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Max Haushofer

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Beschreibung

Das Land Tirol!
Wer den Namen hört und die Augen schließt, dem ersteht vor dem inneren Blick ein großartiges Bild irdischer Meisterschönheit: grüne, von mächtigen, wilden Bergströmen durchrauschte Thäler mit alten Städtchen und mit friedsamen Dörfern, die sich an die Wiesenhänge lehnen; und über den Dörfern dunkele Waldung, aus deren schattigem Kranz weiße, graue und rote Felsmauern ragen; über diesen Felszinnen aber ein flimmerndes, funkelndes Dach von Eis und ewigem Schnee; ein Dach, über dessen schwindlig steile Schneiden und Hörner jahrhundertelang nur die Geister der Sage mit Elfenfüßen schritten, bis es seine Geheimnisse den kühnen Pfadfindern des XIX. Jahrhunderts erschloß.
Und in den Thälern ein Volk, schlicht und treu und heldenkühn; ein Volk, dessen Geschichte zurückreicht in die Zeit des gewaltigen römischen Kaiserreichs. Ein Volk, das in der Einsamkeit seiner Thäler lebt und stirbt, das fromm wie Kinder in seinen Dorfkirchen kniet, aber in Zeiten der Gefahr nicht bloß seine Männer, sondern auch seine Weiber und Knaben zum todbringenden Schießzeug greifen läßt für den Kampf um Heimat und Vaterland!

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Tirol

Von

Prof. Dr. Max Haushofer

Mit 200 Abbildungen nach photographischen Aufnahmen und einer farbigen Karte.

1899

© 2023 Librorium Editions

ISBN : 9782385740436

Inhalt.

 

Seite

I.

Einleitung

3

II.

Geographische Übersicht

8

III.

Klima, Pflanzen- und Tierwelt

26

IV.

Geschichtliche Übersicht

38

V.

Bevölkerung

51

VI.

Das Unterinnthal und seine Nachbarschaft

76

VII.

Nordwesttirol

94

VIII.

Vorarlberg

115

IX.

Vintschgau

122

X.

Sillthal, Brenner und Bozen

140

XI.

Pusterthal und Tauern

153

XII.

Etschthal von Bozen bis Verona

170

XIII.

Die südlichen Thäler der Dolomitalpen

178

XIV.

Nonsberg und Judicarien

188

 

 

Litteratur

192

 

Register

193

 

Karte von Tirol.

 

 

Abb. 1. Großglockner, von der Franz Josefshöhe gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

 

Tirol.

I. Einleitung.

Das Land Tirol!

Wer den Namen hört und die Augen schließt, dem ersteht vor dem inneren Blick ein großartiges Bild irdischer Meisterschönheit: grüne, von mächtigen, wilden Bergströmen durchrauschte Thäler mit alten Städtchen und mit friedsamen Dörfern, die sich an die Wiesenhänge lehnen; und über den Dörfern dunkele Waldung, aus deren schattigem Kranz weiße, graue und rote Felsmauern ragen; über diesen Felszinnen aber ein flimmerndes, funkelndes Dach von Eis und ewigem Schnee; ein Dach, über dessen schwindlig steile Schneiden und Hörner jahrhundertelang nur die Geister der Sage mit Elfenfüßen schritten, bis es seine Geheimnisse den kühnen Pfadfindern des XIX. Jahrhunderts erschloß.

Und in den Thälern ein Volk, schlicht und treu und heldenkühn; ein Volk, dessen Geschichte zurückreicht in die Zeit des gewaltigen römischen Kaiserreichs. Ein Volk, das in der Einsamkeit seiner Thäler lebt und stirbt, das fromm wie Kinder in seinen Dorfkirchen kniet, aber in Zeiten der Gefahr nicht bloß seine Männer, sondern auch seine Weiber und Knaben zum todbringenden Schießzeug greifen läßt für den Kampf um Heimat und Vaterland!

Ströme von Steintrümmern, Ströme von Wässern, Ströme von Eis und Ströme von Völkerschaften haben sich durch das Land ergossen, bis es zum Land Tirol von heute ward. Doch was diese Ströme auch mit sich rissen: seine große plastische Schönheit konnten sie dem Lande nicht entführen; auch nicht jene Tausende von heimlichen Winkeln und Ecken, in denen menschliches Leben und Geschichte sich eingeschmiegt haben mit ihren Häusern und Kirchen, Städtchen und Burgen.

Wir sehen das Land schon lange, ehe wir es betreten; wir sehen seine weißgrauen Felszinnen über die Voralpen emporschauen, wenn wir uns von Norden her nähern; und kommen wir von Süden, so grüßen uns auch nackte Bergmauern schon lange, während wir noch aus der lombardischen Ebene dahinrollen. Felsenthore nehmen uns auf, aus denen uns eiskalte, helle Ströme zwischen weißen Kiessäumen bergfrisch entgegenrauschen. Ein breites Thal liegt vor uns; an der Nordseite von kahlem, grauem Geschröffe vermauert, während an der Südseite grüne, bewaldete und bemattete Hänge sanfter hinansteigen. An Dörfern und Städten trägt uns das Rad auf der dröhnenden Schiene vorüber, auf Brücken den Strom übersetzend. Und bald erschließt sich in der südlichen, bald in der nördlichen Thalumwallung ein Spalt, der uns einen Einblick in irgend eine stille verträumte Nische dieser Bergwelt gestattet, wo abseits vom Lärm der großen Welt ein Häufchen Menschen lebt, das nichts kennt, als seine paar Häuser, seine weiße Kirche und die himmelhohen Berge, die seine Heimat umschließen.

