Krabben, Austern und so weiter abstellten, beeilten sich die anderen, die Kurbeln der Metalljalousien zu bedienen, welche die Schaufenster nachts vor den Begehrlichkeiten umherstreifender Gauner schützen sollten.

Kaum hatte Iwanowitsch seine Troika angehalten, da sprang die verschleierte Frau rasch auf den Boden und, indem sie den Kopf senkte, überwand sie gerade noch die Ladentür, die bereits zur Hälfte durch den eisernen Vorhang verschlossen worden war.

Michail Nagudljekow, ein dicker Mann mit rotem Gesicht und roten Händen, beachtlich gebaut und überall behaart, runzelte die Stirn wegen dieser Unverfrorenheit. „Sie kommen reichlich spät, gute Frau“, knurrte er verdrossen. „Was wünschen Sie?“

Die Frau im Schleier zitterte wie Espenlaub. Bevor sie antwortete, warf sie einen Blick um sich, dann machte sie ihrem Gegenüber ein Zeichen, das bedeuten mochte: Ich möchte Ihnen etwas anvertrauen, kann ich das vor diesen Männern?

Nagudljekow verhehlte nicht, dass er überrascht war. „Sie sind also keine Kundin, gnädige Frau?“

„Nein, mein Herr.“

„Und“, fuhr der Händler fort, „was wollen Sie mir denn Spezielles sagen?“

Die Besucherin neigte den Kopf. Nagudljekow beäugte sie argwöhnisch.

„Gleich, mein Herr“, murmelte die Frau. „Sagen Sie vorher Ihren Gehilfen, dass sie alle Jalousien herunterlassen sollen. Falls irgendjemand auf der Straße vorbeigeht und mich erkennt, so bin ich verloren. Ich habe den Lenker meiner Troika weggeschickt, er soll auf mich am Dwotsory-Kai warten.“ Das Gefährt hatte sich tatsächlich sofort entfernt, wie Nagudljekow festgestellt hatte. Nun zögerte er nicht mehr länger und war bereit, dem Wunsch seiner Besucherin zu entsprechen. Er befahl seinen Arbeitern, die Metalljalousien überall herunterzulassen, kehrte zu der Unbekannten zurück und sagte zu ihr: „Was wollen Sie, gnädige Frau?“

„Entfernen Sie Ihre Leute, damit ich es Ihnen sagen kann.“

„Ich habe kein Geheimnis vor ihnen“, sagte Nagudljekow kalt. „Sprechen Sie, gnädige Frau, und hören Sie auf, in derart verschwörerischem Ton vor einem braven Mann zu reden, der – Dank sei Gott – offen und ehrlich lebt und nichts zu verbergen hat.“

Diese Antwort des Händlers schien die verschleierte Dame außerordentlich zu bekümmern. Offensichtlich hatte sie nicht so viel Widerstand erwartet. Sie bemühte sich, Haltung zu bewahren, dann näherte sie sich Nagudljekow und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr.

Der Händler zuckte zusammen. „Oh, oh, was sagen Sie da? Ich soll ein Revolutionär sein? Beim Heiligen Nikolaus, Sie irren sich ganz gewaltig.“

„Nein“, murmelte die Unbekannte. „Es ist unnötig, das abzustreiten, Herr Ruskowitsch. Ich weiß alles und kenne Ihren wirklichen Namen, wie Sie sehen.“

Nagudljekow wischte sich den Schweiß ab, der ihm von den Schläfen tropfte. „Und wer sind Sie denn?“, fragte er mit unsicherer Stimme.

