The Ivy Years - Wenn wir vertrauen - Sarina Bowen - E-Book

The Ivy Years - Wenn wir vertrauen E-Book

Sarina Bowen

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Beschreibung

Kannst du auf dein Herz vertrauen, obwohl es gebrochen ist?

Eine Nacht voller Leidenschaft haben Bella und Rafe zusammen verbracht. Und obwohl Bella spürt, dass die Zeit mit Rafe etwas ganz Besonderes war, traut sie sich nicht, ihren Gefühlen nachzugeben. Denn sie hat auf schmerzhafte Weise gelernt, ihr Herz gut zu schützen. Doch Rafe will die Verbindung, die zwischen ihnen herrscht, nicht aufgeben und versucht ihr zu beweisen, dass sie so viel mehr füreinander sein könnten. Aber da wird Bella Opfer einer Mobbingattacke, die sie dazu bringt, sich vor der ganzen Welt zu verstecken. Wird es Rafe jemals gelingen, ihr Vertrauen zu gewinnen?

"Wunderbar gefühlvoll und romantisch. Eine Protagonistin, mit der du mitfieberst, und ein Protagonist, der dein Herz höher schlagen lassen wird." KRISTEN CALLIHAN

Band 4 der IVY-YEARS-Reihe von USA-TODAY-Bestseller-Autorin Sarina Bowen

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Seitenzahl: 486

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Inhalt

TitelZu diesem Buch12 3 4 5 67 8 9 10 111213 14 15 Die AutorinDie Romane von Sarina Bowen bei LYXImpressum

SARINA BOWEN

The Ivy Years

Wenn wir vertrauen

Roman

Ins Deutsche übertragen von Ralf Schmitz

Zu diesem Buch

Bella Hall genießt ihr Singleleben am Harkness College in vollen Zügen. Nachdem ihr bereits zweimal das Herz gebrochen wurde, hat sie sich vorgenommen, sich niemandem mehr zu öffnen. Als sie jedoch eines Abends im Treppenhaus ihres Wohnheims auf den traurig wirkenden Rafe Santiago trifft, kann sie ihn diesmal nicht ignorieren. Schon oft ist ihr der gut aussehende Sportler auf dem Campus aufgefallen, ohne dass sie bisher mehr als ein paar Worte mit ihm gewechselt hätte. Doch an diesem Abend sieht sie ihn plötzlich mit ganz anderen Augen, und beide spüren eine starke Anziehung zueinander. Es folgt eine Nacht voller Leidenschaft und großer Gefühle. Aber so oft Bella danach auch an Rafe denken muss und so sehr er versucht, ihr zu zeigen, dass sie ihm vertrauen kann, will sich Bella nicht auf ihn einlassen. Bis sie Opfer einer Mobbingattacke wird, wegen der sie sich vor der ganzen Welt verstecken möchte, und es nur Rafe gelingt, zu ihr durchzudringen. Kann Bella es doch noch einmal wagen, ihr Herz einem anderen Menschen anzuvertrauen?

1

Mr Rolex

September

Rafe

Es waren bereits zwei Stunden vergangen, seit ich die zwanzig Kerzen auf dem Kuchen ausgeblasen hatte, den Ma für mich gebacken hatte, doch mein Hintern klebte immer noch auf einem Stuhl im Restaurante Tipico.

Es fiel mir jedes Mal schwer, mich von der dominikanischen Gaststätte meiner weitläufigen Familie loszueisen, aber heute musste ich meinen Zug zurück zum Harkness College unbedingt erwischen. Doch statt mich zu beeilen, saß ich in der hintersten Ecke an Tisch sieben und bündelte Besteck für den abendlichen Ansturm. Wie ich es schon mein Leben lang tat.

»Eins noch, dann bin ich wirklich weg«, sagte ich zu Pablito, meinem sechzehnjährigen Cousin. »Ich hab für sieben einen Tisch reserviert. Wenn ich den Zug um halb fünf verpasse, bin ich aufgeschmissen.«

»Großer Abend heute?«

»Ja, sie hat am selben Tag wie ich Geburtstag.«

»Echt jetzt?« Pablito grinste und nahm ein weiteres der Klettverschlussbänder, mit denen wir die Servietten um Messer und Gabel befestigten. »Ich muss also den ganzen Abend mit Essen um mich schmeißen, um wie aus der Bratpfanne zu stinken, wenn ich heimkomme, während du lecker isst, eine gute Flasche Wein trinkst und …«, er machte eine anzügliche Geste, »es zum Geburtstag ordentlich besorgt kriegst.«

Jesucristo! Mir war wirklich nicht danach, die Einzelheiten mit Pablito oder sonst wem durchzuhecheln. »Immerhin sparst du dank mir eine Stunde Plackerei.« Ich legte ein Besteckbündel auf seinen Stapel.

»Denk an dein Geschenk«, sagte er mit einem Blick auf die altmodische Geldscheinklammer, die meine Mutter mir zum Geburtstag geschenkt hatte. Sterlingsilber im Art-déco-Stil. »Schon klar, warum sie dir das ausgesucht hat.«

»Ach ja?« Ich schob die Klammer in die Tasche. Der Grund für ihr Geschenk lag tatsächlich auf der Hand: Ich liebte alte Sachen. Sie hatte gut gewählt, und ich war ihr dankbar.

»Kein Platz für Kondome.« Pablito kicherte.

Ich musste grinsen, weil der Kleine ins Schwarze getroffen hatte. Aber da ein Dutzend Cousins zu hüten Teil meines Lebens war, fühlte ich mich genötigt hinzuzufügen: »Die sollte man sowieso nicht in der Brieftasche aufbewahren.«

»Pah.« Er schüttelte den Kopf. »Als würde es darauf ankommen.«

Zahlen, bitte! Ich konnte unmöglich mit meinem sechzehnjährigen Cousin über Sex reden. Und schon gar nicht heute.

Ich legte ein letztes Besteckbündel auf den Stapel und stand auf. »Tengo que irme.« Ich muss los.

Er verabschiedete mich mit einer Gettofaust. »Hau rein. Zurück ins gute Leben. Und denk bloß nicht an uns, die kleinen Leute.«

Ich verpasste ihm noch eine Kopfnuss und lief in die Küche, um meiner Mutter einen Abschiedskuss zu geben.

Sie wünschte mir einen schönen Geburtstag, und ich bedankte mich für den Kuchen und ihr Geschenk. »Tschau. Ich muss. Heute Abend bin ich mit Alison verabredet.«

Sie betrachtete mich ein paar Sekunden. »Sé bueno«, sagte sie schließlich. Sei anständig.

Cristo. Manchmal hätte ich schwören können, dass sie hellseherische Fähigkeiten besaß. Nachdem meine Mutter mit neunzehn schwanger geworden war, hatte mein sogenannter Vater sie geheiratet. Als ich wenige Monate alt gewesen war, war er zu seinen Leuten nach Mexiko gefahren, um an einer Beerdigung teilzunehmen – und danach nie wieder aufgetaucht. Seitdem gab es nur noch uns zwei; plus ein Dutzend Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen.

Meine Mutter hatte mir eingebläut, dass man von Sex Babys bekam und dass anständige Jungen dafür verantwortlich waren, dass anständige Mädchen nicht in Schwierigkeiten gerieten. Was ich heute Abend vorhatte, hätte sie niemals gutgeheißen.

»Ich bin immer anständig«, teilte ich ihr mit. Wie wahr! Ich hatte vor, es mit Alison langsam anzugehen. Bei jeder sich bietenden Gelegenheit. (Und ich hoffte inständig, dass sich mir viele Gelegenheiten bieten würden.)

Doch bevor ich endlich aufbrechen konnte, verabreichte mir meine Mutter noch eine letzte Dosis katholischer Schuldgefühle. Sie fragte mich, ob ich im November zur Taufe meiner jüngsten Cousine nach Hause kommen würde. (Ich wusste es noch nicht.) Dann rief sie mir ins Gedächtnis, dass im Restaurant jede Hand benötigt wurde. (Womit sie mein Gewissen traktierte, seit ich mich für ein College in einer anderen Stadt entschieden hatte.) Und schließlich wünschte sie mir noch mal einen schönen Geburtstag.

Letzteres würde ich hinbekommen.

Ich drückte ihr einen Kuss auf die Wange und nahm die Beine in die Hand.

Die Metro-North von der 125. Straße war nicht voll, sodass ich einen Platz für mich alleine hatte. Nachdem ich mir angeschaut hatte, wie das Gitternetz der Straßen von New York langsam der weiten Landschaft von Connecticut Platz machte, griff ich nach meinem Handy, um meine Freundin anzurufen.

»Hi«, meldete sie sich ein bisschen außer Atem.

»Hi, mein Engel. Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag.«

»Selber herzlichen Glückwunsch!« Ich konnte sie durch das Telefon lächeln hören.

»Ich hab den Zug um halb fünf gekriegt. Ich schaffe es also bis sieben.«

»Ich habe gerade an dich gedacht«, sagte sie leise.

»Ja?« Hoffentlich auf eine gute Art.

»Ich liebe dich, Rafe.«

Es war nicht das erste Mal, dass sie die Worte aussprach, aber dieses Mal klangen sie irgendwie viel ernster. »Ich liebe dich auch, Ali.«

»Wir werden einen tollen Abend haben.«

Mir wurde warm ums Herz. Ich hatte in den vergangenen sechs Monaten viel zu häufig an Alisons Gefühlen für mich gezweifelt. Es war zu schön, dass sie sich nun offenbar darauf freute, den nächsten Schritt zu wagen.

