Tiere und Raum - Ulrike Heitholt - E-Book

Tiere und Raum E-Book

Ulrike Heitholt

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Beschreibung

Menschen und die anderen Tiere mögen unterschiedliche Umwelten haben, doch sie teilen miteinander eine Welt. Animal Geography, Animal Architecture oder Animal Citizenship sind grundlegende Themen der Animal Studies. In der sechsten Ausgabe von Tierstudien geht es daher um die Räume, die Menschen Tieren zuweisen bzw. die Tiere sich selbst aneignen. Denn oft definieren Menschen Tiere über den Ort, an dem sie sich freiwillig oder zwangsweise aufhalten. Räume beeinflussen die Beziehungen und Interaktionen von menschlichen und nicht-menschlichen Tieren. Dabei können Räume sowohl einschließen wie ausschließen, marginalisieren wie fokussieren. Euphemismen wie Gehege, Reservat oder Voliere verschleiern, dass die Zuweisung von Räumen genau wie deren Eroberung immer auch eine Herrschaftsgeste ist. Ob sich ein Wesen vor oder hinter Gittern befindet bzw. vor oder hinter einer Kameralinse, legt hierarchische Strukturen offen. Während viele menschliche Räume für Tiere unbetretbar sind, halten sich andererseits nichtmenschliche Tiere auch zuweilen an Orten auf, die für Menschen unbewohnbar sind. Und für manche Tiere kann es sogar tödlich enden, wenn sie unsichtbare menschliche Grenzen überschreiten.

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Tierstudien 06/2014

Tiere und Raum

Tierstudien

06/2014

Tiere und Raum

Herausgegeben von Jessica Ullrich

Neofelis Verlag

Tierstudien

06/2014: Tiere und Raum

Hrsg. v. Jessica Ullrich

Wissenschaftlicher Beirat

Petra Lange-Berndt (London), Roland Borgards (Würzburg), Dorothee Brantz (Berlin), Thomas Macho (Berlin), Sabine Nessel (Berlin), Martin Ullrich (Nürnberg), Markus Wild (Basel).

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2014 Neofelis Verlag UG (haftungsbeschränkt), Berlin

www.neofelis-verlag.de

Alle Rechte vorbehalten.

Umschlaggestaltung: Marija Skara

E-Book-Format: epub, Version 2.0

ISSN: 2193-8504

ISBN: 978-3-943414-37-0

Erscheinungsweise: zweimal jährlich

Jahresabonnement 18 €, Einzelheft 11 €

Erhältlich in Ihrer Buchhandlung oder direkt beim Neofelis Verlag unter:

[email protected]

Ein Abonnement verlängert sich automatisch um ein Jahr, wenn die Kündigung nicht mindestens drei Monate vor Ende des Kalenderjahrs erfolgt ist.

Inhalt

Editorial

Tierspuren

Daniel Lau

Das Tier im neolithischen Raum am Beispiel des Fundortes Göbekli Tepe

Juliet MacDonald

Spuren im Labyrinth

Gehege

Andreas Stark

Koproduktion von Raum und Speziesismus. Eine genealogische Betrachtung räumlicher (An)Ordnungen von Tiergehegen

Christina May

Welten der Finsternis. Nachttierhäuser in Zoologischen Gärten

Der Ort der Tiere auf der Bühne und im Film

Lars Nowak

Mit Pavlov ins Kino. Die Orte der Tiere im sowjetischen Montagefilm der 1920er Jahre

Esther Köhring

Habitat Bühne. Theatertheriotopologie in Joseph Beuys: I like America and America likes me (1974)

Die Zuweisung von Lebensräumen

Ulrike Heitholt / Dominik Mahr

Raum-Tiere und Tier-Räume. Konzepte der Räumlichkeit von Vögeln in bürgerlichen Wissenskulturen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts

Matthias Preuss

Pferche. Der Gemeinplatz als (Nach-)Lebensraum

Künstlerische Positionen

Rolf Bier

Tiere in meiner Welt – meine Welt in Tieren

kainkollektiv

Tiere in Städten

Bryndís Snæbjörnsdóttir / Mark Wilson

A Safe Passage

Oskar Verant

TieRauMensch

Rezensionen

Abbildungsnachweise

Call for Papers: Wild

Bisherige Ausgaben

Editorial

Animal Geography1, Animal Architecture2 oder Animal Citizenship3 sind seit einigen Jahren grundlegende Themen der internationalen Animal Studies. In der sechsten Ausgabe von Tierstudien geht es daher um die Räume der Tiere bzw. um die Orte, die Menschen Tieren zuweisen bzw. die Tiere sich selbst aneignen oder sie gestalten.

