Todesschrein - Clive Cussler - E-Book

Todesschrein E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Im tiefsten Grönland wird in einem rätselhaften Schrein ein 50.000 Jahre alter Meteorit entdeckt. Der ominöse Stein enthält radioaktive Energien und wird schnell zum Objekt der Begierde von Attentätern, die mit seiner Hilfe ihre mörderischen Pläne verwirklichen wollen. Eine islamistische Terrorgruppe plant in London eine Atombombe zu zünden, während ein größenwahnsinniger Industrieller die heiligen Stätten des Islam verseuchen will. Zwischen den Fronten bemüht sich Juan Cabrillo mit seiner Crew aus den besten Militär- und Geheimagenten der Welt, den „heiligen Stein“ und die potentiellen Massenmörder unter Kontrolle zu bringen …

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Seitenzahl: 588

Veröffentlichungsjahr: 2015

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Clive Cussler

& Craig Dirgo

Todesschrein

Roman

Aus dem Englischen von Michael Kubiak

Die englische Originalausgabe erschien unter dem Titel »Sacred Stone« bei Berkley, New York.

1. Auflage

E-Book-Ausgabe 2015 bei Blanvalet, einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH, München.

Copyright © 2004 by Sandecker, RLLLP.

All rights reserved by the Proprietor throughout the world

By arrangement with

Peter Lampack Agency, Inc.

551 Fifth Avenue, Suite 1613

New York, NY 10176-0187 USA

Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2006 by Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: © Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Shutterstock.com

Redaktion: Joern Rauser

HK · Herstellung: sam

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN: 978-3-641-15206-2

www.blanvalet.de

Die Figuren

Der Vorstand der Corporation

Juan Cabrillo: Vorsitzender

Max Hanley: Direktor

Richard Truitt: Technischer Direktor

Die Besatzung (in alphabetischer Reihenfolge)

George Adams: Hubschrauberpilot

Rick Barrett: Stellvertretender Küchenchef

Monica Crabtree: Koordinatorin für Nachschub und Logistik

Carl Gannon: Ohne spezifischen Aufgabenbereich

Chuck »Tiny« Gunderson: Pilot

Michael Halpert: Buchführung und Finanzen

Cliff Hornsby: Ohne spezifischen Aufgabenbereich

Julia Huxley: Ärztin

Pete Jones: Ohne spezifischen Aufgabenbereich

Hali Kasim: Fernmeldespezialist

Larry King: Scharfschütze

Franklin Lincoln: Ohne spezifischen Aufgabenbereich

Bob Meadows: Waffenexperte

Judy Michaels: Pilotin

Mark Murphy: Waffenexperte

Kevin Nixon: Technischer Zauberkünstler

Tracy Pilston: Pilotin

Sam Pryor: Antriebsingenieur

Gunther Reinholt: Antriebsingenieur

Tom Reyes: Ohne spezifischen Aufgabenbereich

Linda Ross: Sicherheit und Überwachungen

Eddie Seng: Leiter der Landoperationen

Eric Stone: Leiter des Kontrollraums

Die anderen

Langston Overholt IV: Leitender CIA-Beamter, der die Corporation engagiert

Halifax Hickman: Milliardenschwerer Industrieller

Chris Hunt: Offizier der U.S. Army, der in Afghanistan getötet wird

Michelle Hunt: Chris Hunts Mutter

Erik der Rote: Legendärer Forscher und Entdecker

Der Emir von Katar: Oberhaupt des Scheichtums Katar

John Ackerman: Archäologe, der den Meteoriten auf Grönland findet

Clay Hughes: Berufskiller, der den Auftrag erhält,

den Meteoriten auf Grönland zu stehlen

Pieter Vanderwald: Südafrikanischer Waffenhändler

Mike Neilsen: Pilot, der Hughes zum Mount Forel fliegen soll

Woody Campbell: Säufer auf Grönland, der Cabrillo eine Schneekatze vermietet

Aleimein Al-Khalifa: Terrorist, der Bombenattentate in London plant

Scott Thompson: Leiter der Besatzung der Free Enterprise

Thomas »TD« Dwyer: CIA-Wissenschaftler, der die Gefährlichkeit des Meteoriten entdeckt

Miko »Mike« Nasuki: Astronom der NOAA und Assistent Dwyers

Saud Al-Sheik: Saudischer Beschaffungsbeamter für den Haddsch

James Bennett: Pilot, der den Meteoriten von den Faröern nach England bringt

Nebile Lababiti: Terrorist, für die Durchführung des Attentats in London zuständig

Milos Coustas: Kapitän des Hochseefrachters Larissa, der die Bombe nach London bringt

Billy Joe Shea: Eigentümer eines 1947er MG TC, den sich Cabrillo ausborgt, um die Bombe zu verfolgen

Roger Lassiter: Unehrenhaft entlassener CIA-Agent, der den Meteoriten nach Maidenhead bringt

Elton John: Berühmter Musiker

Amad: Junger Jemenit, der die Bombe scharfmachen und ans Ziel bringen soll

Derek Goodlin: Freudenhausbesitzer in London

John Fleming: Chef des MI5

Dr. Jack Berg: CIA-Arzt, der Thompson zum Reden bringt

William Skutter: Offizier der U.S. Air Force, der das Team in Medina anführt

Patrick Colgan: Offizier der U.S. Army, der das Team führt, das die Gebetsteppiche in Riad umleiten soll

Prolog

Vor fünfzigtausend Jahren und Millionen Meilen von der Erde entfernt zuckte ein Planet wie von Krämpfen befallen, um seinen Kollaps anzukündigen. Dieser Planet war uralt, doch sein Untergang war von Anfang an vorgesehen gewesen. Er war ein instabiler Himmelskörper mit Polen, die ihre Polarität ständig änderten.

Der Planet bestand aus Gestein und Magma, mit einem metallenen Kern. In den unzähligen Jahrtausenden, seit er entstanden war und abkühlte, hatte sich eine Atmosphäre gebildet. Die Schichten der Gashülle enthielten Argon, Helium und einen kleinen Anteil Wasserstoff. Leben entstand auf seiner Oberfläche – eine primitive, undifferenzierte Mikrobenart.

Der Planet hatte niemals eine echte Chance, komplexe Lebensformen zu entwickeln. Um sich zu vermehren, konsumierten die Mikroben Sauerstoffmoleküle und hielten auf diese Weise die Planetenoberfläche und seine Atmosphäre frei von Zellen, die sich hätten weiterentwickeln können. Das Oberflächengestein verwandelte sich in eine extrem heiße, fließende Masse, während der Planet mit jedem weiteren Umlauf um seine Sonne dem wabernden Schmelzofen näher kam. Er rotierte nicht wie die Erde um seine Achse, sondern vollführte eine kontinuierlich heftiger werdende Taumelbewegung, während seine polare Ausrichtung ständig wechselte und sich die aus flüssigem Gestein bestehende Oberfläche wie Lava aus einem Vulkan verteilte.

Jede Stunde, jede Minute, jede Sekunde brachte ihn seiner Sonne näher, und er warf nach und nach seine Haut ab, als bearbeitete die Hand Gottes seine Oberfläche mit einer Drahtbürste.

Die stellaren Kopfschuppen, die in die Atmosphäre gewirbelt wurden, gelangten bis zum äußeren Rand der Gashülle, wurden von der Sonne erhitzt und explodierten mit der Wucht Tausender Atombomben. Von der Schwerkraft auf die Oberfläche zurückgesogen, rissen die Glutgeschosse weitere Teile der zerbrechlichen Kruste weg. Diese löste sich mehr und mehr auf.

Der zum Untergang verurteilte Planet hatte nur noch kurze Zeit vor sich.

Während sich die schützende Hülle ins All verflüchtigte, stieg die Temperatur des inneren Metallkerns weiter an und die Kugel im Zentrum begann zu rotieren. In der Oberfläche entstanden Risse, verbreiterten sich und dehnten sich aus, auch Brüche bildeten sich und entließen immer größere Stücke geschmolzenen Gesteins ins All. Währenddessen wuchs der metallene Kern mit erstaunlicher Heftigkeit. Dann, ganz plötzlich, geschah es. Ein riesiger Gesteinsbrocken auf der der Sonne zugewandten Seite löste sich ab. Die Polarität wechselte ein letztes Mal, und der Planet wurde in eine rasende Drehung versetzt.

Dann explodierte er.

Millionen metallener Kugelkörper flogen hinaus ins All, wobei sich ihre Moleküle neu anordneten, während sie wie Lötzinn unter einer offenen Flamme schmolzen. Ein paar glückliche Trümmer schafften es, das Gravitationsfeld der Sonne zu verlassen. Sie begaben sich auf eine lange Reise in die Tiefen des Alls.

Zehntausende von Jahren waren verstrichen, seit der unbekannte Planet explodiert war und seine Überreste im Universum verstreut hatte. Aus großer Entfernung betrachtet erschien das sich nähernde Geröll blau. Ein Teil davon entpuppte sich als perfekt geformte Kugel. Viele Bruchstücke waren von anderen Planeten im All angezogen worden und auf deren Oberflächen gestürzt, doch dieses eine Stück war weiter gelangt als alle anderen und regnete mit vielen anderen Meteoriten auf einen Planeten namens Erde herab.

Die metallene Kugel drang auf einer flachen Bahn von Westen nach Osten in die Erdatmosphäre ein. In der Ionosphäre teilte sie sich und gebar eine kleinere runde Kugel aus reinstem Metall. Der Muttermeteorit schlug auf dem fünfunddreißigsten Breitengrad auf. Dort war es heiß und trocken. Das Baby jedoch, leichter und kleiner, wurde weiter nach Nordwesten gezogen und hatte als Ziel den zweiundsechzigsten Breitengrad, eine Stelle, an der die Erdoberfläche mit einer dicken Schicht aus Schnee und Eis bedeckt war.

Unterschiedliche Umweltverhältnisse auf ein und demselben Planeten sorgten auch für unterschiedliche Resultate.

