The Last Dragon King - Die Chroniken von Avalier 1 - Leia Stone - E-Book

The Last Dragon King - Die Chroniken von Avalier 1 E-Book

Leia Stone

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Beschreibung

Der Auftakt einer neuen fesselnden Dark-Romantasy-Reihe von Erfolgsautorin Leia Stone

Willkommen, in der Welt von Avalier!

Die Nachricht, dass der Drachenkönig eine Partnerin sucht, verbreitet sich in ganz Embergate wie ein Lauffeuer. Als seine Garde auch im kleinen Dorf Cinder hält, um nach geeigneten Kandidatinnen Ausschau zu halten, ist die Aufregung groß. Schließlich leben dort nur schwachmagische Wesen, wie die 17-jährige Arwen. Als die Witterer auf sie aufmerksam werden und sie mit ins Schloss nehmen, ist Arwen alles andere als begeistert. Schließlich möchte sie aus Liebe heiraten. Doch dann erfährt sie, was wirklich hinter allem steckt: Aus dem angrenzenden Nightfall droht eine Gefahr, die die Existenz der gesamten magischen Welt bedroht. Kann König Valdren rechtzeitig eine mächtige Partnerin finden, um den Feind zu bezwingen? Und warum klopft Arwens Herz plötzlich schneller, wenn er in ihrer Nähe ist?

Erstauflage exklusiv mit Farbschnitt, Page-Overlay & Charakterkarte

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

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Seitenzahl: 353

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Inhalt

Cover

Weitere Titel der Autorin

Titel

Impressum

Trigger

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DANKSAGUNG

Inhaltsinformation

Weitere Titel der Autorin:

Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 1

Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 2

Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 3

Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 3,5

Celestial City – Akademie der Engel: Jahr 4

Leia Stone

Übersetzung aus dem amerikanischen Englisch von Michael Krug

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der amerikanischen Originalausgabe:

»The Last Dragon King – Kings of Avalier Book One«

Für die Originalausgabe:

Copyright ® 2022 by Leia Stone

Published by arrangement with Bookcase Literary Agency

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright ® 2024 by Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Vervielfältigungen dieses Werkes für das Text- und Data-Mining bleiben vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Guter Punkt, München | www.guter-punkt.de

Umschlagmotiv: © Fay Lane Book Cover Design

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-5575-7

one-verlag.de

luebbe.de

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Dazu findet ihr genauere Angaben am Ende des Buches.

ACHTUNG: Sie enthalten Spoiler für das gesamte Buch.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmöglicheLeseerlebnis.

Euer Team vom ONE-Verlag

1

Ich hievte mir meine Beute über die Schulter und ächzte unter dem Gewicht. Bei dem Pumaro handelte es sich um ein ausgewachsenes Männchen und das bisher größte von mir erlegte Tier. Das Fleisch würde reichen, um meine Mutter und meine kleine Schwester mindestens zwei Monde lang zu ernähren. Und es würde sogar noch etwas zum Verkaufen auf dem Markt übrigbleiben. Obwohl der Winter erst in einiger Zeit Einzug halten würde, wollte ich frühzeitig neue Felle sowohl für meine Mutter als auch für Adaline besorgen.

Es hatte sich gelohnt, dass ich das Tier die letzte Woche lang verfolgt hatte. Ich konnte mir ein schiefes Grinsen nicht verkneifen, als ich in mein Heimatdorf Cinder Village zurückkehrte, das von allen nur Cinder genannt wurde.

Durch die Lage am Fuß des Cinder Mountain mit seinen Kohleminen bedeckte stets feiner Staub alles im Dorf. Dieser Tag bildete dabei keine Ausnahme. Die Felsen entlang der Straße wiesen ebenso eine Ascheschicht auf wie die Spitzen meiner Jagdstiefel. Ich nahm es kaum noch wahr. Man gewöhnte sich daran, wenn man hier lebte. Der Staub saß in den Ohren, in der Nase, zwischen den Zähnen und an anderen Stellen, über die man nicht sprach.

In Jade City, der Hauptstadt von Embergate, erkannte man einen Bewohner von Cinder aus einer Meile Entfernung. Von uns stob bei jedem Schritt etwas Staub auf, und wir waren verdammt stolz darauf. Die Menschen in Cinder arbeiteten hart. Wir hockten nicht den ganzen Tag auf dem Hintern.

»Schöne Beute, Arwen!«, rief Nathanial von seinem Posten oben am Eingangstor. Er gehörte zu den bestaussehenden Männern im Dorf. Sandblondes Haar, haselnussbraune Augen, eine scharf geschnittene Kieferpartie ... Allein ihn anzusehen, bescherte mir ein warmes Gefühl im Bauch.

Ich grinste ihn an. »Kommst du später zum Essen? Bring deine Eltern mit.«

Er nickte und schürzte die Lippen. »Mit Vergnügen.«

Die Große Hungersnot lag zwar schon zwanzig Winter hinter uns, doch meine Eltern hatten sie immer in Erinnerung behalten. Deshalb brachten sie uns schon früh bei, wie man jagte, Nahrung anbaute und Beutetiere häutete und verarbeitete. In der Regel übernahmen die Männer die Jagd, die Frauen den Anbau. Aber durch den Tod meines Vaters war mir ein solcher Luxus nicht vergönnt. Man brachte uns auch bei, freundlich zu sein und eine Mahlzeit zu teilen, wenn man genug zu essen hatte. Derzeit lebten wir in gesegneten Zeiten, und der Pumaro war wesentlich mehr, als wir brauchten.

Allmählich verursachte das Gewicht des Tiers stechende Schmerzen zwischen meinen Schultern, und das Blut aus seiner Pfeilwunde am Hals tropfte mir vorn aufs Hemd. Ich konnte es kaum erwarten, die Beute bei meiner Mutter abzuladen und mich danach zu waschen.

Auf dem Weg an den Marktständen vorbei nickte ich den dort arbeitenden Männern und Frauen zu und bewunderte die hübschen Blumengirlanden, die man überall im Dorf zum Maitag aufgehängt hatte. Insgeheim hatte ich befürchtet, dass ich nicht vor dem allseits beliebten Fest der Liebe zurück sein würde. Aber ich hatte meine Beute gerade noch rechtzeitig erlegt. Und wenn ich mich mit dem Waschen beeilte, würde ich es vielleicht sogar noch zum Kusszelt schaffen.

Ich beschleunigte die Schritte und bog um die Ecke in die Gasse, in der sich die Hütte meiner Mutter befand. Wir waren einfache Menschen, die ein schlichtes Leben führten. Strohgedeckte Hütten, frisches Flusswasser, Kartoffelfelder und Kohlebergbau – das fasste Cinder zusammen. Die Asche aus der Kohlemine sorgte für fruchtbaren Boden, weshalb wir für große Kartoffeln und süße Knollenfrüchte im ganzen Reich bekannt waren.