Oft definieren Menschen Tiere über den Ort, an dem sie sich freiwillig oder zwangsweise aufhalten, und bilden Kategorien wie z. B. Haustiere, Bauernhoftiere, Labortiere, Zootiere, Zirkustiere, Tierheimtiere, exotische Tiere, heimische Tiere, wilde Tiere, aber auch Meerestiere, Weinbergschnecken, Berglöwen, Darmparasiten, Bettwanzen etc. Manche Spezies tragen den Ort, aus dem sie stammen, im Namen, wie etwa der Weimaraner, der Friese oder die Burmakatze.

Dabei können Räume sowohl einschließen wie ausschließen, marginalisieren wie fokussieren. Euphemismen wie Gehege, Reservat oder Voliere verschleiern, dass die Zuweisung von Räumen genau wie deren Eroberung immer auch eine Herrschaftsgeste ist. Ob sich ein Wesen vor oder hinter Gittern befindet bzw. vor oder hinter einer Kameralinse, legt hierarchische Strukturen offen. Vielen sogenannten Haustieren wird nur ein geringer Bewegungsradius zugestanden: Singvögel werden in Käfigen gehalten, Fische in Aquarien, Hofhunde werden an die Kette gelegt, manche Katzen dürfen das Haus nie verlassen.

Während viele menschliche Räume für Tiere unbetretbar sind („Wir müssen draußen bleiben.“), hat der Ökotourismus die letzten Flecken vermeintlich unberührter Natur für Menschen geöffnet. Andererseits reisten nichtmenschliche Tiere bereits vor den menschlichen in den Weltraum oder halten sich an Orten auf, die für Menschen unbewohnbar sind, wie etwa der Tiefsee.

Das Habitat selbst ist im Grunde eine Verbform (lat. habitat: er, sie, es wohnt) und muss somit immer auch performativ gedacht werden. Viele nicht-menschliche Tiere markieren ihre Territorien, um von einem selbstgewählten Raum Besitz zu nehmen, andere verändern aktiv ihren Lebensraum. Räume beeinflussen also die Beziehungen und Interaktionen von menschlichen und nicht-menschlichen Tieren.

Den Auftakt machen zwei Beiträge, die sich auf Spurensuche begeben und auf quasi archäologische Weise die Orte der Tiere freilegen. Daniel Laus Aufsatz trägt zum Verständnis des urgeschichtlichen Mensch-Tier-Verhältnisses und dessen animistischer Weltsicht bei. Lau betrachtet die Reste von megalithischen Rundbauten im türkischen Göbekli Tepe, die eine wichtige Rolle im Übergang einer Wildbeutergemeinschaft hin zu einer sesshaften, bäuerlich lebenden Humangesellschaft gespielt haben könnten. Er erläutert die parallel existierenden Deutungsversuche anthropomorph gestalteter T-Pfeiler mit Tierreliefs, bei denen den Tierbildern in der Forschung meist eine passive Rolle im Zusammenhang mit Jagd, Totenritual oder Schamanismus, als Attributstiere oder Wächter zugesprochen wird. Lau schlägt vor, die Tiere genauso wie die anthropomorphen Gestalten als konkrete Repräsentationen zu sehen. Er liest die T-Pfeiler als Kommunikationsraum: Möglicherweise, so Lau, verkörpern die T-Pfeiler konkrete Persönlichkeiten oder verstorbene Schamanen, die als Bindeglied zwischen der diesseitigen und jenseitigen Welt fungierten und denen zugetraut wurde, sich in Tiere verwandeln zu können. Der gestaltete Raum wird in Laus Interpretation zum umhegten Zugang zu einer anderen Welt, in der nicht nur menschliche Ahnen, sondern auch Tiergeister ihren Platz haben.

Ausgangspunkt von Juliet MacDonalds Beitrag ist ein Text Ernest Seton-Thompsons von 1900. Der Naturforscher beschreibt hier, wie er aus Interesse an der Weltsicht von Tieren die Wege und den Bau einer Kängururatte beobachtete und kartierte – allerdings nicht ohne den Bau im Erkenntnisprozess zu zerstören. Ein von ihm skizziertes Schaubild, der Grundriss der räumlichen Welt der Ratte, diente kurz darauf dem Psychologen Willard S. Small als Vorbild für ein komplexes Labyrinth, mit dessen Hilfe er die Lernprozesse von Ratten studierte. Adaptionen dieses Labyrinths wurden schon wenig später zum experimentellen Testen unterschiedlichster Spezies in der Verhaltensforschung verwendet und gehörten zu Hochzeiten des Behaviorismus zur Standardausrüstung jedes Labors. MacDonald rekapituliert anhand der Schaubilder der verschiedenen Stadien der Labyrinthentwicklung, wie ein ursprünglich vorhandenes Interesse am Geist der Tiere zunehmend korrumpiert wurde und zur totalen Kontrolle und mechanistischen Einschränkung objektivierter Tieren im Ratte-im-Labyrinth-Verbund führte.

