The Beauty in the Shallows - Vanessa Hußmann - E-Book

The Beauty in the Shallows E-Book

Vanessa Hußmann

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Beschreibung

Hailey und Robin. Zwei sehr unterschiedliche Menschen und der gemeinsame Wunsch nach Freiheit. Ein New Adult-Roman über Träume, Rückschläge und Neuanfänge  »Mit der Sonne im Rücken machte ich mich wieder auf den Weg, jeden Moment voll und ganz auszukosten, der mir geboten wurde. Denn das war es, was wir im Leben tun sollten.«  Als Hailey eines kalten Novemberabends den Obdachlosen Robin von der Straße mit zu sich in den Van nimmt, verändert sich alles in ihrem Leben. Durch ihn gewinnt sie wieder die nötige Leidenschaft für ihr Fotografie-Studium und die Motivation, es endlich zu beenden. Zu blöd nur, dass sich ihr Dozent plötzlich quer stellt, für den sie seit Monaten tiefere Gefühle hegt …

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© Piper Verlag GmbH, München 2021

Redaktion: Cornelia Franke

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Annika Hanke

Covermotiv: Bilder unter Lizenzierung von Shutterstock.com genutzt

Alle Rechte vorbehalten. Unbefugte Nutzungen, wie etwa Vervielfältigung, Verbreitung, Speicherung oder Übertragung können zivil- oder strafrechtlich verfolgt werden.

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Triggerwarnung

Playlist

Widmung

TEIL 1

-PROLOG-

-1-

-2-

-3-

-4-

-5-

-6-

-7-

-8-

-9-

-10-

-11-

-12-

-13-

-14-

-15-

TEIL 2

-16-

-17-

-18-

-19-

-20-

-21-

-22-

-23-

-24-

-25-

-26-

-27-

-28-

-29-

-30-

TEIL 3

-31-

-32-

-33-

-34-

-35-

-36-

-37-

-38-

-EPILOG-

Danksagung

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Triggerwarnung

Lieber Leser*innen,

dieses Buch enthält potenzielle triggernde Inhalte bezüglich Suchtverhalten und Depressionen.

Ich wünsche euch das bestmögliche Leseerlebnis.

Eure Vanessa

Playlist

Bon Iver – Holocene

Taylor Swift – This is me trying

Local Natives – Mt. Washington

Calum Scott – Dancing on my own

James Bay – Let it go

Gavin James – Always

BANNERS – Half light

BTS – Blue & Grey

Marianas Trench – Beside you

Jimmy Eat World – 23

Halsey – Gasoline

Imagine Dragons – Walking the wire

Kelly Clarkson – Breakaway

Black Match – Won’t let go

Novo Amor – Sleepless

Für alle, die sich manchmal ein bisschen verloren fühlen.

TEIL 1

»Ich bin mir sicher, dass du großartig sein kannst, wenn du aufhörst, dir selbst im Weg zu stehen.«

-PROLOG-

HAILEY

Man sollte meinen, dass das gleichmäßige Piepen der Beatmungsmaschine irgendwann zur Gewohnheit wurde. Stattdessen machte es mich jedes Mal nervös, wenn ich auf die geschlossenen Lider meines Zwillingsbruders Cory starrte. Ich hatte so unendlich viele Fragen.

Seit zehn Wochen kam ich jeden Tag ins Krankenhaus, betete dafür, dass sich sein Zustand endlich veränderte, aber ich saß Tag ein, Tag aus neben seinem Bett und führte Selbstgespräche.

Einerseits war es frustrierend, die Gefühle und Gedanken für mich zu behalten. Anderseits wollte ich mit meiner Familie nicht darüber sprechen, denn es führte zu nichts. Mom war ohnehin mit den Nerven am Ende und Dad war mit der Situation überfordert.

Cory, der eigentlich bei den Marines in Syrien stationiert gewesen war und für den wir jeden Tag gebetet hatten, dass er lebend nach Hause kam, war vor Monaten schon entlassen worden. Angeblich unehrenhaftes Verhalten, doch nur Cory konnte uns verraten, warum er es nicht für nötig gehalten hatte, mit uns darüber zu sprechen. Aber Stopp … Das ging ja nicht, weil er seit zehn Wochen aufgrund eines Unfalls bei einem illegalen Autorennen im Koma lag und die Ärzte nicht sagen konnten, wie sein Zustand sein würde, wenn er wieder zu sich kam. Wenn überhaupt …

Ich ballte die Hände zu Fäusten und schluckte die aufkeimende Wut herunter. »Was hast du dir nur dabei gedacht?«

Ich versank tiefer in den Stuhl und rieb mir den Nacken, der von der unbequemen Haltung schmerzte.

Eigentlich war es längst Zeit, zurück zum Campus zu gehen, weil die nächste Vorlesung in einer halben Stunde anfing, doch ich brachte keine Motivation auf. Dieses Krankenzimmer war der einzige Ort, an dem ich vor meiner eigenen Lage entfliehen konnte. Meine Eltern waren zu beschäftigt mit Cory, als sich um mich und mein Studium zu sorgen, das ich dabei war, in den Sand zu setzen. Oder vielmehr: schon komplett versaut hatte.

Selbst nachdem ich vor ein paar Wochen meine geliebte Kamera bei einem verzweifelten Wutausbruch zerstört hatte, kam die Kreativität nicht zurück. Dabei hatte ich es mir dadurch erhofft – ich wollte mich lossagen von Erinnerungen, die mir Magenschmerzen bereiteten und mich nicht schlafen ließen.

