Tiefgänger - Gordon MacDonald - E-Book

Tiefgänger E-Book

Gordon Macdonald

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Beschreibung

Gordon MacDonald stattet seiner fiktiven Gemeinde aus "Ich will meine Gemeinde zurück" einen neuen Besuch ab - und geht an ihrem Beispiel der Frage nach: Wie kann man neue Leiter - sogenannte Tiefgänger - fördern und damit die Zukunft der Kirche gewährleisten? Die "große Idee": Eine spezielle Gruppe für Menschen mit Potenzial soll ins Leben gerufen werden. Ein geistliches Buch, verpackt in Romanform, das inspiriert, bewegt und die Sehnsucht nach etwas ganz Neuem weckt.

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SCM R.Brockhaus ist ein Imprint der SCM Verlagsgruppe, die zur Stiftung Christliche Medien gehört, einer gemeinnützigen Stiftung, die sich für die Förderung und Verbreitung christlicher Bücher, Zeitschriften, Filme und Musik einsetzt.

ISBN 978-3-417-22921-9 (E-Book)ISBN 978-3-417-26647-4 (lieferbare Buchausgabe)

Datenkonvertierung E-Book: Beate Simson, Pfaffenhofen a. d. Roth

2. Auflage 2018 © der deutschen Ausgabe 2011 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Max-Eyth-Straße 41 · 71088 Holzgerlingen Internet: www.scm-brockhaus.de; E-Mail: [email protected]

Originally published in English under the title: Going Deep© 2011 Gordon MacDonald Published by arrangement with Thomas Nelson, a division of HarperCollins Christian Publishing, Inc.

Die Bibelverse sind folgenden Ausgaben entnommen: Neues Leben. Die Bibel, © der deutschen Ausgabe 2002 und 2006 SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen. (NLB) Elberfelder Bibel 2006, © 2006 by SCM R.Brockhaus in der SCM Verlagsgruppe GmbH Witten/Holzgerlingen. (ELB) Lutherbibel, revidierter Text 1984, durchgesehene Ausgabe, © 1999 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (LUT) Gute Nachricht Bibel, revidierte Fassung, durchgesehene Ausgabe, © 2000 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart. (GNB)

Umschlaggestaltung: Grafikbüro Sonnhüter, www.sonnhueter.comTitelbild: Rawpixel.com, Miloje, Andrey_Popov, Kamenetskiy Konstantin (shutterstock.com) Satz: Typoscript GmbH, Walddorfhäslach

 
»Was wir heute am nötigsten brauchen, sind nicht mehr intelligente und begabte Leute, sondern Tiefgänger.«

Richard Foster

 
Mitarbeiter [Tiefgänger] sind keine angefertigte Großhandelsware. Sie entstehen einzeln, weil sich einer die Mühe gemacht hat, einen jüngeren zur Disziplin zu führen, zu unterweisen und aufzuklären, zu nähren und auszubilden.1

Oswald Sanders

 

INHALTSVERZEICHNIS

ÜBER DEN AUTOR

VORWORT

6. JULI Der erste Sommer

6.–8. JULI Der erste Sommer

9. JULI Der erste Sommer

13. JULI Der erste Sommer

15. JULI – 15. AUGUST Der erste Sommer

4. SEPTEMBER Der erste Sommer

6. SEPTEMBER Der erste Sommer

7. SEPTEMBER Mittagessen. Der erste Sommer

7. SEPTEMBER Mittagessen Teil II. Der erste Sommer

7. SEPTEMBER Nachmittags. Der erste Sommer

7. SEPTEMBER Abends. Der erste Sommer

8. SEPTEMBER Frühmorgens. Der erste Sommer

10. SEPTEMBER Morgens. Der erste Sommer

10. SEPTEMBER Abends. Der erste Sommer

16. SEPTEMBER Der erste Sommer

5. OKTOBER Früher Abend. Der erste Herbst

5. OKTOBER Später Abend. Der erste Herbst

13. OKTOBER Später Vormittag. Der erste Herbst

13. OKTOBER Fast Mittag. Der erste Herbst

13. OKTOBER Früher Nachmittag. Der erste Herbst

14. OKTOBER Morgens. Der erste Herbst

14. OKTOBER Später Vormittag. Der erste Herbst

14. OKTOBER Abendessen. Der erste Herbst

14. OKTOBER Mitternacht. Erster Herbst

4. NOVEMBER Abends. Der erste Herbst

5.–18. NOVEMBER Der erste Herbst

18. NOVEMBER Früher Abend. Der erste Herbst

19. NOVEMBER Später Abend. Der erste Herbst

22. NOVEMBER Der erste Herbst

JANUAR UND FEBRUAR Der erste Winter

MITTE FEBRUAR Der erste Winter

15. FEBRUAR Der erste Winter

13. MÄRZ Der erste Winter

3. APRIL Sonntag, 9-Uhr-Gottesdienst. Der erste Frühling

3. APRIL Sonntagmorgen, 9:38:35. Der erste Frühling

5. APRIL Der erste Frühling

6. APRIL Der erste Frühling

7.–20. APRIL Der erste Frühling

2. MAI Vormittags. Der erste Frühling

2. MAI Später Abend. Der erste Frühling

2. MAI Sehr später Abend. Der erste Frühling

6.–20. MAI Der erste Frühling

16. MAI Der erste Frühling

3. JUNI Der erste Frühling

4. JUNI Morgens. Der erste Frühling

4. JUNI Nachmittags. Der erste Frühling

JUNI – AUGUST Der zweite Sommer

10. AUGUST Der zweite Sommer

23. AUGUST Der zweite Sommer

12. SEPTEMBER Vormittags. Der zweite Sommer

12. SEPTEMBER Früher Abend. Der zweite Sommer

12. SEPTEMBER Mitten am Abend. Der zweite Sommer

19. SEPTEMBER Der zweite Sommer

SEPTEMBER, OKTOBER UND NOVEMBER Der zweite Herbst

7. NOVEMBER Der zweite Herbst

8. NOVEMBER Der zweite Herbst

10. NOVEMBER Der zweite Herbst

11. NOVEMBER Der zweite Herbst

15. NOVEMBER Der zweite Herbst

28. NOVEMBER Der zweite Herbst

1. DEZEMBER Der zweite Herbst

5. DEZEMBER Der zweite Herbst

12. DEZEMBER Der zweite Herbst

26. DEZEMBER Der zweite Winter

2. JANUAR Der zweite Winter

9. JANUAR Der zweite Winter

JANUAR UND FEBRUAR Der zweite Winter

1. MÄRZ Der zweite Winter

5. MÄRZ Der zweite Winter

12. MÄRZ Der zweite Winter

19. MAI Der zweite Frühling

4. JUNI Der zweite Sommer

11. JUNI Der zweite Frühling

BIBLIOGRAFIE

DANKSAGUNG

ANMERKUNGEN

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ÜBER DEN AUTOR

Gordon MacDonald ist seit fünfzig Jahren Pastor und Autor. Er ist Kanzler des Denver Seminary, schreibt für das Leadership Journal und spricht weltweit auf Konferenzen. Auch in Deutschland sind viele seiner Bücher zu Bestsellern geworden. Er veröffentlicht regelmäßig in der Zeitschrift AufAtmen.

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VORWORT

VORVIELEN JAHRENWARICHEINGELADEN, INDER CADET CHAPELZUPREDIGEN. Sie gehört zur Militärakademie in West Point, New York. Ich habe keine Ahnung, ob mein Besuch an jenem Wochenende bei irgendjemandem etwas bewegt hat. Mein Leben jedenfalls hat er ungeheuer verändert.

Ich traf dort junge Frauen und Männer, die sich mit Würde und Professionalität zu präsentieren wussten. Offiziere in spe, die wissbegierig, nachdenklich und hochkonzentriert waren. Als angehende Führungskräfte wurden sie darauf vorbereitet, in der ganzen Welt eingesetzt zu werden. Sie sollten ihre Umgebung positiv beeinflussen.

Der Leitsatz der Militärakademie lautet: »Unser Ziel ist es, den Kadettenkorps so auszubilden, zu lehren und zu inspirieren, dass jeder Absolvent sich als integrer Leiter den Werten Pflicht, Ehre und Vaterland verschreibt und auf eine Karriere als Offizier in der Armee der Vereinigten Staaten vorbereitet wird, die von Professionalität, Exzellenz und Einsatz für das Land gekennzeichnet ist.«

Mein Besuch in West Point weckte in mir eine drängende Frage: Was wäre, wenn die Gemeinde, in der ich angestellt bin, ein von diesem Auftrag inspiriertes Leiterschaftstraining zu ihrer Priorität machte?

Einige theologische Seminare, Colleges und auch manche Gemeinden haben genau diese Absicht. Das rechne ich ihnen hoch an. Nichtsdestotrotz scheinen Christen im Allgemeinen – zumindest auf Gemeindeebene – Mühe damit zu haben, Männer und Frauen so zu fördern, dass sie dem biblischen Standard geistlicher Reife entsprechen und die dann noch andere inspirieren, Jesus treu nachzufolgen.

Auf der ganzen Welt verändert sich die christliche Bewegung momentan so sehr, dass man diese Veränderungen möglicherweise eines Tages mit denen zu Martin Luthers oder John und Charles Wesleys Zeiten vergleichen wird. Ich glaube, es ist nicht übertrieben zu behaupten, dass wir heute noch kaum erahnen können, wie die Kirche in zwanzig Jahren ihren Auftrag umsetzen wird, weil es so ganz anders sein wird als unsere heutigen Vorstellungen.