Die folgenden beiden Aufsätze widmen sich den Tiergehegen in Zoos oder Tiergärten. Andreas Stark, dessen Aufsatz hier postum in der Bearbeitung von Anett Laue und Markus Kurth veröffentlicht wird, beschäftigt sich in einer historisch weit ausholenden Studie mit der Entwicklung von Gehegetypen in Berlin. Im Bestreben nach einer geordneten Welt herrschte in der Frühphase des Zoos eine taxonomische Gliederung der Tierwelt vor, während heute eher ökologische Zusammenhänge betont bzw. aktuell auch immersive Gehege favorisiert werden. Stark liest die Tiergehege als Ausdruck hegemonialer gesellschaftlicher Mensch-Tier-Verhältnisse und kritisiert in seiner Studie Verräumlichungsprozesse, die aus Tieren verfügbare Objekte machen. Er kommt zu dem Schluss, dass nicht nur die Verortung von Tieren in der Sphäre des Natürlichen nicht länger aufrecht zu erhalten ist, sondern dass auch die dichotomen Codierungen von nichtmenschlichen Tieren und Menschen zu überdenken, wenn nicht gar ganz aufzugeben sind.

Christina May untersucht die Entwicklung und Wirkungsästhetik der Nachttierhäuser in den 1960er Jahren anhand der World of Darkness des New Yorker Bronx Zoos, des Nachttierhauses des Londoner Zoos sowie der Anlage für dämmerungsaktive Tiere im Arizona Sonora Desert Museum in Tucson. Ihnen ist gemeinsam, dass sie ohne Tageslicht oder helles künstliches Licht für die Sichtbarkeit der ausgestellten Tiere und für Unterhaltung der Besucher_innen sorgen mussten. Die unterschiedlichen Häuser führten empirische Verhaltensstudien durch, experimentierten mit bläulicher oder rötlicher Beleuchtung, setzten auf akustische Reize und immersive Szenographien, entwickelten Strategien, um Besucher_innen von ihrer Desorientierung im Dunkeln abzulenken oder Verzögerungstaktiken, damit sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnen konnte. Erklärtes didaktisches Ziel der unterschiedlichen Inszenierungen und des teilweisen Entzugs visueller Reize war neben der Vermittlung spezifischer biosystemarer Zusammenhänge, ein Bewusstsein für die unterschiedlichen Habitate und für die Relativität menschlicher Umwelt und Wahrnehmung zu schaffen. Dennoch zeigt sich, dass die räumliche Gestaltung vor allem auf die Verbesserung der Sichtbarkeit und weniger auf die Bedürfnisse der Tiere ausgerichtet war. May deckt auf, dass es in den untersuchten Nachttierhäusern lediglich beim Versuch einer blassen Übersetzung von nichtmenschlicher Erfahrung in menschliche Wahrnehmung bleiben muss.

In den folgenden beiden Texten geht es um Tiere in den Künsten, insbesondere um Bühnentiere und um Filmtiere. Lars Nowak untersucht Sergej Eisensteins Montageästhetik in den Filmen Streik (1924) und Die Generallinie (1929) in Bezug zu Wsewolod Pudowkins Dokumentarfilm Mechanik des Gehirns (1925–26) und überkreuzt so Filmtheorie und Wissenschaftsgeschichte. Zunächst zeigt er, wie Eisenstein mittels Parallelmontagen, Überblendungen, Schuss-Gegenschuss-Wechseln oder dem Zusammenführen innerhalb derselben Einstellung Menschen mit Tieren analogisiert und das unabhängig davon, ob beide denselben Handlungsraum teilen oder nicht. Theriomorphisierungen und Anthropomorphisierungen geschehen dabei mit denselben filmtechnischen Mitteln. In Pudowkins Mechanik des Gehirns, einem von Ivan Pavlov beeinflussten Lehrfilm über die biologische Reflexlehre, geschieht die Parallelisierung von Menschen und Tieren vor allem durch Zwischentitel, die die Übertragbarkeit der Reflexlehre betonen. Nowak verbindet seine beiden Untersuchungsgegenstände, indem er anhand von Eisensteins Texten dessen Konzeption der Attraktions-Montage zu gezielten Reflexreaktionen herausarbeitet: So realisiere Streik die Prinzipien der Assoziationsmontage und Die Generallinie die der Obertonmontage-Theorie. Eisenstein animalisiert also nicht nur die Menschen in seinen Filmen, sondern – indem er von ihnen reflexhafte emotionale und intellektuelle Wirkungen erwartet – auch die Zuschauer_innen.