Doch die Leere in mir war geblieben. Ich fühlte rein gar nichts, wenn ich versuchte, dass Leben für einen Moment zum Stillstand zu bringen und Augenblicke einzufangen, die bedeutsam waren.

Anstatt die Welt in bunten Farben zu sehen, waren nur Nuancen von Blau und Grau übriggeblieben. Keine Magie, kein Zauber. Nichts. Auch nicht mit einer neuen Kamera.

Nur bei Cory fühlte ich noch etwas: Wut, Verzweiflung und vor allem Hilflosigkeit.

Ich seufzte und richtete den Blick auf den Fernseher, der an der Wand hing. Es lief eine Schlagzeile über den berühmten Autor Robin Yoon, der mit sechsundzwanzig Jahren bereits alles erreicht hatte, was sich ein Schriftsteller wünschte. Seine Romane hatten sich weltweit etliche Male verkauft, dennoch hatte er sein Vermögen in Las Vegas verzockt.

Auch wenn ich ihn nicht persönlich kannte, tat es weh, seinen Absturz so mitzuverfolgen.

Ich seufzte und schaltete den Bildschirm aus. Robin Yoon war mein Lieblingsautor, ich bewunderte seine poetische Sprache und seine Gabe, wie er mit Worten umging.

»Oh Mann …«, sagte ich geknickt zu mir selbst. »Alles geht den Bach runter.«

Zufälligerweise hatte ich ein Buch von ihm in meiner Tasche und zog es mit Bedacht heraus. Die Seiten waren teilweise eingerissen, überall hatte ich Textstellen markiert, die mich emotional berührten und egal, wie oft ich es las, es wurde nie langweilig. Sein Roman Gegen den Sturm war jedes Mal, wie nach Hause zu kommen.

Leise fing ich an, Cory aus dem Buch vorzulesen, und hoffte, dass er mich im Unterbewusstsein hörte. Vielleicht heilten die Worte des Autors ihn genauso wie mich, wenn ich es dringend brauchte.

Wobei.

In letzter Zeit gab es nichts und niemanden, der in der Lage gewesen war, meine Wunden zu heilen.

-1-

HAILEY

Es war einer dieser Tage, an denen ich morgens schon wusste, dass er scheiße werden würde. Blöd, dass es in den letzten Monaten nur solche Tage gegeben hatte und ich mich mittlerweile fragte, ob es jemals wieder anders sein würde.

Es war Anfang November, seit Tagen schneite es und die Heizung in meinem Van war ausgefallen. Nichts, was ich nicht repariert bekam, aber es war jedes Mal wie ein Schlag in die Magengrube, wenn unerwartete Dinge passierten. Manchmal kam es mir so vor, als würden mir diese Momente einen Spiegel vor die Nase halten und zeigen, was alles in meinem Leben schief ging.

Vor zwei Jahren hatte ich den alten VW T1 Bulli verhältnismäßig günstig auf eBay gefunden und er war seither wie mein Baby. Mit Nebenjobs in einem der Campus-Cafés und verschiedenen Fotoaufträgen hatte ich mir die Umbauten finanziert und zudem immer wieder Geld angespart. Ich hatte aufgehört zu zählen, auf wie vielen Hochzeiten ich fotografiert hatte, aber es waren etliche gewesen. Aufgrund des Vollstipendiums musste ich mir glücklicherweise keine Sorgen darum machen, einen Studienkredit abzustottern.

Nach dem Kauf des Bullis hatte es oft Streit mit meinen Eltern gegeben, weil sie nicht nachvollziehen konnten, was ich mit dieser Anschaffung vorhatte. Ich liebte Mom und Dad, ohne Frage. Aber für unsere Beziehung war es besser, wenn wir auf Abstand blieben, um so Konfrontationen aus dem Weg zu gehen.

Daher verbrachte ich die meiste Zeit in meinem Van, baute ihn nach und nach um, um mir nach dem College meinen Traum zu erfüllen, einmal quer durch die USA zu reisen. Ich sehnte mich nach Landschaftsaufnahmen, die den Menschen den Atem raubten. Die Sehnsucht auslösten. Die zeigten, wie wunderschön unser Planet war und wir dabei waren, ihn zu zerstören, wenn wir nichts änderten. Ich wollte mit meinen Bildern etwas verändern.

Doch nichts davon passierte.

Mittlerweile glaubte ich fest daran, dass ich nicht das Zeug dazu hatte, genau diese Art von Fotografin zu sein. Der Gedanke führte so weit, dass ich sogar mein Studium abbrechen wollte, obwohl nur noch meine Abschlussarbeit fehlte.

Ich fröstelte, zog mir einen dickeren Pullover über und stopfte meine Turnschuhe in die Tasche. Vor der ersten Vorlesung stand das tägliche Cheerleading-Training auf dem Plan. Die meisten verdrehten die Augen, wenn sie an Cheerleading dachten, nahmen es nicht ernst. Die vielen blauen Flecken, die Gefahren, falsch aufzukommen und sich nach einem Sprung zu verletzten – daran dachte niemand.

Oftmals wurden wir dafür belächelt, sollten möglichst hübsch und niedlich aussehen, um in Halbzeit-Pausen bei Sportereignissen das Publikum bei Laune zu halten. Es war ermüdend, sich die Rolle als Profisportler immer aufs Neue erkämpfen zu müssen, obwohl wir bei nationalen Meisterschaften antraten. Ich hasste es, als Klischee abgestempelt zu werden.

Mit grimmiger Miene schulterte ich meine Sporttasche, schlüpfte in meine Schuhe und überlegte gleichzeitig, wie ich das Heizungsproblem in den Griff bekam.

