Tomorrow We Will Meet Again - Felicitas Pomsel - E-Book
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Felicitas Pomsel

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Beschreibung

**Ein Weg zurück zu dir** Endlich wieder anfangen zu leben: Jennas Vorsatz für das neue Jahr könnte treffender nicht sein, schließlich hat sich die Studentin seit Monaten vor der Außenwelt versteckt. Doch der ersehnte Neustart kommt schneller als erwartet. Auf einer Silvester-Party steht sie plötzlich Dean Bishop gegenüber, dem Mann, für den sie schon seit Jahren heimlich schwärmt. Unglücklicherweise ist er der ältere Bruder ihrer ehemaligen besten Freundin – und damit eigentlich tabu. Aber noch wichtiger: Dean erkennt sie nicht wieder! Aus einem Impuls heraus nennt sie ihm einen falschen Namen. Nicht ahnend, dass der Mann mit den durchdringend blauen Augen nicht mehr so schnell aus ihrem Leben verschwinden wird. Textauszug: Als die Gäste im Inneren bei »Eins« angekommen sind, greift er in meinen Nacken und zieht mich zu sich heran. Wir sind uns so nahe, dass ich im dämmrigen Licht, das vom Haus zu uns scheint, die kleinen braunen Sprenkel auf seinen Iriden erkennen kann. Zögerlich nähern seine Lippen sich meinen. Er verharrt Millimeter vor meinem Gesicht, sein Atem trifft auf meine empfindliche Haut. Im Haus bricht dröhnendes Gebrüll aus und ich drücke meinen Mund auf seinen. Von Neuanfängen und den ganz großen Gefühlen. Eine Lovestory, die jedes Leserherz zum Schmelzen bringt! //»Tomorrow We Will Meet Again« ist ein in sich abgeschlossener Einzelband.//

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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Die Macht der Gefühle

Impress ist ein Imprint des Carlsen Verlags und publiziert romantische und fantastische Romane für junge Erwachsene.

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Felicitas Pomsel

Tomorrow We Will Meet Again

**Ein Weg zurück zu dir**Endlich wieder anfangen zu leben: Jennas Vorsatz für das neue Jahr könnte treffender nicht sein, schließlich hat sich die Studentin seit Monaten vor der Außenwelt versteckt. Doch der ersehnte Neustart kommt schneller als erwartet. Auf einer Silvester-Party steht sie plötzlich Dean Bishop gegenüber, dem Mann, für den sie schon seit Jahren heimlich schwärmt. Unglücklicherweise ist er der ältere Bruder ihrer ehemaligen besten Freundin – und damit eigentlich tabu. Aber noch wichtiger: Dean erkennt sie nicht wieder! Aus einem Impuls heraus nennt sie ihm einen falschen Namen. Nicht ahnend, dass der Mann mit den durchdringend blauen Augen nicht mehr so schnell aus ihrem Leben verschwinden wird.

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Vita

Playlist

Danksagung

© privat

Felicitas Pomsel lebt mit ihrem Mann und Sohn in Braunschweig. Schon immer spielen ausgedachte Geschichten eine wichtige Rolle in ihrem Leben, egal ob früher mit Spielfiguren, im Urlaub mit einem Notizbuch oder heute auf dem Laptop. Sie liebt es nicht nur durch Bücher in fremde Welten abzutauchen, auch das Reisen in der realen Welt macht ihr großen Spaß. Dort sammelt sie auch die größte Inspiration für ihre Bücher.

Vorbemerkung

Liebe Leserin, lieber Leser,

dieser Roman enthält potenziell triggernde Inhalte. Aus diesem Grund befindet sich hier eine Triggerwarnung. Am Romanende findest du eine Themenübersicht, die Spoiler enthält.

Entscheide bitte für dich selbst, ob du diese Warnung liest. Gehe während des Lesens achtsam mit dir um. Falls du auf Probleme stößt und/oder betroffen bist, bleibe damit nicht allein. Wende dich an deine Familie und an Freunde oder suche dir professionelle Hilfe.

Wir wünschen dir alles Gute und das bestmögliche Erlebnis beim Lesen dieser besonderen Geschichte.

Felicitas und das Impress-Team

Playlist

You’ll Be in My Heart – Phil Collins

It’s Always Been You – Caleb Hearn

We’ll Figure It Out – Smithfield

I Would For You – Lauren Duski

Beauty in the Flaws – Sophia Scott

Rainbow – Kacey Musgraves

Ocean Eyes – Billie Eilish

You Are in Love – Taylor Swift

Kapitel 1

Ob ich heute lieber Henry Cavill in The Witcher oder eine weitere Folge der Dokuserie über Serienmörder ansehen soll?

Meine Hand schwebt über dem Mauspad, während ich versuche, mich zu entscheiden, womit ich den heutigen Abend ausklingen lasse. Und damit nicht nur den Tag, sondern das ganze Jahr. Ich glaube nicht, dass ich schon mal so ein erbärmliches Silvester verbracht habe wie heute. Aber statt mich schlecht zu fühlen, greife ich mir eine Hand frisch gemachtes Popcorn und genieße den salzigen Geschmack auf meiner Zunge. Normalerweise vermeide ich es, im Bett zu essen, aber heute mache ich eine Ausnahme.