„Mein Herr“, sagte die Unbekannte, „wir können unser Gespräch nicht auf diese Weise unnötig verlängern. Ich wiederhole nochmals: Schicken Sie Ihre Leute weg.“

„Meine Leute sind meine Freunde; sie sind mit dem Geschäft verbunden!“, entgegnete der angebliche Nagudljekow, der sich entschlossen hatte, Klarschiff zu machen. „Sie können alles vor ihnen sagen. Aber“, fügte er dann in gänzlich verändertem Ton hinzu, der so schneidend war, dass die verschleierte Dame regelrecht zu zittern begann, „ich warne Sie: Sie werden hier nicht lebend herauskommen, falls Sie lügen sollten. Das wäre der Fall, wenn Sie aus einem anderen Grund gekommen wären als dem angegebenen.“

„Ich habe die Wahrheit gesagt“, versicherte die Unbekannte und hob die rechte Hand, um ihre Behauptung zu bekräftigen. „Und da Sie offenbar von diesen Männern hier nichts befürchten, Herr Ruskowitsch, sage ich nochmals vor ihnen allen, dass ich die Überbringerin eines Briefes bin, der für dieses Komitee die Bekanntgabe einer höchst wichtigen Enthüllung beinhaltet. Ich füge hinzu, dass ich den Auftrag habe, diesen Brief dem Präsidenten des Komitees höchstpersönlich und niemand anderem sonst zu übergeben.“

„In Ordnung. Sagen Sie mir Ihren Namen.“

Die verschleierte Dame senkte den Kopf. „Unmöglich“ sagte sie. „Es ist erforderlich, dass jeder Mensch hier mein Inkognito respektiert. Dies ist meine unerlässliche Bedingung, die ich dem Komitee gegenüber mache. Sonst darf ich Ihnen den Brief nicht aushändigen.“

Ein lautloses Lachen entspannte die harten Züge Ruskowitschs. „Liebe Frau“, sagte er höhnisch, „wenn Sie glauben, dass das Komitee eine derartige Bedingung akzeptiert, dann irren Sie sich aber gewaltig.“

Verunsichert von diesem Empfang, den sie nicht annähernd erwartet hatte, sah es so aus, als verzichte die Frau auf eine Fortsetzung der Unterhaltung. Sie tat einen Schritt in die Richtung der Tür, aber die Metalljalousie war ja heruntergelassen; überdies versperrte ihr Ruskowitsch den Weg.

„Sachte, ganz sachte, gnädige Frau!“, sagte der Händler. „Man empfiehlt sich nicht so, wenn man den ehrenwerten Michail Nagudljekow aufgesucht hat. Wie es aussieht, haben Sie uns ein Projekt bekanntzugeben. Nun gut, dann werden Sie das jetzt wohl oder übel tun, aber ohne Bedingungen, wenn ich bitten darf. Folgen Sie mir!“

Und indem er das sagte, ergriff der riesige Mann die verschleierte Dame an der Hand und schleifte sie, mehr tot als lebendig, in einen Hinterraum, wohin ihnen auch die sogenannten Gehilfen folgten, nachdem sie vorher noch das Gaslicht im Geschäft gelöscht hatten.

Dieser Raum, der von einer einfachen Öllampe erhellt wurde, aber in dem in einem rustikalen Kamin ein gutes Feuer aus Stangenholz und Koks prasselte, war mit einem Tisch und einem Dutzend Stühlen ausgestattet.

Sieben Plätze waren bereits von Männern besetzt, die den unterschiedlichsten sozialen Schichten anzugehören schienen, die jedoch alle eine kühne und entschlossene Miene zur Schau trugen.

Der falsche Nagudljekow schloss sorgfältig die Verbindungstür hinter sich, dann wies er seiner Besucherin einen Stuhl an. Die Frau ließ sich mehr fallen, als dass sie sich setzte, und nahm mit den vier Gehilfen ihren Platz am Tisch ein.

Zunächst herrschte tiefes Schweigen; die elf Männer starrten die rätselhafte Besucherin unentwegt an und versuchten vergeblich, ihren undurchsichtigen Schleier mit Blicken zu durchbohren. Schließlich wandte sich einer der elf, ein etwa Vierzigjähriger mit den Gesichtszügen eines Kalmücken,⁠2 einem Schnurrbart, dessen Spitzen dicht und stachelig waren, an Ruskowitsch, der zu seiner Rechten saß.