Als ich fünfzehn Winter alt war, hatte ich unsere Hauptstadt besucht, Jade City. Damals stand mir während der gesamten dreitägigen Reise der Mund offen. Es war die schönste Stadt in ganz Embergate. Deshalb lebte unser König wie schon alle Herrscher vor ihm ebenfalls dort. Jade City strotzte dermaßen vor Luxus und Wohlstand, ich hätte es nicht geglaubt, wenn ich es nicht mit eigenen Augen gesehen hätte. Mehr Jade, Gold und Rubine, als ich je im Leben zu Gesicht bekommen hatte. Sämtliche Straßen bestanden aus Ziegeln, die Gebäude aus weißem Stein. Nachts schimmerte die Stadt wie ein Juwel. Der Met floss in Strömen, an den Essensständen herrschte Überfluss, und auf den Straßen wimmelte es von Drachenblütern.

Ich war nie zuvor unter so vielen mächtigen Drachenmenschen wie in Jade City gewesen. Sie besaßen eine Verbindung mit ihrem König Drae Valdren. Er verlieh ihnen durch sich selbst Macht, daher leuchtete ein, dass sie in seiner Nähe leben wollten. Drachenmenschen mit genug Magie konnten heilen und Feuer speien, außerdem waren sie unheimlich stark. Aber die vollständige Verwandlung in Drachengestalt blieb allein dem König vorbehalten, dem mächtigsten Drachenmenschen, der je gelebt hatte.

Cinder stellte eine kleine Besonderheit dar. Streng genommen befanden wir uns auf dem Hoheitsgebiet von Embergate und wurden vom Drachenkönig regiert, aber wir waren ein bunt gemischter Haufen. Menschen, Drachenblüter, Elfen, Fae und sogar ein paar verirrte Wölfe waren bei uns gelandet. Mischvolk oder Kreaturen, die nur schwachmagisch waren, wurden in der Regel aus ihrem Gebiet verstoßen und endeten bei uns, wodurch eine Art Kolonie entstanden war. Eine gemischte Gesellschaft. Meine Mutter war durch und durch Mensch. Ihre Eltern waren aus Nightfall City übergelaufen, als sie noch klein war. Und mein Vater hatte ein Zehntel Drachenblut in sich getragen, war aber ansonsten menschlich gewesen. Das hatte nicht für eindrucksvolle Feuerkräfte gereicht, aber er konnte in den Minen große Felsbrocken heben und meiner Mutter und mir ein gutes Leben bieten. Bis zu seinem Tod. Ich war damals erst neun gewesen ...

»Beim seligen Schöpfer, sieh sich einer diese Beute an!«, rief meine Mutter schrill von der Tür unserer Hütte und riss mich damit aus den Gedanken über meinen Vater. Jeder Muskel meines Körpers schmerzte. Ich war müde und voller Blut, und ich stank, doch meine Mutter so glücklich zu sehen, brachte mich dazu, sie anzugrinsen.

»Bis nächste Woche werden wir den Bund meiner Hose verbreitern müssen«, scherzte ich. Meine kleine Schwester Adaline steckte den Kopf zur Tür heraus. Ihre Augen wurden groß wie Untertassen.

»Pumaro-Eintopf zum Abendessen!«, stieß sie freudig quiekend hervor.

Damit entlockte sie mir ein Schmunzeln. Gebackene Kartoffeln und Grünzeug machten zwar satt, aber nichts ging über Mamas Pumaro-Eintopf.

Ich betrat unser Zuhause und schleppte mich mit schlurfenden Schritten über den frisch gekehrten Boden an der Küche vorbei zur hinteren Veranda. Mutter hatte den Fleischertisch und die Messer schon vorbereitet. Sie hatte gewusst, dass ich nicht mit leeren Händen nach Hause kommen würde. Ihr Vertrauen in mich erfüllte mich mit Stolz.

Nachdem ich das Tier auf den Tisch gehievt hatte, stöhnte ich und rollte die Schultern.

»Das hast du gut gemacht, Arwen.« Meine Mutter strich mir das Haar glatt. Dann rümpfte sie die Nase. »Aber du miefst nach Tod.«

Adaline brach in ein schallendes Gelächter aus. Ich sprang los und rannte mit ausgebreiteten Armen hinter ihr her wie eine Blutsaugerin aus Necromere.

Sie stieß ein echt verängstigtes Kreischen aus, und ich lachte herzlich.

»Das reicht jetzt, erschreck deine Schwester nicht so. Geh dich waschen, wir haben den Maitag!«, tadelte mich meine Mutter.

Maitag.

Ich seufzte. Alle alleinstehenden, volljährigen jungen Frauen und Männer würden mit verbundenen Augen auf dem Dorfplatz stehen und aufeinander zugehen. Wen man zuerst erreichte, den küsste man.

Das hatte eine lange Tradition in Cinder, und so furchterregend es klingen mochte, es war auch irgendwie aufregend. Der Legende nach würde man sich mit der Person vermählen, die man am Maitag küsste. Für mich würde es mit achtzehn Wintern der erste Maitag sein. Im vergangenen Jahr hätte ich zwar bereits daran teilnehmen dürfen, allerdings hatte ich mich damals hundeelend gefühlt, weil ich verdorbene Beeren gegessen hatte. Also war ich nicht dabei gewesen.

Ich hob die Hand, berührte meine Lippen und fragte mich, ob Nathanial mich küssen würde – eigentlich sollte man nicht gucken, doch einige der Jungs ließen ihre Augenbinden runterrutschen, damit sie auf das Mädchen zusteuern konnten, das sie wollten.

Und ich wollte Nathanial.

Ich huschte in das Zimmer, das ich mir mit Adaline teilte. Dort griff ich mir einen sauberen Kittel und eine Hose. Meine Mutter hatte längst den Versuch aufgegeben, mich dazu zu bringen, Röcke und Kleider zu tragen. Seit dem Tod meines Vaters vor neun Wintern war ich die Jägerin der Familie geworden, und in einem Kleid zu jagen, wäre regelrecht dumm gewesen.

Adaline versteckte sich unter ihren Bettfellen. Wahrscheinlich fürchtete sie, ich würde sie mit Pumaro-Blut beschmieren. Ich ging auf sie zu, bis ich über ihr aufragte. Nach einigen Augenblicken zog sie langsam die Decken von sich, wohl in dem Glauben, ich wäre wieder verschwunden. Kaum hatte sie mich erblickt, kreischte sie erneut und verschwand jäh wieder unter den Fellen. Ich lachte ausgelassen.

»Arwen!«, herrschte meine Mutter mich an.

»Schon gut«, brummte ich, und mein Gelächter erstarb.