Wir verlassen die Schienenstraße und wandern mittagwärts in eines jener Thäler hinein. Tiefe Einsamkeit umgibt uns bald; durch einen Erlenwald hören wir, manchmal näher, manchmal ferner, einen Bergstrom rauschen. Das erste Dorf, das in einer Thalweitung sich zeigt, ist groß und wohlhabend, von Obstgärten und Getreidefeldern umgeben. Dann verengert sich das Thal wieder; durch eine Wildnis von grauen und braunen Trümmerblöcken, die von den hohen, düster über uns starrenden Thalwänden niedergestürzt sind, windet sich ein schlechtes Sträßchen hinan, neben dem in grandioser Wildheit uns entgegenschäumenden Gletscherbach. Eine höhere Thalstufe wird erreicht; wieder breiten sich grüne Matten um uns aus, von riesenhaften Bergen überragt, über deren braune Wände Wasserfälle niederstäuben, die aus Schnee- und Eisfeldern entspringen. Hoch oben zwischen finsterem Zackengemäuer sieht man die blauen Gletscherzungen herabhängen, aus denen diese Sturzbäche kommen. Und wieder treten die Thalwände näher zusammen. Der einwärts führende Weg ist nun nicht mehr fahrbar; als steiniger Saumpfad nur zieht er sich steil empor, durch stundenlange Einöden, bald am rechten, bald am linken Ufer des tosenden Gletscherbachs, über schwankende Balkenbrücken, an schwindlig jähen Felswänden oder über wüste Schuttwälle hinweg. Dann öffnet sich das Thal noch einmal; sein letztes höchstes Dorf begrüßt uns: ein Haufen brauner Holzhäuser, zu Füßen einer schmucklosen grauen Steinkirche. Ringsum grünes Gehügel und über ihm ansteigend graue Bergflanken; wo sie etwa einen Durchblick gestatten, sieht man weiße Eismassen niedersteigen und im fernsten Hintergrunde einen in blinkendes Schneekleid gewandeten Hochgipfel aufragen. Das Dorf ist wie ausgestorben; nur ein paar Kinder, die an einem Zaune sitzen, schauen uns mit großen schwarzen Augen verwundert an.

Und weiter geht’s, wieder stundenlang, zu den letzten Thalstufen empor, durch Engen und Schluchten, an steinigen Hängen hinan. Noch einzelne Bäume zeigen sich an diesen Hängen: verwitterte seltsam geformte Zirbelkiefern, deren zähes Wurzelwerk im Felsboden sich einen rauhen Stand gesucht hat. Dann bleiben auch sie zurück; und wie der Thalgrund sich wieder öffnet, ist er zu einem riesigen Amphitheater von Fels und Eis geworden. Zwischen nackten Riffen und Hörnern, die nur am Fuße noch hier und da den Anflug spärlicher grüner Moosbekleidung zeigen, wälzen sich, von himmelblauen Spalten durchsetzt, breite Eisströme herab, deren Ursprung stundenweite Firnfelder sind. Und über diesen türmen sich noch in geisterhafter Schönheit die höchsten Zinnen und Zacken des Gebirges empor: blinkende Schneespitzen, nur an den Schultern unterbrochen von schwärzlichen Klippen oder blaugrünen Eisbrüchen. Der Boden dieses Hochthales aber ist ein Spielplatz der Gletscherbäche, die hier von allen Seiten her als weiße Fäden über die Moränenwälle und die letzten grünen Matten herabkommen. Hoch über einem dieser Moränenwälle, auf isoliertem Felshügel, schimmert noch ein kleiner Steinbau in der Abendsonne: eins von den Unterkunftshäusern, die der Alpenverein an den Enden der Hochthäler errichtet hat, dort, wo die letzten gebahnten Pfade enden, wo der Wanderer, der noch weiter will, sich den Steig durch die schreckhaften Eisgefilde selber bahnen muß.

So ist der Charakter der Landschaft in den Thälern, die zum mittelsten Eiskamm der Tiroler Alpen hinanführen, zu jenem Eiskamm, der von Westen nach Osten, nur an wenigen Stellen zu tieferen Pässen eingeschnitten, das Land durchzieht.

Abb. 2. Silvrettagruppe, vom Jamthal gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Abb. 3. Alt-Finstermünz. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Haben wir diesen Kamm überstiegen, so erschließen sich neue Gebirgsbilder. Aber sie sind von ganz anderer Art. Andere Gesteine bauen sich in abenteuerlichen Formen vor uns aus; statt des dunklen Fichtenwaldes, der auf der Mitternachtsseite der Alpen uns umrauschte, grüßen uns die saftigen Wipfel der Edelkastanie und des Weinstockes zierliches Blätterwerk in den Thälern und an den tieferen Thalwänden. Und wandern wir aus einer der großen Thalfurchen hinauf ins Gebirge, so staunen wir über die Mannigfaltigkeit der Gesteine, die dort aus den Tiefen der Erde emporgestiegen sind. Über rebenumrankte, rote Porphyrkuppen führt uns der Pfad empor; dann wieder an brüchigen Schieferwänden entlang, wo der verwitterte Steig unter den Füßen des Wanderers abglitscht. Und dann erreichen wir eine wellige grüne Hochfläche, aus der wie Trümmer fabelhafter Riesenbauwerke die weißen Kolosse der Dolomite aufragen. Türme, Hörner und Zähne von unglaublichster Gestalt. Wir wandern über die Hochfläche hin an Schlünden vorüber, die, von pechschwarzem Porphyr gebildet, wie Zugänge zur Unterwelt uns angähnen. Zwischen zwei unersteiglich scheinenden Naturburgen aus Dolomit überwandern wir ein grünes grasiges Joch und schauen jenseits in eine völlig rätselhafte Landschaft. Denn vor uns liegt eine Unzahl von einzelnen Berggruppen. bald steile Türme; dann wieder ausgedehnte breite Felsmassen; dazwischen öde steinige Gassen, die in eine ganz fremde Welt zu leiten scheinen. Hier ist alles überraschend; die Landschaftsbilder wechseln unaufhörlich. Und wenn wir, der Felsenwanderung müde, ein Gefährt besteigen, das uns ins Hauptthal zurückführen soll, rollen wir nach wenigen Stunden wieder auf prächtiger, vielfach gewundener Kunststraße thalabwärts in ein immer üppiger werdendes Gefilde, wo uralte Nußbäume und Kastanien ihren Schatten werfen, Schlinggewächs die Dächer der italienisch aussehenden Häuser überrankt und Reben über die Mauern hereinhangen. Und an den fruchtreichen Gehängen, nach der Tiefe des breiten Stromthales zu, sehen wir noch in meilenweiter Ferne Ortschaften, Kirchen und Burgen erglänzen, über denen sich rote Felsenberge mit grünen Hochflächen aufbauen. Aber selbst auf den Hochflächen, in schwindelnder Höhe über der Thalsohle, schimmern als weiße Pünktchen noch friedliche einsame Ansiedelungen, und in viel weiterer Ferne noch erscheinen wie Traumgestalten wieder die stolzen duftumflossenen Schneehäupter, die des Landes Marksteine bilden.