Kaum hatte ich einen Fuß nach draußen gesetzt, hätte ich mich am liebsten wieder in den Van zurückgezogen. Ein eisiger Wind pfiff mir um die Ohren und die Kälte schnitt sich in meine Wangen. Aua.

Ich wickelte den Schal neu, verdeckte damit größtenteils mein Gesicht und machte mich auf dem Weg zum Campus. Vom Stellplatz aus waren es nur zehn Minuten Fußweg, die sich bei der Kälte wie ein Höllenmarsch anfühlten.

Gleichzeitig breiteten die Magenschmerzen sich mit jedem weiteren Schritt aus. Mein Körper kämpfte gegen mich, um zu verhindern, dass ich auf ihn traf.

Ruckartig blieb ich stehen, ballte die Hände zu Fäusten und vertrieb jeden Gedanken daran. Ich hatte es mir verboten, um mich selbst zu schützen. Um mein Herz davor zu bewahren, weiter zu zersplittern.

Tränen stiegen mir in die Augen, ich redete mir ein, dass die Schuld am Wind lag, nicht bei meinen Gefühlen. Jene, die mich nachts wach hielten, kaum atmen ließen und mir unmissverständlich klarmachten, dass Liebe etwas war, worauf ich in Zukunft verzichtete.

Ohnehin war ich jemand, der lieber alleine war. Ich brauchte nicht ständig den Trubel um mich herum, war glücklich, wenn ich nach einem harten Training oder endlosen Vorlesungen im Bett lag und meine Traumreise plante. Netflix stand auch ganz oben auf der Liste sowie YouTube und die Bücher von Robin Yoon.

Ich kam als Letzte in die Sporthalle und wurde dafür mit einem bösen Blick von Coach Jill Harlow bestraft. Sie hasste Unpünktlichkeit und ordnete deshalb gleich ein härteres Aufwärmtraining für mich an, während sie mit dem Rest des Teams die neue Choreografie durchging.

In zwei Wochen stand der erste Wettbewerb für diese Saison an. Unser Ziel war es, nächstes Jahr in Daytona die Meisterschaft zu gewinnen und dafür würde jeder hier alles geben. Das Training und der Ehrgeiz waren das Einzige, was mich überhaupt noch am College hielt. Die Black Wings waren für mich wie eine Familie, die ich nicht im Stich lassen wollte. Auch, wenn ich kaum jemanden an mich heranließ, kannten sie mich besser als die meisten.

Nach ein paar extra Strafrunden, stellte ich mich neben Yasmina Aino, die für ihre berüchtigten Tumblings im Team hoch angesehen war. Coach Harlow musste sie oftmals davon abhalten, irgendwelche waghalsigen Sprünge zu probieren.

Yasmina knuffte mir in die Seite, als gerade niemand hinsah, und grinste schief. »Du bist nie zu spät. Gibt es dafür einen Grund?« Sie wackelte mit den Augenbrauen und band sich ihr schwarzes Haar neu zu einem Zopf zusammen.

»Ich habe getrödelt«, antwortete ich schlicht. »Außerdem warte ich gefühlt jede Minute darauf, dass jemand aus dem Krankenhaus anruft.«

Sofort verschwand das Grinsen aus Yasminas Gesicht und ihre sonst so weichen Züge wurden ernst.

»Du solltest zu ihm«, sagte ich vorsichtig. »Er wird wissen, dass du ihn besuchst.«

»Ich kann nicht, Hailey. Wenn ich ihn da so liegen sehe, dann denke ich an die letzten Worte, die ich zu ihm gesagt habe und … Tut mir leid.«

Verdächtig blinzelte sie, aber ich bekam keine Gelegenheit, ihr zu antworten, denn Coach Harlow gab uns die Anweisung, jegliche Gespräche einzustellen. Das Team musste all die Konzentration auf die Choreografie legen, um nicht sich selbst und die anderen zu gefährden.

Ich schloss kurz die Augen, schüttelte die Sorgen um meinen Bruder für die nächste Stunde ab und schlüpfte in die Rolle der Cheerleaderin. Ich liebte das Kribbeln und das Adrenalin, wenn ich als Flyer in die Luft geschmissen wurde. In diesen wenigen Sekunden kannte ich keine Angst, keine Einsamkeit, kannte nicht das Gefühl, keinen Platz auf der Welt zu haben. Denn in diesen Momenten war ich genau ich selbst.

Frei und unabhängig.

Nach dem Training sprang ich schnell unter die Dusche, machte mich anschließend fertig und wappnete mich seelisch auf den bevorstehenden Tag. Das Winters Bay College war nicht nur für seine sportlichen Erfolge bekannt, sondern auch für den wunderschönen Campus, dessen Jahrhunderte alte Bäume gerade im Frühling und Herbst atemberaubend waren.

Da ich keinen Schnee mochte, fühlte ich mich in den Wintermonaten allerdings verloren. Noch mehr als ohnehin schon. So oft hatte ich in letzter Zeit darüber nachgedacht, das Studium abzubrechen. Nur wäre dann alles umsonst gewesen. Vor allem die vielen Tränen der vergangenen Monate. Hätte ich doch bloß nie …

Mir fehlte plötzlich die Luft zum Atmen, als ich genau auf die Person traf, der ich so krampfhaft aus dem Weg ging. Eilig drehte ich mich um, versuchte, die Begegnung im letzten Moment zu vermeiden, doch Jake rief bereits meinen Namen.