Die Mutter und ihr geschmolzenes Metall nahmen wieder die Form einer glühenden Kugel an, nachdem sie ihr Junges ausgespien hatten. Sie überquerte eine Küste und raste dann in einer abfallenden Flugbahn über eine kahle Wüste. Hoch über dem Sand, dem Gestein und den Kakteen dahinschießend, bohrte sich das Geschoss aus 63000 Tonnen Nickel und Eisen, das einen Durchmesser von gut hundert Metern besaß, in die Erde und pflügte einen Krater von knapp zwei Kilometern Durchmesser ins trockene Erdreich. Staubwolken wurden in den Himmel geschleudert und umkreisten dann die Erde. Monate vergingen, bis der Fallout wieder auf die Erde zurückkehrte.

Das Baby war makellos und silbergrau. Der Prozess der ersten Explosion und die molekulare Neuanordnung während seiner Reise durchs All hatten eine perfekte Kugel entstehen lassen, die wie die miteinander verwachsenen Hälften eines geodätischen Doms aussah. Einer flacheren Bahn über dem Planeten folgend, wanderte sie unauffällig durchs All, wobei ihre glatte Oberfläche kaum Reibung mit der Erdatmosphäre entwickelte und anders als ihre Mutter keinerlei wütende Turbulenzen erzeugte. Die Kugel sank wie ein mit Topspin geschlagener Golfball allmählich tiefer.

Über die Küste einer Insel hinweg segelnd, die mit Eis bedeckt war, sah es aus, als würde sie mit einem Magneten zur Erde hinabgezogen. Ihr Durchmesser betrug bei einem Gewicht von hundert Pfund knapp fünfzig Zentimeter. Als sie nur noch etwa drei Meter über dem Schnee dahinflog, brach ihre Vorwärtsbewegung jäh ab, als die Schwerkraft sie zur Landung zwang. Die ihr innewohnende Hitze schmolz eine Rinne in den Schnee und ins Eis, einer Schneekugel ähnlich, die von einem Kind gerollt wird, um damit einen Schneemann zu bauen.

Nachdem sich ihre Bewegungsenergie verbraucht hatte, verflüchtigte sich auch ihre Wärme, und sie kam am Fuß eines vergletscherten Berges zur Ruhe.

»Was hat die Hölle uns geschickt?«, fragte der Mann auf Isländisch, während er den Gegenstand mit einem Stock hin und her schob.

Der Mann war ziemlich klein, besaß jedoch dicke Muskelpakete, die von jahrelanger Arbeit und Mühe kündeten. Die Haare auf seinem Kopf und der dichte Bart, der seine Wangen bedeckte, leuchteten so rot wie die Flammen der Unterwelt. Dicke weiße Tierfelle hüllten seinen Oberkörper ein, während seine Beinkleider aus Seehundsleder gefertigt waren, das man mit Schafwolle gefüttert hatte. Der Mann neigte zu heftigen Wutanfällen, und um der Wahrheit die Ehre zu geben: ihn als Barbaren zu bezeichnen, wäre sicherlich nicht ganz verkehrt gewesen. Im Jahr 982 wegen Mordes aus Island verbannt, hatte er eine Gruppe Getreuer über das eisige Meer zu der mit Eis bedeckten Insel geführt, wo sie nun lebten. Während der letzten achtzehn Jahre hatte er an der felsigen Küste eine Siedlung gebaut, und seine Kolonie hatte überleben können, da ihre Bewohner der Jagd und dem Fischen nachgegangen waren. Gleichzeitig war er zunehmend von quälender Langeweile heimgesucht worden. Dieser Mann, Erik der Rote, sehnte sich danach, auf Forschungsreise zu gehen, Anführer zu sein, neue Länder zu erobern.

Im Jahr 1000 n. Chr. brach er auf, um nachzusehen, was in westlicher Richtung landeinwärts zu finden war.

Elf Männer begleiteten ihn, als er die Reise begann, doch nach etwa fünf Monaten, bei Frühlingsanfang, waren nur noch fünf von ihnen übrig. Zwei waren in tiefe Eisspalten gestürzt, ihre Schreie verfolgten Erik noch immer bis in den Schlaf. Einer war auf dem Eis ausgerutscht und mit dem Kopf auf einem Stein aufgeschlagen, der aus dem Eis ragte. Tagelang hatte er sich in schrecklichen Schmerzen gewunden, hatte nichts hören und nicht reden können, bis ihm das Schicksal gnädig war und er eines Nachts starb. Einer war von einem riesigen weißen Bären gerissen worden, als er sich abends vom Lagerfeuer entfernt hatte, um eine Süßwasserquelle zu suchen, die er in der Nähe zu hören geglaubt hatte.

Zwei waren Krankheiten zum Opfer gefallen und hatten unter heftigem Husten und hohem Fieber gelitten, was die Überlebenden davon überzeugte, dass böse Mächte in ihrer Nähe lauerten und sie verfolgten. Während die Expeditionsgruppe schrumpfte, veränderte sich die Stimmung grundlegend. Die Begeisterung und die Aussicht auf neue, aufregende Entdeckungen, die die Männer am Anfang angetrieben hatte, waren verflogen und durch düstere Vorahnungen und die Gewissheit des sicheren Untergangs ersetzt worden.

Es war, als stünde die Expedition unter einem Fluch, dem die Männer Tribut zollen müssten.

»Heb die Kugel«, befahl Erik dem jüngsten Mitglied der Expedition. Er war der Einzige, der schon auf der Insel geboren worden war.

Der Halbwüchsige, Olaf der Finne, Sohn von Olaf dem Fischer, ging vorsichtig zu Werke. Das seltsame graue, kugelförmige Gebilde ruhte auf einem aus dem Eispanzer ragenden Felsen, als sei es von der Hand Gottes dorthin gelegt worden. Er hatte nicht die geringste Ahnung, dass dieses Objekt rund achtundvierzigtausend Jahre zuvor vom Himmel gefallen war. Olaf näherte sich der Kugel mit größter Wachsamkeit. Jeder in der Gruppe wusste von Eriks Neigung zur Gewalttätigkeit. Tatsächlich kannte auch jeder auf der eisigen Insel seine Geschichte. Erik fragte und bat nicht – er forderte, er befahl. Daher versuchte Olaf gar nicht erst, zu widersprechen oder sich zu weigern. Er schluckte lediglich krampfhaft und bückte sich.

Olafs Hand berührte den Gegenstand, und er stellte fest, dass seine Oberfläche kalt und glatt war. Für einen kurzen Moment hatte er das Gefühl, sein Herz bliebe stehen – aber er machte weiter und versuchte, die Kugel anzuheben, musste jedoch erkennen, dass sie für seine von der langen Expedition geschwächten Arme zu schwer war.

»Ich brauche Hilfe«, sagte Olaf.

»Du«, entschied Erik und deutete auf einen anderen Mann.

Gro der Schlächter, groß gewachsen und mit hellblonden Haaren und blassblauen Augen, machte drei Schritte und umfasste eine Seite der Kugel. Beide Männer spannten ihre Rückenmuskeln und hoben die Kugel bis in Hüfthöhe, dann blickten sie Erik fragend an.

»Fertigt aus der Haut eines Stoßzahnbewehrten eine Tragschlinge«, verlangte dieser. »Wir bringen den Fund zurück in die Höhle und bauen einen Altar.«

Ohne ein weiteres Wort marschierte Erik in die Schneewüste los und überließ es den anderen, sich um den Fund zu kümmern. Zwei Stunden später befand sich die Kugel unversehrt in der Höhle. Sofort begann Erik mit dem Entwurf einer kunstvollen Räumlichkeit für diesen Gegenstand, von dem er jetzt annahm, dass er geradewegs von den Göttern im Himmel über ihnen stammte.

Erik ließ Olaf und Gro zurück, um den vom Himmel gesandten Körper zu bewachen, während er zur Siedlung an der Küste zurückkehrte, um mehr Männer und alles mögliche Material zu holen. Dort angekommen, erfuhr er, dass seine Frau während seiner Abwesenheit einen Sohn geboren hatte. Er nannte ihn zu Ehren des Frühlings Leif, dann überließ er ihn der Obhut der Mutter, damit sie ihn aufzog. Er hingegen machte sich mit achtzig Männern und Werkzeug auf den Weg nach Norden in die fernen Berge, um die Höhle zu vergrößern, in der die Kugel versteckt war. Der Sommer stand unmittelbar bevor, die Sonne war bereits den ganzen Tag lang zu sehen.

Gro der Schlächter drehte sich auf seinem Felllager um und spuckte einige lose Pelzflocken aus.

Er rieb mit der Hand über das Bärenfell und betrachtete überrascht die Fellhaare, die sich in seiner Hand zu einem kleinen Knäuel zusammenballten. Dann schaute er hinüber zu der Kugel, die im tanzenden Lichtschein einer Fackel an der Wand lag.

»Olaf«, sagte er zu dem Jungen, der nur ein kurzes Stück entfernt auf seinem Lager schlief, »es ist Zeit, aufzustehen und den Tag zu beginnen.«

Olaf wälzte sich herum und sah Gro an. Seine Augen waren gerötet und blutunterlaufen, die fleckige Haut schuppte sich. Er hustete, richtete sich auf und starrte Gro im spärlichen Licht an. Gros Haare fielen aus, und seine Haut zeigte eine seltsame Färbung.

»Gro«, sagte Olaf, »deine Nase.«

Gro wischte sich mit dem Handrücken über die Nase und sah Blut. Immer öfter stellte er fest, dass er Nasenbluten hatte. Er griff sich in den Mund und betastete einen Zahn, der schmerzte. Er brach unter seinen Fingern aus dem Zahnfleisch. Gro betrachtete ihn kurz, dann warf er ihn weg und kam auf die Füße.

»Ich koche die Beeren«, sagte er.