Abb. 4. Ortler, von der Dreisprachenspitze gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Abermals nimmt uns die stählern dröhnende Maschine mit, thalabwärts, in die Sonnenglut südlicher Landschaft. Sie reißt uns an heißen Bergwänden entlang durch Gartengefilde, wo aus lichtem Grün schon einzelne dunkle Cypressen ragen. Und endlich landet sie uns am Strande eines großen blauen Wassers. Fremdartige Blumenschönheit nickt uns aus dieser Landschaft entgegen; welsche Laute schlagen an unser Ohr. Über die Felsenufer, an die azurne Wellen mit wunderbarem Glanze plätschern, wandern wir nach einem Hain von Ölbäumen, durch dessen schlanke Baumgestalten trauernde Griechengötter wandeln könnten. Noch sind wir im Land Tirol; aber seine südlichsten Felsenpfeiler leuchten im Abendgolde über unserem Haupt; und noch weiter südlich, wo unser Blick an einem fernen Vorgebirge vorüberfährt, liegen vor ihm, von grauem Gewitterdunst überlagert, als weites Flachland die vielumkämpften Schlachtfelder der Lombardei.

II. Geographische Übersicht.

Gestalt und Flächeninhalt Tirols.

Tirol ist das am meisten nach Westen vorgeschobene Land der österreichisch-ungarischen Monarchie. Und es ist zugleich dasjenige Land, welches, von deutschen Volksstämmen besiedelt, am vollendetsten als Übergang aus Deutschland nach Italien erscheint. Die Lage Tirols ist nicht österreichisch — so gut österreichisch auch das Herz des Volkes schlägt.

Gestalt und Zugänglichkeit der Grenzen mußte vom größten Einfluß auf die Berührung mit den Nachbarländern und Nachbarvölkern sein. Am offensten erscheint die Grenze immer noch nach Norden hin.

Wohl bauen sich da die nördlichen Kalkalpen als riesiger Grenzwall gegen Bayern auf; aber dieser Grenzwall hat doch eine ganze Reihe von breiten Pforten: das Rheinthal, das Lechthal, den Fernpaß, das Loisachthal, die Achenseefurche, das Innthal und das Thal der Kitzbühler Ache. Durch diese Zugänge konnten jene Volksstämme, die jeweils die Hochebene südlich der Donau inne hatten, in das Herz des Berglandes eindringen. Weniger zugänglich erscheint die nach Südosten, gegen Salzburg, Kärnten und Venetien gerichtete Grenze und die Westgrenze, die an die Schweiz und an die Lombardei stößt.

Der gesamte Flächeninhalt der „gefürsteten Grafschaft“ Tirol beträgt 26683 qkm; hierzu kommt Vorarlberg mit 2602 qkm. Beide Länder bilden zusammen eines der Kronländer von Österreich, mit zusammen 928769 Seelen, die sich auf 1002 Gemeinden in 2140 Ortschaften verteilen.

In seiner Grundform erscheint das Land Tirol als ein etwas schräges Dreieck. Die Nordseite dieses Dreiecks legt sich an die Südgrenze von Bayern. Die Westfront stößt mit ihrer Nordwestecke an den Bodensee; in sie dringen der Schweizer Kanton Graubünden und das zur Lombardei gehörige Veltlinthal tief ein. Die Südspitze des Dreiecks ist stumpf und durch den Gardasee gespalten, die nach Südosten stehende Seite lehnt sich an die italienische Provinz Venetien und weiter nördlich an die österreichischen Alpenländer, wo der Paß Strub die nordöstliche Ecke des Dreiecks bildet.

Die nördliche breite Hälfte dieses Dreiecks, zwischen deutschen Ländern gelegen, trägt durchaus deutschen Charakter, obwohl die Orts- und Bergnamen romanischen Klang haben. Die Südspitze des Ländchens dagegen, die wie ein Keil zwischen die Lombardei und Venetien eindringt, ist italienisch; italienisch ist der Charakter der Landschaft, italienisch zum größten Teil die Bevölkerung.

Abb. 5. Königsspitze mit der Schaubachhütte. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Gliederung des Landes.

Erfaßt man das Land als Grundlage des menschlichen Lebens, so läßt Tirol deutlich zwei große Furchen erkennen, in denen dieses Leben gesät ist und wächst. Die eine dieser Furchen legt sich quer durch Nordtirol; sie beginnt im Westen in der Tiefe des Rheinthales und zieht über den Arlberg und Innsbruck nach Osten, bis ihr an der Ostgrenze Tirols das Steingebirge von Lofer einen Wall entgegenschiebt. Die andere dieser Furchen zieht in nordsüdlicher Richtung von Innsbruck über den Brenner nach Bozen und weiter über Trient nach Verona. Fast nur durch das, was in diesen Furchen atmet und sich regt, ist Tirol mit der Geschichte und den übrigen Völkern in Verbindung getreten. Wer freilich des Landes Wesen und Eigenart genauer prüft, findet leicht, daß diese Furchen durch ein Geäder von Seitenthälern mit dem ganzen Lande in lebendiger Verbindung sind und durch dieses Geäder Kraft und Lebensstoff aufnehmen.

