The Sopranos - Diedrich Diederichsen - E-Book

The Sopranos E-Book

Diedrich Diederichsen

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Beschreibung

Kommt ein Mann zum Psychiater. Doch wird kein Witz daraus und auch keine erfolgreiche Therapie. Der verantwortungsvolle Familien­vater bringt seine Familie heute nicht mehr ohne Panikattacken und Gewaltverbrechen durchs Leben. Die Kinder sollen auf ein gutes College, die Ehefrau hat kulturelle Ambitionen.

Die erste und erfolgreichste unter den sogenannten Qualitätsserien registriert nicht nur die inneramerikanischen Kulturkämpfe, sondern ebenso empathisch wie sarkastisch auch den Niedergang der Mittelklasse – am Beispiel der Mafia von New Jersey.

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Diedrich Diederichsen

The Sopranos

booklet herausgegeben von Simon Rothöhler

diaphanes

Inhalt

Mr. Ruggerio’s Neighborhood

Join The Club

All Due Respect

Denial, Anger, Acceptance

5 Anspieltipps

Impressum

Mr. Ruggerio’s Neighborhood

Verbrechen lohnt nicht

Christopher Moltisanti (Michael Imperioli) und seine Freundin Adriana La Cerva (Drea de Matteo), genannt Ade, leben auf geschätzten 55 qm zusammen. Die geringe Größe des Schafzimmers kann man durch offene Türen erahnen, es muss ja auch noch Adrianas Klamotten aufnehmen: ihre legendären Hosenanzüge zum Beispiel. Die Küche bleibt weitgehend im Off; das Wohnzimmer, in dem das Leben der beiden stattfindet, ist keine 15 qm groß. Es gibt einen niedrigen Tisch, auf dem Gläser, Pizzaschachteln und — immer wenn er mal wieder druff ist — die Heroinutensilien von Christopher herumliegen. Dazu offene Handtaschen, Kram. Irgendwann schafft sich Christopher wieder einmal reichlich vollgepumpt nach Hause (The Strong, Silent Type, TS 4.49). ∗ Taumelt durch die winzige Hütte, muss sich dringend mal hinsetzen und landet auf etwas Weichem, das auf dem Sofa liegt. Irgendein Kissen oder so etwas.

Stunden später wird er von Ade geweckt, die ihren widerlichen kleinen Köter, ein weiches, weißes, wuscheliges Ding sucht. Nicht so laut, Adriana, ich habe geschlafen.

Der Hund ist nirgendwo. Sie gerät in Panik. Laute Wortwechsel. Tja, und dann stellt sich raus, dass Christopher ihn totgesessen hat. Oder totgeschlafen. Von den vielen Arten, Lebewesen, vom Wirbeltier aufwärts, umzubringen, die Christopher im Laufe der Sopranos demonstrieren kann, war dies sicher die originellste. Sie führt dann dazu, dass sich die ganze Familie, also die einer verschlungenen Legende zufolge mit ihm verwandte Familie Soprano, aber auch die Mafia-Zelle, die von Tony Soprano (James Gandolfini) kommandiert wird, zusammenrottet, Christopher abpasst und ihn in einer Art Tribunal dazu zwingt, in Therapie zu gehen. Weil so ein Hundemord dann doch zu viel ist.

In dieser Szene kulminiert aber auch die Enge und das Elend, in dem der ehrgeizige, aber ungeduldige und leicht reizbare Christopher und die stets perfekt aufgetakelte, rührende und aufrichtig liebende Adriana eingepfercht sind. Man fragt sich in einer perversen Mischung aus Empathie und moralischem Überlegenheitsgefühl: Wo ist der Nutzen von all der Knochenbrecherei, den Hinrichtungen und Wutanfällen, wenn alles, was man sich leisten kann, diese Scheißwohnung in New Jersey ist, in einer Gegend, wo nicht mal die Mieten hoch sind?

Das gute Leben

Das gibt es auch: Christopher soll mit seinem Chef (und entfernt verwandten Onkel) und Mentor Tony und dessen Vetter, dem anderen Tony (Blundetto, dargestellt von Steve Buscemi) in den Norden aufs Land fahren, um Uncle Pat, einen ehemaligen Soldaten der Familie zu besuchen, dem man erlaubt hat, aus dem Mafia-Leben auszusteigen (Cold Cuts, TS 5.62). Auf seinem Grund und Boden sind diverse Mordopfer der Sopranos bzw. der DiMeo-Familie bestattet — die Sopranos sind ja nur ein Teil der DiMeo-Familie, Tony allerdings der zurzeit geschäftsführende Boss der ganzen Familie. Nun hat der Veteran aber beschlossen, ins Altenheim zu gehen und dafür sein Land verkauft. Bevor die Übersiedlung nach Florida in Angriff genommen werden kann, müssen die Bestandteile dieses Opferfriedhofs weggeschafft werden.