Er schürte das Feuer, fügte ein paar Scheite aus ihrem schwindenden Holzvorrat hinzu und holte dann einen Sack aus Seehundsleder hervor, der die roten Beeren enthielt, die sie gewöhnlich zu einem bitteren Morgentrunk kochten. Er verließ die Höhle, füllte einen verbeulten Eisentopf mit dem Schmelzwasser eines Gletschers in der Nähe, dann betrachtete er die Zeichen, die vor der Höhle auf die Felswand gekratzt worden waren.

Noch zwei oder drei Zeichen mehr, und Erik der Rote müsste wieder zurück sein.

Als Gro die Höhle erneut betrat, war Olaf aufgestanden und bereits in seine leichte Lederhose geschlüpft. Sein Hemd lag auf einem großen Stein neben ihm. Er kratzte sich den Rücken mit einem Stock, und Hautschuppen flatterten wie der erste leichte Schnee eines Frühwinters zu Boden. Sobald das Jucken nachließ, zog sich Olaf das Lederhemd über den Kopf.

»Irgendetwas ist nicht richtig«, stellte er fest. »Wir beide werden mit jedem Tag kränker.«

»Vielleicht liegt es an der schlechten Luft in dieser Höhle«, sagte Gro leise und stellte den Topf aufs Feuer.

»Ich glaube, es ist dies dort.« Olaf deutete auf die Kugel. »Das Ding ist verflucht.«

»Wir könnten die Höhle verlassen«, schlug Gro vor, »und draußen ein Zelt zum Schlafen aufschlagen.«

»Erik hat uns befohlen, in der Höhle zu bleiben. Ich fürchte, dass wir seinen Zorn zu spüren bekommen, wenn er zurückkehrt und uns draußen antrifft.«

»Ich habe nach den Zeichen gesehen«, sagte Gro. »Höchstens noch dreimal schlafen, und er ist wieder zurück.«

»Wir können abwechselnd nach ihm Ausschau halten«, flüsterte Olaf, »und dann schnell in die Höhle rennen, ehe er uns erwischt.«

Gro warf die roten Beeren ins kochende Wasser und rührte um. »Ob plötzlicher Tod oder schleichende Krankheit – ich denke, es ist am besten, wir gehen sicher und denken nicht darüber nach, was er wohl tun oder nicht tun wird.«

»Nur noch ein paar Tage«, sagte Olaf.

»Ein paar Tage nur«, pflichtete Gro ihm bei, während er einen eisernen Schöpflöffel in den Topf tauchte. Er füllte zwei eiserne Schalen mit dem Beerensud und reichte eine Schale an Olaf weiter.

Vier Zeichen am Höhleneingang später kehrte Erik der Rote zurück.

»Ihr habt den schlimmen Husten«, stellte er fest, sobald er den Zustand der Männer bemerkte. »Ich will nicht, dass ihr die anderen ansteckt. Kehrt zur Siedlung zurück, aber zieht in das nördliche Blockhaus.«

Olaf und Gro brachen am nächsten Morgen nach Süden auf – doch zu Hause kamen sie nie an.

Olaf starb als Erster. Sein geschwächtes Herz streikte drei Tage nach Beginn ihrer Wanderung einfach. Gro erging es nicht viel besser, und als er nicht mehr laufen konnte, schlug er sein Lager auf. Kurz danach erschienen die pelzigen Raubtiere. Was sie nicht sofort verschlangen, wurde zerfetzt und verstreut, bis nichts mehr vorhanden war und es aussah, als hätte es Gro überhaupt nicht gegeben.

Nachdem er seinen beiden Männern nachgeschaut hatte, bis sie in der Ferne verschwunden waren, sammelte Erik die Bergleute, Techniker und Arbeiter, die er aus der Siedlung mitgebracht hatte. Er suchte eine freie Fläche auf dem Boden der Höhle und begann, seinen Plan mit einem Stock in den Staub zu zeichnen.

Die Pläne waren anspruchsvoll, aber mit einem Geschenk des Himmels sollte man niemals nachlässig umgehen.

An diesem Tag fingen die ersten Gruppen damit an, die Höhle zu vermessen. Viel später sollte sich herausstellen, dass sie knapp zwei Kilometer weit in den Berg hineinreichte und dass die Temperatur zunahm, wenn man tiefer in den Berg eindrang. Ein großer Tümpel, gefüllt mit frischem Quellwasser, befand sich im Innern des Berges, umrahmt von Stalaktiten, die von der Decke herabhingen, und Stalagmiten, die ringsum vom Boden aufragten.

Mehrere Gruppen wurden zur Küste geschickt, um lange Stangen Treibholz heranzuschaffen, aus denen Leitern für die verschiedenen Auf- und Abstiege gebaut wurden, während andere Arbeiter Stufen ins Gestein meißelten. Kunstvolle Türen wurden aus Steinplatten geschaffen. Sie bewegten sich an raffinierten Scharnieren, um den Gegenstand vor anderen Besuchern zu schützen, die sich seiner geheimnisvollen Kräfte sicherlich gerne bedienten. Runen wurden in den Fels geritzt und Statuen herausgehauen, und Licht drang durch die wenigen Öffnungen ein, durch die der Höhle frische Luft zugeführt wurde. Erik überwachte die Arbeiten von der Siedlung an der Küste aus. Er besuchte den Bauplatz nur selten und ließ sich allein durch seine Vorstellungen leiten.

Männer kamen, verrichteten die von ihnen geforderten Arbeiten, wurden krank und starben, um sofort durch andere ersetzt zu werden.

Als die Höhle endlich fertig gestellt war, hatte Erik der Rote die Bevölkerung seiner Siedlung derart geschwächt, dass sie sich nie mehr davon erholen sollte. Nur ein einziges Mal erblickte sein Sohn Leif das wundervolle Geschenk der Götter mit eigenen Augen.

Danach befahl Erik, dass der Eingang zur Höhle verschlossen werde, und das Geheimnis musste unendlich lange warten, bis jemand den Weg zu ihm fand.

TEIL EINS

1

Lieutenant Chris Hunt sprach nur selten über seine Vergangenheit, doch die Männer, mit denen er Dienst tat, hatten seinem Auftreten einige Hinweise entnehmen können. Der erste war, dass Hunt keineswegs aus irgendeinem verschlafenen Provinznest stammte und die Armee dazu benutzte, die Welt zu sehen. Er kam aus Südkalifornien. Und wenn man ihn mit Fragen bedrängte, äußerte Hunt, in der Los-Angeles-Region aufgewachsen zu sein, da er nicht publik machen wollte, dass er seine Jugend in Beverly Hills verbracht hatte. Das Zweite, was den Männern auffiel, war die Tatsache, dass Hunt eine Führerpersönlichkeit war – weder war er herablassend, noch spielte er den in allen Dingen Überlegenen, allerdings versuchte er auch gar nicht erst zu kaschieren, dass er kompetent und intelligent war.

Das Dritte fanden die Männer an diesem Tag heraus.

Ein eisiger Wind wehte von den Bergen in dieses Tal in Afghanistan, wo der Zug unter Hunts Kommando damit beschäftigt war, sein Lager abzubrechen. Hunt und drei andere Soldaten schlugen sich mit einer Zeltplane herum, die sie zusammenfalten wollten, um sie verpacken zu können. Während die Männer die längsseitigen Kanten aufeinanderlegten, wagte Sergeant Tom Agnes, sich nach dem Wahrheitsgehalt der Gerüchte zu erkundigen, die ihm zu Ohren gekommen waren. Hunt reichte ihm die Seitenkante der Zeltplane, damit Agnes sie auf die Hälfte zusammenlegen konnte.

»Sir«, sagte Agnes, »es heißt, Sie hätten in Yale studiert – stimmt das?«

Alle Männer trugen getönte Skibrillen, Agnes aber war nahe genug, um Hunts Augen sehen zu können. Ein überraschtes Blinzeln war zu erkennen, gefolgt von einem resignierten Ausdruck. Dann lächelte Hunt.

»Aha«, sagte er ruhig, »Sie haben mein schreckliches Geheimnis also aufgedeckt.«

Agnes nickte und faltete das Zelt um die Hälfte zusammen. »Nicht gerade die ideale Brutstätte für eine militärische Karriere.«

»George Bush war auch dort«, wehrte sich Hunt. »Er war Marineflieger.«

»Ich dachte, er war bei der Nationalgarde«, sagte Specialist Jesus Herrara, der das Zelt von Agnes übernahm.

»Ich meinte George Bush Senior«, sagte Hunt. »Unser Präsident hat ebenfalls in Yale studiert, und ja, er war Düsenpilot der Nationalgarde.«

»Yale«, sagte Agnes. »Wenn Sie die Frage gestatten, wie kommt es, dass es Sie ausgerechnet hierher verschlug?«

Hunt wischte sich Schneeflocken von der Brille. »Ich habe mich freiwillig gemeldet«, antwortete er, »genauso wie Sie.«

Agnes nickte.

»Und jetzt sollten wir endlich einpacken«, sagte Hunt und deutete auf den Berg vor ihnen, »und dort hinaufgehen und diesen Mistkerl suchen, der die Vereinigten Staaten angegriffen hat.«

»Jawohl, Sir«, riefen die Männer im Chor.

Zehn Minuten später, mit fünfzig Pfund schweren Lasten auf den Rücken, begannen sie mit dem Aufstieg.

In einer Stadt, in der es von schönen Frauen wimmelte, brachte Michelle Hunt mit neunundvierzig Jahren noch immer Männer dazu, sich nach ihr umzudrehen. Hoch gewachsen, mit braunem Haar und blaugrünen Augen, war sie mit einer Figur gesegnet, die weder einer ständigen Diät noch eines regelmäßigen sportlichen Trainings bedurfte, um fit und vollkommen zu erscheinen. Michelle Hunt hatte volle Lippen und wunderbare Zähne, doch es waren ihre Rehaugen und der makellose Teint, die den stärksten Eindruck hinterließen. Und obwohl sie insgesamt eine schöne Frau war, gehörte dies zu Südkalifornien wie der ewige Sonnenschein und die Erdbeben.