Höchstwahrscheinlich müssen wir Christen uns – zumindest im Westen – in den nächsten zwei Jahrzehnten auf Zeiten einstellen, die wir vorher so noch nie erlebt haben: Es kann zu Verfolgung, öffentlichem Widerstand gegen Glaubensüberzeugungen und Druck durch staatliche Regulierung kommen.

Wir ahnen, wie die Technik die Art und Weise verändert, wie jüngere Generationen denken und Beziehungen pflegen. Wir können nur spekulieren, welchen Effekt die Globalisierung und der verstärkte Einfluss von Ländern wie China, Indien und anderen haben wird. Wir leben schon jetzt in den Turbulenzen einer Welt, die mit scheinbar unüberwindbaren Problemen zu kämpfen hat: Staatsschulden, Klimawandel, Energiewende und einer jungen, arbeitslosen, sehr wütenden Bevölkerung, die sich bemerkbar macht.

Falls ich hier zu düster klinge, möchte ich kurz an die Unterrichtsstunde erinnern, die Jesus vor seinen Jüngern hielt, kurz bevor er ans Kreuz ging. Er zeichnete eine Welt, die, unserer nicht unähnlich, dabei war, auseinanderzufallen. Und er schien sagen zu wollen: »Die gute Nachricht ist, Leute, dass ihr mitten in diesem Chaos eine neue Bewegung starten werdet. Also seid weise, wachsam, voller Glauben und legt los.«

Mit Blick auf die kommenden stürmischen Zeiten verbrachte Jesus die meiste Zeit damit, ein kleine Gruppe von Männern zu fördern, deren Botschaft an die Welt sich wie ein Virus verbreiten sollte. Hätte Jesus die heute übliche Gemeindestrategie verfolgt, hätte er die ganze Zeit gepredigt. Aber abgesehen von einigen öffentlichen Auftritten hier und da entschied sich Jesus, einzelne Leute auszubilden. Zunächst schien er mit seinen handverlesenen Männern nichts zu erreichen. Und dann schoss ihr Reifegrad eines Tages nach oben.

Die Moral von der Geschichte? Gute Ausbildung führt zu exponentiellen Ergebnissen. Viele, viele Monate beobachteten die Jünger ihren Herrn, hörten ihm zu, eiferten ihm nach – mit wenig Erfolg. Dann, über Nacht, schien es Klick zu machen. Die Botschaft, das Evangelium, die zentralen Aussagen von Jesus, die Kraft des Heiligen Geistes, all das erreichte ihre Seele schließlich, und sie verwandelten sich in kraftvolle Apostel.

In diesem Buch will ich den Gedanken erläutern, dass es bei Leiterschaft (ein Wort, das uns alle bezaubert), zuerst um Charakter geht und dann um eine disziplinierte Ausstrahlung und um Kompetenz. Mit anderen Worten: Es geht darum, die geistlichen Teile einer Persönlichkeit so neu zu formen, wie Jesus es tat, damit sich von innen heraus eine wirkungsvolle, aber demütige Art von Leiterschaft entwickelt.

So scheint es beispielsweise auch bei Mose gewesen zu sein. Wenn Leidenschaft, Ausbildung und ein gutes Netzwerk alles wären, was eine Führungsperson braucht, dann hätte Mose mit vierzig Jahren alles vorzuweisen gehabt. Doch bei der ersten Herausforderung versagte er kläglich.

Erst vierzig Jahre später, nach Jahren der Charakterbildung in der Wüste, war Mose ein neuer Mann. Er führte jetzt weniger durch seine Kompetenz, sondern mehr mit seinem Charakter. Wir können zusehen, wie er den ägyptischen Pharao in die Knie zwang, eine Meute ehemaliger Sklaven aus Ägypten führte und sie mit dem Gott Abrahams bekannt machte. Das war ein anderer Mann als der mit vierzig.

Inwiefern ist der achtzigjährige Mose anders? Er ist nun ein Tiefgänger. Gott hat ihn durch direkte Begegnungen, durch schwierige Umstände (Demütigung, Versagen) und durch kluge Mentoren bewusst herangezogen. Zwei wichtige Begriffe habe ich gerade benutzt: Tiefgänger und herangezogen. In diesem Buch werden sie wieder und wieder auftauchen. Um sie dreht sich dieses Buch.

Zugegeben, es ist ein großer Schritt von Mose in unsere heutige Zeit. Aber man kann sich die Frage stellen, ob die gegenwärtige christliche Bewegung, wie wir sie kennen, Führungspersönlichkeiten vom Kaliber eines Mose hervorbringen kann.

Wir glauben zu wissen, wie wir entkirchlichte Menschen in unsere Gebäude holen können und ihnen mit unseren Veranstaltungen eine Freude machen. Vielleicht wissen wir sogar, wie wir Leute vom Glauben überzeugen können. Aber manche befürchten, dass wir keine Ahnung haben, wie wir sie in die Tiefe führen sollen. Keinesfalls ziehen wir so viele Tiefgänger heran, wie für die Herausforderungen unserer Zeit gebraucht würden. Das Ergebnis: Geistliche Leiterschaft wird immer seltener. Ohne eine große Anzahl von Tiefgängern – geistlichen Leitern – wird sich die Kirche von Morgen aber in Belanglosigkeit verlieren.

Darum will ich diese Frage aufwerfen: Was wäre, wenn eine Gemeinde die Entwicklung von Tiefgängern zu ihrer höchsten Priorität machte? Und ich will noch einen Schritt weitergehen: Was wäre, wenn eine Gemeinde sich entscheidet, dass die wichtigste Aufgabe ihres Pastors darin besteht, für einen stetigen Nachschub an Tiefgängern zu sorgen? Wenn Sie dieses Buch nicht nur grob überfliegen, sollten Sie an dieser Stelle nicht weiterlesen, bevor Sie nicht über die Bedeutung dieser zwei Fragen nachgedacht haben.

Bei Tiefgängern denke ich übrigens nicht an bezahlte Mitarbeiter oder diejenigen Mitglieder des Leitungsgremiums, die nur ihres Geldes wegen gewählt werden oder weil sie erfolgreiche Geschäftsleute sind. Ich rede hier von einer größeren Gruppe von Menschen: von denjenigen, die das Herz einer Gemeinde bilden; den geistlich reifen Personen, deren Einfluss in Summe die Kultur einer Gemeinde bestimmt.

Wie könnten die Tiefgänger einer Gemeinde im einundzwanzigsten Jahrhundert aussehen? Hier ein paar Beispiele:

• Manche leben ein ruhiges, aber bemerkenswertes Leben voller Hingabe an Jesus. Man ist gerne mit ihnen zusammen, weil sie Eigenschaften wie Gnade, Friede, Freude, Weisheit, Ermutigung und bedingungslose Liebe ausstrahlen. Sie motivieren andere, stärker aus dem Glauben heraus zu leben.

• Manche können Menschen zusammenbringen und mit ihnen ungewöhnliche Visionen in Gottes Sinne verfolgen.

• Manche haben die Gabe zu beten, sich um andere zu kümmern und sie bei Problemen zu unterstützen.

• Manche sind begabte Mentoren und führen andere – von Kindern bis Senioren – zur geistlichen Reife.

• Manche Tiefgänger haben möglicherweise eine apostolische (missionale) Berufung und helfen der Gemeinde, ihre evangelistischen und diakonischen Aufgaben in ihrer Umgebung oder auch in anderen Teilen der Welt umzusetzen.

• Und manche helfen einfach liebend gern anderen Menschen.

Bestünde eine Gemeinde aus einer ansehnlichen Anzahl von Menschen mit diesen Stärken, hätte sie mit Sicherheit eine große Ausstrahlung.

Um zu zeigen, wie eine Gemeinde Tiefgänger heranziehen kann, will ich die Geschichte einer Gemeinde in Neuengland weiterführen, die ich in meinem Buch »Ich will meine Gemeinde zurück« erzählt habe.

Im ersten Buch waren die generationenübergreifenden Unterschiede das Schlüsselthema. Meine Rolle in dieser Geschichte bestand darin, als Pastor Menschen, die keinerlei Berührungspunkte haben, zusammenzubringen, damit sie gemeinsam Jesus dienen.

In diesem Nachfolgeband geht es um eine andere Herausforderung: Wie wir neue Generationen tiefgehender Menschen hervorbringen, die einflussreiche Positionen in ihrer Gemeinde und darüber hinaus so ausfüllen, dass sie den veränderten Realitäten unserer Zeit gerecht werden.

Wie schon im ersten Band gibt es nur zwei Charaktere, die wirklich existieren. Der erste bin ich, der leitende Pastor dieser erfundenen Gemeinde. Ihre Mitglieder nennen mich Pastor MacDonald oder Pastor Mac oder GMAC (wie ich üblicherweise meine Korrespondenz unterzeichne) oder einfach Gordon (was ich bevorzuge).

Die zweite wirkliche Person ist Gail, mit der ich seit fünfzig Jahren verheiratet bin. Die meisten nennen sie Mrs. Mac oder einfach Gail. Wenn wir allein sind (im echten Leben oder im Buch), nenne ich sie Baby oder gebe ihr andere Kosenamen, die sie zwar mag, aber lieber nicht preisgeben möchte. Ich finde es aus mehreren Gründen schön, dass es Gail in dieser erfundenen Gemeinde gibt. Einer ist, dass ich ihr als Autor Worte in den Mund legen darf. Aber es sind immer Worte, die typisch sind für diese Frau, die ich kenne, zutiefst wertschätze und seit all diesen Jahren liebe.

