The Wedding Dates - Fast gar nicht verliebt - Cara Connelly - E-Book
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The Wedding Dates - Fast gar nicht verliebt E-Book

Cara Connelly

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Beschreibung

Ty traut seinen Augen kaum, als im Flugzeug nach Paris plötzlich die Anwältin Viktoria Westin neben ihm Platz nimmt. Vor einer Stunde stand er ihr noch im Gerichtsaal gegenüber, wo sie die Dreistigkeit besaß, hartnäckig einen Freispruch für ihren Mandanten erwirken zu wollen. Dabei sprachen alle Beweise dafür, dass er Tys Frau vor sieben Jahren in betrunkenem Zustand totgefahren hatte. Ty gewann den Prozess mühelos - und war froh Victorias eisblauen Augen endlich zu entkommen. Dass sie jetzt auf dem Weg zur selben Hochzeit sind, kann nur ein schlechter Scherz sein! Ty weiß weder, wie er den Flug noch die Hochzeit mit dieser schrecklichen Person überstehen soll. Doch in der Stadt der Liebe wirkt die Anwältin plötzlich gar nicht mehr so eiskalt, wie er anfangs dachte ...

»Cara Connellys Debütroman schlägt ein wie eine Bombe!« Library Journal

Cara Connellys Save-the-Date-Reihe - nie haben sich Gegensätze heißer angezogen!

The Wedding Dates - Fast gar nicht verliebt
The Wedding Dates - Küssen eigentlich verboten
The Wedding Dates - Liebe eher ausgeschlossen
The Wedding Dates - Bis auf weiteres verliebt
The Wedding Dates - Beinah gar kein Herzklopfen

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Seitenzahl: 533

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Inhalt

Grußwort des Verlags

Über dieses Buch

Titel

Widmung

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Über dieses Buch

Ty traut seinen Augen kaum, als im Flugzeug nach Paris plötzlich die Anwältin Viktoria Westin neben ihm Platz nimmt. Vor einer Stunde stand er ihr noch im Gerichtsaal gegenüber, wo sie die Dreistigkeit besaß, hartnäckig einen Freispruch für ihren Mandanten erwirken zu wollen. Dabei sprachen alle Beweise dafür, dass er Tys Frau vor sieben Jahren in betrunkenem Zustand totgefahren hatte. Ty gewann den Prozess mühelos – und war froh Victorias eisblauen Augen endlich zu entkommen. Dass sie jetzt auf dem Weg zur selben Hochzeit sind, kann nur ein schlechter Scherz sein! Ty weiß weder, wie er den Flug noch die Hochzeit mit dieser schrecklichen Person überstehen soll. Doch in der Stadt der Liebe wirkt die Anwältin plötzlich gar nicht mehr so eiskalt, wie er anfangs dachte …

CARA CONNELLY

The Wedding Dates

FAST GAR NICHT VERLIEBT

Aus dem amerikanischen Englisch von Katrin Mrugalla und Richard Betzenbichler

Für Billy, meine Liebe, meinen Mittelpunkt

1

»Diese Frau«, Tyrell zeigte mit dem Finger wie mit einer Waffe auf die blonde Frau am anderen Ende des Flurs, »ist ein eiskaltes Miststück.«

Angela legte ihm besänftigend die Hand auf den Arm. »Deswegen ist sie hier, Ty. Genau deshalb hat man sie hergeschickt.«

Er entfernte sich ein paar Schritte von Angela und kehrte zurück, ohne das Objekt seiner Wut dabei auch nur eine Sekunde aus den Augen zu lassen. Die Blonde sprach gerade in ihr Handy. Sie hatte ihnen den Rücken zugewandt, sodass er nur ihre glatte Haarbanane und die einfache Goldkreole in ihrem rechten Ohr sehen konnte.

»Die hat Eiswasser in den Adern«, murmelte er. »Oder Arsen. Oder das, womit man Menschen einbalsamiert, wie auch immer das Zeug heißt.«

»Sie macht nur ihren Job. Und der ist in diesem Fall ganz schön undankbar. Sie kann nicht gewinnen.«

Ty verdrehte die Augen. Er hätte erneut losgelegt, über Rechtsanwälte, die extra von New York nach Texas eingeflogen wurden und glaubten, sie hätten es hier mit unterbelichteten Leuten zu tun, die nie über die achte Klasse hinausgekommen waren – aber genau in diesem Moment trat die Gerichtsdienerin aus dem Richterzimmer.

»Ms Sanchez«, sagte sie zu Angela, »Ms Westin« zu der Blonden. »Das Urteil ist da.«

Die Blonde klappte ihr Telefon zu, ließ es in ihre Handtasche gleiten, packte ihren Aktenkoffer und marschierte – ohne Angela oder Ty oder sonst jemanden eines Blickes zu würdigen – durch die schwere Eichentür in den Gerichtssaal. Ty folgte ihr in gebührendem Abstand und schoss dabei tödliche Blicke auf die Rückseite ihres maßgeschneiderten dunkelblauen Hosenanzugs ab.

Zwanzig Minuten später verließen sie den Saal. Ein Reporter von Houston Tonight hielt Ty ein Mikrofon unter die Nase.

»Die Geschworenen haben Ihnen offensichtlich geglaubt, Mr Brown. Fühlen Sie sich rehabilitiert?«

Ich fühle mich gemeingefährlich, hätte er am liebsten geknurrt. Aber die Kamera lief bereits. »Ich bin einfach nur froh, dass es vorbei ist«, sagte er. »Jason Taylor hat diese Geschichte sieben Jahre lang verschleppt, in der Hoffnung, mich mürbe zu machen. Es ist ihm nicht gelungen.«

Er eilte weiter den breiten Flur entlang, und der Reporter lief neben ihm her.

»Mr Brown, die Geschworenen haben Ihnen jeden einzelnen Cent der Schadenersatzsumme zugebilligt, die Sie eingefordert haben. Was hat das Ihrer Meinung nach zu bedeuten?«

»Es bedeutet, dass die Geschworenen etwas Wichtiges begriffen haben: Auch wenn alles Geld der Welt die Tote nicht wieder lebendig macht, für den Überlebenden kann es eine herbe Strafe bedeuten.«

»Taylor wird nächste Woche entlassen. Wie geht es Ihnen bei dem Gedanken, dass er frei herumlaufen darf?«

Ty blieb abrupt stehen. »Während meine Frau in der Erde verrottet? Was glauben denn Sie, wie es mir da geht?« Der Mann wich vor Tys wütendem Blick zurück und beschloss, Ty nicht nach draußen zu folgen.

Rushhour in Houston, das war ein Blick durch die Tore der Hölle. Aufgeheizter Asphalt. Hupende Autos. Kompletter Verkehrskollaps.

Ty bemerkte nichts davon. Auf dem Bürgersteig holte Angela ihn ein und zupfte ihn am Ärmel. »Ty, mit diesen Absätzen kann ich nicht so schnell gehen.«

»Tut mir leid.« Er verlangsamte seinen Schritt. Auch wenn er noch so sauer war, Höflichkeit war bei ihm als Texaner tief verankert.

Er nahm ihr den prall gefüllten Aktenkoffer aus der Hand und lächelte in einer gelungenen Imitation seiner sonst so lässigen Art. »Angie, Liebes«, sagte er in seinem breiten texanischen Dialekt, »mit diesem Ding könntest du dir glatt die Schulter auskugeln. Und glaub mir, eine ausgekugelte Schulter ist kein Vergnügen.«

»Damit kennst du dich bestimmt aus«, erwiderte sie und richtete den Blick ihrer von dichten schwarzen Wimpern umrahmten Augen auf seine breiten Schultern. Sie rückte noch ein wenig näher an ihn heran, strich ihr lockiges schwarzes Haar nach hinten und verstärkte den Griff an seinem Arm.

Ty spürte genau, wie sie ihre Brust dabei an seinen Arm drückte. Das Signal war eindeutig.

Und es kam nicht überraschend. Während der langen Tage, an denen sie sich gemeinsam auf das Gerichtsverfahren vorbereitet und bei zwanglosen Mahlzeiten in Angelas Büro seine Aussage wieder und wieder durchgesprochen hatten, hatte Angela genügend Andeutungen fallen lassen. In Anbetracht der Umstände hatte er sie nicht ermutigt. Aber sie war eine Schönheit, und um ehrlich zu sein – entmutigt hatte er sie auch nicht gerade.

Und nun, in der Aufregung über das glänzende Urteil, das ihr vermutlich die Partnerschaft in ihrer Kanzlei einbringen würde, strahlte alles an ihr ›Bin zu haben‹ aus. Gerade kamen sie am Alden Hotel vorbei. Ein winziger Schubs in diese Richtung, und sie würde mit ihm zur Tür rasen. Fünf Minuten später würde er bis zu den Eiern in ihr stecken und alle Erinnerungen auslöschen können, die er am Morgen im Zeugenstand wieder durchlebt hatte. Erinnerungen daran, wie Lissa zerschmettert und geschunden dalag und ihn anflehte, sie gehen zu lassen. Sie sterben zu lassen. Ihr zu erlauben, ihn allein zu lassen. Ohne sie weiterzuleben.

Angela verlangsamte ihre Schritte. Er war in Versuchung, ernsthaft in Versuchung.

Aber er durfte es nicht tun. Sechs Monate lang war Angela sein Fels in der Brandung gewesen. Es wäre gemein und beschämend, sie jetzt auszunutzen und noch am selben Abend wieder abzuservieren.