Die Alpen erfüllen Tirol vollständig. So vollständig, daß nur das Dorf Erl im Unterinnthale und Bregenz am Bodensee in flacheres Land hinausschauen, wenn auch diese beiden Ortschaften noch selber an den Fuß der Alpen sich lehnen. Und im Süden — ja, vom Hafen von Torbole am Gardasee vermag man in die lombardische Ebene zu blicken; auch dort ist eins von den wenigen Fenstern, durch die der Blick ins Flache führt.

Sonst überall Berge, Berge, Berge!

Die Ketten der Alpen, welche Tirol in ostwestlicher Richtung durchziehen, lassen deutlich einen dreifachen Wall unterscheiden. In Mitte des Landes die in einer Reihe von Gruppen auftretende Kette der Centralalpen; nördlich und südlich von ihr die durch die Innfurche, sowie durch die Thaltiefen des Vintschgau und des Pusterthales abgegrenzten nördlichen und südlichen Kalkalpen. Die Centralalpen sind nicht bloß aus anderem Gestein aufgebaut, als die Kalkalpen; sie haben auch andere Berg- und Thalformen, anderes Natur- und Menschenleben. Der stärkeren Eisbedeckung der Centralalpen entspricht ein größerer Wasserreichtum; den anders ausgebauten Gehängen eine andere Form der Ansiedelung und des Verkehrs, als wir sie bei den Kalkalpen finden.

So leicht es erscheint, einen allgemeinen Einblick in den Aufbau des Landes zu erhalten; wenn man in die Einzelheiten eingeht, wird derselbe zu einem recht verwickelten Gefüge. Denn die Natur eines Berglandes hängt ja einerseits von der Art der die Erdrinde bildenden Gesteine ab und andererseits von Thatsachen, die mit der Mischung dieser Gesteine nur zum Teil im Zusammenhange stehen. Die Gesteinsarten verleihen der Landschaft gewisse eigenartige Gesichtszüge und Einflüsse auf das Menschenleben; aber neben diesen Gesichtszügen und Einflüssen wirken auch jene, welche die Berglandschaft von unten herauf in verschiedene Höhen gehoben, sie in ihren einzelnen Teilen gefaltet, hier zusammengedrückt, dort auseinander gespannt, hier sanftere, dort steilere Böschungen geschaffen haben. Die ungeheuren Naturrevolutionen, die vor unzähligen Jahrtausenden diese Landschaft schufen, sind nicht immer von den gleichen revoltierenden Naturmächten ausgegangen; darum findet sich hier Erklärliches und Unerklärliches, Verwandtes und Fremdestes hart aneinander gerückt und durcheinander geworfen.

Abb. 6. Adamellogruppe, von der Presenaspitze gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Die Centralalpen erscheinen bei näherer Betrachtung als eine zusammenhängende Reihe von Massenerhebungen. Jede einzelne dieser Massenerhebungen weist wieder ihre besondere Gliederung auf; sie zerfällt in Unterabteilungen, bei deren Aufbau bald ein strahlenförmiges Auseinandergehen der Bergkämme von einem gemeinsamen Mittelpunkte, bald die Erscheinung eines Hauptkammes zu beobachten ist, von welchem mehr oder weniger gekrümmte Seitenzweige auslaufen. Von Westen nach Osten gerechnet, lassen die Centralalpen in Tirol folgende Hauptgruppen unterscheiden:

Die Silvrettagruppe (Abb. 2), an der Grenze von Tirol und Graubünden, „ein aufgerissenes Gewölbe mit steil aufgerichteten Schalenstücken, die zu auffallend wilden Graten und Felshörnern verwitterten,“ besteht aus Gneis, Glimmerschiefer und Hornblendegestein. Letzteres verleiht ihren Felsgipfeln unheimlich dunkle Färbung; sie trägt ausgedehnte Eis- und Firnbedeckung und ist daher im Inneren wild und unwegsam. Ihr höchster Tiroler Gipfel ist das Fluchthorn (3408 m); von größeren Thälern entsendet sie nach Nordwesten und Nordosten das Montafon und Paznaun, westwärts zur Schweiz das Prättigau; im Süden stürzt sie mit kurzen Thälern zur tiefen Einsenkung des Innthales. Nordwestlich schließt sich an sie die geologisch und geographisch zu ihr gehörige Samnaungruppe, ein Vorbau, der im Muttler (3299 m) kulminiert; zur nördlichen Vorlage hat sie die schöne Fervallgruppe.

Abb. 7. Brentagebirge, vom Monte Spinale gesehen. (Originalaufnahme von Hofphotograph B. Johannes in Partenkirchen und Meran.)

Durch die tiefe Innschlucht beim Passe Finstermünz (Abb. 3) ist von dieser Gruppe die nächst östliche getrennt: die Ötzthaler und Stubaier Gruppe. Diese gleicht einem ins Herz des Tiroler Landes geschleuderten doppelten Eisstern, von dessen Mittelpunkten ungleich lange Strahlen nach den verschiedenen Weltrichtungen hinabziehen. Der westlichere dieser beiden Eissterne hat nicht weniger als 550 qkm Bodenfläche unter seinen Gletschern begraben; er gipfelt in der Wildspitze (3774 m). Seine einzelnen Ausstrahlungen bilden fortlaufende Eiswälle, zwischen denen die Thäler hoch hinansteigen, so daß in ihnen die letzten Ansiedelungen in Höhen über 2000 m liegen. Der Kern des Gebirges besteht hier aus Granit und Gneis, aus großen Strecken überlagert von Glimmerschiefer, der die schärfsten, stark verwitterten Zacken und Riffe über die Eisfelder aufstreben läßt. Die Thäler sind, soweit sie sanftes Gehänge haben, hoch hinauf noch wohnlich; in der Umgebung der letzten Ansiedelungen endet der Baumwuchs; aber grüne, von Gletscherbächen übersprudelte Matten ziehen sich noch bis zu den ungeheuren Moränenwällen der Gletscher empor. Ihre größten Thäler sendet die Gruppe als Kaunserthal, Pitzthal, Ötzthal und Stubai nordwärts zum Innthale, als Passeier- und Schnalserthal südlich zum Vintschgau. An sie schließt sich im Südosten, als niedriger Vorbau, die Sarnthaler Gruppe, ein nach Süden offenes Hufeisen, ohne Eisbedeckung, mit viel geringeren Erhebungen, der zugänglichste und wohnlichste Teil der Centralalpen.

