Tödlicher Schwarm - Clive Cussler - E-Book

Tödlicher Schwarm E-Book

Clive Cussler

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Beschreibung

Eine KI kontrolliert einen tödlichen Drohnenschwarm – und macht ihn unaufhaltsam! Der neue Fall für Juan Cabrillo und die Crew der Oregon.

Juan Cabrillo ist dem Waffenhändler Vendor auf der Spur. Es gelingt ihm sogar, sich in dessen Organisation einzuschleusen. Doch dann erhält er den Auftrag, das neuste Waffensystem des Verbrechers zu testen – und zwar, indem er persönlich dagegen antritt! Während Cabrillo um sein Leben kämpft, startet Vendor bereits eine Machtdemonstration. Er sendet einen ganzen Schwarm KI-gesteuerter Drohnen aus. Sobald diese ihr Ziel erreichen und ein tödliches Toxin ausstoßen, lässt sich der dritte Weltkrieg kaum noch verhindern. Nur Juan Cabrillo hat noch eine Chance, den zerstörerischen Plan zu vereiteln.


Non-Stop-Action, Abenteuer und Gegner, auf die James Bond neidisch wäre – das bieten auch die anderen Juan-Cabrillo-Romane, zum Beispiel »Feuermeer« und »Brennender Sand«.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 559

Veröffentlichungsjahr: 2025

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Buch

Juan Cabrillo ist dem Waffenhändler Vendor auf der Spur. Es gelingt ihm sogar, sich in dessen Organisation einzuschleusen. Doch dann erhält er den Auftrag, das neueste Waffensystem des Verbrechers zu testen – und zwar, indem er persönlich dagegen antritt! Während Cabrillo um sein Leben kämpft, startet Vendor bereits eine Machtdemonstration. Er sendet einen ganzen Schwarm KI-gesteuerter Drohnen aus. Sobald diese ihr Ziel erreichen und ein tödliches Toxin ausstoßen, lässt sich der Dritte Weltkrieg kaum noch verhindern. Nur Juan Cabrillo hat noch eine Chance, den zerstörerischen Plan zu vereiteln.

Autoren

Clive Cussler konnte bereits dreißig aufeinanderfolgende »New York Times«-Bestseller landen, seit er 1973 seinen ersten Helden Dirk Pitt erfand, und ist auch auf der deutschen Spiegel-Bestsellerliste ein Dauergast. 1979 gründete er die reale NUMA, um das maritime Erbe durch die Entdeckung, Erforschung und Konservierung von Schiffswracks zu bewahren. Er lebt in der Wüste von Arizona und in den Bergen Colorados.

Mike Maden ist unter anderem der Autor zweier Romane aus Tom Clancys »New York Times«-Bestsellerserie Jack Ryan Jr. Er hat sowohl einen Master als auch einen Doktortitel in Politikwissenschaften von der University of California in Davis, wo er sich auf internationale Beziehungen und vergleichende Politik spezialisiert hat. Er hält Vorträge und ist als Berater tätig, u. a. zu den Themen Krieg und Naher Osten. Maden ist international als politischer Berater und Vortragsredner tätig und moderierte ein Jahr lang seine eigene wöchentliche Radiosendung.

Die Juan-Cabrillo-Romane:

Der goldene Buddha · Der Todesschrein · Todesfracht · Schlangenjagd · Seuchenschiff · Kaperfahrt · Teuflischer Sog · Killerwelle · Tarnfahrt · Piranha · Schattenfracht · Im Auge des Taifuns · Der Colossus-Code · Das Portland-Projekt · Operation Seewespe · Feuermeer · Brennender Sand · Tödlicher Schwarm

Weitere Bände in Vorbereitung

Clive Cussler

& Mike Maden

Tödlicher Schwarm

Ein Juan-Cabrillo-Roman

Deutsch von Wolfgang Thon

Die Originalausgabe erschien 2024 unter dem Titel »Ghost Soldier (JC 18)« bei Putnam’s Sons, New York.Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.Der Verlag behält sich die Verwertung der urheberrechtlich geschützten Inhalte dieses Werkes für Zwecke des Text- und Data-Minings nach § 44 b UrhG ausdrücklich vor. Jegliche unbefugte Nutzung ist hiermit ausgeschlossen.

Copyright der Originalausgabe © 2024 by Sandecker, RLLLP

By arrangement with

Peter Lampack Agency, Inc.

551 Fifth Avenue, Suite 1613

New York, NY 10176–0187 USA

Copyright der deutschsprachigen Ausgabe © 2025 by Blanvalet in der Penguin Random House Verlagsgruppe GmbH, Neumarkter Straße 28, 81673 München

[email protected]

(Vorstehende Angaben sind zugleich Pflichtinformationen nach GPSR.)

Redaktion: Joern Rauser

Umschlaggestaltung: © by Johannes Wiebel | punchdesign, unter Verwendung von Motiven von Adobe Stock (hakule), shutterstock.com (e-leet) und Johannes Wiebel.

HK · Herstellung: DiMo

Satz: Uhl + Massopust, Aalen

ISBN 978-3-641-33114-6V001

www.blanvalet.de

HANDELNDE PERSONEN

THECORPORATION

Juan Cabrillo – Chairman der Corporation und Kapitän der Oregon. Ehemaliger CIA-Undercover-Agent.

Max Hanley – Präsident der Corporation, Juans Stellvertreter und Chefingenieur der Oregon. Veteran und ehemaliger Kapitän eines Patrouillenboots der U.S. Navy.

Linda Ross – Vizepräsidentin der operativen Abteilung der Corporation. Ehemaliges Mitglied des Geheimdienstes der U.S. Navy.

Eddie Seng – Direktor für landgestützte Operationen der Corporation und ehemaliger CIA-Agent.

Franklin »Linc« Lincoln – Agent der Corporation und ehemaliger Scharfschütze der U.S. Navy SEALs.

Marion MacDougal »MacD« Lawless – Agent der Corporation und ehemaliger U.S. Army Ranger.

Raven Malloy – Agentin der Corporation und ehemalige Ermittlerin der U.S. Army Military Police.

Eric »Stoney« Stone – Erster Steuermann der Oregon. Ehemaliger Offizier der U.S. Navy. Spezialist für Waffentechnik und -entwicklung.

Dr. Mark »Murph« Murphy – Leitender Waffensystemoffizier der Oregon. Ehemaliger Waffenkonstrukteur in der Privatwirtschaft.

George »Gomez« Adams – Hubschrauberpilot und leitender Drohnenoperator auf der Oregon. Ehemaliger Hubschrauberpilot der U.S. Army.

Dr. Julia Huxley – Chefärztin auf der Oregon. Ehemalige Chirurgin der U.S. Navy.

Hali Kasim – Leitender Funk- und Kommunikationsoffizier der Oregon.

Kevin Nixon – Chef des Magic Shop (»Zauberladens«) an Bord der Oregon.

Maurice – Chefsteward der Oregon. Veteran der British Royal Navy.

Russ Kefauver – Geheimdienstanalyst. Ehemaliger Finanzforensiker bei der CIA.

Mike Lavin – Leitender Waffenmeister auf der Oregon. Pensionierter Wartungs-Supervisor für Waffen und Feuerleitkontrolle der U.S. Army.

Amy Forrester – Arzthelferin auf der Oregon. Ehemalige Kampfsanitäterin der U.S. Navy.

Steve Gilreath – Steuermann der Oregon. Ehemaliger Veteran der U.S. Navy.

Jesse Benson – Chef der Feuerwehreinheit der Oregon. Ehemaliger Veteran der U.S. Navy.

VEREINIGTESTAATEN

Callie Cosima – Unterwasser-Robotik und Meerestechnik.

Langston Overholt IV – Verbindungsoffizier zwischen der CIA und der Corporation.

Erin Banfield – CIA, leitende Geheimdienstanalystin.

USAF Major Brian »Hawkeye« Joslin – F-35 Lightning II-Kampfpilot.

USAF Captain Will »Mad Dog« McGhee – F-35 Lightning II-Kampfpilot.

USAF Captain Peter Stallabrass – Kommandeur der Besatzung der E-3 Sentry-Mission.

ITALIEN

Colonel Mattia Piccinini – Italienischer Carabiniere »KFORMSU«; Kosovo Force Multinational Specialized Unit. Arma dei Carabinieri.

Lieutenant Salvio Bonucci – Italienischer Carabiniere »KFORMSU«; Kosovo Force Multinational Specialized Unit. Arma dei Carabinieri.

ISLANDOFSORROWS

Rahul Tripathi – Indischer Staatsangehöriger. Professioneller Videospieler und Waffendesigner.

Captain Gustavo Plata – Ehemaliger Angehöriger der guatemaltekischen Special Forces Unit (»Kaibiles«).

Sergeant Major Florin Drăguș – Ehemaliges Mitglied des rumänischen 1st Special Operation Bataillon.

Lieutenant Sergei Osipenko – Ehemaliger Angehöriger der Wagner Private Military Company.

Sergeant Abdul Al-Mawas – Ehemaliger Angehöriger der 25th Special Forces Division der syrischen Armee (»Tiger Forces«).

Sergeant Conor McGuire – Ehemaliges Mitglied des 22nd Special Air Service Regiment der britischen Armee.

Senior Corporals Jakub und Pawel Warschawski – Ehemalige Angehörige der polnischen Special Forces Unit GROM.

Liegst du verwundet und verlassen in den Ebenen Afghanistans

Und die Frauen kommen, um zu zerstückeln, was noch blieb

Schnapp dir dein Gewehr und blas dir das Hirn raus

Und stell dich deinem Gott wie ein Soldat.

RUDYARDKIPLING, »DERJUNGEBRITISCHESOLDAT«

PROLOG

1945 North Field, Guam

Die Moonshiner war die siebenundachtzigste Maschine in einer Reihe von einhundertfünfundvierzig B-29B Superfortress-Bombern, die über die asphaltierte Piste rollten. Ihr Primärziel war eine Flugzeugfabrik in der Nähe von Tokio, gut tausendfünfhundert Meilen entfernt. Das war etwa die Entfernung von Kanada nach Mexiko, und das meiste davon führte über haiverseuchte Gewässer.

Normalerweise war der Heckschütze beim Start neben dem »Putt-Putt« stationiert, dem Hilfsmotor. Aber in diesem Fall hatte man dem klaustrophobisch veranlagten zweiundzwanzigjährigen Carl Jansen erlaubt, sich in der Nähe des Cockpits aufzuhalten, damit er den Start durch das große gläserne Kabinendach beobachten konnte.