Wie wir in diesem Buch reden und zusammenarbeiten, spiegelt die Art und Weise wider, wie wir es seit vielen Jahrzehnten tun. Wer sich je gefragt hat, wie das Privatleben eines Pastors und seiner Frau aussieht, bekommt hier ebenfalls kleine Einblicke. Wir sind ziemlich normal.

Alle anderen Charaktere in diesem Buch sind, wie auch die Gemeinde, frei erfunden. Es war eine eigenartige Erfahrung, Charaktere zu erdenken und dann zu erleben, wie sie in meinem Kopf ein Eigenleben führen. Beim Schreiben kam es mir manchmal so vor, als sei ich nur der Stenograf dieser Gruppe, der notiert, was sie sagen, und interpretiert, was es bedeutet.

Ich will meine Gemeinde zurück war die Geschichte einiger Menschen, die eine so genannte Entdeckergruppe gründeten. Ihr Ziel war, den Veränderungen in der Welt und der Gemeinde zu begegnen. In Tiefgänger tauchen einige der Mitglieder dieser Entdeckergruppe wieder auf und man erfährt, wie ihre Geschichte weitergeht.

Ein Autor kann seine bisherigen Lebenserfahrungen natürlich nicht ausblenden und einige Eigenheiten von Menschen, die ich kenne, fließen in diese Geschichte ein. Aber es sei hier gesagt: Der Leser verschwendet seine Zeit, wenn er versucht, in den Charakteren dieses Buches reale Menschen zu entdecken, die ich kenne.

Wichtig ist mir jedoch: Die Gemeinde aus dieser Geschichte, die Stadt, in der sie spielt, und die Menschen, aus der die Gemeinde besteht, finden sich nahezu überall. Und was sie sich entscheiden zu tun, lässt sich überall umsetzen.

Noch ein Hinweis: Am Anfang jedes Kapitels steht ein Datum und eine Jahreszeit. Diese Geschichte umfasst einen Zeitraum von zwei Jahren.

Und nun die Einladung, mitzukommen und diesen Menschen in Neuengland zuzusehen, wie die große Idee in ihren Herzen wurzelt, wie sie sich ihr verschreiben und schließlich umsetzen.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

6. JULI

Der erste Sommer

An: Hank Soriano Von: GMAC Betreff: Re: Baseball
Hallo Hank,

Gail und ich hatten gestern viel Spaß beim Spiel. Vor allem habe ich die Zeit mit dir und Cynthia genossen. Vielen Dank für das Essen, das Spiel und unsere Gespräche. Ich habe über deine Frage nachgedacht. Hier ist ein erster Entwurf meiner Antwort. In zwölf Etagen müsste man sie gelesen haben.

DIE IDEEENTSTANDAM ABENDDES 6. JULIBEIEINEM BASEBALLSPIEL im Fenway Park-Stadion in Boston. Unsere Nachbarn Hank und Cynthia Soriano hatten Gail und mich eingeladen. Hanks Firma – er ist leitender Projektmanager – hat Dauerkarten, direkt hinter der Spielerbank der Red Sox, und an diesem Abend waren wir in den Genuss der Großzügigkeit seines Chefs gekommen. Das Spiel war zu zwei Dritteln vorbei und die Frauen unterhielten sich. Hank und ich hatten (typisch Mann) ein paar Minuten lang schweigend das Spiel verfolgt. Da stellte er plötzlich diese Frage: »Gordon, wie lautet eigentlich die Fahrstuhlstory deiner Gemeinde?«

Ich sollte erwähnen, dass Hank Soriano seit seiner Kindheit nicht mehr in der Kirche war, mal abgesehen von Hochzeiten und Beerdigungen. Cynthia hatte gelegentlich den Gottesdienst besucht, war aber nicht mehr gekommen, seit sie vor sechs Jahren Hank geheiratet hatte. Für beide ist es die zweite Ehe.

Wenn Hank und Cynthia das sind, was man »entkirchlicht« nennt, dann sind Gail und ich das genaue Gegenteil: »gekirchlicht« vom Scheitel bis zur Sohle. Ich war 44 Jahre lang Pastor und davor Pastorensohn. Trotz des gegensätzlichen Gemeindeengagements sind die Sorianos und die MacDonalds gute Freunde. Beweis gefällig? Um einen Vers aus der Bibel abzuwandeln: Niemand hat größere Liebe als der, der seinen Freunden Karten für ein Spiel der Red Sox besorgt. Hank und Cynthia kennen eine Menge Leute, aber wenn es um ein Spiel im Fenway Park-Stadion geht, sind wir die Glücklichen.

Keinen Bezug zur Gemeinde zu haben, hat Hank Soriano nie davon abgehalten, nach meiner Arbeit zu fragen. Er ist immer daran interessiert, wie verschiedene Organisationen funktionieren, und dazu gehören auch Kirchen. Mehr noch möchte er wissen, wie sie geführt werden. Wenn wir zusammen sind, ist es also nicht ungewöhnlich, dass er mir eine unorthodoxe Frage zu meinen aktuellen Projekten stellt. Ich sollte noch anmerken, dass er Antworten im Geschäftsjargon bevorzugt.

Im Grunde bin ich für meinen Nachbarn Hank kein Pastor oder Priester, sondern eher so etwas wie ein Geschäftsführer. Eines Tages fragte er zum Beispiel, wie mein Vergütungspaket angelegt sei. Beinhaltete mein Arbeitsvertrag (er setzte voraus, dass ich einen hatte) den Anspruch auf einen bestimmten Prozentsatz der Kollekte? Hank hielt das nicht für undenkbar. »Ich hab gehört«, sagte er, »die Gemeinde wächst unter deiner Führung. Der Umsatz muss demnach auch wachsen – du hättest doch Anrecht auf ein größeres Stück vom Kuchen. Verstehst du, was ich meine?« Als ich in der nächsten Sitzung des Aufsichtsrates (wir nennen ihn bei uns Ältestenkreis) von Hanks Bemerkung erzählte, fanden sie sie lustig – und gingen sofort zu einem anderen Thema über.

Im Stadion traf mich also eine weitere von Hanks schrägen Fragen. Diesmal ging es um die Fahrstuhlstory meiner Gemeinde. Ehrlich gesagt hatte ich bislang keinen Schimmer gehabt, dass es so etwas gibt.

Ich war kurz still und gestand Hank dann verlegen, dass ich ihm unsere Fahrstuhlstory nicht erzählen konnte, weil ich offen gestanden nicht einmal wisse, was eine Fahrstuhlstory sei.

Das ließ Hank Soriano zu Höchstformen auflaufen. Baseball war in dieser Sekunde vergessen.

»Du hast wirklich keine Ahnung, was eine Fahrstuhl…« Weiter kam Hank nicht. Er stockte und begann von vorn. Er ergriff die Gelegenheit zu einer kurzen Unterrichtsstunde, wenn sie sich ihm bot.

»Sagen wir, du und noch jemand, ihr steigt im Erdgeschoss in den Aufzug im ›Pru‹.« Hank meinte das Prudential Center in Boston, ein paar Blocks entfernt. »Ihr wollt beide in den dreißigsten Stock. Alles klar so weit?«

Ich nickte. So weit.

»Während sich die Türen schließen, bemerkt der andere den Firmenanstecker an deinem Revers und fragt: ›Was macht denn Ihre Firma?‹ Verstehst du?«

Ich nickte erneut zustimmend. Manchmal beansprucht Hank die Geduld seiner Zuhörer mit Füllphrasen wie »Alles klar?« oder »Verstehst du, was ich meine?« Es ist eine verbale Marotte, Teil seines Bostoner Akzents, die einen wahnsinnig macht, wenn man ungeduldig veranlagt ist.

Hank fuhr fort: »Und hier kommt die Fahrstuhlstory ins Spiel. Du hast bis zur dreißigsten Etage Zeit, diesem Typen genau zu erklären, was deine Firma macht.« Und unter breitem Soriano-Grinsen fügte er mit einem Anflug dramatischer Spannung hinzu: »Angenommen, nur mal angenommen, deine Geschichte ist begeisternd genug, dann zieht dieser Typ seine Karte aus der Tasche und schlägt vor, sich zusammenzusetzen und über einen Zwanzig-Millionen-Dollar-Deal zu reden. Zwanzig Millionen Dollar! Verstehst du?«

Ich versicherte Hank, dass ich verstanden hatte.

»Also dann.« Hank lehnte sich zurück und verschränkte die Arme, als wäre er zufrieden, mich ausgiebig instruiert zu haben. »Was ist die Story deiner Gemeinde? Begeistere mich in dreißig Etagen. Stell dir vor, es geht um zwanzig Mille.«

Man muss sich einmal in meine Lage versetzen. Ich sitze im ausverkauften Fenway Park-Stadion. Es ist Gleichstand. Die Red Sox sind am Schlag, und die Fanchöre grölen im Stadion als allabendliches Ritual »Sweet Caroline (oh, oh, oh)«. Und aus heiterem Himmel will mein Nachbar, der mich mit zum Spiel genommen hat, von der Fahrstuhlstory meiner Gemeinde begeistert werden. Dabei darf ich kurz daran erinnern, dass ich noch eine Minute zuvor keinen blassen Schimmer hatte, was eine Fahrstuhlstory überhaupt ist. Verstehen Sie, was ich meine?

Als Erstes schoss mir eine dogmatische Abhandlung über das Wesen der Kirche durch den Kopf, die ich vor Jahren einmal für einen Kurs am Seminar geschrieben hatte. Aber es ist wohl kaum ein begeisterndes Werk, besonders nicht für jemand Entkirchlichten wie Hank. Außerdem wären mindestens sechshundert Etagen nötig, um es runterzurasseln, aber Hanks Aufzug fuhr nur dreißig Stockwerke nach oben. Mir kam auch der Leitsatz unserer Gemeinde in den Sinn, der aus vierzehn Worten besteht: »Menschen auf Jesus Christus und seine Einladung zu einem erfüllten und sinnvollen Leben hinweisen«. Aber Hank hätte auch das wohl kaum vom Hocker gerissen.