Der Hauptkamm der Centralalpen.

Mitten in ihrem Zuge durch Tirol wird die Kette der Centralalpen durch die tiefe Einsattelung des Brenners unterbrochen. Ostwärts von diesem erheben sich die Zillerthaler Alpen, aus drei Gruppen bestehend, nämlich aus dem zunächst am Brenner liegenden Tuxer Kamme, dem dann der Zillerthaler Hauptkamm mit dem Hochfeiler als Kulminationspunkt (3523 m) folgt; an ihn schließt sich nordöstlich die Reichenspitzgruppe. Die Zillerthaler Alpen weisen furchtbar wilde Gipfelformen, tiefe schluchtartig eingerissene Thäler mit grimmigen Steilwänden, scharf zerfurchte Gletscher auf. Sie sind reich an mannigfaltigen Mineralien, aber unwirtlich für die menschliche Ansiedelung. Nur zwei größere wohnliche Thäler ziehen sich nach der Gruppe empor, weiter einwärts gähnen nur noch menschenleere düstere Schlünde.

Südlich vom Zillerthaler Hauptkamm erhebt sich noch die kleine Rieserfernergruppe, gleichfalls in kühnen, scharfen Formen ansteigend, bis zum Hochgall (3440 m). An sie legt sich, weit nach Osten streichend, das zahme unbegletscherte Defereggergebirge.

Der Hauptkamm der Centralalpen aber setzt sich in der mächtigen Tauernkette fort, die von der Reichenspitzgruppe durch die tiefen Einsattelungen des Krimmler Tauern und der Birnlücke getrennt ist. Von der Tauernkette stehen nur zwei Gruppen, und auch sie nur teilweise, auf Tiroler Boden: die Venediger- und die Glocknergruppe.

Die Venedigergruppe ist eine bedeutende, mit riesigen Eismassen bedeckte Erhebung, im Großvenediger bis zu 3660 m ansteigend, größtenteils aus Granit bestehend. Von der Tiroler Seite ziehen sich das Ahrnthal, das Defereggenthal, das Virgenthal mit seinen Seitenschluchten, das Froßnitzthal und das Tauernthal in die Eisgefilde der Gruppe hinan. Die meisten dieser Thäler, sowie die von Norden in die Gruppe eingerissenen Schluchten sind arm an Ansiedelungen, so daß die ganze Gruppe als eine der vom Menschenleben am wenigsten angetasteten Hochburgen jungfräulicher Naturschönheit erscheint.

Abb. 8. Schlern, vom Ritten gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Östlich von der Venedigergruppe erreicht die Tauernkette in der Glocknergruppe ihre großartigste Massenentwickelung. Als nordöstlicher Grenzpfeiler Tirols schwingt sich hier der Großglockner bis zur Höhe von 3798 m empor (Abb. 1). Die Felsunterlage der Gruppe ist Gneis mit Glimmerschiefer, die Bergformen scharfe, ausgesägte Schneiden und Zähne. Aus Tirol zieht nur ein einziges Thal, das Kalser Thal, in das Herz der Gruppe, welche nach Süden zu noch einen Vorbau, die Schobergruppe, angehängt hat. Mit dem Großglockner findet der Zug der Centralalpen in Tirol sein östliches Ende.

Die nördlichen Kalkalpen.

Nördlich von der Centralkette erstreckt sich durch ganz Tirol die Kette der Kalkalpen. Sie hat ein ganz anderes landschaftliches Gesicht, als die Centralalpen. Wie die Centralalpen steigen auch die Kalkalpen von Norden her allmählich an, um nach Süden zu jäh abzubrechen. Aber das Kalkgestein ist bei der Entstehung der Gebirge in ganz anderer Weise geknickt und gebogen worden, als die Gesteine der Centralalpen. In den Kalkalpen finden wir steile weißgraue Mauern und Türme, die aus grünen Wald- und Wiesenthälern jäh und unvermittelt hervorbrechen. Wir finden da nicht selten mehrfache, parallel laufende Ketten nebeneinander; und die einzelnen Ketten sind nicht bloß durch Einsattelungen, sondern durch tiefe Thäler voneinander geschieden.

Abb. 9. Rosengarten. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Den Anfang der nördlichen Kalkalpen Tirols macht im Westen der Rhätikon mit der 2967 m ansteigenden Scesaplana. Dann sehen wir die Kette durch den tiefen Einschnitt des Illthals unterbrochen, jenseits desselben aber wieder emporsteigen zu den sanfteren Gehängen des Bregenzer Waldes und den höheren, schroffen und zerzackten Formen der Lechthaler Alpen. In diesen erreicht die Parseierspitze die stolze Höhe von 3038 m, als bedeutendste Erhebung der Nordkalkalpen. Diese werden dann von der Spalte des Fernpasses durchbrochen und setzen sich hierauf in mehreren Ketten fort, indem die bayerisch-tirolische Grenze durch die Wettersteinkette mit der 2964 m hohen Zugspitze gebildet wird, während südlicher die Mieminger Gruppe sich entlang zieht mit der hohen Griesspitze (2759 m). Es folgt nun wieder eine Unterbrechung durch die kleine Hochfläche von Seefeld und den Paß der Scharnitz; dann setzen sich die Hochkalkalpen in vier zerrissenen Parallelketten fort als Karwendelgebirge, mit der Birkkarspitze (2756 m) als höchster Erhebung. Das Karwendelgebirge verliert nach Osten zu bedeutend an Höhe und sinkt zur tiefen Furche des Achensees herab. Östlich von diesem baut sich die Rofangruppe noch stattlich empor (2299 m); dann aber sinken Gipfel und Kammhöhen mehr und mehr in die Tiefe; und erst jenseits des Inndurchbruchs bei Kufstein entwickelt der Kalk wieder seine künstlerische Plastik im Kaisergebirge, dessen furchtbar wilde Formen bis ins Flachland hinaus imponieren, obgleich es in seinem Kulminationspunkt, der Elmauer Haltspitze, nur 2344 m erreicht. Den östlichen Eckpfeiler der Nordkalkalpen in Tirol bilden die Loferer Steinberge (2634 m), als Grenze Tirols gegen Salzburg.