Der Pilot drückte die Bremsen bis zum Bodenblech durch, den Blick fest auf das bombenbeladene Flugzeug gerichtet, das vor ihm schwankend in den Himmel stieg.

Jansen wischte sich den Schweiß von der Stirn, der nicht von der Hitze herrührte. Er hatte schon genug tödliche Abstürze während des Starts gesehen und wusste, dass dieser Teil des Fluges genauso gefährlich war wie die Flak und die Jäger, die ihnen unterwegs auflauerten. Dies hier würde sein vierter Einsatz über Japan werden. Vor nicht allzu langer Zeit war er noch auf einem Farmall-F-20-Traktor über die Maisfelder seines Vaters in der Nähe von Manteca, Kalifornien, gefahren. Gegen die Proteste seiner Mutter verzichtete er auf die arbeitsbedingte Freistellung vom Kriegsdienst, um am Krieg teilzunehmen, bevor es zu spät war.

Nach der Freigabe durch den Tower schob der Pilot die vier Drosselklappen nach vorn, und der Rumpf klapperte, als die Motoren hochfuhren. Er löste die Bremsen, und die Moonshiner rollte mit ihrer achtköpfigen Besatzung und zwanzig Tonnen Munition vorwärts.

Schon Augenblicke später befand sich die siebenundsechzig Tonnen schwere, gepanzerte Kriegskutsche in der Luft.

*

Hoch über Tokio

Jansen stand in dem engen Heckabteil, drehte unablässig den Kopf und hatte die Hände auf dem radargestützten, fest montierten Visier. Die japanischen Abfangjäger bevorzugten nächtliche Attacken und griffen die großen US-Bomber besonders gern von hinten an.

Damit stand Jansen direkt im Fadenkreuz. Aber das spielte jetzt keine Rolle. Schließlich hatte er eine Aufgabe zu erledigen. Die B-29B war auf Geschwindigkeit und größere Reichweite ausgelegt und verfügte über nur einen Waffenstand – nämlich seinen. Wenn sich japanische Jäger seiner exponierten Position näherten, bedeutete das bloß, dass er eine bessere Chance hatte, sie mit seinen drei Browning-Maschinengewehren vom Kaliber .50 vom Himmel zu holen.

Seiner Mutter erzählte er, dass ihn seine Schutzweste und sein Helm vor japanischen Kugeln schützten, aber das stimmte nicht. Er vertraute mehr auf seinen Fallschirm, obwohl er nie ein ordentliches Sprungtraining absolviert hatte.

Als der junge Bordschütze durch die großen Panzerglasfenster spähte, dröhnten im Heck die Motoren. Der Nachthimmel war von den Schatten der in Formation fliegenden Bomber übersät und, was noch wichtiger war, von den Hunderten kleiner schwarzer Flakwolken um sie herum.

Die ersten Flugzeuge warfen bereits ihre Ladung ab. Wolken bedeckten die Stadt weit unter ihnen. Ihre Unterseiten wurden von den vorbeihuschenden Lichtern der Flak und der Explosionen erhellt.

»Bomben abwerfen!«, befahl der Bombenschütze. Trotz der donnernden Flak klang seine Stimme über die Sprechanlage klar und gemessen. Die Moonshiner erschauderte, als die Tausend-Pfund-Bomben aus ihrem Schacht fielen.

Bei einem Trainingsflug in Texas hatte Jansen einmal in dem winzigen, ungepanzerten Abteil des Bombenschützen in der Glasblase gesessen. »Das ist der beste Platz im ganzen Haus«, hatte der schnauzbärtige Lieutenant gescherzt. Damals war sich Jansen nicht so sicher gewesen. Aber jetzt, hier, während ihre Eskorte von P-51 Mustang-Kampfjets ihnen in großem Abstand folgte, fragte er sich schon, ob der Lieutenant nicht doch recht gehabt hatte.

Eine plötzliche, blendende Explosion zerriss Jansens Abteil. Sengender Schmerz biss sich in seinen Rücken und zerfetzte seinen Fallschirm. Ganz schwach kreischten »Aussteigen!«-Rufe in seinen Kopfhörern, als der Bordschütze herumfuhr und nach der Notfallluke griff. Nur um zu sehen, wie der brennende Rumpf der Moonshiner hoch über ihm weiterflog, während sich das Heck vom Rest des Flugzeugs löste.

Wie ein Ahornsamen stürzte das Heckteil kreiselnd herab. Selbst wenn Jansen hätte springen wollen, er konnte es nicht. Er war zu geschockt, um auch nur zu schreien, und spürte kaum den eiskalten Wind, der auf seinem Gesicht brannte und unter seinem Helm pfiff.

Sein Blick verengte sich auf den Strudel aus Licht, der unter den höllischen Wolken in der Tiefe hervorbrach.

Jansen schwindelte vor Entsetzen angesichts seines sicheren Todes.

*

Unit 731 Komplex Die von Japan besetzte Mandschurei Vier Tage später

Dr. Yoshio Mitomo stand in der Tür seiner Klinik und bibberte im beißenden Wind, als der japanische Armeelaster mit quietschenden Reifen zum Stehen kam. Weder sein dünner Laborkittel noch sein gut gestutzter Bart boten vor den Minusgraden Schutz.

Ein stämmiger Sergeant sprang aus dem Führerhaus, seine Stiefel versanken in der Schneewehe. Während er sich dem mit Planen bespannten Heck näherte, bellte er Befehle.

Die Klappe des Lastwagens öffnete sich, und ein großer Amerikaner wurde herausgeworfen.

Er landete im Schnee und stöhnte, als zwei Soldaten aus dem Heck sprangen, ihn mit ihren Gewehrkolben malträtierten und ihn aufforderten, sofort aufzustehen. Der hünenhafte Amerikaner schrie vor Schmerz auf, als er sich in Fötusstellung zusammenrollte, um sich zu schützen.

»Aufhören!«, rief Dr. Mitomo und stolperte durch den Schnee. »Ich befehle Ihnen, damit aufzuhören. Sofort!«

Der Sergeant blaffte einen weiteren Befehl, und die beiden Soldaten stellten ihre Misshandlungen ein.

Der Arzt beugte sich über den Verletzten. Der Flieger war nur mit einem zerfetzten Fliegeroverall bekleidet, allerdings mit Blut befleckt. Einiges davon war frisch. Sein linkes Bein schien gebrochen zu sein.

»Helfen Sie mir, ihn hineinzubringen, bevor er erfriert.«

»Ja, Sir!«, bellte der Sergeant.

Die beiden Soldaten packten den Amerikaner grob unter den Achseln und zerrten ihn auf die Beine.

»Vorsicht! Dieser Mann ist verletzt …!«

»Na und? Schließlich ist er ein Kriegsverbrecher«, erwiderte der Sergeant. »Er bombardiert unschuldige Zivilisten.«

»Tun Sie, was ich Ihnen befehle, Sergeant, sonst …«

Das schneebedeckte Gesicht des Sergeants rötete sich in einer Mischung aus bitterer Kälte und kaum unterdrückter Wut. Er erwiderte den unnachgiebigen Blick des Arztes, bevor er schließlich knapp nickte und ein gutturales »Hai« hervorstieß. Dann blaffte er seinen Männern weitere Befehle zu. Sie stellten den Flieger jetzt etwas behutsamer auf die Füße.

Der hochgewachsene Amerikaner war kaum bei Bewusstsein und schlang seine Arme um die Hälse seiner wesentlich zierlicheren Bewacher. Er benutzte sie wie Krücken, um sich abzustützen. Dann wandte er sich an den Arzt und flüsterte kaum hörbar: »Danke.«

Wegen des immer noch wütenden Sergeants unterdrückte Dr. Mitomo ein Lächeln, quittierte das aber mit einem Nicken. Sein Blick fiel auf das Namensschild an der Brust des Fliegers: TSGT. JANSEN

*

Technical Sergeant Jansen saß aufrecht auf einem Stuhl in Dr. Mitomos Büro. Die in China gefertigte Baumwollhose und das Hemd waren dem langen Niederländer zwar mehrere Größen zu klein, aber die Kleidung war immerhin sauber und wärmte. In den letzten zwei Wochen war sein gebrochenes Bein ordnungsgemäß gerichtet und eingegipst worden, seine infizierten Wunden hatte man desinfiziert, genäht und verbunden, und die regelmäßige Ernährung mit gesundem Essen, Wasser und Tee hatte sich als ebenso erholsam erwiesen wie die Antibiotika und Vitaminpräparate, die Dr. Mitomo ihm verabreicht hatte. Ein Paar Krücken lehnte an der Wand.

Jansen war sich sicher gewesen, dass er nach seiner Gefangennahme und den Misshandlungen durch japanische Wachleute in ein Todeslager geschickt werden würde. Sein erster Gefängnisaufenthalt am Stadtrand von Tokio war ein leibhaftiger Albtraum gewesen, und der Transport in den eisigen Norden bedeutete an sich schon fast ein Todesurteil. Zudem wurde er von Schuldgefühlen geplagt, weil er überzeugt war, dass der Rest der Moonshiner-Crew tot war.

Sein einziger Trost bestand darin, dass er aus erster Hand hatte miterleben können, welche Verheerungen das U.S. Army Air Corps dem Feind zugefügt hatte.

In diesem sterilen, gut beleuchteten Raum mit Dr. Mitomo zu sitzen, hatte eine seltsam beruhigende Wirkung auf ihn, während der Arzt in einer dicken Akte las, die auf seinem Schreibtisch lag.

»Meinen Unterlagen zufolge scheinen Sie auf dem Weg der Besserung zu sein«, sagte Mitomo. Sein Englisch war einwandfrei, denn er hatte vor dem Krieg drei Jahre lang Biochemie an der UCLA studiert.

»Ich fühle mich auch ziemlich gut. Und falls ich es bisher nicht gesagt habe, dann sage ich es jetzt: vielen Dank für Ihre Freundlichkeit.«

»Aber natürlich. Schließlich bin ich Mediziner.«

»Man hat uns immer erzählt, dass US-Gefangene hier nicht gut behandelt werden.«

»Bedauerlicherweise trifft das auch häufig zu, wie Sie ja selbst erfahren haben, bevor Sie hier ankamen.«

»Sagen Sie, Doc, warum bin ich eigentlich hier?«

Mitomo klappte den Aktenordner zu.

