The Way We Kiss - Ella Adams - E-Book
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The Way We Kiss E-Book

Ella Adams

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Beschreibung

Henry und Bonnie. Zwei Welten, die aufeinanderprallen. Eine Liebe, die alles verändert.

Auf dem Gestüt der Huntingtons findet das große Sommerturnier statt – für die englische High Society das Event des Jahres. Pferdepflegerin Bonnie gehört zwar nicht zu den Reichen und Schönen, fiebert dem Turnier aber trotzdem entgegen. Denn dass Henry, Duke of Winterset und begehrtester Junggeselle des Landes, teilnehmen wird, sorgt überall für Aufregung. Doch als Bonnie auf Henry trifft, kann sie es nicht fassen: Dieser arrogante Typ soll der nette Junge sein, den sie früher für seinen einfühlsamen Umgang mit Pferden bewundert hat? Bonnie beschließt, Henry aus dem Weg zu gehen, auch wenn ihr Herz bei jedem Gedanken an ihn verdächtig schneller schlägt …

Wenn du auf diese Tropes stehst, bist du hier genau richtig:

Good Girl x Bad Boy

Royalty

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Buch

Auf dem Gestüt der Huntingtons findet das große Sommerturnier statt – für die englische High Society das Event des Jahres. Pferdepflegerin Bonnie gehört zwar nicht zu den Reichen und Schönen, fiebert dem Turnier aber trotzdem entgegen. Denn dass Henry, Duke of Winterset und begehrtester Junggeselle des Landes, teilnehmen wird, sorgt überall für Aufregung. Doch als Bonnie auf Henry trifft, kann sie es nicht fassen: Dieser arrogante Typ soll der nette Junge sein, den sie früher für seinen einfühlsamen Umgang mit Pferden bewundert hat? Bonnie beschließt, Henry aus dem Weg zu gehen, auch wenn ihr Herz bei jedem Gedanken an ihn verdächtig schneller schlägt …

Mehr Informationen zu Ella Adams finden Sie am Ende des Buches.

Ella Adams

The Way We Kiss

Roman

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

Der Verlag behält sich die Verwertung des urheberrechtlich geschützten Inhalts dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor.

Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Originalausgabe Oktober 2023

Copyright © by Ella Adams 2023

Copyright © dieser Ausgabe by Wilhelm Goldmann Verlag, München,

in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH,

Neumarkter Straße 28, 81673 München

Die Veröffentlichung dieses Werkes erfolgt auf Vermittlung der literarischen Agentur Peter Molden, Köln

Covergestaltung: UNO Werbeagentur GmbH, München

Covermotiv: FinePic®, München

Redaktion: Lisa Wolf

LK · Herstellung: ik

Satz und E-Book-Konvertierung: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-641-28452-7V001

www.goldmann-verlag.de

Kapitel 1

Endlich war es so weit. Heute war der Tag des großen Turniers.

Mit einem aufgeregten Kribbeln im Bauch richtete ich mich im Bett auf und schaute auf meinen alten Vintage-Radiowecker. 6:58 Uhr stand in gelben Zahlen auf dem Display. Perfektes Timing. In zwei Minuten würde der Alarm losgehen. Ich schaltete den Wecker aus und machte wie jeden Morgen das Radio an. Ich mochte es, gleich nach dem Aufwachen Musik und die Nachrichten des Tages zu hören. Ein Rocksong aus den Achtzigern erklang aus den Lautsprechern, und ich musste lächeln.

Mit Schwung richtete ich mich auf, meine nackten Füße sanken in den flauschigen Teppich, der frische Wind von draußen wehte durchs offene Fenster und strich über meine Haut. Die fast durchsichtigen Vorhänge bewegten sich sanft davor, beleuchtet von der Morgensonne, die längst den Tag eingeleitet hatte.

Gut gelaunt atmete ich die frische, kühle Sommerluft ein, in die sich ein leicht süßlicher Duft der blühenden Blumenbeete von draußen mischte. Mrs Darborough, die Haushälterin des Herrenhauses, hatte sie angelegt und pflegte sie mit hingebungsvoller Leidenschaft. Dad und ich hatten beide keinen grünen Daumen, jede Zimmerpflanze beging nach kürzester Zeit in unserem kleinen Cottage Selbstmord.

»And I’m free!«, sang ich den Song mit, schlüpfte aus meinen Pyjamashorts und zog mir das Tanktop über den Kopf. Beides warf ich aufs Bett, zog einen BH aus dem Schrank und huschte an der Vitrine mit gewonnenen Pokalen und Schleifen vorbei in mein kleines Badezimmer. »Free fallin’!« Dort band ich mir die langen blonden Haare hoch zu einem Dutt, beugte mich übers Waschbecken und spritzte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Es gab keine bessere Methode, um richtig wach zu werden.

In Gedanken ging ich meine Aufgaben für heute durch, während ich mir die Zähne putzte und dann in gemütliche Stretch-Jeans und ein Oversize-T-Shirt schlüpfte. Meine liebsten Arbeitsklamotten. Meine Haare stopfte ich unter eine weiße Baseballkappe mit dem aufgestickten Logo des Red-Oak-Gestüts und legte meine Kette mit dem Sichelmondanhänger um, die auf dem Kästchen neben dem Waschbecken lag. Ich hütete sie wie einen Schatz. Sie hatte meiner verstorbenen Mum gehört und war das Einzige, was mir von ihr geblieben war.

»Und nun kommen wir zu den Verkehrsnachrichten mitten aus dem Herzen Englands mit Harry Durham«, klang es aus dem Radio, als ich zurück in mein Zimmer ging. »Was für ein Trubel heute Morgen!«, meldete sich der Nachrichtensprecher auch schon. »Sollten Sie in Kent unterwegs sein, meiden Sie die B2069, dort werden Ihnen Dutzende Pferdeanhänger begegnen, die auf dem Weg zum großen Turnier der Springpferdezüchter auf dem Red-Oak-Gestüt des Earl of Huntington sind. Alles, was Rang und Namen hat, wird sich dort versammeln, um die jungen Nachwuchspferde in Augenschein zu nehmen. Es wird gemunkelt, dass sogar ein paar Royals das Event mit ihrer Anwesenheit beehren, und auch der Duke of Winterset wurde wieder im Lande gesichtet! Ob er an seine alten Erfolge anknüpfen kann? Auf der A10 Richtung Wood Green kommt der Verkehr nur stockend voran, rechnen Sie mit zehn Minuten Zeitverlust, und auf der …«

Mit einem Lächeln schaltete ich das Radio aus. »Alles, was Rang und Namen hat«, murmelte ich nervös und rückte die Bilder auf meiner Kommode zurecht. Bilder, die immer einen beruhigenden Einfluss auf mich hatten.

Ganz vorne in einem pastelllila Rahmen stand ein Foto von meinem Lieblingspferd Meteor. Er war ein wunderschöner Warmblut-Rappe, den ich mit der Flasche aufgezogen hatte, nachdem seine Mutter bei der Geburt gestorben war. Wahrscheinlich fühlte ich mich Meteor deshalb so verbunden, ich hatte ebenfalls kaum Erinnerungen an meine Mutter. Ihr Bild stand gleich daneben. Sie schaute mit ihren großen grünen Augen direkt in die Kamera. Ihre hellblonden Haare umrahmten ihr zartes Gesicht wie fließender Honig, und wie so oft hatte ich bei diesem Anblick das Gefühl, in einen Spiegel zu sehen. Auf einem anderen Bild war ich noch als Kind auf Dads Schoß zu sehen, vor mir eine Geburtstagstorte mit fünf Kerzen. Ebenfalls ein Kinderfoto war jenes von mir und dem Earl of Huntington zusammen mit seiner Tochter Vanessa auf einer mit Blumen geschmückten Pferdekutsche. Ich liebte alles an diesen Bildern, sie waren mein Zuhause.

Das Piepsen meines Handys holte mich zurück in die Gegenwart. Es war eine Nachricht von Dad: Guten Morgen, Bonnie. Schon wach? Ich fahre jetzt gleich den Reitplatz ab, hilfst du Charlie mit den Gästen?

Dad arbeitete als Stallmeister des altehrwürdigen Landsitzes und musste an einem so wichtigen Tag vor allen anderen im Gestüt nach dem Rechten sehen und letzte Vorbereitungen treffen. Ich schickte ihm ein Daumen-hoch-Emoji, schob das Handy in meine Hosentasche und ging zum Fenster. Der Tag konnte nicht richtig beginnen, bevor ich nicht wenigstens kurz die Aussicht genossen hatte. Auch heute erfüllte mich sofort eine Welle der Wärme und des Glücks, als ich meine Hände auf das Fensterbrett legte, mich hinausbeugte und all die Eindrücke auf mich wirken ließ. Von hier aus konnte ich das gesamte herrschaftliche Gestüt überblicken.

Links von mir erhob sich das Herrenhaus aus dem späten 17. Jahrhundert mit dem gewaltigen Springbrunnen davor. Dort lebte der Earl of Huntington mit seiner Familie. Von da ging es über eine Zufahrt zu den Stallungen hinunter, die mit den Sattelkammern und Geräteräumen aus zwei lang gezogenen und zwei kürzeren Holzgebäuden bestanden. Sie bildeten ein an den Ecken offenes Rechteck um einen gepflasterten Innenhof, über den man Zutritt zu allen Gebäuden auf dem Gestüt hatte. Links von mir befand sich die Zufahrt zum Herrenhaus und rechts der gepflasterte Pfad zur Reithalle. Weiter vorne führte eine Kirschbaum­allee zu den Reitplätzen und dem von einer Tribüne umgebenen Turnierplatz und rechts die Straße zum Eingangstor des Gestüts. Um dieses Herz der Anlage zogen sich die im Morgentau glitzernden Grünflächen der Weiden. Auf manchen erkannte ich sogar aus der Ferne die Stuten mit ihren Fohlen.