Manchmal wollte ich einfach mit meiner kleinen Schwester herumalbern. Aber durch meine Stellung in der Familie musste ich schneller erwachsen werden, als mir lieb war. Ich hatte keine andere Wahl. Dafür hatten wir ein Dach über dem Kopf und Essen, um uns die Bäuche zu füllen, also konnte ich mich nicht wirklich beklagen.

»Ach übrigens!«, rief ich meiner Mutter zu, als ich den Weg zum Gemeinschaftsbadehaus antrat. »Ich habe Nathanial zum Essen eingeladen«, verkündete ich beiläufig.

Dabei war eine Einladung zum Essen am Maitag keine Kleinigkeit.

Die Mundwinkel meiner Mutter verzogen sich zu einem verschwörerischen Grinsen.

»Nur um nett zu sein! Um die Beute zu teilen«, stellte ich rasch klar, während mir Hitze in die Wangen kroch. Nach einer erfolgreichen Jagd war es üblich, einen Gast zum Festmahl einzuladen. Es verhieß sogar Glück. Das wusste sie. Aber es wurde auch dazu ermutigt, mögliche Verehrer am Maitag zum Essen einzuladen, damit sich die Familien kennenlernen und an den Gedanken einer möglichen Heirat gewöhnen konnten.

»Natürlich, Liebes«, erwiderte sie in zuckersüßem Ton, und ich bedachte sie mit einem mürrischen Blick. Ich war achtzehn Winter alt. Von mir wurde erwartet, mir bald einen Ehemann zu nehmen. Nathanial wäre eine gute Wahl. Er ging im Dorf einer angesehenen Arbeit nach und gehörte zu den Wenigen, die sich von meinen Jagdausflügen mit den anderen Männern nicht bedroht fühlten. Sogar verheiratet würde ich weiterhin für Adaline und meine Mutter sorgen müssen. Das verstand er.

Ich verdrängte das merkwürdige Lächeln meiner Mutter und steuerte durch die Gasse zwischen Herrn Korbans Apotheke und Frau Holinas Bäckerei zu Naomies Badehaus.

»Ach, Kind!« Naomie hielt sich die Nase zu, als ich eintrat. »Du stinkst wie ein toter Rattaro! Du brauchst eine eigene Wanne mit extra viel Sandelholzöl.«

Ich grinste.

Naomie verkörperte so etwas wie die Dorfgroßmutter – und besaß eine scharfe Zunge. Sie kümmerte sich um uns alle und nahm nie ein Blatt vor den Mund, ganz gleich, wie sehr die Wahrheit schmerzte. Zum täglichen Waschen benutzte ich den gewärmten Wassereimer in unserer Hütte, aber für eine gründliche Säuberung nach einer Woche Jagd brauchte ich Naomies Wanne und Seifenstein.

Ich folgte ihr in den Waschraum für Damen und vorbei an einer Gruppe Badenden. Unterwegs nickte ich den Frauen zu, die ich kannte. Frau Beezle und Frau Haney waren gerade in Dorfklatsch vertieft. Ich schnappte auf, dass sich Bardic beim Trinken zurücknehmen müsste und sich Frau Namal um ihren Mann kümmern sollte, damit seine Blicke nicht zu wandern anfingen. Auf ihrem Badewasser trieb eine schwarze Rußschicht.

Als Naomie vor mir einen der privaten, mit einer Strohwand abgegrenzten Baderäume betrat, legte ich meine sauberen Sachen auf den Hocker neben der kleinen Einzelwanne. Ruß und Dreck galten als zulässig für ein Gruppenbad, Blut und Eingeweiderückstände von der Jagd hingegen nicht.

Naomie war mindestens sechzig Winter alt und hatte von der Winterknochenkrankheit knorrige Finger. Das silbrige Haar trug sie stets als engen Dutt auf dem Haupt. Als sie den Hahn aufdrehte, sprudelte das Wasser heraus und füllte die Wanne. Dampf stieg zur Decke auf. Naomie gehörte zu den Wenigen mit fließendem Wasser im Dorf. Ihr Laden befand sich unmittelbar über einer natürlichen heißen Quelle. Ihr Ur-Ur-Großvater war Metallarbeiter gewesen, hatte die Rohre geschweißt und alles so gebaut, dass Wasser aus dem Boden hochgepumpt werden konnte. Das Badehaus gehörte ihrer Familie schon länger, als irgendjemand zurückdenken konnte.

»Ich musste meine Preise erhöhen«, verkündete Naomie und bedachte mich mit einem bedauernden Blick. »Der von der Königin von Nightfall begonnene Krieg an der Grenze schränkt mich dabei ein, Seifensteine und Duftöle von den Elfen in Archmere zu beschaffen.«

Ich nickte. »Wie viel?«

»Zwei Jademünzen oder einen annehmbaren Tauschgegenstand«, sagte sie.

Zwei Jademünzen? Früher war es nur eine gewesen. Zwar hatte ich davon gehört, dass die Königin von Nightfall für Probleme bei Lieferungen nach Embergate sorgte, hatte mir aber nicht viel dabei gedacht. Diese bösartige Frau zettelte ständig Kriege an.

Ich nickte erneut. »Ich kann dir die Jademünzen geben oder dir etwas von dem Pumaro anbieten, mit dem ich gerade zurückgekommen bin, ein ausgewachsenes Männchen. Du kannst nach Ladenschluss zu meiner Mutter gehen und dir das beste Stück aussuchen.«

Ihre Augen leuchteten auf. »Dann nehme ich das Fleisch, vielen Dank«, sagte sie, und ich nickte zur Bestätigung, bevor sie aus der Kammer wieselte.

Pumaro-Fleisch schmeckte köstlich nach Wild, zudem wies es sehr wenig Fett und Knorpel auf. Als noch begehrter galt einzig Elcharo-Fleisch, daher wusste ich, dass ich mit dieser Beute einige gute Tauschhandel abschließen könnte. Vielleicht würde ich Mutter ein schönes neues Kleid für das Fest zum Wechsel der Jahreszeiten im Herbst besorgen.

Ich zog mich aus und ließ die Kleidung zu einem staubigen, blutverkrusteten Haufen zu meinen Füßen fallen, bevor ich ins Wasser stieg.

Ein Stöhnen reiner Freude und Erleichterung drang mir über die Lippen. Einige der Damen draußen vor der dünnen Strohwand kicherten. Ich scherte mich nicht darum. Dafür fühlte sich das Wasser zu herrlich an. Als ich tiefer hineinglitt, brannte meine Haut an mehreren Stellen. Während der Jagd war ich einmal gestürzt und mit dem Rücken voraus auf einem Felsbrocken gelandet. Bestimmt hatte ich den einen oder anderen Kratzer abbekommen.