»Ihre Luftwaffe hat die meisten unserer medizinischen Einrichtungen auf dem Festland zerstört. Hier in China sind wir eurem Zorn jedoch entkommen. Dies ist einer der wenigen Orte, an denen eine vernünftige medizinische Versorgung für US-Kriegsgefangene möglich ist.«

»Und wann werde ich wieder weggebracht?«

Mitomo öffnete eine Schublade und nahm eine Schachtel Zigaretten heraus. »Rauchen Sie?«

Jansen winkte mit seiner großen Pranke. »Nein danke. Mochte ich noch nie. Aber machen Sie nur.«

Mitomo ließ sein Feuerzeug schnappen und zündete sich eine Zigarette an.

Nach ein paar Zügen fuhr er fort: »Ich versuche immer noch, ein Lager zu finden, das weniger hart ist als das, in das Sie eigentlich verlegt werden sollen.«

Jansen hob die Brauen. »Das weiß ich zu schätzen.«

Mitomo lächelte. »Wir sind nicht alle Monster, müssen Sie wissen.« Er blies eine Rauchwolke aus. »Ich würde Ihnen gern ein paar Fragen stellen, wenn Sie nichts dagegen haben.«

Jansen runzelte die Stirn. »Sie wissen, dass die Genfer Konvention nicht mehr von mir verlangt, als dass ich Ihnen meinen Namen, meinen Rang und meine Personenkennziffer nenne.«

»Was Sie ja freundlicherweise auch schon getan haben. Wir haben außerdem herausgefunden, dass Sie zum 314. Geschwader gehören, das in Guam stationiert ist, und dass Ihr Flugzeug Moonshiner hieß, sofern ich mich nicht irre.«

»Mein Name ist Carl Jansen, mein Dienstgrad ist Technical Sergeant, meine Personenkennziffer lautet …«

Mitomo winkte ab. »Das ist nicht nötig. Sie brauchen nichts zu bestätigen oder zu dementieren. Diese Informationen stammen alle aus dem Heck des Flugzeugs, in dem Sie gefunden wurden.« Der Arzt lachte und schüttelte seinen Kopf. »Es ist ein Wunder, wissen Sie das? Wie konnten Sie das überleben?«

Das ansteckende Lachen des Arztes überrumpelte Jansen. Unwillkürlich lächelte er auch.

»Gott selbst muss mich in diese Bäume gelenkt haben. Mama betet sehr viel.«

»Ich bin ja froh, dass Sie nicht gestorben sind. Sie müssen in ausgezeichneter körperlicher Verfassung gewesen sein, um den mentalen Stress einer solchen Tortur zu überleben.«

»Wir haben auf unserer Farm immer ziemlich gut gegessen. Papa hat ständig gesagt: ›Essen ist Medizin.‹«

»Dann ist er ein kluger Mann. Also, die Fragen, die ich Ihnen stellen wollte, betreffen nur Ihre medizinische Vorgeschichte, zum Beispiel ob Sie jemals Pocken hatten. Solche Dinge.«

Jansens Augen verengten sich.

Mitomo lächelte wieder. »Ich versuche nicht, Ihnen irgendwelche militärischen Geheimnisse über Pocken oder die Qualität der medizinischen Versorgung in den USA zu entlocken. Nichts für ungut, aber in solchen Dingen bin ich wahrscheinlich ohnehin etwas besser bewandert als Sie.«

»Warum interessiert Sie dann meine Krankengeschichte?«

»Ich habe zwar gesagt, Sie wären auf dem Weg der Besserung, aber noch sind Sie nicht ganz über den Berg. Ich brauche alle Informationen, die Sie mir geben können, damit ich sicher sein kann, dass ich Sie auch richtig behandle. Sind Sie zum Beispiel allergisch gegen Sulfonamide?«

»Das glaube ich nicht.«

Mitomo schien seine Antwort positiv zu bewerten. Er öffnete die Akte wieder und machte einen Vermerk. Dann stellte er noch einige Fragen zu Kinderkrankheiten, früheren Verletzungen und Jansens militärischem Impfpass. Fünfzehn Minuten später schloss er die Akte wieder.

»Also, wie fühlen Sie sich im Augenblick ganz allgemein?«

Jansen rieb sein stacheliges Kinn. »Ich könnte eine Rasur gebrauchen.«

Mitomo strich über sein gepflegtes Gesicht. »Ich wette, Sie könnten sich einen schönen Bart wachsen lassen.«

Jansen grinste. »Ich musste meiner Mutter versprechen, dass ich das nicht tue. Und mir auch keine Tattoos stechen lasse.«

»Ach ja. Mütter.« Mitomo drückte seine Zigarette aus. »Vielleicht kann ich etwas arrangieren. In der Zwischenzeit muss ich Sie aber noch um einen weiteren Gefallen bitten.«

»Nur zu.«

»Ich würde gern eine Reihe von Tests durchführen. Gehör, Augen, Atmung. Ich möchte sicherstellen, dass wir nichts übersehen, was sich später als schädlich oder sogar tödlich erweisen könnte. Ich kann Ihnen nämlich keine gute medizinische Versorgung versprechen, sobald Sie diesen Ort verlassen haben. Ist das für Sie akzeptabel?«

Jansen zuckte mit den Schultern. »Ja, das ist in Ordnung.«

»Und dann besorge ich Ihnen eine Rasur.«

*

Jansen saß in einer winzigen geschlossenen Glaskabine mit einem Headset auf den Ohren. Es fühlte sich fast wie die Kabine des Heckschützen an.

»Können Sie mich hören?«, fragte Dr. Mitomo auf der anderen Seite des Glases. Er saß an einem kleinen Schreibtisch vor einem Kontrollpanel und sprach in ein Mikrofon.

»Laut und deutlich, Doc.«

»Gut. Der Test beginnt sofort. Sie werden eine Reihe von Tönen hören, manchmal im linken Ohr, manchmal im rechten, manchmal auch in beiden. Wenn Sie einen Ton im linken Ohr hören, heben Sie die linke Hand, wenn er im rechten Ohr ertönt, die rechte, und natürlich beide Hände, wenn der Ton in beiden Ohren erklingt. Verstanden?«

»Verstanden.«

»Machen wir einen Versuch. Sind Sie bereit?«

»Bereit.«

Mitomo drückte einen Knopf auf dem Panel.

Einen Moment später hob Jansen den linken Zeigefinger.

»Sehr gut, Carl. Es sieht so aus, als wären wir so weit. Bereit, mit dem Test zu beginnen?«

Jansen nickte. »Ich bin bereit.«

»Dann fangen wir an.«

Mitomo verstellte einige Augenblicke lang mehrere Regler und Knöpfe, dann drückte er die erste Taste. Jansen hob seine rechte Hand. Zwei Sekunden später hob er die linke.

Plötzlich wurde Jansen blass, und sein Atem ging flach.

»Stimmt etwas nicht?«

»Doc … ich fühle mich nicht gut.«

»Sagen Sie mir, was Sie fühlen.«

Jansen sprang von seinem Stuhl auf, aber sein geschientes Bein gab nach. Er fiel nach hinten und rang nach Luft, während er Mitomo panisch ansah. Er wollte um Hilfe rufen, aber die Töne blieben ihm im Hals stecken. Er umklammerte seine Kehle, während er die Augen verdrehte, bis nur noch das Weiße zu sehen war.

Der große amerikanische Fliegersergeant prallte gegen die Scheibe und brach auf dem Boden zusammen.

*

Dr. Mitomo hatte eine Zigarette zwischen den Lippen, während er Jansens geöffnete Brusthöhle untersuchte. Der Leichnam lag auf einem stählernen Seziertisch.

Generallieutenant Ishi kam in den Autopsiesaal gestürmt. Er war der Befehlshaber von Unit 731, offiziell bekannt als Abteilung für Seuchenprävention und Wasseraufbereitung der Kwantung-Army. In Wirklichkeit war es das japanische Testzentrum für chemische und biologische Kriegsführung.

»Was haben Sie entdeckt, Mitomo?«, fragte der Chirurg, der einen Schnauzbart trug.

»Mein aerosoliertes Botulinum hat bei dem amerikanischen Exemplar perfekt funktioniert.«

Mit einem Skalpell stocherte er in der Muskulatur um Jansens Lunge herum. »Das Zwerchfell, die Bauchmuskeln, die Zwischenrippenmuskeln, die Skalenen – sogar der Sternocleidomastoideus. Alles hart wie vulkanisiertes Gummi. Die totale Lähmung ist fast augenblicklich eingetreten.«

Jansen war ausgewählt worden, weil er als Paradebeispiel für amerikanische Biologie galt.

Mitomo hatte ein dringendes Ersuchen an die Armee gerichtet, ihm US-Gefangene zu besorgen. Jansens Zustand war jedoch bei seiner Einlieferung so schlecht gewesen, dass Mitomo gezwungen war, ihn erst aufzupäppeln, damit der Test später ordnungsgemäß durchgeführt werden konnte.

»Und wie viele Exemplare haben Sie getestet?«, erkundigte sich Ishi.

»Dies ist der fünfte Amerikaner. Er ist ein perfektes Exemplar mit einer ausgezeichneten Gesundheitsbilanz und ohne Begleiterkrankungen. Er zeigte keinerlei Resistenz gegen das Botulinum.«

»Dann können wir also mit der Operation Schwarze Chrysantheme fortfahren?«

»Sobald wir ausreichende Mengen des Neurotoxins hergestellt haben.«

»Ausgezeichnet. Ich informiere unsere Vorgesetzten. Gut gemacht, Mitomo.«

»Ich danke Ihnen, Sir.«

»Wenn Sie die Untersuchung beendet haben, verbrennen Sie die Leiche, wie Sie es mit allen anderen getan haben.«

»Natürlich.«

Ishi schlug Mitomo anerkennend auf die Schulter. »Dank Ihnen werden wir diesen Krieg noch gewinnen.«

1

Niger, Afrika Heute

Der lange Konvoi von bewaffneten Toyota-Pick-ups, beladen mit Truppen aus Niger, raste Stoßstange an Stoßstange durch die Wüste nach Norden, auf einer asphaltierten Straße, die von dichten Beständen knorriger Akazienbäume gesäumt wurde. Ein heulender Wind trübte die Luft mit feinem pulvrigem Sand, der in der späten Nachmittagssonne rot wie Rost schimmerte.