»Ich kann es kaum erwarten«, flüsterte ich. »Ich hoffe nur, das Essen dauert nicht ewig.«

Sie lachte. »Bis später.«

Der Zug hielt um Viertel nach sechs in Harkness, Connecticut. Um sieben Dollar zu sparen, lief ich die Meile zum Campus zu Fuß. Als ich durch die Tür von Apartment 307 von Beaumont House fegte, hatte ich noch genau eine halbe Stunde Zeit, um mich fertig zu machen.

Zu meinem Leidwesen waren meine beiden Mitbewohner zu Hause und stritten sich wie üblich im Gemeinschaftsraum. Als ich mit einem Handtuch an ihnen vorbeilief, ging es um Politik, und als ich frisch geduscht und rasiert zurückkam, diskutierten sie über das Giants-Spiel am nächsten Tag.

»Hast du Bock auf eine Wette?«, fragte mich Mat auf meinem Weg zum Kleiderschrank.

»Nee, danke.«

Er wandte sich wieder unserem Mitbewohner Bickley zu. »Komm schon, setz für mich auf die Giants. Hundert Mäuse. Das ist doch nur Kleingeld für dich.«

»Ich werd’s mir überlegen«, gab Bickley zurück. »Wenn du dir den albernen Oberlippenbart abrasierst.«

Ich lachte, sobald ich allein in dem Zimmer war, das ich mir mit Bickley teilte. Heute blieb mir keine Zeit für die neueste Ausgabe der Mat-und-Bickley-Show. Allerdings waren Mats Experimente in Sachen Gesichtsbehaarung echt beängstigend. Aber je lauter Bickley sich darüber beschwerte, desto hartnäckiger hielt Mat an seinem komischen kleinen Schnurrbart fest.

»Mach ich nicht«, widersprach Mat. »Wenn ich heute Abend Devons Eier in den Mund nehme, scheuert der nämlich so schön an seinem Schwanz.«

Damit lieferte er das Stichwort für ein angewidertes Ächzen aus dem Gemeinschaftsraum. »Danke, du Arsch«, brüllte Bickley. »Das Bild werde ich jetzt nicht mehr los.«

»Dann hör auf zu quasseln und setz auf das Footballspiel, du Heulsuse. Die Quote steht bei dreieinhalb für die Giants. Ich gebe dir sogar einen Extrapunkt, okay? Aber nur auf hundert Mäuse. Nicht mehr.«

Ich verdrehte angesichts Mats Geschäftstüchtigkeit die Augen. Er war wirklich gerissen, und ich war mir ziemlich sicher, dass die Wetten gegen Bickley eine seiner Haupteinnahmequellen waren.

Es blieb still, während Bickley offensichtlich überlegte, ob die Sache einen Haken hatte. Ich spielte mit ihm in der Fußballmannschaft, und da er aus England kam, verstand er nicht viel von American Football. Allerdings konnte er nur schwer zugeben, dass es, na ja, überhaupt etwas gab, von dem er keine Ahnung hatte. Bickleys Ego? War so groß, dass es über seine eigene Schwerkraft verfügte. Und Mats Komplex? Hatte die Ausmaße des Grand Canyon. Ich fand zwischen den beiden kaum eine ruhige Minute.

»Die Quote plus zwei«, konterte Bickley mit seinem pointiert aristokratischen Akzent.

»Plus zwei? Vergiss es! Da kann ich ja gleich zu meinem Buchmacher gehen.«

»Tja …« Ich hörte Bickley an, dass er kurz davorstand, einzuknicken. »Also gut. Plus eins auf hundert Dollar. Abgemacht. Sobald ich mir die Quote angeschaut habe.«

»Echt jetzt? Wenn ich dreieinhalb sage, sind es auch dreieinhalb.« Mats Stimme verriet seine Verärgerung. Was nichts Besonderes war. Mat war ein ziemlich reizbarer Typ. »Nur ein Arsch würde bei der Quote lügen.«

»Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser«, entgegnete Bickley.

»Du mit deinen blöden Sprüchen«, maulte Mat.

»Wie bitte? Willst du mein Geld etwa nicht?«, fragte Bickley. »Ah, in der Tat, hier steht dreieinhalb.« (An dieser Stelle kam sein britischer Akzent besonders schön zur Geltung.)

Mat verschlug es ausnahmsweise die Sprache.

Kurz darauf erschien Bickley in der Tür unseres winzigen Zimmers. »Diesmal hab ich ein gutes Gefühl«, verkündete er. In Designer-Jeans, Polohemd und mit dem Popper-Schnitt sah er aus wie einer J-Crew-Werbung entstiegen.

»Wahnsinn«, sagte ich betont unbeteiligt. Ich hatte es nicht nur satt, ihren Streitereien zuzuhören, sondern heute Abend auch genug eigene Probleme.

»Wohin gehst du mit Alison?«

»Slippery Elm.«

»Nett. Dann solltest du Kalbsbries bestellen. Das ist da köstlich.«

»Was ist das denn?« Bickleys Ratschläge in Sachen Essen waren fast so riskant wie Mats Footballwetten. Der Typ gab im Ernst damit an, in Japan Walfischspeck und in Schottland Schafsinnereien gespeist zu haben. »Ist das nicht Kalbshoden oder so was?«

»Quatsch! Bries wird aus einer Drüse gemacht und ist zart wie Butter.« Bickley schloss die Augen und schmatzte genießerisch.

»Ich werde darüber nachdenken.« Das schicke Restaurant verlor schlagartig seine Anziehungskraft. Der bevorstehende Abend bereitete mir so schon genug Kopfzerbrechen, da wollte ich nicht auch noch darüber sinnieren müssen, zu welcher Gabel ich greifen musste.

»Dann sehen wir uns heute hoffentlich nicht wieder«, fügte Bickley hinzu. »Wie ich weiß, hast du Alison Ohrringe gekauft. Sie schenkt dir hoffentlich etwas, das nicht in eine Schachtel passt.«

»Ich wollte schon immer ein Pony«, versetzte ich, um Bickley vom Thema abzulenken.

Er ließ sich mit glänzenden Augen aufs Bett plumpsen. »Heute Morgen beim Brunch habe ich die Mitbewohnerin deiner Eiskönigin sagen hören, dass sie heute nicht auf ihrem eigenen Zimmer übernachten würde. Ihre Sterne stehen also günstig, Sir.«

»Ist das so?«

»Stell dich nicht so an. Du kannst Onkel Bickley alles erzählen. Wirst du sie endlich flachlegen?«

Das würde ich liebend gern tun – wenn sie es sich nicht anders überlegte. »Das geht dich gar nichts an, Alter.«

»Schon gut. Ich will ja nur wissen, ob ich mit meiner Verabredung hierherkommen kann. So viel kannst du mir doch verraten.«

Zu seinem Leidwesen hatte Bickley unser Zimmer nicht oft für sich allein. Da ich (bisher) alle Nächte meines Lebens solo geschlafen hatte, endeten seine Rendezvous für gewöhnlich woanders. Und wenn er doch mal ein Mädchen mitbrachte, mussten sie den Abend anstandshalber zeitig beschließen. Das führte hin und wieder zu peinlichen Abschiedsszenen, bei denen ich demonstrativ auf Bickleys protzigen Fernseher starrte, während er seine Freundin-für-einen-Abend zur Tür begleitete.

Mein Mitbewohner hatte jede Menge »bedeutungslosen Sex«, wie man so etwas allgemein nannte. Für mich waren das zwei Worte, die nicht zueinanderpassten. Für mich war nichts »bedeutungslos« an der Vorstellung, mit einem Mädchen ins Bett zu gehen. Meine sexuellen Erlebnisse – so rar sie auch sein mochten – waren äußerst intensiv gewesen. Als meine Highschool-Freundin sich von mir hatte anfassen lassen, hatte sich mir das Gefühl tief in die Seele gebrannt. Die Laute, die sie von sich gegeben hatte, ihre erhitzte Haut. Der Ausdruck in ihren Augen, als sie … Dios. »Bedeutungslos« traf es nicht im Geringsten.

Das alles wollte ich mit Alison erleben. Und dass es heute so weit sein sollte, sprengte beinahe meinen Verstand.

»Äh … Erde an Rafael?«

»Ähm«, sagte ich dusselig. »Du kannst das Zimmer haben. Wenn ich nach Hause komme, schmeiß ich mich aufs Sofa.«

»Ich hoffe doch, so weit kommt’s nicht.«

Da war ich ganz bei ihm.

»Willst du ein Jackett von mir?«

»Danke. Nein.« Ich trug lieber meine alte Anzugjacke, als mir von Bickley Klamotten zu leihen. Er würde mir wahrscheinlich irgendwas von Armani in die Hand drücken, Kostenpunkt zwei Riesen, und ich musste dann höllisch aufpassen, keine Knitterfalten reinzumachen. Und zusätzliche Auslöser für Muffensausen konnte ich echt nicht gebrauchen.

Das Jackett, das ich anzog, hatte ich schon getragen, als ich noch mit meiner Mutter in die Kirche gegangen war. Ein altmodisches Teil im Stil der Vierziger, das ich bei einem Trödler in Harlem gefunden hatte. Schon lustig, dass ich meinen Sonntagsanzug zu der Verabredung anzog, bei der ich meine Jungfräulichkeit verlieren würde. Das nächste Mal würde ich ihn vermutlich zur Beichte tragen. Was für eine hübsche Ironie.