Esther Köhring untersucht in ihrem Beitrag zur Theatertheriotopologie die Theater-Tier-Raum-Ordnungen in Josephs Beuys berühmter Aktion I like America and America likes me von 1974. Sie analysiert, wie Beuys und seine Apologeten performativ und diskursiv eine esoterische Extraterritorialität inszenieren, die die Beuys’sche Privatmythologie hervorbringt und stützt. Der gleichzeitig dekontextualisierte wie essentialisierte Kojote als Unordnung stiftender Grenzgänger, der die Übergänge bevölkert, vermag das Schaustellungsdispositiv des Theaters mit der hermetischen Raumordnung des White Cubes zu verbinden. Indem die Arbeit das Verhältnis von Präsenz und Repräsentation von Bühnentieren einerseits kommentiert und andererseits die Beziehung des Theaters zu eben dieser Spannung ausstellt, avanciert Little John laut Köhring zur Denkfigur über Tiere im Theater. Am Beispiel von Antonia Baehrs Sonic Lecture Performance My Dog is my Piano von 2012, die sie vergleichsweise als weiterführende performative Reflektion über Bühnentiere und deren Ort heranzieht, zeigt Köhring, dass kein leibliches Tier anwesend sein muss, um die Bühne als (Co-)Habitat zu konstituieren, als relationalen Raum, der die menschlichen und nichtmenschlichen Akteur_innen nicht nur bestimmt, sondern auch von ihnen produziert wird.

Die nächsten beiden Textbeiträge behandeln aus ganz unterschiedlichen Perspektiven theoretische und praktische, historische und aktuelle Raumkonzepte, die zur Naturalisierung von Lebensräumen und Denkgebäuden führen. Ulrike Heitholt und Dominik Mahr untersuchen paradoxe Konzepte der Räumlichkeit von Vögeln am Beispiel deutscher Feldornithologie und der Geflügelzucht. Während sich die Ornithologie zuvor vor allem mit der taxonomischen Einordnung von Vogelpräparaten beschäftigt hatte, wandelten sich die Perspektiven und Methoden der Wissenschaft ab der Mitte des 19. Jahrhunderts durch in privaten Naturvereinen organisierte Amateure. Vogelforscher interessierten sich nun auch für Verbreitungs- und Zugerscheinungen in der Vogelwelt, die sie in Feldexkursionen erkundeten. Die Spatialität des Geflügels entwickelte sich völlig anders: Während Hühner bis ins 19. Jahrhundert hinein in der Regel frei und relativ unkontrolliert herumliefen, sich dabei aber keiner guten Reputation erfreuten, änderte sich beides, als der Import bislang unbekannter Hühnerrassen zu einer gezielten Rassegeflügelzucht und zur Gründung von Geflügelzuchtvereinen führte. Einerseits wurden Rassehühner nun im bürgerlichen Raum akzeptiert und über Kontinente hinweg verschifft, andererseits verloren die Tiere einen großen Teil ihrer räumlichen Freiheit: Sie wurden nun in auf Effizienz ausgelegten Ställen und Käfigen verwahrt und in jeder ihrer Lebensäußerungen kontrolliert. Heitholt und Mahr zeigen, wie der Aufstieg der Hühner zu Liebhaberobjekten den alltäglichen Bewegungsradius individueller Tiere massiv beschränkte, während zur gleichen Zeit mit der Entwicklung der Feldornithologie das Bewusstsein und die Akzeptanz für den unbegrenzten Lebensraum frei fliegender Vögel wuchs.

Der abschließende, gedanklich und sprachlich stark verdichtete Beitrag von Matthias Preuss entlarvt am Beispiel der Zugpferde und der Fleischfabriken im Paris des 19. Jahrhunderts die Interdependenzen von begrifflich-virtuellen und reellen Habitaten kapitalisierter Tiere. Er bedient sich der Trope des Gemeinplatzes „Tier“, den er in seiner Abgrenzung vom Menschen in Anlehnung an Jacques Derrida nicht nur als Plattitüde und „Begriffs-Pferch“ liest, sondern auch als realen Ort bzw. Ab-Ort, der die Tötung von Tieren verstellt und unsichtbar macht. Preuss deckt die räumlichen, psychologischen und sprachlichen Verdrängungsmechanismen auf, die – aus Eigeninteresse heraus – zur Verbannung tierlichen Leidens aus den öffentlichen Gemeinplätzen und zur Verlagerung in auf Tötung spezialisierte Einpferchungen am Stadtrand geführt haben.