Was die Menschen zu Michelle hinzog, war etwas, das nicht mit dem Skalpell eines Schönheitschirurgen geschaffen oder durch Kleidung und Maniküre unterstrichen oder auch durch Ehrgeiz oder Wandlungsfähigkeit erzeugt werden konnte. Michelle verfügte über jene ganz besondere Ausstrahlung, die sowohl Männer als auch Frauen dazu brachte, sie zu mögen und in ihrer Nähe sein zu wollen – sie war glücklich, zufrieden und der Optimismus in Person. Michelle Hunt ruhte in sich selbst. Und die Menschen kamen zu ihr wie Bienen zu einer Blume, die in voller Blüte stand.

»Sam«, sagte sie zu dem Anstreicher, der soeben die Wände in ihrer Kunstgalerie mit frischer Farbe verschönt hatte, »Sie verstehen wirklich Ihr Handwerk.«

Sam war achtunddreißig Jahre alt und errötete.

»Für Sie ist das Beste gerade gut genug, Ms. Hunt«, gab er zurück.

Sam hatte die Galerie gestrichen, als sie vor fünf Jahren ihre Tore dort geöffnet hatte, desgleichen ihr Haus in Beverly Hills sowie ihre Ferienwohnung am Lake Tahoe. Und er hatte auch diese letzte Renovierung durchgeführt. Und jedes Mal hatte sie ihm das Gefühl gegeben, von ihr bewundert zu werden und großes Talent zu besitzen.

»Darf ich Ihnen ein Glas Wasser oder eine Cola anbieten?«, fragte sie.

»Ich bin wunschlos glücklich, danke.«

In diesem Augenblick meldete ihre Assistentin aus dem Ausstellungsraum der Galerie, jemand verlange sie am Telefon. Sie lächelte, winkte dem Handwerker zu und entfernte sich.

»Das ist eine Lady«, murmelte Sam, »eine wahre Lady.«

Während sie sich in den Ausstellungsraum begab, wo sie von ihrem Schreibtisch aus auf den Rodeo Drive hinausblicken konnte, bemerkte Michelle, dass einer der Künstler, die sie vertrat, gerade durch den Eingang hereinkam. Auch hier hatte sich ihre sprichwörtliche Liebenswürdigkeit reichlich ausgezahlt – Künstler sind eine empfindliche und launenhafte Spezies, doch Michelles Künstler beteten sie geradezu an und wechselten so gut wie nie die Galerie. Dies und die Tatsache, dass sie ihr Unternehmen mit einem beruhigenden finanziellen Polster begonnen hatte, waren im Wesentlichen die Gründe für die bisher erfolgreichen Jahre.

»Ich wusste, dies würde ein guter Tag sein«, begrüßte sie den bärtigen Mann. »Ich hatte nur keine Ahnung, dass der Grund dafür ein Besuch meines Lieblingskünstlers wär.«

Der Mann lächelte.

»Ich will nur gerade dieses Telefongespräch annehmen«, sagte sie, »dann reden wir.«

Ihre Assistentin geleitete den Künstler zu einer Sitzgruppe mit Sofas und einer kleinen Bar. Während sich Michelle in ihren Schreibtischsessel sinken ließ und nach dem Telefonhörer griff, nahm die Assistentin den Getränkewunsch des Künstlers entgegen und begann dann, ihm einen Cappuccino zuzubereiten.

»Michelle Hunt.«

»Ich bin’s«, antwortete eine raue Stimme.

Diese Stimme bedurfte keiner weiteren Vorstellung. Er hatte ihr den Kopf verdreht, als sie eine junge Frau von einundzwanzig war, soeben aus Minnesota angekommen und auf der Suche nach einem neuen Leben voll Spaß und Sonne – im Südkalifornien der achtziger Jahre. Nach einer wechselvollen Beziehung, bestimmt durch seine Unfähigkeit, eine feste Bindung einzugehen, und die regelmäßige durch seinen Job bedingte Abwesenheit, hatte sie mit vierundzwanzig Jahren seinem Sohn das Leben geschenkt. Und obwohl sein Name nicht auf der Geburtsurkunde erschien – und Michelle und er vorher oder seitdem niemals zusammengelebt hatten – waren sie einander doch eng verbunden gewesen. Zumindest so eng, wie es mit diesem Mann möglich war.

»Wie geht es dir?«, fragte sie.

»Ich kann nicht klagen.«

»Wo bist du gerade?«

Es war die Standardfrage, die sie immer stellte, um den Anfang zu machen. Im Laufe der Jahre reichten die Antworten von Osaka über Peru und Paris bis Tahiti.

»Moment mal«, sagte er aufgeräumt und blickte auf eine Landkarte, die auf einem Bildschirm in der Nähe des Pilotensessels seines Jets zu sehen war. »Sechshundertsiebenundachtzig Meilen von Honolulu entfernt, unterwegs nach Vancouver in British Columbia.«

»Willst du Skifahren?«, fragte sie. Sport war seit eh und je ihr gemeinsames Hobby gewesen.

»Nein, einen Wolkenkratzer bauen«, antwortete er.

»Du hast immer etwas Besonderes vor.«

»Das stimmt wohl«, gab er zu. »Michelle, ich rufe an, weil ich gehört habe, dass unser Junge nach Afghanistan geschickt wurde«, sagte er ernst.

Michelle hatte keine Ahnung – der Einsatz war immer noch geheim, und Chris hatte seinen Bestimmungsort nicht nennen dürfen, als er den Marschbefehl erhalten hatte.

»O nein«, platzte sie heraus, »das ist nicht gut.«

»Ich hatte mir schon gedacht, dass du das sagen würdest.«

»Wie hast du das rausgekriegt?«, fragte sie. »Ich muss immer wieder über deine Fähigkeit staunen, Informationen zu beschaffen.«

»Daran ist nichts Staunenswertes«, sagte er. »Ich habe so viele Senatoren und andere Politiker in meinen Taschen, dass ich mir irgendwann mal größere Hosen kaufen muss.«

»Hast du irgendwas gehört, wie es läuft?«

»Ich nehme an, die Mission entwickelt sich schwieriger, als der Präsident es sich vorgestellt hat«, sagte er. »Chris führt offensichtlich ein spezielles Eingreifkommando, das die Bösen jagen und zur Strecke bringen soll. Bislang sind die Kontakte mit dem Gegner eher spärlich – aber meinen Quellen zufolge ist es eine kalte und schmutzige Angelegenheit. Wenn er sich für eine Weile nicht bei dir meldet, solltest du dich nicht wundern.«

»Ich habe Angst um ihn«, sagte Michelle schleppend.

»Soll ich meine Beziehungen spielen lassen?«, fragte der Mann. »Damit er dort abgezogen und in die Heimat zurückgeschickt wird?«

»Ich dachte, er hätte dir das Versprechen abgenommen, niemals etwas Derartiges zu tun.«

»Das hat er«, gab er zu.

»Dann lass es auch.«

»Ich ruf dich an, wenn ich mehr weiß.«

»Kommst du irgendwann mal wieder in diese Gegend?«, fragte sie.

»Ich melde mich, wenn es sich ergibt«, versprach er. »Ich sollte jetzt lieber Schluss machen – da ist ein starkes Rauschen auf der Satellitenverbindung. Das muss an den Sonnenflecken liegen.«

»Bete, dass unserem Jungen nichts zustößt«, sagte sie.

»Ich könnte mehr als das tun«, sagte er und unterbrach die Verbindung.

Michelle legte den Telefonhörer hin und lehnte sich zurück. Ihr Ex-Geliebter gehörte nicht zu denen, die offen Angst zeigten. Dennoch war die Sorge um seinen Sohn nicht zu überhören. Sie konnte nur hoffen, dass diese Befürchtungen unbegründet waren und Chris schon bald wieder wohlbehalten heimkehrte.

Sie erhob sich hinter ihrem Schreibtisch und ging zu dem Künstler hinüber. »Ich hoffe, du hast mir etwas Schönes mitgebracht«, sagte sie in lockerem Ton.

»Draußen im Wagen«, erwiderte der Künstler, »ich glaube, es wird dir gefallen.«

Vier Stunden nach Sonnenaufgang und in knapp dreihundertfünfzig Metern Höhe auf der Flanke der Bergkette oberhalb des Lagerplatzes, wo sie die Nacht verbracht hatten, traf Hunts Gruppe auf einen zu allem entschlossenen Feind. Das Feuer kam aus einer Reihe Höhlen direkt über und östlich von ihnen. Und es traf sie unerwartet und mit voller Wucht. Gewehrsalven, Panzerabwehrraketen, Granaten und Pistolenfeuer regneten auf sie herab. Der Feind belegte den Berg mit Dynamitladungen, um Erdrutsche zu erzeugen, und er hatte das Gelände vermint, in dem Hunts Leute Deckung suchten.

Der Feind hatte sich zum Ziel gesetzt, Hunts Trupp auf einen Schlag auszulöschen – und er schaffte es beinahe.

Hunt hatte hinter einer Reihe Felsblöcke Zuflucht gesucht. Geschosse prallten gegen die Felsen und flogen als Querschläger in alle Richtungen, sprengten Gesteinssplitter ab, die seine Männer trafen. Sie konnten sich nirgendwo verstecken, konnten auch nicht weiter vorrücken, und außerdem wurde ihr Rückzugsweg von einem Erdrutsch versperrt.

»Das Funkgerät hierher!«, rief Hunt.

Die Hälfte seines Zuges befand sich etwa zwanzig Meter geradeaus vor ihm, ein Viertel seiner Leute hatte in ungefähr gleicher Höhe eine Position weiter links bezogen. Glücklicherweise war der Funker in der Nähe des Leutnants geblieben. Der Mann rutschte auf dem Rücken liegend auf Hunt zu, um das Funkgerät zu schützen. Als Belohnung für seine Bemühungen handelte er sich eine Verwundung ein, als eine Kugel seine Kniescheibe streifte, während er die Beine anwinkelte, um sich mit der Füßen weiter nach oben zu schieben. Hunt zog ihn das letzte Stück zu sich in Deckung.