Noch bevor ich mich für mein Abendprogramm entschieden habe, hämmert es an meiner Tür.

»Jenna Meghan Fitzgerald, mach auf«, dröhnt die Stimme meines besten Freundes Kaden durch das Holz.

»Hör auf, so dramatisch zu sein. Die Tür ist offen, du Idiot«, gebe ich zurück und klicke spontan auf die Doku, die ich aber direkt pausiere. Entscheidung getroffen: Sobald er geht, werde ich mich mit den Abgründen der menschlichen Psyche beschäftigen. Obwohl ich nach Kadens obligatorischem Besuch meine Tür aus Angst vermutlich doppelt verriegeln werde, wenn ich mich meinen Serienkillern zuwende.

Er tritt in mein Zimmer und schnaubt genervt. »Das ist nicht dein Ernst, oder?« Vorwurfsvoll blickt er auf meine weite Jogginghose, in die meine Beine vermutlich dreimal reinpassen würden, und den großen Hoodie mit dem Logo der University of San Francisco darauf, auf dem, wie ich gerade bemerke, noch einige Krümel liegen.

Ich zucke mit den Schultern und wische mit der Hand über die Popcornreste. »Keine Ahnung, was du meinst. Ist doch ein normaler Donnerstagabend und immerhin zeige ich School Spirit.« Die Aussage unterstreiche ich, indem ich meine zur Faust geballte Hand dreimal in die Luft hebe, so wie es die Typen bei den Footballspielen immer machen. Mir ist klar, dass ich ihn damit reize, was er mir auch prompt bestätigt.

Mit vor der Brust verschränkten Armen schüttelt er den Kopf. »Heute ist Silvester, verdammt. Können wir nicht an diesem einen besonderen Tag zwischen den Jahren mal etwas gemeinsam unternehmen? Ständig hockst du nur zu Hause herum, das muss doch mal aufhören. Wir leben nicht mehr in Jackson, wir sind in San Francisco!«

So wie er es sagt, bekomme ich tatsächlich ein schlechtes Gewissen. Wir wussten immer, dass wir zusammen an die USF gehen wollten.

»Warum gehst du nicht mit Avery?«, gebe ich schließlich zurück und lege mir meine flauschige Decke über die Schultern. Perfekt. Der absolut bequemste und angenehmste Ort auf dieser Welt. Ich sehe keinen Grund, ihn für den Rest der Ferien zu verlassen.

Kaden stöhnt und zwickt sich in die Nasenwurzel. »Natürlich kommt Avery mit. Und du auch!«

Während ich den Kopf schüttle, weiche ich seinem Blick aus.

»Das mit Lucas und Violet ist jetzt wie lange her? Sechs Monate?«

Die Erwähnung der Namen meines Ex-Freundes und meiner ehemaligen besten Freundin lässt bittere Galle in mir aufsteigen.

»Fünf Monate und siebenundzwanzig Tage«, gebe ich patzig zurück, ohne lange darüber nachdenken zu müssen. Schließlich vergisst man den Tag nicht, an dem man von den beiden Personen betrogen wurde, die einen angeblich am meisten lieben. Vor allem nicht, wenn es ein Nationalfeiertag wie der vierte Juli ist.

»Sage ich doch. Ich meine ja nicht, dass du einem der beiden verzeihen sollst, aber du kannst sie doch nicht gewinnen lassen, oder? Seit dem …«, er zögert, »Vorfall …«, fährt er schließlich fort, nachdem er kurz überlegt hat. Verdammt, als würde es das besser machen, dass ich meine beste Freundin seit der Kindheit halb nackt auf meinem Freund erwischt habe! »Seitdem besteht dein Leben woraus genau? Vorlesungen, die du scheiße findest, und einem Haufen Serien. Oder?« Mit hochgezogenen Augenbrauen sieht er mich aus seinen dunklen Augen an. Am liebsten würde ich ihn mit einem Kissen abwerfen und den mitleidigen Ausdruck damit von seinem Gesicht wischen, aber ich weiß genauso gut wie er, dass er recht hat. Außerdem würde er mich vermutlich umbringen, wenn ich seine Haare durcheinanderbrächte, die so perfekt verwuschelt wirken, dass es bestimmt eine halbe Ewigkeit gebraucht hat, sie so hinzubekommen.

»Schön.« Das Wort betone ich überdeutlich. »Und was hast du vor?« Manchmal kann ich meinen besten Freund wirklich nicht ausstehen.

»Wie gut, dass du fragst. Harry, der Chef vom Theater, schmeißt eine Silvesterparty. Es kommen auch einige Leute aus meinem Studiengang. Und es gibt diese kleinen Gebäckstücke aus Frankreich, auf die du so abfährst.« Zwinkernd macht er einen Kreis mit seinem Daumen und dem Zeigefinger, um mir zu verdeutlichen, was er meint.

»Macarons?«, frage ich zurück und spüre, wie sich meine Laune automatisch ein wenig hebt.

Er nickt.