Die vier künstlerischen Beiträge befragen die raumgestaltende, konstruktive Kraft von Tieren, die räumlich beschränkten Lebensbedingungen sogenannter Haustiere, das Bevölkern des städtischen Raums durch Tiere und die Koexistenz von Spezies ebenso wie den Verlust von Lebenswelten.

Für das mehrjährig angelegte Projekt Tiere in meiner Welt – Meine Welt in Tieren notiert Rolf Bier Tiere dort, wo sie sich aufhalten und er ihnen – zufällig – begegnet. Er arbeitet damit an der Schnittstelle von menschlichem und tierlichem Raum bzw. dort, wo die Lebenswelten überlappen. Der Künstler versteht seine Arbeit als eine aufmerksam wahrnehmende, empathische Annäherung an Leben, das sich außerhalb des eigenen Ichs behauptet. Für jedes gesehene Tier schreibt er den exakten Ort und Zeitpunkt der Sichtung auf und hält somit einen Moment von Interspezieskoexistenz fest, der sonst unbemerkt verginge und verloren wäre. Für Tierstudien hat er aus der umfangreichen künstlerischen Feldstudie die drei Wappentiere seines dreibändigen Buchprojekts ausgewählt: Esel, Schwan und Krebs. Obwohl die drei Tiere völlig unterschiedliche Lebensräume beanspruchen, teilen sie sich zwangsläufig ein Habitat mit den omnipräsenten Menschen. Allerdings muss der Künstler in einer globalisierten, zunehmend industrialisierten Welt achtsam beobachten, um diese und andere Tiere überhaupt zu bemerken, und vor allem, um diesen seltener werdenden Begegnungen Wert zuzumessen.

Die folgende, eher literarisch ausgerichtete Künstlerstrecke entstammt der Artistic Research der Künstlergruppe kainkollektiv. Im Projekt Tiere in Städten, das als Work-in-Progress kontinuierlich weitergeführt wird, entstehen neben Objekten, Aktionen und Geräuschen auch Textskizzen: Im ersten Text (0) wird die generelle Arbeitsweise von Mitgliedern der Gruppe assoziativ in Form eines Tagebucheintrags vorgestellt und mit einem Umherstreifen und Blindflug und damit unbewussten, quasi ‚animalischen‘ Prozessen verglichen. Das andere Tun verdichtet auf poetische Weise die fluide Identität der ‚Türkentauben‘, die sich trotz diverser Vergrämungsmaßnahmen in der Stadt behaupten. Bruno der Bär ist ein beziehungsreicher Bericht über die Ereignisse um den im Sommer 2006 in den bayerischen Alpen aufgetauchten Bären JJ1, der schnell gleichzeitig zum Medienliebling und ‚Problembären‘ avancierte, bis er für das Überschreiten einer für ihn unsichtbaren Grenze mit dem Tod bestraft wurde. Ökologische Nische (Chor) schließlich wirkt wie ein dadaistischer Lexikoneintrag und schließt mit der Bezugnahme auf die Türkentaube an den zweiten Text an.

Das Künstlerduo Bryndís Snæbjörnsdóttir und Mark Wilson untersucht in a safe passage die Rolle von Maulwürfen als Landschaftsgestalter, Architekten, Ingenieuren und Archäologen, also als kreative, raumgestaltende Akteur_innen. U. a. verweisen sie auch auf Martha Roslers Documenta-Beitrag von 2007, für den die Künstlerin aus der Perspektive eines Maulwurfs Kasseler Gärten fotografierte, wodurch die Spezies in eine Reihe mit anderen tierlichen, wenn auch meist symbolisch gemeinten Protagonist_innen in künstlerischen Prozessen gestellt wurde. Weniger ästhetische als ethische Fragen im Umgang mit Maulwürfen, die sich in von Menschen kultivierte Räume begeben, wirft dann die Auflistung des Waffenarsenals auf, mit dem aufgewartet wird, um Maulwürfe zu töten oder zu vertreiben. Die Arbeit macht, wie so oft im Werk der beiden Künstler_innen, die Widersprüchlichkeit der Tier-Mensch-Beziehung überdeutlich und fragt hypothetisch danach, ob es überhaupt die Möglichkeit einer sicheren Passage für Maulwürfe geben kann: von einem Ort, wo sie meist als Plage gelten, an einen Ort, an dem sie sichere Territorien errichten können.