Der Konvoi war noch drei Stunden von dem Dorf entfernt, in dem sich der regionale Befehlshaber der Gruppierung Islamischer Staat angeblich versteckte. Die Soldaten befanden sich in weiter Distanz von ihrem sicheren befestigten Stützpunkt, aber sie kamen in voller Kampfstärke. Die lokalen Kämpfer dagegen waren fast nur mit AKs bewaffnet und fuhren luftgekühlte Motorräder. Ihre bevorzugten Ziele waren unbewaffnete Dorfbewohner und hilflose Bauern, keine ausgebildeten Soldaten.

»C’est comme la surface de Mars«, sagte der Fahrer, ein First Sergeant. Er trug das Skorpionabzeichen der 1st Expeditionary Force of Niger (EFoN). Seine Tarnuniform aus US-Militärbeständen war staubbedeckt.

Lieutenant Wonkoye, der Einsatzleiter, kommentierte die Bemerkung des Sergeants mit einem Grinsen.

»Sie sind also schon mal auf dem Mars gewesen, Sergeant?«

Der Sergeant zeigte blendend weiße Zähne, als er unter seinem viel zu großen Helm lächelte, und schüttelte den Kopf.

»Das haben die Amis immer gesagt.«

»Die haben alles Mögliche gesagt.«

Wonkoye bedauerte seine Bemerkung augenblicklich. Eigentlich mochte er die Amerikaner, vor allem die Ausbilder, mit denen er trainiert hatte. Dank der Militärjunta jedoch, die sein Land jetzt regierte, waren die meisten amerikanischen Soldaten verschwunden. Die einzigen Yankees, die sich noch hier befanden, bewohnten die riesige, von den USA gebaute Drohnenbasis in Agadez. Aber es war ihnen verboten, sie zu verlassen.

Die Ausbilder der amerikanischen Special Forces waren furchterregende Krieger mit großem Wissen und großer Kampferfahrung, aber sie waren bescheiden, anders als die französischen Paras, die im Laufe der Jahre an ihrer Seite gekämpft hatten. Wonkoye rief sich ins Gedächtnis, dass die US-Amerikaner sie bei der Ausbildung zwar hart rannahmen, aber dennoch ins nigrische Lager kamen und mit ihnen Fußball spielten. Ganz anders als die eingebildeten Franzosen, die trotz ihres ständigen Lächelns und ihrer gemeinsamen Sprache die Nigrer insgeheim verachteten.

Macht nichts, dachte Wonkoye. Diese Zeiten sind längst vorbei. Amis und Franzosen waren auf Befehl von Nigers neuem Präsidenten, einem Armeegeneral, aus dem Land gewiesen worden. Wonkoye, ein glühender Patriot, stand hinter dieser Entscheidung, so riskant sie auch sein mochte.

Die islamistische Plage breitete sich in der gesamten Region aus. Im Laufe der Jahre hatten sowohl die Amerikaner als auch die Franzosen viel Geld für den Kampf gegen die Dschihadisten in Afrika ausgegeben. Ihre Bemühungen waren jedoch nationalistisch motiviert, nicht etwa humanistisch. Sie bekämpften die Terroristen in Afrika, damit der Krieg nicht in ihre Heimatländer getragen wurde.

Die beiden westlichen Länder hatten sich in dem langen, blutigen Kampf in Niger, einem der ärmsten Länder der Welt, verbündet. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn der Westen wirtschaftliche Hilfe statt Waffen geschickt hätte, hatte Wonkoye oft gedacht, aber das war eine Angelegenheit seiner Vorgesetzten. Er war nur ein Krieger und seine einzige Aufgabe bestand darin, den Kampf gegen den islamistischen Feind zu führen, dessen Zahl täglich wuchs.

In der Hauptstadt Niamey kursierten Gerüchte über eine große Allianz zwischen konkurrierenden Gruppierungen von Al-Qaida und des Islamischem Staats. Guinea, Burkina Faso und Gabun waren in den letzten Jahren an Militärjuntas gefallen. Sie waren zum Einschreiten gegen korrupte und inkompetente Regierungen gezwungen worden, die von westlichen Mächten im Namen der Sicherheit unterstützt wurden. Andere afrikanische Regierungen standen ebenfalls am Rande eines Umsturzes, darunter das mächtige Nigeria. Und die Dschihadisten waren bereit, das drohende Chaos auszunutzen.

Genauso wie die Russen.

Nun lag die unsichere Zukunft ganz Afrikas zunehmend in den Händen der Afrikaner. Selbst Mali, das ebenfalls von Militärs regiert wurde, hatte die fünfzehntausend Soldaten der dort stationierten UN-Friedenstruppen ausgewiesen. Das Schicksal Nigers würde von den Nigrern selbst bestimmt werden, und die EFoN war die Speerspitze seines Landes im Kampf gegen den Dschihad-Terror. Der stolze junge Lieutenant war sich der Risiken durchaus bewusst. Er war ein Berufssoldat.

Wonkoye drehte sich um und betrachtete die jungen Gesichter auf der anderen Seite des kleinen Heckfensters des Pick-ups, die auf der Ladefläche durchgerüttelt wurden. Sie hatten die Augen gegen den erstickenden Staub zugekniffen, und ihre ungeschützten Gesichter waren von dem stechenden aufgewirbelten Sand wund geworden. Auf der Pritsche der anderen Pick-ups ging es ähnlich eng zu, mit Ausnahme des Pick-ups, der Ersatzreifen und Munition transportierte. Jeder Mann umklammerte eine AK-47 oder eine Panzerfaust. Während der holprigen Fahrt hielten sie sich mit ihren freien Händen an allem fest, was sie fanden, auch an den russischen Maschinengewehren, die auf der Ladefläche montiert waren.

»Hören Sie das, Lieutenant?«, fragte der Sergeant.

Wonkoye hielt inne. Im Dröhnen der vier Zylinder des Diesel-Toyota-Motors nahm er schwach das vertraute Geräusch von wummernden Hubschrauberrotoren wahr. Er hatte Luftunterstützung beantragt, was jedoch wegen Mangels an Flugzeugen abgelehnt worden war.

Wonkoye streckte den Kopf aus dem Fenster. Der brennende Sand biss ihm ins Gesicht, und seine Augen tränten, aber weiter entfernt im Osten, hoch über der Baumgrenze, konnte er die Umrisse eines Hubschraubers ausmachen. Er flog in Richtung Norden, kehrte dann aber wieder um.

»Das ist ein Black Hawk.«

»Amerikaner!« Der Sergeant lachte. »Ich dachte, die wären alle weg.«

»Sie müssen mein Ersuchen mitbekommen haben«, gab Wonkoye stolz zurück. Er war ein Musterschüler der amerikanischen Ausbilder gewesen. Vielleicht war sein Ruf sogar besser, als er ahnte, und seine alten Freunde hatten letztlich doch beschlossen, sich dem Kampf anzuschließen, selbst gegen ihren ausdrücklichen Befehl.

Im Funkgerät des Lieutenants meldete sich das Führungsfahrzeug.

»Sir, vor uns … das ist ein Humvee.«

Wonkoye und sein Sergeant wechselten einen zuversichtlichen Blick. Mit den Amerikanern an ihrer Seite hatten die Dschihadisten nicht die geringste Chance.

Die Gefangennahme des blutrünstigen feindlichen Kommandanten könnte Wonkoye sogar eine Beförderung einbringen. Der Lieutenant nahm den Hörer an den Mund.

»Achtung, Konvoi. Hier spricht Wonkoye. Alle anhalten. Die Amerikaner sind da. Wir machen zehn Minuten Pause. Essen und trinken Sie, ganz nach Bedarf. Ich berate mich mit dem amerikanischen Kommandeur. Wonkoye, Ende.«

Der Lieutenant deutete nach vorn. Die Bremslichter des führenden Fahrzeugs leuchteten auf, nachdem Wonkoye seinen Befehl gegeben hatte, und der Toyota kam schlingernd auf der Straße zum Stillstand. Die Fahrzeuge hinter Wonkoye bremsten ebenfalls.

»Fahren Sie um ihn herum«, befahl der Lieutenant. »Ich möchte mit den Leuten im Humvee reden.«

»Ja, Sir.«

Gerade als der Sergeant das Lenkrad nach links drehte, um die Straße zu verlassen, explodierte der führende Wagen in einem Feuerball und zerfetztem Stahl. Ein brennender Soldat sprang von der Ladefläche und raste blindlings auf die Baumgrenze im Westen zu.

Bevor Wonkoye das Bild verarbeiten konnte, explodierte die Baumgruppe in einem wahren Sturm von Raketen- und Maschinengewehrfeuer.

Die Hälfte der Fahrzeuge in seinem Konvoi wurden augenblicklich zerschmettert. Schwere 7,62-mm-Geschosse schlugen in Wonkoyes Lastwagen ein. Blut spritzte auf die Heckscheibe, und dann wurden die Schreie seiner Soldaten durch das Adrenalin, das seinen Körper durchflutete, gedämpft.

Der Sergeant riss das Lenkrad ruckartig nach rechts und steuerte auf die gegenüberliegende Baumreihe zu, während Wonkoye Befehle in sein Funkgerät brüllte.

»Nach Osten zu den Bäumen. Zu den Bäumen!«

Doch es war zu spät. Weitere auf Humvees montierte Panzerabwehrraketen – die in der westlichen Baumreihe versteckt waren – hatten bereits neun der elf Pick-ups in brennende Wracks verwandelt. Die beiden anderen waren von Geschossen durchlöchert und lagen zerschmettert im Sand, ihre Reifen waren ebenso zerfetzt wie das dünne Blech ihrer Türen. Die wenigen Männer, die den ersten Angriff überlebt hatten, wurden niedergestreckt, als sie versuchten, in Deckung zu rennen.

Der Sergeant drückte das Gaspedal bis zum Bodenblech durch. Durch seine Geschicklichkeit konnte er einen Zusammenstoß mit dem brennenden Wrack vor ihnen vermeiden, und der zertrümmerte Lastwagen hinter ihnen blockierte die auf ihr Fahrzeug gerichtete Rakete. Wonkoye drehte sich um und sah das blutige Gesicht eines jungen Gefangenen, das an die Fensterscheibe gepresst war. Seine leblosen Augen schienen ihn des völligen Versagens zu bezichtigen.

Wonkoye beobachtete, wie ein Corporal in blutgetränkter Uniform das schwere 12,7-mm-Kord-Maschinengewehr des Toyotas mit seinem T-förmigen Griff aufstellte und das Feuer eröffnete, gerade als ihr Pick-up in die Baumreihe eintauchte.