Einen Moment lasse ich ihn noch zappeln, bevor ich schließlich zustimme. Der Kommentar dazu, dass Lucas und Violet nicht gewinnen sollen, hat mich bereits überzeugt. Trotzdem sehe ich noch einmal sehnsüchtig auf meinen Bildschirm.

»Okay, dann brauchst du jetzt noch etwas zum Anziehen.« Langsam öffnet er meinen perfekt sortierten Kleiderschrank und wühlt sich durch meinen Stapel Yogahosen. Sein weißes Hemd spannt leicht über den Muskeln an seinem Rücken. Ich bin immer wieder überrascht, wenn mir auffällt, dass er nur noch wenig mit dem kleinen Jungen von früher gemein hat, der stets in zu großen Klamotten rumgelaufen ist, weil seine Brüder alle einen Kopf größer waren als er und die abgetragenen Sachen, die er von ihnen bekommen hat, einfach nicht auf seinen schmalen Körper passen wollten.

»Hast du auch was anderes?« Er dreht sich mit einer Jogginghose in der Hand um und sieht mich fragend an. Der Haufen, aus dem er sie gezogen hat, droht umzufallen, woraufhin ich aufspringe, um ihn zurück an Ort und Stelle zu schieben. Wenn ich eins nicht abkann, dann, wenn jemand meine Sachen durcheinanderbringt.

»Kaden! Hör auf, so ein Chaos zu veranstalten. Warte.« Mit einem Teil in der Hand, das doch heruntergefallen ist, gehe ich zu der kleinen Kommode, die meine Mitbewohnerin Emily und ich uns teilen. In der untersten Schublade lagere ich zwei Kleider, die in meinem regulären Schrank nur Platz wegnehmen würden. Das rosa Sommerkleid, das ich zur Hochzeit meiner Schwester anhatte, und ein schwarzes, paillettenbesetztes Kleid, das ich mal in einem Vintageladen gekauft habe. Ich halte Letzteres hoch. Das Licht spiegelt sich in den Glitzerscheiben und wirft ein schönes Muster an die Wand. Seitdem ich es gekauft habe, hatte ich keine Chance, es anzuziehen.

Kaden nickt. »Perfekt. Das ist ein Traum! Zieh es an, ich schminke dich und dann geht’s los!« Breit grinsend klatscht er in die Hände.

Mein bester Freund ist wie ein Bruder für mich, weshalb ich mich zum Umziehen nur umdrehe. Wir haben schon vor Jahren festgestellt, dass das Einzige, was zwischen uns funkt, die statische Ladung ist, wenn wir uns auf der Couch in meinem Elternhaus nebeneinander einen Film ansehen.

Schnell schlüpfe ich aus meinem Gammeloutfit und streife mir das Kleid über. Es schmiegt sich um meine Kurven wie eine zweite Haut. Als ich mich anschließend Kaden präsentiere, pfeift er anerkennend durch die Zähne.

»Yes, in dem Kleid bist du der Shit.« Einen Moment betrachtet er mich noch, ehe er mich sanft auf das Bett drückt und sich meine Schminktasche schnappt, die ordentlich gepackt auf der Kommode steht. Als er wieder auf mich zukommt, drehe ich ihm mein Gesicht zu und schließe die Augen. Es klappert ein bisschen und dann spüre ich schon den ersten Pinselstrich auf meiner Haut. Er studiert Kunst und träumt davon, später an einem Theater Maskenbildner zu werden. Ich bin sein liebstes Versuchskaninchen, weshalb ich auch eine ganze Schreibtischschublade voll Schminke besitze. Dabei ist das Einzige, was ich allein auftragen kann, Wimperntusche.

Wie immer genieße ich die sanften Pinselstriche, mit denen er über mein Gesicht fährt. Wenn er arbeitet, ist Kaden ruhig, sodass ich meinen Gedanken nachhängen kann. Das mit Violet und Lucas liegt zwar schon einige Zeit zurück, aber wenn man an einem Tag zwei wichtige Menschen verliert, dann braucht es Zeit, um darüber hinwegzukommen. Leider hat mein bester Freund trotzdem recht. Ich habe mich in letzter Zeit viel zu sehr zurückgezogen. Dabei weiß ich einfach nicht, was ich tun soll. Vor dem Studium waren Kaden, Violet und ich physisch unzertrennlich. Als sie dann nach Seattle gezogen ist, war das zwar nicht mehr so, aber wir haben trotzdem fast täglich miteinander gesprochen oder unseren nächsten Besuch geplant.

Und dann kam Lucas in mein Leben. Wir haben uns auf einer Erstsemesterparty kennengelernt. Er ist die Art Typ, die nie allein ist. Er war ständig auf Partys eingeladen, hat alle möglichen Sportarten gemacht, und ich bin einfach immer mitgegangen. Mein gesamtes Sozialleben, Kaden und Violet einmal außen vor gelassen, beschränkte sich auf Lucas’ Freundeskreis. Und nun hänge ich seit fast sechs Monaten in einer Warteschleife, deren Ende ich noch nicht absehen kann. Als wäre man in einen Zug gestiegen, ohne das Ziel zu kennen, und plötzlich ist man an einem fremden Ort und findet sich nicht zurecht.