Es gab keinen schöneren Ort auf der ganzen Welt.

Ich verließ mein Zimmer und ging die Treppe hinunter. Das Sonnenlicht brannte durchs Dachfenster und beleuchtete gnadenlos die vielen Dellen auf den hellen Buchenholzstufen, die ich als kleines Kind mit meinen Spielzeugpferden dort hinterlassen hatte. Mein Teleskop verstaubte neben einem alten Futon auf dem Zwischenpodest, das eine Galerie mit Blick auf den Vorraum bildete. Dad und ich hatten oft in die Sterne geblickt – so, wie er es früher mit Mum gemacht hatte –, und ich wusste noch, wie begeistert ich gewesen war, zum ersten Mal die Ringe des Saturns zu sehen. In der Nacht vor Meteors Geburt hatten wir dann Sternschnuppen beobachtet, und da der Earl mir erlaubt hatte, das Fohlen zu benennen, war Meteor so zu seinem Namen gekommen.

Im Flur fiel mein Blick auf einen Zettel auf der Kommode unter dem Wandspiegel.

Das Frühstück ist die wichtigste Mahlzeit des Tages, stand dort in der fein geschwungenen Schrift von Mrs Darborough.

Neugierig spähte ich in Richtung Küche, und tatsächlich war da neben dem Duft von Dads Kaffee auch der nach frisch gebackenem Kuchen.

Eigentlich hatte ich gleich in den Stall gehen wollen, aber so bog ich doch noch in unsere alte Landhausküche ab. Auf der rustikalen Frühstückstheke stand ein großer Teller mit herrlich duftenden Blaubeermuffins unter einer Kuchenglocke bereit. Mrs Darborough musste sie in den frühen Morgenstunden frisch gebacken und mir und meinem Dad auf die Veranda gestellt haben.

»Wahnsinn! Danke, Mrs Darborough.« Ich nahm mir gleich zwei Muffins, ging damit zurück in den Vorraum und schlüpfte in meine blaue Stalljacke mit dem knallroten Red-Oak-Logo und in meine festen Arbeitsschuhe. Draußen war der süße Blumenduft noch viel intensiver. Nicht nur wegen des in allen Farben blühenden Beetes, sondern auch wegen der Rhododendronsträucher, die den gepflasterten Fußweg vom jahrhundertealten Cottage zu den Stallungen hinunter säumten. Vermischt mit der rein gewaschenen Luft des Regens, den ich nachts aufs Dach prasseln gehört hatte, atmete ich tief ein.

Mein Magen knurrte, ich steckte mir einen Muffin in die Jackentasche, vom anderen brach ich mir ein großzügiges Stück ab und schob es mir in den Mund. In der Ferne fuhren die ersten Anhänger vom Tor die lange Auffahrt zum Gestüt hoch und parkten auf einer Wiese neben der Straße, die normalerweise als Koppel diente. Eigentlich hatten wir keine Turnierteilnehmer vor acht Uhr erwartet, aber einige kamen von weiter her und wollten offensichtlich lieber rechtzeitig vor Ort sein. Hoffentlich hatte unser Chefpferdepfleger Charlie noch alles im Griff.

Ich stopfte mir den Rest meines Muffins in den Mund und lief mit schnellen Schritten über den weitläufigen Hof, der zu allen vier Seiten von Stallgebäuden mit roten Fensterläden an den Außenboxen gesäumt wurde.

Schrilles Wiehern hallte von der Wiese dumpf in meine Richtung, aber ansonsten war hier alles noch still. Auch von Charlie fehlte jede Spur. Dafür kam mir Theresa durch das doppelflügelige rote Holztor des rechten Stallgebäudes entgegen. Sie hatte letztes Jahr als Pflegerin hier angefangen. An der Hand führte sie Wishmaster, einen wunderschönen Schimmel des Earl of Huntington, der heute vorgestellt werden sollte.

»Hey, Bonnie!« Theresa verzog ihre glossig schimmernden Lippen zu einem Lächeln und blieb stehen, was der Schimmel sofort ausnutzte, um an ihren zu einem Kranz geflochtenen roten Haaren zu knabbern. Das schien sie aber nicht sonderlich zu stören, obwohl sie für dieses Kunstwerk bestimmt ewig vor dem Spiegel gestanden hatte. Sie kam immer top gestylt und mit einem perfekten Make-up zur Arbeit. Etwas, wozu ich mich nie aufraffen konnte. Auf dem Hof machte man sich eh viel zu schnell wieder schmutzig. Ich sah den Sinn hinter dem Aufwand nicht, auch wenn Theresa echt super aussah.

Mit sanftem Druck schob sie Wishmasters Nase von sich weg und kraulte seinen Hals. »Suchst du deinen Dad? Der war vorhin noch beim Reitplatz.«

»Nein, eigentlich Charlie.«

Theresa kniff nachdenklich die Augen zusammen, dann deutete sie hinter sich. »Gerade war er noch auf dem Weg zum Tor, vielleicht will er die Neuankömmlinge einweisen. Mit dem Hübschen hier muss ich jetzt jedenfalls erst mal zum Tierarzt.«

Ich sah ihr kurz hinterher. Auch ich hätte mich am liebsten schon um die Pferde gekümmert, besonders um meinen Liebling Meteor. Aber das musste warten, zuerst brauchte Charlie mich. Also überquerte ich den Hof, das Klackern von Wishmasters beschlagenen Hufen hinter mir in den Ohren, und umrundete den Zuchtstutenstall, um der Zufahrtsstraße Richtung Tor zu folgen.

Allerdings kam ich nicht weit, ein Traktor stand mitten in der Biegung, im Schatten unter den Eichen, die einen kleinen Hain bildeten. Daneben entdeckte ich meinen Dad, der sich mit einer schlanken Frau in einem mintgrünen Spitzenkleid unterhielt. Sie hatte mir den Rücken zugewandt. Blonde Haare fielen unter dem farblich passenden Hut in Wellen auf ihren Rücken hinunter. Selbst aus der Entfernung war der Stolz in ihrer aufrechten Haltung zu erkennen, an der Art, wie sie eine Hand in die Taille gestemmt hatte und den Kopf hochtrug. Ich wusste sofort, um wen es sich handelte. Lady Kerry. Die Schwester des Earl of Huntington, dem Besitzer des Gestüts Red Oak.

»Das können Sie vergessen!«, donnerte Dads tiefrauchige Stimme durch den Morgen. »Die zerbeißt mir alle Stuten!«

»Und wenn Sie sie einfach zu den Reitpferden stellen? Zu den Wallachen?«, erwiderte Lady Kerry. Ein Hauch von Ungeduld hatte sich in ihren eigentlich so liebenswürdigen Tonfall geschlichen.

Seit der skandalösen Scheidung vor einem halben Jahr lebte sie wieder hier. Mit ihrem eleganten Outfit wirkte sie zwischen Stall und Traktor zwar ein wenig fehl am Platz, aber daran war ich schon gewöhnt. Ich fand es vielmehr beeindruckend, dass sie es in den grünen Pumps heil über den gepflasterten Hof geschafft hatte.

»Guten Morgen.« Ich ging auf die beiden zu und war nicht überrascht, zwischen Dads Augenbrauen eine tiefe Zornesfalte zu sehen. Sein Kiefer war angespannt, sodass sich ein paar kleine Fältchen um seinen Mund in die glatt rasierten Wangen gruben. Er hatte ein schmales, scharf gezeichnetes Gesicht, was ihn strenger wirken ließ, als er tatsächlich war. Die schulterlangen braunen Haare trug er wie immer im Nacken zusammengebunden, was diesen Eindruck noch verstärkte.

Lady Kerry wandte sich mir zu. Der genervte Ausdruck in ihrem Gesicht wich Erleichterung, als sie mich erblickte. »Bonnie, du kommst genau richtig. Kannst du deinen Vater bitte darüber aufklären, dass Pferde Herdentiere und durchaus soziale Wesen sind? Einzelhaft ist einfach grausam! Nach Jahrzehnten als Stallmeister scheint er das immer noch nicht gelernt zu haben.«

»Geht es um Everdream?«, fragte ich vorsichtig nach. Everdream war die Stute, die Lady Kerry kurz nach ihrer Scheidung für die Zucht ihres Bruders erworben hatte – sehr zu dessen Missfallen und dem meines Dads.

»Gäbe es eine Möglichkeit, sie mit anderen Pferden zusammenzustellen, würde ich das tun«, stieß Dad zwischen zusammengebissenen Zähnen aus. Seine Finger rieben unruhig anei­nander, wie immer, wenn er ungeduldig wurde. Ich wusste, dass er an einem so wichtigen Tag mit seiner Arbeit vorankommen wollte, und auch, dass er dieses Gespräch mit Lady Kerry nicht zum ersten Mal führte.