„Wer ist diese Frau?“, fragte er. „Und warum hast du sie zu unserer Versammlung geführt?“

Der angebliche Händler beeilte sich, eine Erklärung abzugeben. „Hm“, brummte der andere. „Das ist verdächtig. Das Zentralkomitee ist sich selbst Polizei genug; wir brauchen keine Enthüllungen von anderer Seite.“

„Entschuldige, Trobjenski“, mischte sich sein Nachbar zur Linken ein, der möglicherweise ein Professor oder zumindest ein Privatdozent an einer Universität war, weil er sich so gewählt ausdrückte, „die gnädige Frau – wer immer sie auch sein mag – ist gewiss sehr gut über unsere Belange informiert. Das sollte uns genügen, die Botschaft, die sie uns bringt, anzunehmen; sie könnte von gewissem Interesse sein.“

„Ich bin nicht Ihrer Meinung“, entgegnete der Mann an der Stirnseite des Kalmücken. „Ich werde also ihren Brief lesen, weil du es wünschst, Bruder, aber in der Zwischenzeit soll sie, ob sie nun will oder nicht, ihren Namen und ihre Titel nennen. Sie soll uns auch sagen, weshalb sie sich für uns interessiert und was sie für den Dienst, den sie uns erweist, im Gegenzug erwartet.“

Die unverschleierte Dame entgegnete mit schwacher Stimme, so dass man sie kaum verstand: „Meine Herren, ich appelliere an Ihre Ritterlichkeit. Ich gebe zu, dass mein Auftrag, der sich ganz spontan ergeben hat, vielleicht Ihren Argwohn erregen und mich in Ihren Augen verdächtig machen könnte. Doch wie ich schon Herrn Ruskowitsch gesagt habe, ist es mir vollkommen unmöglich, Ihre begreifliche Neugier zu befriedigen, indem ich Ihnen meinen Namen mitteile und erkläre, welche Veranlassung ich hatte, zu gehorchen und Ihnen diesen Brief zu überbringen. Natürlich können Sie mit mir machen, was Sie wollen, ich bin in Ihrer absoluten Gewalt, aber bedenken Sie bitte: Wenn ich hier bei Ihnen bin, dann ist es deshalb, weil ich Ihnen behilflich sein will.“

„Gut, gut!“, brummte Trobjenski. „Den Brief!“

„Dann nehmen Sie also meine Bedingung an?“, fragte die Unbekannte erneut und wandte sich mehr an die Umstehenden als an den Chef der Nihilisten.

„Nun ist es aber gut!“, rief Trobjenski.

„Ich halte also fest“, beharrte die Unbekannte. „Im Austausch gegen diesen Brief zu Ihrem Wohl verpflichten Sie, meine Herren, sich lediglich dazu, mich weder nach meinem Namen zu fragen, noch den Versuch zu unternehmen, mein Inkognito zu lüften.“

„Wie oft wollen Sie denn das, was ohnehin klar ist, noch wiederholen?“, knurrte der Anführer des Komitees. „Sie haben unser Wort, genügt Ihnen das nicht?“

„Doch, mein Herr“, seufzte die Frau und klang unendlich erleichtert. „Danke! Hier ist der Brief! Und jetzt lassen Sie mich bitte wieder gehen.“

Trobjenski ergriff den Brief, den ihm die Unbekannte entgegenhielt; doch als sie sich erhob, um den Raum zu verlassen, legte sich auf ein eindeutiges Zeichen des Anführers eine eiserne Faust, die riesige Pranke Ruskowitschs, auf ihre Schulter und zwang sie, sich wieder zu setzen.

„Einen Augenblick!“, reif Trobjenski mit Sarkasmus. „Wir werden unser Versprechen halten ... falls der Brief auch sein Versprechen hält. Zug um Zug!“

„Wie?“, stammelte die Frau entsetzt. „Haben Sie mir nicht versprochen ...?“

Wildes Gelächter unterbrach sie. „Was? Sind wir denn Verrückte? Wer sagt uns denn, dass Sie nicht von der Polizei sind? Bei der Unverfrorenheit, mit der Sie vorgehen?“

„Mein Gott!“, schluchzte die Frau und drehte verzweifelt ihre Arme hin und her. „Mein Gott, ich bin verloren.“

„Noch nicht, gnädige Frau!“, mischte sich die schöne tiefe und sanfte Stimme des Nachbarn von Trobjenski wieder ein. „Das, was man Ihren versprochen hat, wird man auch halten. Beruhigen Sie sich.“