Seine eigentliche Frage war: Was ist an deiner Gemeinde für irgendjemanden (vielleicht sogar deinen Nachbarn Hank Soriano) anziehend?

Ich wich der Frage schließlich aus und bat um ein oder zwei Tage Aufschub. Dieser Abend im Stadion war nicht gerade meine Glanzstunde als »Geschäftsführer« unserer Gemeinde.

[ Zum Inhaltsverzeichnis ]

6.–8. JULI

Der erste Sommer

An: Tom O’Donnell Von: GMAC Betreff: Fahrstuhlstory
Hallo Tom,

ich habe eine kurze Frage. Was ist eine Fahrstuhlstory?

An: GMAC Von: Tom O’Donnell Betreff: Re: Fahrstuhlstory
Hallo Pastor Mac,

wo hast du das denn in der Bibel gefunden? Ich dachte Fahrstuhlstorys wären nur was für Businesstypen. Eine Fahrstuhlstory nennt man die kurze Beschreibung einer Organisation, ihrer Produkte oder Dienstleistungen und ihrer Strategien. Manche Unternehmen machen sich verrückt damit, eine zu formulieren, der alle zustimmen können.

INDENNÄCHSTEN TAGENDACHTEICHDARÜBERNACH, wie die Fahrstuhlstory unserer Gemeinde klingen könnte. Mehrmals setzte ich mich mit meinem Laptop hin und versuchte, eine zu formulieren. Aber wenn ich Gail meine Entwürfe vorlas, reagierte sie entschieden unbegeistert. Ich musste feststellen, dass Tom O’Donnell recht hatte: Fahrstuhlstorys für dreißig Etagen sind kein Pappenstiel.

Wild entschlossen, diese Geschichte zu Ende zu bringen, und sei es aus keinem besseren Grund, als mich vor Hank Soriano reinzuwaschen, erzwang ich eine Story, der Gail zögerlich zustimmte. Ich erinnere mich, wie sie so etwas sagte wie: »Die ist vermutlich okay. Aber gib die zwanzig Millionen nicht aus, bis du sie bar auf der Hand hast.«

Die Fahrstuhlstory unserer Gemeinde

Unsere 175 Jahre alte Gemeinde besteht aus Menschen, die sich seit Generationen gemeinsam für Jesus Christus einsetzen. Nach seinem Vorbild beten wir Gott regelmäßig an. Wir studieren sein Leben und das Leben derer, die ihm nachgefolgt sind. So gut wir können, wollen wir in unserer Stadt seiner Art zu leben nacheifern. Wir glauben, dass Gottes zentrale Botschaft Liebe ist, und wir bemühen uns, dass unsere Beziehungen (Gott, Ehe, Familie, Freundschaften, Fremde, sogar Feinde) das widerspiegeln, was er lehrte und tat. Und schlussendlich nehmen wir uns ein Beispiel an seiner tiefen Barmherzigkeit, die er Menschen entgegenbrachte, die geistlich und körperlich am Ende waren, und bemühen uns, seinen Auftrag weiterzuführen, indem wir weltweit anderen dienen, wenn wir von ihren Nöten erfahren.

Als meine letzte Version fertig war, kam meine Fantasie in Gang. Was, wenn meine Fahrstuhlstory uns trotz Gails fehlender Zuversicht irgendeine Art von Zwanzig-Millionen-Scheck einbrachte? Wie sähe dieser Scheck aus? In diesem Fall war die Antwort klar: Hank und Cynthia Soriano würden unsere Gemeinde besuchen, sich entscheiden, Jesus nachzufolgen und dazuzugehören. Kein Zweifel, das wäre die genaue Entsprechung des Zwanzig-Millionen-Dollar-Deals.

Schließlich hängte ich meine Fahrstuhlstory an die E-Mail an, die ich geschrieben hatte, um Hank und Cynthia zu danken, dass sie Gail und mich zum Spiel mitgenommen hatten, und wartete auf Antwort.

Ich gebe zu, dass der Träumer in mir eine nahezu sofortige Nachricht erhoffte, die ungefähr so lauten würde: Hi GMAC, habe deine FS gelesen. Wusste gar nicht, dass Gemeinde so spannend klingen kann. Bin begeistert. Wie schnell können Cynthia und ich beitreten?

Diese Nachricht blieb aus.

Aber es passierte etwas, das ich nie erwartet hätte. Es geschah am nächsten Tag bei einem Gespräch, das Hank und ich führten, als wir uns unerwartet am Briefkasten trafen, wo wir unsere Zeitungen holen wollten.

»Hi Gordon, ich habe deine Fahrstuhlstory ein paar Mal gelesen«, sagte Hank. »Nicht schlecht. Hab nie eine vergleichbare gesehen, ziemlich religiös. Aber vermutlich brauchen wir Organisationen wie eure, die in der Welt Gutes tun. Aber ich sag dir, sie ist so was von anders als mein Laden.«

Aus Gründen, die ich nie verstehe, nennt Hank seine Firma gern »Laden«.

»Also gut«, sagte ich, »jetzt weißt du also ein bisschen mehr von dem, was ich so treibe.«

»Ja, wohl wahr. Ich verstehe, warum du deinen Job magst.«

»Wie meinst du das denn?«

Und dann sagte Hank Soriano etwas, das – aus heutiger Perspektive – die letzten Jahre meines Pastorendienstes nachhaltig geprägt hat.

»Mac, ich bin im Marketing und Vertrieb. Meine wichtigste Aufgabe ist, Leute auszubilden, was ich absolut gerne mache. Ich hab deine Story gelesen und mir gesagt: Was er da schreibt, kann nie passieren, wenn nicht jemand unablässig Leute dafür ausbildet. Wenn du deine Story ernst meinst, muss deine wichtigste Aufgabe sein: ausbilden, ausbilden, ausbilden. Verstehst du, was ich meine?

Du magst der Präsident deines Ladens sein, aber du musst auch der Ausbildungsleiter werden. Und diese Kombination kommt dem besten Job der Welt ziemlich nahe: herausfinden, wer Potenzial hat, und diese Leute dafür ausbilden, deine Fahrstuhlstory umzusetzen. Verstehst du?« Hier wurde Hank fast sentimental. »Ein Job wie deiner würde mir auch Spaß machen.«

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9. JULI

Der erste Sommer

Aus meinem Tagebuch:

Spannendes Gespräch mit Soriano heute Morgen. Ihm gefiel meine Fahrstuhlstory tatsächlich. Zumindest hat er sie nicht auseinander genommen. Und er hatte den Weitblick zu erkennen, dass der Schlüssel für eine Gemeinde darin liegt, Leiter auszubilden. Er sagte etwas, das mich fasziniert hat: »Ausbilden, ausbilden, ausbilden – nur das bringt deine Story zum Erfolg.«

Heute Morgen frage ich mich, was Hank wohl denken würde, wenn ich ihm erzählen würde, wie schlecht wir darin sind, Leiter auszubilden. Die Wahrheit ist, dass wir zwar hier und da Seminare anbieten, aber nur als freiwilliges Angebot. Wir nehmen sie nicht besonders ernst. Soriano hat mich ins Nachdenken gebracht. Stimmt unsere Fahrstuhlstory? Was bedeutet »ausbilden, ausbilden, ausbilden«?

DIE FAHRSTUHLSTORYFÜR HANKZUSCHREIBEN, hat mich schließlich selbst mehr begeistert als ihn. Sie hat mich – und später auch andere – auf die Suche nach der »großen Idee« gebracht.

Ich will erklären, was ich meine.

In den Stunden, die ich in das Schreiben meiner Fahrstuhlstory investierte, habe ich mein Bestes gegeben, um jemandem ohne die leiseste Ahnung von Kirche zu erklären, was wir tun. Die Herausforderung bestand darin, eine Beschreibung zu finden, die der heiligen Natur dessen gerecht wurde, was wir manchmal den Leib Christi nennen – und das verständlich für jemanden, der nur im Geschäftsjargon dachte.

Bevor ich mich an den allerersten Entwurf setzte, versuchte ich die Vorstellung von Kirche auf den kleinsten Nenner herunterzubrechen. Was sagt die Bibel dazu? Ich glaube, ich wurde bei den Worten Jesu fündig: »Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen.«

Ich folgerte, dass diese Worte so etwas wie die DNA einer Gemeinde sind, das Fundament. Was es braucht, sind nur zwei oder mehr Leute, die sich in gemeinsamer Loyalität Jesus, dem Retter gegenüber, zusammenschließen. Das Ergebnis: Er ist in diesem Treffen gegenwärtig. Das ist alles, was es braucht, damit eine Gemeinde mehr oder weniger lang existiert: Christus ist hier!

Doch woran kann man erkennen, dass Jesus gegenwärtig ist? Hier ein paar Kennzeichen: Das Leben von Menschen beginnt sich zu verändern – das nennt man Bekehrung. Sie fangen an, zu lieben, sich um andere zu kümmern, sich an der Gegenwart der anderen zu erfreuen – das nennt man Gemeinschaft oder Einheit. Ein Geist voll Großzügigkeit erfüllt die Luft, jeder investiert seine Zeit, Kraft und sein Geld in die Versammlung – das nennt man Dienst. Kinder werden unterrichtet; Jugendliche haben Mentoren; Erwachsene jeden Alters finden Ermutigung; Senioren werden geschätzt, ihnen wird sogar zugehört – das nennt man Liebe.