Selbst die Entscheidung zu meinem Studienfach hat er beeinflusst. Eigentlich wollte ich die ersten beiden Semester dafür nutzen, so viel wie möglich auszuprobieren. Aber ich habe mich von ihm dazu überreden lassen, mich auf Soziologie festzulegen, weil das so gut zu Jura passt. Das war absolut dumm von mir. Meine Kurse sind schrecklich langweilig und ich wünschte, ich würde die Motivation finden, mich mit dem Angebot der Universität auseinanderzusetzen. Stattdessen folge ich einfach dem Plan, den ich noch mit meinem Ex-Freund gemacht habe. Irgendwann muss damit Schluss sein.

Die Tatsache, wie viel in meinem Leben von ihm abhängig war, lässt mich leise schnauben.

»Alles gut?« Kadens Stimme reißt mich aus meinen Gedanken.

»Ja, alles super«, gebe ich zurück. Denn irgendwann muss es das ja wieder sein. Vielleicht ist das ein guter Vorsatz für das neue Jahr: endlich wieder anfangen zu leben …

Kapitel 2

»Perfekt.« Kaden schnalzt mit der Zunge. Den beleuchteten Handspiegel, den er mir dieses Jahr zu Weihnachten geschenkt hat, in der Hand, steht mein bester Freund vor mir.

Langsam öffne ich die Augen. Mein Blick fällt auf eine Fremde. Ein dicker Lidstrich ziert meine Lider. Darunter funkelt golden schimmernder Lidschatten, der in den inneren Augenwinkeln fast weiß wirkt. Die Übergänge sind makellos. Dazu wirkt meine Nase schmaler als sonst und auch meine Wangenknochen scheinen etwas kantiger zu sein. Unsicher taste ich nach meinem Gesicht, um sicherzugehen, dass auch wirklich ich das bin.

»Halt! Nicht anfassen. Ich muss erst noch das Setting-Spray drüber sprühen.« Er hält meine Hand in der Bewegung auf. »Augen zu«, sagt er noch, bevor ein feuchter Nebel meine Haut trifft. Obwohl ich das Prozedere kenne, erschrecke ich mich und kneife die Lider fest zusammen, was ihm ein genervtes Geräusch entlockt.

»Jenna! Sanfte Bewegungen!«, erinnert er mich und ich entspanne mein Gesicht. »Gut so«, lobt er mich. Dann höre ich, wie er einen Schritt zurück macht. »Ich werde dich nicht fragen, wie es dir gefällt, weil es eine meiner besten Arbeiten ist.«

Vorsichtig öffne ich ein zweites Mal meine Augen. Jeder Pinselstrich sitzt. Unglaublich. Der Pinsel ist für Kaden wie ein Zauberstab. Das intensive Make-up lässt mich völlig anders aussehen, doch gleichzeitig bringt es meine natürlichen Konturen so zum Vorschein, dass ich mich wohlfühle.

Ich nehme ihn fest in den Arm. Das schafft auch nur mein bester Freund. »Danke.«

Grinsend legt er seine Hände auf meine Oberarme und schiebt mich ein Stück zurück. »Deine Haare würde ich offen lassen, aber ein bisschen locken, wie wäre das?«

Statt zu antworten, setze ich mich wieder hin und lasse ihn machen.

»Wie viele Leute kommen heute?«, frage ich, während er meine Haare über den heißen Lockenstab zieht. Sein Gesicht lasse ich dabei nicht aus den Augen.

Er beißt sich auf die Unterlippe. O nein. Das bedeutet nichts Gutes.

»Bevor du reagierst, solltest du wissen, dass es ein großes Haus ist. Er hat es von seinen Großeltern geerbt, die wohl mal richtig reich waren. Auf jeden Fall ist es enorm.«

Stirnrunzelnd sehe ich ihn an. »Das bedeutet?«, hake ich nach. Wenn Kaden anfängt zu plappern, ist das nie ein gutes Zeichen. Ich hätte doch bei der Serienmörder-Doku bleiben sollen. Verdammt.

»Na ja, dass sich auch viele Menschen ganz locker verlaufen, okay?«

»Kaden«, ermahne ich ihn. »Wie viele?«

Seufzend legt Kaden seinen Kopf schief. »Henry meinte, es kommen so an die fünfzig Leute. Aber das fällt kaum auf. Und Avery ist ja mit dabei.« Ein Strahlen breitet sich in seinem Gesicht aus, als er von seiner Freundin spricht.

Ich unterdrücke ein Stöhnen. Schrecklich, diese Verliebten. Dabei wohnen die beiden seit Anfang des Semesters sogar zusammen. Man könnte meinen, dass diese Honeymoon-Phase langsam mal ein Ende findet. Ganz abgesehen davon, dass ich nun das fünfte Rad am Wagen spielen darf.

Am liebsten würde ich mein Gesicht in ein Kissen drücken. Doch damit würde ich Kadens Meisterwerk ruinieren und dafür ist es einfach zu schön.

»Jenna, bitte, du weißt, dass ich dich liebe wie eine Schwester, richtig?«

Erwartungsvoll sieht er mich an und ich nicke. In unserer Kindheit habe ich ihn teilweise mehr gesehen als meine sechs Jahre ältere Schwester.