Aus dem Hahn sprudelte es weiter, während ich davon träumte, fließendes heißes Wasser in unserer Hütte zu haben. Ich würde jeden einzelnen Abend baden. Außerdem würde ich in dem heißen Wasser die Wäsche waschen, das Geschirr spülen und morgens das Gesicht hineintauchen, um richtig wach zu werden.

Ich seufzte wohlig.

»Ich komme rein«, kündigte sich Naomie an, bevor sie die kleine Kammer betrat.

Ich sparte mir die Mühe, mich zu bedecken. Naomie hatte mich schon hunderte Mal nackt gesehen. Meine Mutter war schon mit mir hergekommen, als ich noch ein Säugling war. Außerdem verstand sie ihr Handwerk und schaute nicht. Sie goss etwas Öl in das sprudelnde Wasser. Prompt stieg mir der durchdringende Duft von Sandelholz in die Nase.

Wieder seufzte ich.

Der Cinder Mountain war bekannt für seine Sandelholzbäume, deshalb gab es in der Gegend reichlich von diesem Öl. Der Geruch erinnerte mich immer an zu Hause.

Ein Seifenstein flutschte ins Wasser, doch ich achtete nicht darauf. Einseifen würde ich mich später. Vorerst wollte ich meinen Körper einfach nur einweichen. Im Augenblick jauchzte jeder Muskel vor schierer Freude.

»Hast du irgendwelche Verletzungen?«, erkundigte sich Naomie.

Sie versorgte regelmäßig die Männer, wenn sie von der Jagd zurückkehrten, daher wusste sie, was sich der Körper bei solchen Ausflügen zuziehen konnte.

Ich nickte, setzte mich auf und zeigte ihr meinen Rücken.

Sie stieß einen leisen Pfiff aus. »Der größere Kratzer sieht entzündet aus. Ich hole Neemöl für dein Bad. Das Pumaro-Fleisch ist trotzdem ein guter Tausch.«

Neem war teuer, deshalb fand ich es nett von ihr, mir dafür nichts zusätzlich zu berechnen oder mehr Fleisch zu verlangen.

Sie verschwand kurz und kehrte mit dem Neem zurück, das sie ebenfalls ins Badewasser goss. Dann griff sie hinein und hob den Seifenstein auf. Ich setzte mich erneut aufrechter hin und beugte mich vor. Sie fuhr mit dem Seifenstein über die Stellen meines Rückens, die ich nicht erreichen konnte. Dabei zischte ich unwillkürlich, als sie behutsam über den Kratzer strich. Er musste wohl größer sein, als ich gedacht hatte. Ich war so aufgeregt darüber gewesen, meinen ersten Pumaro erlegt zu haben, dass ich davor keine Schmerzen wahrgenommen und einfach nur nach Hause gewollt hatte.

Nachdem die alte Frau meinen Rücken hinlänglich gefoltert hatte, ließ sie den Seifenstein zurück in die Wanne fallen und ging.

Endlich kann ich mich entspannen.

Ich lehnte mich mit dem Rücken an die schräge Wanne zurück und rutschte so weit nach unten, wie ich konnte, ohne zu ertrinken. Mein Haar trieb um mich herum. Verdattert und leicht beschämt stellte ich fest, dass es vor lauter Dreck braun statt blond aussah. Das Badewasser bekam durch das viele Blut einen leichten Rotstich. Ich schloss die Augen, atmete langsam ein und aus, ließ mir den Duft von Neem und Sandelholz in die Nase steigen.

Die sieben Tage, die ich das Tier verfolgt und auf Steinen und Blättern geschlafen hatte, waren es wert gewesen. Damit hatte ich es hinter mir, Kleinwild wie Kanincharos und Opossums zu jagen und mich von den Männern dafür belächeln zu lassen. Ab sofort verkörperte ich eine waschechte Jägerin – beim Hades, vielleicht würden mich die Männer sogar in die Jägergilde aufnehmen ...

»Die Garde des Königs kommt!«, rief eine weibliche Stimme ins Badehaus und riss mich damit aus meinem Tagtraum. Abrupt schlug ich die Augen auf.

Die Männer des Königs? Rekrutierten sie für den Krieg? Warum sonst sollten sie den weiten Weg aus Jade City hierher auf sich genommen haben? In der Regel brachten wir Kohle oder Sandelholz zum Handeln in die Stadt, aber es kam nie jemand zu uns. Wir stellten ein schmutziges, vergessenes Dorf in Embergate dar, das der König zwar duldete, aber niemals besuchte oder beachtete. Bei uns gab es weder mächtige Drachenblüter für seine Armee noch sonst etwas für ihn Nützliches. Aus seiner Sicht waren wir ein Haufen minderer Promenadenmischungen.

»Hört!«, rief dieselbe junge Frau durch das Badehaus. Ich setzte mich auf, streckte die Hand aus, zog die Strohtür einen Spalt auf und spähte hinaus.

Kendal. Das hätte ich mir denken können. Sie galt als die Klatschtante des Dorfs und lebte für Neuigkeiten, vor allem für solche aus Jade City und über den Drachenkönig. Insgeheim betrachtete sie sich als unsere Dorfausruferin. Obwohl wir irgendwie befreundet waren, ertrug ich ihre Gesellschaft nicht allzu lange am Stück.

Sie fasste in ihren Mantel, holte eine offiziell wirkende Schriftrolle daraus hervor und öffnete sie.

»König Valdren sucht eine neue Gemahlin, die ihm einen Erben schenkt.« Sie verstummte, während im gesamten Badehaus hörbar nach Luft geschnappt wurde, unter anderem von mir.

Er war nur drei Winter lang mit Königin Amelia verheiratet gewesen und hatte mit ihr vier Kinder verloren, bis sie schließlich selbst bei einer Geburt das Leben verlor. Der junge König hatte in meinem Alter geheiratet und war erst einundzwanzig. Zu seiner Heirat war ich mit fünfzehn Wintern nach Jade City gereist. Eine königliche Hochzeit galt überall im Reich als aufregende Angelegenheit. Königin Amelia war erst vor einem Winter verstorben. Ohne Erben war er Feinden gegenüber verwundbar. Allen voran die Königin von Nightfall, die das Reich übernehmen und von der Magie des Drachenvolks säubern wollte. Daher war praktisch unvermeidlich, dass er sich eine neue Frau suchen würde. Trotzdem war ich verblüfft, nun so offiziell davon zu erfahren.

Kendal räusperte sich und versuchte, ein Grinsen zu unterdrücken. »Nun eröffnet er eine umfassende Suche nach einer neuen Königin in ganz Embergate ...«

Japsende Laute und ein aufgeregtes Quieken gingen durch das Badehaus. Unwillkürlich schmunzelte ich über die Hoffnungen der Anwesenden. Der König würde nie eine Frau aus Cinder heiraten. Die Bekanntgabe stellte lediglich eine Formalität dar, weil wir streng genommen zum Gebiet von Embergate gehörten.