»Ich mag es genauso wenig, ein Pferd zu isolieren, Mylady, das können Sie mir glauben. Aber Sie haben selbst gesehen, was passiert, wenn wir versuchen, sie in die Herde zu integrieren. Wir können es uns nicht leisten, dass sie noch mehr Tiere verletzt.«

»Ach, ich bitte Sie. Rangstreitigkeiten gehören dazu, die gibt es immer wieder unter Pferden.«

»Pferde infolge einer solchen Rangelei einschläfern zu lassen sollte aber nicht dazugehören.«

Lady Kerry warf die Arme in die Luft. »Das ist doch absurd! Wieso wickeln Sie die Pferde nicht gleich in Luftpolsterfolie ein, damit ihnen nichts passiert? Das sind Tiere, Daniel, sie brauchen Freiheit, Bewegung und ihre Artgenossen. Verletzungen gibt es immer wieder, deshalb können wir sie nicht auseinander­sperren.«

»Ich stimme Ihnen zu, Mylady, aber Verletzungen zu provozieren ist auch nicht der richtige Weg. Everdream kann nicht mit anderen Pferden, das hat sie jetzt oft genug unter Beweis gestellt. Sie ist zu dominant.«

»So nennt man das also? Ich finde, sie ist stark. Aber es ist ja nichts Neues, dass Männer ein Problem damit haben.«

Dad blickte Hilfe suchend Richtung Himmel, als würde er auf göttlichen Beistand hoffen.

»Vielleicht sollten wir es noch mal mit einer Nebenkoppel probieren«, schlug ich in versöhnlichem Ton vor, bevor die beiden noch richtig aneinandergerieten. »Wie Lady Kerry schon sagte – bei den Wallachen. Durch einen Zaun getrennt. Sie können sich über diese sichere Barriere beschnuppern, wenn sie wollen. Everdream ist dann nicht ganz allein, aber es kommt auch nicht zu Verletzungen. Und wenn das gut klappt, können wir ja …«

»Du meinst, wenn sie uns nicht den Zaun zerlegt«, erwiderte Dad und strich sich mit einem Seufzen übers Gesicht. »Aber davon abgesehen ist es sowieso egal, was ich sage, Mylady, Ihr Bruder will Everdream nicht in der Nähe seiner Pferde haben, und daran muss ich mich halten. Belästigen Sie also lieber ihn damit.«

Lady Kerry klappte den Mund auf, von einem Moment zum anderen färbten sich die Wangen ihres Porzellangesichts rot. Auch ich war sprachlos. Es kam nicht oft vor, dass Dad die Beherrschung verlor.

»Eine Unverschämtheit ist das!«, stieß Lady Kerry hervor, nachdem sie ihre Fassung wiedererlangt hatte. »Eine bodenlose Unverschämtheit.« Und damit wandte sie sich auf dem Absatz um und stolzierte davon.

Dad lehnte sich gegen den großen Hinterreifen des Traktors und sah mich mit einem müden Lächeln an. »Und wie war dein Tag so bisher?«

»Dad!« Ich deutete in Lady Kerrys Richtung und hob dann in einer hilflosen Geste die Hände. Ich wusste gar nicht, was ich sagen sollte.

»Schon gut, ich weiß. Ich werde mich nachher bei ihr entschuldigen. Bleibt mir ja nichts anderes übrig.«

Ich verdrehte die Augen, zog den zweiten Muffin aus meiner Jackentasche und reichte ihn meinem Vater. »Ich glaube, du bist unterzuckert.«

Dad nahm den Muffin entgegen und biss zu meiner Erleichterung gleich davon ab. So wie ich ihn kannte, hatte sein Frühstück nur aus einer Tasse Kaffee bestanden. Während er immer darauf achtete, dass ich keine Mahlzeit ausließ, vergaß er oft selbst den ganzen Tag, etwas zu essen, und stopfte sich dann abends mit Tiefkühlpizza voll. Nicht besonders gesund. In meinen Gedanken notierte ich mir gleich, ihm später etwas Obst vorbeizubringen.

»Ich gehe dann mal zu Charlie, okay? Theresa hat gesagt, er ist beim Tor.«

»Ja, da konnten es wieder mal ein paar nicht erwarten und sind viel zu früh dran.« Dad stopfte sich den Rest des Muffins in den Mund, rieb die Hände aneinander, um sie von Krümeln zu befreien, und stieg dann hoch ins Fahrerhaus des Traktors. »Danke fürs Frühstück.« Er zwinkerte mir noch zu, dann ließ er den Traktor an und rollte davon. Hoffentlich war das Thema Everdream für heute erledigt, sodass er das Turnier auch ein wenig genießen konnte.

Ich folgte weiter der Straße und fand Charlie wie erwartet am gusseisernen Tor zur Einfahrt ins Gestüt, ein Klemmbrett in der Hand. Charlie war nicht nur der Chefpfleger, sondern auch fast so etwas wie ein Familienmitglied. Ich kannte ihn schon mein ganzes Leben lang. Meine frühesten Erinnerungen an ihn waren die an einen jungen Stallburschen mit Zahnspange. Jetzt mit Ende zwanzig unterstand er nur noch meinem Dad und Lord Huntington persönlich. Alle vierunddreißig Stallangestellten holten sich ihre Anweisungen von ihm.

Trotz der kühlen Temperaturen so früh am Morgen trug er nur ein T-Shirt und Jeans, und seine halblangen roten Haare standen unter seiner Red-Oak-Baseballmütze in alle Himmelsrichtungen ab. Gerade passierte ihn ein Anhänger, dem er den Weg zum Standplatz wies, dann wandte er sich mir zu.

»Bonnie Harper, bereit zum Dienst.« Ich salutierte vor ihm, und Charlie lachte.

Mir kam der Gedanke, dass ich auch ihm einen Muffin hätte mitbringen sollen, aber so wie ich Mrs Darborough kannte, hatte sie auch welche in den Pausenraum des Personals gestellt.

»Wo brauchst du mich?«

»Kannst du zu den Zeltboxen rübergehen? Eigentlich ist alles gut beschriftet, und die Leute sollten wissen, wohin sie müssen. Viele sind auch nicht zum ersten Mal hier. Aber vielleicht braucht ja doch jemand Hilfe. Vergiss nur nicht, dass du Meteor und Everdream rechtzeitig fertig machen musst, die beiden sind früh dran. Capital und Lucifer kommen erst am Nachmittag bei den älteren Pferden.«

Er zog ein Blatt mit der Startaufstellung für den heutigen Turniertag aus seinem Klemmbrett und reichte es mir. Um Meteor musste ich mich zuerst kümmern. Das passte mir gut, denn so konnte ich mir in Ruhe Zeit nehmen, um ihn turnierfertig zu machen. Wenn ich ihn nur auch reiten dürfte! Aber das war dieses Jahr einfach noch nicht für mich drin.

Auf dem Gestüt waren eine Handvoll professionelle Bereiter angestellt, die die Pferde ausbildeten und sie auf Turnieren und Verkaufsveranstaltungen vorstellten. Trevor Tallwell war einer von ihnen. Er ritt heute Meteor, und ja, ich war ein bisschen eifersüchtig. Schließlich hatte ich Meteor mit ausgebildet und war ihn oft geritten – meist zum Aufwärmen oder Abreiten, aber manchmal, wenn Trevor nicht aufgetaucht war, hatte ich den Wallach selbst trainiert. Nicht nur im Sattel, auch vom Boden aus mit Vertrauensübungen, damit er nicht nur ein gutes Springpferd wurde, sondern auch angstfrei und selbstbewusst in die Parcours ging. Aber auch wenn es heute noch nicht so weit war, wusste ich, dass ich bald an der Reihe sein würde. Vor ein paar Wochen hatte ich die Schule beendet, meinen Abschluss in der Tasche, der Sommer begann, und bald würde ich als fest angestellte Bereiterin auf Red Oak anfangen. Endlich wurde mein Traum wahr. Es war schon ein großes Glück, auf diesem idyllischen Gestüt aufwachsen zu dürfen, aber mein Geld damit zu verdienen, die Pferde in ihrer Ausbildung zu begleiten, sie formen und wachsen zu sehen, bedeutete für mich alles. Ich konnte es kaum erwarten loszulegen. Und wer weiß, vielleicht durfte ich bereits beim nächsten größeren Turnier selbst eines der Pferde von Red Oak vorstellen? Doch jetzt war keine Zeit für Träumereien.

»Keine Sorge. Du kannst dich auf mich verlassen«, sagte ich zu Charlie, faltete die Startaufstellung zusammen, schob sie in meine Gesäßtasche und machte mich im Schatten der Bäume auf den Weg zurück zur Wiese mit den Stallzelten für die Besuchspferde. Ein paar Pferde-Lkw und Autos mit Anhänger fuhren an mir vorbei. Für diese Uhrzeit, es war noch nicht mal acht Uhr, war schon richtig viel los.

»Entschuldigen Sie bitte, Miss?« Ein blauer Pferdetransporter hielt neben mir an. »Können Sie mir sagen, wo ich Abstellplatz 54C finde?« Ein kräftiger Mann um die vierzig sah mir aus dem Fahrerfenster entgegen. Seine schwarzen, grau durchwebten Haare fielen ihm lockig bis unter die Schultern und verbanden sich auf der Brust mit dem langen Bart. Er hielt einen zerknitterten Zettel in der Hand hoch. Es war der Lageplan des Gestüts. Zerknirscht verzog er den Mund.