Wonkoye stieß die Tür auf und rannte auf die Bäume zu, genau in dem Augenblick, als der blutende Gefreite durch eine gezielte Maschinengewehrsalve von der Pritsche gefegt wurde.

Der Lieutenant warf einen kurzen Blick auf die sechs leblosen Körper, die wie Segeltuchbeutel voller frisch geschlachtetem Fleisch auf der Ladefläche lagen. Er stürmte weiter, Tränen von Scham und Wut liefen ihm über das Gesicht. Sein Sergeant folgte ihm dicht auf den Fersen.

Fünfzig Fuß über den Baumwipfeln wirbelten die ohrenbetäubend lauten Rotorblätter des Black Hawk blendende Wolken aus erstickendem Sand auf. Wonkoye schrie auf, als Maschinengewehrkugeln seine Wirbelsäule zerschmetterten, aber erst das Geschoss, das seinen Schädel explodieren ließ, tötete ihn. Sein Leichnam pflügte sich noch im Laufen in den Sand.

2

An Bord der Oregon Der Golf von Oman

Juan Cabrillo stand auf dem Deck der Oregon und starrte mit klaren blauen Augen auf den fernen Fleck am kobaltblauen Himmel. Er hatte eine Hand erhoben, um sein Gesicht vor dem sengenden Sonnenlicht zu schützen. Das Kipprotor-Wandelflugzeug der Oregon, eine AgustaWestland AW609, hatte ihren dröhnenden Sinkflug begonnen.

Ein böiger Wind hämmerte gegen seine stramme, eins fünfundachtzig große Schwimmer-Figur. Der Windstoß fuhr durch sein kurzes, sonnengebleichtes Haar und sein altes Hawaiihemd aus den Fünfzigerjahren, das wie eine Fahne in einem Sturm knatterte.

»Woher kommt der Wind? Es ist kein Sturm angesagt«, sagte Linda Ross mit ihrer hohen Stimme. Ihre grünen mandelförmigen Augen blieben hinter einer übergroßen Fliegerbrille und einer schwarzen Ballmütze verborgen. Obwohl sie kräftig und schlank war, wurde sie so stark von der Brise gebeutelt, dass sie sich haltsuchend an Juans muskulösem Bizeps festhalten musste.

»Das kam aus dem Nichts«, erwiderte Juan. »Gefällt mir nicht.«

*

Callie Cosimas große athletische Gestalt saß bequem auf dem Copilotensitz des Kipprotors. Ihr schulterlanges honigblondes Haar hatte sie zu einem Pferdeschwanz gebunden, damit die Kopfhörer des Kipprotors besser saßen, und die Oakley-Sonnenbrille schützte ihre Augen vor dem grellen Licht der Sonne. Sie trug ihre natürliche Schönheit mit ungeschminkter und leichter Anmut, während ihr durchtrainierter Körper die gesunde Ausstrahlung einer Frau hatte, die ihr Leben im Freien verbrachte, vor allem auf dem Wasser.

George »Gomez« Adams steuerte die AW609-Kipprotor, die derzeit im Hubschraubermodus konfiguriert war. Die drei Touchscreen-Cockpit-Displays stammten direkt aus einem Videospiel und boten jedem hinter der Doppelsteuerung auf den Pilotensitzen einen vollständigen Überblick über die Situation. Sie waren bereits seit fast zwei Stunden in der Luft.

Gomez hatte Callie am Privatjet-Terminal des Flughafens Dubai World Central abgeholt – einem von mehreren, mit denen die Corporation seit Langem diskrete Vereinbarungen getroffen hatte. Mit seinen stechenden braunen Augen und dem stilisierten Revolverhelden-Schnurrbart wirkte Gomez etwas schelmisch, und tatsächlich wurden die meisten Frauen von seiner charmanten Unverfrorenheit in ihren Bann gezogen.

Callie runzelte die Stirn, als sie durch die seitliche Windschutzscheibe zeigte. Der Golf von Oman war mit Frachtschiffen und Öltankern übersät.

»He, Gomez. Ist das die Oregon?«

Ein blassblauer Frachter mit weißem Heckaufbau ankerte mehrere Hundert Fuß unter ihnen. Sie nahm einen 590-Fuß-Schwergutfrachter mit vier Paar gelber Kräne wahr, die über fünf großen grünen Frachtluken thronten. Im Laufe der Jahre hatte sie Dutzende solcher Schiffe gesehen. Und dies war ganz und gar nicht das, was sie erwartet hatte.

»Ja. Das ist die Oregon.« Trotz des elektronischen Mikrofons war Gomez’ Stimme tief und rauchig.

»Sieht nicht gerade nach viel aus.«

»Genau darum geht es.« Sein charmantes Grinsen blitzte auf, als er den Sinkflug begann.

»Ich frage nur ungern, aber … Wo wollen Sie das Ding denn landen?«, erkundigte sich Callie.

Gomez öffnete den Mund, um zu antworten, als plötzlich der Alarm in ihren Kopfhörern schrillte.

Callies Augen wurden groß und rund. Ihr Blutdruck schoss ihr in den Schädel, während ihr der Magen in die Stiefel rutschte.

Sie stürzten aus dem Himmel.

»Scherwinde«, flüsterte Gomez ruhig in sein Mikrofon, während er die Drosselklappen betätigte, die Fußpedale für den Heckrotor bediente und mit Steuerknüppel und Kollektivhebel massiven Auftrieb erzeugte, ohne das Flugzeug zu überziehen und dennoch die Kontrolle zu behalten. Die Zwillingsturbinen von Pratt & Whitney kreischten auf, als die Zeiger der Drehzahlmesser in den roten Bereich zitterten.

Der plötzliche Energieschub drückte Callie in ihren Sitz, als die Nase der AW in den Himmel stieg. Wolkenfetzen zogen über die Frontscheibe.

Das Flugzeug schaukelte und ruckelte in den Turbulenzen, aber Gomez kam nicht ins Schwitzen. Seine geschickte Handhabung der Kontrollen erfolgte erstaunlich schnell.

Der Scherwind-Alarm verstummte abrupt, als sich der Kipprotor stabilisierte. Gomez lenkte den großen Vogel in den Landeanflug zurück. Callie richtete sich auf ihrem Sitz auf und war ein wenig grün um die Kiemen.

»Geht es Ihnen gut, Miss?«

»Ich bin schon in schlimmeren Situationen gewesen. Nur nicht in der Luft.«

Gomez lächelte. Das war wohl richtig, nach allem, was er über sie gehört hatte.

*

Die drei kleinen Räder des Kipprotors berührten die getarnte Frachtraumluke, die als Hubschrauberlandeplatz auf der Oregon diente, und der Helikopter landete so sanft wie eine Feder auf einer Samtdecke. Die heulenden Turboprops fuhren herunter, während sich schon zwei Flugzeugtechniker – »Hangar-Affen« im Oregon-Jargon – beeilten, das Fahrzeug zu sichern, bevor es mit dem Hangarlift unter Deck transportiert wurde.

Juan öffnete die Kabinentür, und Callie stieg mit einem großen wasserdichten Seesack in der Hand aus. Die beiden waren sich zuvor noch nie begegnet, fühlten sich aber sofort zueinander hingezogen, wie Zwillinge, die bei der Geburt getrennt worden waren.

Und vielleicht noch etwas mehr.

Cabrillo bemerkte die kupferfarbene Bräune ihrer Haut, typisch für eine hawaiianische Surferin, die sie war – jedenfalls in ihrer Freizeit. Cabrillo hatte die gleiche Bräune gehabt, als er vor Jahren an den Stränden von Orange County, Kalifornien, gesurft war. Heute war er immer noch viel in der Sonne, aber nicht mehr, um zu surfen.

Er streckte die Hand aus. »Willkommen an Bord. Juan Cabrillo.«

Callie nahm sie. »Callie Cosima.«

Juan spürte, wie sich Hitze zwischen ihnen aufbaute – und das lag nicht an dem warmen Wetter.

»Wie ich sehen konnte, haben Sie da oben ein bisschen Aufregung gehabt«, sagte Juan. »Was für ein Ritt.«

»Wir sind in einen Scherwind geraten – oder vielmehr, er hat uns erwischt. Übrigens, Ihr Pilot ist wirklich erstaunlich.«

»Gomez ist ein hochdekorierter Kampfflieger. Bevor er zu uns kam, flog er AH-6M Little Birds bei den Night Stalkers der U.S. Army, dem 160th Special Operations Aviation Regiment. Er ist der Beste der Besten.«

Verwundert runzelte Callie die Stirn. »Ich weiß, dass er Gomez heißt, aber auf seinem Fliegeroverall steht ›Adams‹.«

»Gomez ist nur sein Spitzname«, erklärte Juan. »Er hat eine gewisse Wirkung auf die Damenwelt. Und eine der vielen Damen, die seinem Charme nicht widerstehen konnten, war die Kurtisane eines peruanischen Drogenbarons, die Morticia aus der Addams Family – dieser Fernsehserie – sehr ähnlich sah …«

»Und Gomez Addams war ihr Ehemann.« Callie grinste. »Verstehe. Besser als ›Lurch‹ genannt zu werden.«

»Das stimmt wohl.« Juan deutete auf Linda. »Das ist Linda Ross, meine Vizepräsidentin der operativen Abteilung und Dritte Kommandantin der Oregon.«

»Es ist mir eine Ehre, Sie endlich kennenzulernen«, sagte Linda, und sofort schüttelten sie und Callie sich die Hände.

Callie bemerkte Lindas auffallend helle Mähne, die unter ihrer Mütze hervorlugte. »Ich mag Ihre neonfarbenen Haare.«

Linda nahm ihre Sonnenbrille ab und entblößte eine Reihe von Sommersprossen auf ihrer zierlichen Nase.

»Das ist irgendwie verrückt, ich weiß. Ich wechsle meine Haarfarbe so oft wie meine Socken. Ich kann mir das einfach nicht abgewöhnen.«

»Linda war Mitarbeiterin im Pentagon und Agentin des Marine-Nachrichtendienstes, bevor sie zu mir kam«, verriet Juan. »Und ich glaube, jetzt versucht sie, all die Navy-Vorschriften, die sie früher einhalten musste, einfach wegzufärben.«

»Vielen Dank, Dr. Freud«, gab Linda zurück und setzte ihre Pilotenbrille wieder auf.