Ich öffnete Bickleys Kühlschrank und nahm die Flasche Champagner heraus, die ich dort untergestellt hatte. Zusammen mit Alisons Geburtstagsgeschenk (Silberohrringe) und dem Geschenk an mich selbst (eine Packung Kondome) packte ich sie in eine extra gekaufte Geschenketüte. Dann winkte ich Mat und Bickley und zog die Tür hinter mir zu.

Für den Weg zu Alison brauchte ich gerade mal sechzig Sekunden.

Harkness bestand aus zwölf »Häusern«, was allerdings eine etwas irreführende Bezeichnung war. Jedes dieser Häuser war ein riesiges Stein- oder Ziegelgebäude für Hunderte Studenten, samt eigener Mensa und Bibliothek. Alison und ich wohnten beide im wunderschönen Beaumont House mit seinen spitzen gotischen Türmen und schiefergepflasterten Gehwegen. Während ich über den Hof lief, überwältigte mich wie jedes Mal der Gedanke, dass Harkness-Studenten diese Wege bereits seit einem Jahrhundert beschritten. Ma hatte es gut gemeint und mich lieber näher daheim gesehen. Aber das Harkness College besuchen zu können war eine einmalige Gelegenheit. Und ich hatte nicht vor, mich deshalb mit Gewissensbissen zu quälen.

Vor dem Eingang zu Alisons Wohnheim blieb ich stehen und spähte schaudernd durch das in die Eiche eingelassene rautenförmige Fensterchen. Es war die dritte Septemberwoche, und wir hatten einen frühen Kälteeinbruch erlebt. Mein Zittern hatte jedoch nichts mit dem Wetter zu tun. Ich war auf einmal höllisch nervös.

Ich machte eine Gestalt hinter der Tür aus. Am Samstagabend war immer viel los. Studenten kamen von den Speisesälen, Bibliotheken und Coffeeshops zurück, um sich für die Partys am Abend umzuziehen. Daher musste ich Alison nicht extra herunterrufen, um mir aufzumachen.

»Hi, Mann.« Ich kannte den Typ, der mir die Tür öffnete, aus meinem Französischkurs. »Großer Abend?« Grinsend musterte er die Geschenketüte.

»Sie hat heute Geburtstag«, gab ich schnell zurück.

»Na dann … viel Spaß«, sagte er und hielt mir die Tür auf.

»Danke. Bis Montag.«

Ich betrat das hallende steinerne Treppenhaus und machte mich an den Aufstieg. Ich liebte diese Marmorstufen und Eisengeländer. Hier waren schon Studenten hinaufgestiegen, als Jazz noch brandneu gewesen war. Wobei, ich hörte eigentlich nie Jazz. Hinter der ersten Tür, an der ich vorbeikam, vernahm ich die Geräusche eines Ego-Shooter-Spiels. In den Dreißigern hätte man wohl eher ein Rundfunkgerät knistern gehört, oder das Rauschen eines Grammofons.

Ich stand auf antikes Zeug, was für mein Alter ziemlich schräg war. Doch immerhin bot der Gedanke an altertümliche Audiogeräte eine gewisse Ablenkung. Nach dem zweiten Absatz der gewundenen Treppe begann ich zu schwitzen. Trotzdem blieb ich nicht stehen, als ich Alisons Etage erreichte, sondern stieg noch zehn weitere Stufen bis zu einem kleinen Absatz hinauf. Dort stellte ich die Geschenketüte ab, wobei ich darauf achtete, dass die Champagnerflasche gerade stand.

Ich zog das Jackett aus und holte tief Luft. Eigentlich hatte ich keinen Grund, in Alisons Gegenwart nervös zu sein. Wir waren seit dem letzten Frühjahr zusammen, als wir beide noch »Frischlinge« am College gewesen waren. In sexueller Hinsicht hatten wir es nicht eilig gehabt. Ich war zu allem bereit gewesen, doch Alison hatte mir von Anfang an klargemacht, dass sie noch Jungfrau war. Und nachdem ich ihr gestanden hatte, dass ich selbst auch noch nie mit jemandem geschlafen hatte, hatte sie ungeheuer erleichtert gewirkt. Also übte ich mich in Geduld, auch wenn es mir manchmal schwerfiel. Mehr als Küssen und Kuscheln auf dem Sofa war bisher nicht gelaufen, und trotzdem gab es sexuelle Fallstricke. Im einen Moment machten wir noch miteinander rum und im nächsten stieß sie mich von sich. Worauf ich nicht nur mit einer Erektion, sondern meist auch ziemlich verwirrt heimging. Und die Verwirrung war eindeutig quälender. Ich wollte mich nicht ständig fragen müssen, was an mir ihr nicht passte. Nach mehreren peinlichen Abbrüchen hatte ich sie gefragt, was nicht in Ordnung war. Aber sie hatte nur geantwortet, dass sie sich nicht wohlfühle, und das Thema gewechselt. Und welches unsensible Arschloch drängte seine Freundin zum Sex? Ich jedenfalls nicht.

Außerdem lief es zwischen uns sonst sehr gut. Alison konnte über meine Witze lachen, und ich liebte es, wie sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht ausbreitete, wenn ich ihr ein Kompliment machte. Was ich häufig tat. Denn Alison war echt klasse. Sie war ebenso klug und witzig wie umwerfend. Beim Anblick der üppigen blonden Haare, die ihr Gesicht einrahmten, musste ich immer an einen Engel denken.

Meine Mutter war der Ansicht, ich hätte in Harkness einen fatalen Hang zu hübschen weißen Mädchen entwickelt. »Was du brauchst, ist eine nette Latina«, sagte sie, »die nie wegen deiner Herkunft auf dich herabschaut.«

Meistens ignorierte ich ihre Vorurteile. Aber manchmal fiel es mir schwer, mir deshalb keinen Kopf zu machen oder nicht zu viel in Alisons Widerstreben, mit mir zu schlafen, hineinzuinterpretieren. Ich war auf dem College von Leuten umringt, die sehr viel mehr Geld besaßen als ich. Auch Alison gehörte dazu. Und manchmal hatte ich Angst, sie könnte denken, dass ich nicht gut genug für sie war. Aber das war vermutlich nur falscher Verfolgungswahn, der aus mir sprach.

In den Sommerferien waren wir getrennt gewesen. Im Juni hatte ich in Mas Restaurant gearbeitet und mich bemüht, in der U-Bahn keinen Hitzekoller zu bekommen und tot umzufallen, wenn sie mich irgendwelche Besorgungen hatte machen lassen. Und abends vor dem Einschlafen, wenn ich auf meinem schmalen Bett in unserer beengten Wohnung gelegen und die Klimaanlage im Fenster kühlere Luft über meinen fast nackten Körper geblasen hatte, hatte ich an Alison gedacht.

Telefonsex hatte es natürlich auch keinen gegeben. Trotzdem hatte ich es geliebt, wie Alisons leise Stimme in meinem Ohr kitzelte, wenn sie mir erzählte, was sie alles in der Kunstgalerie in San Francisco aushalten musste, in der sie ein Praktikum machte.

»Ich vermisse dich, Rafe«, sagte sie dann. »Ich habe an dich gedacht, als ich ein paar alten Damen Kaffee serviert habe. Sie wollten entkoffeinierten, aber ich habe ihnen aus Versehen den stärksten überhaupt gebracht. Anstatt auf den Kaffee zu achten, musste ich an den Brief denken, den du mir auf der alten Schreibmaschine geschrieben hast.«

Ich musste darüber lachen und vermisste sie umso mehr. Also schrieb ich ihr noch mehr altmodische Briefe. Und die Wochen vergingen wie im Flug.

Im Juli rief mich Alison ganz aufgeregt an. »Erinnerst du dich an das Austauschprogramm mit Ecuador, für das ich mich beworben habe?«

Natürlich tat ich das. Als sie lediglich auf die Warteliste gesetzt worden war, hatte sie sich an der Schulter meines Harkness-Sweatshirts ausgeweint.

»Da ist ein Platz frei geworden. Nächste Woche geht es los.«

»Das ist ja toll«, antwortete ich. Ich freute mich für sie, auch wenn ich wusste, dass ich sie dann sechs lange Wochen weder sehen noch hören würde. Es handelte sich um einen Intensivkurs, die Teilnehmer sollten währenddessen nicht mit der Außenwelt kommunizieren. Und das war Mist.

Ich muss also nicht extra erwähnen, dass ich mich schrecklich nach ihr gesehnt hatte, als sie vor drei Wochen aus dem Bus vom Flughafen ausgestiegen war, um unser zweites Studienjahr zu beginnen.

An dem Tag hatte ich sie gebeten, bei mir zu übernachten.

»Ich will dich jetzt noch nicht gehen lassen«, erklärte ich. »Bleib. Bickley kommt vor morgen sowieso nicht zurück. Ich will dir damit auch nicht die Kleider vom Leib schwatzen.«

Ihre Züge hatten sich entspannt. »Okay. Warum nicht.«

Ich war ehrlich gesagt platt gewesen, dass sie sich darauf einließ, denn bisher hatte sie immer abgelehnt, wenn ich ihr vorgeschlagen hatte, die Nacht mit mir zu verbringen.

Ich gab ihr eines meiner T-Shirts, in dem sie höllisch sexy aussah. Und als wir uns schließlich in mein Bett legten, hatte mein Körper längst eigene große Pläne. Schnell wälzte ich mich auf den Rücken, sodass sie ihren Kopf an meine Schulter betten konnte. Sie fühlte sich fantastisch an in meinen Armen. Ich liebte es, sie zu halten und hier und da verstohlen zu küssen.