Und dann? Möglicherweise wird ein apostolischer Geist in diesen Menschen entfacht, der nach außen strahlt, über die Gemeinde hinaus, hinein in die Welt. Andere können die erlösende Liebe von Jesus auf unterschiedlichste Arten erfahren. Dann ist die Gemeinde missionarisch.

Ich fand es inspirierend, mir diese Kette von Ereignissen vorzustellen, und ich fand es schön, mich daran zu erinnern, wie sehr ich die Gemeinde in all den Jahren immer dann geliebt habe, wenn ich sie so erlebt habe.

Ich habe die Freundschaften genossen, das, was wir zusammen unternommen haben und wie wir uns in schwierigen Zeiten unterstützt haben. Ich dachte an alle jene, die angefangen haben, an Jesus zu glauben und deren Leben spürbar umgestaltet wurde.

Ich habe mich gefragt, was die biblische Entsprechung einer Fahrstuhlstory wäre. Mir kam die Gemeinde in Ephesus in den Sinn. Über sie wissen wir mehr als über jede andere Gemeinde im Neuen Testament.

Wenn die Gemeinde in Ephesus eine Fahrstuhlstory hat, dann ist es der folgende Abschnitt – man braucht nur fünf Stockwerke, um ihn zu lesen:

Diese Geschichte verbreitete sich schnell in Ephesus unter Juden und Griechen. Ehrfurcht erfasste die Stadt, und der Name von Jesus, dem Herrn, wurde sehr geehrt. Viele Menschen fanden zum Glauben und bekannten ihre Sünden. Eine ganze Reihe unter ihnen, die Zauberei getrieben hatten, brachten ihre Bücher mit Zaubersprüchen und verbrannten sie. (…) So fand die Botschaft des Herrn weite Verbreitung und zeigte eindrucksvolle Auswirkungen.2

Das ist doch eine beeindruckende Geschichte! Aber blieb es dabei? Nur wenige Jahrzehnte später erging an diese Gemeinde mit den wilden Anfangsjahren das härteste Urteil, das denkbar ist. Ein prophetischer Engel sagte zu ihr: »Aber etwas habe ich an euch auszusetzen: Eure Liebe ist nicht mehr so wie am Anfang. Bedenkt, von welcher Höhe ihr herabgestürzt seid! Kehrt um und handelt wieder so wie zu Beginn! Wenn ihr euch nicht ändert, werde ich zu euch kommen und euren Leuchter von seinem Platz stoßen.«3

Es war, als sagte der Engel: »Leute, ihr seid nur eine Handbreit davon entfernt, das zu verlieren (verlieren!), was euch am Anfang am meisten ausgezeichnet hat. Ihr seid kurz davor, dass euch der Segen von Christus (euer Leuchter) entzogen wird. Denkt darüber nach – lange und ausführlich!«

Der Engel hätte noch hinzufügen können: »Und wenn erst der Leuchter weg ist, seid ihr keine Gemeinde mehr.«

Ich las diese Bibelverse, dachte einige Male darüber nach und fragte mich, wie dies hatte passieren können. Wie hatte die Gemeinde in Ephesus so viel Schwungkraft verlieren können?

Bedenkt, von welcher Höhe ihr herabgestürzt seid, hatte der Engel gesagt. Was ich als Fahrstuhlstory der Gemeinde in Ephesus bezeichnet habe, muss die Beschreibung ihrer Blütezeit gewesen sein, ihrer Hochzeiten. Auch wir in unserer Gemeinde waren gerade »weit oben« (in Anlehnung an das Wort des Engels). Wir hatten gelernt einander zu lieben und uns umeinander zu kümmern, mit Begeisterung anzubeten und hinaus in die Welt zu gehen und im Namen Jesu zu dienen. Wir waren – ja, genau jetzt! – auf der Höhe.

Aber wenn die Gemeinde in Ephesus ihre erste Liebe verloren hatte und von weit oben herabgestürzt war, wie lange würde es dauern, bis uns das passierte? Wann wäre unsere Fahrstuhlstory nicht mehr glaubhaft?

Diese düstere Frage nagte tagelang an mir.

Als ich ein paare Tage später morgens mit dem ersten Kaffee draußen in der Sonne auf der Terrasse saß, fühlte es sich einen Moment lang fast so an, als spräche der Himmel unmittelbar zu mir. Mir war, als hörte ich ihn sagen: Du musst um eine Idee bitten, die euch eurer Fahrstuhlstory treu bleiben lässt. Ihr dürft nicht geschehen lassen, was den Ephesern passiert ist.

Ich tat, wie der Himmel mir aufgetragen hatte. Ich betete. Jeden Tag zu Beginn meiner morgendlichen Gebetszeit. (Ich knie mich dafür gern in meinem Arbeitszimmer hin.) Ich betete einfach so, wie ich dachte, dass es mir aufgetragen war: »Herr, ich brauche eine Idee, die große Auswirkungen auf unsere Gemeinde hat, und am besten auch auf mich.«

Erst wenn ich heute zurückschaue, sehe ich, dass in dieser Zeit verschiedene Erkenntnisse zusammenkamen: In meinem Herzen hatte ich gespürt, dass der Himmel mich drängte: Du musst um eine Idee bitten. Und mit meinen Ohren hatte ich Hank Soriano, der in keiner Hinsicht ein Jesusnachfolger war, sagen hören: »Ausbilden, ausbilden, ausbilden.« Es war nur eine Frage der Zeit, bis ich verstehen würde – um noch einmal die Lieblingsphrase meines Nachbarn zu bemühen –, was Gott sagen wollte: dass die Idee sich darum drehte, Leiter von morgen auszubilden.

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13. JULI

Der erste Sommer

Genesungskarte an George Huntoon:
Lieber George,

es tut mir sehr leid zu hören, dass du im Krankenhaus liegst. Ich freue mich darauf, dich zu besuchen, um zu sehen, wie es dir geht und mit dir zu beten. Ich habe über eine Gruppe von Leuten nachgedacht, die Paulus als Hirten der Herde bezeichnet. Mir fiel auf, dass du schon seit langem einer dieser Menschen bist. Ich will nie aufhören, dir für deine Treue zu danken. Viele Menschen leben heute mit Jesus, weil du für sie da warst.

GMAC

INDENNÄCHSTEN TAGENSTELLTEICHMIRIMMERWIEDERDIE FRAGE: Was war in Ephesus schief gelaufen? Wie war es dazu gekommen, dass diese florierende Gemeinde das verloren hatte, was der Engel ihre erste Liebe nannte? Wodurch war diese faszinierende Fahrstuhlstory hohl geworden?

Ich glaube, ich fand die Antwort, als ich nachlas, was Paulus den Gemeindeleitern von Ephesus sagte, als er sie in der Hafenstadt Miletus traf. Er ging davon aus, dass er sie zum letzten Mal sah und gab ihnen einen väterlichen Rat: »Und nun seht euch vor! Achtet darauf, die Herde Gottes – seine Gemeinde, die er durch das Blut seines eigenen Sohnes erkauft hat –, zu hüten und zu betreuen, über die der Heilige Geist euch als Älteste eingesetzt hat. Ich weiß genau, dass sich nach meinem Weggang falsche Lehrer wie böse Wölfe unter euch mischen und die Herde nicht verschonen werden.«4

Drei Worte aus dieser eingängigen Metapher sprangen mir förmlich in die Augen: Hirten, Herde und Wölfe.

Hirten (jene im Zentrum der Gemeinde) waren für die Herde (die größere Gemeinde) verantwortlich. Ihre Aufgabenbeschreibung umfasste drei Punkte: Sie gaben die Richtung vor, in die sich die Herde bewegte. Sie kümmerten sich darum, dass die Tiere genug Futter und Erholung bekamen (man könnte auch sagen, dass sie gestärkt und auferbaut wurden). Und sie sorgten dauerhaft für Schutz vor Gefahren und Krankheiten.

Die Wölfe waren die Bösen. Wenn die Hirten ihren Job nicht ordentlich erledigten, tauchten sie unweigerlich auf und plünderten die Herde. Sie taten es mit Klatsch und Verleumdung, mit falscher Lehre und indem sie durch unehrliche Versprechen anfällige Menschen verführten.

Irgendwann müssen die Hirten von Ephesus den väterlichen Rat von Paulus vergessen haben. Eine nachfolgende Generation von Leitern muss ihre Aufgaben als Hirten falsch verstanden (oder verleugnet) haben. Und genau wie Paulus es vorhergesagt hatte, tauchten die Wölfe auf. Schon bald war die Fahrstuhlstory der Epheser nichts als eine schöne Erinnerung.

Als ich mir das Debakel in Ephesus vor Augen malte, tauchte eine Frage auf: Wie kann eine Gemeinde für einen ständigen Nachschub an Hirten sorgen, die die einzelnen Punkte der Fahrstuhlstory aufrechterhalten und die Wölfe daran hindern, Chaos zu verbreiten?

Ich schrieb in mein Tagebuch:

»Ich freue mich über die Fahrstuhlstory. Sie beschreibt genau, was Gott gerade in unserer Gemeinde tut. Das sind keine hohlen Worte, das ist nicht aufgeblasen. Wenn es die richtige Geschichte ist, wird sie andere begeistern.

Aber wie können wir sie bewahren? Das ist die nächste Frage.

Menschlich betrachtet gibt es dafür nur eine Möglichkeit: Leute, die den Hirten ähneln, die Paulus erwähnt, müssen dafür kämpfen, dass die Geschichte lebendig bleibt.