»Um einen Erben zu erlangen«, fuhr Kendal fort, »entsendet er Witterer in jedes Dorf und jede Stadt innerhalb der Grenzen von Embergate, um alle geeigneten Frauen mit genug Magie zum Gebären seines Kinds aufzuspüren. Sie müssen ihm bis zum nächsten Vollmond vorgestellt werden.«

Stöhnende Laute der Enttäuschung erfüllten das Badehaus. »In Cinder wird er niemanden mit mächtiger Magie finden!«, meinte eine der jüngeren Frauen niedergeschlagen.

»Niemanden mit genug Macht, um den Erben eines Drachenkönigs zur Welt zu bringen«, pflichtete Naomie ihr bei.

Sie hatten recht. Königin Amelia war gestorben, weil seine Magie zu mächtig für sie gewesen war, um das Kind zu gebären. Und dabei hatte ich gehört, dass sie fast zur Hälfte eine Drachenblüterin gewesen war.

Kendal warf das Haar über die Schulter zurück. »Ich selbst bin zu einem Viertel Drachenblüterin. Also ...«

Im Badehaus brach Gelächter aus. Auch ich konnte mir ein Prusten nicht verkneifen.

»Schätzchen, ein Viertel?« Naomie schüttelte den Kopf. »Um für den Drachenkönig ein Kind auszutragen, müsstest du schon eine halbe Drachenblüterin und vom Schöpfer gesegnet sein.«

Kendal rollte das Pergament hastig zusammen und steckte es in die Tasche. »Wir lassen die Witterer entscheiden!« Als sie aus dem Badehaus stürmte, ging das Gerede erst richtig los.

»Der arme junge Mann hat seine Ehefrau und vier Kinder verloren«, sagte jemand.

»Warum konnte sie keinen Erben gebären? Beim Hades, mit meinen Hüften könnte ich ihm zehn Kinder schenken«, säuselte Bertha Beezle.

Plötzlich regte sich in mir der Drang, für die verstorbene Königin einzutreten.

»Sie hat nichts falsch gemacht! Die Magie des Königs ist einfach zu stark für sterbliche Frauen«, sagte ich barsch.

Alles an Menschlichkeit in der Königin war von der Magie des reinblütigen Drachenkönigs zerfetzt worden, als die Wehen eingesetzt hatten.

Das Geplapper wurde leiser, und ich entschied, es wäre ein guter Zeitpunkt, mir die Haare zu waschen und das Gerede auszublenden. Ich war Königin Amelia einmal begegnet ... Na ja, vielleicht nicht wirklich begegnet, aber ich hatte sie bei meinem Ausflug nach Jade City aus der Ferne gesehen. Der König war bereits im Gebäude verschwunden, bis ich auf das Dach eines Blumenladens klettern konnte und unsere neue Königin erblickte. Sie war die schönste Frau, die ich je gesehen hatte. Das lange, pechschwarze Haar reichte ihr in Form von dichten Locken bis zur Taille. Sie hatte ein Kleid mit so viel Jade daran getragen, dass es so schwer gewesen sein musste wie ein Pumaro. Angeblich waren König Valdren und Königin Amelia zum perfekten Paar auserkoren worden, um eine neue Dynastie magischer Erben einzuleiten. Wie grausam das Leben doch manchmal sein konnte.

Zuerst hatte der König kurz nach der Hochzeit seinen Vater verloren, dann seine Kinder bereits vor der Geburt und zuletzt auch noch seine Frau. Es erschien mir beinah unerträglich, und ich hoffte aufrichtig, er würde eine neue Gemahlin finden, die ihm ein gesundes Kind gebären würde.

Nachdem ich den Seifenstein aufgehoben hatte, wusch ich mir das Haar und schrubbte gründlich meinen Körper, bis sich die Haut wund anfühlte und ich wie eine Apotheke roch. Mein Haar hatte wieder die Farbe von hellem Maisbart, und abgesehen von ein paar blauen Flecken und dem Dreck unter den Fingernägeln, der nie ganz verschwinden würde, sah ich vorzeigbar aus. Ich stand auf, schüttete einen letzten Eimer Wasser über mich und stieg danach aus der Wanne. Nachdem ich mir die Zähne an dem kleinen Waschbecken an der gegenüberliegenden Wand meiner persönlichen Kammer geputzt hatte, hüllte ich mich in Leinen und zog den Abflussstopfen. Während ich beobachtete, wie das braune, blutige Wasser davonstrudelte, trocknete ich mir das Haar rasch mit dem Handtuch und flocht es über eine Schulter, bevor ich in meinen sauberen blauen Baumwollkittel und eine weiße Hose schlüpfte.

Der Tumult draußen verriet mir, dass sich die Neuigkeit schnell herumgesprochen hatte. Zweifellos würde im Dorf noch wochenlang nach dem Besuch der Witterer darüber getratscht werden.

Dass die Männer des Königs am Maitag in unser Dorf kamen, verstärkte die Aufregung nur noch weiter.

»Arwen!« Die Stimme meiner Mutter ertönte hinter der Trennwand aus Stroh.

Ich zog sie zurück und winkte sie zu mir, doch meine Hand erstarrte mitten in der Bewegung, als ich bemerkte, dass ihr alle Farbe aus dem Gesicht entwichen war. Sie eilte herbei, packte mich an den Oberarmen und beugte sich vor, um mir ins Ohr zu flüstern.

»Du musst sofort weg. Lauf«, wisperte sie.

Kichernd fragte ich mich, was für ein Spiel das werden sollte. Doch als sie sich zurückzog, schaute sie ernster drein, als ich es je erlebt hatte.

»Was ist denn los?«, fragte ich.

Sie spähte verstohlen über die Schulter, als wollte sie zum Ausdruck bringen, dass wir an diesem Ort nicht darüber reden könnten. Ich nickte. Mein Körper stand noch unter Schock – so verhielt sich meine Mutter sonst nie. Sie war eine besonnene Frau und zeigte selten Angst. Irgendetwas stimmte ganz und gar nicht.

Als ich ihr aus dem Badehaus folgte, lächelte und winkte ich Naomie zu, bevor wir in Richtung unserer Hütte eilten. Als wir um die Ecke in unsere Straße bogen, sah ich, dass man das weiße Kusszelt für den Maitag inzwischen in der Dorfmitte aufgebaut hatte. Vor dem Eingang hingen rosa und lila Girlanden. Es sah malerisch aus, romantisch. Die ersten jungen Frauen des Dorfs gingen bereits hinein.