»Vielleicht kann ich mir ja ein Fläschchen Haarfarbe ausleihen«, sagte Callie. »Ich habe gehört, Sie steuern auch U-Boote?«

»Das ist das Beste auf dem Kahn – außer dem Chairman.« Linda nickte Juan zu. Dann erhaschte sie den Blick eines Hangar-Affen, eines massigen Rotschopfs in blauer Uniform. Er joggte gerade vor ihnen entlang.

»Ma’am?«

Linda zeigte auf Callies riesigen Seesack.

»Bitte bringen Sie Ms. Cosimas Gepäck in ihre Gästesuite. Sie hat die Nummer 311, zwei Türen hinter meiner.«

»Das ist nicht nötig«, protestierte Callie. »Er ist ziemlich schwer. Vor allem wegen der Ausrüstung.«

»Mit Vergnügen, Ma’am.« Der Deckarbeiter schnappte sich die schwere Tasche, als wäre sie mit Zuckerwatte gefüllt, und machte auf dem Absatz kehrt.

Während sie sich noch bedankte, war er schon auf dem Weg zu den Aufbauten.

Callie drehte sich zu Juan um und warf ihm einen neugierigen Blick zu. »Warum nennt man Sie eigentlich ›Chairman‹?«

Die großen Hydraulikmotoren des Lifts heulten auf, als der Kipprotor unter Deck verschwand.

»Wir führen die Oregon und ihre Operationen wie ein Wall-Street-Unternehmen, nicht wie eine militärische Organisation. In der Tat heißt unsere Firma auch ›The Corporation‹.«

»Dann brauchen Sie dringend eine bessere Marketingabteilung.«

»Dem würde ich gar nicht widersprechen«, erwiderte Juan und lächelte, »denn ich bin selbst die Marketingabteilung. Ich bin der Chairman der Corporation, Linda ist Vizepräsidentin, und Max Hanley ist Präsident. Sie werden ihn später kennenlernen.«

»Ich habe schon öfter mit ihm geskypt. Ein superkluger Typ.«

»Er hat geholfen, die Oregon zu bauen«, sagte Juan. »Er ist einer der besten Ingenieure, die ich je kennengelernt habe.«

»Die Oregon ist aber eigentlich Juans Idee gewesen«, warf Linda ein, »und er war auch der ursprüngliche Designer.«

Callie nickte. »Beeindruckend.«

»Das ist ein großes Kompliment von jemandem wie Ihnen«, sagte Cabrillo. »Ich nehme es gern an. Ich wette, Sie können es kaum erwarten, Ihr Baby zu sehen.«

»Natürlich.«

»Dann folgen Sie mir zum Hausmeister.«

3

Japanisches Meer Marinestützpunkt Wonsan Nordkorea

Ein heftiger Regen peitschte die gesamte Region. Dicke Tropfen hämmerten auf den provisorischen Metallunterstand wie Stahlkugeln auf eine steel drum. Der Lärm war ohrenbetäubend.

Hauptmann Song-hyok betrachtete sein kleines Kommando. Wie seine Männer trug auch er blaue, gepixelte Tarnkleidung. Er sah auf seine Uhr. Noch dreißig Sekunden.

Das Wetter war perfekt, um das heutige Rendezvous vor den neugierigen Augen der US-Satelliten zu verbergen. Das Metalldach über der Pier war nur eine zusätzliche Vorsichtsmaßnahme gemäß den Anweisungen des Vendors.

Song-hyok, ein erfahrener Marineoffizier, überprüfte die Szenerie erneut und ging im Geiste eine Checkliste durch. Sämtliches nicht benötigtes Personal war aus der Gegend verbannt worden. Neben ihm standen ein Offizier des Nachrichtendienstes der Marine – ein rangniedrigerer Lieutenant Commander – und sein Adjutant, ein nervöser Lieutenant Junior Grade.

Der pflichtbewusste LKW-Fahrer saß ruhig in seinem Fahrerhaus weiter unten an der Pier, ebenso wie der Fahrer des Gabelstaplers. Beide Fahrzeuge parkten unter tragbaren Planen. Und beide Fahrer waren Angehörige des Reconnaissance General Bureau, RGB, Nordkoreas weit schrecklicherer Version des KGB.

Ein halbes Dutzend vertrauenswürdiger Soldaten stand kerzengerade im strömenden Regen, zitternd und durchnässt bis auf die Knochen. Ein tragbarer Steg lag in der Nähe.

»Da«, sagte der nervöse Lieutenant und deutete aufgeregt auf das aufgewühlte Wasser.

Song-hyok blickte auf seine Uhr. Auf die Sekunde pünktlich. Wenige Augenblicke später durchbrach das U-Boot sanft die verregnete Oberfläche des dunklen Wassers. Seltsamerweise verfügte es über keinen Turm. Durch das Fehlen eines Aufbaus wirkte es eher wie ein riesiger Torpedo als wie ein U-Boot.

Der Geheimdienstoffizier zog eine kleine Sony-Digitalkamera aus seiner Tasche und machte Fotos von der Hülle, die wie der Rumpf eines Tarnkappenflugzeugs geformt war.

Song-hyok war Offizier der Überwasser-Kriegsführung und kein Experte für U-Boote. Aber seiner Einschätzung nach musste die Außenhaut des Fahrzeugs aus etwas anderem als Stahl bestehen, möglicherweise aus Kohlefaser. Außerdem schien sie in eine Art schallabsorbierendes Material gehüllt zu sein. Wenn es von einem luftunabhängigen Brennstoffzellensystem angetrieben wurde, war es nahezu unmöglich aufzuspüren.

Und dass es vollständig automatisiert und KI-gesteuert war, machte diese Maschine noch sonderbarer und erschreckender.

Song-hyok und der leitende Geheimdienstoffizier wechselten einen Blick. Beide hatten in den letzten zwei Stunden Kontakt mit der Küstenwache gehalten. Sonar-, Radar- und Unterwasserortungsgeräte waren in voller Alarmbereitschaft, und dennoch hatte das U-Boot keinerlei Alarm ausgelöst.

Unglaublich.

Die beiden Männer hatten denselben Gedanken. Ein unauffindbares Drohnen-U-Boot war genauso viel wert – wenn nicht sogar noch mehr – als die kostbare Fracht, die es an Bord hatte. Aber ihre Anweisungen waren unmissverständlich. Betreten Sie das U-Boot erst, wenn Sie dazu aufgefordert werden, und versuchen Sie unter keinen Umständen, das U-Boot zu entern.

Sobald das Deck des Schiffes aufgetaucht war, hörte das Blubbern der Ballasttanks auf, und eine rote LED-Warnleuchte begann, an Deck zu blinken. Das U-Boot war genau neben den großen Gummifendern aufgetaucht, die die Pier schützten. Die automatischen Navigationssensoren des U-Boots mussten bis auf den Millimeter genau gearbeitet haben. Song-hyok schüttelte in stummem Staunen den Kopf.

Das Boot lag regungslos im Wasser, nur die rote LED blinkte. Mechanische Geräusche summten und klirrten unter den Decks. Etliche Minuten verstrichen.

»Was machen wir jetzt?«, wollte der junge Lieutenant wissen. Er musste den Lärm überschreien, den der Regen auf dem Blech über ihren Köpfen veranstaltete.

»Wir warten«, sagte sein Kommandant.

»Woher wissen wir, dass es sich nicht um ein feindliches Schiff handelt? Oder einen Sprengkörper? Es sieht wie ein Torpedo aus.«

Das ausdruckslose Gesicht des Geheimdienstoffiziers versetzte seinen jungen Untergebenen in Panik. Der Lieutenant hatte sich in eine schwierige Lage gebracht. Es gab kein Zurück mehr, ohne sein Gesicht zu verlieren. Die heutige Mission war von historischer Bedeutung, und der junge Offizier war fest entschlossen, sich der Situation gewachsen zu zeigen.

»Sir, vielleicht hat es eine Fehlfunktion gegeben. Was, wenn es sinkt? Oder verschwindet, ohne seine Ladung an uns abzuliefern? Wir würden doch wie Narren aussehen, wenn wir hier die ganze Nacht herumstehen.«

Sein Vorgesetzter musterte Song-hyok kurz und wandte sich dann an den Lieutenant. »Was schlagen Sie vor?«

»Eine genauere Untersuchung.«

»Wir sollten den Anweisungen folgen«, entgegnete Song-hyok. In Wirklichkeit war er selbst sehr neugierig auf das fremde Schiff.

Fünf weitere Minuten verstrichen. Dann verstummten die mechanischen Geräusche plötzlich.

Die Mienen der drei Männer wirkten gleichermaßen besorgt.

Die beiden hochrangigen Offiziere flüsterten kurz miteinander.

Der Lieutenant versuchte, Worte zu verstehen. Er nahm ein paar der schrecklichen Ausdrücke wahr, die jeden nordkoreanischen Bürger und Soldaten verfolgten. »Unsere Verantwortung … unser Schicksal … Man wird uns die Schuld geben …« Dieselben Worte waren auch in den fiebrigen Gedanken des Lieutenants erklungen.

Der junge Offizier war nicht überrascht, ja sogar erleichtert, als sich sein Vorgesetzter an ihn wandte. »Sie haben die Erlaubnis, an Bord zu gehen und das Schiff zu inspizieren. Vielleicht liegt tatsächlich eine Störung vor. Aber Sie müssen äußerste Vorsicht walten lassen.«

»Verstanden.«

Der eifrige junge Lieutenant salutierte und rannte zur Pier. Mühelos sprang er auf das Deck, und seine Stiefel landeten fast lautlos auf dem schallschluckenden Material. Mit der Taschenlampe begann er, das Deck abzusuchen.

»Was sehen Sie?«, rief der Nachrichtenoffizier.

»Nichts, Sir.« Die Augen des Lieutenants glitten über die nahtlose Oberfläche, als wäre er ein hartnäckiger Terrier, der nach einer Fuchswitterung schnüffelte. Plötzlich kniete er sich hin. Das rote LED-Blinklicht beleuchtete sein glattes junges Gesicht.

»Eine Luke!«

»Nicht anfassen!«, rief Song-hyok. Zu spät.

Der Lieutenant schob die Finger unter einen kleinen Riegel. Ein Auslöser wurde aktiviert.

Augenblicklich floss ein elektrischer Strom durch seinen Körper und löste einen heftigen Starrkrampf aller Muskeln aus – einschließlich seines Herzen. Drei Sekunden später brach er zusammengekrampft auf dem Deck zusammen.

Tot.

Die Soldaten, die das Spektakel beobachteten, rührten sich nicht. Und selbst, wenn einer von ihnen entsetzt aufgestöhnt hätte, hätte ihn der Lärm des sintflutartigen Regens übertönt.