Aber wer sind diese Leute? Visionäre? Kommunikatoren? Organisatoren und Verwalter? Es ist sicherlich kein Fehler, Personen mit solchen Fähigkeiten dabei zu haben. Aber ich vermute, es geht noch um mehr. Um Menschen, Männer wie Frauen, die eine umfassende geistliche Qualität haben, die wichtiger ist als Fähigkeiten. Durch was zeichnet sich diese Qualität genau aus?

Herr, du hast mich herausgefordert, um eine Idee zu bitten. Ich bitte.«

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15. JULI – 15. AUGUST

Der erste Sommer

An: GMAC Von: Rich Fisher Betreff: Deine »Idee«

Ich will dir nur kurz mitteilen, dass Carly und ich für diese Idee gebetet haben, die du suchst. Lass mich doch bitte als Ersten wissen, wenn Gott redet.

ICHFINGAN, MITJEDEM, DERESHÖRENWOLLTE, über meine Gedanken zu einer guten Fahrstuhlstory zu sprechen. Gail zum Beispiel muss ich zu Tode gelangweilt haben mit meinen dauernden Spekulationen über Schafe und Hirten und Wölfe. Aber sollte sie es tatsächlich gewesen sein, hat sie es sich nie anmerken lassen. Wie schon all die Jahre zuvor hörte sie mir zu und stellte hilfreiche Fragen. Immer wieder schlug sie vor, gemeinsam über meiner neuen Leidenschaft zu beten und Gott um Durchblick zu bitten und wie wir weiter vorangehen sollten, damit auch andere ihre guten Gedanken einbringen konnten.

Ich lud kleine Gruppen von Ältesten und Leuten aus der Gemeindeleitung zum Frühstück ein und erzählte ihnen von meinem Anliegen. Alle hörten sehr offen zu und ermutigten mich weiterzudenken. Bald waren alle bestens mit den bedauernswerten Ephesern vertraut, die ihre erste Liebe verloren hatten.

Ich bemerkte, dass einer von ihnen, Rich Fisher, der Leiter unseres Vorstands, besser als jeder andere zu verstehen schien, was in mir vorging. Er nahm mich sehr ernst, als ich sagte, dass ich mich dazu gedrängt sah, zu beten und nach einer bahnbrechenden Idee zu suchen. Er versprach, die Last des Gebets mit mir zu teilen.

Rich und ich mailten und telefonierten regelmäßig, gaben uns Buchtipps und wiesen einander auf Bibelstellen hin, die davon handelten, wie Menschen zu Hirten werden und ins Zentrum der Gemeinde rücken. Weil Rich ein großer Eishockeyfan ist (besonders der Boston Bruins), überraschte es mich nicht, dass er in einem Gespräch den Eishockeystar Wayne Gretzky zitierte: »Ein guter Eishockeyspieler ist da, wo der Puck ist. Ein sehr guter Hockeyspieler ist da, wo der Puck sein wird.«

Mit diesem Zitat wollte Rich mich loben, dass ich über die Zukunft nachdachte, darüber, wo der Puck sein würde. »Lass die anderen sich um heute sorgen«, fügte er hinzu.

Ein anderes Mal schrieb Rich mir:

Die Welt durchläuft derzeit tief greifende Veränderungen, Gordon: Wie wir denken, wie wir kommunizieren, wie wir uns organisieren, wird völlig auf den Kopf gestellt. In meinem Beruf beobachte ich das jeden Tag. Unsere Gemeinde muss anfangen, neue Modelle und Formen zu entwickeln, um den christlichen Weg in dieser neuen Welt aufzuzeigen. In sieben Jahren werden wir eine völlig andere christliche Gemeinschaft sein als heute und wir werden Menschen im Zentrum brauchen, die spüren, wie Gott uns haben will. Hör nicht auf nachzudenken!

Damals ahnte ich noch nicht, welche Auswirkungen das haben würde, aber in einem unserer Telefonate fragte Rich, ob mir der Name General George Marshall etwas sagte. Er erzählte, dass er gerade seine Biografie lese und eine bestimmte Geschichte mich bestimmt begeistern würde. »Wenn wir uns das nächste Mal sehen, würde ich sie dir gern vorlesen«, sagte er.

Wenn ich auf jenen Sommer zurückblicke, als die Fragen nach der Zukunft unserer Gemeinde in meinem Herzen langsam Wurzeln schlugen, wird mir klar, dass alles mit einem Baseballspiel im Fenway Park-Stadion begann, als Hank Soriano die Fahrstuhlstory auf den Tisch brachte.

Soriano! Warum hatte Gott ihn gebraucht, um mich auf eine neue Spur zu setzen?

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4. SEPTEMBER

Der erste Sommer

Aus meinem Tagebuch:

Samstag. Sperrmülltag. Herbst liegt in der Luft. Schlecht geschlafen letzte Nacht. Gedanken rasen. Wilde Woche. Sitzungen, Sitzungen, Sitzungen: Mitarbeiter, Älteste, Vorstand. Möglicherweise habe ich etwas ins Rollen gebracht. Ich spüre die kommenden Veränderungen. Viele Gespräche über neue Ideen, manche neue Sichtweise. Ist die Gemeindeleitung auf dem Weg zu einem radikalen Kurswechsel? Wie betrifft mich das? Jetzt habe ich so viel über Flexibilität und Anpassung geredet, aber bin ich wirklich dazu bereit, wenn sich mein Leben dadurch ändern muss?

AUFDEM SCHILDAM RECYCLINGHOFSTEHT, DASSERZWEIMALINDER WOCHEGEÖFFNETHATTE: mittwochs von 16 bis 19 Uhr und samstags von 8 bis 17 Uhr. Die Zeiten muss man allerdings nicht ganz so genau nehmen, weil Nate, der Chef, das Tor an beiden Tagen normalerweise schon eine Stunde früher öffnet. Wer samstagmorgens besonders früh in den Tag starten will, ist dankbar dafür.

Gail und ich rollten an jenem Samstag in meinem in die Jahre gekommenen Tundra Pickup auf den Recyclinghof. Für die letzten beiden Augustwochen hatten wir uns das jährliche Ausmisten vorgenommen und an diesem Morgen war die Ladefläche voller Zeug, das wir nicht mehr brauchten. Wir waren ziemlich stolz auf uns. Wir wollten den Müll entsorgen, damit sich unsere Kinder nicht mehr darum kümmern mussten, falls uns einmal etwas zustoßen sollte.

Ich fuhr rückwärts zum Papiercontainer und warf alle Kartons, Prospekte und Schmierzettel hinein, die in dieser Woche angefallen waren. Gail verteilte währenddessen Metall, Plastik, Weiß-, Braun- und Grünglas auf die entsprechenden Container. Wir recyceln sorgfältig. Wir nennen uns gern »Schöpfungsbewahrer«.

Gail und ich hatten ausgemacht, dass wir uns anschließend auf der anderen Seite des Hofes treffen würden. Dort ist die so genannte Schatzkammer, wo Leute ihre Sachen stehen lassen, die sie nicht mehr brauchen. Wenn Eltern ihre Kinder bestechen wollen, mit zum Recyclinghof zu kommen und zu helfen, den Müll zu entsorgen, versprechen sie ihnen, zehn Minuten in die Schatzkammer gehen zu dürfen. Hier würden auch wir die Trophäen unseres Aufräumprojektes zurücklassen.

Als ich die letzte Kiste Altpapier entleerte, hörte ich eine Stimme hinter mir: »Hi Pastor Mac!« Als ich mich umdrehte, sah ich, dass Rich Fisher mir entgegenkam. Er war ebenfalls in aller Frühe zum Recyclinghof gekommen.

An dieser Stelle sind vielleicht an paar Details über Rich angebracht. Am Ende des Buches wird er Ihnen ein guter Bekannter sein.

Rich Fisher steht ziemlich weit oben in der Schulbehörde unserer Stadt. Er ist einer von vier stellvertretenden Direktoren der High School. Ursprünglich Geschichtslehrer, hat er noch einen Doktor in Schulverwaltung draufgesetzt und ist die Karriereleiter emporgestiegen. In der High School schätzt man ihn sehr.

Auch in unserer Gemeinde sind Rich und seine Frau Carly, eine Sonderpädagogin, sehr beliebt. Sie haben zwei Söhne. Jacob ist in der Mittel- und Caleb in der Oberstufe. Carly leitet die Tafel, die unsere Gemeinde organisiert. Und wie bereits erwähnt, ist Rich der Vorsitzende unseres Vorstands, einer Gruppe von Männern und Frauen, die die geschäftliche Seite unseres Gemeindelebens verantworten.

Ich freute mich sehr, Rich an diesem frühen Septembermorgen auf dem Recyclinghof zu treffen. Wir hatten uns schon einige Tage nicht gesprochen.

Als wir uns die Hand zur Begrüßung reichen wollten, stellten wir beide gleichzeitig fest, dass sie vom Müll dreckig waren und zogen sie zurück – und standen uns etwas unbeholfen gegenüber. »Nennen wir es einen virtuellen Handschlag«, sagte ich und unser Problem war gelöst.