»Sehr gut. Deswegen ist alles, was ich jetzt sage, auch nur in bester Intention gemeint, okay?«

Seufzend nicke ich erneut. Ich kann mir schon denken, was jetzt kommt.

»Ich vermisse es, mit dir zusammen etwas zu unternehmen. Seit …« Er zögert. »Seit der Sache im Sommer bist du nur noch eine Hülle deiner selbst.«

»Ist es echt so schlimm geworden?«, frage ich mit zusammengezogenen Augenbrauen.

Nun ist es an Kaden zu nicken. »Du verlässt kaum noch dein Zimmer. Du tust nur Dinge, die nötig fürs Überleben oder dein Studium sind. Wie viele Serien hast du im letzten halben Jahr durchgesuchtet?« Er sieht mich an und ich spüre die Wärme, die in meine Wangen steigt.

In Gedanken zähle ich auf: Stranger Things, Cheerleading, The Witcher Staffel 1, Game of Thrones, Full House, Selling Sunset und meine aktuelle Lieblingsserie: Queer Eye.

»So viele sind das gar nicht«, versuche ich zu erklären, aber er hebt schon den Finger.

»Die Dokufilme über Serienkiller zählen auch dazu.«

Zerknirscht füge ich noch fünf Filme hinzu. Okay, vielleicht habe ich es etwas übertrieben. Nachdem mein Herz in gefühlt eine Million Splitter zersprungen ist, konnte ich mir nichts mehr ansehen, das auch nur einen Hauch von Liebe enthalten hat. Deswegen die Serienkiller. Dann bin ich zu Reality Shows gewechselt und inzwischen bei Henry Cavill in The Witcher angekommen. Ein Mädchen kann schließlich träumen, oder? Wenn alle anderen Männer schon scheiße sind, dann darf ich wenigstens den Unerreichbaren anschmachten. Gut, nicht alle sind scheiße. Schließlich steht ein ziemlich großartiges Exemplar direkt vor mir. Aber Kaden ist nun mal mein bester Freund. Und dieser klatscht genau in diesem Moment in die Hände.

»Ich habe eine Idee!« Sein Tonfall ist viel zu enthusiastisch, um mich davon zu überzeugen, dass ich es ebenfalls für eine gute Idee halten werden.

»Okay?«

»Wie wäre es, wenn du dir für das neue Jahr vornimmst, einmal in der Woche etwas zu tun, das außerhalb deiner Komfortzone liegt?«, schlägt er vor. Bevor ich meine Meinung dazu kundgeben kann, hebt er schon einen Finger. »Sei nicht gleich dagegen. Lass es uns ausprobieren, okay?«

»Einmal die Woche?« Meine Stimme klingt schrill.

Er nickt. »Alles andere wäre ja keine Herausforderung für dich. Außerdem würdest du dich sowieso nur davor drücken. Und einmal die Woche dein Bett zu verlassen, ist nicht viel verlangt. Größer ist deine Komfortzone momentan schließlich nicht.«

»Autsch.« Mit der Hand reibe ich mir über die Brust, als wäre die verbale Spitze ein Stich in mein Herz gewesen. Obwohl etwas Wahres dran ist.

Mit einem Schmollmund sehe ich ihn an. »Ich finde die Idee doof.«

»Na gut, dann überlege ich mir das mit dem Auto noch mal.« Schulterzuckend sieht er mich an.

Wie fies. Er weiß genau, dass ich mich auf ihn verlasse. Als ich zehn Jahre alt war, hatte ich einen schweren Autounfall, als ein Fahrzeug bei einer Kreuzung die rote Ampel überfahren hat. Ich lag monatelang im Krankenhaus, musste mehrmals operiert werden und anschließend noch zwei Jahre lang zur Reha, bis ich mich von den Folgen erholt hatte. Und selbst das war ein Wunder in den Augen der Ärzte. Seitdem habe ich panische Angst davor, selbst Auto zu fahren, sodass Kaden angeboten hat, an der Uni meinen persönlichen Chauffeur zu spielen.

Unsere Familien wohnen zwei Stunden entfernt, weshalb ich auf ihn angewiesen bin, wenn ich sie besuchen möchte. Zum Glück kommen sie auch ab und zu nach San Francisco, aber wenn er sein Angebot zurückzöge, würde ich sie kaum noch sehen. Es war schon schlimm genug, als Kadens alter Subaru im ersten Semester kaputt gegangen ist und wir drei Monate lang keinen fahrbaren Untersatz hatten. Zu unserem Glück haben Averys Eltern kurze Zeit später ihr Auto verkauft. Nun fährt Kaden zwar eine schwarze Familienkutsche von Toyota, aber immerhin fährt er. Und nur dadurch bin ich überhaupt mobil.

»Du weißt, dass das Erpressung ist, oder?«

Kaden verzieht das Gesicht, als würde er seine Aussagen bereuen.