Abb. 10. St. Maria in Wolkenstein, gegen die Sellagruppe gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Ewigen Schnee tragen die Nordtiroler Kalkalpen genug in ihren höheren Runsen und Schluchten; kleine Gletscher nur im Rhätikon, in den Lechthaler Bergen und im Wettersteingebirge, wo aber der Plattachferner und Höllenthalferner auf bayerischem Gebiete liegen.

Im Nordosten von Tirol stoßen die Kalkgebirge nicht unmittelbar an die Centralalpen. Hier hat sich zwischen beide Hauptgebirgsglieder ein drittes eingeschoben: das aus Thonschiefer und älteren Kalkformationen bestehende Übergangsgebirge. Dieses Gebirge legt sich, sanft zum Innthal abgedacht, nördlich vor die Zillerthaler Alpen und vor die Tauernkette, von letzterer durch die Salzach getrennt. Einzelne seiner Gipfel steigen bis über 2500 m an. Das ganze Gebirge macht, zwischen den Eiskämmen der Centralalpen und den grotesken Zinnen der Hochkalkalpen, einen unscheinbaren Eindruck. Alle auffallenden Formen fehlen; langgestreckt ziehen sich die Bergprofile mit geringer Neigung empor, bis zu den Gipfeln hinauf mit Gras bewachsen. Nur in Höhen über 2000 m färbt das Grün sich bräunlich; der nackte Fels kommt mehr und mehr zum Vorschein. Die wertvollen Mineralschätze, die dieses Übergangsgebirge vor Zeiten in seinem Schoße barg, sind großenteils versiegt, aber seine ergiebigen Matten hat es behalten; seine Thäler und Almen sind Hauptsitze der Tiroler Viehzucht.

Die südlichen Alpen.

Die südlich von der Centralkette gelegenen, von ihr durch das obere Etschthal und das Pusterthal geschiedenen Alpen werden durch das untere Etschthal deutlich in eine westliche und eine östliche Hälfte geschieden. Die südwestlichen Alpen Tirols aber bestehen wieder aus drei Gruppen: der Ortlergruppe, der Adamellogruppe und der Brentagruppe.

Die erstere, aus Glimmerschiefer, Granit und Kalk aufgerichtet, bildet den gigantischen Grenzbau zwischen Tirol, der Schweiz und Italien. Im Ortler (Abb. 4) selbst erreicht sie die höchste Erhebung der österreichischen Alpen mit 3902 m, in der Königsspitze (Abb. 5) eine solche von 3857 m. Bei großer Massenerhebung zeigt die Gruppe imponierende Gletschermassen und tief eingeschnittene Thäler, während die von ihr nach Osten zu ausstrahlenden Nonsberger Alpen, aus Kalk und Porphyr bestehend, keine Vergletscherung mehr haben und zu den zugänglichsten, kulturfreundlichsten Strecken Tirols gehören.

Die einsame und entlegene Adamellogruppe (Abb. 6) stößt an die (italienischen) Bergamasker und Brescianer Alpen. Sie legt sich als mächtiges Hufeisen um den obersten Lauf der Sarca, nach Osten zu offen. Den nördlichen Arm dieses Hufeisens bildet die wilde Presanellagruppe, den südlichen, größeren, der Adamello (3548 m) mit seinen Trabanten: eine große Eisfläche, auf schönem, weißem Hornblendegranit aufliegend, von Glimmerschiefer umlagert, mit wilden und kühnen Formen.

Die Brentagruppe ist eine schöne, charakteristische Erhebung zwischen der Adamellogruppe und der Etsch, im Norden vom Thal des Nonsberges (Val di Non), im Süden vom Sarcathale begrenzt. Aus Dolomit bestehend, zeigt sie dessen mächtig zerrissene, kühn gestaltete Felsformen in auffallender Weise, trägt aber dabei auch noch einen gewaltigen Gletschermantel zwischen ihren Zinnen und Türmen (Abb. 7). Sie zerfällt in eine nördliche und südliche Hälfte und steigt in ihrem Hauptgipfel, der Cima Tosa, bis zu 3176 m an.

Noch ist das letzte Gebiet der Tiroler Alpen zu betrachten: jene ausgedehnten, mannigfachen und merkwürdigen Bergmassen, welche sich im Südosten des Landes, vom Pusterthal im Norden, vom Etschthal im Westen begrenzt, erheben und nach Ost und Süd über die Landesgrenze nach Kärnten und Italien hinüberziehen. Im Munde der Reisenden heißt diese Gebirgsmasse schlechtweg die Dolomiten. Sie verdient diesen Namen aber nur deshalb, weil ihre merkwürdigsten, auffallendsten Berggestalten aus Dolomit bestehen. Thatsächlich finden wir die mannigfaltigsten Gesteinsarten in dieser Gebirgsmasse vertreten: schwarzen und roten Porphyr, Dolomit und Glimmerschiefer, Sandstein und Granit. Die stolzesten Erhebungen aber gehören dem Dolomit an.