»Das ist schön.«

»Ja, das ist es.« Sie nickte. Wir schwiegen einige Zeit, bevor sie hinzufügte: »Ich weiß, dass du schon lange Sex haben möchtest.«

Ich war so verblüfft, dass sie das Thema anschnitt, dass ich erst mal gar nichts sagte. »Schon gut«, brachte ich schließlich heraus.

»Wir haben doch bald Geburtstag«, fuhr sie fort. »Vielleicht sollte das … die große Nacht für uns werden.«

Und wieder blieb mir die Spucke weg. Erst ein paar Herzschläge später konnte ich ihr beipflichten. »Das wäre fantastisch!«, flüsterte ich.

»Das glaube ich auch.« Mit langsamen kreisenden Bewegungen massierte sie meine Brust, während mein Schwanz allein aufgrund dessen, dass sie vorgeschlagen hatte, was ich glaubte, dass sie vorgeschlagen hatte, ungefähr so hart wie eine Eisenstange wurde.

In der Nacht hatte ich wenig geschlafen. Und in den zwei Wochen seither war ich jedes Mal, wenn ich Alison einen Gute-Nacht-Kuss gegeben hatte, abstrus erregt gewesen. Und jetzt? Jetzt versteckte ich mich im Treppenhaus und fuhr vor lauter Vorfreude schier aus der Haut.

Dreieinhalb Etagen unter mir knallte die Eingangstür. Dann hörte ich Schritte. Jemand kam die Stufen heraufgelaufen.

Das weckte mich aus meiner Starre. Ich brauchte einen Moment, um mein Jackett über den Arm zu legen und die Geschenketüte aufzuheben. Nachdem ich kritisch an mir hinuntergesehen hatte, machte ich mich leise an den Abstieg, als wäre es völlig selbstverständlich, dass ich aus dieser Richtung kam. Wenn ich demjenigen, der gerade die Treppe hinaufstieg, begegnete, würde ich ihm freundlich zunicken. Allesbestens.Esgibthiernichtszusehen.NurdentypischenZwanzigjährigen,derloszieht,umendlichseineJungfräulichkeitzuverlieren.Weitergehen!

Aber die Gelegenheit bekam ich nicht. Die Schritte verklangen, dann hörte ich jemanden hart auf Holz klopfen.

Mit einem Klicken wurde eine Tür geöffnet.

»Überraschung!«, rief eine männliche Stimme.

Komisch war, dass die Stimme von Alisons Tür her zu kommen schien. Keine Ahnung, warum, aber die letzten drei, vier Stufen nahm ich langsam und verstohlen. In dem Moment, als ich Alison alarmiert sagen hörte: »Oh, mein Gott! Was machst du denn hier?«, kam der Kerl in Sicht.

Er war groß und schmal. Ich blieb mit dem Blick an der Rolex hängen, die lose an seinem Handgelenk baumelte. Da ich aus New York City stammte, witterte ich die Dinger aus hundert Metern Entfernung. Mr Rolex hatte reichlich Geld.

»Ich hab dir doch gesagt, dass ich dich wiedersehen will. Und welcher Tag wäre besser dafür geeignet als dein Geburtstag?« Damit trat er in Alisons Zimmer und verschwand aus meinem Blickfeld.

Irgendwie zog mich die Schwerkraft so schnell die letzten Stufen hinunter, dass ich es schaffte, den Fuß zwischen Türrahmen und Tür zu klemmen, bevor sie zufallen konnte.

Was ich sah, drehte mir den Magen um. Mr Rolex hatte die Arme um Alisons Taille gelegt und küsste sie. Meine Freundin.

»Was verdammt noch mal …«, begann ich und stieß die Tür auf. Und da die Frage wie ein Gong in meinem Kopf widerhallte, sprach ich sie noch einmal laut aus: »Was verdammt noch mal geht hier vor?«

Alison hob ruckartig die Arme, als hätte sie einen elektrischen Schlag bekommen.

Mr Rolex ließ sie los und fuhr zu mir herum. »Wer bist du denn?«, fragte er, während seine hochgezogenen Brauen fast unter seinem Hundert-Dollar-Haarschnitt verschwanden.

»Wer ich bin? Ihr Freund!« Ich begann mich vor Entrüstung zu verhaspeln, was meinen Redefluss aber nicht stoppen konnte. »Ihr Freund. Seit letztem April. Seit … fünf Monaten. Fast sechs.« Als hätte die genaue Zeitangabe irgendeine Bedeutung.

Alison klappte den Mund auf und zu, wie der Goldfisch, den ich in einem Glas auf der Fensterbank unserer kleinen Wohnung in New York gehalten hatte.

Mr Rolex war dagegen weniger stumm. Und er sah fast so überrascht aus, wie ich mich fühlte. »Ihr Freund? Wir waren in Ecuador sechs Wochen zusammen. Von einem Freund war nie die Rede.«

Wenigstens war ich nicht der Einzige, der ein Interesse an genauen Zeitangaben hatte.

»Ich habe dir gesagt, dass ich keine feste Beziehung will«, zischte Alison.

»Aber du hast nicht gesagt, warum. Und jetzt stehe ich wie ein Idiot da.« Mr Rolex besaß sogar die Frechheit, ein trauriges Gesicht zu machen.

Nachdem ich nun schon eine Minute in Alisons Zimmer stand, fielen mir mehr und mehr Einzelheiten ins Auge. Zum Beispiel, dass Mr Rolex einen Rosenstrauß in der Hand hielt.

Blumen. Ich hatte die Blumen vergessen, die ich über das Bett hatte streuen wollen.

Moment. Hier würde heute gar nichts verstreut werden. Und die Sache mit dem Bett hatte sich auch erledigt. Mein lahmer Verstand hatte Mühe, die Tragweite des Problems richtig zu erfassen. Das kam einfach zu unerwartet. Die Möglichkeit, dass Alison mich betrügen würde, war mir nie in den Sinn gekommen. Auch wenn wir nicht miteinander ins Bett gingen, waren wir ein Paar. Und das schon lange. Doch hier stand ich nun, mit vor Unglauben aufgerissenen Augen und meiner dämlichen Geschenketüte in der Hand, und begriff allmählich, dass mir etwas Wesentliches entgangen war.

Ich wandte mich an Mr Rolex. »Was wollte sie denn von dir, wenn keine Beziehung? Mit dir Scrabble spielen?« Mein Gesicht wurde glühend heiß, als sich die Erkenntnis langsam in mir ausbreitete. »Mit dir lernen? Eine Fußmassage?« Endlich sah ich sie unverwandt an. »Wir wollten heute Nacht zusammen unser erstes Mal erleben, Alison.«

»Na, das dürfte schwierig zu wiederholen sein«, platzte Mr Rolex heraus.

In diesem Moment setzte mein Herz endgültig aus. Alison hatte mir erklärt, dass sie noch nicht bereit sei. Dabei war sie es bloß nicht mit mir gewesen.

Die Demütigung war ein Ungeheuer mit zahllosen Tentakeln, die mich von Kopf bis Fuß umschlangen und gefangen hielten. Ich stieß noch einmal schnaubend den Atem aus, bevor ich mich auf dem Absatz umdrehte.

»Es tut mir leid, Rafe«, rief Alison, als ich die Tür aufriss. »Es tut mir so leid.«

Ja klar, jede Wette.

Ihre Zimmertür fiel hinter mir ins Schloss. Laut. So laut, dass der Knall vermutlich die Geister sämtlicher Studenten weckte, die seit der Gründung von Beaumont House hier gewohnt hatten.

Bella

Unser neuer Eishockeytrainer hatte gerade das dritte Trainingsspiel der Saison abgepfiffen. Meine Jungs strömten in die Kabine und verstreuten ihre Helme und Ausrüstung über die Bänke. Sekunden von der ersehnten Dusche entfernt, rotgesichtig und mit schweißnassen Haaren, schälten sie Schicht um Schicht ab.

Ich baute mich mit meinem Klemmbrett mitten im Raum auf. Dann pfiff ich so gellend auf zwei Fingern, dass der Laut von den Fliesen widerhallte. Sofort hatte ich ihre Aufmerksamkeit.

»Jungs, hört mir mal zwei Minuten zu!« Nun wurde es immerhin so still, dass ich normal reden konnte. »Erstens, benutzte Handtücher kommen in den Wäschekorb, es sei denn, eure Mütter kommen nachher aufräumen.« Das galt vor allem den Erstsemestern, die am Anfang immer ein wenig Belehrung benötigten. »Zweitens«, fuhr ich fort, »habe ich erst siebzehn Gesundheitszeugnisse zurückbekommen. Was heißt, das sieben von euch mir das Ding noch aushändigen müssen, sonst könnt ihr nächste Woche nicht für das Trainingsspiel gegen die Penner von der Quinnipiac aufgestellt werden.«

»Penner!«, brüllte jemand zustimmend.

»Und morgen früh reiche ich die Ausstattungsanforderung ein. Wenn also irgendwer fehlerhafte Ausrüstung melden will, sollte er das so schnell wie möglich tun.«

Davies, ein Senior-Verteidiger, wandte mir seinen riesigen nackten Körper zu und legte in gespielter Überraschung eine Hand aufs Herz. »Wen bezichtigst du hier fehlerhafter Ausstattung, Bella? Mein empfindliches männliches Ego steckt solche Unterstellungen nicht einfach so weg.«

Ich verdrehte die Augen. »Deine Ausstattung ist erstklassig, Davies. Aber wenn du nächste Woche ankommst, weil du einen neuen Stock brauchst, bezahlst du die Expressgebühren gefälligst selbst.«

»Mein Stock ist in allerbester Verfassung.« Er grinste.

