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Die zweite Ausgabe der interdisziplinären Fachzeitschrift Tierstudien widmet sich dem Thema „Tiere auf Reisen“. Tiere sind, das macht sie neben anderem aus, nicht an einen Standort gebunden. Sie reisen auf eigene Initiative: Kröten wandern weite Strecken, Lachse ziehen flussaufwärts zu ihren Laichplätzen und Vogelschwärme suchen sich Winterquartiere auf anderen Kontinenten. Tiere begleiten aber auch Menschen auf deren Reisen bzw. werden von Menschen auf Wege gebracht, die sie selbst nie gegangen wären. In zehn Aufsätzen und einer Fotostrecke werden u.a. Zirkus- und Zootiere auf großer Fahrt begleitet, Bienenwanderungen in der globalisierten Welt in den Blick genommen, Hunde als Erzähler und Protagonisten im Roman untersucht oder der Hundespaziergang als historisches Phänomen betrachtet. Problematisiert werden Anthropomorphisierungstendenzen, die Einbettung von Tieren in hegemoniale Strukturen sowie territoriale und kategoriale Grenzübertretungen durch Tiere. Ein Beitrag beschäftigt sich mit elektronischer Tierkennzeichnung zur Rückverfolgbarkeit von Transportwegen, ein anderer liest Mickey Maus als kommerzialisierten Grenzgänger zwischen Mensch, Tier und Technizität. Dass Tierwanderungen nicht immer glücklich ausgehen, wird im Künstlerinlay und einem Aufsatz zum tierlichen Tod im Straßenverkehr deutlich.
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Seitenzahl: 179
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Tierstudien 02/2012
Tiere auf Reisen
Tierstudien
02/2012
Tiere auf Reisen
Herausgegeben von Jessica Ullrich
Neofelis Verlag
Tierstudien
02/2012: Tiere auf Reisen
Hrsg. v. Jessica Ullrich
Wissenschaftlicher Beirat
Petra Lange-Berndt (London), Roland Borgards (Würzburg), Dorothee Brantz (Berlin), Thomas Macho (Berlin), Sabine Nessel (Berlin), Martin Ullrich (Nürnberg), Markus Wild (Fribourg).
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über
http://dnb.d-nb.de abrufbar.
© 2012 Neofelis Verlag UG (haftungsbeschränkt), Berlin
www.neofelis-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlaggestaltung: Marija Skara
E-Book-Format: epub, Version 2.0
ISSN: 2193-8504
ISBN: 978-3-943414-27-1
Erscheinungsweise: zweimal jährlich
Jahresabonnement E-Journal 18 €, Einzelheft 11 €
Erhältlich in Ihrer Buchhandlung oder direkt beim Neofelis Verlag unter:
Ein Abonnement verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn die Kündigung nicht mindestens drei Monate vor Ende des Kalenderjahrs erfolgt ist.
Inhalt
Editorial
Hunde als Reisende und Reisebegleiter
Aline Steinbrecher
Eine praxeologisch performative Untersuchung der Kulturtechnik des Spaziergangs (1750–1850)
Anne Franciska Pusch
Unleashed – Hunde auf Abwegen
Technisierte Tiere
Julia Bee / Gerko Egert
Mickeys Reise durch Wasteland – Animal, Animation, Animismus
Ina Bolinski
Zurück Reisen. Elektronische Tierkennzeichnung zur Rückverfolgbarkeit von Transportwegen
Grenzgänger
Bärbel Rothhaar / Jürgen Tautz
Bienenwanderung
Sven Wirth
Die Grenzregime des Tier-Konstrukts. Wie Aga-Kröten und Grauhörnchen zu Aliens werden
Die letzte Reise
Manuel Rahn
Rindertransporte
Julia Schlosser
Anhalten, sehen: Die Körper überfahrener Tiere in der Arbeit Steve Bakers
Künstlerinlay
Steve Baker
Six untitled pieces from the seriesNorfolk Roadkill, Mainly(2011–2012)
Zoo und Zirkus
Helmut Höge
Elefantentransporte
Aiyana Rosen
Die ‚Zirkustier‘-Mensch-Verhältnisse. Zwischen Anthropomorphisierung und Othering
Rezensionen
Arabella Unger
Auf der Suche nach Spiegelungen des Lebens: Hanna Rheinz und die Kabbala der Tiere
Hanna Rheinz: Zwischen Streichelzoo und Schlachthof, 2011
André Krebber
Des Philosophen Tiere: Reflexionen zur Stellung des Menschen im Tierreich
Tom Tyler: CIFERAE, 2012
Abbildungsverzeichnis
Call for Papers: Metamorphosen
Weitere Titel im Neofelis Verlag
Editorial – On the road
Diese Ausgabe von Tierstudien widmet sich dem Thema „Tiere auf Reisen“. Tiere sind, das macht sie neben anderem aus, nicht an einen Standort gebunden. Sie reisen auf eigene Initiative: Kröten wandern weite Strecken, Lachse ziehen flussaufwärts zu ihren Laichplätzen und Vogelschwärme suchen sich Winterquartiere auf anderen Kontinenten.