»Hailey!«

Sein vertrauter Geruch bereitete mir eine Gänsehaut und ich benötigte einen Augenblick, bevor ich mich zu ihm umdrehte. Ich presste die Lippen fest zusammen, um meine Gefühle für mich zu behalten.

»Wann hörst du endlich auf, mir aus dem Weg zu gehen?«

Mit einem kurzen Blick überprüfte Jake die Umgebung, bevor er sicher war, dass niemand uns beobachtete, und trat einen Schritt vor. Sein Zeigefinger streifte sanft meine Wange, als er mir eine Strähne hinter das Ohr steckte.

»Du fehlst mir, Hailey. Das meine ich ernst.«

Ich verdrehte die Augen. Die Vernunft schrie mich lauthals an, Abstand von meinem Dozenten zu nehmen. Mein Herz allerdings … Es schlug mir bis zum Hals, verdeutlichte mir nur allzu gut, dass es am Leben war.

Dass ich am Leben war und meine Gefühle nicht verschwanden. Es war zwecklos, ich war so verliebt in diesen Mann, in meinen Dozenten, und alles daran war so falsch, dass mich alleine diese Tatsache abschrecken sollte. Jake wusste das. Mittlerweile kannte ich seine Spielchen und dennoch ließ ich mich immer wieder von ihm um den Finger wickeln.

So wie jetzt.

Ich war machtlos gegen sein Lächeln, das die Schmetterlinge in mir zum Tanzen brachte, obwohl all ihre Flügel gebrochen waren.

»Bitte glaub mir. Du fehlst mir, wenn ich dich nicht in meinem Kurs sitzen sehe.«

Ich kämpfte gegen die Tränen an, wandte meinen Blick ab. Seine Worte durften mich nicht so berühren. »Mr Dawson, ich bitte Sie …« Mit Mühe brachte ich die Worte hervor und es kostete mich all meine Kraft, sie so deutlich auszusprechen.

Jake zuckte zusammen, als ich ihn formell ansprach, und wirkte verletzt darüber. Er ließ die Hand sinken, streichelte mir dabei ein letztes Mal über die Wange und die Stelle brannte, weil ich mich nach mehr sehnte.

»Ich glaube, es wird Zeit, dass wir uns über ein paar Dinge unterhalten«, meinte er mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Und ich finde, du schuldest du mir diese Möglichkeit. Seit dem Abend bei mir …«

Bevor er weitersprach, unterbrach ich ihn hastig und nickte schließlich. »Ist gut. Ich sehe, wann ich Zeit finde, und melde mich.«

Als Jake sich umdrehte und endlich aus meinem Sichtfeld verschwand, hielt ich einige Sekunden den Atem an. Wann schaffte ich es bloß, von ihm loszukommen?

-2-

HAILEY

Ich hielt es den Vormittag über in den Vorlesungen aus, doch je näher der Kurs mit Jake rückte, desto nervöser wurde ich. Seit Wochen mied ich diesen, so gut es ging, traurig, dass es mich kaum mehr interessierte, dass die Note wichtig für meine Credits war.

Meine Kreativität würde sowieso nicht zurückkommen.

Frustriert holte ich Luft, ließ die Schultern hängen und anstatt mich auf dem Weg zum Fotografie-Kurs zu machen, verließ ich den Campus fluchtartig. Auf dem Weg zu meinem Van fing es wieder an zu schneien und mir fiel ein, dass ich mich dringend um die Heizung kümmern musste, wenn ich in den kommenden Nächten nicht erfrieren wollte. Da ich für heute die restlichen Kurse schwänzte, hatte ich somit genug Zeit, den Van im Hellen zu reparieren. Also hatte es etwas Gutes, Jake aus dem Weg zu gehen.

Winters Bay lag an der Küste Oregons, ein ruhiges Städtchen, bekannt für den erstklassigen Ruf des Colleges. Studenten von überall her kämpften jedes Jahr um die wenigen Studienplätze. Ich gehörte zu den vermeintlich Glücklichen, hatte sogar ein Stipendium, und anstatt das Campus-Leben zu genießen, verfluchte ich es. Ich sehnte mich so sehr danach, aus diesem Ort zu flüchten. Anders als meine Eltern und mein Bruder Luke, die hier zu Hause waren, kam ich mir wie eine Fremde vor.

Es wurde zunehmend anstrengender, mit diesen Gedanken und Gefühlen morgens aufzustehen und den Tag hinter sich zu bringen, damit es nach einigen Stunden von Neuem anfing. Es war wie ein Teufelskreis und ich wusste nicht, wie ihn durchbrechen sollte.

Schlecht gelaunt lief ich durch Target, bis ich schließlich fündig wurde. In Gedanken hörte ich mein Konto weinen, aber es nützte nichts. Gut, dass noch ein paar Winter-Hochzeiten auf dem Plan standen, die mir Geld einbrachten.

Grimmig stapfte ich durch den Schnee, zum Glück lagen der Campus und der Stellplatz des Vans so nah am Zentrum. Somit konnte ich zu Fuß alles relativ schnell erreichen.

Als ich am Van ankam, klingelte mein Handy. Mom. Sofort nahm ich ab, in der Hoffnung, Neuigkeiten über Cory zu erfahren.

»Ist er wach?«, fragte ich ohne Begrüßung und blieb ruckartig stehen.

»Nein, Liebes. Ich wollte nur wissen, wie es dir geht. Du lässt dich so selten zu Hause blicken.« Sie verurteilte mich nicht, trotzdem hörte ich ihre Enttäuschung. Mom war so schlecht darin, ihre Gefühle zu verbergen, und manchmal fragte ich mich, woher ich diese Gabe hatte.