»Schön, das kannst du mir ja irgendwann mal vorführen.«

»Warte.« Er hob eine Hand. »Kannst du noch ein paar von den extrabreiten Schnürsenkeln besorgen?«

»Kein Problem«, antwortete ich und schrieb es mir auf.

Ich sah mich in der Runde um, ob mich noch jemand auf sich aufmerksam machen wollte. Als mein Blick auf die Erstsemester fiel, denen ich die Fächer in der Kabinenecke zugewiesen hatte, bemerkte ich, wie mich einer von ihnen unsicher beäugte. »Jungs, keine Angst, ihr könnt mich um alles bitten, okay? Besser, ich weiß Bescheid, bevor es zu spät ist.«

»Mundschutz?«, fragte der Neuling, der mich verstohlen über die Schulter hinweg angesehen hatte. Der Junge hieß O’Hane, hatte ein Milchgesicht und eine Prise Sommersprossen um die Nase. Er kehrte mir nur das Gesicht zu, seinen Oberköper hatte er weiter dem Spind zugewandt.

»Die Grundausstattung bewahren wir im Vorratsschrank auf. Wenn du etwas Spezielles brauchst, musst du mir Bescheid sagen.«

»Gut, danke. Und …« Ich wartete, dass er es ausspuckte, doch stattdessen wandte er sich ab, griff nach einem Handtuch und schlang es sich um die Hüften. Dann kam er mit schützend vor der Brust verschränkten Armen auf mich zu. »Gibt es hier irgendwo ein Sportgeschäft?«

»Na ja …« Harkness war keine große Stadt, und in unmittelbarer Nähe gab es kaum Einkaufsmöglichkeiten. »Hockeyausrüstung bekommst du hier nirgends, falls du das meinst, es sei denn, du verfügst über einen fahrbaren Untersatz.« Die meisten von uns hatten kein Auto, weil es am College kaum Parkplätze gab. »Aber Schuhe und Sweatshirts findest du überall. Was brauchst du denn?«

Seine Wangen liefen rot an. »Ausrüstung. Kann ich mal sehen?«

»Na klar.« Ich gab ihm den Katalog und wartete ungeduldig, während er darin blätterte.

Beinahe auf der letzten Seite angekommen, hielt er inne und runzelte die Stirn.

»Ist was?«

Er blickte nervös zwischen dem Katalog und mir hin und her. »Ich brauche …«, er senkte die Stimme so weit, dass ich den Rest des Satzes nur mit Mühe verstehen konnte, »ein Cup.«

»Kein Problem, Süßer.« Er wusste es vielleicht nicht, aber Schwänze waren meine Spezialität. Ich nahm ihm den Katalog ab. »Welche Marke kennst du denn?«

Er lief noch röter an. »Weiß nicht mehr«, gab er zurück, während er den Boden zu seinen Füßen studierte. »Ich … äh … hab aus Versehen den von meinem kleinen Bruder eingepackt.«

Typisch Erstsemester. Sie waren noch nicht daran gewöhnt, auf sich selbst aufzupassen. »Und der passt dir nicht? Alles quillt über?«

Er stieß ein nervöses Lachen aus. »Ja, aber die im Katalog sehen ganz anders aus.«

»Keine Sorge, so kompliziert ist das nicht. Trägst du ihn unter Kompressionsshorts oder unterm Tiefschutz?«

»Shorts.«

»Und willst du, dass dein Ding nach unten zeigt? Oder stopfst du es lieber aufwärts rein?«

»Nach unten«, teilte er dem Fußboden mit.

Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Kein Problem, O’Hane. Ich hab alles im Griff. Sozusagen. Ich bestell dir den richtigen Cup.«

»Danke«, antwortete er mit erstickter Stimme und floh unter die Dusche.

In diesem Moment betrat der neue Trainer die Kabine.

»Coach Canning!«, begrüßte ich ihn und trat ihm in den Weg.

»Ja?« Der Neue war wesentlich jünger als sein inzwischen pensionierter Vorgänger. Er hatte eine mürrische Art, die mir nicht besonders gefiel. Manche Menschen begriffen einfach nicht, dass man nicht schroff auftreten musste, um sich Respekt zu verschaffen.

Trotzdem schenkte ich ihm ein freundliches Lächeln. »Ich schicke morgen früh die Bestellung raus. Schreiben Sie mir heute Abend eine Mail, wenn Sie noch etwas brauchen.«

»Danke«, sagte er und schnalzte mit seinem Kaugummi. »Hey, was machen Sie eigentlich in der Umkleide?«

»Äh …« Ich sah auf meine Uhr. Der Grillabend begann erst in einer halben Stunde. Außerdem war ich nicht für die Organisation verantwortlich, das war was für Anfänger. »Werde ich im Moment woanders gebraucht?«

Er runzelte die Stirn. »Nein. Ich wollte damit sagen: Stört es die Jungs nicht, dass Sie sich hier drin aufhalten?«

Ich starrte ihn an. Im Ernst?

»Coach Canning, die Spieler sind in der Kabine. Ich kann ihnen schlecht besorgen, was sie brauchen, wenn ich nicht auch in der Kabine bin.«

»Ja, stimmt«, sagte er, einen undurchdringlichen Ausdruck im idiotischen, mürrischen Gesicht.

»Und vergessen Sie nicht«, sagte ich gedehnt, »Journalistinnen wurde der Zutritt zu Umkleidekabinen schon erlaubt, da war ich noch gar nicht geboren. Auch zu dieser Kabine.«

Er sah mich noch einen langen Moment unverwandt an, bevor er ohne ein weiteres Wort die Umkleide verließ.

Ich blieb noch eine Weile stehen und fragte mich, was das gerade gewesen war. Als Student Manager unserer Wahnsinnsmannschaft löste ich die Probleme der Jungs und schaffte Leute pünktlich von A nach B. Und ich war gut in dem, was ich tat. Klar, normalerweise war das ein Job für einen Kerl, aber es gab keinen Grund, aus dem die Arbeit von einem Kerl gemacht werden musste. Alles, was man dazu brauchte, war die richtige Einstellung und die Liebe zum Eishockey. Ich besaß beides. Auch Coach Canning würde früher oder später sicherlich kapieren, dass ich für diesen Job brannte.

Doch damit konnte ich mich jetzt nicht weiter beschäftigen, nun stand erst mal das jährliche Grillfest auf dem Programm. Obwohl mich die Aussicht auf die nächste Saison nicht in dieselbe Erregung wie sonst versetzte. Die Jungs hier waren meine besten Freunde. Nicht mehr lange, und wir würden an den Wochenenden zusammen die Ostküste abklappern und gegen Mannschaften von Maine bis Newark antreten. Und ich würde bei sämtlichen Spielen auf der Bank sitzen, was so ziemlich das Coolste auf der Welt war. Trotzdem fühlte ich mich an diesem Abend irgendwie … niedergeschlagen. Hoffentlich nichts, das ein Bier und ein Pulled-Pork-Sandwich nicht beheben würden.

Ein paar Stunden später stand ich hinter dem Haus unseres alten Trainers und war immer noch seltsam wehmütig gestimmt. Dabei zogen wir alle Rituale eines traditionellen Grillfests gnadenlos durch: Wir verschlangen gewaltige Fleischberge und dazu Kartoffel- und Krautsalat. Wir tranken massig Bier. Und dieses Jahr hielten gleich zwei Trainer eine Ansprache – unser pensionierter Coach (der wie immer mehrere tote Präsidenten zitierte) und der neue. Zum Nachtisch gab es wie immer Cupcakes, weil die Frau des Trainers die besonders gern mochte. Trotz allem suchte mich heute eine unerwartete Traurigkeit heim. Zum einen hatte der Abgang unserer Senior-Studenten im letzten Jahr unbestreitbar eine Lücke in meinem Herzen hinterlassen. Ich konnte es immer noch nicht fassen, dass wir ohne Hartley, Groucho und Smitty in die neue Saison gehen würden. Das schien mir einfach nicht richtig zu sein. Doch es war nicht nur so, dass ich sie vermisste; es machte mir Angst, dass nun auch mein letztes Jahr anbrach.

Wie war das überhaupt möglich? Ich sah den Garten unseres Trainers plötzlich mit anderen Augen. Die meisten Spieler würden im nächsten Jahr wieder hier stehen und feierlich den Start in die nächste Saison begehen. Aber wo würde ich dann sein? In Wahrheit hatte ich nicht die geringste Ahnung. Und bis heute hatte ich mir darum auch noch keinen Kopf gemacht. Die vier geplanten College-Jahre waren mir immer endlos lang vorgekommen. Deshalb hatte ich die gelegentlichen bohrenden Fragen meiner Familie, was ich denn in Zukunft zu tun gedachte, immer leichtfertig vom Tisch gewischt. Anstatt mich um meine Zukunft zu sorgen, hatte ich mich meinem Lieblingsfach (Psychologie), der tollsten Sportart der Welt (Eishockey) und meinen Lieblingsmännern (Eishockeyspielern) gewidmet. Doch heute hatte ich auf einmal das Gefühl, als trennten mich nur noch wenige Seiten vom Ende eines herausragenden Romans.

Als sich die Party dem Ende zuneigte, fand ich mich bei den Mädels ein, die meine Jungs mitgebracht hatten. Amy, die neue Flamme unseres Mannschaftskapitäns Trevi, und die Begleiterin unseres Torhüters Orson, deren Namen mir entgangen war.