Tiere begleiten aber auch Menschen auf deren Reisen bzw. werden von Menschen auf Wege gebracht, die sie selbst nie gegangen wären. Ohne Kamelkarawanen oder Rindertrails wäre die Besiedlung und Erschließung ganzer Weltgegenden nicht möglich gewesen. Die Entdecker und Naturforscher von Marco Polo bis Charles Darwin traten gemeinsam mit exotischen Tieren ihre oft beschwerlichen Heimreisen an. So erlangte etwa das Nashorn Clara mit seiner siebenzehnjährigen Ausstellungstour durch ganz Europa große Popularität. Für die Weltraumhündin Laika wurde ihr Flug ins All eine Reise ohne Wiederkehr. Menschen schicken aber auch Brieftauben und Postpferde in ganz privater oder streng geheimer Mission auf die Reise. Und mit Lastwagen werden riesige Bienenschwärme quer durch die USA gefahren, um im großen Stil Pflanzen zu bestäuben. Quasi professionelle Reisende sind auch die Zirkustiere, die das „fahrende Volk“ begleiten, für das sie arbeiten. Die Anpassung von verwilderten Haustieren an den urbanen Lebensraum bringt tierliche „Pendler“ hervor, wie etwa die Moskauer Straßenhunde, die selbstständig die U-Bahn nehmen, um in der Stadt zu navigieren.
Aber auch im fiktionalen Bereich, in den Weltreligionen, in Kunst, Literatur und Film ist das Motiv des reisenden Tieres omnipräsent. Hier steht die Reise häufig als Metapher des Lebens, in der es weniger um Fortbewegung als um Wandlungsprozesse geht. Die Bibel berichtet etwa vom Aufbruch der Tiere in Noahs Arche, Apuleius schreibt im wohl frühesten Schelmenroman Der goldene Esel die Reiseabenteuer des namensgebenden Tieres nieder (auch wenn es sich hierbei um einen verwandelten Menschen handelt) und im Märchen begeben sich Esel, Hund, Katze und Hahn auf Wanderschaft, um etwas „Besseres als den Tod“ zu finden. In Blockbustern wie Die Reise der Pinguine oder Nomaden der Lüfte wird der saisonale Umzug riesiger Tiergruppen dokumentiert und eine menschliche Perspektive auf einige der letzten tierlichen Reisen eingenommen, die ohne menschliches Zutun ablaufen (sollten).
Diese Ausgabe von Tierstudien beginnt mit zwei Beiträgen zum Reisebegleiter par excellence, nämlich zum Hund als vermutlich ältestem Gefährten des Menschen. Früher vor allem als Jagdhelfer, Wachhund oder Statussymbol gehalten, schaffen sich heutzutage manche Menschen einzig und allein aus dem Grund einen Hund an, um mit ihm spazieren gehen zu können. Aline Steinbrecher untersucht in ihrem Beitrag die Kulturtechnik des Spaziergangs im 18. Jahrhundert und zeigt, wie sich diese soziale Praxis um ein von Mensch und Hund geteiltes Wissen organisiert, in dem auch dem Hund Akteurstatus zukommt. Akteure oder zumindest Protagonisten sind auch die Hunde in Anne Franciska Puschs Text. Sie deutet sie als „in-between animals“, die in den von ihr fokussierten Romanen – mit oder ohne sie begleitende Menschen – zwischen zivilisierter Welt und Wildnis pendeln können und dann jeweils andere Funktionen im sozialen, auch speziesübergreifenden Gefüge einnehmen.
Die folgenden beiden Texte befassen sich mit echten bzw. imaginierten Hybridwesen, die erst durch ihre Animation („Beseelung durch Bewegung“) mit individueller Identität ausgestattet werden, deren ‚personaler‘ Status aber trotz oder gerade wegen des technischen Aufwands ambivalent und uneindeutig bleibt. Julia Bee und Gerko Egert analysieren im von Disney vertriebenen Computerspiel Epic Mickey die Reise der Mickey Mouse durch die düsteren mechanisch-belebten Erlebniswelten des Wasteland und lesen die anthropomorphisierte, animierte Maus als „abstrakte Maschine“ im Sinne Félix Guattaris. Ina Bolinski hingegen beschreibt, wie die elektronische Tierkennzeichnung aus Nutztieren Cyborgs macht, die nicht mehr eindeutig der Natur oder der Kultur zugeordnet werden können und deren Warencharakter paradoxerweise gerade durch die nun einlösbar gewordene eindeutige Identifizierungsmöglichkeit von spezifischen Individuen zementiert wird.