Christopher und Tony Blundetto fahren vor dem einstweilen verhinderten Tony und verbringen lukullische Tage auf dem Land. Reich gedeckte Tische im Freien. Nachts, wenn Cousine Louise, Tochter des alten Mafioso, schläft, buddeln Chris und Tony B im Schein der Fackeln, wo sie die Leichen vermuten. Christopher findet schließlich die Reste seines ersten Opfers, »my first, the Czechoslovakian«. Bei Kerzenschein schaut er ihm in den Totenschädel und erinnert sich während eines echten Hamlet-Moments seiner Initiation. Auch der aufmerksame Zuschauer kann sich während dieser nächtlichen Exhumierung in der fünften Staffel noch an die feige Hinterrücks-Hinrichtung erinnern, mit der Christopher den Tschechoslowaken im Kühlraum des Schweinfleischgeschäfts »Satriale’s« im Verlauf des Pilotfilms erledigte (TS 1.1). Und was der Zuschauer auch noch weiß: Er hat bei dieser selbst auferlegten und laut Tony überflüssigen Mutprobe, dieser großen Bewährung des Nachwuchskillers, mit ihm mitgefiebert: Wird Christopher es schaffen, die großen Hoffnungen, die sein Onkel in ihn setzt, zu erfüllen? Ja, kalt und konzentriert lanciert er die Finte, der Tscheche geht voran, wendet dem scheinbar beiläufig Konversation machenden Chris den Rücken zu und muss dran glauben. Vielleicht zum ersten Mal wundern wir uns, wie und warum wir unsere Sympathien, unsere Perspektiven auf den Plot so organisieren, dass uns der feige Mörder am nächsten ist. Jetzt, wo Chris im Schein der Fackeln, deren Licht auch auf den Schädel fällt, die letzten Jahre Revue passieren lässt, haben wir zwar immer noch Mitleid mit ihm, der so gerne ein vollwertiger Mafioso sein möchte, Leitungsfunktionen übernehmen will — und doch immer wieder zurückstürzt in Alkoholismus und Junkietum, in Größenwahn und grandiose Quatschprojekte und in kindliche Wut. Doch je länger wir ihn beobachten, desto weniger Empathie bringen wir für ihn auf — dies aber nicht, weil wir seine zunehmenden, immer brutaleren und ebenso jähzornigen wie kalten Gewaltausbrüche widerlich finden, sondern weil er so ein lebendes Pattern ist: so durchschaubar in seiner Flucht vor Versagen und Trotteltum in Sucht und Gewalt und vor deren Folgen wieder in irre Rehabilitationsprojekte. Am Ende wird er sogar einen Film produzieren.

Tony Soprano erscheint am nächsten Tag. Die Szene ist idyllisch. Schon wieder biegt sich der Tisch unter Lebensmitteln. Tony lässt die Tür des SUV knallen und begrüßt seine Mitarbeiter: »That’s the life, eh?« Dieses wirklich gute Leben ist das homosoziale Abhängen mit den anderen Gangstern, ohne Frauen. Im Laufe der zweiten Staffel muss Tony, über dessen Haupt eine Mordanklage schwebt, seine üblichen Treffpunkte und Quasi-Büros, an denen er seine Kumpel trifft, meiden (House Arrest, TS 2.24). In seinem legalen Büro in der Barone-Müllbeseitigungsfirma beschäftigt er sich mühselig mit Ersatzhandlungen, aber auch der krawallige Fick auf dem Schreibtisch lindert seine Langeweile nicht. Schließlich kehrt er zu den Kumpeln zurück. Johnny Thunders’ wunderbares »You Can’t Put Your Arms Around A Memory« erklingt aus dem Off und beendet die Episode.