Ich blieb stehen. »Mutter, kann das nicht warten? Letztes Jahr habe ich es verpasst ... und irgendwie habe ich mich gefreut auf ...« Auf meinen ersten Kuss. Ich wollte es nicht aussprechen, aber meine Mutter verstand auch so.

Als sie zum Kusszelt schaute, huschte Überraschung über ihre Züge. »Verstehe. Der Maitag, und letztes Jahr hast du ihn verpasst, weil du krank warst ...«

Ich nickte und schaute sehnsüchtig zur Zeltöffnung, als ich Nathanial hineinhuschen sah.

»Mama, bitte.«

Meine Mutter ging zu einigen vor Frau Patties Haus wachsenden Wildblumen, pflückte eine violette Blüte und steckte sie in meinen Zopf. »Geh und hol dir deinen Maikuss. Aber danach kommst du in aller Eile nach Hause. Ich packe inzwischen deine Sachen.« Sie nickte.

Ich runzelte darüber die Stirn. Meine Sachen packen? Ich war doch eben erst von einer einwöchigen Jagd zurückgekommen. Auf keinen Fall würde ich sofort wieder losziehen, ohne mich ordentlich ausgeruht zu haben. Aber sie hatte dem Kusszelt zugestimmt, also wollte ich ihr keinesfalls widersprechen. Rasch überquerte ich den Hof und rannte zuerst zu Fräulein Graseens Kräutergarten, wo ich mir einen Zweig Minze schnappte. Sie steckte den Kopf aus dem Küchenfenster und grinste.

»Kusszelt?«, fragte sie.

Ich errötete und schob mir zwei Minzblätter in den Mund, auf denen ich kräftig kaute, um meinen Atem zu erfrischen. Obwohl ich mir gerade die Zähne geputzt hatte, wollte ich bei meinem ersten Kuss kein Wagnis eingehen. Fräulein Graseen störte sich nicht daran, wenn sich gelegentlich jemand einen Zweig nahm. Im Gegenzug jäteten wir alle ihr Unkraut und flickten ihren Zaun, wenn Raubtiere in ihrem Garten wilderten.

Ich kehrte um und fühlte mich bereit, das weiße Seidenzelt zu betreten. Als ich einen Tumult hörte, drehte ich den Kopf zum Haupttor.

Ein langer Tross der Königlichen Garde traf gerade ein und steuerte geradewegs in meine Richtung. Ich erstarrte und betrachtete ehrfürchtig die Pferde und Rüstungen. Das Sonnenlicht funkelte auf den goldenen Drachenwappen der Brustpanzer, und einen Moment lang vergaß ich sogar das Kusszelt. Seit ich ein Schwert halten konnte, wollte ich Teil der Königlichen Garde werden. Das war natürlich nicht besonders damenhaft, deshalb hatte mich meine Mutter davon abgebracht, doch aufgegeben hatte ich den Traum nie. Soweit ich wusste, gab es in der Garde nur eine einzige Frau.

Regina Wayfeather.

Angeblich war sie sogar die Anführerin der gesamten Königlichen Garde. Ich wäre gern hingelaufen, um zu sehen, ob auch sie gekommen war, und um sie demütig zu bitten, meinen Jagdbogen zu berühren, damit er mir Glück bringen würde. Allerdings kam ich nicht darüber hinweg, dass sich das Zeitfenster für meinen ersten Kuss unweigerlich schloss. Ganz zu schweigen davon, dass meine Mutter darauf pochte, ich müsste sofort danach nach Hause eilen.

Als die Gardisten abstiegen und auf das Zelt zusteuerten, huschte ich hinein. Aufgeregtes Geplapper drang an meine Ohren. Mein Blick fiel auf die andere Seite des Zelts, wo die jungen Männer standen. Ich sah Nathanial in die Augen, und er grinste, was ich mit einem Lächeln erwiderte.

»Arwen!«, rief Kendal, und ich schwenkte nach rechts, wo alle jungen Frauen in einer langen Reihe anstanden. Alle trugen ihre besten Kleider und hatten sogar Holzkoh‍lelidstrich und Lippenfarbe aus Roter Beete aufgetragen, während ich in einer Leinenhose und mit einem nassen Zopf dastand, den Mutter mit einer Blume aufzuhübschen versucht hatte.

Auf einmal kam ich mir dumm vor. Wer tauchte schon in einer Hose zum Kusszelt am Maitag auf?

Eine Jägerin.

Mein Vater war mitten im Winter gestorben. Den regelmäßigen Hunger im Jahr danach würde ich mein Lebtag nicht vergessen. Vom Dorf hatten wir zwar gelegentlich Almosen bekommen, aber ohne Jäger in der Familie, der einmal im Mond loszog oder in den Minen arbeitete, wären wir mit Sicherheit auf lange Sicht umgekommen. In jenem Jahr baute ich meine erste Falle und begann, Kleinwild nach Hause zu bringen.

Rattaros mochten als niedrigste Tiere auf dem Totempfahl gelten, aber durch sie als Beute konnte meine Mutter in Ruhe trauern und musste sich nicht in eine neue Ehe stürzen, um Essen auf den Tisch zu bringen.

Ich schüttelte den Kopf, um die Gedanken zu vertreiben.

Frau Brenna, die Veranstalterin der Kuss-Tradition zum Maitag, trat in die Mitte des Raums und räusperte sich. Brenna war menschlich und eine der Näherinnen im Dorf. Von ihr stammten sämtliche Hochzeitskleider. Es lag also durchaus in ihrem Interesse, Paare zusammenzuführen, die den Bund fürs Leben eingehen würden. Sie trug immer wunderschöne Kleider, die ihre riesigen Brüste halb bis zum Hals hochdrückten und Männern den Kopf verdrehten.

»Heute könnte der Tag sein, an dem ihr eure künftige Gemahlin kennenlernt«, wandte sie sich an die Männer. Ihre Worte wurden mit Jubel und freudigen Rufen begrüßt. Dann drehte sie sich den Frauen zu. »Keine Sorge, mit der Zeit küssen sie immer besser.«

Wir alle brachen in nervöses Gelächter aus, während ein paar der Männer über den Seitenhieb stöhnten.

Ich stellte mich unmittelbar gegenüber von Nathanial auf, bevor sich die Augenbinde über meine Lider senkte.

»Nicht schummeln«, mahnte Kendal, als sie die Binde hinter meinem Kopf verknotete. Langsam und bedächtig setzte ich dazu an, die Augenbinde ein wenig anzuheben, doch eine Hand sauste hart auf meine herab.

»Jetzt liegt es in den Händen des Schöpfers«, schimpfte mich Frau Brenna, und mein Magen krampfte sich zusammen.