Denn abservieren würde er sie so oder so. Sie hatte zu viel von dem gesehen, was in ihm vorging. Wie schon Legionen von Frauen vor ihr hatte sie den Schmerz in seinem Innern entdeckt und brannte darauf, ihn zu heilen. Aber für ihn gab es keine Heilung. Er wollte gar keine. Er wollte nur vögeln und vergessen. Und dafür war sie nicht die Richtige.

Glücklicherweise hatte er die perfekte Entschuldigung parat.

»Angie, Liebes.« Seine gedehnte Sprechweise verlieh seiner tiefen Stimme immer etwas Wohlklingendes, auch wenn es nicht galt, einen Schlag abzumildern. Jetzt flossen die Silben so weich dahin wie Sirup. »Ich kann dir gar nicht genug für all das danken, was du für mich getan hast. Du bist die beste Rechtsanwältin in Houston, und ich werde eine ganzseitige Anzeige in die Zeitung setzen, damit das auch jeder erfährt.«

Sie schmiegte sich an ihn. »Wir sind ein gutes Team, Ty.« Sie schenkte ihm einen heißblütigen Blick und deutete mit dem Kopf auf das Marriott. »Lass uns reingehen. Du kannst … mir einen Drink spendieren.«

Sein Tonfall drückte tiefes Bedauern aus, und nur ein Teil davon war gespielt. »Das täte ich nur zu gern, Schatz. Aber ich muss zum Flughafen.«

Sie blieb wie angewurzelt stehen. »Zum Flughafen? Wo willst du denn hin?«

»Nach Paris. Ich muss zu einer Hochzeit.«

»Aber bis Paris ist es doch nur ein Katzensprung! Kannst du nicht morgen fliegen?«

»Frankreich, Liebes. Paris in Frankreich.« Er warf einen Blick auf die Uhr an der Straßenecke, dann sah er Angela in die Augen. »Mein Flugzeug geht um acht, ich muss mich beeilen. Komm, ich suche dir ein Taxi.«

Sie ließ seinen Arm los und strich erneut ihr Haar nach hinten, trotzig diesmal. »Mach dir keine Umstände. Mein Wagen steht beim Gericht.« Sie nahm ihm die Aktentasche ab und sah auf ihre Armbanduhr. »Ich muss auch los, ich bin verabredet.« Sie wandte sich zum Gehen.

Doch gleich darauf ließ der Trotz sie im Stich. Sie blickte über die Schulter zurück und lächelte unsicher. »Vielleicht könnten wir feiern, wenn du wieder da bist?«

Ty lächelte ebenfalls, weil es so einfacher war. »Ich rufe dich an.«

Er fühlte sich schuldig, weil er damit einen falschen Eindruck erweckte, aber meine Güte, er wollte nur noch weg von ihr, weg von allen Menschen, und in Ruhe seine Wunden lecken. Außerdem musste er wirklich zum Flughafen.

Da die Fahrt im Taxi jetzt in der Hauptverkehrszeit vermutlich lange gedauert hätte, ging er die sechs Häuserblocks bis zu seinem Wohnhaus zu Fuß. Dabei geriet er ins Schwitzen, wie man nur unter einem Anzug schwitzte. Er ignorierte den Fahrstuhl und eilte die Treppe hinauf in den fünften Stock – warum auch nicht, durchgeschwitzt war er sowieso schon –, schloss seine Wohnung auf und schaltete aufatmend die Klimaanlage ein.

Die Wohnung war nicht etwa sein Zuhause – das war seine Ranch –, sondern nur eine gemietete Unterkunft für die Zeit bis zum Prozess. Sparsam möbliert und in einem tristen Weiß gestrichen, hatte sie gut zu seiner düsteren Stimmung gepasst.

Und sie besaß eine Vorrichtung, die er jetzt mit Begeisterung benutzte. Er ging schnurstracks in die Küche, zog auch die Teile des Anzugs aus, die er nicht unterwegs schon abgelegt hatte – Hemd, Hose, Socken – und knüllte sie mit Jacke und Krawatte zu einem Bündel zusammen. Dann stopfte er alles in den Müllzerkleinerer und stellte ihn an. Zum ersten Mal an diesem Tag verspürte er eine gewisse Befriedigung.

Die Uhr auf dem Kamin zeigte ihm, dass er bereits spät dran war, aber er konnte unmöglich vierzehn Stunden im Flugzeug sitzen, ohne vorher zu duschen. Und natürlich hatte er noch nicht gepackt.

Er mochte es gar nicht, sich zu hetzen, aber ein bisschen schneller als sonst bewegte er sich doch. Trotzdem, bis er bei dem starken Verkehr seinen Wagen geparkt und sämtliche Hürden auf dem Weg zum Terminal hinter sich gebracht hatte, war das Boarding beendet, und die Gangway sollte gerade abgekoppelt werden.

Obwohl er nicht in der Stimmung dazu war, zwang er sich, seinen Charme spielen zu lassen, und beschwatzte die hübsche junge Frau am Gate, ihn durchzulassen. Schon auf dem Weg durch die Gangway versank er jedoch wieder in düsteren Gedanken. Nun, wenigstens würde er nicht bis nach Paris in der Touristenklasse hocken müssen, zusammengekrümmt und mit den Knien unter der Nase. Er hatte sich ein Erster-Klasse-Ticket gegönnt und hatte vor, das auch zu genießen. Mit einem doppelten Jack Daniel’s als Auftakt.

Von der Tür des Flugzeugs blickte ihm eine silberhaarige Frau gereizt entgegen. »Tyrell Brown, kannst du dich nicht ein bisschen schneller bewegen? Hier wartet ein Flugzeug voller Leute auf dich.«

Trotz seiner trüben Stimmung musste er grinsen. »Loretta, Schatz, du arbeitest in diesem Flieger? Bin ich ein Glückspilz!«

Sie verdrehte die Augen. »Erspar mir das Gesülze, sieh lieber zu, dass du an Bord kommst.« Als er ihr seine Bordkarte hinhielt, winkte sie ab. »Brauche ich nicht. Im ganzen Flieger ist nur noch ein Platz frei. Wieso der ausgerechnet in meinem Bereich sein muss, werde ich nächsten Sonntag den Herrgott fragen.«

Ty küsste sie auf die Wange, wofür sie sich mit einem Klaps auf seinen Arm revanchierte. »Gib mir ja keinen Anlass, deine Mama anzurufen.« Sie schubste ihn den Gang entlang. »Als ich letzte Woche mit ihr gesprochen habe, hat sie mir erzählt, dass du dich schon seit einem Monat nicht mehr gemeldet hast. Was bist du bloß für ein undankbarer Junge! Dabei hat sie dir die besten Jahre ihres Lebens geopfert.«

Loretta war die beste Freundin seiner Mutter und gehörte quasi zur Familie. Sie hatte ihn schon seit seiner frühesten Kindheit genervt, außerdem war sie eine der wenigen Frauen, die gegen seinen Charme immun waren. Sie deutete auf den einzigen noch freien Platz. »Setz dich hin und schnall dich an, damit wir endlich los können.«

Ty hatte den Fensterplatz reserviert, doch der war bereits besetzt. Vielleicht hätte er protestiert, wenn auf dem Platz nicht eine Frau gesessen hätte. So schluckte er mit texanischer Höflichkeit seinen Ärger hinunter und behielt die Frau unauffällig im Auge, während er seine Tasche im Gepäckfach verstaute.

Sie hatte sich nach vorn gebeugt und kramte in der Reisetasche herum, die zwischen ihren Füßen stand. Noch war sie nicht auf ihn aufmerksam geworden, er konnte sie also in Ruhe betrachten.

Sie trug bequeme Reisekleidung – schwarzes Tanktop und Yogahose – und war schlank, knapp einen Meter siebzig groß und schätzungsweise nicht ganz sechzig Kilo schwer. Arme und Schultern waren gebräunt und kräftig wie die einer Athletin. Ihr langes, glattes blondes Haar fiel wie ein Vorhang herab und verdeckte ihr Gesicht, aber Ty machte sich große Hoffnungen, dass es zu dem übrigen Anblick passen würde.

Endlich ein Lichtblick, dachte er. Vielleicht wird dies doch nicht der schlimmste Tag meines Lebens.

Dann hob die Frau den Kopf und sah ihn an. Das eiskalte Miststück.

Für ihn war es wie ein Faustschlag ins Gesicht. Er fuhr herum und stieß mit Loretta zusammen.

»Meine Güte, Ty, was ist denn heute los mit dir?«

»Ich muss anderswo sitzen.«

»Wieso?«

»Ist doch egal. Ich muss es eben.« Er ließ den Blick durch die Erste-Klasse-Kabine wandern. »Jemand muss mit mir tauschen.«

Sie stemmte die Fäuste in die Hüften und sagte leise, aber mit Nachdruck: »Nein, du wirst mit niemandem tauschen. Das sind alles Paare, außerdem haben sie es sich bereits bequem gemacht und freuen sich auf ihr Essen und eine ruhige Nacht. Deshalb haben sie nämlich teures Geld für die Erste Klasse bezahlt. Ich werde niemanden bitten, sich woanders hinzusetzen. Du bleibst, wo du bist.«

Natürlich musste ihm das mit Loretta passieren, dem einzigen Menschen auf der Welt, der sich von ihm keinen Honig ums Maul schmieren ließ. »Dann lass mich mit jemandem in der Touristenklasse tauschen.«

Jetzt verschränkte Loretta die Arme vor der Brust. »Das ist nicht dein Ernst.«

»Oh doch.«

»Oh nein, ist es nicht, und ich sage dir auch, warum. Weil es eine völlig abwegige Bitte ist. Und wenn ein Passagier um etwas völlig Abwegiges bittet, bin ich verpflichtet, es dem Kapitän mitzuteilen. Der Kapitän ist verpflichtet, es dem Tower zu melden. Der Tower benachrichtigt die Polizei, und ehe du dich’s versiehst, stehst du vornübergebeugt da, hast einen Finger im Hintern und wirst nach Sprengstoff abgetastet.« Sie legte den Kopf auf die Seite. »Willst du das wirklich?«

Nein, das wollte er nicht. »Verdammt.« Er warf einen Blick über die Schulter auf das eiskalte Miststück. Sie hatte sich in ein Buch vertieft und ignorierte ihn.