Die Rubrik „Grenzgänger“ beschäftigt sich mit Tieren, die sich nicht an von Menschen definierte Grenzen halten und wird eröffnet von einem gemeinsam verfassten Artikel der Künstlerin Bärbel Rothhaar und des Verhaltensforschers und Soziobiologen Jürgen Tautz. Sie befassen sich mit dem Phänomen der Bienenexpansion im globalen und historischen Kontext und mit Schwarmbewegungen und deren Materialisierung in Kunstwerken, die auf Ko-Autorschaft von Bienen setzen. Sven Wirth beschreibt in seinem Beitrag ideologisch bedingte und performativ hergestellte Ein- und Ausschlussmechanismen, die „Tiere“ von „Menschen“ oder auch verschiedene Tierarten voneinander abgrenzen, und schlägt vor, die durch Grenzziehungspraktiken entstanden Räume produktiv zu nutzen.
Viele sogenannte Nutztiere gehen nur einmal auf die Reise, und das in den sicheren Tod. Diese Tatsache ist Thema der beiden folgenden Aufsätze: Manuel Rahn berichtet als Augenzeuge unsentimental und dennoch berührend von Transporten u. a. von „Schlachtvieh“ per Bahn und Schiff, die er in den 1980er Jahren begleitet hat. Und auch wenn sie sich freiwillig auf Wanderung begeben, lauert Gefahr auf Tiere, die sich zu nah an menschlichen Verkehrswegen aufhalten, diese kreuzen oder diese sogar selbst nutzen. Zurück bleiben überfahrene Tiere, deren Tod in der Regel nur als gravierend und erwähnenswert angesehen wird, wenn Menschen in eine Kollision involviert sind. Julia Schlosser beleuchtet in ihrem Aufsatz eine Möglichkeit der künstlerischen Annäherung an das auch visuelle Phänomen tierlicher Verkehrstoter und behandelt zwei Fotoserien Steve Bakers, von denen eine, Norfolk Roadkill, Mainly, auch die künstlerische Bildstrecke dieser Ausgabe darstellt.
Auch exotische Tiere werden von Menschen ungefragt auf Reisen geschickt, oftmals um deren Schaulust oder Geltungsbedürfnis zu befriedigen. Die beiden abschließenden Beiträge widmen sich deshalb den Zirkus- und Zootieren. Der ehemalige Tierpfleger Helmut Höge leitet seinen tagebuchartigen Erfahrungsbericht über einen von ihm begleiteten Elefantentransport für einen Zoo mit einer historischen Rekapitulation von reisenden Elefanten in den verschiedensten Kontexten ein – u. a. als Kriegselefanten oder Geschenke. Aiyana Rosen macht in ihrer Analyse des Mensch-Tier-Verhältnisses im Zirkus die Denkfiguren des Otherings und der Anthropomorphisierung fruchtbar und zeigt, wie beide ineinandergreifen und gleichermaßen zur Herstellung von menschlicher Identität und zur Aufrechterhaltung hegemonialer Machtstrukturen dienen.
Die Beiträge dieser Ausgabe machen deutlich, dass tierliches Reisen weder mit menschlichen Urlaubsausflügen noch mit Entdeckungsexpeditionen oder Selbstfindungstrips zu tun hat, sondern meist inneren oder äußeren Zwängen folgt, innerhalb derer die Tiere aber dennoch eine gewisse Wirkungs- und Handlungsmacht entfalten, die Wertschätzung verdient. Während die Bremer Stadtmusikanten noch glaubten, durch ihren Aufbruch überall „etwas Besseres als den Tod“ zu finden, ist dies für die realen Tiere in der Gegenwart allerdings oftmals fraglich geworden.
Jessica Ullrich
Hunde als Reisende und Reisebegleiter
Eine praxeologisch performative Untersuchung der Kulturtechnik des Spaziergangs (1750–1850)
Aline Steinbrecher
Ein paar Schritte vorab
Im Laufe des 18. Jahrhunderts gewinnt der Spaziergang als Alltagshandlung des städtischen Bürgertums zunehmend an Bedeutung.1 Parallel dazu verbreitete sich die Hundehaltung zum reinen Vergnügen.2 Die Frage ist nun, inwiefern der Hund zur bürgerlichen Praktik des Spazierengehens dazugehörte? Zumindest bildliche Quellen suggerieren, dass Hunde und ihre Halter gemeinsam spazierten.
Abb. 1
Thomas Gainsborough, The Morning Walk, 1785.
Tate Gallery London.
Die Rolle der Hunde bei den Spaziergängen ist allerdings bislang noch nicht untersucht, obwohl es spannend scheint, dass zwei mit der Natur verbundene Kulturpraktiken, das Spazieren und das Hundehalten, zur gleichen Zeit im Bürgertum so beliebt wurden. Zumal beide Phänomene mit der Kompensationstheorie erklärt werden, welche besagt, dass erst durch die Distanz zur Natur eine neue Naturerfahrung nötig wurde. Das neue, stark ästhetisierte Naturgefühl, welches beim Spazierengehen und in der Haustierhaltung gleichsam gewonnen werden konnte, war ein konstitutives Element zur Herausbildung des deutschen städtischen Bürgertums.
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