»Ihr jungen Liebenden«, verkündete Brenna, »geht jetzt los und küsst die erste Person, die ihr berührt.«

Das Geräusch von Füßen in Bewegung drang an meine Ohren, als wir alle mit ausgestreckten Armen losstolperten. Ich hätte gern nach Nathanial gerufen, doch das hätte verzweifelt gewirkt. Also blickte ich stattdessen nach unten, um zu sehen, ob ich vielleicht seine Stiefel erkennen könnte, doch Kendal hatte die verdammte Augenbinde zu fest zugebunden. Ehe ich mich versah, stieß ich mit jemandem zusammen. Arme legten sich um meine Taille und stützten mich.

Das Herz schlug mir bis in den Hals. Es war so weit. Das würde mein erster Kuss werden.

Bitte sei nicht der nasenbohrende Vernon, betete ich in Gedanken zum Schöpfer. Dann hob ich die Hände und tastete mich über die Brust nach oben zum Gesicht. Der Körper erstarrte unter meiner Berührung, und ich hätte beinahe die Nerven verloren. Hatte er Angst? Meine Finger glitten über weichen Stoff, bis ich den Hals erreichte. Dann hielt ich inne, da ich mich scheute, sie auf die Wangen wandern zu lassen.

Seine Hände verharrten starr wie die einer Statue auf meinem Kreuz, und ich leckte mir über die Lippen, um sie zu befeuchten. Nur im Kusszelt am Maitag ging der erste Schritt von den jungen Frauen aus, und Rückzieher waren erlaubt, wenn man sich nicht bereit fühlte.

Ist das Nathanial?

Wollte er mich küssen oder flüchten?

Angeblich guckten die Männer alle, weil Frau Brenna es ihnen durchgehen ließ, die Augenbinden locker zu binden. Und wenn einer seine Frau nicht wirklich küssen wollte, beließ er es bei einem keuschen Schmatz, wie man ihn als Kind seiner Mutter geben würde. Aber wenn er einen mochte ... dann drehte sich angeblich die Welt um einen.

Ich will, dass sich meine Welt dreht.

Durch den frühen Tod meines Vaters war ich in ein Leben gedrängt worden, in dem ich jagen, Hosen tragen und regelmäßig meine Klinge schärfen musste. Auch wenn mir dieses Leben grundsätzlich gefiel, junge Männer taten sich dadurch schwer, in mir eine küssbare junge Frau zu sehen.

Ich will geküsst werden, verdammt noch mal.

Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, während sich Nervosität in meinem Magen einnistete. Ich schluckte schwer und beugte mich vor, bevor ich endgültig die Nerven verlor. Als ich mit den Daumen über das Kinn des jungen Mannes vor mir fuhr, spürte ich die Stoppeln und die kantige Kieferpartie von jemandem, der eindeutig nicht Nathanial war.

Panisch erstarrte ich.

Nathanial hatte noch ein kindliches Gesicht ohne Stoppeln und besaß zwar auch eine kantige Kieferpartie, aber nicht so kantig. Als ich die breiten, männlichen Konturen spürte, fragte ich mich, ob ich mich überhaupt nach oben zu den Wangen vorwagen sollte. Ich war so darauf eingestellt gewesen, Nathanial zu küssen, dass ich angesichts der Beweise, dass es sich nicht um ihn handelte, am liebsten kneifen wollte.

Dann jedoch spürte ich Lippen auf meinen, als der Mann das Ruder an sich riss und damit gegen eine unausgesprochene Regel im Kusszelt verstieß. Ein zartes Knistern breitete sich über meine Haut aus, und ich schnappte nach Luft. Dem Mann erging es ebenso – wir atmeten gegenseitig unsere Überraschung ein. Hitze breitete sich durch mein Innerstes aus, und ich beugte mich vor, um den Kuss zu vertiefen.

Die Lippen des jungen Mannes fühlten sich zuerst weich und unsicher an. Dann jedoch teilten sie sich, und ich schob die Zunge zwischen sie, so wie Kendal es mir erklärt hatte. Meine traf auf seine. Ein leises Stöhnen entrang sich ihm, und als sich meine Welt drehte, spürte ich, wie sich ein Grinsen in mir anbahnte. Seine Hände streichelten meine Hüften in zarten Kreisen, seine Zunge ahmte die Bewegung in meinem Mund nach.

Heiliger Schöpfer.

Es war der beste erste Kuss, auf den eine junge Frau hoffen konnte. In meinem Bauch loderte es vor Verlangen, meinem Herz wuchsen flatternde Flügel. Die warmen, weichen Lippen auf meinen ließen alles in mir nach mehr lechzen.

»Allmählich wird es hier drin heiß!«, verkündete Brenna lachend. »Nehmt die Augenbinden ab und lernt euer Gegenüber kennen, meine jungen Turteltäubchen!«

Auf einmal ließ der Mann abrupt von mir ab. Alles verschwand – die Lippen, die Hände, die Wärme, die Schmetterlinge. Es fühlte sich an, als wäre ich in ein Eisbad getaucht worden. Ich riss die Hände hoch, zerrte mir hastig die Augenbinde vom Kopf – und erblickte die Rückseite des weißen Zelts vor mir.

Er ist weg.

Eine schmerzliche Sehnsucht bildete sich plötzlich in meiner Brust. Meine Kehle fühlte sich wie zugeschnürt an, und ich räusperte mich. Obwohl ich mich bemühte, mir nichts anmerken zu lassen, kam ich mir vor, als wäre ich gerade vor dem Altar sitzen gelassen worden. Man lief von dieser Tradition zum Maitag nicht weg – es sei denn, man fand den Kuss schrecklich und wollte sein Gegenüber am liebsten nie wiedersehen.

Als ich nach links schaute, vergrößerte sich die Grube in meiner Brust. Nathanial strahlte auf eine gerötete Ruby Ronaldson hinab. Das pechschwarze Haar reichte ihr in sanften Wellen bis zur Taille, wo Nathanial sie über dem grünen Seidenkleid festhielt. Ruby war Bäckerin. Sie war durch und durch weiblich, trug Kleider und konnte kochen – perfekt geeignet als Ehefrau und alles, was ich nicht war.

Tränen trübten meine Sicht, doch ich blinzelte sie weg. Ich wollte nicht mehr in dem Zelt sein, fand die Tradition plötzlich albern. Also wandte ich mich ab, schlich durch die Seitenöffnung aus dem Zelt und machte mich auf die Suche nach meiner Mutter.

Sie hatte vorhin so verängstigt gewirkt, und ich wollte herausfinden, woran es gelegen hatte. Es würde mich ablenken. Mir war alles recht, um diesen Kuss, der meine Welt auf den Kopf gestellt hatte, und den schmerzlichen Abschied danach zu vergessen.