Bevor er sie zurücknehmen oder sich rechtfertigen kann, nicke ich seufzend. »Auch wenn das nicht fair war, ich stimme zu.« Dabei wäre so ein einschneidendes Argument gar nicht nötig gewesen, schließlich sehe ich langsam selbst ein, dass ich dringend etwas ändern muss. Ich habe nur den Punkt verpasst, an dem ich das auch umsetze. Aber das werde ich ihm jetzt nicht auf die Nase binden.

»Dann haben wir einen Deal«, stellt er viel zu energiegeladen fest. Er lässt die letzte Locke aus dem heißen Stab fallen und sprüht mich mit Haarspray ein. Dann legt er noch einige Strähnen so, dass sie gut fallen, und präsentiert mir das Ergebnis erneut in dem kleinen Spiegel.

Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Tatsächlich gefällt mir der Look.

Er zieht mich hoch. »Traumhaft«, kommentiert er sein Werk. »Darf ich ein Foto für mein Portfolio machen?« Fast schon flehend sieht er mich an.

»Nur, wenn die Party schon zu dieser komischen Abmachung zählt.«

»Okay«, erwidert er und zückt sein Smartphone, um ein Bild zu schießen. Mit der Hand an meinem Kinn dirigiert er meinen Kopf in die richtige Richtung. Nach jedem leisen Klicken betrachtet er das Foto auf dem Display und bringt mich in eine andere Pose. Dann nickt er zufrieden.

»Hab ich dir schon mal gesagt, wie stolz ich auf dich bin?« Mit dem Arm ziehe ich ihn näher an mich und er grinst.

»Das ein oder andere Mal, aber ich höre es immer gern. Und mach dir wegen der Party keine Sorgen. Sieh mal hier.« Er stellt sich direkt neben mich und zeigt mir die Bilder auf dem Display. Sie sind tatsächlich sehr schön geworden. Dabei mag ich mich auf Fotos sonst gar nicht. »Du siehst großartig aus. Zur Not stellst du dich heute einfach mal als jemand anderes vor, okay? Dann fällt es dir vielleicht leichter, so wie in Jumanji.«

Bei der Erinnerung an den Film mit Dwayne Johnson muss ich lachen. »Ich soll also so tun, als wäre diese Party eine Quest in dem fiktiven Videospiel, in das ich zufällig mit meinen Freunden geraten bin?«

Kaden schmunzelt und ich kann nicht anders, als mich auf den Abend zu freuen. Und vielleicht stimmt es, dass es mir guttun wird, mal jemand anderes zu sein. Zumindest für eine Nacht.

Mein bester Freund stupst mich mit der Hüfte an. »Wir sollten langsam los, Cinderella.« Zwinkernd reicht er mir die Hand.

Bevor wir gehen, schnappe ich mir noch schnell mein Portemonnaie, mein Smartphone und die Schlüssel und packe alles ordentlich in eine kleine Clutch. Dann schlüpfe ich in die einzigen Pumps, die ich besitze. Mit den roten Sohlen peppen sie mein Outfit dezent auf. Wie ein Gentleman bietet mir Kaden seinen Arm an, damit ich mich bei ihm unterhaken kann, und wir verlassen das Wohnheim in Richtung der Parkplätze.

Auf den Gängen ist kaum etwas los, weil die meisten Studenten und Studentinnen noch in den Semesterferien sind. Auch die Stellplätze für die Studierenden sind noch gähnend leer, sodass Kadens alter Subaru direkt in der ersten Reihe auf uns wartet. Da Kaden und ich immer zusammen nach Hause fahren, war ich an seinen Zeitplan gebunden. Und er musste – beziehungsweise durfte – zwischen den Feiertagen ein paar Schichten als Maskenbildner im Square Place übernehmen, dem kleinen Theater, in dem er arbeitet. Er liebt nichts mehr als die Arbeit. Außer vielleicht Avery. Dadurch, dass er aber noch so jung ist und vergleichsweise wenig Erfahrung mitbringt – die vielen Stunden in meinem ehemaligen Kinderzimmer mal ausgenommen –, darf er nur selten tatsächlich etwas machen. Andere Künstler und Künstlerinnen haben schon zu Schulzeiten Praktika bei ortsansässigen Theatern gemacht. In unserer Heimatstadt Jackson gab es diese Möglichkeit nicht. Also ist er meistens nur da, um zuzusehen und zu lernen. Aber momentan gibt es immer mal wieder Tage, an denen die Familienfeiern der anderen Künstler und Künstlerinnen dazwischenkommen.

Ich bin froh, dass mein bester Freund seine Leidenschaft schon so früh entdeckt hat. Und vor allem, dass er dazu steht, auch wenn ich weiß, dass es ihn manchmal noch sehr trifft, dass bei Familienessen die Errungenschaften seiner Brüder im Vordergrund stehen … Verglichen mit einem Tierarzt und einem Immobilienmakler hat ein Make-up-Künstler in den Augen seiner Eltern keinen richtigen Beruf.

Und vielleicht stimmt das auch, denn bei Kaden ist es definitiv eher eine Berufung. Noch nie habe ich jemanden getroffen, der so klare Vorstellungen von seiner Zukunft hat wie er. Früher hing sein ganzes Zimmer voll von Disney-Stars. Sein größter Traum war dabei, selbst einmal für Disney zu arbeiten.