Die rot blinkende LED-Lampe des U-Boots wurde grün. Heulende Elektromotoren öffneten zwei große Luken im vorderen Teil des Boots. Unmittelbar nach dem Öffnen wurden drei siebenundzwanzig Fuß lange Torpedos auf einem horizontalen Gestell in ihr Blickfeld gehoben.

Song-hyoks Herz hämmerte bei diesem Anblick. Seine Karriere hing an diesem Torpedoständer. Er hatte sein Leben – und das seiner Familie – auf den Erfolg dieser Mission gesetzt, und das alles auf der Grundlage seiner Beziehung zu dem Vendor, einem Mann, den er nie persönlich getroffen hatte.

Doch dieses Risiko lohnte sich sowohl für sein Land als auch für seine Karriere. Der neue Kalte Krieg war bereits in vollem Gange, und die Meere um Asien würden bald kochen, da die Großmächte immer mehr Seestreitkräfte in die Region entsandten.

In den letzten Monaten hatten die Russen ihre Exporte von Langstreckenraketen nach Nordkorea erhöht, in der Hoffnung, die Amerikaner von den Ereignissen in Europa und anderswo abzulenken. Ihre russischen Kameraden wollten jedoch die taktischen Marinewaffen, die die nordkoreanische Marine zu ihrem Schutz benötigte, nicht an sie verkaufen. Schon gar nicht den Shkval, ihren viel gepriesenen Unterwassertorpedo, der Geschwindigkeiten von mehr als zweihundert Meilen pro Stunde erreichen konnte. Er war in den Siebzigerjahren entwickelt und im Laufe der Jahre weiter verbessert worden, und keine Marine der Welt war in der Lage, eine ähnliche Leistung vorzuweisen.

Doch der Vendor hatte versprochen, etwas noch Besseres zu liefern – seine eigene, fortschrittlichere Kopie des Khishchnik. Angeblich befand sich der russische Khishchnik-Torpedo – eigentlich eine Unterwasserrakete, die sich in ihrer eigenen, selbst erzeugten Vakuumblase bewegte – erst in der Entwicklungsphase. Er sollte zehnmal so schnell wie der Shkval und im Gegensatz zu seinem Vorgänger äußerst manövrierfähig sein, selbst gesteuert und mit einem Zielsuchersystem der nächsten Generation ausgestattet. Verglichen mit den Seestreitkräften der Großmächte würde der Besitz dieser Wunderwaffe Nordkorea unvergleichliche Vorteile verschaffen, so als führe man mit einem V12-Lamborghini Revuelto in Le Mans gegen eine Flotte rostiger Jugos.

Captain Song-hyok bellte einen Befehl. Die Soldaten zögerten, weil sie Angst vor dem geheimnisvollen, aber tödlichen Boot hatten. Aber sie alle wussten, dass ein nordkoreanisches Erschießungskommando noch gefährlicher sein konnte, vor allem wenn es mit Flammenwerfern ausgestattet war.

Sie schnappten sich den Steg, hoben ihn gemeinsam an und setzten ihn ein. Der Fahrer des Gabelstaplers brachte sein Fahrzeug dem Torpedogestell gegenüber in Position. Er manövrierte die langen Gabeln waagerecht in die richtige Position, während die Soldaten die erste Schlinge über dem oberen Torpedo befestigten.

In den nächsten zwanzig Minuten wurden alle drei Spezialtorpedos auf den wartenden Transportwagen verladen. Sobald der letzte Torpedo von dem Gestell gehoben war, wurde es in den Rumpf des U-Boots zurückgefahren. Die grüne LED-Lampe blinkte nun gelb im Regenguss.

Song-hyok gab einen weiteren Befehl, während er beobachtete, wie das leere Torpedogestell unter Deck verschwand und die automatischen Luken wieder fest verschlossen wurden. Die Soldaten holten den verkrampften Leichnam des toten Lieutenants vom Deck und schleppten ihn hastig über den Laufsteg. Sie legten die Leiche vorsichtig unter dem Metallschutzdach ab, in respektvollem Abstand zu den beiden finster dreinblickenden Offizieren. Dann eilten sie zurück, um den Landungssteg zu bergen, nur Sekunden bevor das gelbe Licht des U-Boots erlosch und das U-Boot wieder unter das aufgewühlte Wasser glitt.

Song-hyok starrte auf den Leichnam des allzu eifrigen jungen Offiziers. Es war ein unglücklicher Vorfall gewesen. Zum Glück war der Mann dem Lieutenant-Commander unterstellt. Zweifellos würde er einen geeigneten Weg finden, seine eigene Verantwortung für den Tod des Jungen zu vertuschen.

»Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem erfolgreichen Einsatz, Captain«, sagte der Geheimdienstoffizier. »Mit diesen neuen Torpedos unter unserer Kontrolle kann unser geliebtes Vaterland seine rechtmäßige Vorherrschaft auf See behaupten.«

»Sobald mein technisches Büro den Bereitschaftsstatus bestätigt, starten wir unseren ersten Praxistest.«

»Mein Büro wird Ihre Fortschritte mit großer Spannung verfolgen.« Das Lächeln des Nachrichtenoffiziers wurde von seinem drohenden Blick Lügen gestraft.

Song-hyok nickte zu dem Lieutenant, der in Fötusstellung auf der Pier lag.

»Ah ja. Tragisch, nicht wahr?«, sagte der gerissene Geheimdienstler. »Noch so ein feiger Selbstmord, wie er bei unserer undisziplinierten Jugend heutzutage so häufig vorkommt. Ich kann mir vorstellen, dass sein heimlicher Zugang zu TikTok eine Geisteskrankheit ausgelöst hat. Meinen Sie nicht auch?«

Song-hyok knurrte etwas Unverbindliches, drehte sich auf dem Absatz herum und marschierte in Richtung des wartenden Lastwagens davon.

Wenn alles nach Plan lief, würde sich die Welt, wie er sie in den letzten fünf Jahrzehnten gekannt hatte, bald für immer verändern.

4

An Bord der Oregon

»Was wollen wir denn in einer Besenkammer?«, fragte Callie, die immer noch ihre Oakleys trug.

Juan, Linda und sie standen in dem kleinen, beengten Raum. Auf den Regalen stapelten sich Reinigungsmittel, und in einer Ecke stand ein Mopp-Eimer auf Rollen. Neben einem abgenutzten Waschbecken hing ein Whiteboard.

Die drei waren über das heiße Stahldeck zum Heck gegangen, hatten die Aufbauten betreten, waren dann einem mit Linoleum gefliesten Korridor gefolgt und hatten eine bescheidene Kantine mit Picknickbänken aus rostfreiem Stahl, einem Servierfenster und einer Korkwand passiert. Darauf drängten sich »Zu verkaufen«-Artikel, getippte Notizen und Vorschriften der US-Küstenwache.

Schließlich erreichten sie das hintere Ende der Messe, wo sich die Hausmeisterkabine befand, in der sie nun standen.

Juan erklärte ihr, dass alle Geräte über den Decks voll funktionsfähig waren und die Oregon tatsächlich ein zugelassener und einsatzfähiger Stückgutfrachter wäre.

»Aber was wir wirklich tun, befindet sich auf der anderen Seite dieser Tür – und unter Deck.«

»Mir ist ehrlich gesagt nicht ganz klar, was Sie hier eigentlich machen«, räumte Callie ein. »Mr. Hanley war diesbezüglich ein bisschen vage.«

»Laut unserem Studium Ihrer Akte haben Sie sich mehrere frühere Regierungsaufträge gesichert, die eine streng geheime Freigabe erfordern«, sagte Juan. »Darunter zwei mit dem WARCOM der Marine.«

»Sie spionieren mir nach, Mr. Cabrillo?«

»Nicht so oft wie Facebook, Alexa oder Instagram. Und wenigstens versuche ich nicht, Ihnen Bio-Zahnpasta oder Aluminiumverkleidungen anzudrehen.«

»Juan will damit sagen, dass wir Ihre Diskretion sehr zu schätzen wissen«, sprang Linda ein. Ihre Mandelaugen verengten sich. »Genau genommen ist sie sogar eine Frage der nationalen Sicherheit.«

Callie nickte. »Verstehe.«

Juan legte seine kräftige Hand auf das Whiteboard und aktivierte damit einen Handabdruckscanner. Ein elektronisches Schloss klickte hörbar, und die Rückwand der Hausmeisterkabine schwang auf.

Juan deutete auf den mit Plüschteppich ausgelegten Korridor, der sich dahinter erstreckte.

»Willkommen in unserem eigenen privaten Kaninchenbau.«

*

Während sie durch den Korridor marschierten, wies Juan auf einige seiner Lieblings-Meisterwerke an den Wänden hin, eine von mehreren Kunstausstellungen auf dem Schiff. Die drei Personen drängten sich dann in einen kleinen Aufzug, und Juan drückte auf den Knopf für die unterste Ebene.

»Ich hoffe, Sie haben keine Platzangst«, sagte Linda in dem engen Raum.

»In meinem Beruf kann ich mir das nicht leisten«, sagte Callie. »Andererseits mag ich große Fenster.« Schließlich nahm sie ihre Sonnenbrille ab und steckte sie ein.

Der Aufzug fuhr weiter hinab in den Bauch der stählernen Bestie.

»Ich hatte angenommen, Sie wären eine Art Forschungsschiff der Regierung«, fuhr Callie fort. »Aber jetzt vermute ich eher, dass Sie zu einem der nationalen Geheimdienste oder einer Sicherheitsbehörde gehören.«

»Nicht ganz«, sagte Linda. »Wir sind unabhängige Auftragnehmer. Die meiste Zeit erledigen wir Aufgaben für die Bundesregierung, die sie nicht selbst erledigen kann oder will.«

»Mit ›unabhängige Auftragnehmer‹ meinen Sie … Söldner«, stellte Callie fest und musterte Juan von oben bis unten. »Wo haben Sie all Ihre Tattoos versteckt?«

»Wir sind keine Auftragskiller«, erwiderte Juan. »Am häufigsten sammeln wir einfach nur Informationen. Und was die Tattoos angeht, Werbung machen wir eigentlich nicht so gern.«

»Nicht alle unsere Jobs – Aufträge – kommen von der Regierung, aber wir tun nichts, was den Interessen der Bürger der Vereinigten Staaten schaden könnte«, sagte Linda. »Unsere Crew besteht fast ausschließlich aus ehemaligen Veteranen oder, wie im Fall von Juan, aus ehemaligen Geheimdienstmitarbeitern. Wir sind so amerikanisch wie Apfelkuchen und Chevrolet.«

»Wohl eher wie Proteinriegel und Smith & Wesson«, warf Juan ein.