Die Fotos von Oskar Verant, die Tiere an den beengten und wenig ‚artgemäßen‘ Orten zeigen, die ihnen von Menschen zugeteilt wurden, sind alle 2014 in Bozen und Perugia entstanden und wurden erstmals unter dem Titel TieRauMensch in der Gruppenausstellung „Arche Noah“ in der Festung Franzensfeste gezeigt. Die Aufnahmen machen auf den ersten Blick die absolute Deplatziertheit der dargestellten Tiere klar. Die Behältnisse, in denen die Tiere leben müssen, haben vor allem Kontrollfunktion und sind ganz auf den Schauwert des jeweiligen Tieres ausgerichtet. Auf die Bedürfnisse der Insassen wird wenig Rücksicht genommen, auch wenn die Ausstattung der Container zuweilen ein rudimentäres ‚natürliches‘ Habitat zu imitieren sucht. Jede körperliche Erkundung der Außenwelt bleibt den Tieren verwehrt, egal wie nah diese auch ist. Das Erschreckende der Aufnahmen ist, dass sie keine Extremfälle dokumentieren, sondern den alltäglichen Wahnsinn westlicher Haustierhaltung. Rainer Maria Rilkes viel zitierte und auf unterschiedlichste Weise ausgedeutete Zeile „Mit allen Augen sieht die Kreatur das Offene“4 aus der Achten Duineser Elegie (1922) gewinnt hier einen bitteren Beigeschmack.

Die Beiträge in dieser Ausgabe von Tierstudien rufen einmal mehr in Erinnerung, dass Menschen und die anderen Tiere zwar unterschiedliche Umwelten haben mögen, dass sie aber dennoch miteinander eine Welt teilen. Damit, so könnte man meinen, sollte eine gewisse Rücksichtnahme bei der ständig massiver werdenden Ausweitung menschlicher Territorien einhergehen.

Jessica Ullrich

Anmerkungen

1 Vgl. u. a. Chris Philo / Chris Wilbert: Animal Spaces, Beastly Places. New Geographies of Human-Animal Relations. New York: Routledge 2000, oder Julie Urbanik: Placing Animals. An Introduction to the Geography of Human-Animal Relation. Plymouth: Rowman & Littlefield 2013 (in dieser Ausgabe rezensiert von Aline Steinbrecher).

2 Vgl. u. a. Mike Hansell: Animal Architecture. Oxford: Oxford University Press 2005, oder den Aufsatz von Sascha Roesler: Bauen ohne Hand und Hirn. Anmerkungen zum Begriff der Tierarchitektur. In: Tierstudien 01 (2012): Animalität und Ästhetik, S. 93–104.

3 Vgl. Sue Donaldson / Will Kymlicka: Zoopolis.A Political Theory of Animal Rights. Oxford: Oxford University Press 2011 (in dieser Ausgabe rezensiert von Livia Boscardin).

4 Rainer Maria Rilke: Achte Duineser Elegie. In: Ders.: Sämtliche Werke, Bd. 1, hrsg. v. Rilke-Archiv. Wiesbaden / Frankfurt am Main: Insel 1955–1966, S. 714–717, hier S. 714.

Tierspuren

Das Tier im neolithischen Raum am Beispiel des Fundortes Göbekli Tepe

Daniel Lau

Der archäologische Fundort Göbekli Tepe liegt im Südosten der heutigen Türkei, etwa 15 Kilometer nordöstlich der Stadt Şanlıurfa. Die Fundstelle erstreckt sich auf einer Fläche von etwa 9 Hektar und liegt auf der Kuppe eines Hügels, rund 800 Meter über dem Meeresspiegel. Seit 1995 finden hier, im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts und in Kooperation mit dem Archäologischen Museum von Şanlıurfa unter der Leitung von Klaus Schmidt, Ausgrabungen statt.1 Es lassen sich zwei Bauschichten voneinander trennen, von denen die ältere etwa in die Mitte des 10. und die jüngere in das 9. Jahrtausend v. chr. Z. datiert. In diesem Zeitraum vollzog sich im Gebiet des ,Fruchtbaren Halbmondes‘, einem geografisch gedachten Bogen, der sich von der südlichen Levante nach Norden entlang der Ausläufer des Taurus- in das Zagros-Gebirge hinein erstreckt, der Wandel vom Wildbeutertum hin zu einer sesshaften, produzierenden Subsistenzwirtschaft.2