Die Fahrt zu der Party dauert über eine halbe Stunde und das, obwohl wir die Stadtgrenzen nicht verlassen. Der Verkehr in dieser Großstadt ist einfach eine absolute Katastrophe. Dafür fahren wir fast die gesamte Strecke mit Blick auf den Ozean, der dunkel wie ein riesiger Teppich vor der Küste liegt.

Endlich ertönt die Aussage aus dem kleinen Navi, auf die ich gewartet habe. »Ihr Ziel befindet sich auf der rechten Seite.« Obwohl ich inzwischen kein Problem mehr damit habe, in einem Auto mitzufahren, bin ich trotzdem immer froh, wenn die Fahrt vorbei ist.

Das Haus, auf das Kaden zeigt, sieht tatsächlich ziemlich groß aus. Aber auch schon verdammt voll. In dem Moment, in dem wir vorbeifahren, öffnet sich die Tür und ich stöhne auf. Es ist völlig überfüllt. Der Anblick der vielen Leute, die in das Haus strömen, ändert sich auch nicht, als wir das Haus erneut passieren, weil wir für die Parkplatzsuche einmal um den Block gefahren sind. Beim dritten Mal lässt mein bester Freund langsam die Mundwinkel hängen.

»Wir hätten vermutlich die Straßenbahn nehmen sollen«, kommentiere ich unsere Lage.

»Ach wirklich, Miss Obvious«, gibt er pampig zurück und ich muss grinsen. »Dann wären wir aber viel zu spät gekommen.«

Das bezweifle ich, vor allem, weil wir immer noch keinen Parkplatz gefunden haben. Jetzt ist er mindestens so genervt wie ich vorhin. Aber dann setzt doch tatsächlich ein Wagen aus einer Parklücke zurück. Ich kreische aufgeregt und Kaden schaltet den Blinker an. Mit angehaltener Luft sitze ich da, während er das Fahrzeug in die viel zu eng wirkende Lücke manövriert. Erst als er den Zündschlüssel umdreht und der Motor ausgeht, traue ich mich auszuatmen.

Um auszusteigen, müssen wir uns beide durch die Fahrertür quetschen, aber immerhin sind wir nach wenigen Schritten vor dem Haus, aus dem uns schon laute Musik entgegendröhnt. Am liebsten würde ich direkt umdrehen, aber Kaden greift sich meine Hand, als hätte er meine Gedanken gehört. Verdammt, er kennt mich zu gut.

Kapitel 3

Der Lärm hallt in meinen Ohren wider, während Kaden mich durch den Flur schleift.

»Frohes Neues«, brüllt uns ein Typ in meinem Alter zu, obwohl es gerade erst zehn Uhr abends ist. Um seinen Hals trägt er eine Perlenkette in Neonfarben, an deren Ende ein Shotglas befestigt ist. Er drückt mir einen feuchten Schmatzer auf die Wange, bevor er weitertorkelt.

Ich mache ein Würgegeräusch. Am liebsten würde ich direkt wieder umdrehen, aber der Vorraum ist so eng, dass ich mich kaum bewegen kann. Es ist unmöglich, gegen den Strom anzukommen, also gehe ich in Richtung Wohnzimmer, ob ich es will oder nicht.

Kaden grüßt einige Personen. Wie zu erwarten, kommt mir keins der Gesichter bekannt vor. Einige tragen Brillen mit den Zahlen des neuen Jahrs darauf. An den Wänden hängen schwarz-goldene »Happy New Year«-Schriftzüge und dazu Puschel in denselben Farben. Ich bemerke, dass meine Kleiderwahl nicht die originellste war. Mindestens fünf andere Frauen tragen schwarze Kleider mit Pailletten. Dafür ist wenigstens mein Make-up einzigartig.

Es ist wesentlich voller, als Kaden es angepriesen hat. Um mir einen Überblick zu verschaffen, sehe ich mich um.

»Das sind mehr als fünfzig Personen«, stelle ich fest. Der Vorwurf in meiner Stimme wird von meinem Blick untermauert.

Kaden zuckt entschuldigend mit den Schultern. »Hast du schon eine Idee, wie ich dich nennen soll?«, fragt er, die Hände in den Hosentaschen versenkt. Sein Blick gleitet unruhig über die Masse. Er sucht bestimmt nach Avery.

Kurz überlege ich. Es ist lächerlich, sich als jemand anderes auszugeben. Andererseits hilft es mir vielleicht wirklich, selbstbewusster zu sein. Außerdem habe ich letztlich nichts zu verlieren. Es passiert selten, dass ich mit Kaden und seinen Leuten vom Theater abhänge. Außer seiner Freundin kenne ich hier ja niemanden.

»Meghan«, antworte ich schließlich.

Er hebt die Augenbrauen. »Sehr originell«, kommentiert er meine Wahl.

Ich strecke ihm die Zunge raus. Gut, es ist mein Zweitname, aber so kann ich im schlimmsten Fall immer noch sagen, dass ich ihn halt lieber mag als Jenna.