Diese Worte entfachten die Wut des Terroristenchefs erst recht. Zornbebend wandte er sich an seinen Nachbarn. „Ach was! Was nimmst du dir heraus, Tschergin? Bei Gott, hast du hier das entscheidende Wort zu sprechen? Bin ich etwa nicht mehr euer Chef?“

Tschergin antwortete in aller Ruhe: „Du bist der Chef – solange du uns vertrittst, Trobjenski, solange deine Worte und Handlungen Ausdruck unseres Kollektivbewusstseins sind. Aber in diesem Moment erkennen wir das bei dir nicht: Du handelst gegenüber dieser Frau genauso wie die Tyrannen, gegen die wir kämpfen wollen. Du hast auch nicht mehr Vertrauen als jene. Lohnt sich unter diesem Aspekt überhaupt die Mühe, einen neuen Führer gewählt zu haben?“

„Ich handle nach bestem Gewissen im Sinne dieser Angelegenheit“, erwiderte Trobjenski. „Autorität ist unmöglich, wenn jeder glaubt, dass er mein Handeln bewerten und darüber diskutieren darf.“

„Es ging doch nur darum, dass du dein Wort hältst“, warf Tschergin ein. „Das hast du von uns ja auch verlangt. Falls es dir aber besser gefällt, gegen deine Pflichten zu verstoßen, befreie dich doch einfach von ihnen. Du wirst nur leiden, falls wir mehr Skrupel haben sollten! Genossen, diejenigen von euch, die auch so denken wie ich, mögen sich erheben; die Mehrheit soll entscheiden, ob ich Recht oder Unrecht habe.“

Bei diesen Worten Tschergins verließen alle Revolutionäre – außer Trobjenski und einem gewissen Kartarow – ihre Plätze und gruppierten sich um den ritterlichen Terroristen, sogar der wilde Ruskowitsch.

Trobjenski war blass geworden und bebte vor Zorn. Seine Augen sprühten Blitze. Mit einer gewaltigen Anstrengung schaffte er es aber, sich zu beherrschen. Schließlich heuchelte er Einsicht und Nachgiebigkeit und erklärte: „Sehr gut, ich sehe, wie die Sache steht, meine Brüder. Ich besitze nicht mehr euer Vertrauen, und unter diesen Umständen bleibt mir nichts weiter übrig, als mein Amt niederzulegen.“

„Wer hat denn von Rücktritt gesprochen?“, fragte Tschergin ruhig.

„Spiel nicht das Unschuldslamm, Tschergin! Du wolltest meinen Platz: Nun, du kannst ihn einnehmen.“

„Ich will deinen Platz nicht, Trobjenski. Ich habe mich nur darauf beschränkt, dich an eine etwas vernünftigere Einschätzung deiner Verantwortung und deiner Aufgaben zu erinnern. Das war mein gutes Recht. Falls du wirklich davon überzeugt bist, dass uns Gefahr drohen könnte, wenn wir die Enthüllungen dieser Dame erfahren, brauchst du ja deshalb nicht alle von uns verpflichten, unser Wort zu halten, oder du tust es gar nicht, sobald du unseren Rat gehört hast. Ich wäre übrigens der Erste gewesen, der sich einer Mehrheitsentscheidung gebeugt hätte.“

Trobjenski schien gute Miene zum bösen Spiel zu machen. „Nun, so sei es!“, sagte er großzügig. „Ich muss zugeben, dass du Recht hast, Tschergin. Wir wollen es nicht unseren Despoten nachmachen, das könnte uns teuer zu stehen kommen. Diese Frau soll also dahin gehen, wo sie hergekommen ist. Willst du sie – zu unserer größeren Sicherheit – selbst zu ihrer Troika bringen, Tschergin?“

„Das mache ich gern“, sagte der Gefragte, ging der Unbekannten voraus und schritt dann mit ihr durch eine verborgene Passage auf die Straße hinaus.

1Lammfellmütze

2Die Kalmücken (auch Kalmüken oder Kalmyken geschrieben) sind ein westmongolisches Volk.