»Antenico«, rief Hunt einem anderen Mann in der Nähe zu, »kümmern Sie sich um Lassiters Verletzung.«

Antenico hastete herüber und begann, die Hose des Funkers aufzuschneiden. Er stellte fest, dass die Wunde nicht allzu tief war, und bandagierte das Knie, während Hunt das Funkgerät einschaltete und die richtige Frequenz suchte.

»Sie sind schon bald wieder auf den Beinen, Lassiter«, sagte er zu dem Funker. »Ich rufe schnellstens Hilfe her. Dann werden Sie ausgeflogen.«

Die Angst war in den Augen des Soldaten abzulesen. Für die meisten von ihnen – auch für Hunt – war dies der erste Kampfeinsatz. Als ihr Führer musste er die Kontrolle übernehmen und einen Plan entwerfen.

»Control, Control, hier ist Stoßtrupp Drei«, brüllte Hunt ins Mikrofon, »wir brauchen Unterstützung, Planquadrat drei null eins acht. Wir liegen unter schwerem Feuer.«

»Stoßtrupp Drei«, antwortete sofort eine Stimme, »beschreiben Sie die Lage.«

»Wir sitzen fest«, sagte Hunt, »und der Feind besetzt das Gelände oberhalb von uns. Die Lage ist kritisch.«

Hunt blickte nach oben, während er sprach. Ein Dutzend bärtige Männer kam in flatternden Gewändern den Berghang herunter. »Feuert nach oben, Leute«, brüllte er den Männern zu, die oberhalb von ihm Stellung bezogen hatten. Eine Sekunde später ertönte eine Salve.

»Stoßtrupp Drei, wir haben in zwei Minuten eine Spectre in der Luft und unterwegs zu euch. Vier Helis – zwei Transporter und zwei Gunships – starten in drei Minuten. Sie werden ungefähr zehn Minuten brauchen, um eure Position zu erreichen.«

Hunt konnte das Summen des schweren propellergetriebenen Gunships hören, das durch die Schlucht einige Meilen unter ihnen heraufjagte. Er lugte über den Felsen und sah acht feindliche Gestalten den Berghang herunterkommen. Er richtete sich auf und schoss eine Panzerabwehrrakete ab. Ein Rauschen, dann ein dumpfes Dröhnen, als das Geschoss durch die Luft flog und explodierte. Er schickte noch eine Maschinengewehrsalve hinterher.

»Stoßtrupp Drei, bestätigen Sie.«

»Stoßtrupp Drei hat verstanden«, brüllte Hunt.

Wo vorher acht Männer gewesen waren, befanden sich jetzt noch insgesamt vier. Sie waren nur zwanzig Meter von seiner Vorhut entfernt. Hunt setzte sein Bajonett auf. Die Männer der Vorhut wirkten wie gelähmt. Sie waren jung, unerfahren und im Begriff, überrannt zu werden. Eine Granate landete in nächster Nähe der Felsklötze und explodierte. Das Gelände wurde mit zertrümmertem Gestein und Staub überschüttet. Weiter oben am Berghang startete eine weitere Gruppe Feinde bergab. Hunt stand auf und feuerte. Er spurtete die zwanzig Meter bis zu den Männern seiner Vorhut und griff den vorrückenden Feind frontal an.

Aller guten Dinge sind drei – und genauso viele Feinde schoss Hunt nieder. Den Letzten schaltete er mit dem Bajonett aus, da sein Magazin leer war.

»Zurück, Männer«, rief er, »hinter die Felsen.«

Zu zweit zogen sie sich in die relative Sicherheit der Felsklötze hinter ihnen zurück, während die noch in der Ausgangsposition ausharrenden Männer weiter auf den vordringenden Feind feuerten. Der war high von destilliertem Mohnsaft, fehlgeleitetem religiösem Eifer und dann auch von den berauschenden Khatblättern, die sie ständig kauten. Der Abhang war rot vom Blut ihrer gefallenen Kameraden, doch sie rückten immer noch weiter vor.

»Stoßtrupp Drei«, krächzte das Sprechfunkgerät.

Antenico griff nach dem Kasten. »Hier ist Stoßtrupp Drei«, meldete er sich. »Unser befehlshabender Offizier ist im Augenblick nicht erreichbar. Hier ist Specialist 367.«

»Wir haben eine B-52 beim Anflug auf ein anderes Ziel gefunden«, sagte die Stimme. »Wir konnten Sie zu Ihnen umleiten.«

»Verstanden – ich sage dem Lieutenant Bescheid.«

Doch Antenico sollte keine Gelegenheit mehr bekommen, diese Meldung weiterzugeben.

Nur Hunt und ein kampferprobter alter Sergeant hielten noch die vordere Stellung, als die AC-130 am Ort des Geschehens eintraf. Sekunden später ergoss sich eine regelrechte Wand aus Blei aus den 25-, 40- und 105-Millimetergeschützen, die seitlich aus dem Rumpf ragten.

Der Sergeant hatte schon früher miterleben können, welche Feuerkraft eine Spectre – auch Fliegendes Kanonenrohr genannt – hatte, und er vergeudete keine Zeit. »Ziehen wir uns zurück, Sir«, rief er Hunt zu, »wir haben ein paar Sekunden Feuerschutz.«

»Dann los, rennen Sie«, sagte Hunt, riss den Sergeant hoch und schob ihn in Richtung Sicherheit. »Ich bin dicht hinter Ihnen.«

Die Spectre wanderte vom Rückstoß seiner feuernden Kanonen seitwärts. Ein paar Sekunden später zog der Pilot die Maschine hoch, um zu wenden und einen weiteren Anflug durch die Schlucht einzuleiten. Während das Gunship die Wende vollendete und zum zweiten Anflug ansetzte, waren immer noch insgesamt sieben feindliche Kämpfer auf dem Vormarsch. Hunt deckte den Rückzug seines Sergeants.

Er tötete fünf Gegner mit einer Panzerabwehrrakete und gezieltem Feuer. Zwei aber kamen bis dicht an Hunts Position heran. Einer traf ihn in die Schulter, während er kehrtmachte, um sich zurückzuziehen.

Der Zweite schlitzte ihm mit einem bösartig aussehenden, gekrümmten Messer die Kehle auf.

Während er in den Sinkflug ging, um seine Maschine in Schussposition zu bringen, sah der Pilot des AC-130, wie Hunt getötet wurde, und meldete es per Funk den anderen Fliegern. Hunts Soldaten sahen es ebenfalls – und der Anblick vertrieb ihre Angst und ersetzte sie durch rasende Wut. Während der AC-130 den Anflug begann, sprangen die Soldaten auf und beharkten eine weitere Angriffswelle, die soeben die schützende Höhle verlassen hatte und sich bergab bewegte. Geschlossen vorrückend, erreichten die Soldaten ihren gefallenen Anführer und bildeten einen schützenden Kreis um seine Leiche. Sie warteten darauf, dass der Feind näher kam, doch wie durch einen geheimnisvollen Zauber oder weil sie die Wut der amerikanischen Soldaten vielleicht spürten, kehrten die bärtigen Krieger um und zogen sich zurück.

Zwanzigtausend Fuß über ihnen und weniger als zehn Minuten vom Ziel entfernt schaltete der Pilot der B-52 das Mikrofon aus und hängte es zurück in seine Halterung.

»Habt ihr das gehört?«, fragte er leise über Intercom seine Besatzung.

Im Flugzeug herrschte bis auf das Dröhnen der acht Motoren Stille. Der Pilot brauchte keine Antwort – er wusste, dass sie das schreckliche Geschehen alle mitbekommen hatten.

»Wir werden diesen Berg in einen Haufen Staub verwandeln«, verkündete er grimmig. »Wenn der Feind seine Gefallenen holt, dann will ich, dass er sie mit einem Schwamm einsammeln muss.«

Vier Minuten später erschienen die Helikopter, um Stoßtrupp Drei abzuholen. Hunts Leiche und die Verwundeten wurden in den ersten Blackhawk geladen. Die restlichen Soldaten kletterten mit hängenden Köpfen in die zweite Maschine. Dann begannen die mit schweren Waffen ausgerüsteten Hubschrauber und der AC-130, den Berghang mit einem Inferno aus Blei und Explosivgeschossen zu überschütten. Kurz danach meldete sich die B-52 zur Stelle. Das Blut strömte den Berghang hinunter, der Feind wurde ausgelöscht. Doch diese Demonstration geballter Feuerkraft kam für Lieutenant Hunt zu spät.

Irgendwann war nur noch der Wunsch nach Vergeltung übrig und erinnerte an seinen Tod.

Und es dauerte Jahre, bis dieser Wunsch in Erfüllung ging.

2

Die Oregon lag in Reykjavik an einem Kai, fest vertäut an den Pollern. Die Schiffe im Hafen bildeten ein Sammelsurium von Arbeits- wie auch Vergnügungsbooten, Fischerbooten und Fabriktrawlern, kleinen Passagierschiffen und – ungewöhnlich für Island – einigen größeren Jachten. Die Fischerboote versorgten die bedeutendste Industrie Islands, und die Jachten lagen im Hafen, weil hier zur Zeit der arabische Friedensgipfel tagte.

Die Oregon würde niemals einen Schönheitswettbewerb gewinnen. Der gut fünfhundert Fuß lange Frachtdampfer schien vorwiegend von Rost zusammengehalten zu werden. Die oberen Decks waren mit Abfall übersät, der obere und der untere Rumpf stellten ein Mischmasch nicht zueinander passender Farben dar, und der mittschiffs aufragende Ladebaum sah aus, als würde er jeden Moment ins Wasser kippen.