Abb. 11. Langkofel, von Nordost gesehen. (Nach einer Photographie von Emil Terschak in St. Ulrich-Gröden.)

Südliche Landschaftsbilder.

Da findet man höchst eigenartige Landschaftsbilder: in der Tiefe der Thäler ein reich mit Grün überkleidetes, oft wohlangebautes, wellenförmiges Gehügel, aus Porphyr oder, im Norden, aus Glimmerschiefer bestehend, und darüber, in den verwegensten Formen aufragend, scharfkantig und der Verwitterung trotzend, Türme, Zacken und Zinnenmauern, die wie aus der Erde hervorgestoßen erscheinen, wie lauter Reste von zertrümmerten Riesenburgen. Und diese seltsamen Gebilde erscheinen, je nachdem sie von Regen benetzt, von der Sonne beglänzt oder von Wolken überschattet sind, bald rosenrot oder silberweiß, bald braun wie Asphalt, rot wie glühendes Eisen, aschgrau, tief indigoblau oder goldgelb.

Den reichsten Wechsel bieten die Landschaften der westlichen Dolomiten, schon wegen des merkwürdigen Übergangs aus der Tiefe des üppig-schönen Etschthals zu den unwirtbaren Felswüsten. Hier erheben sich die wundersamen Berggestalten des Schlern (2565 m, Abb. 8), des sagenreichen Rosengarten (3002 m, Abb. 9), der mächtigen plateauartigen Sellagruppe (3152 m, Abb. 10), der grimmig aufgetürmten Langkofelgruppe (3178 m, Abb. 11) und der die ganzen südöstlichen Alpen Tirols beherrschenden Marmolata (3360 m, Abb. 12). Zahlreiche, großenteils gut gangbare Joche führen zwischen diesen merkwürdigen Felsgestalten hindurch, die Thäler Gröden, Gaderthal und Fassa verbindend.

Südöstlich dieser Gruppe erheben sich die Trientiner Alpen in der Pala- oder Primörgruppe zu höchst abenteuerlichen Gipfelzacken, Felshörnern und klippigen Hochebenen (Abb. 13). In diesem Grenzwall gegen Italien steigt der furchtbare Cimon della Pala bis zu 3186 m, während eine zweite Hochburg, die Pala di San Martino, 2996 m und die Cima di Vezzana 3194 m erreicht.

Gleich großartig, vielleicht wegen des auffallenderen Gegensatzes zu fruchtbaren Thaltiefen noch malerischer, wirken die Dolomiten von Ampezzo und Cadore, zwischen dem Pusterthale, dem Gader- und Abteithale, dem Thale von Cordevole, dem Rienz- und Piavethal. Auch hier finden sich eine Reihe von einzelnen charakteristischen Gebirgsmassen, die durch gangbare Joche untereinander zusammenhängen. Die namhaftesten darunter sind der Monte Cristallo (3199 m, Abb. 14), Piz Popena (3143 m), Croda Rossa (3148 m), Tofana (3241 m), Sorapiß (3229 m).

Östlicher schließen sich an diese die Dolomiten von Sexten und Lienz; ebenfalls im Norden durch das Pusterthal begrenzt, bilden sie das letzte Gebiet der Südtiroler Alpen gegen Kärnten, nach Osten an Höhe bedeutend abnehmend. Ihre berühmtesten Gipfel sind die drei Zinnen (höchste 3003 m, Abb. 15) und die Dreischusterspitze (3162 m); nach Osten zu gehen sie in das Gebiet der Karnischen Alpen über.

Kleinere abgeschlossene Gruppen endlich legen sich noch im äußersten Süden Tirols an die vorgenannten an. So die im Westen des Gardasees gelegene Gruppe, die, vom Val Bona, vom mittleren und unteren Sarcathal umgrenzt, nach der lombardischen Ebene sich senkt. Ferner die Gruppen zwischen dem Sarcathale, dem Gardasee und dem Etschthale, wo der lang von Nord nach Süd gestreckte Monte Baldo den Grenzpfeiler gegen Italien bildet; endlich die durch das Etschthal und das Val Sugana vom übrigen Tirol abgeschnittenen Teile der Venetianischen Alpen.

Diese kleineren Gruppen sind wie Gartenterrassen oder Veranden, die aus der eisüberdachten Zauberburg der Alpen nach den Gartengefilden Italiens vorgeschoben sind.

Zwischen den einzelnen Gruppen der Tiroler Alpen findet sich kein Platz für eigentliche Ebenen. Da und dort erweitert sich wohl einmal ein Thalboden, wie das Rheinthal bei Bregenz und Feldkirch, das Innthal an einzelnen Stellen, das Etschthal bei Bozen. Aber das sind keine Ebenen; nur Weitungen, die dem Auge gestatten, nach einem Horizont zu suchen; aber sofort stößt der Blick wieder an die Mauern, die diese kleinen Höfchen der Zauberburg allerwärts umstarren.

 

Abb. 12. Marmolada, von der Seiser Alp gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

 

Abb. 13. Palagruppe, von der Rosetta gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Gewässer Tirols.

Wasserreich, wie die Alpen überhaupt, sind auch die Tiroler Berge und Thäler. Regen, Schnee und Nebel werden von der Pflanzendecke der Thalwandungen aufgesogen und ergießen sich als Quellen und Bäche thalabwärts; die ewige Schnee- und Eisbedeckung der höheren Lagen, im Winter wachsend und im Frühjahr und Sommer unter dem Einfluß der Sonne und warmer Luftströmungen wieder abschmelzend, versieht die Bäche und Flüsse mit Nahrung. Als riesiges Dach sendet das Land seine Abflüsse durch den Rhein nach der Nordsee, durch die Donau nach dem Schwarzen Meere, durch die nach Venetien geneigten Thäler in das Adriatische Meer.