Tschergins Galanterie wird verständlich

Tschergin und die verschleierte Dame erreichten sehr schnell den Dwotsory-Kai und begaben sich dann unverzüglich – entlang des Ufers der Newa – zur Alexanderbrücke.

Während des ganzen Weges hatten die beiden kein einziges Wort miteinander gewechselt, aber in dem Augenblick, als sich die Unbekannte von ihrem Beschützer verabschieden sollte, weil der Schlitten angehalten hatte, ergriff sie Tschergins Hand.

„Mein Herr“, sagte sie bewegt. „Ich verdanke Ihnen mein Leben und – was ganz besonders zählt – meine Ehre. Das werde ich nie vergessen.“

„Ich habe nur meine Pflicht getan“, entgegnete der Nihilist einfach. „Sie sind mir keinen Dank schuldig, gnädige Frau. Und über das, was Sie wissen, will ich nichts hören. Aber wenn Sie zu mir Vertrauen haben, dann bitte ich Sie, mir jetzt – da Sie sich nicht mehr in Gefahr befinden – zu bestätigen, dass dieser Brief nicht von der Polizei kommt und dass Sie ihn uns tatsächlich nur aus Interesse an der Sache überbracht haben.“

„Das schwöre ich Ihnen, mein Herr“, antwortete die verschleierte Dame und ihr Ton klang absolut ehrlich. „Und ich gehe noch weiter, wenn Sie mir versprechen, dass Sie mein Geheimnis nicht verraten. Auch wäre es gut, wenn es jemanden im Komitee gäbe, der die Richtigkeit der in dem Brief mitgeteilten Fakten, den ich Ihren Freunden gab, nicht bezweifelte. Er sollte darauf achten, dass sie ihn ganz besonders wichtig nehmen, wenn sie nicht wollen, dass sie alle in kürzester Zeit verloren sind.“

„Gnädige Frau“, sagte Tschergin, „ich will dieser Jemand sein, wenn Sie wollen. Sie können mir vertrauen und bei meiner Ehre schwöre ich Ihnen meinerseits, dass Sie es nicht bereuen werden, denn ich werde Ihr Geheimnis treu bewahren.“

„Sind Sie gezwungen, zu Michail Nagudljekow zurückzukehren, mein Herr?“

„Nicht, wenn Sie reden müssen. Doch, wenn das nicht der Fall ist. Denn das Wenige, das Sie mir gesagt haben, hat lebhaft mein Interesse erregt und zwingt mich, schnellstmöglich an der Beratung der Mitglieder des Komitees teilzunehmen.“

„Aber werden Ihre Kollegen, wenn sich Ihre Abwesenheit in die Länge zieht, das nicht als verdächtig interpretieren?“

„Ich werde schon eine Entschuldigung finden, gnädige Frau. Wir sind zu Listen gezwungen und müssen viele Umwege machen, damit wir die Polizei in die Irre führen können. Sehen Sie“, fügte Tschergin hinzu und zeigte auf die Alexanderbrücke. „Wenn man vom Teufel spricht ...“ Von dort näherte sich ein Trupp Kosaken.

„Mein Gott!“, stammelte die Frau. „Schnell, mein Herr! Springen Sie auf meine Troika und lassen Sie uns losfahren! Ich werde Ihnen während der Fahrt alles erklären. Um nichts in der Welt sollten wir die Aufmerksamkeit dieser Leute erregen.“

Tschergin und sein Schützling kletterten in den Schlitten und Iwanowitsch lenkte das Gefährt in die Richtung des Newski-Prospekts. Der Schnee dämpfte das Trabgeräusch der Pferde, zudem waren die Glöckchen aus Vorsicht weggenommen worden.

Als die Kosaken die Troika bemerkten, waren sie bereits weit entfernt. Die Unbekannte, die sich inzwischen wieder beruhigt hatte, begann nun, ihre Geschichte zu erzählen.