Ich lächelte ihn freundlich an. »Ganz genau weiß ich es auch nicht, aber die Abstellplätze für die Anhänger müssten dort drüben bei den Koppeln sein.« Ich hob meine Hand an die Stirn und schirmte meine Augen vor der aufgehenden Sonne ab, im Versuch, Zahlen und Beschriftungen auf der zweckentfremdeten Wiese auszumachen. Aber es war zu weit weg. »Ach, ich muss sowieso dahin, folgen Sie mir einfach.«

»Weiß nicht, ob denen das schnell genug geht«, erwiderte der Mann und wies mit dem Daumen hinter sich. Tatsächlich hatte sich schon eine Kolonne mit weiteren Autos mit Anhängern hinter ihm gebildet. »Los, springen Sie rein.« Der Mann schloss das Fenster, ohne auf eine Antwort von mir zu warten, beugte sich dann auf die andere Seite und drückte die Beifahrer­tür auf.

Ich wollte die anderen Autos nicht noch länger warten lassen, also lief ich schnell um den Transporter herum und kletterte hi­nein. Sofort fiel mein Blick auf den Bildschirm in der Mittelkonsole, der durch eine Kamera das Pferd im Ladebereich zeigte. Ein großgewachsener schlanker Brauner ohne Abzeichen. Er hatte den Kopf hochgereckt, und selbst auf dem kleinen Bild erkannte ich, dass die Augen des Tieres vor Aufregung und Nervosität weit aufgerissen waren.

»Vor den Ställen da vorne müssen Sie rechts reinfahren«, erklärte ich, als der Mann den Gang einlegte und langsam anrollte. »Beim Schild mit dem Parkplatz-Zeichen.«

»Darauf hätte ich auch selbst kommen können.« Der Fremde lachte nervös auf und fuhr weiter, im Sitz nach vorne gelehnt, das Lenkrad vorbildlich in zehn vor zwei Stellung. Seine langen dunklen Haare verliehen ihm zusammen mit dem Bart einen etwas wilden Ausdruck, als wäre er von einem Wikinger-Filmset entflohen. Muskulöse Arme spannten sich unter einem langärmligen Hemd, die zeigten, dass er anpacken konnte. Er wirkte, als könnte er alles Unangenehme aus dem Weg räumen, umso stärker war der Kontrast zu seiner offensichtlichen Unsicherheit. »Es ist unser erstes Mal hier, und ich bin ein ziemliches Nervenbündel.« Er nahm eine Hand vom Lenkrad und reichte sie mir. »Ich bin Sam.«

»Bonnie.« Ich schlug ein.

Sam hatte einen festen Händedruck, der meine Finger knacken ließ, aber seine Haut war schwitzig, bestimmt vor Aufregung. Ich ließ mir nichts anmerken und deutete zur Koppel, wo bereits ein paar Anhänger parkten. Sam fuhr an den bereits stehenden Hängern vorbei und folgte dem Seil, das den Parkbereich von den anschließenden Stallzelten trennte. Fast am Ende der weiten Fläche fanden wir die 54C.

»Die Zeltbox hat dann dieselbe Nummer«, erklärte ich und warf wieder einen Blick auf den Bildschirm. Das Pferd stand immer noch mit hocherhobenem Kopf im Transporter und ignorierte das vor ihm hängende Heunetz. Gleich darauf erscholl ein schrilles Wiehern von hinten. »Da will jemand raus.«

»Ja, Joker ist noch hibbeliger als ich, mal sehen, wie er sich heute macht. Ich bin ja schon froh, wenn er es auf den Reitplatz schafft. Zu Hause springt er wirklich gut, aber sobald er nicht in seiner gewohnten Umgebung ist, wird er unberechenbar. Deshalb sind wir hier. Ich will ihn daran gewöhnen, auswärts klarzukommen, auf einem Turnier, das nicht zu weit von seinem Zuhause entfernt ist.«

»Werden Sie ihn denn selbst reiten?«, fragte ich.

Sam brach in schallendes Gelächter aus. »Sehe ich so aus? Nein, mein Neffe reitet ihn, er müsste gleich hier sein.« Sam stellte den Motor ab und zog den Schlüssel aus der Zündung, im nächsten Moment ließ mich ein kräftiger Knall zusammenzucken. Es war Joker, der mit seinem Huf gegen die Wand des Transporters donnerte.

Sam lehnte sich nach vorne übers Lenkrad und sah sich in alle Richtungen um. »Wo er nur bleibt? Er wollte mir beim Abladen helfen.«

»Das kann ich doch machen.« Ich sprang aus dem Auto und ging direkt zur Laderampe an der Seite des Transporters. Mit ein paar wenigen geübten Handgriffen öffnete ich sie und drückte auch die Dachaufstellklappe hoch. Der braune Wallach sah mir schon aus großen ängstlichen Augen entgegen.

»Na, mein Hübscher? Was veranstaltest du hier für einen Radau?« Ich ging die Laderampe hoch und streckte meine Hand nach ihm aus. Sofort lehnte er sich über die Absperrstange und beschnupperte meine Finger. »Es gibt gar keinen Grund für die Aufregung. Es ist toll hier, du wirst sehen.«

Joker ließ sein samtig weiches Maul über meine ausgestreckte Hand gleiten, vermutlich roch sie noch süß nach dem Muffin, und ich streichelte ihn mit meiner anderen sanft am Hals. Er hatte seidig glattes Fell, das unter den einfallenden Sonnenstrahlen glänzte. Ein Zeichen für gutes Futter und gute Pflege. Aber er war leicht verschwitzt – vermutlich von der Aufregung.

»Na dann holen wir dich hier mal raus.«

Sam machte einen Schritt auf die Laderampe zu. »Ich weiß nicht …«, begann er und ließ seinen Blick über mich wandern, den dunklen Bart um einen Finger zwirbelnd. »Joker ist wirklich ein Kaliber, und Sie … ich will Ihnen ja nicht zu nahe treten, aber Sie sehen sehr zierlich aus.«

»Keine Sorge, ich bekomme das hin.« Ich öffnete den Verschluss der Absperrstange und musste lachen, als ich Sams besorgtes Gesicht sah. »Das ist nicht das erste Pferd, das ich auslade.«

»Vielleicht warten wir doch lieber …«

Ich hielt inne und hob ergeben die Hände. »Wie Sie wollen. Es ist Ihr Pferd.« Wenn er nicht wollte, dass ich Joker auslud, musste ich das wohl oder übel akzeptieren. Joker aber drängte bereits vorwärts und scharrte ungeduldig mit dem Huf. Ich fände es klüger, ihn aus dem Transporter zu lassen, damit er sich in Ruhe die Beine vertreten und sich umsehen konnte.

»Wann wollte Ihr Neffe denn kommen?«

Sam musterte mich noch einmal von oben bis unten, dann seufzte er. »Na schön. Wir machen es gemeinsam.« Er kam die restliche Laderampe zu mir hoch, duckte sich unter der Absperrstange hindurch und löste auf der anderen Seite Jokers Anbindestrick.

»Okay, wir sind so weit«, sagte er schließlich gepresst. Er stand mindestens genauso angespannt da wie das Pferd.

»Bleiben Sie ruhig, das überträgt sich dann auf Joker.« Ich hob die Stange aus der Verankerung und ließ sie langsam zur Seite gleiten. Aber kaum war die Barriere verschwunden, schoss Joker schon vorwärts. Er hätte mich beinahe über den Haufen gerannt, wenn ich nicht geistesgegenwärtig seitlich von der Laderampe gesprungen wäre. Sam zog er dabei am Strick hinter sich her. Außerhalb des Transporters stellte das Pferd sich hin, den Schweif hochgetragen, den Kopf in die Höhe gerissen, die Ohren gespitzt, lautstark durch die Nüstern schnorchelnd. Sam packte den Strick so kurz wie möglich am Pferdekopf und stemmte sich mit seinem Körper gegen Jokers Schulter, als müsste er ihn jeden Moment wieder davon abhalten, nach vorne wegzurennen. Joker begann, nervös zu tänzeln, warf seinen Kopf hin und her, um dem Druck zu entgehen, drängelte gegen Sam. Dieser war zwar ein Riese, trotzdem schob der Braune ihn mühelos zur Seite. Die Situation schien kurz vorm Eskalieren, ich konnte unmöglich länger nur zusehen.

»Alles gut.« Ich ging mit ausgestreckter Hand auf die beiden zu, hob auffordernd die Augenbrauen in Sams Richtung und griff nach dem Strick. »Geben Sie ihn mir.«

»Auf keinen Fall! Gehen Sie besser zurück«, stieß Sam aus, der das Pferd immer noch mit aller Macht festhielt. Im nächsten Moment stellte Joker sich auf die Hinterbeine. Er stieg nicht besonders hoch, gerade genug, um Sam zurückweichen zu lassen. Ich nutzte den Moment und nahm ihm den Strick aus der Hand, den er beinahe fallen gelassen hätte. »Ganz ruhig, hier passiert dir nichts.«

»Bonnie …«

»Keine Sorge, er braucht nur etwas Platz.« Ich nahm das Ende des Stricks in die Hand, damit Joker genug Raum hatte, sich zu bewegen, gleichzeitig hielt ich ihn mir dadurch auch vom Leib. Jokers Nervosität machte ihn in diesem Moment gefährlich, und daher war es besser, ihm nicht zu nahe zu kommen.

Sam stand unbeweglich und blass da. Aber ich hatte keine Angst. Seit meiner Geburt war ich von Pferden umgeben. Ich war mir sicher, dass ich das Richtige tat.