»Und mit wem bist du hier?«, erkundigte sich Orsons neue kleine Freundin.

Das war ich heute nicht zum ersten Mal gefragt worden. Ich machte den Mund auf, um ihr zu erklären, dass ich alleine gekommen war, doch Amy kam mir zuvor.

»Mit allen«, bemerkte sie spitz.

Reizend. Amy hatte mich noch nie leiden können.

»Ich bin die Teammanagerin«, erklärte ich. Ich würde mich von Amys zickiger Bemerkung nicht aus der Ruhe bringen lassen.

»Oh«, sagte die Neue. »Das ist bestimmt spannend.«

»Was man so hört, ja«, zischte Amy.

Ich versuchte mich davon abzuhalten, die Augen zu verdrehen. Viele der Mädchen wussten nicht, was sie von mir halten sollten. Es gefiel ihnen nicht, dass ich ihre Liebsten ständig nackt sah. Und sie wollten nicht darüber nachdenken, ob ihre Freunde womöglich auch mich nackt sahen. Ich zu sein bedeutete, dass mir mein Ruf vorauseilte. Tatsächlich hatte ich lange vor Amy ein einziges Mal mit Trevi angebändelt. Aber das war schon so lange her, dass ich mich nicht mal mehr an die Einzelheiten erinnerte.

Manchmal gingen mir die Amys dieser Welt gehörig auf den Geist. Heute jedoch behielt ich die Nerven. Man durfte die Zicken schließlich nicht gewinnen lassen. »Der Job ist super. Auf der Bank hab ich immer den besten Ausblick aufs Spiel«, sagte ich. Wenn sich die Mädels wegen etwas den Kopf zerbrechen mussten, dann wegen meiner Privilegien an den Spieltagen. Weil Eishockey nämlich der beste Sport überhaupt war, und sie nichts davon mitbekamen.

Ein paar Meter entfernt standen Orson und Trevi. Sie waren in einen Streit über die Chancen der Bruins in der kommenden Saison vertieft. »Wie kannst du behaupten, ihre Verteidigung sei lückenhaft?« Orson schäumte vor Wut.

»Nee, nicht lückenhaft, eher überhaupt nicht vorhanden.« Trevi gluckste.

»Jungs«, mischte ich mich ein. »Was nicht vorhanden ist, ist das hier.« Ich hob meine leere Bierflasche. »Wer will noch?«

»Ich geh schon«, sagte Orson. »Der Trainer schmeißt uns wahrscheinlich sowieso bald raus. Es ist schon fast zehn.« Damit marschierte er zum Biertisch.

»Hey, was geht, Bella?«, fragte Trevi und leerte in Vorbereitung auf die nächste Runde seine Bierflasche.

»Alles wie immer. Ich versuche, die Frischlinge einzuordnen. Und ein Thema für meine Abschlussarbeit zu finden. Und bei dir so? Stimmt es, dass sich die Blackhawks für dich interessieren?«

Trevi grinste. »Sie interessieren sich. Aber das heißt nicht, dass sie mir auch einen Antrag machen werden.«

»Davon gehe ich aus«, versicherte ich ihm und drückte freundschaftlich seinen Arm.

Amy verzog das Gesicht, als hätte sie auf etwas Bitteres gebissen.

Es war mir egal. Ob es ihr passte oder nicht, Trevis’ Chancen begeisterten mich. Die Mannschaft wurde von einer Handvoll Talentscouts umkreist. Meine Jungs hatten während der letzten Saison einen Haufen Schlagzeilen gemacht und am Ende den zweiten Platz der Landesliste belegt. Die NHL würde sich bestimmt den einen oder anderen schnappen. Alle hatten Pläne, bloß ich nicht. Und wenn sie noch keine Pläne hatten, dann doch wenigstens Träume.

»Hallo, Leute!«

Als ich mich umdrehte, sah ich einen meiner früheren Träume in den Garten unseres Trainers schlendern. Michael Graham war der zweite Mann gewesen, in den ich mich verliebt hatte. Und weil ich den Rekord in romantischen Katastrophen hielt, auch der zweite, der mir das Herz gebrochen hatte.

»Wir haben dich heute beim Training vermisst«, sprach Trevi meine Gedanken laut aus. »Ich hab keine Ahnung, wieso du über Sport schreiben musst, wenn ich dich so dringend an der Blauen Linie brauche.«

Mein liebster Ex-Verteidiger grinste bloß. »Ich hatte heute einen Mordsspaß.«

»Wobei?« Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und gab ihm einen Kuss auf die Wange, achtete jedoch drauf, mich nicht allzu sehr ranzuschmeißen. Ich wollte mich nicht in Erinnerungen verstricken. Dazu war ich immer noch viel zu sehr darum bemüht, das Verlangen loszuwerden, seine Haut an meiner zu spüren.

Er klopfte mir freundschaftlich auf den Rücken. »Ich war vier Stunden mit der Rudermannschaft auf dem Fluss unterwegs. Eigentlich dachte ich, ich gucke nur zu, aber eines der Schwergewichte hatte Knieprobleme. Und da meinte der Kapitän: ›Komm her, Junge, wir zeigen dir jetzt mal, was Rudern heißt!‹« Graham lachte. »Fuck, war das hart. Davon erholen sich meine Bauchmuskeln nie wieder.«

Vor nicht allzu langer Zeit hätte ich ihm angeboten, seinen Muskelkater mit Küssen zu lindern. Aber leider gebührte diese Ehre inzwischen jemand anderem.

Ich zwang mich zu einem Lächeln, während mein Herz aus dem Takt geriet, weil der Junge so verflucht glücklich aussah. Den grüblerischen Graham, den ich geliebt hatte, gab es nicht mehr. Er war durch ein unbeschwertes Geschöpf ersetzt worden, das ich bis auf die kräftigen Muskeln und die kühlen blauen Augen kaum wiedererkannte. Der Graham, den ich kennengelernt hatte, hätte nicht alles, was sich bewegte, mit einem Lächeln bedacht. Er war so düster und sein Herz so zerbrochen gewesen wie meins. Aber neuerdings strahlte er geradezu. Gab es wirklich niemanden sonst auf der Welt, den das Leben in Verwirrung stürzte?

»Wie steht dieses Jahr deine Defensive?«, wollte Michael von Trevi wissen.

»Fragst du offiziell?«

»Nein, du Arsch«, gab Graham lachend zurück. »Wir reden hier unter Freunden.«

Trevi lächelte. »Die Defensive ist jung, aber angriffslustig. Ich mag diese Erstsemester. Echt.«

Wir wandten uns alle O’Hane und dem anderen Frischling zu, die am Biertisch zusammenstanden.

»Die beiden sind schnell«, bemerkte ich. »Vor allem der Kleine, Hopper, hat mir heute im Training gefallen.«

»Moment mal«, ließ sich eine neue Stimme vernehmen. »Wer gefällt Bella? Ich brauche die Info für die Wetten zum Saisonstart.« Big-D, einer der Senior-Verteidiger, stieß zu unserem Kreis und stemmte die Fäuste in die Hüften. »Es gibt schon Einsätze, welchen Neuling Bella zuerst abschleppt.«

Trevis’ Freundin kicherte, bevor sie sich die Hand vor den Mund schlug.

Reizend.

Wieder behielt ich die Nerven, obwohl Big-Ds Bemerkung an mir nagte. Ja, es stimmte, ich hatte schon mit einigen Eishockeyspielern Sex gehabt (allerdings meistens nur mit einem auf einmal). Aber diese Spieler waren selbst auch keine Heiligen, und auf sie wurden keine Wetten abgeschlossen. Verlogene Doppelmoral.

Allerdings war ich nicht die Einzige, die auf Big-D und seine dummen Bemerkungen allergisch reagierte. Ich spürte deutlich, wie sich Graham neben mir versteifte. »Du Arsch«, zischte er. »Lass den Scheiß, oder ich –«

»Nein«, unterbrach ich ihn und legte ihm beruhigend eine Hand auf die Brust. »Lass gut sein. Jeder weiß, dass Big-D mich nur deswegen blöd anmacht, weil ich ihn bestimmt nicht noch mal abschleppe. Einmal hat mir gereicht.«

Big-D presste die Lippen aufeinander, aber ich hatte keine Angst vor ihm. Ich löste die Hand von Graham und schenkte Big-D ein boshaftes Lächeln. »Du müsstest eigentlich wissen, dass du die Teammanagerin besser nicht beleidigst. Immerhin könntest du dir damit von jetzt bis April bei den Auswärtsspielen die beschissensten Hotelzimmer einhandeln. Außerdem könnten deine Essensmarken verschwinden und deine Schlittschuhkufen stumpf bleiben.«

»Ich hab nur Spaß gemacht, Bella.« Er grinste mich verlegen an. »Das würdest du nicht bringen.«

»Ach nein?« Na los, lass es drauf ankommen.

»Alle ganz schön unentspannt für einen Samstagabend.« Big-D schüttelte seinen riesigen Kopf, als wären wir bloß ein bisschen überempfindlich. Dann drehte er sich um und trottete zum Haus.

»Ich hasse diesen Scheißkerl«, fluchte Graham, nachdem Big-D verschwunden war.

»Im Grunde ist er nur unsicher«, sagte ich. Was tatsächlich stimmte. Big-D sah nicht so gut aus wie Graham, er war nicht so klug wie Trevi, und Orsons natürliche Herzenswärme besaß er auch nicht. Er war keiner der beliebten Spieler, und das wusste er. Mit dem Ergebnis, dass er ständig gegen andere austeilte und sich damit noch unbeliebter machte. Hatte ich erwähnt, dass ich im Hauptfach Psychologie studierte?