Vierzehn Stunden waren eine lange Zeit, wenn man neben jemandem saß, den man am liebsten erwürgt hätte. Aber entweder das, oder er musste wieder aussteigen, und er durfte die Hochzeit nicht verpassen.

Er warf Loretta einen letzten erbitterten Blick zu. »Ich möchte jede Viertelstunde einen Jack Daniel’s. Bis ich umkippe. Sieh zu, dass ich die kriege!«

2

Das darf nicht wahr sein. Victoria Westin schloss die Augen, zählte bis zehn, öffnete sie wieder … Er war immer noch da. Und sie hatte geglaubt, schlimmer könne es heute nicht mehr kommen. Doch jetzt saß Tyrell Brown neben ihr und kämpfte leise fluchend mit seinem Sicherheitsgurt.

Aus der Nähe wirkte er deutlich größer als im Gerichtssaal. Vielleicht lag es an den Jeans und den Cowboystiefeln, oder an dem T-Shirt der University of Texas, das sich über seiner Brust spannte und seine Arme frei ließ. Bisher hatte sie ihn nur im Anzug gesehen. Auch da hatte er mit seinen fast ein Meter neunzig stattlich und beeindruckend gewirkt, aber jetzt sah er aus, als könnte er sie durchbrechen, ohne dabei ins Schwitzen zu geraten.

Und wenn sie seine Körpersprache richtig deutete, hätte er genau das gern getan.

Nicht, dass sie es ihm übel nahm. Übel nahm sie es ihrer Mutter, Adrianna Marchand von Marchand, Riley, and White, der führenden New Yorker Kanzlei für Zivilrechtsklagen. Ihre Mutter war dort Seniorpartnerin und hatte ihr, einer einfachen angestellten Rechtsanwältin, diesen völlig aussichtslosen Fall aufs Auge gedrückt. Und ihr dann auch noch verboten, einen Vergleich zu schließen.

»Der Kläger hat nichts vorzuweisen außer seiner eigenen Behauptung, dass die Verstorbene vor ihrem Tod noch einmal das Bewusstsein wiedererlangt hat«, hatte Adrianna Marchand in ihrer pedantischen Art erklärt. »Du wirst doch wohl sechs Geschworenen von zweifelhafter Intelligenz klarmachen können, dass er gute Gründe hat zu lügen. Neun Millionen sind eine Menge Geld für so einen Kleinstadt-Rancher. Bring ihn aus der Fassung. Stell ihm eine Falle. Und wenn dir sonst nichts einfällt, lächelst du ihn eben an.« Sie grinste ihrer Tochter zu. »Dein Lächeln macht jeden Idioten von Schwanzträger nervös. Das sollte es auch, nachdem ich fünftausend Dollar in deine Zähne investiert habe.«

Aber Adrianna hatte sich in allen Punkten geirrt. Die Geschworenen waren zwei Ärzte, eine Collegeprofessorin, eine Zeitungsjournalistin, ein pensionierter Richter und eine Studentin im höheren Semester gewesen. Die ›Verstorbene‹, wie Adrianna Lissa Brown beschönigend genannt hatte, war eine allseits beliebte, intelligente junge Frau gewesen, großherzige Beschützerin misshandelter Tiere.

Und der Kläger, der jetzt neben ihr saß, hatte eine Ranch von fünfzigtausend Morgen, einen Doktor in Philosophie und die traurigsten Augen, die sie je gesehen hatte. Die Geschworenen hatten ihm voll Mitgefühl an den Lippen gehangen. Wenn Jason Taylor nächste Woche nach fünfjähriger Haft wegen fahrlässiger Tötung im Straßenverkehr entlassen wurde, würde er so ziemlich seinen gesamten Besitz verkaufen müssen, um die Schadenersatzsumme zahlen zu können, die das Gericht festgesetzt hatte.

Ihre Mutter würde sie umbringen.

Wenn Tyrell Brown das nicht schon vorher erledigte.

Irgendwie hatten sie während all dieser Grübeleien ihre Flughöhe erreicht. Jetzt fragte die Stewardess, offensichtlich eine gute Bekannte von Tyrell, was Victoria trinken wolle.

»Mineralwasser mit einer Scheibe Zitrone«, brachte sie heraus.

Ty gab einen Laut des Abscheus von sich und sagte dann gereizt zu Loretta: »Ich warte noch immer auf meinen Jack Daniel’s.«

»Und du wirst auch noch ein bisschen länger warten müssen«, fuhr sie ihm über den Mund. Doch der Klaps auf die Schulter, den sie ihm im Vorbeigehen gab, strafte die abweisende Antwort Lügen. Vicky schauderte. Loretta würde ihm womöglich sogar helfen, ihre Leiche zu entsorgen. Gut zusammengefaltet passte sie vermutlich in einen Müllsack.

Als Loretta mit den Getränken zurückkehrte, händigte sie Ty wortlos seinen Whiskey aus. Dann reichte sie Victoria ihr Mineralwasser und fragte lächelnd: »Was hat Sie denn nach Texas geführt, meine Liebe?«

Victorias Hand zitterte. Um es zu überspielen, trank sie rasch einen Schluck Wasser. »Arbeit«, erwiderte sie kurz angebunden, in der Hoffnung, Loretta würde sich dadurch entmutigen lassen. Sie verstand diese Texaner nicht: Sie redeten mit jedem und mussten überall ihre Nase hineinstecken.

»Und was arbeiten Sie?« So leicht ließ sich Loretta nicht abschrecken.

Ty kippte seinen Drink hinunter und wedelte mit dem leeren Glas vor Lorettas Gesicht herum. »Stewardess, wie wäre es, wenn Sie das wieder auffüllen? Sie werden schließlich nicht fürs Quatschen bezahlt.«

Loretta warf ihm einen vernichtenden Blick zu. Ein paar Sekunden lang starrten die beiden sich nur an, dann nahm sie ihm widerwillig das Glas ab. »Bin gleich wieder da, meine Liebe«, sagte sie zu Victoria, ohne den Blick von Ty abzuwenden. Sie drehte sich langsam um und ging.

Einen ganz kurzen Moment lang waren Victoria und Ty gleichermaßen erleichtert.

Victoria schlug ihr Buch auf und tat so, als würde sie sich hineinvertiefen. Ty blätterte genauso konzentriert im Katalog der Fluglinie.

Natürlich schaffte sie es nicht zu lesen. Wie auch, wenn eine solche Abneigung von Ty zu ihr herüberschwappte? Im Zeugenstand hatte er seinen schlimmsten Albtraum noch einmal durchleben müssen, und jeder im Gerichtssaal – einschließlich ihr – hatte sehen können, dass er nie über den Tod seiner Frau hinweggekommen war. Den Prozess hatte er zwar gewonnen, aber die alte Wunde war dabei wieder weit aufgerissen worden – und sie hatte das Skalpell geführt.

Sie beobachtete ihn nervös aus den Augenwinkeln. Er kippte seinen Whiskey ganz schön schnell hinunter. Und wenn er sich nun betrank und dann ausrastete? Sie wäre garantiert als Erste dran.

Entsetzt musste sie feststellen, dass er den Kopf in ihre Richtung drehte, als hätte er gespürt, dass sie ihn beobachtete. Sie zuckte zusammen.

Hatte sie wirklich geglaubt, er hätte traurige Augen? Schön waren sie, das ja, malzbierbraun mit goldenen Einsprengseln. Aber sie blickten mordlüstern. Rasch schaute sie wieder in ihr Buch. Hoffentlich hatte ihr Blick ihn nicht gereizt.

Natürlich las auch Ty nicht wirklich. Wie hätte er lesen sollen, wenn Victoria Westin neben ihm saß, auf seinem Platz, eiskalt und selbstbeherrscht? Diese Frau hatte kein Herz, kannte weder Leidenschaft noch Mitgefühl. War sie überhaupt lebendig? Vielleicht war sie ein Vampir.

Trotzdem war er nicht gerade stolz darauf, dass sie seinetwegen zusammengezuckt war. Als ob er jemals eine Frau schlagen würde! In den dreißig Jahren seines Lebens war er in mehr Kämpfe verwickelt gewesen, als er zählen konnte – mit den Fäusten, mit dem Messer, ein oder zweimal sogar mit Schusswaffen – und hatte hoffentlich so manchen Gegner das Fürchten gelehrt.

Aber doch nie eine Frau.

Wenn er sie nicht so tief verabscheut hätte, hätte er sich vielleicht sogar entschuldigt. Aber er verabscheute sie nun mal, also würde er es nicht tun. Eigentlich müsste sie sich bei ihm dafür entschuldigen, dass sie glaubte, er könne ihr gegenüber handgreiflich werden. Sicher, er hätte ihr am liebsten den Kopf abgerissen, aber er würde es niemals tun.

Die hatte echt Nerven, ihm das Gefühl zu geben, er wäre gemeingefährlich!

Endlich erschien Loretta mit seinem zweiten Jack Daniel’s, wartete, bis er ihn hinuntergekippt hatte, und marschierte mit dem leeren Glas wieder davon. Wütend starrte er hinter ihr her. Garantiert würde sie ihn auf den nächsten Drink warten lassen.