Nachdem wir beide die obligatorische Wie-war-deine-Woche?-Frage beantwortet hatten, meinte Rich: »Unglaublich, dass wir uns heute früh hier treffen. Irgendeine Chance, dass wir nächste Woche mal gemeinsam frühstücken oder Mittag essen?«

»Gerne«, sagte ich. »Würde mich freuen. Vorstandsthemen – oder sollen wir lieber über die Gretzkysache sprechen?«

»Keine Vorstandsthemen diesmal. Ich wollte unser letztes Gespräch noch mal aufgreifen. Du weißt schon, die Idee. Ich würde dir gern ein paar Dinge erzählen, die dich interessieren könnten. Das würde jetzt zu lange dauern, aber vielleicht können wir uns nächste Woche treffen …?«

Ich freute mich über Richs Einladung und sagte spontan: »Zeit? Ort?«

»Könntest du zu mir kommen? Wie wäre es mit Dienstag in der Schule? Ich habe mittags eine Stunde frei. Wir könnten uns gesundes Mensaessen holen und uns in mein Büro setzen.«

Rich weiß, dass ich Leute wenn möglich gern dort besuche, wo sie arbeiten. Ich versuche Treffen im Gemeindehaus so oft es geht zu vermeiden. Mit Rich habe ich mich schon viele Male in der Schule zusammengesetzt. In seinen Jahren als Lehrer habe ich sogar einmal an seinem Geschichtsunterricht teilgenommen und hatte meinen Spaß. Ich nannte es einen gegenseitigen Austausch von Fachkenntnissen.

Ich holte meinen Blackberry aus dem Pickup und sah, dass der Termin frei war. »Dienstag ist gut«, sagte ich.

»Ach, da fällt mir noch was ein«, meinte Rich. »Ich habe was zum Lesen für dich. Ich trage es schon die ganze Woche in meinem Portemonnaie mit mir herum und wollte es dir morgen früh geben.« Er holte eine kleine Karte hervor und gab sie mir.

»Schau sie nicht an, bevor du nicht Zeit hast, darüber nachzudenken.«

»Okay«, erwiderte ich und steckte die Karte in meine Jackentasche.

»Also gut, wir sehen uns morgen und am Dienstag«, meinte Rich und lief zu seinem Auto. Ein paar Sekunden später drehte er sich um und rief mir zu: »Gute Predigt morgen! Carly und ich feuern dich an.«

Diese Bemerkung war typisch für Rich Fisher – er ist ein großer Ermutiger. Mit solchen Unterstützern an der Seite kann man lange Zeit ein starker Pastor bleiben.

Als ich mit dem Pickup zur Schatzkammer fuhr, wartete Gail schon dort und sagte: »Ich habe dich mit Rich gesehen. Worum ging es?«

»Er wollte sich nächste Woche mit mir treffen. Ich fahre am Dienstag zum Mittagessen zu ihm in die Schule.«

»Stimmt irgendwas nicht?«, fragte Gail.

»Nein, keine Sorge. Er will sich mit mir über mein Lieblingsthema unterhalten, die Idee.«

Zusammen räumten Gail und ich unsere »Schätze« von der Ladefläche und fuhren ein paar Minuten später zur Ausfahrt. Im Rückspiegel sah ich, wie einige Kinder schon durch unsere Sachen wühlten. Jetzt würde das Zeug ein paar Jahre ihren Keller zumüllen …

Als wir losfuhren, fiel mir die Karte ein, die Rich Fisher mir gegeben hatte. Ich holte sie aus der Jackentasche und reichte sie Gail. »Die ist von Rich. Willst du sie mal vorlesen?«

Gail nahm die Karte und las sie sich durch. Dann blieb sie eine Weile stumm. Ich fragte mich, was die Stille zu bedeuten hatte, und sagte mit leiser Ungeduld in der Stimme: »Hallo, was steht denn drauf?!«

»Du solltest gut hinhören«, sagte Gail leise. »Es ist ein Zitat von Richard Foster: ›Was wir heute am nötigsten brauchen, sind nicht mehr intelligente und begabte Leute, sondern mehr Tiefgänger.‹ «

»Tiefgänger?«, fragte ich. »Ziemlich ungewöhnliche Formulierung. Spricht aber etwas in mir an.«

»Ja, in mir auch«, meinte Gail.

Wir fuhren ein paar Minuten weiter, ohne etwas zu sagen. Dann unterbrach ich die Stille und bat Gail, das Zitat von Foster noch einmal vorzulesen. Sie folgte meiner Bitte. »Lies doch noch mal«, bat ich. Und sie las den Satz ein drittes Mal vor.

»Intelligente und begabte Leute. Der Instinkt sagt einem, dass man genau die braucht, um eine Gemeinde zu leiten. Also sucht man danach. Man will kluge, gewitzte Leute, solche, die in ihrem Beruf erfolgreich sind. Man glaubt, dass sie eine Gemeinde zum Florieren bringen. Wir hatten viele solcher Personen in Leitungsverantwortung und ich glaube, ich habe fast jeden dort geschätzt. Aber Foster sagt, was wir brauchen – sagt er wirklich am nötigsten brauchen? – sind Tiefgänger. Was stellst du dir darunter vor?«

»Ich glaube zu wissen, was Richard Foster meint«, sagte Gail. »Ich habe vermutlich noch nie definiert, was ein Tiefgänger genau ist, aber ich erkenne einen, wenn ich ihn sehe.«

»Siehst du viele davon in unserer Gemeinde?«, fragte ich.

»Ein paar schon, denke ich«, sagte Gail. »Manche sind sogar extrem tief. Aber weißt du, was mir dabei auffällt? Die, an die ich denke, sind alle schon ziemlich grauhaarig. Ich wünschte, mir fielen mehr Tiefgänger aus der jüngeren Generation ein.«

Tiefgänger. Was für ein interessanter Begriff, dachte ich. Eine Gemeinde braucht Tiefgänger und muss Menschen in die Tiefe führen. In diesem Moment war mir klar, dass dieser Begriff auf unserer betenden Suche nach der bahnbrechenden Idee eine große Rolle spielen würde.

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6. SEPTEMBER

Der erste Sommer

An: Arlene Lewis Von: GMAC Betreff: danke
Hallo Arlene,

in den letzten Wochen habe ich viel darüber nachgedacht, wo unsere Gemeinde in ein paar Jahren stehen wird. Paulus’ Bild in Apostelgeschichte 20 von den Hirten und der Herde hat mich inspiriert. Erinnerst du dich, wie wir diese Stelle vor ein paar Jahren in der Entdeckergruppe gelesen haben? Eine gesunde Herde braucht einen guten Hirten. Seit ein paar Tagen nenne ich diese Hirten »Tiefgänger« und mir fiel auf, dass du so jemand bist. Dafür will ich dir danken.

Und es gibt eine Sache, bei der du mir helfen könntest. Schreib doch mal auf, wie wir deiner Meinung nach unseren Vorrat an »Arlenes« auffüllen könnten. Können wir etwas tun, um eines Tages mehr Tiefgänger wie dich zu haben?

GMAC

An: GMAC Von: Arlene Lewis Betreff: Re: danke

Große Güte, Pastor Mac. Mehr Arlenes? Mich gruselt’s bei dieser Vorstellung. Aber auf deine Frage, wo du mehr Tiefgänger findest, habe ich nur eine Antwort: Ziehe sie heran! Ich hatte Leute, die in mich investiert haben, als ich jung war. Das funktioniert heute nicht anders.

ICHBINJETZTGENAUSEITNEUN JAHRENINDIESER GEMEINDE. In meinem ersten Buch habe ich erzählt, dass ich damals nur ein »Kompromisskandidat« war. Der Kompromiss zwischen der jüngeren und der älteren Generation, die uneins waren, wie unsere Gemeinde in Zukunft aussehen sollte.

Die jüngere Generation, meist Leute, die zugezogen waren, weil sie sich in Neuengland wohlfühlten, wollte eine Gemeinde, die sich all den Neuerungen öffnet, die in Büchern, Konferenzen und Seminaren gerade propagiert werden. Die ältere Generation, vor allem Menschen, die schon seit ihrer Kindheit zur Gemeinde gehörten, wollte einen Pastor, der die Orgel, den Chor, die Bibelstunde und die Sonntagschule zurückholte. Und natürlich Liederbücher.

Als sie sich auf mich einigten, bekam keine der Gruppen all das, was sie sich wünschte. Ich war für beide Seiten eine Enttäuschung. Aber sie entdeckten, dass Gail und ich eins anzubieten hatten: Wir konnten Menschen lieben. Und wir sind damals wie heute überzeugt davon, dass sich eine Menge Reibung zwischen den Generationen vermeiden lässt, wenn alle sich wertgeschätzt fühlen. Mit unserer Ankunft begannen wir Menschen so gut es ging zu lieben, und das zahlte sich in vielerlei Hinsicht aus.

Wir ernteten neun wirklich gute, glückliche Jahre.

Probleme? Klar, die gab es auch. Die ersten sind nachzulesen in Ich will meine Gemeinde zurück. Aber in diesem Nachfolgeband geht es nicht um Probleme. Es geht um Herausforderungen und Möglichkeiten.

In den letzten Jahren ist unsere Gemeinde quantitativ gewachsen. Zugenommen hat auch die Zahl unserer »Dienste« – ein beliebtes Wort in der christlichen Szene. Wir mögen diesen Begriff sogar lieber als »Programme«. Das klingt uns zu sehr nach organisierter Institution.

Auch die Spendenbereitschaft hat zugenommen: Unsere Leute sind treue Geber, obwohl nur wenige wirklich wohlhabend sind.

Wir sind auch großzügig, was das Dienen angeht. Mehrmals sind kleine Gruppen unserer Gemeinde zu Auslandseinsätzen gefahren und haben Häuser gebaut, Englisch unterrichtet oder Sportprojekte durchgeführt. Wir fragen regelmäßig bei der Stadt nach, wo Freiwillige gebraucht werden. So haben Gemeindeleute schon in Krankenhäusern und bei der Tafel mitgeholfen und Nachhilfe gegeben. Und das sind nur einige Beispiele.