Tschergin hörte ihr mit größer Aufmerksamkeit zu, war jedoch nicht sonderlich überrascht. Er bemühte sich dabei, sie nicht zu unterbrechen. Erst als sie fertig war, sagte er: „Jetzt verstehe ich alles, gnädige Frau. Das Motiv, dem Sie gehorcht haben und das dieses Vorgehen ausgelöst hat, findet nicht gerade meine Billigung. Dennoch werde ich meinen Eid bezüglich Ihrer Enthüllungen halten. So außergewöhnlich und unglaubwürdig sie auch sind, so hatte ich selbst schon einen entsprechenden Verdacht gegen die beiden verräterischen Brüder, von denen in dem Brief die Rede ist, den Sie dem Komitee überbracht haben. Es ist wirklich wichtig, dass das Komitee gar nichts verändert; ich werde hierfür mein Bestes tun. Ich danke Ihnen, gnädige Frau, und versichere Ihnen ein letztes Mal meine absolute Diskretion.“

Mit diesen Worten verabschiedete sich Tschergin von der verschleierten Dame, deren Schlitten an der Ecke einer einsamen Straße angehalten hatte. Nach einem kräftigen Hieb mit der Peitsche entfernte sich das Gefährt schnell.

Tschergin machte kehrt in die Richtung des Newski-Prospekts, nicht ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass er von niemandem beobachtet wurde.

Einige Minuten später klopfte er an die Tür einer kleinen Villa in dieser berühmten Straße. Die Tür wurde geöffnet und er stand einem jungen Mann gegenüber, in dem die Leser unserer vorausgegangenen Geschichten zweifellos sofort Rudolf, den Lieblingsschüler Sâr Dubnotals, erkennen dürften.

„Sie sind es, Meister? Schon?“, fragte er überrascht.

„Nenn mich nicht so!“, rief Sâr Dubnotal lebhaft – denn er war es wirklich – und schloss die Tür. „Du weißt, dass ich hier in St. Petersburg Herr Petropowski bin, ein reicher polnischer Industrieller aus Warschau, der zu Besuch in der Hauptstadt ist und dessen Neffe du bist.“

„Oh!“, lächelte Rudolf. „Wir sind allein und haben nichts zu befürchten.“

„Zweifellos“, entgegnete Sâr Dubnotal, „aber es ist mir zur Gewohnheit geworden. Wenn es bei dir nicht so ist, wirst du noch einmal von Fremden abgestochen. Wir wollen vorsichtig sein, lieber Neffe, sogar doppelt vorsichtig. Denn hier bin ich Petropowski, heiße aber anderswo Tschergin. Es wäre sehr bedauerlich, wenn du die beiden Namen durcheinanderbringen würdest.“

Nach diesem Hinweis begab sich Sâr Dubnotal alias Tschergin alias Petropowski in seine Privatappartements. Dabei erzählte er Rudolf, der ihm folgte, in wenigen Worten die Ereignisse des Abends.

„So haben Sie sich jetzt vollständig auf jenen Mann konzentriert, den Sie versprochen haben, zu entlarven?“

„Vollständig ist zu viel gesagt“, erwiderte der Psychagoge. „Dieser Mann ist, wie du weißt, übrigens nicht der erste Ankömmling. Seine Fähigkeiten grenzen ans Wunderbare; seine schamlose Frechheit und sein außergewöhnliches Glück finden nirgendwo ihresgleichen. Ich wäre überhaupt nicht erstaunt, wenn er gekommen wäre, um sich vor seinen Gefährten trotz allem zu entschuldigen und alles auf einen anderen der gegen ihn erhobenen Anklagepunkte abzuwälzen.“

„Das ist gut möglich nach alldem. Azzef ist ein Meister in der Kunst der Täuschung seiner Mitmenschen. Aber sind Sie sich wirklich sicher, dass Trobjenski und Azzef ein und dieselbe Person sind?“

„In dieser Hinsicht habe ich keinerlei Zweifel, lieber Neffe. Erinnerst du dich noch daran, als ich im letzten Frühling Fräulein Olga Polukina befreit habe, die Tochter des Direktors der Politischen Polizei Russlands?“

„Ich weiß es noch genau, lieber Onkel. Es war in London. Das junge Mädchen ist damals auf geheimnisvolle Weise verschwunden und die übrigens berechtigten Befürchtungen der Eltern waren ebenso groß als verzweifelt, dass sie in die Hände von Anarchisten gefallen sein könnte. Alle Detektive von Scotland Yard wurden mobilisiert, zusätzlich schaltete Polukin den berühmten Moskauer Polizisten Raskin ein. Vergebliche Mühe! Die Nachforschungen Raskins sowie Scotland Yards scheiterten kläglich.“