»Rindfleisch für dich«, Loretta knallte ihm das Tablett auf den Klapptisch, »und das vegetarische Gericht für Sie, Ms Westin.«

Ty grinste Loretta an. »Danke, Loretta, mein Schatz.« Sie ignorierte ihn, aber das war ihm egal. Sie waren seit zwei Stunden in der Luft, und seine gesträubten Federn hatten sich allmählich geglättet. Er hatte das Problem mit dem Hochzeitsgeschenk gelöst – zwei zusammenpassende Massagesessel aus dem Katalog der Airline – und dabei seinen dritten und vierten Jack Daniel’s gekippt. Jetzt, nachdem auch der fünfte fast ausgetrunken war, betrachtete er das Leben im Allgemeinen und diese spezielle Situation im Besonderen schon ein wenig philosophischer.

Beim Anblick von Victorias dampfendem Gemüse fragte er sich träge, wie irgendjemand zugunsten von Brokkoli und Reis freiwillig auf Filet mignon verzichten konnte.

Ohne es zu wollen, äußerte er die Frage laut.

Victoria ließ fast das Besteck fallen. Vorsichtig drehte sie den Kopf in seine Richtung. »Tut … tut mir leid, ich habe Sie nicht verstanden.«

Angesichts ihrer Nervosität kam er sich ziemlich mies vor. Und wenn er jetzt einfach wieder verstummte, nachdem er die Klappe schon aufgemacht hatte, würde das alles noch verschlimmern. Er konnte nur versuchen, zu seiner lockeren Art zurückzufinden.

»Ich habe gesagt: Wozu auf Blättern und Zweigen herumkauen, wenn dieses Filet auf der Zunge zergeht wie Butter?«

»Fleisch ist ungesund.« Im nächsten Moment wurde sie rot.

Ty musste sich das Grinsen verkneifen. Offensichtlich war ihr wieder eingefallen, dass er eine Viehranch besaß. Er zog eine Augenbraue hoch und sagte leichthin: »In Texas wäre jetzt eine Schlägerei fällig, aber da wir schon ein ganzes Stück östlich von Texarkana sind, will ich es mal durchgehen lassen.«

Er schaufelte sich einen weiteren Bissen in den Mund und spülte ihn mit einem Schluck Whiskey hinunter. Da sie ihn ansah, als wartete sie auf eine Fortsetzung, deutete er anschließend mit der Gabel auf ihr Mineralwasser. »Ist Alkohol auch ungesund?«

»Ich trinke nie im Flugzeug. Das verringert die Sauerstoffaufnahme im Blut.«

Ty riss verblüfft die Augen auf. Dann lächelte er. »Oh, Mist, dann müsste ich ja nach Luft schnappen wie ein Fisch auf dem Trockenen.« Er trank seinen Whiskey aus, wartete, bis Loretta zu ihm hersah, und deutete auf das Glas.

Victoria unterdrückte das Lächeln, das sich auf ihrem Gesicht zu formen begann. Sie traute diesem neuen, umgänglichen Tyrell Brown nicht über den Weg. Nach all dem Whiskey wirkte er zwar gelöster, aber unberechenbar blieb er trotzdem. Er konnte jeden Moment zuschlagen.

Andererseits konnte sie den Blick auch nicht von ihm abwenden. Sein Lächeln – das sie im Gerichtssaal nie zu sehen bekommen hatte – brachte volle Lippen, weiße Zähne und winzige Fältchen um seine Augen zur Geltung. Plötzlich sah er nicht einfach gut aus, sondern umwerfend. Sein hellbraunes Haar, von hellen Strähnen durchzogen wie bei einem Surfer, war ein bisschen zu lang und meistens zerzaust. Kein Wunder, dass seine Rechtsanwältin so offensichtlich in ihn verknallt war.

Loretta brachte ihm seinen Drink. »Loretta, mein Schatz«, sagte er, »klär diese junge Dame doch mal darüber auf, dass ihr genügend Sauerstoff an Bord habt.«

Loretta legte den Kopf schief. »Tyrell, muss ich den Nachschub stoppen?«

»Ich meine das ernst.« Er deutete mit dem Glas auf Victoria. »Sie glaubt, dass sie nicht mehr genügend Sauerstoff bekommt, wenn sie zu ihren Blättern und Zweigen ein Glas Wein trinkt.«

Loretta schaute Victoria an und sagte todernst: »Wir haben mehr als genug Sauerstoff an Bord.«

Victoria konnte ihr Lächeln nicht länger unterdrücken. »Wie beruhigend.«

»Na dann …« Ty grinste sie an. »Was trinken Sie?«

Zunächst wollte sie ablehnen, doch dann fand sie es klüger, ihm seinen Willen zu lassen. »Einen Cabernet«, sagte sie zu Loretta. Sie konnte ja so tun, als würde sie daran nippen. Zumindest würde sie dann nicht wie eine Betschwester wirken. ›Fleisch ist ungesund‹ … ›Alkohol verringert die Sauerstoffaufnahme‹. Meine Güte.

»Wusste ich es doch«, triumphierte Ty. »Ich wusste, dass Sie sich für Rotwein entscheiden würden. Antioxidantien, nicht wahr?«

Sie zuckte mit den Schultern, eine wortlose Bestätigung. Himmel, sie war wirklich eine Betschwester.

Er nickte selbstgefällig. »Ja, verstehe.« Die nächsten Punkte zählte er an seinen Fingern ab. »Zweimal die Woche Yoga, für die Beweglichkeit. Am Wochenende Pilates, zum Zentrieren. Zweimal täglich Meditation, morgens und abends je fünfzehn Minuten, um die Mitte nicht zu verlieren. Einmal im Monat Massage, um Gifte auszuschwemmen und das Immunsystem zu stimulieren.« Vertraulich senkte er die Stimme. »Zumindest reden Sie sich das ein. In Wirklichkeit genießen Sie es einfach.«

Sie lachte. Er war witzig. Gut aussehend und witzig, eine mörderische Kombination.

Und er hatte ihre Gewohnheiten genau getroffen. Wie engstirnig das alles wirkte, wenn er es in seinem breiten texanischen Dialekt herunterrasselte!

Loretta brachte den Cabernet. Victoria trank einen großen Schluck, und dann gleich noch einen. Wen interessierte es schon, wenn die Fluggesellschaften den Sauerstoffanteil in der Kabinenluft senkten, um Geld zu sparen! Man brauchte doch nur Tyrell anzuschauen. Er war sternhagelvoll und bekam trotzdem problemlos Luft.

Noch ein Schluck, und sie war mutig genug zu erwidern: »Zentrieren, tägliche Meditation … Sie haben Ihre Oprah-Zeitschrift wirklich gründlich durchgearbeitet.«

Er hob abwehrend die Hand. »Nur die Artikel. Ich schwöre, die Fotos schaue ich nie an.«

Victoria kicherte – was sie sonst nie tat. Sie hatte den ganzen Tag über nichts gegessen, und der Wein stieg ihr schon zu Kopfe. Rasch aß sie ein paar Bissen von ihrer Chinapfanne.

Ty nippte an seinem Whiskey. »Ich habe sie mal kennengelernt. Oprah, meine ich. Sie hat sich mit ein paar Viehranchern zusammengesetzt, damals, nachdem sie in ihrer Show einen Seitenhieb auf die Rinderzucht abgelassen und sich kräftig in die Nesseln gesetzt hatte. Da hat mein Vater noch die Ranch geführt. Er hat meinen Bruder und mich mitgenommen, damit wir mitkriegen, was sie sagt.«

»Und?«

Er zuckte mit den Schultern. »Sie machte einen netten Eindruck. Konnte gut reden. Sehr ernsthaft. Ich mochte sie, auch wenn mein Vater sie unsympathisch fand.«

Sie trank einen weiteren großen Schluck von ihrem Cabernet. Er schmeckte köstlich. Sie sollte wirklich öfter mal ein Glas Wein trinken. Schließlich enthielt er tatsächlich jede Menge Antioxidantien.

Noch ein Schluck, dann sagte sie: »Ich habe mal Dr. Phil kennengelernt. In einem Flieger, so wie Sie jetzt.« Sie wedelte mit der Hand zwischen ihnen hin und her.

»Dr. Phil? Echt? Hat er Ihnen einen kostenlosen Rat gegeben?«

»Er hat gesagt, ich sollte mich von meinem Freund trennen.«

Ty signalisierte Loretta, indem er zwei Finger in die Höhe hielt. Dann drehte er sich ein bisschen weiter zu Vicky herum, und sie merkte, dass sie das gleiche getan hatte. Nur ganz wenig, gerade so weit, dass sich eine Ahnung von Intimität einstellte. Sie trank einen weiteren Schluck.

»Und, haben Sie sich von ihm getrennt?«

»Nicht sofort. Aber ich hätte es tun sollen. Er hat mich betrogen, genau wie Dr. Phil vorausgesagt hat.« Ein weiterer Schluck. »Meine Mutter hat natürlich mir die Schuld gegeben.«

Ty schien erstaunt. »Sie hat Ihnen die Schuld gegeben, dass er Sie betrogen hat? Wieso das denn?«

»Wieso gibt sie mir die Schuld an allem?« Sie lachte bitter. »Das hätte ich Dr. Phil fragen sollen. Wieso hasst mich meine Mutter? Und wieso kämpfe ich immer noch um ihre Liebe?«

Und genau deshalb, dachte sie, sollte ich nichts trinken.