2

Als ich unser Zuhause betrat, ließ mir der Duft von brodelndem Pumaro-Eintopf das Wasser im Mund zusammenlaufen. Mein Blick heftete sich auf meinen an der Wand lehnenden Reiserucksack. Er war gesäubert und sah aus, als wäre er für einen sofortigen Aufbruch mit Vorräten gefüllt.

»Mama, du machst mir Angst. Warum hast du meinen Rucksack gepackt? Ich bin doch gerade erst zurückgekommen.«

Sie verstaute meinen Stapel schmutziger Kleidung im Wäschekorb, bevor sie sich mir mit Tränen in den Augen zudrehte. »Ich habe deine Schwester zum Spielen zu Violet geschickt, damit wir uns ungestört voneinander verabschieden können.«

Mir fielen beinah die Augen aus dem Kopf. »Verabschieden? Mama, ich gehe nicht weg. Ich bin doch gerade erst nach einer Woche unterwegs wieder zu Hause angekommen.« Ganz zu schweigen davon, dass man mich soeben im Kusszelt stehen gelassen hat und ich mich zutiefst gedemütigt fühlte. Wer auch immer der Küsser gewesen war, der meine Welt auf den Kopf gestellt hatte, ich wollte ihn um jeden Preis meiden. Am liebsten hätte ich mich in mein Zimmer verzogen, mich in den Schlaf geweint und die nächsten zwei Tage im Bett verbracht.

Händeringend schüttelte meine Mutter den Kopf. Die dunkelbraunen Locken schwangen dabei vor ihrem Gesicht. »Ich habe dein Leben lang ein Geheimnis vor dir bewahrt«, gestand sie, und ich erstarrte.

Unwillkürlich streckte ich die Hände aus und stützte mich an der Stuhlkante ab, nicht gewappnet dafür, je solche Worte von den Lippen meiner Mutter zu hören. »Wovon redest du?«

Meine Mutter trat näher, hob meine Reisetasche auf und reichte sie mir. »Du musst weg, bevor die Witterer dich finden.«

Ich nahm die Tasche zwar entgegen, ließ sie jedoch prompt vor meine Füße fallen. Dann streckte ich mich, ergriff die Schultern meiner Mutter und sah ihr unverwandt in die Augen. »Welches Geheimnis?«

So etwas wollte man nie von jemandem hören, der einem nahestand. Mittlerweile verlor ich beinahe die Nerven. Warum durften mich die Witterer nicht finden? Sie erschnüffelten Magie an Leuten, und ich besaß ja kaum welche. Ich wäre für sie völlig uninteressant.

Sie seufzte. Ihr Atem roch nach Salbei und Rosmarin, was mich an meine Kindheit erinnerte. Beim Kochen kaute sie mit Vorliebe auf den Kräutern.

»Dein Vater und ich haben fünf Winter lang versucht, ein Kind zu bekommen, aber der Heiler hat gesagt, dass irgendetwas mit seinem Samen nicht stimmt.«

Ihre Worte trafen mich mitten ins Herz und verursachten mir eine Gänsehaut auf den Armen. Was sagte sie da?

»Du bist mein Kind. Meine Tochter«, betonte sie und griff nach meinen Unterarmen, als wollte sie mich überzeugen.

Bei der Erklärung wurde mir übel. Natürlich war ich ihre Tochter. Warum betont sie es so eigenartig?

»Aber geboren hat dich eine andere Frau«, fügte sie hinzu. Kraftlos ließ ich die Arme sinken, löste mich von ihr und plumpste auf den Stuhl unter mir. Mein Brustkorb hob und senkte sich heftig, mein Atem ging in abgehackten Stößen.

Meine Mutter sank vor mir auf die Knie. Tränen strömten ihr übers Gesicht. »Ich hätte es dir schon früher sagen sollen. Aber es hat sich nie ein günstiger Zeitpunkt ergeben, und ich wollte nicht, dass du denkst, du wärst nicht von mir.«

Eine geschlagene Minute lang saß ich fassungslos schweigend da. Dann richtete sie sich wieder auf, zog einen Stuhl herbei und setzte sich vor mich.

»Wer war sie? Diese Frau?«, fragte ich, als es mir endlich gelang, tief durchzuatmen und meine Panik zurückzudrängen.

Meine Mutter kaute auf ihrer Unterlippe. »Jemand auf der Durchreise. Gekleidet wie eine Hochwohlgeborene. Sie hat bunte, mit Jade bestickte Seide getragen. Damals habe ich noch in der Taverne gearbeitet.«

Ich war von hoher Geburt? Wollte sie mir das damit sagen? Hochwohlgeborene waren mindestens zur Hälfte Drachenblüter, eher mehr.

»Was ist passiert?« Ich erkannte meine eigene Stimme nicht wieder. Ich musste mehr erfahren und zwar auf der Stelle. Das Loch in meiner Brust fühlte sich zu groß an. Ich musste es mit etwas füllen, weil ich fürchtete, sonst davon aufgefressen zu werden.

Meine Mutter schluckte schwer. »Sie ist allein in die Taverne gekommen. Hochschwanger, bleich wie ein Geist und blutbespritzt. Sie hat erschüttert gewirkt, als hätte sie eine Schlacht miterlebt. Weil ihr Zustand nicht zu übersehen war, habe ich keine Fragen gestellt, sondern sie einfach in ein Zimmer gebracht.«

Ich wartete darauf, dass sie fortfuhr. Sie warf einen Blick auf meinen Reiserucksack, dann zur Tür, bevor sie sich vorbeugte. »Mitten in der Nacht hat sie vorzeitig Wehen bekommen. Ihre Schreie haben die ganze Taverne geweckt. Bardic hat mich losgeschickt, damit ich mich um sie kümmere. Und das habe ich.«

Heiliger Hades!

Eine vor einer Schlacht geflohene Frau hatte ausgerechnet in Cinder verfrüht Wehen bekommen? Ich fragte mich, wohin sie wohl reisen wollte. Cinder lag am äußersten Ende des Gebiets von Embergate. An einen solchen Ort verirrte man sich nicht, man suchte ihn bewusst auf. Aber niemals Hochwohlgeborene. Es war bekannt, dass sich schon einige Leute in Cinder versteckt hatten. Allerdings galt das von Asche beherrschte Leben als wenig erstrebenswert, deshalb hielt sich der Ansturm in Grenzen. Hatte die Frau vorgehabt, ihr Kind hier zur Welt zu bringen? Mich zur Welt zu bringen und an einem Ort zurückzulassen, an dem man mich nicht finden würde?

Die Hände meiner Mutter zitterten nun. »Ich habe damals jemanden losgeschickt, um Elodie zu holen. Sie hat zu der Zeit am meisten von Geburtshilfe verstanden. Allerdings hat man mir mitgeteilt, dass sie mit einer schwarzen Lunge darniederlag. Deshalb konnte sie nicht helfen.«