Jahrelanges Training …

Ich schluckte den Kloß in meinem Hals schwerfällig herunter und nickte, obwohl sie es nicht sehen konnte.

»Ich komme am Wochenende vorbei, okay?«

Eigentlich nur, um meinen Eltern einen Gefallen zu tun, aber ich konnte mich nicht jedes Mal rausreden nur, weil ich keine Lust auf die Fragen bezüglich des Studiums hatte.

»Das wäre toll. Nia hat sich auch angekündigt. Es ist das erste Mal, dass sie aus Chicago herkommt. Es wäre also schön, wenn du dabei wärst.«

Ach stimmt. Aufgrund der vielen Sorgen rund um Cory hatte ich total vergessen, dass meine kleine Schwester uns zusammen mit ihrem Freund besuchen wollte.

»Ich werde da sein, Mom«, versicherte ich ihr. »Ich muss jetzt auflegen. Die Heizung im Van ist kaputt und bevor es dunkel wird, würde ich es gerne repariert haben.«

»Bist du nicht am College?« Nun wurde sie hellhörig.

Ich ohrfeigte mich selbst, mich verplappert zu haben, aber so langsam wurde ich ungeduldig.

»Nein. Die Heizung ist heute wichtiger.«

Bevor sie antworten konnte, legte ich auf und steckte das Handy zurück in die Tasche. Immerhin war es nicht komplett gelogen und ich zog mir schnell etwas anderes an, um mit der Arbeit zu anzufangen.

Am frühen Abend saß ich mit dreckigen Händen auf dem Bett und lächelte stolz ins Leere. Langsam verschwand die eisige Kälte aus den Knochen und eine wohlige Wärme erfüllte den Innenraum des Vans.

Es hatte mich über ein Jahr gekostet, den Van alleine herzurichten und funktionsfähig zu bekommen. Zwar hätte ich auf Hilfe zurückgreifen können, jedoch hatte ich es selbst schaffen wollen. Manchmal war es schwer für meine Mitmenschen, mit meiner Unabhängigkeit klarzukommen, allerdings gab es tief im Inneren einen anderen Grund, warum ich lieber für mich alleine arbeitete. Zuzulassen, dass ich Hilfe annahm, ließ mich schwach wirken. Etwas, das ich unter keinen Umständen wollte.

Durch die Arbeit an der Heizung fühlte ich mich beflügelt, Jake bis auf Weiteres zu ignorieren. Ich wollte nicht länger jemand für ihn sein, mit dem er nur seinen Spaß hatte, wann immer es ihm in den Kram passte. Ich brauchte ihn nicht.

Stattdessen entschied ich mich nach einer kurzen Katzenwäsche, mir mein Lieblingsbuch von Robin Yoon zu schnappen und einen Milchshake im Melody’s zu trinken. Den hatte ich mir nach dem harten Training heute Morgen verdient.

Das Melody’s war ein Diner, eingerichtet im Retrostil. Die roten Kunstlederbezüge der Sitzecken fielen einem sofort ins Auge, wenn man es betrat. Schilder in grellen Neonlichtern hingen an den Wänden und aus der Jukebox schallte ulkige Musik. Sofern das Ding die Münzen nicht einfach verschluckte.

Ich liebte das Diner, weil es sich seit Jahrzehnten treu blieb. Außerdem war das Essen nicht zu verachten, es gab dort die beste Pasta und Milchshakes, die bei jedem beliebt waren.

Ich schnappte mir das Buch, setzte eine Mütze auf und vergrub das Gesicht tief in meinem Schal, als ich nach draußen trat. Mit jedem Schritt spürte ich den Muskelkater in den Beinen, aber ein kleiner Spaziergang würde mir guttun. Auch, wenn ich kein Fan der Wintermonate war, so mochte ich die vielen Lichter der Stadt, die im Dunkeln ihre Schönheit zeigten. Die Schaufenster waren bereits weihnachtlich geschmückt, aus den Cafés roch es herrlich nach Apfelpunsch und Pumpkin Spiced Latte.

Nur diese Kälte war kaum auszuhalten, wenn es nach mir ginge, könnte es das ganze Jahr über Sommer sein. Eigentlich sollte die Flucht vor den Wintermonaten Anlass genug sein, das Studium zu beenden. Nur was kam danach? Ich würde niemals einen Job finden, wenn ich so weitermachte, und wer stellte eine Fotografin aus, die keine Liebe zum Detail besaß?

Meine Gedanken beruhigten sich erst, als ich im Diner saß und einen extragroßen Vanille-Milchshake vor mir zu stehen hatte. Eigentlich waren solche Kalorienbomben während der Saison verboten, deshalb ließ ich ihn mir besonders gut schmecken.

Mit den Fingern strich ich über das Buch, das vor mir auf dem Tisch lag, bevor ich es aufschlug. Egal, wie oft ich den Roman schon gelesen hatte – ich verliebte mich jedes Mal aufs Neue in den Schreibstil von Robin Yoon. Er war poetisch, trotzdem ehrlich und brachte mich sogar zum Weinen. Kaum zu glauben, dass er nur ein paar Jahre älter war als ich. In meinen Augen war er eine echte Inspiration, auch wenn sein Leben in den letzten Monaten aus den Fugen geraten war.