Doch die äußere Erscheinung der Oregon war eine reine Illusion. Der Rost war eine sorgfältig aufgebrachte Farbe, die Radarstrahlen absorbierte und dem Schiff erlaubte, wie eine Geistererscheinung von Radarschirmen zu verschwinden. Und hinter dem Abfall und Gerümpel an Deck steckten lediglich besonders echt wirkende Attrappen. Die Ladebäume funktionierten einwandfrei. Zwei arbeiteten wie vorgesehen, ein paar dienten als Funkantennen, und die restlichen ließen sich wegklappen und gaben so Rohre frei, aus denen Raketen abgefeuert werden konnten. Die Einrichtung unter Deck entsprach der von Luxusjachten. Opulent ausgestattete Kabinen, ein Kommunikations- und Kommandozentrum modernsten Zuschnitts, ein Helikopter, Beiboote und eine komplett eingerichtete Fälscherwerkstatt befanden sich dort. Der Speisesaal machte den elegantesten Restaurants Konkurrenz. Das Sanitätszentrum glich eher einer teuren Krankenhausstation. Angetrieben von zwei magnetohydrodynamischen Rückstoß-Einheiten, war das Schiff so schnell wie ein Gepard und wendig wie ein Autoscooter. Das Schiff entsprach ganz und gar nicht dem, was seine äußere Hülle vermuten ließ.

Die Oregon war eine bewaffnete, hochtechnisierte Spionagebasis, und zwar mit bestens trainierten Leuten bemannt.

Die Corporation, der die Oregon gehörte und die sie betrieb, setzte sich aus ehemaligen militärischen und dem Geheimdienst angehörenden Agenten zusammen, die sich an alle Nationen und Einzelpersonen vermieteten, die ganz besondere Dienstleistungen in Anspruch nehmen mussten. Alles in allem waren sie eine kleine Söldnerarmee mit hohen moralischen und ethischen Prinzipien. Häufig von der amerikanischen Regierung in Anspruch genommen, um Missionen auszuführen, da sie außerhalb der Kontrolle durch den Kongress operieren konnten, existierten sie in einer Schattenwelt ohne diplomatischen Schutz oder die offizielle Kenntnis der Regierung.

Zwar war die Corporation eine Streitmacht, die man mieten konnte – doch suchte sie sich ihre Klienten äußerst sorgfältig aus.

Während der vergangenen Woche hatten sie sich in Island aufgehalten, um für den Schutz und die Sicherheit des Emirs von Katar zu sorgen, der an der Gipfelkonferenz teilnahm. Island war aus einer Vielzahl von Gründen für derartige Treffen ausgesucht worden. Das Land war klein, Reykjavik hatte eine Bevölkerung von gerade mal 100000 Menschen, was den Sicherheitsbestrebungen entgegenkam. Die Bevölkerung war ziemlich homogen, so dass Fremde sofort wie bunte Hunde auffielen, was die Chance erheblich verbesserte, Terroristen zu identifizieren, die die Absicht hatten, den Friedensprozess zu stören. Und außerdem konnte Island für sich in Anspruch nehmen, das älteste gewählte Parlament zu besitzen. Das Land war seit Jahrhunderten mit demokratischen Gepflogenheiten vertraut.

Auf der Tagesordnung der sich über einen Zeitraum von einer Woche hinziehenden Treffen standen unter anderem die Besetzung des Irak, die Lage in Israel und Palästina sowie die Ausbreitung des fundamentalistisch motivierten islamischen Terrorismus. Und während das Gipfeltreffen weder von den Vereinten Nationen noch von irgendeiner anderen weltumspannenden Institution gebilligt wurde, waren sich die teilnehmenden Staatsoberhäupter darüber einig, dass entscheidende politische Richtlinien festgelegt und Handlungsweisen beschlossen würden.

Russland, Frankreich, Deutschland, Ägypten, Jordanien und eine Reihe nahöstlicher Staaten nahmen an der Konferenz teil. Israel, Syrien und der Iran hatten ihre Teilnahme abgesagt. Die Vereinigten Staaten, Großbritannien und Polen waren als die alliierten Befreier des Irak ebenso zugegen wie mehrere kleinere Nationen. Fast zwei Dutzend Nationen und ihre Botschafter, Sicherheits- und Geheimagenten wie auch Helfer waren in Islands Hauptstadt eingefallen: ein Schwarm Moskitos bei Nacht. Angesichts der vergleichsweise geringen Einwohnerzahl der Stadt fielen die zahlreichen Spione und Sicherheitsleute den Bürgern von Reykjavik so deutlich ins Auge, als liefen sie in dem eisigen Wetter in spärlicher Badekleidung herum. Isländer hatten helle Haut, blondes Haar und blaue Augen – eine Kombination, die nur schwer imitiert werden kann, wenn man versucht, sich unerkannt unter den Einheimischen zu bewegen.

Reykjavik war eine Stadt der niedrigen Gebäude und bunt gestrichenen Häuser, die in der schneebedeckten Landschaft wie der Schmuck an einem Weihnachtsbaum wirkten. Das höchste Gebäude, die Hallgrimskirkja-Kirche, war nur wenige Stockwerke hoch, und die Dampfschwaden, die aus den geothermalen Quellen aufstiegen, verliehen der Landschaft eine geheimnisvolle Ausstrahlung. Der Geruch von Hydrosulfid – aus den heißen Quellen – durchsetzte die Luft mit dem Gestank fauler Eier.

Reykjavik drängte sich um den zu allen Jahreszeiten eisfreien Hafen, der auch die Fischereiflotte, die Grundlage der isländischen Wirtschaft, beherbergte. Überhaupt waren die durchschnittlichen Wintertemperaturen in der Stadt deutlich milder als in New York. Die Bürger von Island gelten als außerordentlich gesund und wirken glücklich. Das Glücklichsein lässt sich auf eine positive Lebenseinstellung zurückführen, die Gesundheit auf den Überfluss an heißen Quellbecken in der näheren und weiteren Umgebung.

Die arabischen Gipfeltreffen fanden im Hofoi statt, dem großen Haus, das mittlerweile für städtische Veranstaltungen benutzt wurde und außerdem 1986 Schauplatz der Begegnung zwischen Mikhail Gorbatschow und Ronald Reagan gewesen war. Das Hofoi war weniger als zwei Kilometer vom Liegeplatz der Oregon entfernt, ein Vorteil, der die Sicherheitsmaßnahmen erheblich erleichterte.

Katar hatte die Corporation schon früher benutzt – und sie unterhielten eine Partnerschaft, die von gegenseitiger Hochachtung geprägt war.

Aus Respekt vor den christlichen Teilnehmern am Gipfeltreffen hatte man für den ersten Weihnachtstag keine Konferenzen angesetzt. Daher waren unter Deck in der Küche der Oregon drei Köche damit beschäftigt, die letzten Vorbereitungen für das bevorstehende große Festmahl zu treffen. Der Hauptgang befand sich bereits im Ofen – zwölf große Turducken. Die Turducken waren das Lieblingsgericht der Mannschaft – es handelte sich um entbeinte Hühner mit einer Füllung aus Maismehl und Salbei, die in entbeinte Enten mit einer sparsameren Füllung aus Knoblauchbrot gestopft worden waren. Letztere wanderten dann in ebenfalls entbeinte Truthähne, die man mit einer Füllung aus Austern und Kastanien versehen hatte. Wenn die Vögel angeschnitten würden, enthielten die Scheiben drei verschiedene Arten Fleisch.

Tabletts mit Horsd’oeuvres befanden sich bereits auf den Tischen: geeiste Möhren, Sellerie, Schalotten, Meerrettich und Zucchini. Daneben standen Schüsseln mit Nüssen, Früchten, Käse und mit Kräckern sowie Platten mit Krabbenscheren, frischen Austern und Hummerfleisch. Drei verschiedene Suppen; Waldorf- und grüner Salat; ein Fischgang; ein Käsegang; Minze-, Kürbis-, Apfel- und Blaubeerkuchen; Sherry; Liköre und Jamaican-Blue-Mountain-Kaffee.

Niemand von der Besatzung würde hungrig vom Tisch aufstehen.

In seiner geräumigen Kabine frottierte Juan Cabrillo seine nassen Haare, dann rasierte er sich und benetzte seine Wangen mit einem pimentölhaltigen Aftershave. Sein blonder Bürstenhaarschnitt bedurfte nur geringer Pflege, doch in den letzten Wochen hatte er sich einen Spitzbart stehen lassen, den er nun mit einer kleinen Schere sorgfältig stutzte. Angetan von seinem Werk blickte er in den Spiegel und lächelte. Er sah gut aus – ausgeruht, gesund und zufrieden.

Dann begab er sich in die Kabine und entschied sich für ein gestärktes weißes Oberhemd, den leichten grauen Schurwollanzug eines Londoner Maßschneiders, eine Seidenkrawatte, weiche graue Wollsocken und ein Paar schwarzer glänzender Cole-Haan-Sportschuhe mit Troddeln. Nachdem er die Sachen herausgelegt hatte, zog er sich an.

Während er den Knoten der rotblau gestreiften Krawatte band, überprüfte er seine äußere Erscheinung mit einem letzten kritischen Blick, dann öffnete er die Tür und ging durch den Korridor zum Fahrstuhl. Vor ein paar Stunden hatte sein Team von einer Drohung gegen den Emir erfahren. Mittlerweile war ein Plan angelaufen, der, falls er sich als erfolgreich erwies, zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen würde.

Wenn sie jetzt auch noch die Atombombe wiederfänden, die auf der anderen Seite des Globus verloren gegangen war, dann könnte dieses Jahr durchaus positiv enden. Cabrillo hatte nicht die geringste Ahnung, dass er in nur vierundzwanzig Stunden über einer Eiswüste in Richtung Osten unterwegs wäre – oder dass das Schicksal einer großen Stadt an einem berühmten Fluss auf dem Spiel stünde.

3

Im Gegensatz zu der Wärme und Geselligkeit an Bord der Oregon wirkte die Szenerie und Stimmung in dem einsamen Lager am Mount Forel nördlich des Polarkreises auf Grönland um einiges düsterer und gedämpfter. Außerhalb der Höhle heulte der Wind, die Temperatur betrug minus fünfundzwanzig Grad Celsius ohne Berücksichtigung des Windabkühlungsfaktors. Es war der einundneunzigste Tag der Expedition und jegliche Spannung und Erregung waren längst verflogen. John Ackerman war müde, entmutigt und ganz allein mit der bitteren Erkenntnis einer Niederlage.