Joker tänzelte und warf unruhig den Kopf hin und her, um sich einen Überblick zu verschaffen. Was er nicht berücksichtigte, war, dass er mich dabei jedes Mal mitzog. Auch wenn ich Verständnis für ihn hatte, ließ ich mir dieses Verhalten nicht gefallen. Er wollte sich bewegen und Spannung abbauen, das erlaubte ich ihm, aber ich bestimmte, wohin er sich bewegte. Daher ließ ich ihn im Kreis um mich herumgehen, und wenn er mir zu nahe kam, wedelte ich den Strick in seine Richtung und ließ ihn so wieder zurückweichen. Wenn er zu sehr nach außen wegdriftete, holte ich mir seine Aufmerksamkeit zurück, indem ich ihn die Richtung ändern ließ. Immer wieder. Ich ließ ihn ein paar Schritte in diese, dann in die andere Richtung gehen, schließlich erhöhte ich den Schwierigkeitsgrad und verlangte von ihm, seine Hinterhand zu weichen. Dafür schwang ich den Strick sanft in Richtung seiner Flanke, und er überkreuzte artig die Hinterbeine von mir weg. Nach ein paar Runden reichte schon ein simpler Fingerzeig von mir, und er verstand, was ich von ihm wollte. So ging er immer weiter im Kreis, ein paarmal auf jeder Seite. Von Sekunde zu Sekunde wurde er immer ruhiger.

»Was machen Sie da?«, wollte Sam wissen. Er klang nicht erbost, weil ich sein Pferd hin und her schickte, sondern eher erstaunt, wenn nicht sogar beeindruckt.

»Es hat keinen Sinn, ihn zum Stehenbleiben zu zwingen. Er war wie eine Bombe kurz vorm Hochgehen, und das wäre auch passiert – ein kleines Geräusch, ein Rascheln im Wind, und er wäre richtig hochgestiegen oder hätte sich losgerissen. Da kann ich ihn noch so sehr am Strick festhalten. Wenn er sich in den Kopf setzt abzuhauen, ist es egal, wie stark ich bin. Ihn hält dann niemand.« Ich intensivierte meine Forderungen an Joker, ließ ihn immer schneller übertreten, wechselte öfter die Richtung. »Er musste sich bewegen, deswegen sage ich zu ihm: Okay, beweg dich, aber dorthin, wo ich will, in die Richtung, die ich bestimme. Ich gebe ihm eine Aufgabe, und die lenkt ihn von seiner Nervosität ab. Sehen Sie? Er leckt sich das Maul, denkt nach, seine Ohren sind auf mich gerichtet, er wartet darauf, was ich als Nächstes von ihm will, und hat ganz vergessen, dass irgendetwas Gefährliches hinter einem Anhänger hervorspringen könnte, um ihn zu fressen.«

Ein leise brummendes Lachen vibrierte aus Sams Kehle. »So habe ich ihn noch nie gesehen.« Sein Staunen erfüllte mich mit Stolz.

Ich entspannte meinen Körper, ließ meine Hände an die Seiten sinken, atmete tief aus, und Joker blieb stehen. Einfach so, ohne dass ich ihn halten oder ihm ein Kommando geben musste, meine Körpersprache reichte aus. Mit gesenktem Kopf und zur Seite ­fallenden Ohren stand er da, als würde er jeden Moment einschlafen, dabei entlastete er ein Hinterbein und ließ die Unterlippe nach unten hängen.

»Er kann jetzt ganz entspannt sein, denn er glaubt, dass ich ­alles unter Kontrolle habe. Seine einzige Aufgabe ist es, ruhig dazustehen. Aber sobald er auch nur einen Huf bewegt, schicke ich ihn wieder im Kreis herum. Damit sage ich ihm: Du willst dich bewegen, dann arbeite. Irgendwann wird er merken, dass es sehr viel angenehmer ist, einfach nur dazustehen.«

»Wo haben Sie das denn alles gelernt?«

Ich ging auf Joker zu, um ihm den Mähnenkamm zu kraulen. »Na ja, ich bin hier auf dem Gestüt aufgewachsen und habe schon mein Leben lang mit Pferden zu tun. Außerdem habe ich ein paar Kurse in Natural Horsemanship belegt. Dort läuft alles nach dem Prinzip: Mache dem Pferd das Falsche schwer und das Richtige leicht. Sehen Sie? Für mich ist es das Falsche, wenn er herumtänzelt, also mache ich Arbeit für ihn daraus, ich mache es schwer für ihn. Ich möchte, dass er ruhig steht, das ist das Richtige, und sobald er das tut, lasse ich ihn in Ruhe. Er wird sehr schnell dahinterkommen, dass wir beide eigentlich dasselbe wollen.«

»Davon kann ich mir noch viel abschauen.«

»Haben Sie Joker noch nicht lange?« Tatsächlich kam mir nicht nur Sam, sondern auch der Wallach ziemlich grün hinter den Ohren vor. Das waren die Pferde hier zwar alle, schließlich war das Turnier heute eine Jungpferdevorstellung. Aber die Tiere wurden bereits geritten und bewältigten einen kleinen Parcours, dafür sollten sie eigentlich auch ein bisschen Selbstvertrauen haben.

»Na ja, eigentlich von Anfang an. Ich habe mein Gestüt vor gut zwei Jahren gekauft, mit allem, was dazugehört. Joker war da noch ein halbes Fohlen. Aber die Fluktuation der Trainer war in letzter Zeit sehr hoch bei uns. Und wir hatten bislang noch kein Pferd, das wir vorstellen konnten, Joker ist der Erste. Mein Gestüt ist noch im Aufbau, aber ich hoffe, dass wir in den kommenden Jahren immer mehr Nachwuchstalente präsentieren können. Zum Glück unterstützt mich von jetzt an mein Neffe. Er kennt sich mit Pferden sehr viel besser aus als ich.«

Ich wollte fragen, wieso er ein Gestüt gekauft hatte, wenn er sich mit Pferden kaum auskannte, aber in diesem Moment knallte jemand eine Autotür zu, und Joker tänzelte zur Seite weg.

»Hey, das war nicht abgemacht«, schimpfte ich mit ihm und schnipste wieder in Richtung seiner Flanke, damit er übertreten und arbeiten musste. »Hast du denn vergessen, dass du im Kreis gehen musst, wenn du dich bewegst?«

»Was soll das werden?«

Eine genervte männliche Stimme ertönte, heiser, unausgeschlafen und irgendwie arrogant.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen und sah über Jokers Rücken hinweg. Ein junger Mann in Reitklamotten trat an Sams Seite, die schwarzen halblangen Haare geschniegelt zurückgekämmt, die schmalen Augenbrauen zusammengezogen. Ich erkannte ihn sofort.

Er war Henry Beaumont, Duke of Winterset. Mir fiel wieder ein, dass ich seinen Namen heute Morgen im Radio gehört, dieser Nachricht aber keine besondere Beachtung geschenkt hatte. Soweit ich mich erinnern konnte, hatte Henry die letzten Jahre nach dem Tod seines Vaters im Ausland verbracht. Jetzt war er ganz offensichtlich zurück und sah alles andere als glücklich aus. Ungeduldig streckte er die Hand in meine Richtung aus, um Joker zu übernehmen.

»Wir haben’s gleich«, sagte ich und lächelte ihn an.

Früher war er oft auf dem Gestüt gewesen und hatte auf mich immer einen netten Eindruck gemacht. Seine Eltern und die Huntingtons waren seit jeher befreundet, daher waren die Wintersets häufig zu schicken Abendveranstaltungen im Herrenhaus eingeladen worden. Manchmal hatten sie auch einen Abstecher zu den Ställen gemacht, und Henry hatte mir sogar einmal eine Brosche mit einem Hufeisen darauf geschenkt. Ich nahm an, dass er sie selbst von irgendjemandem bekommen und sie ihm nicht gefallen hatte. Trotzdem hatte ich mich darüber gefreut.

Ich schickte Joker weiter, doch Henry schien nicht gern zu warten. Plötzlich stand er neben mir und riss mir den Strick aus der Hand.

»Danke, wir kommen schon klar«, sagte er kühl und wandte sich mit dem Wallach von mir ab. Perplex stand ich da und ballte meine plötzlich leere Hand zur Faust.

»Sie geht wirklich gut mit ihm um«, hörte ich Sam sagen, dem die Situation offensichtlich unangenehm war. Er sah zwischen uns beiden hin und her und warf mir einen entschuldigenden Blick zu. »Er ist schon viel ruhiger, Henry.«

»Ich war zwei Minuten zu spät, Sam, du kannst Joker nicht einfach irgendjemandem in die Hand drücken, nur weil du selbst nicht mit ihm klarkommst. Was, wenn er ihr den Schädel eingetreten hätte?«

»Entschuldige mal …«, fing ich an, aber Henry wedelte mich nur mit einer ungeduldigen Geste davon.

»Sagen Sie mir einfach, wo seine Box ist, dann helfen Sie bitte denen, die es wirklich nötig haben.«

Fassungslos starrte ich zu ihm hoch. Offensichtlich hatte er keinen Schimmer mehr, wer ich war. Gut, unsere letzte Begegnung lag Jahre zurück, wir waren noch fast Kinder gewesen und nicht wirklich Freunde, sondern eher flüchtige Bekannte. Hoher Besuch des Herrenhauses freundete sich nicht mit dem Personal an. Aber so abgehoben hatte ich ihn nicht in Erinnerung. Ehrlich gesagt nervte mich seine arrogante Art. Nicht nur mir gegenüber, sondern auch Sam. Wenn ich es richtig verstanden hatte, war Sam Henrys Onkel und verdiente meiner Meinung nach mehr Respekt. Jeder verdiente mehr Respekt.