Wenn man den Gerüchten Glauben schenkte, dann hatte er sein Vermögen in Las Vegas verzockt, eine Party nach der anderen geschmissen und stand nun vor dem Scherbenhaufen seines Lebens. Seit Monaten hatte ihn niemand mehr gesehen, der Vertrag mit dem Verlag war vor ein paar Wochen aufgelöst worden. So schnell konnte es also gehen. Man wurde einfach fallengelassen und plötzlich zählten nur noch die Schlagzeilen.

Die unendlich vielen Worte, die Trost spendeten, Gefühle zum Leben erweckten und greifbar machten – das war unwichtig für die Leser geworden. Mir allerdings … Mir bedeuteten sie nach wie vor alles. Es klang kitschig, aber manchmal hatte ich das Gefühl, als würde er nur für mich schreiben. Ich erschreckte mich jedes Mal davor, wie gut er das zu Papier brachte, was ich dachte. Er schrieb all das nieder, was ich niemals laut aussprechen würde, meine Ängste wurden von ihm unwissend verewigt.

Es ärgerte mich, dass ich bislang nie die Gelegenheit bekommen hatte, ihm persönlich dafür zu danken, dass er mir mit seinen Worten beistand. Er rettete mich immer dann, wenn niemand anderes es konnte. Und jetzt?

Ich seufzte leise und schlug das Buch zu. Wo auch immer er sich befand, ich betete dafür, dass es ihm halbwegs gut ging.

Im Licht der Laterne beobachtete ich den Schnee, wie er erneut vom Himmel fiel und die Straßen bedeckte.

Mein Handy vibrierte unaufhörlich in der Jackentasche, aber ich ignorierte Jake bewusst. Es kostete mich meine ganze Willenskraft, doch ich fühlte mich zu ausgelaugt, um mit ihm zu sprechen. Mit Sicherheit passte es ihm nicht, dass ich ihn im Kurs versetzt hatte. Aber das hatte er auch ständig mit mir gemacht, also sah ich es als Freifahrtschein an.

Auf dem Nachhauseweg schmerzte der eisige Wind auf den Wangen und der Schnee nahm gefühlt mit jedem Schritt zu. Ich eilte über die Main Street, entlang der bereits geschlossenen Geschäfte und sehnte mich nach meinem Bett. Nur vereinzelt kamen mir ein paar Passanten entgegen, was bei dem eisigkalten Wetter auch kein Wunder war.

Als mein Handy erneut klingelte, nahm ich es gereizt aus der Tasche, um es auszuschalten. Im gleichen Moment trat ich gegen etwas Hartes, geriet aus dem Gleichgewicht und fiel beinahe in den Schnee. Im letzten Augenblick schaffte ich es, die Balance wiederzuerlangen, und drehte mich wutentbrannt um.

Nur um dann festzustellen, dass ich über einen Menschen gestolpert war, der halb eingeschneit vor einem der Geschäfte saß.

»Scheiße«, stieß ich panisch aus.

Der Kopf war gesenkt, eine dünne Kapuze schützte kaum vor der Kälte. Wie erstarrt stand ich da, unschlüssig, was ich tun sollte. Mein Herz schlug nervös in der Brust, als ich langsam nähertrat und in die Hocke ging.

»Hallo?«, fragte ich unsicher und tippte leicht gegen die Schulter der Person vor mir. »Oh bitte, sei nicht tot.«

Plötzlich war ich komplett überfordert mit der Situation und sehnte mich nun nach Jake. Er hätte gewusst, was zu tun wäre. Angsterfüllt versuchte ich, eine Atembewegung zu erkennen, irgendein Zeichen dafür, dass die Person vor mir am Leben war.

Vor lauter Panik liefen mir Tränen heiß über die Wangen, gleichzeitig rüttelten sie mich wach. Ich kam wieder zur Besinnung, griff nach meinem Handy und wählte den Notruf.

Als sich nach wenigen Sekunden eine Stimme in der Leitung meldete, musste ich ein lautes Schluchzen unterdrücken.

»Hallo … ich … ähm«, stammelte ich nervös. »Ich habe hier auf der Main Street eine bewusstlose Person gefunden, und …«

Plötzlich wurde mir das Handy aus der Hand gerissen und ich blickte in tiefbraune Augen, die mich wütend anstarrten.

»Kein Notruf.«

Mir entwich ein hysterisches Schreien und ich wich zurück, fiel vor Schreck mit dem Hintern in den Schnee.

Keine Ahnung, was mich mehr aus der Fassung brachte: Dass die Person vor mir glücklicherweise am Leben war oder es sich dabei um Robin Yoon handelte.

-3-

ROBIN

Es sollte einfach enden. Ich hatte alles verloren, alles aufgegeben und war bereit, es hinzunehmen. Innerhalb weniger Monate hatte ich mein Leben gegen die Wand gefahren, alles zerstört, was ich mir zuvor jahrelang mühsam erarbeitet hatte. Nun bedeuteten der Schweiß und die Tränen nichts mehr. Die unzähligen Stunden, die ich vor dem Laptop gesessen hatte, bis meine Finger wund gewesen waren und vor Schmerzen krampften.

All das spielte keine Rolle mehr. Ich hatte es verkackt. War zu größenwahnsinnig und überheblich geworden. Hatte gedacht, mir gehöre die Welt und niemand könnte mir je wieder etwas anhaben. Tja und dann kam Vegas …

Die Kälte in meinen Knochen spürte ich kaum noch, mein Körper wurde taub und die Gedanken still. Aufzugeben hatte auch etwas Gutes, denn so jagte ich nicht länger einem verlorenen Leben nach. Ich wusste nicht mal mehr, wie ich in dieser Kleinstadt gelandet war. Es interessierte mich auch nicht.