Trotzdem wollte sie sich einen weiteren Schluck gönnen, aber ihr Glas war leer. Genau in diesem Moment brachte Loretta Nachschub. Ty nahm Victoria das leere Glas aus der Hand und reichte ihr das neue. Sie lächelte ihn an. Er hatte so ausdrucksvolle Augen! Sie konnte sich gar nicht mehr vorstellen, dass sie seinen Blick einmal als mordlüstern empfunden hatte. Es waren warme, freundliche Augen, wie Ahornsirup und Butter, und er sah sie unverwandt an, als wäre sie die einzige Frau auf der Welt.

Sie rückte noch ein Stück weiter zu ihm herum.

Das Gespräch nahm Ty so gefangen, dass er sogar sein Filet vergaß. »Wieso glauben Sie, dass sie Sie hasst?«

»Wo soll ich anfangen?« Sie hob die Hand. »Okay, überspringen wir die prägenden Jahre und kommen wir direkt zur Collegezeit. Ich wollte aufs Williams – klein, ländlich, mit großartigen Theaterkursen. Aber nein. Meine Mutter sagte, als Schauspielerin würde ich mein Leben lang nur einen einzigen Satz sprechen: ›Darf ich Ihre Bestellung entgegennehmen?‹«

Wieder trank sie einen großen Schluck. »Nur weil ihre eigene Mutter nach Hollywood gegangen und nie wiedergekommen ist. Deshalb darf ich keiner Bühne zu nahe kommen. Und ich bin viel zu unpraktisch, zu …« Sie wedelte mit den Fingern. »… flatterhaft veranlagt, um zu wissen, was gut für mich ist. Also hat Mutter über meine Zukunft entschieden. Es musste Yale sein, und Jura, damit ich in ihre Fußstapfen treten konnte.« Sie nippte an ihrem Wein und zuckte mit den Schultern. »Ich habe natürlich nachgegeben. Wie immer.«

Ty wirbelte die Flüssigkeit in seinem Glas herum und versuchte sich vorzustellen, seine Eltern hätten ihn in eine bestimmte Richtung gedrängt. Das hatten sie nicht. Aber wenn, hätte er sich auf die Hinterbeine gestellt. Noch vor einer Stunde hätte er seine Ranch darauf gewettet, dass die selbstsichere, selbstbeherrschte Victoria Westin das Gleiche getan hätte.

»Sie sind doch erwachsen. Sagen Sie ihr, sie kann Ihnen den Buckel runterrutschen. Gehen Sie noch mal auf die Uni und studieren Sie, wozu Sie Lust haben.«

Sie sah ihn verblüfft an. »Wozu ich Lust habe? Ich weiß doch gar nicht mehr, wozu ich Lust habe.« Wieder zuckte sie mit den Schultern. »Jetzt ist es sowieso zu spät. Ich bin Rechtsanwältin, ob es mir gefällt oder nicht.«

»Tja – gefällt es Ihnen denn?« Im Gerichtssaal hatte sie kalt und reserviert gewirkt, so gar nicht wie die Frau aus Fleisch und Blut, die jetzt neben ihm saß. Selbst ihre blauen Augen erinnerten nicht mehr an arktisches Eis, sondern an den Himmel an einem warmen Oktobertag. Während sie mit gerunzelter Stirn über seine Frage nachdachte, wirkte sie umgänglich und verletzlich. Und ja – hübsch war sie auch.

»Manchmal schon«, sagte sie schließlich. »Vermutlich ist es wie bei Polizisten und Feuerwehrleuten. Sie wissen schon: Stunden gähnender Langeweile, unterbrochen von Augenblicken des reinsten Entsetzens.« Als er lachte, fuhr sie fort: »Okay, es geht natürlich nicht um Leben und Tod, aber man wälzt monatelang uninteressante Akten und bereitet sich vor, und dann ist die Verhandlung – die entsetzlichen Augenblicke – in wenigen Tagen vorbei.«

Sie trank wieder von ihrem Wein, und dabei fiel ihr wohl ein, dass Gerichtsverhandlungen ein heikles Thema waren, denn auf einmal riss sie die Augen auf und verschluckte sich beinahe.

Ty hätte ihr sagen können, dass sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, denn nach mehreren Stunden harter Arbeit befand er sich jetzt in dem Stadium, das er angestrebt hatte. Sein Hirn war angenehm umnebelt. Ein Zustand, den er in den letzten sieben Jahren schon oft erreicht hatte. In dieser Verfassung konnte er durchaus Gespräche führen und sich am nächsten Morgen sogar daran erinnern. Er konnte Witze reißen, philosophische Weisheiten von sich geben und vögeln wie ein Siebzehnjähriger auf Großwildjagd.

Aber er dachte dann nicht an Lissa.

Dieses Verhaltensmuster zu lernen hatte ihm vermutlich das Leben gerettet, und inzwischen beherrschte er das Ritual perfekt. Wenn ihn die Erinnerungen überwältigten, trank er so lange einen Whiskey nach dem anderen, bis seine Finger zu kribbeln begannen. Dann – und nur dann – gelang es ihm, jenen Teil seines Gehirns abzuschalten, in dem Lissa zu Hause war, und sie für kurze Zeit zu vergessen.

Dieses Stadium hatte er vor einer halben Stunde erreicht. Die meisten Männer wären längst unter den Klapptisch gesunken, doch Ty fühlte sich beschwingt. Eine halbe Stunde lang würde er jetzt ein angenehmer Gesprächspartner sein. Der beste, den man sich vorstellen konnte. Danach würde er von einer Minute auf die andere umkippen und acht Stunden tief und fest schlafen.

Und er würde von Lissa träumen, das war die Kehrseite der Medaille. Aber wenn er am Morgen aufwachte, würde er wieder damit leben können.

Victoria wechselte eilig das Thema. »Sagen Sie, was machen Sie in Paris?«

»Eine ehemalige Freundin von mir heiratet.«

»Sie fahren zur Hochzeit Ihrer Ex?«

»Merkwürdig, nicht wahr? Aber wir haben damals nach drei Monaten beide gleichzeitig festgestellt, dass wir uns nur sehr gern mögen, mehr nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Eine Zeit lang waren wir dann Freunde, die gelegentlich miteinander schliefen. Jetzt sind wir nur noch Freunde.«

Victoria konnte sich eine Freundschaft mit ihrem Ex nicht vorstellen. Abgesehen von der Tatsache, dass Winston ihr rücksichtslos das Herz gebrochen hatte, war es auch nie sonderlich lustig gewesen, mit ihm zusammen zu sein. Immer hatte alles nach seinen Wünschen gehen müssen, und daran würde sich auch heute nichts geändert haben.

»Und Sie?«, fragte Ty. »Was machen Sie in Paris?«

»Ich will auch zu einer Hochzeit. In Amboise, zwei Stunden von Paris entfernt. Mein Bruder heiratet – genauer gesagt mein Halbbruder, aus der zweiten Ehe meiner Mutter.«

»Die zweite von wie vielen? Moment, lassen Sie mich raten.« Er schloss die Augen und überlegte. »Sie dürfte vermutlich um die fünfzig sein …«

»Vierundfünfzig.«

»Okay, vierundfünfzig, und ich wette, sie ist eine Schönheit.« Sein Lächeln besagte, dass er das als Kompliment an sie meinte, und sie spürte, wie sie errötete. »Eine Rechtsanwältin«, fuhr er fort. »Also ist sie finanziell unabhängig und gewohnt, ihr eigener Chef zu sein. Und nach der Sache mit dem College zu urteilen hat sie vermutlich gern alles unter Kontrolle, stimmt’s?«

»Oh ja, Kontrolle bedeutet ihr alles.« Victoria trank einen weiteren Schluck Wein.

Ty sah sie grübelnd an. »Okay, dann würde ich schätzen, sie ist derzeit zum vierten Mal verheiratet.«

»Nah dran.« Sie prostete ihm zu und trank. »Nummer vier hat gerade den Laufpass bekommen. Allerdings behält sie seinen Namen, damit sie nicht schon wieder den Briefkopf der Kanzlei ändern muss.«

»Also ist sie auch noch praktisch veranlagt.«

Victoria stieß ein Schnauben hervor. Sehr undamenhaft. Ihrer Mutter hätte das nicht gefallen. Sie zuckte mit den Schultern. »Vermutlich wäre sie besser zu ertragen, wenn mein Vater nicht gestorben wäre. Er war ihr erster Mann, und sie hat ihn wirklich geliebt.« Sie blickte auf ihr Glas und schwenkte den letzten Rest Wein darin herum. »Die anderen Ehemänner und auch die Freunde … Dr. Phil würde vermutlich sagen, sie versucht die Lücke zu füllen, die mein Vater hinterlassen hat.«

»Woran ist er gestorben?«

»Krebs. Ich war erst drei, aber ich kann mich noch an ihn erinnern. Wie er mir hilft, die Kerzen auf meinem Geburtstagskuchen auszublasen, solche Sachen. Und die Beerdigung, an die erinnere ich mich auch. Wie Mutter immerzu geweint hat, als würde sie nie darüber hinwegkommen.«

Kaum hatte sie es ausgesprochen, hätte sie sich am liebsten auf die Zunge gebissen. Verdammt! Sie trat von einem Fettnäpfchen ins andere. Erst Gerichtsverhandlungen, jetzt tragischer Tod und gebrochenes Herz. Was kam als Nächstes: betrunkene Autofahrer?

»Was machen Sie eigentlich mit Ihrem Doktor in Philosophie?«, fragte sie rasch. Hoffentlich war er so betrunken, dass ihm dieser zweite plötzliche Themenwechsel nicht auffiel.

Er fiel Ty sehr wohl auf, störte ihn aber nicht, da es ihn nicht kümmerte, wie das Gespräch weiterging.