»54C«, zwitscherte ich mit verstellt hoher Stimme, als wäre ich eine überfreundliche Hostess. »Gleich neben 53C. Einen schönen Aufenthalt auf Red Oak, Euer Gnaden.«

Ich knickste übertrieben demütig, verdrehte die Augen, zwinkerte Sam aber im Gehen noch verschwörerisch zu. Aus dem Augenwinkel konnte ich sehen, dass Henry überrascht zu mir he­rumfuhr, aber ich ging betont gleichgültig weiter. Ich hatte wirklich wichtigere Dinge zu tun.

»Danke, Bonnie!«, hörte ich Sam noch rufen und gleich darauf wütend an seinen Neffen gerichtete Worte: »Zuerst kommst du zu spät, und dann bist du auch noch unhöflich!«

Die Antwort konnte ich nicht mehr verstehen, sie war mir aber auch egal. Henry Beaumont mochte der Duke of Winterset und seines Zeichens begehrtester Junggeselle des Landes sein, aber das beeindruckte mich wenig. Hier auf dem Gestüt gingen Adelige und Superreiche ständig ein und aus, mein Boss war selbst einer von ihnen. Und im Gegensatz zu Henry hatte der es nicht nötig, seine Herkunft so heraushängen zu lassen.

Ich beeilte mich, zu den Stallungen zu gelangen, denn jetzt musste ich wirklich anfangen, die Pferde fertig zu machen.

Die idyllische Stille von heute Morgen war mittlerweile einem regen Treiben gewichen. Während ich mich durch das Gewusel an Hängern, Pferden, Pflegern, Reitern und Gestütspersonal kämpfte, kam vom Eingang eine weitere Auto- und Anhänge­r­kolonne die von Eichen gesäumte Straße herunter. Wir erwarteten nicht nur Dutzende Reiter mit ihren Pferden von den angesehensten Züchtern des Landes, sondern auch Käufer aus aller Welt und die Presse. Ich war heilfroh, als ich den Jungpferdestall erreicht hatte und die Tür hinter mir verschließen konnte. Ich legte meine Jacke in der Sattelkammer ab, schnappte mir Putzzeug, Halfter und Strick und holte meinen wunderschönen, einen Meter achtzig großen Liebling aus der Box. Fast schon gelangweilt ging Meteor neben mir die betonierte, sauber gefegte Boxengasse entlang. Er schien keine Ahnung zu haben, dass es sich heute nicht nur um ein einfaches Training handelte.

»Du bist wie immer die Ruhe selbst«, sagte ich und streichelte ihm über den Hals, schon jetzt unglaublich stolz.

Ich führte Meteor zur letzten freien Putznische nahe des Eingangs und band ihn dort fest. Sonnenstrahlen drangen durch das Oberlicht und offenbarten gnadenlos den Staub in seinem schwarzen Fell. »Na, dann wollen wir dich für deinen großen Auftritt mal zum Glänzen bringen.«

Ich holte eine Bürste aus der Putztasche und begann, sein seidenglattes Sommerfell zu striegeln. Dabei sang ich leise vor mich hin, was Meteor fast einschlafen ließ. Mit gesenktem Hals und zur Seite gekippten Ohren stand er da, das Hinterbein entlastete er, seine Unterlippe hing schlaff hinunter. Als ich ihn fertig gestriegelt hatte, kratzte ich noch seine Hufe aus und fettete sie ein, damit sie ebenfalls schön glänzten.

»Du wirst heute alle beeindrucken, da bin ich mir ganz sicher. Du wirst der Beste sein … und der Schönste«, sagte ich, als ich seine eingenähten Zöpfe überprüfte, die ich ihm schon gestern Abend gemacht hatte. »Alles perfekt.« Ich kämmte noch seinen Schweif ein letztes Mal durch, als plötzlich ein gequältes Stöhnen erklang.

»Es ist eine Katastrophe!«

Überrascht ließ ich den Kamm sinken und spähte an der Trennwand der Putznische vorbei in die Stallgasse.

Die Tochter des Earl of Huntington, Vanessa, kam vom hinteren Bereich des Stalls auf mich zu, leichenblass, eine Hand gegen ihren Bauch gepresst, mit der anderen hangelte sie sich entlang der Boxen weiter zu mir. Sofort warf ich den Kamm in die Putztasche und lief ihr entgegen.

»Was ist los?« Ich ließ meinen Blick über sie gleiten und suchte nach irgendetwas, das ihren fürchterlichen Zustand erklärte. Auf den ersten Blick war sie zwar perfekt herausgeputzt in ihren weißen Reithosen, den glänzenden schwarzen Stiefeln, dem makellosen Turniersakko über einer blütenweißen Bluse und den blonden Haaren, die zu einem perfekten Knoten am Hinterkopf geflochten waren. Aber ich kannte Vanessa schon ewig, wir waren zusammen auf diesem Gestüt aufgewachsen, und allein das Zittern in ihrer Stimme ließ bei mir alle Alarmglocken schrillen.

»Ist was mit Everdream?« Ich hatte noch das Gespräch zwischen Dad und Lady Kerry im Ohr, über die Stute, die schlecht mit anderen Pferden zurechtkam. Auch im Umgang mit Menschen war sie nicht unbedingt einfach. Vanessa sollte sie heute vorstellen, und mein erster Gedanke war, dass sie einen Unfall mit dem Pferd gehabt hatte.

»Ich kann das nicht.« Vanessa taumelte auf mich zu und ließ sich dann vor mir entlang der Boxenwand zu Boden sinken. Sie lehnte ihren Kopf zurück gegen das Holz und schluckte schwer.

»Was kannst du nicht? Vanessa, jetzt sag schon, was ist passiert?« Ich ging vor ihr in die Hocke und legte ihr die Hand auf das angewinkelte Knie. »Bist du verletzt?«

Sie schüttelte den Kopf, schloss die Augen und versuchte, betont langsam ein- und auszuatmen. »Mir ist so schlecht«, flüsterte sie dann. »Ich habe mich schon zweimal übergeben.«

Übergeben? Das machte mir noch mehr Angst. Vanessa hatte schließlich eine Vergangenheit. Nein, sagte ich mir, das lag hinter ihr, sie war gesund.

»Hast du dir was eingefangen?«, fragte ich daher und versuchte, mir meine Anspannung nicht anmerken zu lassen.

»Nein, es ist nichts. Ich bin nur so … nervös.« Sie hob die Lider, und in ihren veilchenblauen Augen funkelten Tränen. »Ich hätte mich nie anmelden dürfen, Bonnie. Vor all diesen Leuten! Hast du gesehen, was da draußen los ist?«

Erleichtert lächelte ich. »Es ist doch jedes Jahr dasselbe, du kennst das.«

»Ja, aber ich bin noch nie mitgeritten, ich musste noch nie … unseren Namen repräsentieren. Was habe ich mir nur dabei gedacht?« Sie erstarrte kurz, dann hob sie die Hand an den Mund, schüttelte aber den Kopf. »Fehlalarm«, seufzte sie und ließ die Stirn stöhnend auf die Knie sinken.

Sie tat mir aufrichtig leid, und ich versuchte, sie zu beruhigen, indem ich ihr sanft den Rücken streichelte. Tatsächlich war ich plötzlich froh, dass ich mich diesem Stress heute nicht aussetzen musste. Ja, es war mein großer Traum, Pferde auf diesem prestigeträchtigen Turnier vorstellen zu dürfen, Pferde, die ich als fest ­angestellte Trainerin selbst ausgebildet hatte. Aber wenn der Tag dann kam, würde es mir bestimmt nicht anders gehen als Vanessa gerade. Der Earl war lange selbst geritten und hatte auch immer persönlich das beste Pferd seines Stalls vorgestellt. Aber er hatte seit Monaten Rückenprobleme. Es gab auch ohne ihn genügend Reiter für Red Oak, aber Vanessa hatte sich angeboten, selbst mitzureiten. Die Huntingtons veranstalteten das Turnier, und es machte einen guten Eindruck, wenn ein Mitglied der Familie aktiv daran teilnahm. Besonders wenn tatsächlich Vertreter der königlichen Familie hier auftauchen sollten, wie im Radio angekündigt. Das wäre nicht das erste Mal, es gab begeisterte Reiter unter ihnen, die es sogar bis zu Olympia geschafft hatten, aber dieser Fakt half Vanessa bestimmt nicht, sich zu beruhigen.

»Du bist eine ausgezeichnete Reiterin, Vanessa, das weißt du. Und im Training bist du hervorragend mit Everdream zurechtgekommen. Ihr seid ein tolles Team.«

»Im Training hing nie so viel davon ab. Was wird Tante Eleanor sagen, wenn ich den Parcours in den Sand setze? Wenn niemand Everdream kaufen will?«

»Was für ein Quatsch. Du wirst den Parcours nicht in den Sand setzen, und selbst wenn – Lady Kerry will, dass es dir gut geht, das ist das Wichtigste. Mach dir keinen Druck, du weißt, wie sensibel Pferde sind, ganz besonders Everdream. Tu einfach so, als wäre es ein Training.«

»Es sind ja nicht nur die Käufer! Auch die Gäste! Die Presse! Morgen wird in jeder Zeitung stehen, wie ich grandios aus dem Sattel geflogen bin. Vanessa of Huntington frisst Dreck.«

»Mit dieser Einstellung ganz bestimmt. Also beruhige dich, und steh auf.« Ich packte Vanessas Schultern und zog sie hoch. Mühsam rappelte sie sich auf.