Ackerman arbeitete für seinen Doktortitel in Anthropologie an der University of Nevada in Las Vegas. Sein augenblicklicher Lebensraum war von seiner vertrauten Wüstenlandschaft genauso weit entfernt wie ein untermeerisches Gebirge von einem Papagei. Die drei Helfer von der Universität waren nach Hause zurückgekehrt, sobald das Semester geendet hatte, und Ersatz würde frühestens in zwei Wochen eintreffen. Eigentlich hätte Ackerman selbst auch eine Pause einlegen sollen, doch er war geradezu von einem Traum besessen.

Seit jenem Moment, als er den obskuren Hinweis auf die Höhle mit dem geheimnisvollen Namen »Schrein der Götter« gefunden hatte, während er an seiner Doktorarbeit über Erik den Roten saß, hatte er sich unter den Zwang gesetzt, diese Höhle vor allen anderen zu finden. Vielleicht war ja die ganze Geschichte nur ein Mythos, dachte Ackerman, aber wenn der Schrein der Götter tatsächlich existierte, dann wollte er, dass sein Name und nicht der irgendeines Fremden mit dem Fund in Verbindung gebracht wurde.

Er rührte in der Dose Bohnen auf dem Stahlgestell des Kochers, der in dem Zelt stand, das er unweit des Höhleneingangs aufgeschlagen hatte. Auf Grund der Beschreibung, die er übersetzt hatte, war er sicher, dass dies die Höhle war, von der Erik der Rote auf seinem Sterbebett gesprochen hatte. Trotz monatelanger Bemühungen musste er jedoch immer noch die scheinbar solide Wand knapp zehn Meter tief im Höhleninneren überwinden. Er und seine Helfer hatten jeden Quadratzentimeter der Wände und des Bodens der Höhle eingehend untersucht, aber nichts gefunden. Die Höhle selbst sah aus, als sei sie von Menschenhand geschaffen, dennoch konnte sich Ackerman dessen nicht hundertprozentig sicher sein.

Nachdem er sich vergewissert hatte, dass sein Bohneneintopf gleichmäßig angewärmt wurde, blickte er hinaus, um nachzusehen, ob die Antenne für sein Satellitentelefon nicht vom Wind umgeweht worden war. Sie befand sich unversehrt an Ort und Stelle, also kehrte er in die Höhle zurück und ging seine E-Mails durch. Ackerman hatte völlig vergessen, dass in der übrigen Welt Weihnachten gefeiert wurde, doch die entsprechenden Wünsche und Grüße seiner Freunde und Verwandten erinnerten ihn jetzt daran. Während er ihre Nachrichten beantwortete, breitete sich zunehmend Traurigkeit und Niedergeschlagenheit in ihm aus. Man schrieb einen Festtag, den die meisten Amerikaner mit ihrer Familie oder mit Freunden verbrachten, und er saß hier mitten im Nirgendwo, mutterseelenallein und auf der Jagd nach einem Traumgebilde, an dessen Existenz er schon nicht mehr richtig glauben konnte.

Nach und nach verwandelte sich die Traurigkeit in Wut. Indem er seine Bohnen völlig vergaß, nahm er die Coleman-Lampe vom Tisch und ging zum hinteren Ende der Höhle. Dort blieb er stehen und verfluchte halblaut die Folge der Ereignisse, die ihn einen der festlichsten Tage des Jahres in einer fernen und eisig kalten Wüste verbringen ließ. All seine mikroskopischen Untersuchungen und seine sorgfältige Staubpinselei hatten nichts gebracht.

Es gab überhaupt nichts – nur leeres Gerede. Morgen würde er das Lager abbrechen, das Zelt und das gesamte Material auf den Schlitten hinter seinem Schneemobil laden. Sobald das Wetter sich ein wenig besserte, würde er sich dann auf den Weg zur nächsten Stadt, Angmagssalik, knapp zweihundert Kilometer entfernt, machen.

Der Schrein der Götter würde ein Mythos bleiben. In einem plötzlichen Wutanfall stieß er einen lauten Fluch aus und schwang die mit Brennstoff gefüllte Laterne hoch und ließ den Griff am höchsten Punkt los. Die Laterne flog durch die Luft und krachte gegen das Felsdach der Höhle. Der Glaskörper zersplitterte, und lodernder Brennstoff spritzte gegen die Decke und sickerte an den Felswänden herab. Dann, wie durch einen geheimen Zauber, wurden die Flammen durch die Risse über seinem Kopf gesogen. Die Reste der brennenden Flüssigkeit verschwanden in vier Spalten, die ein Quadrat bildeten.

Das Höhlendach, dachte Ackerman, wir haben nie das Dach untersucht.

Er ging zum Höhleneingang, öffnete eine Holzkiste und holte die dünnen Aluminiumröhren heraus, mit denen sie auf dem Höhlenboden ein Gitter für die genaue archäologische Untersuchung ausgelegt hatten. Jede der Röhren war knapp anderthalb Meter lang. In einem Gerätesack aus Nylon fand Ackerman eine Rolle Klebeband, mit dessen Hilfe er die Stäbe zusammenfügte, bis er eine etwa fünf Meter lange Stange erhielt. Diese ergriff er wie einen Speer und kehrte damit in die Höhle zurück.

Die zerbrochene Laterne lag noch immer brennend auf dem Höhlenboden. Der Metallkörper war verbeult, und der Glaskörper fehlte, aber sie verströmte weiterhin Licht. Er blickte zur Decke hoch und sah, dass der Qualm der mittlerweile verbrannten Flüssigkeit die nur undeutlich erkennbaren Umrisse eines Quadrats hinterlassen hatte.

Indem er die Stange gegen eine Seite des Quadrats stemmte, übte Ackerman einen behutsamen Druck aus.

Die dünne Steinplatte, die die Abdeckung bildete, wies abgeschrägte Kanten auf. Sobald er mit der Stange dagegen drückte, rutschte sie, gehalten von alten Holzdübeln, zur Seite, bis sie sich wie die Jalousie eines kunstvoll geschaffenen Fensters öffnete.

Dann, sobald die Klappe offen stand, fiel eine aus Walrosshaut geknüpfte Leiter herunter.

Ackerman war starr vor Staunen. Dann löschte er die immer noch brennende Laterne, kehrte zum Zelt zurück und stellte fest, dass sein Bohneneintopf überkochte. Er nahm ihn vom Kocher, dann suchte er eine Taschenlampe, einige Hilfsmittel für den Fall, dass er stecken bleiben sollte, sowie ein Seil und eine Digitalkamera zusammen. Schließlich kehrte er zu der Leiter zurück, um zu seiner Entdeckung hinaufzusteigen.

Sobald er die Öffnung hinter sich hatte, war es, als sei Ackerman auf den Dachboden eines alten Hauses geklettert. Hier befand sich die eigentliche Höhle. Die Höhle nämlich, die er und die Studenten so eingehend untersucht hatten, war lediglich eine sorgfältig angelegte Täuschung. Mit der Taschenlampe den Weg ausleuchtend, bewegte sich Ackerman in Richtung der unteren Höhlenöffnung. Etwa in gleicher Höhe, wo die untere Höhlenöffnung nach draußen führte, fand Ackerman einen Geröllhaufen, der wie ein natürlicher Erdrutsch erschien. Später könnte er das Gestein beiseite räumen und in die Eiswüste hinausblicken, doch im Augenblick – und seit mehreren Jahrhunderten – bewahrte der Felssturz die Geheimnisse.

Die Tarnung hatte Ackerman erfolgreich getäuscht.

Nun machte er kehrt, schob sich vorsichtig an der Öffnung im Felsboden vorbei und ließ ein Ende seines Seils auf den Boden fallen. Indem er es abwickelte, drang er in den Korridor vor, wobei er die Taschenlampe über den Kopf hielt.

Die Wände waren mit Zeichnungen von jagenden Männern, erlegten Wildtieren und Schiffen auf Reisen zu fernen Gestaden verziert. Es schien Ackerman offensichtlich, dass viele Menschen jahrelang in der Höhle geschuftet hatten. Der Gang erweiterte sich zu einem großen Raum, und das Licht streifte Öffnungen, in denen, von der Kälte konserviert, Pelze und Tierfelle auf übereinander angeordneten Schlafstätten lagen. Sie waren als Lager für die Bergleute aus dem Fels herausgehauen worden. Er folgte einem Gang entlang des Schlafbereichs, der über mehrere kurze Abzweigungen von der Haupthöhle hin bis zu einem Teil verfügte, dessen Wände von Kochfeuern rußgeschwärzt waren. Lange, roh behauene Tische, die in Einzelteilen in die Höhle gebracht und dort zusammenfügt worden waren, füllten einen Speisesaal mit hoher Decke. Ackerman ließ den Lichtstrahl seiner Taschenlampe herumwandern und entdeckte kleine Walölbecken mit langen Dochten, die offensichtlich in die Wände eingelassen waren, um Licht zu spenden.

Es waren genügend Plätze für etwa hundert Menschen vorhanden.

Ackerman sog prüfend die Luft ein und fand sie erstaunlich frisch. Tatsächlich konnte er sogar einen leichten Luftstrom wahrnehmen. Er kam zu der Vermutung, dass die Männer Eriks des Roten eine Technik entwickelt haben mussten, Luftschächte zu bohren und ein Belüftungssystem zu schaffen, um schlechte Luft und üble Gerüche aus der Höhle abzuleiten. Nicht allzu weit von dem Speisesaal entfernt befand sich ein kleinerer Raum mit schräg vor den Wänden stehenden Trögen. Diese waren mit dampfendem Wasser gefüllt. Er wusste, dass es sich dabei um primitive Toiletten handelte, aber während er sich ausrechnete, dass sie an die tausend Jahre alt sein mussten, tauchte Ackerman einen Finger ins Wasser. Es war heiß. Sie mussten eine geothermale unterirdische Wasserader gefunden und umgeleitet haben, dachte Ackerman. Ein paar Schritte weiter, gleich hinter dem Raum mit den Toiletten, stieß er auf einen erhöht angelegten Tümpel, aus dem sich Wasser in die Tröge ergoss. Die Bäder.