Der Schnee fiel seit Stunden ununterbrochen auf meine zerschlissene Jacke, die die Feuchtigkeit nicht länger abhielt. Ich zitterte am ganzen Körper, hielt die Augen geschlossen und wartete.

Auf Absolution.

Auf ein Wunder.

Darauf, dass es endete.

Das Nächste, was ich wahrnahm, war ein penetranter Geruch von Apfel und Zimt, der mir in die Nase drang. Außerdem fielen sanfte Sonnenstrahlen auf meine Haut. Mein Körper war umhüllt von einer Wärme, die ich seit Tagen nicht mehr verspürt hatte. Unter mir war es weich, als ob ich in einem Bett liegen würde. Auch etwas, das ich nach den vielen Nächten unter Brücken und auf Rastplätzen, sofort bemerkte.

War das der Himmel?

Nur langsam öffnete ich die Augen, die sofort brannten und ich sie deshalb wieder schloss. Ich brauchte einen Moment, um zu realisieren, dass ich am Leben war.

Ich war am Leben!

Panisch schreckte ich hoch, atmete tief ein und aus und starrte in das Gesicht einer jungen Frau, die mich skeptisch musterte.

»Was … Was zum Teufel?«, stammelte ich orientierungslos.

Erst jetzt nahm ich die Umgebung wahr und versuchte, mich gleichzeitig daran zu erinnern, wie ich hierhergekommen war. Das Bett unter mir gehörte zu einem umgebauten Van, überall hingen Traumfänger, die den Bohemian-Stil unterstrichen. Der starke Geruch von Apfel und Zimt stammte von einem Räucherstäbchen, das auf einem kleinen Regal stand.

»Ich dachte schon, ich müsste wirklich den Notruf anrufen«, meinte die junge Frau und beäugte mich kritisch. »Wie fühlst du dich?«

»Wo bin ich?«, fragte ich, ohne auf sie einzugehen.

Blonde, lockige Haare umrahmten ihr Gesicht, die ihr auf die Schultern fielen. Unter den blauen Augen lagen dunkle Ränder, als hätte sie nächtelang schlecht geschlafen.

Trotzdem scheuten sie sich nicht, mich wütend anzusehen. Sie verschränkte die Arme vor der Brust und verdeckte damit den WBU-Schriftzug ihres Shirts. Offensichtlich war sie Studentin.

»Ich hoffe, dir ist bewusst, dass ich dir gestern Abend das Leben gerettet habe«, meinte sie kühl.

Wow. Gleich so höflich.

»Ich habe dich nicht drum gebeten«, antwortete ich ebenfalls schroff und strich mir das zu lang gewordene Haar aus dem Gesicht. Mein schmerzender Rücken sehnte sich danach, sich wieder auf das weiche Bett zu legen und alles andere zu vergessen.

Fassungslos schüttelte sie den Kopf. Mit schweren Gliedern hievte ich mich an den Rand des Bettes, bis meine Füße den Boden erreichten.

Als ich aufstehen wollte, wurde mir schwarz vor Augen und ich fiel benommen zurück.

»Wann hast du das letzte Mal was gegessen?«

Ich antwortete nicht, weil ich mich nicht daran erinnern konnte. Vermutlich in Vegas, als ich Tag ein, Tag aus, das Geld aus dem Fenster geworfen hatte.

Seufzend griff sie hinter sich und stellte dann kommentarlos eine Tüte und einen Kaffeebecher aufs Bett. Danach nahm sie wieder Abstand und sagte: »Ich bin Hailey. Falls es dich interessieren sollte, wer dir geholfen hat.«

Ihr stoisches Verhalten irritierte mich. Anderseits konnte ich es ihr nicht verübeln, denn ich legte ebenfalls nicht die besten Manieren an den Tag.

»Ich hatte immer gehofft, dich eines Tages kennenzulernen«, fügte Hailey hinzu und klang nun enttäuscht. »Aber nicht so.«

»Tja, tut mir leid, deinen Vorstellungen nicht zu entsprechen.«

Einerseits war es mir unangenehm, das Essen anzunehmen, anderseits war ich so ausgehungert, dass ich dringend etwas im Magen haben musste. Vor allem wollte ich keine Minute länger als nötig hier sein. Aus der Tüte duftete es herrlich nach einem warmen Bagel mit Ei und mit zittrigen Händen holte ich ihn heraus, um danach gierig hineinzubeißen. Mein Verstand appellierte an mich, langsam zu essen, um den Magen nicht zu überfordern, doch mit jedem Bissen spürte ich den Hunger deutlicher.

Der Kaffee brannte im Mund, weil er viel zu heiß war, auch das war mir egal. Wäre ich alleine gewesen, hätte ich wahrscheinlich vor Freude geheult, wieder etwas Richtiges zwischen die Zähne zu bekommen.

»Was willst du jetzt machen? Du kannst nicht ewig auf der Straße leben, oder?«

Genervt verdrehte ich die Augen und würgte den letzten Bissen herunter, bevor ich antwortete. »Ich denke, das geht dich nichts an. Außerdem weißt du eh über die Umstände Bescheid. Welche Wahl bleibt mir wohl?«

»Du kannst die Nächte nicht draußen verbringen, ohne zu erfrieren. Geh wenigstens in eine Unterkunft für …« Sie stockte und wir beide wussten genau, welches Wort ihr auf der Zunge lag.

Obdachlose.

Ich zuckte mit den Schultern. »Wie gesagt: Es geht dich nichts an.«

Jetzt, wo mein Magen gefüllt war, verschwanden der Schwindel und das Zittern aus den Beinen. Trotzdem stand ich mit Bedacht auf, ignorierte Haileys Blick und ging zur Tür.