In Wahrheit redete alle Welt schlecht über mich, weil ich kein Geheimnis daraus machte, dass ich mit überdurchschnittlich vielen Jungs schlief. Und über Mädchen mit häufig wechselnden Partnern zerriss man sich halt das Maul. Ich kannte das schon. Außerdem hatte ich, um bei der Wahrheit zu bleiben, die Neulinge tatsächlich schon abgecheckt und das Angebot kritisch geprüft. Letztes Jahr war ich gleich nach dem Grillfest mit einem Erstsemester abgezogen. Die Nähe zu den schärfsten Sportlern auf dem Harkness-Campus war einer der Hauptvorteile meines Jobs.

»Was hältst du dieses Jahr von unserer Footballmannschaft?«, erkundigte sich Trevi bei Graham, um das Thema zu wechseln. Ein guter Kapitän wusste immer, wie er eine Situation entschärfen konnte.

Graham begann, über Quarterbacks zu reden.

Da ich mich nicht sonderlich für Football interessiere, blendete ich ihn aus, reckte das Kinn und betrachtete den Himmel. Harkness lag in einem Industriegebiet von Connecticut. Daher war es meistens so hell, dass man kaum Sterne sah.

Nicht zum ersten Mal heute Abend spürte ich, wie meine Stimmung einen erneuten Tiefpunkt erreichte. Es wurde täglich kühler, Winter lag in der Luft. Die Kälte drang mir bis ins Mark. Ich trat dichter an Graham heran, der mir einen Arm um die Schultern legte. Ich hieß die Geste willkommen, mein Problem löste sie jedoch nicht. Die innere Leere, mit der ich zu kämpfen hatte, ließ sich nicht durch eine freundliche Umarmung oder das Bier beheben, das ich intus hatte.

Die Caterer begannen, den Biertisch abzuräumen. Das Grillfest zum Saisonstart ging zu Ende.

Mein letztes Grillfest zum Saisonstart.

Das vor mir liegende Jahr kam mir plötzlich vor wie die riesige Sanduhr im Zauberer von Oz. Der Sand verrinnt, und Dorothy gerät in Panik.

Hinter mir lachten ein paar Hockeyspieler laut über einen Witz, der mir entgangen war. Ihre fröhlichen Stimmen erfüllten die Nacht, und ich fühlte mich noch einsamer.

2

Mehr als nur ein paar Schmetterlingsflügel

Rafe

Nach meinem überstürzten Abflug aus Alisons Zimmer ging ich nicht nach Hause. Stattdessen lief ich stundenlang ziellos auf dem Campus herum.

Blind vor Zorn irrte ich zur Bibliothek seltener Bücher, deren Mauern bedrohlich über mir aufragten, lief am Denkmal für die in sämtlichen Kriegen seit der Revolution gefallenen Studenten vorbei, kam zum Friedhof und schließlich zum Hockeystadion. Währenddessen wechselten sich Wut und Verwirrung in meinem Innern ab. Was hatte ich falsch gemacht?

Als mein Handy in der Jackentasche zu klingeln begann, ignorierte ich es zuerst. Ich fühlte mich nicht in der Lage, mit Alison zu sprechen. Aber als ich schließlich doch ranging, war es nur das Restaurant, das wissen wollte, ob meine Reservierung noch stand.

»Es tut mir leid«, teilte ich dem Restaurantmanager mit. »Unsere Pläne haben sich geändert.« Und wie.

Die Temperatur fiel weiter. Für einen Septemberabend war es verblüffend kalt. Ich fror, hatte nichts gegessen, und vermutlich war es höchste Zeit, endlich heimzugehen. Sinnlos herumzulaufen würde ohnehin keine meiner Fragen beantworten. Ich war ein anständiger Junge und Freund gewesen. Meine einzige Sünde war meine Dummheit.

Ich stapfte zum Eingangstor von Beaumont House zurück, wo ich mich durch eine Gruppe Studenten schlängeln musste, die vermutlich gerade zu irgendeiner Party aufbrechen wollten. Ich würde den Abend allein verbringen, weil ich meinen Fußballkumpels abgesagt hatte, um mit Alison gemeinsam Geburtstag zu feiern. Und wofür?

Wie betäubt stieg ich abermals steinerne Stufen hinauf. Diesmal zu meiner im ersten Stock gelegenen Studentenbude. Ich schloss auf und wappnete mich innerlich, das heutige Debakel erklären zu müssen. Wir haben Schluss gemacht – mehr wollte ich nicht dazu sagen.

Obwohl Licht brannte, war der Gemeinschaftsraum verwaist. Ich sah mich um und registrierte die Zeichen. Auf dem Sofatisch standen Bickleys Kristallkelche, am Boden hatte sich Rotwein abgesetzt. Dann wandte ich mich unserer Schlafzimmertür zu. Geschlossen. Keine Fahne am Türknauf, aber Bickley ging schließlich davon aus, dass ich die Nacht woanders verbrachte. Was bedeutete, dass ich behutsam vorgehen musste.

Mucksmäuschenstill stand ich mitten im Gemeinschaftsraum und lauschte. Ich hörte leise langsame Musik, die vermutlich aus dem Schlafzimmer kam, das ich mir mit Bickley teilte. Doch auch die andere Tür, die in Mats winziges Einzelzimmer führte, war zu.

Ich schlüpfte aus meinem Jackett und warf es auf unser todschickes Sofa. Während die meisten Buden auf dem College im Stil früher amerikanischer Hausbesetzungen möbliert waren, war unsere Einrichtung vom Feinsten. Was wir ausschließlich Bickley verdankten. Er war der Sohn eines waschechten britischen Peers, und seine Familie verfügte über ein beträchtliches Vermögen. Also hatte er Möbel gekauft, die ein Mehrfaches dessen gekostet hatten, was ich mir an Einrichtung in Manhattan mit meiner Mutter teilte.

Allein in diesem Überfluss ließ ich mich auf der Kante des Ledersofas nieder und überlegte, was ich nun mit meiner Zeit anfangen sollte. Was machte ein Typ, der gerade dahintergekommen war, dass seine sogenannte Freundin ihn in einem Zelt in Ecuador mit einem reichen Schnösel betrogen hatte? Fernsehen? Videogames spielen? Rituellen Selbstmord begehen?

Aus unserem Schlafzimmer drang Stöhnen. War ja klar. Genau der Soundtrack, den ich heute Abend brauchte. Und wo war eigentlich die Universalfernbedienung? Ich brauchte das Scheißteil, und zwar sofort. Ich suchte zwischen den Sofakissen. Ohne Erfolg.

In diesem Moment hörte ich in Mats Zimmer jemanden grunzen.

Das ist jetzt nicht wahr, oder? Meine Mitbewohner hatten beide Übernachtungsbesuch. Wollte mir das Universum damit mitteilen, dass ich unberührt sterben würde?

Wütend ließ ich mich auf Hände und Knie sinken und spähte auf der Suche nach der Fernbedienung unters Sofa. Bickley hatte seine komplizierte Videoanlage so eingerichtet, dass man dafür die Fernbedienung und eine Gebrauchsanleitung benötigte, die von der NASA hätte stammen können und die er an die Holzvertäfelung der Wand geklebt hatte.

Leider ging der Sexsoundtrack hinter mir nun in Stereo weiter. Mein Frust wuchs, bis meine Hände aus Ärger über absolut alles auf der Welt zitterten.

Als ich mit dem Fuß an die bescheuerte Geschenketüte stieß, die ich schon den ganzen Abend mit mir herumschleppte, wäre sie beinahe umgefallen. Ich gab auf, packte die Tüte, stapfte ins Treppenhaus und ließ die Tür hinter mir zufallen. Nicht, dass ich gewusst hätte, wohin ich gehen sollte. Eigentlich hatte ich es satt, in der Kälte herumzulaufen. Daher setzte ich mich wie der Loser, der ich war, auf die Steinstufen im Treppenhaus.

Alles was mir von meinen Plänen für heute Abend noch blieb, war eine viel zu teure Flasche Alkohol. Ich zog das Teil aus der Tüte. Der Champagner war nach meinem ausgedehnten Fußmarsch gut gekühlt. Oder wenigstens einigermaßen kühl. Wahrscheinlich hätte ich die Tüte mit allem, was darin war, in die erstbeste Mülltonne kloppen sollen. Aber das wäre Verschwendung gewesen, oder? Ende Gelände. Zeit, mich mit Schampus zu besaufen. Ich klemmte mir die Flasche zwischen die Knie und riss ihr die Goldfolie vom Hals.

Ein kalter Lufthauch wehte zu mir herauf. Offenbar hatte irgendwer unten das Haus betreten. Im nächsten Moment hörte ich Schritte. Wer immer da kam, würde gleich hier sein und sich vermutlich fragen, warum ich mutterseelenallein auf der verdammten Treppe saß und den Draht von einer Champagnerflasche drehte.

Nur hereinspaziert, Ladys und Gentlemen, sehen Sie hier den größten Loser der Welt!

Ich warf den Draht in die Tüte und faltete die Hände über dem Korken. Schließlich wollte ich mir damit kein Auge ausschießen. Diese Nacht war so schon beschissen genug gelaufen. Und wenn ich etwas gelernt hatte, dann, dass es immer noch schlimmer kommen konnte.

»Na, aber hallo!«

Als ich aufblickte, sah ich meine Lieblingsnachbarin auf mich zukommen.