Auch unser pastorales Team ist gewachsen. Jason Calder ist unser jüngster und letzter Neuzugang und leitet unsere Anbetungsarbeit. Wir nennen Jason unser Eigengewächs, weil er in unserer Gemeinde groß geworden ist.

Unser pastorales Team hat zwei weitere Mitglieder: Bruce Bartlett ist zweiter Pastor und predigt hin und wieder. Und Claire Dustin ist angestellt als Seelsorgerin und Beraterin. Claire, Bruce, Jason und ich verstehen uns gut, und ich bin froh, dass sie da sind.

Und eine weitere Art von Wachstum freut mich: Wir haben Gemeindemitglieder, die aus anderen Ländern und Kulturen in unsere Gegend gezogen sind. Mehrere lateinamerikanische Familien und Singles haben sich uns angeschlossen. Unter ihnen ragen Mercedes Perez, eine temperamentvolle Jesusnachfolgerin, und ein junger Mann, Hugo Padilla, heraus. Sie kommen beide aus dem Süden von Texas. Mercedes leitet das Northeast Center für berufliche Weiterbildung, das zu einer der größten Hotelketten der USA gehört. Hugo arbeitet bei Southwest Airlines.

Wir haben auch eine brasilianische Familie, Gilberto und Adriana Silva. Gilberto ist Ältester in unserer Gemeinde und beide haben eine ungewöhnlich sensible Antenne für die geistliche Welt. Ich habe mitbekommen, wie Gilberto die Ältesten auf Meinungen oder Stimmungen in der Gemeinde hingewiesen hat, und immer ins Schwarze getroffen hat. Und sie haben schon einige Menschen zu Jesus geführt. Jeden, der neugierig ist auf den Glauben, würde ich zu den Silvas schicken.

Auch haben wir ein Paar aus Haiti, Martine und Wilford Jean-Baptiste, die am Franklin Pierce College studieren. Sie gehören zu den liebevollsten und positivsten Menschen, die wir kennen. Ich bin jedes Mal erstaunt, wie selbstverständlich Christen aus Haiti immer in allem noch etwas Gutes finden. Wie schaffen sie es, in einem so gebeutelten Land aufzuwachsen und dennoch so viel Freude in sich zu tragen?

Sehr liebenswert ist auch Hana Tchung aus Korea. Sie und ihre Tochter Hyun Jung sind für drei Jahre in die USA gekommen, damit Hyun Jung hier zur High School gehen kann. Hanas Mann Andy – das jedenfalls ist sein amerikanischer Name – ist in Korea geblieben, wo er als Manager einer Firma arbeitet, die Autoteile herstellt. Er besucht seine Frau und Tochter alle zwei oder drei Monate.

Hana ist eine unglaubliche Beterin. Kurz nachdem sie angekommen war, bat sie mich, ob sie zweimal in der Woche ins Gemeindehaus kommen könnte, um zu beten. Uns wurde sehr schnell klar: Sie mag sonst eine stille Person sein – aber nicht, wenn sie betet. Wenn sie im Gottesdienstsaal alleine ist, können wir (buchstäblich durch die Mauern) hören, wie sie bei Gott für ihre Familie, ihr Land, ihre Gemeinde (sie spricht viel von Erweckung) eintritt, und nicht zuletzt für Gail und mich betet. Eines Tages würde ich gern herausfinden, ob eine Verbindung zwischen Hanas Gebeten und meinen besten Predigten und Seelsorgegesprächen besteht.

Auch Samuel und Ramya Anand aus Indien will ich noch erwähnen. Ramya liebt Kinder und ist eine wichtige Stütze unserer Kinderarbeit. Wir bewundern an beiden die Eleganz mit der sie sich bewegen – ohne dabei arrogant zu wirken.

Zudem haben wir drei oder vier Familien, die durch Flüchtlingsprogramme aus dem Sudan und aus Somalia gekommen sind. Einige unserer Leute helfen ihnen beim Englischlernen, vermitteln ihnen die amerikanische Kultur und helfen ihnen, sich an neuen Arbeitsstellen zurechtzufinden.

Natürlich sind auch etliche Amerikaner zu uns gestoßen. Ein Großteil von ihnen hat Jesus erst bei uns persönlich kennen gelernt. Auf ganz unterschiedliche Art haben sie sich alle entschieden, Jesusnachfolger zu werden (wie wir das gerne nennen), und wachsen geistlich.

All das – das zahlenmäßige Wachstum, die Spendenzunahme, neue Dienste und Mitarbeiter, die kulturelle Bereicherung – hat uns in den letzten sechs Jahren bewegt. Es gab natürlich auch Herausforderungen. Aber in den meisten Fällen haben das Pastorenteam, die Ältesten und der Vorstand die richtigen Entscheidungen getroffen. Ein paar nicht ganz so kluge waren natürlich auch dabei, sodass wir insgesamt viel Segen und ein paar Enttäuschungen erlebt haben.

Es gibt allerdings auch eine Veränderung, die mich beunruhigt. Man könnte es eine soziologische Verschiebung nennen: Viele Leute halten sich nicht mehr fest zu einer Gemeinde. Uns Pastoren gefällt die Vorstellung, dass die Leute uns »gehören«. In Wirklichkeit besuchen sie aber mal diese und mal jene Gemeinde oder fahren auf Konferenzen. Sie sehen Predigten im Fernsehen, hören christliches Radio. Insgesamt sind sie vielen religiösen Einflüssen ausgesetzt. Ich weiß nicht genau, wie ich das erklären soll, aber mein Bauchgefühl sagt mir, dass es in Zukunft viele einsame Menschen geben wird, weil sie nicht ihren Teil dazu beigetragen haben, persönliche Freundschaften aufzubauen und in Gemeinschaft zu investieren. Vielleicht muss es auch eine ganz neue Gemeindeform geben. Eine, die Gemeinschaft und geistliches Wachstum in den Mittelpunkt rückt. Dann müssen wir umso stärker ausbilden, ausbilden, ausbilden (um es mit Hank Soriano zu sagen).

Wir haben jetzt jedenfalls September und ich bete verstärkt um die bahnbrechende Idee, die momentan in etwa so klingt: Wie kann unsere Gemeinde ihren Anteil an Tiefgängern vergrößern, den Anteil an Menschen, die bereit sind, uns in die Zukunft zu führen, die ein vorbildliches Leben als Christusnachfolger führen und die uns anleiten, den Auftrag zu erfüllen, den Gott uns gegeben hat?

Als Rich Fisher mich zum Mittagessen einlud, hatte ich noch keine Ahnung, dass in unserem Gespräch diese sich entwickelnde Idee ihren entscheidenden Impuls bekommen würde.

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7. SEPTEMBER

Mittagessen. Der erste Sommer

Pastor MacDonald,

Gott mir gesagt ich für dich beten heute. Ich glaube er sprechen in dein Herz und du müssen hören. Ich in Gemeinde heute und beten für dich und Mrs. MacDonald.

Hana Tchung

DIENSTAGMORGENSTREFFENWIRUNSIMMERVONNEUNBISELFALSPASTORALES TEAM (Bruce Bartlett, Claire Dustin, Jason Calder und ich). Während wir über unsere Gemeindethemen redeten, war aus dem Gottesdienstsaal das drängende Flehen von Hana Tchung zu hören, und wir wussten, dass diese bescheidene Frau aus Korea für jeden von uns betete.

Als ich um halb zwölf mein Büro verließ, um zur High School zu fahren, gab mir Kelly Martin einen verschlossenen Umschlag mit. Ich öffnete ihn erst am späten Nachmittag. Er war von Hana Tchung. Ihre Worte – gut formuliert, wenn man bedenkt, dass sie erst seit sechs Monaten Englisch spricht – berührten mich tief. Woher wusste sie, dass ich genau an diesem Tag auf dem Weg zu einem Gespräch war, das am Ende Auswirkungen auf viele Menschen haben würde, mich eingeschlossen?

Als Besucher eine High School zu betreten, kommt einem Sicherheitscheck am Flughafen an Tagen mit erhöhter Alarmbereitschaft ziemlich nahe. Man betritt die Schule durch eine bestimmte Tür (und nur diese eine!), geht unter den Augen eines uniformierten Wachmanns durch einen Metalldetektor und wird zu einer Rezeption gebracht, die in der Nähe des Direktorenzimmers liegt. Hier trägt man Namen, Anschrift, Datum, Uhrzeit und Kontaktperson in eine Liste ein und bekommt wahlweise einen Besucherausweis für den Gürtel oder fürs Revers. Und dann wartet man, bis die Kontaktperson – in meinem Fall Rich Fisher – auftaucht und einen mitnimmt.

Wir gingen in die Cafeteria und suchten uns Salate und Sandwichs aus, die Beispiele für die gesunde Ernährung waren, zu der die Schule sich verpflichtet hatte. Dann liefen wir in Richs Büro im Verwaltungsgebäude, wo wir ungestört essen und reden konnten.

»Betest du hier vor dem Essen?«, fragte ich, als wir uns setzten. »Oder ist das in einer öffentlichen High School verboten?«

»Es ist vermutlich in Ordnung, wenn du dich nicht auf die Knie wirfst, laut schreist oder deine Hände erhebst«, sagte Rich mit gespieltem Ernst. Dann flüsterte er mir in dramatischem Tonfall zu: »Ich schmuggele hier jede Menge Gebete durch. Bisher hat die Gebetspolizei mich nicht erwischt. Du kannst ja auch mal versuchen, ob du es schaffst, ohne dass sie dich schnappen.«