„Der entscheidende Grund war, dass Raskin und ein Teil der Nihilisten, die ihn unter dem Namen Trobjenski, aber auch unter seinem wahren Namen Azzef kannten, gemeinsame Sache machten, wie du weißt. Er war es nämlich vor allem, der den Entführungsplan entworfen und ausgeführt hatte. Und er hatte nicht vor, Olga ohne Weiteres ihrem unglücklichen Vater zurückzugeben, bevor dieser nicht selbst erschiene. Kurz gesagt, ich konnte die Spur der Entführten entdecken und Olga wieder zu ihren Eltern zurückbringen.“

„Unglücklicherweise hat Polukin, dem Sie Azzef als Verräter bezeichnet haben, Ihnen nicht glauben wollen. Und Azzef alias Raskin konnte weiter Untaten begehen.“

„Er wird sie nicht ewig weiter begehen“, stieß Sâr Dubnotal entschlossen hervor. „Ich wenigstens werde ihn daran hindern, selbst wenn ich die unvorstellbarsten Tricks anwenden müsste. Schließlich habe ich mich erfolgreich unter dem Decknamen Tschergin in nihilistischen Kreisen eingeschlichen und dort einen nicht unerheblichen Einfluss gewonnen. Von daher bin ich fest entschlossen, die Schurkereien dieses doppelten Verräters durch einen äußerst gefährlichen Hypnotiseur zu beenden.“

„Befürchten Sie nicht, dass er Sie erkennen könnte?“, fragte Rudolf, nicht ganz ohne Angst. „In Paris hatten Sie ja schon Schwierigkeiten mit ihm. Als wir ihn auf Ihre Anordnung hin festgenommen und an einem sicheren Ort eingesperrt hatten, habe ich den unverzeihlichen Fehler begangen, ihn entfliehen zu lassen. Und Sie hatten den komischen Einfall, verkleidet zu einem geheimen Treffen der Anarchisten zu gehen. Alles hätte geklappt, wenn nicht Azzef unerwartet aufgetaucht wäre und sich zu erkennen gegeben hätte. Die Anarchisten verurteilten Sie als Spitzel unverzüglich zum Tode. Sie wurden gefesselt und an eine Bank gebunden. Eine Bombe, die man neben Ihnen platzierte, sollte zu einem bestimmten Zeitpunkt explodieren und Sie zerfetzen. Die Bombe explodierte tatsächlich und ich frage mich bis heute, wie Sie es geschafft haben, der Katastrophe zu entgehen.“

„Ich habe dir doch schon gesagt, dass ich mich freiwillig gefangen nehmen ließ und dass es mir problemlos gelungen ist, wieder zu fliehen, weil ich mir das Priestergewand eines bei dem vorausgegangenen Krawall getöteten Nihilisten angezogen hatte. Dies hat mir auch ermöglicht, danach weiterhin für einen Nihilisten gehalten zu werden. Zu diesem Zweck musste ich mich lediglich der Papiere bemächtigen, die ich bei dem getöteten Nihilisten gefunden hatte. Er war demnach ein Privatdozent der Universität Moskau gewesen, der Tschergin geheißen hatte. Dann musste ich mich so maskieren, dass ich ihm weitgehend ähnlich sah, und der Rest erledigte sich praktisch von selbst. Den Mitgliedern des Zentralkomitees, die geglaubt hatten, Tschergin sei tot, erzählte ich später, dass ich lediglich bewusstlos gewesen sei. Als ich vor der Bombenexplosion, bei der der Spitzel umkommen sollte, wieder zu mir gekommen sei, hätte ich mich nach draußen geschleppt und sei deshalb einem schrecklichen Ende entgangen.“

„Die Fabel ist gelungen, weil sie gut ausgegangen ist“, sagte Rudolf. „Sie haben jedoch noch nicht die Gelegenheit gefunden, die Sie suchten, um Azzef in die Enge zu treiben und zu bestrafen.“