Die Quellenbildung ist in den Tiroler Bergen sehr verschieden nach der Natur des Gesteins. In den hoch hinauf mit Moos bewachsenen, aus Granit, Gneis und Glimmerschiefer bestehenden Urgebirgen rieseln überall Quellen; das Gestein nimmt die Wasser nicht in seine Tiefen auf, sondern leitet sie auf seinem Rücken fort. In den Kalkalpen dagegen, deren Gestein mannigfache Hohlräume hat, sickern die an der Oberfläche aufgenommen Wasser größtenteils in diese Hohlräume ein, um erst weiter unten gegen die Thaltiefe zu aus ihrer Felsennacht hervorzubrechen.

In den Centralalpen hat jedes Thal, von dem ein Ast bis in die Gletscherregion hinausreicht, seinen Gletscherbach. Diese Gletscherbäche sind weißgraue, undurchsichtige, wildschäumende Gewässer, an deren Ufern man oft genug das Poltern unsichtbarer Felstrümmer vernimmt, die von dem tobenden Wasser fortgewälzt werden. Jedes Thal läßt die unablässig nagende Wirkung des rinnenden Wassers erkennen. Bald haben die Thalbäche sich tiefe schluchtartige Rinnen in den Fels gefressen, bald werfen sie sich, mehrfach zerteilt über Trümmerfelder herab; bald schlängeln sie sich in Windungen durch grüne Wiesengründe, die aber nichts anderes sind, als grasbewachsene Schuttflächen, die auch vor undenklichen Zeiten vom Wasser hier abgelagert wurden. Ehe die Seitenthäler in ein Hauptthal einmünden, haben sehr häufig ihre Bäche flachere Niederungen gebildet.

Die Wasser Nordtirols finden ihren Abfluß größtenteils zum Inn. Er betritt, schon als ansehnlicher Bergstrom, aus Graubünden kommend, den Boden Tirols bei Finstermünz und verläßt ihn, in nordöstlicher Richtung fließend, bei Kufstein. Seine stärksten Zuflüsse erhält er in Tirol durch die Gletscherströme, die ihm aus dem Paznaunthale, aus dem Ötzthale, dem Stubai und dem Zillerthale zugehen. Außerhalb Tirols, schon in Bayern, empfängt der Inn aber noch die Wasser der Kitzbühler Ache, die ebenfalls den Tiroler Bergen ihren Ursprung verdankt.

Neben dem Inn sind es noch, aus westlicher gelegenen Thoren, die Isar mit der Loisach, die auch einen Teil der Wasser Nordtirols nach der Donau führen, sowie der Lech; während die östlichste Abdachung, die der südlichen Tauernthäler, ihren Abfluß durch die Drau nach der Donau zu findet.

Das Vorarlberger Land sendet seine Gewässer durch die Ill und die Bregenzer Ache zum Rhein. Während jedoch die erstere die Gletscherbäche des Montafonerthales aufnimmt und sich in den Rhein wirft, ehe derselbe den Bodensee erreicht, sucht sich die mildere Bregenzer Ache ihren Weg direkt zum Bodensee.

Abb. 14. Dürrensee mit Monte Cristallo. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Die Südabdachung Tirols schickt mit Ausnahme jener Gewässer, die sie durch die Drau zur Donau sendet, all’ ihre Abflüsse zum Adriatischen Meere. Und zwar teils durch den Po, der durch Chiese und Mincio die von den Adamelloalpen, von der Brentagruppe und vom Gardasee herstammenden Wasser empfängt, teils unmittelbar durch die Alpenströme Etsch, Brenta und Piave. Unter ihnen ist die Etsch entschieden am bedeutendsten. Von ihrem Ursprung aus der Malser Heide an nimmt sie die gewaltigen Gletscherbäche auf, die der West- und Südseite der Ötzthaler Alpen und dem Nordostgehäng der Ortlergruppe entstammen; durch die Passer empfängt sie abermals Zuflüsse aus den Ötzthaler und Stubaier Alpen; dann wieder aus diesen und aus der Zillerthaler Gruppe durch den wilden Eisack, der ihr auch die Wasser des Ahrnthals, des Pusterthals und die vom Nordabfall der Dolomitalpen zuführt. In ihrem Weiterlaufe nimmt sie noch den Nosbach auf mit Abflüssen der Ortler-, Presanella- und Brentagruppe; und endlich den langen Avisio, dessen oberste Quellbäche von den Eisfeldern der Marmolada sich nähren.

Abb. 15. Drei Zinnen, vom Toblinger Riedel gesehen. (Nach einer Photographie von Würthle & Sohn in Salzburg.)

Die Seen. Erdgeschichte Tirols.

Im Vergleich mit den Schweizer Alpen ist Tirol arm an Seebecken. Immerhin hat das Vorarlberger Land seinen Anteil am Bodensee, Südtirol den seinen am Gardasee. Nur ein einziger größerer Hochgebirgssee, der Achensee, hat sich zwischen die Steilwände der nördlichen Kalkalpen eingebettet; kleiner, aber mit den reichsten landschaftlichen Reizen ausgestattet sind der Molvener See und die Seen von Levico in Südtirol. Dagegen enthält Tirol eine stattliche Anzahl ganz kleiner, nicht selten unmittelbar von den Eiswänden seiner Gletscher überragter Seebecken, die ihren Hochthälern eigentümlichen Zauber verleihen. So der Lüner See unter den Wänden der Scesaplana, der prächtige Plansee an der Nordgrenze, die hochromantischen Seespiegel in der Nachbarschaft des Fernpasses und auf der Malser Heide, der Gurgler Eissee, der Antholzer See, der einsame Antermojasee oder der berühmte Dürrensee, in dem der Monte Cristallo sich spiegelt (Abb. 14), wie der Fedajasee unter den Eismauern der Marmolata, der stille grüne Brennersee, und noch mancher andere.

Abb. 16. Entlaubter Baum im Mühlwaldthal. (Liebhaberaufnahme von Gustav Schulze in Leipzig.)

Entstehung der Alpen.