Der Song ist nicht wörtlich zu nehmen. Es geht nicht um den in das Stadium melancholischer Akzeptanz übergegangenen Trennungsschmerz; es geht nur um die homosoziale, hard-boiled Sentimentalität, die Johnny so gut verbreitet und die sich einstellt, als Tony endlich die anderen Gangster wiedersehen kann, statt sich mit Bürohengsten oder seiner Familie rumärgern zu müssen. Die Alternative während des Kumpel-Entzugs bestand darin, sich nachmittags im Bademantel an seiner Frau und deren Zirkel von kulturell interessierten Mafia-Ehefrauen vorbeizudrücken, die sich über gemeinsam gelesene Bücher Marke John Irving unterhalten. Diese hier wiedergefundene Männeridylle wird nicht sehr detailliert ausgeführt in der Serie: Sie kann als bekannt vorausgesetzt werden; denn sie schreibt sich von einer bestimmten hard-boiled realistischen New Yorker Tradition her, die ihre Kontinuitätslinien im Kino, der Literatur, der Pop-Musik, ja selbst in der Bildenden Kunst und im Theater vorweisen kann. Dies sind nicht nur die Mafia-Filme Scorseses, es ist auch der lakonische Straßen-Realismus eines Spike Lee (für den Michael Imperioli wiederholt gespielt hat), das Theater Sam Shepards, aber auch der Proto-Punk der New York Dolls und der Heartbreakers, ja und natürlich, so ungern ich das als alter Springsteen-Gegner sage: die New-Jersey-Seelenlandschaften Bruce Springsteens, aber auch Lou Reed, seit er sich von Künstlertype und queerem Dandy zum straßenstolzen Realisten entwickelt hat, für den die 125th Street nun weniger ein Abenteuerort als ein sozialer Brennpunkt ist. Und auch da, wo die New York School ihre Cedars-Tavern-Traditionen über die queeren Sechziger hinweg aufrechterhalten konnte, findet man in der Bildenden Kunst New Yorks diese Typen und ihre Gemeinschaften: Man braucht nur an den Maler zu denken, den Nick Nolte in Martin Scorseses Beitrag zu den New York Stories porträtiert hat.

Die besseren dieser androzentrischen Kunstwerke halten tatsächlich die Waage zwischen Anlässen für eine gerührte Faszination, angesteckt von der sentimentalen Lockerung, mit der die meist angespannten Gewalttäter und -opfer sich vorübergehend öffnen und großen lakonischen Humor verbreiten, auf der einen Seite, und der grauenhaften klaustrophilen Ängstlichkeit dieser elenden Intimität unter seinesgleichen, die irgendwann in barbarische Gewalt kippt, auf der anderen Seite. Doch während die meisten Traditionslinien dieses männlich-proletarischen Realismus ihre Welt als eine Realität, eine harte, aber authentische Subkultur jenseits der bürgerlichen Wohlanständigkeit beschwören und ihre Ambivalenz als den Preis ihres Eigensinns, ihrer Herzlichkeit, ist die Serie The Sopranos komplexer: Sie baut Distanzierungen und reflexive Rahmungen der Zuschauerpositionen an vielen Stellen ein. Zugleich ist aber auch die Verbundenheit, die sie stiftet, noch viel enger. Diese harten, aber herzlichen, widerwärtigen, abstoßenden, kindlichen, rührenden Brüder sind keine Außenseiter, sie sind die Normalität. Dass sie und niemand ihr Leben wirklich leben kann, ist die Realität; die Realität der untergehenden (amerikanischen) Mittelklasse und einer mit ihr verschwindenden ödipalen Kultur der materiellen Arbeit.

This life of ours. This thing of ours. The life we lead.

Es gibt verschiedene Ausdrücke, mit denen in The Sopranos das organisierte Verbrechen, seine inneren Gesetze, seine Organisiertheit, seine Traditionen bezeichnet werden. Meist spielt das Wort »Life« dabei eine Rolle. Die drei oben genannten werden meist vorsichtig und bei nur leicht geöffneten Lippen und vorgehaltener Hand herausgeflüstert.

Silvio macht das zum Beispiel so. Silvio ist Silvio Dante, der Consigliere von Tony Soprano, dem das »Bada Bing« gehört. Dieser Nachtclub-cum-Puff ist neben dem Satriale’s das andere kaum klandestine Büro der von Tony Soprano geleiteten Gruppe der italienischen Mafia, die die New-Jersey-Seite des Hudson River beherrscht. Gelegentlich arbeiten sie mit den Leuten aus New York zusammen, gelegentlich auch gegeneinander. Sie haben Geschäftsbeziehungen nach Florida, nach Pennsylvania und sind auch punktuell mit Neapel (Autoschmuggel) und Russland (Geldwäsche) vernetzt. Doch in New Jersey scheint ihr Einfluss auf die Gegenden in der Nähe von New York begrenzt: Newark, Elizabeth, Jersey City, Essex County.