In seinem losgelösten, angenehm benebelten Zustand genoss er die Unterhaltung sehr. Seit Victoria ihren harten Panzer abgelegt hatte, fand er sie eigentlich sympathisch. Sie war eine vielschichtige Frau, und solche Frauen mochte er. Er mochte es, wenn die Dinge nicht so waren, wie sie auf den ersten Blick schienen. Das war vermutlich der Philosoph in ihm.

Und um ehrlich zu sein, mit dem offenen schulterlangen Haar und der figurbetonten Kleidung, die sie statt des strengen Kostüms trug, sah sie richtig gut aus. Eigentlich stand er nicht auf den blassen, porzellanhäutigen Typ. Das wirkte so zerbrechlich, und er zog es vor, wenn Frauen ein bisschen Fleisch auf den Rippen hatten. Andererseits fuhr er voll auf blaue Augen ab, und an den richtigen Stellen war sie durchaus gut gepolstert, das musste er zugeben.

Lässig ging er zum Flirten über.

»Meistens betöre ich die Damen mit Descartes.« Er blinzelte. »Empirismus kommt auch immer gut an. Und Rationalismus? Das reinste Aphrodisiakum.«

Victoria riss mit gespieltem Erstaunen die Augen auf. »Philosophie ist sexy? Wer hätte das gedacht!«

Er lächelte selbstgefällig. »Machen Sie sich ruhig lustig. Aber ich habe meine Doktorarbeit über die Wahrnehmung sexueller Erfahrungen aus dem Blickwinkel dieser beiden Theorien geschrieben, und glauben Sie mir, das fanden eine Menge Frauen sexy.«

Tatsächlich spürte sie ebenfalls ein leichtes Prickeln. Sie erstickte es mit dem letzten Schluck Wein.

Dann stützte sie den Ellbogen auf die Armlehne, legte das Kinn auf die Faust und setzte einen mitleidigen Gesichtsausdruck auf. »Das ist doch hoffentlich nicht Ihr üblicher Anmachspruch? Der ist nämlich erbärmlich.«

»Aber erfolgreich. Passen Sie mal auf.« Er schloss die Augen und tat so, als würde er in eine andere Rolle schlüpfen.

Als er sie wieder öffnete, hätte Victoria beinahe nach Luft geschnappt. Ty der Spaßvogel war verschwunden.

Stattdessen saß neben ihr ein schlaksiger, glutäugiger Cowboy, der direkt von der Weide zu kommen schien. Schlank, sexy und völlig entspannt. Alles an ihm drückte aus: Schatz, ich habe die ganze Nacht Zeit, und ich werde dich so richtig durchvögeln.

Langsam ließ er den Blick ihren Körper hinabwandern, lässig und doch leidenschaftlich, und sofort wurde ihr heiß. Er hob den Blick wieder und schaute erst auf ihren Busen, dann auf ihren Mund. Schließlich sah er ihr in die Augen und verzog den Mund langsam zu einem unwiderstehlichen Lächeln.

Ihr Herz klopfte so laut, dass er es bestimmt hörte.

»Schatz.« Sein Dialekt war noch breiter geworden. »Ich muss dich um einen Gefallen bitten.« Er streckte die Hand aus und strich ihr mit einem Finger den Oberarm hinab bis zur Armbeuge. Unter der leichten Berührung begann ihr Puls zu rasen.

»Ich mache gerade ein paar Untersuchungen für meine Doktorarbeit.« Er nickte langsam und ermutigend. »Ja, wirklich, Süße, das ist fürs College.«

Sie hätte gelacht, wäre ihre Kehle nicht wie zugeschnürt gewesen. In seinen Tigeraugen blitzten orangefarbene Lichter. Wie hatte sie die bisher bloß übersehen können?

Er fing seine Oberlippe mit den Zähnen ein und gab sie wieder frei. »Ich untersuche die Wahrnehmung sexueller Erfahrungen aus dem Blickwinkel des Rationalismus und des Empirismus.« Er strich weiter ihren Arm hinab und umfasste sanft ihr Handgelenk. »Keine Sorge, mein Schatz, du musst gar nicht wissen, was diese komplizierten Wörter bedeuten.« Er senkte die Stimme zu einem heiseren Flüstern. »Deine Hilfe brauche ich beim Sex. Stundenlang. Heiß und verschwitzt …«

Sie lachte ein wenig unsicher. »Okay. Schon verstanden. Philosophie ist sexy.«

Er lehnte sich zurück und lächelte selbstzufrieden. »Wüssten Sie gern das Ergebnis meiner Untersuchung?«

Tat sie das? »Ähm … ja.«

Er verzog die Lippen zu einem frechen Grinsen, und seine Augen blitzten.

»Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich eindeutig ein Empiriker bin. Wenn ich wirklich wissen will, wie sich Sex mit einem anderen Menschen anfühlen wird, hilft es mir gar nichts, wie ein Rationalist darüber nachzudenken.«

Er machte eine winzige Pause.

»Ich muss es ausprobieren.«

3

Victoria hatte noch nie Sex in einem Flugzeug gehabt, aber es schien ganz so, als sollte sich das gleich ändern.

Sie warf einen Blick auf ihre Uhr. Mitternacht. In nicht einmal vier Stunden hatte Tyrell Brown ihre Haltung ihm gegenüber komplett umgekrempelt, von ›Bitte bring mich nicht um‹ zu ›Bitte zieh mich aus‹.

Er war wirklich ein gefährlicher Mann. Aber nicht auf die Art, wie sie zunächst angenommen hatte. Wenn er sie umbrachte, dann höchstens indem er sie so scharf machte, dass sie einen Herzinfarkt bekam.

Sie nahm ihr Kosmetiktäschchen aus der Reisetasche und lächelte ihn an. »Würden Sie mich einen Moment entschuldigen?«

Höflich erhob er sich und trat in den Gang, um sie vorbeizulassen. Auf dem Weg zur Toilette warf sie einen Blick über die Schulter und beobachtete, wie er sich wieder hinsetzte. Meine Güte, war dieser Mann gut gebaut! Breite Schultern, flacher Bauch, schmale Hüften. Er sah nach Reiten, Lasso-Schwingen und Stacheldraht-Ziehen aus, nach all dem, was Cowboys im Kino taten.

Er merkte, dass sie ihn ansah, und schenkte ihr ein Lächeln, das ihren Puls um weitere zwanzig Schläge pro Minute beschleunigte. Himmel!

Sich in dem winzigen Toilettenraum frisch zu machen, war nicht einfach. Ihre Nervosität half auch nicht gerade. Die Zahnbürste fiel ihr ins Waschbecken, sie musste sie wegwerfen und sich mit einem Pfefferminzbonbon begnügen.

Im Spiegel sah sie, dass ihre Wangen glühten und ihre Augen leuchteten. Kein Wunder. So sehr hatte sie sich von keinem Mann mehr angezogen gefühlt, seit … nun, solange sie zurückdenken konnte. Und noch nie hatte so wenig Körperkontakt ausgereicht, sie derart heiß zu machen. Winston hätte sie eine Stunde lang bearbeiten können und weniger erreicht als Ty mit einer sanften Berührung ihrer Hand.

Ty begehrte sie ebenfalls, da war sie sicher. So flirtete niemand, der keine eindeutigen Absichten hatte. Er hatte sämtliche Register gezogen. Hätte er sie in einer Bar angemacht, läge sie jetzt in seinem Bett.

Hier im Flugzeug mussten sie improvisieren. Wie das gehen sollte, konnte sie sich zwar nicht vorstellen, aber Ty würde schon etwas einfallen.

Ganz hinten in ihrem Kopf schlug eine Alarmglocke an. Victoria Westin, du bist auf dem besten Weg, sämtliche ethischen Grundregeln deines Berufs über Bord zu werfen.

Das stimmte. Wenn sie es wirklich durchzog und mit ihrem Prozessgegner schlief, musste sie den Fall abgeben. Die Berufungsverhandlung würde eine andere Kanzlei übernehmen müssen. Ihre Mutter würde durchdrehen.

Jaaa!Vicky reckte die Faust. Sie konnte es kaum erwarten, ihrer Mutter zu erzählen, dass sie und Tyrell irgendwo über Jersey dem Mile High Club beigetreten waren. Wenn sie Glück hatte, würde ihre Mutter sie feuern.

Jaaa! Noch einmal die gereckte Faust. Sie könnte wieder aufs College gehen. Sich einer kleinstädtischen Theatertruppe anschließen. Sie grinste ihr Spiegelbild an. Vielleicht war es doch noch nicht zu spät, sich dem Einfluss ihrer Mutter zu entziehen.

Und Tyrell Brown war der erste Schritt auf diesem Weg.

Sie steckte sich ein weiteres Pfefferminz in den Mund, trug frischen Lipgloss auf, fuhr sich noch einmal durch die Haare und trat hinaus in den Gang.

Das Licht war inzwischen gedämpft. Fast alle Passagiere sahen entweder einen Film oder schliefen. Langsam ging sie den Gang entlang.

Ty hatte seinen Sitz zurückgeklappt und die Beinstützen ausgefahren. Die erste Klasse war wirklich großartig. Vielleicht würde er sie auf sich ziehen, ihr die Kleider vom Leib reißen …

Nun gut, auch wenn sie nichts über Sex im Flugzeug wusste, etwas diskreter musste man wohl schon vorgehen. Vermutlich würde er sie eher auf die Seite drehen und sie von hinten nehmen …

Mit Schmetterlingen im Bauch blieb sie neben seinem Sitz stehen und wartete, dass er sie vorbeiließ.

Er rührte sich nicht.