Immer wenn sie so direkt vor mir stand, konnte ich nachvollziehen, warum Fremde uns ständig für Schwestern hielten. Wir sahen zwar nicht unbedingt wie Zwillinge aus, aber wir waren uns doch sehr ähnlich. Wir hatten beide lange blonde Haare, waren bis auf ein paar Monate gleich alt, waren beide sportlich, da wir so gut wie jeden Tag im Sattel saßen, und fast gleich groß. Wir unterschieden uns nur in den Details unserer Gesichter. Vanessas war länglicher, meines eher herzförmig, und ich hatte ein paar Sommersprossen um die Nase, während Vanessa makellose Porzellanhaut vorzuweisen hatte. Zudem hatte Vanessa blaue Augen und ich grüne. Aber auch abgesehen von den Äußerlichkeiten bestand zwischen uns eine Vertrautheit wie unter Schwestern. Wir waren zusammen auf Red Oak groß geworden, so wie unsere beiden Väter früher – Dad der Sohn des Stallmeisters und George Huntington der Sohn des Earls. Sie war mein Zwilling, zumindest im Herzen.

»Ich muss Meteor und noch ein paar andere Pferde fertig machen, willst du mir nicht dabei helfen? Das lenkt dich ab.«

Vanessa warf einen Blick an mir vorbei zu den Putznischen, wo Meteor geduldig wartete, vermutlich war er längst eingedöst, und schüttelte dann den Kopf. »Ich schaue lieber schon mal nach, ob der Parcours steht. Dann kann ich ihn mir einprägen.«

»Okay.« Ich war nicht überrascht. Vanessa kam meistens in den Stall und stieg auf das vom Personal fertig vorbereitete Pferd. Es war selten, dass sie selbst striegelte, sattelte und zäumte oder ein Pferd danach versorgte. Für mich war gerade das das Schöne am Pferdesport, aber auf Red Oak war es üblich, dass die Reiter sich aufs Reiten konzentrierten und die Pfleger auf die Pflege. Da wurde nichts vermischt. Aber jetzt war nur wichtig, dass Vanessa sich beruhigte, auf welche Weise auch immer.

Vanessa umarmte mich kurz und verließ dann langsam und etwas zittrig den Stall, während ich zurück zu Meteor in die Putznische ging. »Dann bleiben nur noch wir beide, mein Schöner.« Ich zupfte Strohhalme aus seinem eingeflochtenen Schweif und löste dann die Zöpfe, sodass die schwarzen Haare wunderschön wellig und glänzend herabfielen.

Der Gedanke an das Turnier machte mich ganz hibbelig. Ich konnte es kaum erwarten, die Reaktionen im Publikum auf Meteor zu sehen. Aber da war auch Wehmut. Denn Ende des Sommers fand die große Auktion statt, auf der die heute vorgestellten Pferde an den Meistbietenden verkauft wurden. Dann hieß es für mich Abschied nehmen. Aber noch wollte ich nicht daran denken. Wir hatten noch viele Wochen miteinander, und wenn ich nach dem Turnier meinen Arbeitsvertrag unterschrieb, durfte ich vielleicht in der übrigen Zeit noch intensiver mit ihm arbeiten.

Meteor fertig zu machen lenkte mich wie immer von allem anderen ab. Nach der Fell- und Hufpflege begann ich, ihn zu satteln. Dann verschnallte ich noch das Vorderzeug mit dem Martingal, das verhinderte, dass Meteor im Falle eines Sturzes des Reiters in die Zügel treten konnte, und führte ihn auch schon aus dem Stall.

Die Sonne brannte schon jetzt auf uns herunter, dabei war es erst Vormittag, aber sie hatte bereits erstaunliche Kraft, und nach dem diffusen Licht drinnen fühlte ich mich geblendet.

Meteor sah sich mit hoch erhobenem Kopf um. Jetzt merkte also auch er, dass heute etwas anders war. Von allen Richtungen ertönte das Wiehern fremder Pferde, Hufeisen klackerten auf dem Pflaster, und vom Vorstellungsplatz drüben klang dumpf eine männliche Stimme aus einem Lautsprecher herüber, die den Turnierstart in einer halben Stunde ankündigte. Der Duft von Heu und Pferden lag in der Luft, für mich gab es nichts Besseres, und ich streichelte Meteor beruhigend über den Kopf.

»Na, dann wollen wir mal.« Ich führte den Wallach am langen Zügel über den Innenhof zwischen den Ställen und schließlich weiter durch die Allee aus Kirschbäumen zum Abreiteplatz. Ein paar Reiter waren bereits da und wärmten ihre Pferde auf. In der Mitte des Sandplatzes waren zwei kleine Sprünge aufgebaut. Niemand hier kam mir bekannt vor, Meteor war der Erste, der für Red Oak starten würde.

»Wie ist er drauf?«

Trevor Tallwell kam von den Tribünen in seinem schicken Turnieroutfit auf uns zu und nahm mir die Zügel aus der Hand. Vermutlich war er gerade den Parcours abgegangen, um sich die Hindernisse und Wege einzuprägen.

»Gut«, erwiderte ich mit dem typischen Stich in der Brust, dass ein anderer meinen Liebling der Welt zeigen durfte. »Er ist total entspannt.«

»Gut, dann wollen wir ihn mal aufwecken.« Trevor zog die Steigbügel runter, kontrollierte ihre Länge und reichte mir dann seine kurze Springgerte. Er führte Meteor auf den Sandplatz zur Aufstiegshilfe, trat auf die dreistufige Treppe und schwang sich von dort in den Sattel. Ich reichte ihm die Gerte hoch und konnte es mir nicht nehmen lassen, Meteor noch einen kleinen Kuss auf die Nüstern zu geben.

»Ich weiß, du wirst großartig sein«, flüsterte ich, streichelte ihm noch einmal über den Hals, dann trat ich zurück.

»Viel Erfolg«, wünschte ich Trevor noch, der mir selbstbewusst zuzwinkerte und dann losritt.

Mit flauem Gefühl sah ich den beiden hinterher und strich den Mondanhänger meiner Mutter mit den Fingern nach. Ich wusste, wie toll Meteor war, und auch, dass Trevor zu den besten Reitern gehörte. Trotzdem war es komisch, ihn nach all der Arbeit und des Hinfieberns auf diesen Turnierplatz zu schicken. Meteor war am Höhepunkt seiner Ausbildung auf Red Oak angekommen, und bald ging es für ihn zu einem anderen Besitzer.

Am liebsten wollte ich beim Aufwärmen zusehen, aber ich hatte noch ein Pferd fertig zu machen, also musste ich zurück zum Stall.

Auf dem Weg fiel mein Blick zwischen den Kirschbäumen hindurch zu den Zeltboxen, bei denen jetzt schon einiges los war. Vorhin war Joker noch einer der Ersten gewesen, aber jetzt waren überall Pferde. Sie wurden ausgeladen, herumgeführt, gesattelt … Für den Jungpferdewettbewerb waren fast hundert Pferde in der Altersklasse der Vier- bis Fünfjährigen angemeldet, und heute Nachmittag gab es dann auch noch ein Springen zur Vorstellung erfahrenerer Verkaufspferde.

Auf der Wiesenfläche direkt neben der letzten Zeltbox graste ein großer Brauner an der Hand eines Reiters in Turnierklamotten. Es waren Joker und Henry.

Überrascht blieb ich stehen. Ich wusste nicht, was genau an dem Bild mir so seltsam vorkam. Vielleicht weil ich immer noch Trevor mit Meteor vor meinem geistigen Auge hatte – einen Reiter, der aufs Pferd stieg, seine Runden ritt und dann wieder verschwand. Trevor war niemand, der mit seinem Pferd spazieren und grasen ging.

Nach Henrys Auftritt vorhin hatte ich ihn ähnlich eingeschätzt. Aber jetzt stand er da drüben und streichelte Jokers Hals, den Strick hielt er locker in einer Hand, der Wallach war auch sehr viel ruhiger als vorhin. Offensichtlich hatten die beiden noch Zeit, bis sie dran waren, ansonsten wäre Joker schon gesattelt. Aber dass Henry ihn nicht einfach allein in seine Box stellte, sondern ihm Gelegenheit gab, die Umgebung kennenzulernen, sich die Beine zu vertreten und sich zu entspannen, hatte ich nicht erwartet. Früher vielleicht. Da war Henry zwar auch nicht sonderlich gesprächig gewesen. Aber er hatte eine ruhige Art gehabt, etwas Sanftes, das sich auf Pferde übertrug, wenn er durch unsere Stallungen spazierte. Hatte ich ihn heute Morgen nur in einem schlechten Moment erwischt? Hatte er vielleicht wirklich Angst gehabt, dass Joker mich verletzen könnte? Nicht jeder Adelige war automatisch ein Snob – so viel hatte ich auf dem Gestüt gelernt, aber ich wusste ebenso, dass man als Nicht-Adelige auch immer auf der Hut sein musste.