»Danke …«, sagte ich schlicht, drückte sie auf und sofort blies mir die eisige Kälte um die Ohren. Ich fröstelte, ließ es mir jedoch nicht anmerken und ging nach draußen.

Plötzlich spürte ich eine warme Hand am Oberarm und perplex drehte ich mich um. Hailey hielt mir eine Jacke und eine große Tüte hin.

»Hier … Nimm wenigstens das mit.«

Unsere Blicke begegneten sich, ihre Augen wirkten im Licht der Sonne so blau wie das Meer. Früher hatte ich es dort geliebt, die endlose Weite, das Rauschen der Wellen und das Gefühl von Freiheit. Gott, wie ich dieses Leben vermisste. Hailey besaß etwas an sich, dass den Wunsch in mir freisetzte, es wieder zu erlangen. Aber das war unmöglich und bevor ich mich in lächerlichen Tagträumen verlor, griff ich wortlos nach den Sachen und nickte kaum merklich.

Damit war alles zwischen uns gesagt und ich verschwand zurück in ein Leben, dass ich mir selbst für meine schlimmste Romanfigur niemals gewünscht hätte.

-4-

HAILEY

Nachdem Robin verschwunden war, saß ich auf dem Rand des Bettes und starrte ins Leere. Obwohl er nicht lange hier gewesen war, spürte ich seine Präsenz in jeden Winkel des Vans.

Ich hatte immer davon geträumt, einen Nachmittag mit ihm in einem Café zu sitzen und über seine Arbeit zu sprechen. Ich war so beeindruckt von seiner Kreativität und der Art, wie er mit Worten umging, dass ich verstehen wollte, wie er dachte.

Doch mit nur einer Begegnung hatte er mir das genommen.

Wahrscheinlich war ich einer Wunschvorstellung nachgejagt. Die Schlagzeilen über ihn hatte ich nie für ernst genommen und die Erkenntnis, dass diese sich bewahrheiteten, traf mich mit voller Wucht. Aufgrund seines Aussehens war er neben seiner Schriftstellerkarriere als Model ebenso erfolgreich gewesen. Affären und Alkoholexzesse wurden ihm nachgesagt und ich hatte nie verstanden, wie das möglich war. Es kam mir immer so vor, als würde er zwei Leben leben, die nicht miteinander harmonierten.

Von meiner Wunschvorstellung war nichts mehr übriggeblieben und ich war schwer enttäuscht. Der Mann, der für mich jahrelang als die Inspirationsquelle gedient hatte, existierte nicht mehr. Vielleicht war es genau das, was mit der Kreativität irgendwann passierte, wenn man sie nicht wertschätzte. Sie verließ einen ohne große Worte und alles, was blieb, war Leere und ein Loch im Herzen.

Obwohl ich ihn nicht kannte und Robin furchtbar unverschämt gewesen war, machte ich mir augenblicklich Sorgen. Die nächsten Nächte würde es noch kälter werden. War es etwa das, worauf er es anlegte? Hatte er sich so sehr aufgegeben, dass er nur auf seinen Tod wartete?

In meinem Brustkorb machte sich ein Engegefühl breit und mir stockte der Atem. Wenn ihm etwas passierte, war es meine Schuld, oder? Schließlich hätte ich ihn aufhalten können und dann … Ja, und was? Ich wusste es selbst nicht. Ich konnte einen Fremden schlecht hier übernachten lassen.

Meine Familie würde nicht darüber erfreut sein, wenn sie davon erfuhren, wahrscheinlich würden sie denken, dass ich nun von allen guten Geistern verlassen worden war.

Ich raufte mir das Haar und stöhnte laut auf. Robin hatte mich aus dem Konzept gebracht, ich war erneut zu spät dran und Coach Harlow würde dieses Verhalten nicht mehr durchgehen lassen. Wenn ich so weiter machte, flog ich aus dem Team.

Ich zwang mich dazu, die Sorge um Robin auf heute Nachmittag zu verschieben. Nach den Vorlesungen würde ich ihn suchen und hoffen, dass ich bis dahin eine Lösung parat hatte, damit er die kommenden Wochen unversehrt überstand.

Gerade als ich mir die Sporttasche über den Rücken geworfen hatte, klopfte es an der Tür. Mein Herz hüpfte aufgeregt, in der Hoffnung, dass es Robin war.

Doch als ich öffnete, starrte ich direkt in Jakes grüne, verärgert wirkende Augen. Erschrocken wich ich zurück und er nutzte die Möglichkeit, um sich an mir vorbeizuschieben und einzutreten.

Es war sowieso schon eng hier, aber mit Jake hatte ich das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Mir schossen unendlich viele Bilder durch den Kopf, wie wir die Abende hier verbracht hatten. Es hatte sich angefühlt, wie in einer Seifenblase zu leben. Abseits der Realität, in der ich mich nicht willkommen fühlte, hatte Jake mir immer das Gefühl gegeben, genug für ihn zu sein.

Bis ich es nicht mehr war. Oder wahrscheinlich nie gewesen war. Die Gerüchte, die es über mich und ihn gab, vermischten sich plötzlich mit anderen Namen, mit denen Jake Affären nachgesagt wurden, und tief im Inneren wusste ich, dass sie wahr waren.

Ich war nie die Einzige für ihn gewesen.

»Was machst du hier?«, fragte ich überrascht und versuchte gleichzeitig, die Fassung zu wahren. »Ich habe es wirklich eilig.«