Sie beugte sich vor und kniff die Augen zusammen, um ihn in dem gedämpften Licht besser betrachten zu können. Seine Augen waren geschlossen. Also das war die Erklärung, er hatte sie nicht gesehen. Dann öffneten sich seine Lippen ein wenig …

… und ein Schnarchen ertönte.

Ruckartig richtete sie sich auf. Er schlief tief und fest.

Sie spürte, dass sie beobachtet wurde, und warf einen Blick über die Schulter. Ein Mann in mittleren Jahren lächelte sie mitfühlend an. Er konnte zwar nicht wissen, dass sie damit gerechnet hatte, flachgelegt zu werden, dennoch errötete sie.

Sie überspielte ihre Beschämung mit einem Schulterzucken, als wäre dies nur eine Unannehmlichkeit und keine Zurückweisung oder gar Demütigung, tat so, als wollte sie Ty nicht wecken, und kletterte über ihn hinweg, wobei sie ihm – oh, tut mir leid – gegen das Schienbein trat. Sie ließ sich auf ihren Sitz fallen.

Wütend auf Ty und auf sich selbst durchwühlte sie ihre Tasche nach Augenschirm und Schultertuch und drückte auf den Knopf für die Rückenlehne.

Ihre Mutter hatte recht. Auf Victorias Urteil war kein Verlass. Sie wurde aus Männern nicht schlau. Tyrell Brown hatte gar kein Interesse an ihr. Für ihn war sie bestenfalls eine Abwechslung auf dem langen, langweiligen Flug gewesen. Wenn er sie nicht sogar bewusst getäuscht hatte, damit sie sich so richtig dumm vorkam.

Sie faltete ihr Schultertuch auseinander – auf keinen Fall würde sie eine dieser bakterienverseuchten Flugzeugdecken benutzen –, breitete es über sich aus und zog es bis zum Kinn hoch. Hinter dem Augenschirm war es angenehm dunkel. Die Schmetterlinge in ihrem Bauch waren längst davongeflogen. Ihr alter Freund Angst war wieder da, wie eine geballte Faust in ihrem Magen. Nun, mit ihm schlief sie schon seit Jahren. Sie hätte nicht erwarten dürfen, dass es diese Nacht anders sein würde.

Ty kam langsam zu sich und öffnete mühsam erst das eine Auge, dann das andere.

Mist. Seit über einem Jahr hatte er sich nicht mehr derart besoffen. Er hatte ganz vergessen, wie unerquicklich der Tag danach war.

Und er konnte nicht einmal nackt in die Küche kriechen und Kaffee aufsetzen. Denn er war nicht zu Hause. Er war … Wo war er?

In einem Flugzeug. Genau. Auf dem Weg nach Frankreich.

Behutsam drehte er den Kopf zur Seite. Das eiskalte Miststück! Verdammt, er war so mies drauf gewesen, dass er sie beinahe gevögelt hätte. Wenn er nicht eingeschlafen wäre … Was hatte er sich bloß dabei gedacht?

Klar, so wie sie dalag, im Tiefschlaf, mit ihrem rosa Augenschirm, die blonden Haare zerrauft, sah sie süß und verletzlich aus. Aber jetzt, wo er nüchtern war, wusste er wieder, warum er sie hasste.

Die Verhandlung. Zwei höllische Tage. ›Augenblicke des reinsten Entsetzens‹ hatte sie es genannt. Tja, meine Liebe, dachte er. Du hast ja keine Ahnung.

Teils freiwillig, teils weil er nicht anders konnte, rief er sich jede einzelne Minute dieser beiden grauenhaften Tage ins Gedächtnis zurück.

Am ersten Tag war es vor allem um die Rechtmäßigkeit seiner Schadenersatzforderungen wegen des Todes seiner Frau gegangen – um Krankenhausrechnungen sowie um versicherungsmathematische Berechnungen, wie viel Lissas Leben auf Dollar und Cent genau wert gewesen wäre, wenn sie es denn hätte leben dürfen. Achtzig Jahre hätten ihr statistisch zugestanden – bekommen hatte sie dreiundzwanzig.

Am zweiten Tag – gestern – war über Schmerz und Leid verhandelt worden. Die Verteidigung hatte geltend gemacht, dass Lissa und damit ihren Erben keine Wiedergutmachung für ihren Schmerz und ihr Leid zustand, weil sie das Bewusstsein nicht mehr wiedererlangt hatte, nachdem Jason Taylor ihre Lieblingsstute über den Haufen gefahren und getötet und die Reiterin, Lissa, mit seinem Geländewagen gegen einen Baum gequetscht hatte.

Lissa war bei dem Aufprall bewusstlos geworden und später im Krankenhaus ins Koma gefallen. Obwohl sie noch fünf lange Tage gelebt hatte, hatte niemand von den Ärzten oder vom Pflegepersonal sie noch einmal aufwachen sehen.

Nur Ty. Er hatte rund um die Uhr an ihrem Bett gesessen, und als sie mitten in der Nacht die Augen öffnete, war sein Blick auf sie gerichtet gewesen. Sein Herz hatte einen Schlag ausgesetzt.

»Ty«, hatte sie gesagt, und noch immer klang ihm die brüchige Stimme in den Ohren. »Mein Schatz, das muss aufhören.«

»Was muss aufhören?«, hatte er verwirrt gefragt.

»Das hier.« Ihr Blick glitt nach rechts, wo ein Sauerstoffgerät pfeifend Luft durch den Luftröhrenschnitt an ihrem Hals in ihre verletzten Lungen pumpte, und dann nach links, wo an einem Infusionsständer sieben Beutel mit unterschiedlichen Flüssigkeiten hingen, von denen Schläuche zu ihrem Arm führten.

»Das darf nicht aufhören, Lissa. Es hält dich am Leben, damit du dich erholst und wieder gesund wirst.«

»Ich werde nicht mehr gesund, mein Schatz. Es quält mich nur.« Ihre Worte kamen stoßweise, im Rhythmus des Sauerstoffgeräts. »Du musst mich gehen lassen. Lass mich gehen. Hörst du?«

»Lissa, mein Schatz, das kann ich nicht.« Tränen liefen ihm über die Wangen. »Ohne dich kann ich nicht leben, Liebling. Du musst bei mir bleiben.« Er griff nach ihrer Hand. »Werd einfach gesund. Nur ein bisschen gesünder, damit ich dich nach Hause auf die Ranch mitnehmen kann. Ich werde dich nach Strich und Faden verwöhnen, mein Schatz. Du wirst schon sehen. Du bist schneller wieder auf den Beinen, als du glaubst.«

Ein mattes Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ich liebe dich, Ty. Ich werde dich immer lieben. Vergiss das nicht, wenn du dich einsam fühlst.« Sie schloss die Augen.

»Schatz? Lissa, Liebste?« Er drückte ihre Hand, spürte aber keine Reaktion. Sie war wieder ins Koma geglitten und hatte ihn alleingelassen.

Es zerriss ihm das Herz, und durch den Spalt fegte ein eisiger Wind in sein Inneres, nahm ihm den Atem und ließ nichts als Leere und Verzweiflung zurück. Und eine schreckliche Einsamkeit und Kälte.

Zwölf Stunden später gab er seine Einwilligung, die lebenserhaltenden Maschinen abzuschalten. Er unterschrieb das Todesurteil für die Liebe seines Lebens.

Das alles hatte er den Geschworenen berichten können, ohne zusammenzubrechen. Aber als Victoria Westin ihn im Kreuzverhör gefragt hatte, ob er dieses Gespräch möglicherweise nur geträumt oder vielleicht halluziniert habe – was bei seinem Stress, seiner Müdigkeit, seinem Kummer durchaus verständlich sei –, war er zerbrochen.

Einfach so, nach sieben Jahren.

Nein, die Geschworenen hatten es nicht gemerkt, nach außen hin hatte er den Schein wahren können. Aber er würde lange brauchen, um sich davon wieder zu erholen. Und das verdankte er nur dieser verdammten Victoria Westin.

Ty löste den Sicherheitsgurt, stellte seinen Sitz gerade und stand auf. Ihm wurde schwindelig, aber er war zu wütend, um darauf zu achten. Rasch nahm er Kurs auf die Toilette. Er stieß die Tür auf und trat sie hinter sich zu.

Himmel, das war zu viel verlangt – bis zur Landung in Paris neben ihr sitzen zu müssen!

Er fuhr sich mit den Fingern durch die Haare, atmete ein, atmete aus. Warf einen Blick in den Spiegel, betrachtete die Ringe unter seinen Augen. Den gequälten Gesichtsausdruck.

»Verdammt!«, zischte er. »Verdammt, verdammt, verdammt!«

Dann wandte er sich ab, zog den Reißverschluss seiner Jeans auf, stützte sich an der Wand ab und pinkelte eine volle Minute lang Whiskey.

Loretta wartete vor der Toilette auf ihn. »Ich war kurz davor reinzukommen und nachzuschauen, was los ist«, begrüßte sie ihn nachsichtig.

Er sah sie aus geröteten Augen an, und der Schmerz in seinem Blick sagte mehr als tausend Worte. Dieser Schmerz traf sie bis ins Mark.

Als Lissa noch lebte, war Ty der fröhlichste, lebenslustigste Mensch gewesen, den man sich nur vorstellen konnte. An dem Tag, an dem sie starb, war etwas in ihm erloschen. Selbst jetzt, sieben Jahre später, war er noch nicht darüber hinweg. Niemand verstand, warum, weder seine Familie noch seine Freunde, aber so war es nun mal.

Dass Loretta ihn nicht heilen konnte, war ihr klar. Aber zumindest konnte sie ihn mit Kaffee versorgen.