Die Bedeutung dieses Fundortes liegt in den bislang ausgegrabenen sieben megalithischen Rundbauten.3 Diese zwischen zehn und zwanzig Meter durchmessenden Strukturen datieren in die ältere Bauschicht und stellen nach Beurteilung des Ausgräbers keine Wohnbauten dar. Die vielmehr als ‚sakral‘ gedeuteten Strukturen bestehen aus symmetrisch im Kreis angeordneten, drei bis über fünf Meter großen und bis zu zehn Tonnen schweren Kalksteinpfeilern, die aufgrund ihrer Form als T-Pfeiler bezeichnet werden. Eine Gruppe von jeweils zehn bis zwölf dieser Pfeiler bildet einen Rundbau, der wiederum jeweils zwei weitere im Zentrum der Anlage stehende größere Pfeiler einhegt (Abb. 1).

Abb. 1 Blick auf einen Rundbau, Göbekli Tepe, Südost-Türkei, 10. Jts. v. chr. Z.

Ungeklärt ist die Frage, ob die Rundbauten überdacht waren und die Pfeiler eine wie auch immer geartete Bedachung stützten.4 Nach Klaus Schmidt entstanden die monumentalen Bauwerke des Göbekli Tepe aus dem „Verlangen nach einem ‚sakralen Raum‘“ und besitzen „eine Schlüsselfunktion im Transformationsgeschehen vom Wildbeuter zum Bauern“.5 Nach Peters und Schmidt lassen sich hier die ersten Anzeichen einer Hierarchisierung der Humangesellschaft ausmachen, an dessen oberen Ende sie einen oder mehrere Schamanen vermuten, die für die Errichtung der Bauten verantwortlich gewesen seien.6

Viele der T-Pfeiler sind in flachem Relief verziert. Neben abstrakten Symbolen, deren Deutung sich unserer Kenntnis entzieht, wurden zahlreiche Tiere dargestellt, darunter Auerochsen, Wildschweine, Füchse, Kraniche, aber auch Skorpione und Schlangen (Abb. 2). Fische, deren Überreste im Verfüllschutt der Bauten nachgewiesen werden konnten, sind bislang nicht unter den Abbildungen vertreten. Die Säugetiere sind durchgehend männlich dargestellt, die Raubtiere meist mit gefletschten Zähnen.7 Das Geschlecht der Vögel und Insekten lässt sich anhand der Darstellungen nicht ermitteln. Bislang sind auch die Darstellungen von zwei Menschen, eine davon ithyphallisch und ohne Kopf, bekannt sowie die einfache Ritzzeichnung einer frontal dargestellten nackten Frau in gebärender Haltung.8

Abb. 2 Ein mit Tierdarstellungen (Auerochse, Wolf/Fuchs und Kranich) verzierter sogenannter T-Pfeiler.

Die T-Pfeiler werden als anthropomorph gedeutet, denn viele zeigen zwar stark stilisierte, trotzdem aber erkennbare Darstellungen menschlicher Hände und Arme.9 Sie sind mit ihrer Vorderseite stets auf die beiden im Zentrum der Anlage befindlichen ‚Zwillingspfeiler‘ orientiert.10 Die Gestalten sind offenbar geschlechtslos und angedeutete, von Schmidt als ‚Stola‘ interpretierte Ornamente sind die einzigen Unterscheidungsmerkmale – auch Gesichtszüge oder Augen fehlen. Diese numinose Darstellung des Anthropomorphen deutet Schmidt vage als Repräsentation von Göttern, Ahnengeistern oder Dämonen, ohne sich jedoch festzulegen oder seine Deutung konkretisieren zu wollen, jedenfalls seien es „sehr wichtige Wesen, die sich dort im Kreis versammeln“11 und so einen ‚sakralen Raum‘ schaffen.

Aus Bruchsteinen gefertigte und in Lehmmörtel verlegte Mauerstücke zwischen den einzelnen Pfeilern, grenzen ein ‚Innerhalb‘ von einem ‚Außerhalb‘ deutlich ab. Schmidt weist den anthropomorphen T-Pfeilern eine dominante Rolle zu, auf einer zweiten Ebene illustrieren die Tierdarstellungen ein mythologisches Geschehen, das wiederum auf einer dritten Ebene durch die abstrakten undeutbaren Symbole ergänzt werde.12

Hier bilden die Funktion, die Gestalt des Bildträgers und das auf ihm Dargestellte eine unauflösliche Einheit. Daher kommt ihrer Verzierung mit Tierbildern eine besondere Bedeutung für das Verständnis des urgeschichtlichen Mensch-Tier-Verhältnisses zu.