Schließlich klingelte der Aufzug. Sie hatten die unterste Ebene des Schiffes erreicht. Die polierte Messingtür glitt auf.

Callie schnupperte, als sie Juan aus dem Aufzug folgte. Es roch nach Salzwasser und kaltem Stahl.

Juan zeigte auf die große Luke unmittelbar über der Wasserlinie. Daneben befand sich eine steile Rampe.

»Wir lassen unsere Zodiacs, Jetskis und RHIBs durch diese Tür zu Wasser. Die Rampe ist mit Teflon beschichtet, damit sie weniger Widerstand bietet.«

»Klingt, als betrieben Sie den größten Partykahn der Welt«, meinte Callie. »Ein paar Wakeboards und einige Früchtedrinks, und Sie wären startklar.«

Linda lachte. »Sie werden sich bestimmt sehr gut in diese Mannschaft von Piraten einfügen.«

Dumpfe Schüsse aus großkalibrigen Pistolen dröhnten in der Ferne.

»Der Schießstand«, sagte Linda. »Direkt gegenüber von unserer Waffenkammer.«

Juan machte eine ausladende Geste. »Auf den unteren Decks haben wir erstklassige Maschinenwerkstätten, einen voll funktionsfähigen Flugzeugwartungshangar, Waffenlager, zusätzliche Mannschaftsunterkünfte und natürlich unseren Maschinenraum.«

»Ich rieche keinen Treibstoffbunker«, sagte Callie. »Wo bewahren Sie Ihren Brennstoff auf?«

»Wir haben gar keinen«, antwortete Juan.

»Und wie treiben Sie das Schiff dann an?«

Linda grinste. »Mit Seewasser.«

»Wie bitte?«

»Wir setzen einen magnetohydrodynamischen Antrieb ein«, erklärte Juan. »Flüssiges Helium kühlt das Meerwasser kryogenisch ab, und starke Magnete ziehen die freien Elektronen ab. Solange wir auf See sind, geht uns der Treibstoff nie aus.«

»Ich dachte, diese Technologie sei noch in der Entwicklung«, sagte Callie.

»Offiziell ist das auch so. Wir benutzen sie nur rein … zufällig.«

»Wie schnell fährt das Schiff?«

»Über sechzig Knoten.«

»Das ist unmöglich! Dieses Schiff muss mindestens elftausend Tonnen wiegen.«

»Ich würde sagen eher dreizehntausend Tonnen.«

»Welche Art Schiffsschrauben verwenden Sie?«

»Gar keine. Vier massive Pump-Jets werden durch zwei Venturi-Düsen mit dreihundertsechzig Grad Drehradius geleitet.«

Callie lachte. »Das größte Partyboot der Welt ist also auch der größte Jetski der Welt.«

»Wir können auf einer Zehn-Cent-Münze wenden – aber wenn wir das tun, sollten Sie Ihre Hose festhalten«, meinte Linda.

»Ich würde gern einmal das ganze Schiff besichtigen«, gab Callie zu.

»Sobald wir mit Ihren Praxistests fertig sind, bekommen Sie eine Tour«, sagte Juan. »Apropos … jetzt sind wir da.« Er deutete auf die riesige Fläche vor ihnen.

»Willkommen im Moon Pool.«

*

Callie bestaunte den riesigen, von Scheinwerfern beleuchteten Raum. Sie standen in der Mitte des tiefsten Teils des Schiffes. Der brackige Geruch von Salzwasser und Metall schwängerte die Luft.

Deckarbeiter hatten die Stahlgitter über die beiden massiven Kielluken gezogen. Der Boden des Schiffes, zumindest in diesem Teil des Kiels, war nun zum Meer hin geöffnet. Und weil dieser Teil des offenen Rumpfes auf Meereshöhe lag, sank die Oregon auch nicht.

Unterwasserscheinwerfer beleuchteten das dunkle Wasser unter ihnen. Außerhalb der Reichweite dieser starken Strahlen lagen die Tiefen des Golfs von Oman, der fast zwölftausend Fuß in die abgrundtiefe Dunkelheit abfiel.

Callie warf einen Blick nach oben. An den Kränen auf der anderen Seite des Raums hingen die beiden Mini-U-Boote der Oregon.

»Das, was wie aus The Jetsons aussieht, ist die Gator«, sagte Linda. »Sie ist mein Baby.« Sie deutete auf das glatte, flache Deck der Gator und die Pilotenkuppel mit ihren schmalen, schrägen Fenstern, die im Stealth-Modus kaum die Oberfläche durchbrachen. »Sie erreicht eine maximale Tiefe von hundert Fuß, aber sie hat tausend Pferdchen unter der Haube. Sie kann zehn voll ausgerüstete Agenten befördern und erreicht an der Oberfläche immer noch eine Geschwindigkeit von über fünfzig Knoten.«

»Ein Tarnkappen-Einsatzfahrzeug«, meinte Callie. »Schickes Design.«

Linda zeigte auf das U-Boot an dem anderen Kran, es war lang und weiß, wie eine bayrische Weißwurst. Sein fünfundsechzig Fuß langer Rumpf war mit Ballasttanks, Batteriepaketen und Schubdüsen ausgestattet, die fast willkürlich angeordnet zu sein schienen. An seinem stumpfnasigen Bug befanden sich drei Aussichtskuppeln, leistungsstarke Xenon-Lampen und ein Paar beweglicher mechanischer Arme.

»Das größere U-Boot ist die Nomad. Sie kann bis zu tausend Fuß tief tauchen und ist in der Lage, eine zweiköpfige Besatzung und acht Taucher in voller Ausrüstung zu befördern – und noch mehr, wenn wir die Stauschränke herausnehmen. Sie hat eine Luftschleuse für den Ausstieg und eine Dekompressionskammer an Bord.«

Callie zeigte auf eine dritte Wiege. Sie lag im Schatten. »Und das da ist mein Geisterfisch.«

Juan schlug mit der flachen Hand auf einen Lichtschalter an einem Stützbalken in der Nähe. Ein Paar Scheinwerfer beleuchtete das Mini-U-Boot. Callies Lächeln strahlte wie eine Coleman-Laterne.

Der Spook Fish 5000 hatte ein bauchiges, optisch perfektes Acryl-Cockpit, das wie ein Fischglas auf einem Paar blauer Pontons thronte.

Es bot Platz für einen Piloten und zwei Passagiere und verfügte über einen einfachen mechanischen Arm, den der Pilot bedienen konnte.

Das Besondere an dieser Einheit war jedoch die große versiegelte gelbe Kapsel, die unter dem Rumpf des Tauchfahrzeugs angebracht war. Sie war Callies eigener Moon Pool, ihr Tiefsee-Ausstieg, und der Grund für Cabrillos Begeisterung für ihr Projekt. Ihr Potenzial könnte sich als ein echter Wendepunkt für künftige Operationen der Oregon erweisen.

»Haben Sie sie nach einem echten Fisch benannt?«, wollte Linda wissen.

»Ja, der Spook Fish ist besser bekannt als Barreleye. Es sind wahre Wunderwerke der Natur. Sie leben in tiefen Gewässern, in bis zu dreitausend Fuß.«

Callie gestikulierte mit Händen und Fingern, um ihre Beschreibung zu veranschaulichen. »Die obere Hälfte ihres Schädels ist transparent, wie das Cockpitglas einer F-35 Lightning. Ihre Augen befinden sich in der Mitte des Schädels und zeigen zur Oberfläche, obwohl sie sich bei Bedarf nach vorn bewegen können. Ich habe den Namen vor allem deshalb gewählt, weil mein U-Boot diesem Fisch tatsächlich irgendwie ähnelt.«

Die brillante junge Ingenieurin wandte sich wieder an Juan.

»Ihre gesamte Operation ist wirklich ziemlich beeindruckend, Mr. Cabrillo. In Anbetracht der begrenzten Tiefe Ihrer beiden Tauchboote kann ich verstehen, warum mein Spook Fish eine hervorragende Ergänzung für Ihre Operationen bedeuten würde. Ich könnte sofort mit den Vorbereitungen für den morgigen Demonstrationstauchgang beginnen. Oder hält uns irgendetwas davon ab?«

»Ein wirklich fantastisches Mittagessen«, sagte Juan. »Speisen wir erst und gehen dann an die Arbeit. Abgemacht?«

Callie lächelte. »Gut. Ehrlich gesagt, ich bin auch hungrig.«

5

Juan, Linda und Callie fuhren mit dem Aufzug in den Speisesaal hoch. Linda verzichtete auf den Lunch. Sie hatte eine Verabredung im biophysikalischen Labor des Schiffes, wo sie die Aufrüstung einiger Geräte besprechen wollte. Sie versprach, die beiden nach dem Mittagessen wieder am Moon Pool zu treffen. Die Überwachung solch banaler Details war der am wenigsten glamouröse Aspekt ihres Jobs, aber von entscheidender Bedeutung für das reibungslose Funktionieren an Bord der Oregon.

Juan führte Callie in den Speisesaal. Ein leises Keuchen konnte sie sich nicht verkneifen.

»Das ist … erstaunlich.«

Wie alles andere auf der Oregon – bis auf die Unterkünfte der Besatzung – hatte Juan auch den Speisesaal bis ins kleinste Detail geplant.

Die prächtige Messe hatte er nach dem Vorbild eines klassischen englischen Gentlemen-Clubs gestaltet. Der Saal war mit dunklem Walnussholz getäfelt, die Armaturen bestanden aus glänzendem Messing, und er hatte eine Kassettendecke. An der hinteren Wand standen Chesterfield-Sofas und Clubsessel in der Nähe der raumhohen Bücherregale mit einer Reihe von Erstausgaben der Seefahrtsklassiker von Herman Melville und C. S. Forester.

»Wir können am Tisch bestellen oder uns einfach etwas von der Essensausgabe holen«, bot Juan an. »Die haben immer ein paar gute Angebote, damit es schneller geht.«

»Letzteres genügt mir.«

Juan und Callie machten sich auf den Weg zur Essensausgabe. Dort schnappten sie sich ein paar Tabletts mit Tellern und Besteck und reihten sich in die Schlange ein, die an das Anstellen in einer Cafeteria erinnerte.