»Du hast ihn also auch schon entdeckt.« Theresa war plötzlich neben mir aufgetaucht. Sie verschränkte die Arme abschätzig vor der Brust und musterte Henry mit schräg gehaltenem Kopf. »Unser Skandal-Herzog ist wieder im Lande.«

»Skandal-Herzog?«, fragte ich lachend und drehte mich zu ihr. »Wieso das denn?«

»Liest du denn gar keine Klatschnachrichten auf deinem Handy?«

»Eigentlich nicht.« Alles, was mir wichtig erschien, erfuhr ich über das Internet. Viel lieber aber war ich im Stall oder draußen bei den Pferden. »Ich weiß nur, dass sein Vater vor zwei Jahren gestorben ist. War er danach nicht unterwegs?«

»Ja, er war die letzten beiden Jahre in Europa, und zwar ständig auf irgendwelchen Partys.« Theresa zog ihr Handy aus der Jackentasche und scrollte mit ihren manikürten Fingern darauf herum. »Hast du die Fotos nicht gesehen? Die aus Prag? Oder die aus Monaco? Es gibt doch dauernd etwas zu lesen über ihn.« Sie streckte mir das Handy entgegen. Auf dem Display prangte ein Foto von Henry, an jedem Arm eine wunderschöne Frau in knappem Outfit. Die beiden schienen Henry aufrecht zu halten, eine streckte ihre beringte Hand Richtung Kamera aus, als wollte sie ihn vor dem Fotografen abschirmen. Henry trug einen Anzug, aber das Jackett stand offen, und das weiße Hemd war zur Hälfte aus dem Hosenbund gezogen, die schwarzen Haare in alle Richtungen zerzaust. Es fiel mir schwer, diesen Henry auf dem Foto mit dem adretten, unnahbaren Adligen dort drüben zusammenzubringen.

»Da habe ich offensichtlich was verpasst.«

Theresa zuckte mit den Schultern und packte ihr Handy wieder ein. Dann grinste sie mich verschwörerisch an. »Also ich bin jedenfalls froh, dass er zurück ist. Vielleicht taucht er ja jetzt öfter hier auf. Er ist hot, oder?«

Da musste ich ihr zustimmen. Früher als Teenager hatte er immer ein wenig schlaksig gewirkt, als wäre er zu schnell gewachsen. Aber jetzt war er erwachsener, männlicher und dadurch um einiges attraktiver. Er war immer noch groß und schlank, dafür aber nicht mehr so unbeholfen. Aus irgendeinem Grund konnte ich den Blick nicht von ihm abwenden. Eigentlich mochte ich von sich selbst eingenommene Typen nicht besonders, trotzdem spürte ich so ein Kribbeln am ganzen Körper. Ich mochte es, wie selbstbewusst er wirkte und dass er gleichzeitig so liebevoll mit ­Joker umging.

»Er gefällt dir.«

Theresas Stimme riss mich zurück in die Wirklichkeit, und ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden.

»So ein Quatsch«, erwiderte ich so gelassen wie möglich, verabschiedete mich von ihr und machte mich endlich auf den Weg zum Stall.

Als ich Everdream schließlich zu Vanessa hinausbrachte, sah sie schon deutlich besser aus. Der Schweiß stand ihr zwar noch auf der Stirn, aber sie war nicht mehr so blass. Charlie stand bei ihr und versuchte, sie zu beruhigen. Ich konnte mich also guten Gewissens auf den Weg zum Turnierplatz machen, während Vanessa Everdream in Charlies Begleitung zum Abreiteplatz brachte.

»Und so ist es mir eine große Ehre, diesen Tag mit Ihnen begehen zu dürfen«, erklang Lord Huntingtons Stimme aus einem Lautsprecher direkt neben mir.

Ich ging schnell weiter, am Fuß der Tribüne entlang, die in einer U-Form um den weitläufigen Sandplatz mit den Hindernissen führte. Hunderte Zuschauer tummelten sich dort, was meine Aufregung für Vanessa, aber auch für Meteor noch verstärkte. Hoffentlich würde heute alles gut gehen.

Lord Huntington stand am Rande des Platzes auf einem Podest, gleich neben dem Richterhäuschen, ein Mikrofon in der Hand. Mit seinem olivgrünen Tweed-Anzug und der dazu passenden Schiebermütze sah er für mich nicht viel anders aus sonst. Aber heute auf dem Podest wirkte er dabei so unglaublich stolz und zufrieden. An seiner Seite entdeckte ich Mr Barrington, einen berühmten Sportkommentator, der die Moderation für das Turnier übernahm.

»Das ganze Jahr trainieren wir und fiebern diesem Tag entgegen. Wir feiern heute ein Zusammenkommen im gemeinsamen Sportgeist und die Liebe zu diesen majestätischen Geschöpfen.« Lord Huntington hielt weiter seine Eröffnungsrede, während ich mich auf der Tribüne nach Dad umsah. Hoffentlich hatte er es hierhergeschafft, um auch einen Moment zum Durchatmen zu finden. Tatsächlich entdeckte ich ihn ein paar Reihen weiter oben, an seiner Seite ließ sich gerade Lady Kerry nieder.

Oje, ging es schon wieder um Everdream? Schnell lief ich die paar Stufen zu den beiden hoch, schob mich an einigen Zuschauern vorbei und setzte mich neben ihn.

»Gerade noch rechtzeitig«, sagte ich schnell, bevor die beiden wieder Gelegenheit hatten, miteinander zu streiten. »Oder hab ich schon was verpasst?«

»Nein, nein, mein werter Bruder fängt gerade erst an.« Lady Kerry strahlte mich an Dad vorbei an. Selbst hier im Schatten unter dem Tribünendach schienen ihre blauen Augen regelrecht zu funkeln. Ihre langen blonden Haare, die offen unter dem Hut hervor auf ihre Schultern fielen, verliehen ihr etwas Jugendliches. Sie war eine Erscheinung, und wie so oft bei ihrem Anblick kam ich mir in meinen staubigen Klamotten ein wenig schäbig vor. Ich vernahm den süß-blumigen Duft ihres Parfüms und wusste, dass Dad und ich eher nach Pferden rochen. Das schien sie aber nicht zu stören, denn sie rückte gleich noch etwas näher heran.

»Hast du Vanessa auf dem Abreiteplatz gesehen?«, wollte sie wissen und knetete ihre Hände im Schoß. »Ich bin schon so gespannt.«

»Everdream wird bestimmt für Unterhaltung sorgen«, knurrte Dad, ohne nach links oder rechts zu sehen, seinen Blick auf die Hindernisse gerichtet, als hätte er gar nicht mit uns geredet. Seine Worte aber waren unmissverständlich, und ich musste mich zusammenreißen, ihm den Ellbogen nicht in die Seite zu rammen. Musste er Lady Kerry jetzt unbedingt noch provozieren?

Wie aufs Stichwort kniff sie auch schon die Augen zusammen, holte Luft zu einer Erwiderung, aber ich kam ihr zuvor.

»Everdream wird das bestimmt toll machen. Vanessa kann mit ihr umgehen, die beiden sind ein Spitzenteam.«

Lady Kerry zögerte kurz, dann lächelte sie und tätschelte an Dad vorbei mein Knie. »Ja, Bonnie, das sind sie.« Sie zwinkerte mir zu, und ich atmete erleichtert auf. Aus Erfahrung wusste ich, dass zwischen den beiden wirklich wegen jeder Kleinigkeit die Fetzen fliegen konnten. Erst letzte Woche hatte Lady Kerry im Streit einen Besen nach meinem Dad geworfen.

Fürs Erste schien die Krise aber abgewendet, und so widmete ich mich wieder dem Geschehen auf dem Turnierplatz. Der erste Reiter ritt gerade auf einem Schimmel mit weichen, federnden Gängen ein.

Wenn ich nur auch dabei sein könnte … Einerseits war ich ja froh darüber, sicher auf der Tribüne zu sitzen, andererseits beneidete ich die Reiter aber ein wenig. Nächstes Jahr … Meine Gedanken schweiften erneut ab, und ich stellte mir vor, wie ich mit einem von mir selbst ausgebildeten Pferd über den Parcours schwebte.

Der Geruch nach knusprig heißen Pommes stieg mir in die Nase und holte mich wieder ins Hier und Jetzt zurück. Am Fuße der Tribüne kam gerade ein Verkäufer mit seinem kleinen Wagen vorbei.

Dad hatte ihn ebenfalls entdeckt und stand auf, bevor ich etwas sagen konnte. Er kaufte drei Portionen und kam mit ausdrucksloser Miene zu uns zurück, reichte mir eine Tüte und die andere zu meiner großen Verblüffung Lady Kerry, ohne sie dabei aber anzusehen. Dann ließ er sich wieder zwischen uns nieder und konzentrierte sich auf sein Essen.

Lady Kerry drehte die Tüte in ihren Händen, als wüsste sie nicht, was sie damit anstellen sollte. Dann faltete sie sie sorgfältig auseinander und zog mit spitzen Fingern einen dampfenden Kartoffelstift heraus. Sie führte ihn zu ihren dezent geschminkten Lippen, blies kurz darauf und knabberte dann wie eine Maus daran. »Noch nie Pommes gegessen?«, knurrte Dad plötzlich.

Lady Kerry zuckte zusammen und ließ beinahe die Tüte fallen. Auch ich hob überrascht die Brauen. Wie hatte er das mitbekommen? Er sah sie ja nicht einmal an, sondern hatte den Blick stur geradeaus in Richtung des Reiters unten auf dem Platz gerichtet.