Die Symbole, Tierdarstellungen und die T-Pfeiler konstruieren einen Raum, der für spezielle Handlungen ausgelegt war, die als ‚sakral‘ umschrieben werden können. Die Art der hier ausgeführten Handlungen wird bis auf wenige vage Aussagen nicht mehr rekonstruierbar sein. Abgesehen von den aus den Schuttmassen geborgenen Funden wie Steingeräte und Knochen, sind die Tierdarstellungen der einzige Anhaltspunkt, der eine Funktionsdeutung der Räume ermöglichen kann. Peters und Schmidt haben mehrere mögliche Interpretationen zusammengetragen, die im Folgenden kurz vorgestellt werden sollen:13

Zum einen werden die dargestellten Tiere als Attributstiere der anthropomorphen außerweltlichen Entitäten verstanden. Sie offenbaren demnach, möglicherweise im Sinne eines ‚Helfertieres‘, das Wesen der Pfeilergestalten. Peters und Schmidt nehmen an, dass den Tierdarstellungen neben einer generellen Schutzfunktion auch eine Wächterfunktion zukommt, in der sie ihre menschlichen ‚Besitzer‘ schützen sollen.14

Eine andere Interpretation sieht die Tierdarstellungen im Zusammenhang mit Jagd(-ritualen).15 Hier offenbart sich jedoch eine Diskrepanz zwischen der Häufigkeit der Abbildung eines spezifischen Tieres und der Anzahl der tatsächlichen am Fundort entdeckten Knochen. Am häufigsten dargestellt sind Schlange und Fuchs, gefolgt vom Wildschwein, während in den Tierknochen Auerochse und Gazelle am häufigsten vertreten sind.16 Eine Jagd war in Wildbeutergesellschaften aber nicht allein eine Maßnahme, um die Kalorienzufuhr einer Gruppe zu gewährleisten. Vielmehr diente sie dazu, sich der übernatürlichen Kräfte, die den gejagten Tieren innewohnten, zu bemächtigen.17

Der Fuchs scheint hier eine Mittlerfunktion innezuhaben, da er sowohl in den Darstellungen als auch in den Faunenresten eine prominente Rolle einnimmt. Der Befund wird dahingehend interpretiert, dass der Fuchs hauptsächlich wegen seines Pelzes und der Zähne gejagt wurde.18 Unterstützung findet diese Annahme durch die Reliefdarstellungen auf den Zentralpfeilern in Anlage D. Hier zeigt sich, dass die T-Pfeiler unter den dargestellten menschlichen Händen einen Gürtel tragen, von dem ein Lendenschurz herabhängt. Dieser Lendenschurz besteht vermutlich aus dem Fell eines Fuchses (Abb. 3).

Knochen, die aus dem Verfüllschutt der Rundbaut

Abb. 3 Darstellung eines Gürtels und Lendenschurzes aus Fuchsfell, auf einem der Zwillingspfeiler in Rundbau D.

en stammen, werden im Jagdzusammenhang und der Nahrungszubereitung interpretiert.19 Kleinere Knochen und beispielsweise Gräten konnten jedoch nur geringfügig berücksichtigt werden, da nur wenig Material fein ausgesiebt wurde, so dass diese Faunenreste unterrepräsentiert sind. Es konnte archäozoologisch nachgewiesen werden, dass die Gazellen-, Auerochsen- und Wildeselreste auf eine Jagd in den heißen Monaten des Jahres, von der Mitte des Sommers bis in den Herbst, schließen lassen. In den kälteren Monaten ist zumindest die Gazelle in wärmere südliche Gefilde abgewandert. Eine Bejagung zu dieser Zeit des Jahres, in der im Süden (also Nordsyrien) die Wildgetreide und Hülsenfrüchte bereits abgeerntet waren, mag darauf hinweisen, dass die Gruppen den Gazellen nach Norden gefolgt sind. Neben der Jagd auf Gazellen konnten in den Sommermonaten im Anti-Taurus Pistazien und Mandeln geerntet werden. Das Vorkommen der reichen Nahrungsquellen könnte einer der entscheidenden Beweggründe für die Errichtung der saisonal genutzten Fundstelle des Göbekli Tepes gewesen sein.20 Ein weiteres entscheidendes Kriterium für die Wahl des Ortes war der hier anstehende harte, kristalline und sehr qualitätsvolle Kalkstein, aus dem die baulichen Strukturen und andere Objekte gefertigt worden sind.

Schmidt sieht in dem Fundort ein regionales Zentrum, in dem die Menschen zusammenkamen.21 Die Arbeit an den Bauten und den Reliefs sowie das gemeinsame Speisen erzeugte einen soziologischen und ideologischen Zusammenhalt der Gruppe.22