Sie schob ihn in die Bordküche und deutete auf einen winzigen, an der Wand befestigten Klappstuhl. Er setzte sich und legte die Unterarme auf die Knie. Sie drückte ihm eine Porzellantasse in die Hand, was er mit einem matten Lächeln quittierte. »Den kann ich wirklich brauchen.«

Sie schüttelte den Kopf. »Junge, du siehst aus wie ausgespuckt.« Sie versuchte, es vorwurfsvoll klingen zu lassen, schaffte es aber nicht. Um sich ihr Mitleid nicht anmerken zu lassen, drehte sie ihm den Rücken zu und kramte in einer Schublade. »Aus meinem privaten Vorrat.« Sie warf ihm ein Päckchen Pop-Tarts zu. »Das beste Mittel gegen Kater.«

Das entlockte ihm ein echtes Lächeln. »Loretta Jane Mason, ich wusste gar nicht, dass du dir auch gelegentlich einen hinter die Binde gießt. Führst du etwa ein Doppelleben?«

Sie richtete sich auf und wollte schon alles ableugnen, beließ es dann aber bei einer wegwerfenden Geste. »Ich war nicht immer sechzig. Und nein«, kam sie weiteren Fragen zuvor, »Details bekommst du nicht zu hören.«

Sie lehnte sich an den Küchentresen, verschränkte die Arme und sah ihn durchdringend an. »Und jetzt verrat mir mal, was dir an deinem Sitzplatz nicht passt.«

Er kniff die Augen zusammen. »Der Sitzplatz ist nicht das Problem. Sondern die Frau.«

»Auf mich macht sie einen ganz netten Eindruck. Und sie sieht gut aus. Ich hätte erwartet, dass sie längst auf deinem Schoß hockt und schnurrt.«

Er verzog das Gesicht. »Sie ist Anwältin. Taylors Anwältin.«

Loretta ließ die Arme sinken. Einen Moment lang war sie sprachlos.

»Das ist Pech«, sagte sie schließlich.

Ty schnaubte. »Pech ist, wenn man sich im Urlaub das Bein bricht. Oder wenn man genau an dem Tag, wo die richtigen Zahlen kommen, kein Powerball-Ticket gekauft hat. Das da«, er deutete in Richtung seines Sitzes, »das ist eine Strafe Gottes.«

Sie konnte nicht widersprechen, auch wenn ihr nicht einleuchtete, wieso sich Gott an einem so netten, lieben Jungen rächen wollte.

Eine Zeit lang musterte sie ihn schweigend: die Stoppeln an seinem Kinn, das zerraufte Haar, das zerknitterte Hemd, die traurigen Augen. Dann fasste sie einen Entschluss.

»Du kannst hierbleiben. Jedenfalls bis es Zeit zum Anschnallen ist.« Sie zog die Schublade noch einmal auf und nahm die neueste Ausgabe des O Magazine heraus. »Nimm dir so viel Kaffee, wie du magst, aber wehe, du kleckerst auf das Heft. Ich habe es noch nicht gelesen.«

»Danke, Loretta. Du hast was bei mir gut.«

»Ich komme darauf zurück. Und jetzt sitz still und stör mich nicht beim Frühstückausteilen.«

Als Victoria ihren Augenschirm abnahm, war die Kabinenbeleuchtung bereits wieder eingeschaltet. Die Passagiere streckten sich, falteten ihre Decken zusammen oder nippten an dampfenden Kaffeetassen.

Als sie die Jalousie hochschob, blickte sie in strahlenden Sonnenschein hinaus. Flauschige schneeweiße Wolken segelten über dem Ozean dahin. Sie sah auf die Uhr und versuchte auszurechnen, wie spät es jetzt in Paris war, beschloss dann aber, erst einmal Kaffee zu trinken.

Ty war verschwunden, vermutlich zur Toilette. Während Victoria ihr Schultertuch zusammenlegte und ihr Kissen verstaute, überlegte sie, wie sie ihn bei seiner Rückkehr begrüßen sollte. Für Situationen wie diese mussten die Benimmregeln erst noch erfunden werden. Sie hätten beinahe miteinander geschlafen, hatten es dann aber doch nicht getan und wachten trotzdem am nächsten Morgen nebeneinander auf. So etwas passierte einem sonst nicht. Wenn man keinen Sex wollte, ging man nach Hause. Man begegnete sich nicht mit ungeputzten Zähnen wieder.

Es würde peinlich werden. Obwohl – Ty war ziemlich betrunken gewesen. Vielleicht konnte er sich gar nicht mehr daran erinnern, dass sie sich fast aufeinander gestürzt hätten. Oder dass er ihr quasi einen Korb gegeben hatte.

Meine Güte, war das peinlich.

Sie machte sich auf den Weg zu den Toiletten. Nur eine war frei, also vermutete sie Ty in der anderen. Als sie wieder in den Gang trat, war auch die andere Toilette frei. Sie stählte sich für die Begegnung mit ihm.

Aber er saß nicht auf seinem Platz. Sie sah sich in der Kabine um. Weit und breit kein Ty.

Sie setzte sich, konnte aber kaum stillhalten. Versteckte er sich etwa, weil ihm das Ganze genauso peinlich war wie ihr? Aber wieso? Er hatte sie zurückgewiesen, nicht umgekehrt. Wieso sollte ihm das peinlich sein?

Dann kam ihr ein anderer Gedanke. Vielleicht war er krank. Wurde er irgendwo ärztlich versorgt? Hatte er eine Lebensmittelvergiftung? Oder eine Alkoholvergiftung?

Besorgnis verdrängte ihren Ärger. Sie winkte Loretta herbei. »Haben Sie … ich meine … geht es ihm gut?«

»Ja.« Lorettas Lächeln wirkte gezwungen. »Ich bringe Ihnen Kaffee.« Sie wandte sich ab.

»Meine Damen und Herren, der Pilot hat mich gebeten, Sie zu informieren, dass wir jetzt mit dem Landeanflug auf Paris Charles de Gaulle beginnen. Bitte begeben Sie sich zu Ihren Plätzen und schnallen Sie sich an.«

Loretta steckte das Mikrofon in die Halterung zurück und sagte zu Ty: »Jetzt geh, und reiß dich am Riemen.«

»Mist.« Steif erhob er sich und ließ den winzigen Sitz hochklappen.

Loretta nahm ihm die Zeitschrift weg und hielt ihm eine Schachtel Tic Tac hin. »Tu uns allen einen Gefallen.«

»Verdammt.« Er schüttete die Hälfte der Dragees in seine Hand und steckte sie sich alle in den Mund.

»Los jetzt.« Sie scheuchte ihn aus der Bordküche.

Ty plumpste wie ein Sack Kartoffeln auf seinen Sitz.

»Guten Morgen«, sagte Victoria. Auch nach einer Stunde Grübeln war ihr nichts Besseres eingefallen. Immerhin war es harmlos und ließ alles offen. Sollte er doch bestimmen, wie es weiterging.

Er verlor keine Zeit. Sein Kopf fuhr herum wie der eines knurrenden Hunds. »Reizen Sie mich ja nicht«, fuhr er sie an. Sie zuckte zurück. Er bleckte die Zähne. »Schauen Sie mich nicht an. Atmen Sie mich nicht an. Und wehe, Sie sprechen mich an.« Wütend klickte er seinen Sicherheitsgurt zu, verschränkte die Arme vor der Brust und schloss die Augen. Sperrte sie aus.

Victoria starrte ihn an. Mit solch einer Reaktion hatte sie nun wirklich nicht gerechnet. Er strahlte eine unglaubliche Wut aus, hundertmal schlimmer als am Vortag. Sein ganzer Körper war bis zum Äußersten angespannt. Er wirkte … mordlüstern.

Aus Angst, er könnte ihren gekränkten Blick spüren, sah sie aus dem Fenster. Der Himmel war jetzt wolkenlos, die Luft glasklar. Weit unter ihr spiegelte sich der Ozean im Sonnenlicht.

Nach und nach beruhigte sich ihr Puls, aber sie war noch immer aufgewühlt.

Sie würde meditieren – genau das würde sie tun. Ihre Mitte wiederfinden. Ihn ausblenden. Er hätte diese Idee sicher nur mit einem verächtlichen Schnauben kommentiert. Das bestärkte sie noch in ihrem Beschluss.

Sie schloss die Augen und stellte sich eine einzelne brennende Kerze vor. Sie verlangsamte ihre Atmung. Zählte beim Einatmen bis vier und beim Ausatmen bis vier.

Gedanken schlichen sich ein, allesamt sorgenvoll. Die Gerichtsverhandlung, ihre Mutter, Tyrell, die Hochzeit. Sanft, aber energisch, schob sie jeden einzelnen fort. Die Kerze half ihr, die Konzentration zu halten. Allmählich kamen ihre Gedanken zur Ruhe.

»Ms Westin«, drang Lorettas Stimme zu ihr durch. »Ms Westin, wir landen gleich. Bitte stellen Sie Ihre Lehne senkrecht.«

Blinzelnd öffnete sie die Augen. Und begegnete Tys mörderischem Blick.

Aber diesmal war sie vorbereitet. Diesmal ärgerte sie sich über sein unfaires Verhalten. Anstatt zusammenzuzucken, starrte sie genauso wütend zurück. Mit Befriedigung nahm sie wahr, wie er erstaunt die Augen aufriss. Ein Dutzend beißender Kommentare lagen ihr auf der Zunge. Sie verkniff sie sich. Es reichte, wenn er wusste, dass sie sich nicht einschüchtern ließ. Bei einem Wortgefecht würden sie sich nur gegenseitig wehtun, und am Ende würde sie sich schuldig fühlen, weil sie ihn verletzt hatte.