»Hey, Bella.« Offenbar würde ausgerechnet die süßeste Bewohnerin von Korridor F Zeugin meines erbärmlichen kleinen Dramas auf der Treppe werden. Dios. Was konnte demütigender sein?

Fairerweise musste ich zugeben, dass Bella immer nett zu mir gewesen war. Selbst jetzt schenkte sie mir ein strahlendes Lächeln. Statt den Aufstieg zu ihrem Zimmer im dritten und letzten Stock fortzusetzen, ließ sie sich neben mir auf der Treppe nieder und verschränkte die Hände vor den Knien. »Feierst du eine Privatparty?«

»Ja, aber falls ich die hier aufkriegen sollte, kannst du was abhaben.« Ich hielt die Flasche von unseren Gesichtern weg und ließ vorsichtig den Korken los.

Nichts passierte.

»Darf ich dir helfen?«

Noch eine Peinlichkeit. Andererseits wurde ein Kerl, der eine Champagnerflasche entkorken konnte, vermutlich erst gar nicht von seiner Freundin betrogen.

Bella sah mich mit einem Lächeln an, das es in sich hatte.

Ich war immer schon auf sie abgefahren, was ich jedoch niemals zugegeben hätte. Sie war mir im vergangenen Jahr aufgefallen, als ich noch ein nichtswürdiger Frischling gewesen war. Sie war irgendwie so lebendig und hatte dieses beständige Funkeln in den Augen und rosige Wangen, wie man sie nur durch Lachen und niemals durch Schminke bekam. Wir hatten uns jedoch erst dieses Jahr am Einzugstag offiziell kennengelernt, als ich ihr ein paar Kartons die Treppe hinaufgetragen hatte. Sie war Senior-Studentin und bewohnte ein Einzelzimmer im dritten Stock unterm Dach des Gebäudes – eine Kammer mit schrägen Wänden und einem Fensterchen, aus dem Hänsel und Gretel hätten hinausspähen können.

»Klasse Zimmer«, hatte ich gesagt, nachdem ich die Kartons abgestellt hatte. Ich liebte die Architektur der Harkness-Bauten, in denen kein Zimmer dem anderen glich. Alte Dinge – Gott, ich bekam nicht genug davon.

»Ja, nur der Aufstieg ist etwas mühselig«, hatte sie japsend geantwortet, während ich versucht hatte, ihr nicht auf den Busen zu starren, der unter ihrem Harkness-Hockey-T-Shirt wogte.

Als wir an jenem Labor Day in ihrer Kammer gestanden hatten, war mir die körperliche Nähe zu ihr plötzlich schmerzlich bewusst geworden. Manche Mädchen kleideten sich gewollt sexy: kurze Röcke, eng anliegende Oberteile. Bella gelang es, sogar in Sportklamotten und ohne Make-up sexy zu wirken. Sie hatte mich immer schon angemacht, auch wenn sie mich ein wenig einschüchterte. Wir teilten nicht nur das Wohnheim, sondern besuchten in diesem Semester auch dieselbe Vorlesung zur städtebaulichen Planung, Urban Studies. So fiel sie mir häufiger ins Auge, als ich es mir eingestehen wollte.

Und jetzt? Jetzt würden wir zusammen Champagner trinken. Eigentlich hatte ich mich ja allein in meinem Selbstmitleid suhlen wollen. Andererseits konnte ich eine Freundin und etwas Ablenkung gut gebrauchen. Wenn ich bloß die verflixte Flasche aufbekäme.

Bella wartete mit geduldiger, aber auch ein wenig amüsierter Miene. »Du hast das noch nie gemacht, oder?«

»Ist das so offensichtlich?«

»Darf ich dir einen Tipp geben? Versuch, den Korken leicht zu drehen.«

»Drehen?« Meine vorbereitende Internetrecherche heute Nachmittag hatte nichts über »drehen« zutage gefördert.

»Vertrau mir. Ich habe sehr geschickte Hände.« Sie stupste mich neckisch mit dem Ellbogen an.

Ich spürte, wie mein Hals und Gesicht bei Bellas Bemerkung zu glühen begannen. Aber da sie dauernd irgendwelche zweideutigen Anspielungen machte, riss ich mich allmählich besser mal zusammen. Leider fand ich sie so sexy, dass mir in ihrer Anwesenheit jedes Mal der Schweiß auf die Stirn trat. Die Art, auf die sie mich ansah, ließ mich nur allzu intensiv an meinen Körper und seine diversen Einsatzmöglichkeiten denken.

Theoretisch.

Weiter im Text.

Ich widmete mich meiner anstehenden Aufgabe, befolgte ihren Rat und drehte den Korken ein wenig. Allmählich fühlte ich ihn nachgeben. Eine halbe Sekunde später hallte ein beglückendes Plop durchs Treppenhaus, der Korken sauste im hohen Bogen durch die Luft, prallte von einer Eichenholzschnitzerei ab und landete schließlich auf den Treppenstufen.

Bella legte die Hände auf die Knie und lachte schallend. »Nicht schlecht für eine Jungfrau.«

Heilige … Mein Herz setzte zwei, drei Schläge aus. War es so offensichtlich? War ich irgendwie gezeichnet? Leuchtete ich wie eine Ampel?

Sie stand auf, holte den Korken und gab ihn mir. »Hier. Zur Erinnerung an dein erstes Mal.«

Oh. Ich stieß die angehaltene Luft aus. Sie hat die Champagnerflasche gemeint, estúpido. Meine Schultern entspannten sich ein wenig.

»Bitte.« Ich reichte ihr die Flasche. »Du kriegst den ersten Schluck.«

»Ein Gentleman.« Bella nahm die Flasche und hob sie vorsichtig an die Lippen. Sie trank einen Schluck und wischte sich, als der Schaum aus der Flasche sprudelte, rasch den Mund ab. Sie lachte. »Ich hab ja nichts gegen diese Ex-und-hopp-Mentalität. Aber wenn wir das nächste Mal auf dem Flur versumpfen, bringe ich Bourbon mit.« Sie gab mir die Flasche.

»Guter Plan.« Ich nickte, bevor ich selbst einen Schluck trank. Mein Herz mochte verbittert sein, der Schampus war es nicht. Er schmeckte fantastisch.

»Und warum genau sitzen wir hier, wenn ich fragen darf?«

Ich lachte heiser. »Meine Räumlichkeiten sind gerade etwas überfüllt. Also, nicht der Gemeinschaftsraum, aber …« Ich beließ es bei einem Kopfschütteln.

Bella kicherte. »Echt? Deine Mitbewohner sind beide beschäftigt?«

»Ja.« Ich räusperte mich. »Ich dachte, ich bleibe lieber hier draußen, bis die Wände zu wackeln aufhören.«

»Ich hätte wahrscheinlich gefragt, ob ich mitmachen kann. Aber so bin ich eben.«

Es gelang mir, ein Lächeln zustande zu bringen, statt meine Zunge zu verschlucken. Es war nicht so, dass ich irgendwann beschlossen hatte, prüde zu werden. Ich wusste es nicht besser. Da, wo ich herkam, sprach man einfach nicht über Sex.

Bella erhob sich. »Komm, den Rest deiner beklagenswerten Geschichte kannst du mir oben erzählen.«

»Wie bitte?«

Sie winkte mir. »Bei mir gibt es Möbel. Und Gläser.« Sie hob die Flasche auf und griff nach meiner Geschenketüte. »Hoch mit dir.« Und ohne länger abzuwarten, was ich tat, drehte sie sich um und stieg die Treppe hinauf.

Bella

Einen Moment lang war ich mir nicht sicher, ob er mir folgen würde. Doch dann hörte ich Rafe hinter mir die Stufen herauftrotten. Gut so. Ich wollte den heutigen Abend nicht allein verbringen und über meine ungewisse Zukunft brüten.

Die Treppe wand sich immer schmaler hinauf bis unters Dach des alten Gebäudes. Ganz oben gab es nur zwei Zimmer – meines und ein zweites genau gegenüber, zu dem die Tür jetzt offen stand. Die Klänge klassischer Musik drangen auf den Treppenabsatz hinaus.

»Abend, Lianne«, rief ich in Richtung meiner Nachbarin. »Ich hab einen Freund mitgebracht. Falls du uns Gesellschaft leisten willst …«

Schweigen.

Ich grinste in mich hinein. Ich hatte mit Absicht nicht erwähnt, wobei Lianne uns Gesellschaft leisten könnte. Im Allgemeinen hielt ich mich für einen netten Menschen, aber Liannes Abneigung gegen meinen Lebensstil ging mir schon seit unserem Einzug hier gewaltig gegen den Strich. Meine Nachbarin missbilligte, wie viele Männer bei mir ein- und ausgingen. Oft sah ich sie durch den Türspalt die Stirn runzeln, wenn ich mit einem der Eishockeyspieler aufschlug, die ich gelegentlich mit in mein Bett nahm. Wir teilten uns ein winziges Gemeinschaftsbad, und einmal hatte Lianne einen Blick auf den nackten Hintern eines Typen unter der Dusche erhascht. Sofort hatte sie die Lippen geringschätzig zu einer schmalen weißen Linie zusammengepresst.

Sie hielt mich für eine totale Schlampe – während sie ihrerseits wie eine Nonne zu leben schien. Ich hatte sie nicht nur niemals mit einem Jungen gesehen, sie schien einfach überhaupt keine Freunde zu haben.

»Dann gute Nacht«, rief ich noch durch den Türspalt.

Keine Antwort.

Egal.