Nach den Bädern tastete er sich durch einen engen Gang, dessen Wände sorgfältig geglättet und mit geometrischen Symbolen versehen waren, die in den Fels graviert waren und im Licht der Taschenlampe rot, gelb und grün leuchteten. Ein kurzes Stück weiter war eine Öffnung zu sehen, von sorgfältig ausgesuchten Schmucksteinen eingerahmt.

Ackerman trat durch diese Öffnung in eine geräumige Kammer.

Soweit er erkennen konnte, waren die Wände glatt und sämtliche Kanten abgerundet. Der Boden war hier mit plattenförmigen Steinen ausgelegt, um einen nahezu völlig ebenen Untergrund zu schaffen. Geoden und Kristalle hingen wie natürliche Lüster von der Decke herab. Ackerman justierte seine Taschenlampe. Dann richtete er sich auf, hielt sie sich wieder über den Kopf und glaubte, seinen Augen nicht zu trauen.

Mitten im Raum erhob sich ein Podest, auf dem ein graues kugelförmiges Gebilde lag.

Die Geoden und Kristalle an der Decke zerlegten das Licht der Taschenlampe in Tausende winzige Regenbogen, die über die Wände tanzten, als würden sie von einer rotierenden Discokugel erzeugt. Ackerman atmete zischend aus, und dieses Geräusch geisterte jetzt als mehrfach verstärktes Echo durch den Raum.

Er näherte sich dem brusthohen Podest und betrachtete fasziniert die Kugel.

»Ein Meteorit«, sagte er laut.

Dann holte er die Digitalkamera hervor und begann damit, seine Umgebung in allen Einzelheiten zu dokumentieren.

Nachdem er über die Leiter wieder in die untere Höhle zurückgekehrt war, nahm er den Geigerzähler aus der Utensilientasche, schlug ein Buch über Metallanalyse auf und versuchte, die Zusammensetzung der Kugel zu bestimmen. Es dauerte nicht lange, und er hatte das Rätsel gelöst.

Eine Stunde später, wieder aus der oberen Höhle zurück, fasste Ackerman die Digitalbilder und die Messungen des Geigerzählers zu einem E-Mail-Paket zusammen. Nachdem er eine Stunde damit zugebracht hatte, eine flammende Presseerklärung über sich selbst zu formulieren und diese seiner Nachricht hinzuzufügen, schickte er die E-Mail zwecks Begutachtung und Genehmigung seinem Sponsor.

Dann lehnte er sich zurück, um in seinem Ruhm zu schwelgen. Und wartete auf Antwort.

In der Echelon-Überwachungsstation außerhalb Londons in der Nähe von Chatham wurde der größte Teil der weltweiten Kommunikation aufgezeichnet. Als von England und den Vereinigten Staaten gemeinsam betriebene Einrichtung hatte sich Echelon einiger Aufmerksamkeit der Presse auf beiden Seiten des Großen Teichs erfreuen dürfen. Im Grunde war Echelon nicht mehr und nicht weniger als ein riesiger Abhörapparat, der den gesamten weltweiten Kommunikationsaustausch aufschnappte und zur Auswertung durch einen Computer jagte. Bestimmte Wörter waren gekennzeichnet, so dass sie, falls sie auftauchten, bewirkten, dass die Nachrichten, in denen sie enthalten waren, ausgeworfen wurden, um von einem menschlichen Mitarbeiter genauer in Augenschein genommen zu werden. Dann wurde die gekennzeichnete Nachricht auf einen Dienstweg geschickt, bis sie schließlich dem zuständigen Spionagedienst zugeleitet oder als unwichtig abgelegt wurde.

Ackermans E-Mail aus Grönland wanderte zu einem Satelliten, ehe sie in die Vereinigten Staaten weitergeleitet wurde. Auf ihrem Weg zurück zur Erde wurde die Nachricht von Echelon abgefangen und in den Computer eingegeben. Sie enthielt ein Wort, das eine eingehende Überprüfung auslöste.

Nach einiger Zeit würde die Nachricht in England den Dienstweg durchlaufen und durch eine sichere Leitung den Ozean zur National Security Agency in Maryland überqueren, um dann zur Central Intelligence Agency in Langley, Virginia, weitergeschickt zu werden.

Doch bei Echelon gab es einen Verräter, so dass der Text noch an einen anderen Ort übermittelt wurde.

In der Höhle am Mount Forel träumte John Ackerman von seinem neuen Leben. Er hatte sich bereits auf den Titelblättern der meisten archäologischen Fachzeitschriften gesehen. Nun formulierte er in Gedanken eine Dankesrede für etwas, das, zumindest in seiner Vorstellung, dem Oscar der Archäologie entsprach.

Dieser Fund war eine bedeutende Angelegenheit, ähnlich wichtig wie das Öffnen einer Pyramide oder die Ortung eines bislang unberührten, vollständig erhaltenen Schiffswracks. Magazinartikel, Bücher und Talkshows erwarteten ihn. Wenn sich Ackerman klug genug anstellte, dann bildete dieser Fund die Grundlage einer atemberaubenden Karriere. Er könnte ein allseits anerkannter Großmeister der Archäologie werden, der Mann, den die Medien in solchen und ähnlichen Fällen um eine Stellungnahme und Bewertung bitten würden. Er könnte richtig prominent werden – und das allein war heutzutage schon eine bedeutende Karriere. Wenn er insgeheim ein wenig nachhülfe, wäre der Name John Ackerman schon bald das Synonym für große Entdeckungen.

Dann meldete sein Computer mit einem elektronischen Zwitschern den Eingang einer Nachricht.

Die Nachricht war kurz und bündig.

Informieren Sie vorerst noch niemanden. Wir brauchen mehr schlüssige Beweise, ehe wir mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit gehen. Ich schicke Ihnen jemanden, um alles zu überprüfen. Er dürfte in ein oder zwei Tagen bei Ihnen eintreffen. Fahren Sie bis dahin fort, den Fund zu dokumentieren. Tolle Arbeit, John, aber behalten Sie vorerst alles für sich.

Als Ackerman die Nachricht das erste Mal las, war er irritiert. Dann dachte er nach und konnte sich mit dem Gedanken beruhigen, dass sein Sponsor wahrscheinlich einige Zeit brauchte, um die Neuigkeit von dem Fund als Sensation in die Presse zu lancieren. Vielleicht hatte er die Absicht, einem der wichtigeren Rundfunksender die Exklusivrechte an dieser Sache zu verkaufen, und brauchte Zeit, um ein entsprechendes Gespräch zu arrangieren. Vielleicht plante er auch eine konzertierte Aktion aus Magazinen, Zeitungen und Fernsehauftritten.

Nicht lange, und Ackerman konnte an nichts anderes mehr denken, und sein Ego begann, verrückt zu spielen.

Je größer die Publicity wäre, desto grandioser konnte sich auch seine Zukunft entwickeln.

Für Ackerman allerdings würde sich sein durch Selbstüberschätzung aufgeblähtes Ego als eine tödliche Kombination erweisen.

4

Manchmal ist es besser, Glück zu haben, statt clever zu sein. Im obersten Stockwerk eines Hotels in einer Stadt, die sich bei Glücksrittern und Hasardeuren besonderer Beliebtheit erfreute, überflog ein Mann in mittlerem Alter namens Halifax Hickman die Digitalfotos auf einem Computermonitor und lächelte. Nach Lektüre eines gesonderten Berichts, den er vor ein paar Stunden ausgedruckt hatte, stellte er auf einem Notizblock einige Berechnungen an und betrachtete noch einmal die Bilder. Unglaublich. Da fand sich endlich die Lösung all seiner Probleme – inklusive eines steuerfreien Bonus.

Es war, als hätte er einen Vierteldollar in einen einarmigen Banditen gesteckt und einen millionenschweren Jackpot gewonnen.

Hickman brach in Gelächter aus – doch es war kein glückliches Lachen. Das Lachen klang böse und hatte seinen Ursprung an einem freudlosen Ort. Von Rache gesteuert und mit Hass getränkt kam es aus den finstersten Winkeln der Seele des Mannes.

Als das Lachen erstarb, griff er nach dem Telefon und wählte eine Nummer.

Clay Hughes lebte in den Bergen nördlich von Missoula, Montana, in einer Hütte, die er selbst gebaut hatte, und auf einem Stück Land, etwa sechzig Hektar groß, das ihm gehörte. Eine heiße Quelle auf seinem Land lieferte Wärme sowohl für die Hütte wie auch für eine Reihe von Gewächshäusern, die ihn im Wesentlichen mit Nahrung versorgten. Sonnen- und Windenergie erzeugten den notwendigen elektrischen Strom. Mobil- und Satellitentelefon hielten die Sprechverbindung zur restlichen Welt aufrecht. Hughes hatte bei einer Bank in Missoula ein Konto mit sechsstelligem Guthaben, eine Adresse bei einem Schließfach- und Versandservice, um Post zu verschicken und zu empfangen, sowie drei Reisepässe, vier Sozialversicherungsnummern und Führerscheine mit verschiedenen Namen und Adressen.

Er legte großen Wert auf seine Privatsphäre – ein nicht ungewöhnlicher Wesenszug bei Auftragsmördern, die auf keinen Fall auffallen wollen.

»Ich habe Arbeit für Sie«, sagte Hickman.

»Wie viel?«, kam Hughes sofort zum wesentlichen Punkt.

»Circa fünf Tage für fünfzigtausend Dollar. Und ich sorge für die Beförderung.«

»Da nehme ich an, dass jemand in Kürze einen schlechten Tag erwischen wird«, sagte Hughes. »Was sonst noch?«

»Ich muss einen Gegenstand irgendwohin bringen lassen, wenn es erledigt ist«, antwortete Hickman.

»Hilft es der Sache?«, wollte Hughes wissen.