»Da ist Avery«, ruft er plötzlich und deutet nach links. Das Wohnzimmer ist in der Mitte mit zwei Stufen abgesenkt. Darin stehen vier Sitzecken, eine auf jeder Seite. Er gestikuliert in die Richtung der einen Couch, aber ich erkenne seine blonde Freundin nirgendwo. Wieder scanne ich den Raum ab, doch die Leute versperren mir die Sicht. Dazu ist es vielleicht nicht gerade hilfreich, dass ich gut zwanzig Zentimeter kleiner bin als mein bester Freund.

»Wo denn?«, frage ich und wende mich zu Kaden, nur um festzustellen, dass er gar nicht mehr neben mir steht. Verdammt, wo ist er hin? Panisch blicke ich mich um. Neben mir steht eine Gruppe Männer mit Bierflaschen in der Hand. Aber meinen besten Freund kann ich nicht erkennen. Eben war er doch noch hier.

Ich beginne mich durch die Menge zu drücken, in die Richtung, in die er gezeigt hat. Selbst mit den Pumps kratze ich kaum an der Ein-Meter-sechzig-Marke, sodass ich vor allem einen Haufen T-Shirts sehe. Der klägliche Versuch, mich in meinen hohen Schuhen auf die Zehenspitzen zu stellen, endet darin, dass ich fast das Gleichgewicht verliere. Gerade noch so fange ich mich auf. Leider an zwei sehr breiten Schultern, die sich unter meinen Fingern verdammt stark anfühlen.

Mist. Es kann auch nur mir passieren, dass ich auf einer Party mit lauter Fremden jemanden halb umwerfe.

»Entschuldigung«, murmle ich, aber eher an das Mädchen gerichtet, das vor der Person steht und mich wütend anstarrt. Mir schießt Hitze ins Gesicht, als ich realisiere, dass die beiden vermutlich gerade miteinander geflirtet haben, bis ich wortwörtlich dazwischengefunkt habe. Mit gesenktem Blick wende ich mich ab, als der Kerl sich zu mir dreht.

»Kein Problem.«

Der dunkle Klang seiner Stimme lässt mich zusammenzucken. Das kann doch nicht wahr sein. Niemals. Das ist unmöglich.

Ich hebe meinen Blick, um sicherzustellen, dass mir mein Gehirn nur einen Streich spielt. Es ist mindestens sechs Jahre her, seit ich diese Stimme zuletzt gehört habe. Ich muss mich täuschen. Doch zu meiner Überraschung starre ich in zwei unglaublich blaue Augen, die mir bekannt vorkommen.

Ohne ein weiteres Wort zu sagen, drehe ich mich um und versuche, mir einen Weg durch das Gedränge zu kämpfen. Ich muss dringend Kaden finden. Wieso ausgerechnet hier und wieso jetzt?

Plötzlich legt sich eine warme Hand auf meinen Arm.

»Alles in Ordnung?«

Heilige Scheiße. Ganz langsam drehe ich mich um. Mein Mund wird trocken, als ich ihn vor mir sehe. Ich habe mich nicht getäuscht. Dean Bishop steht da. Er ist wie eine Fata Morgana. Seine Gesichtszüge wirken kantiger als noch vor einigen Jahren und ein Dreitagebart lässt ihn wesentlich älter aussehen.

Dean ist der große Bruder von Violet. Meiner ehemals besten Freundin, die im Sommer mit meinem Freund geschlafen hat. Dean ist aber auch derjenige, den ich seit der sechsten Klasse heimlich angehimmelt habe. Und jetzt steht er vor mir. Einfach so.

»Bist du neu hier? Ich habe dich noch nie gesehen.« Er kneift die Augen zusammen und schüttelt leicht den Kopf. »Ich bin übrigens Dean«, stellt er sich vor und mein Herz schlägt mir bis zum Hals.

Er erkennt mich nicht. Was zur Hölle? Ohne ein Wort zu sagen, starre ich ihn einfach an. Seine schwarzen Haare sind an den Seiten kurz rasiert und fallen ihm vorne leicht in die Stirn. Um uns herum ist es so laut, dass ich Probleme damit habe, meine eigenen Gedanken zu verstehen.

»Ich bin mit einem Freund hier«, beantworte ich seine Frage, ohne sie tatsächlich zu beantworten.

»Normalerweise wäre das der Moment, in dem du mir auch deinen Namen verrätst.« Ein schiefes Grinsen breitet sich auf seinem Gesicht aus. Ich fühle mich wie ein Reh im Scheinwerferlicht. Bleibe einfach stehen. Er erkennt mich nicht. Schließlich zwinge ich mich zu einer Reaktion.

»Freut mich, ich bin Meghan.« Verdammt, mein Zweitname rutscht mir aus dem Mund, bevor mein Gehirn die Lage überdenken kann. Ich beiße mir auf die Zunge, unterdrücke aber den Drang, meine Augen zuzupressen. Das wird in einer Katastrophe enden. Wir kennen uns, seit ich vier Jahre alt bin.

Er mustert mich von oben bis unten. Ich erwarte, dass er mich jeden Moment erkennt, und überlege mir schon, wie ich mich rausreden kann. Andererseits habe ich kaum noch Ähnlichkeiten mit dem blassen, kurzhaarigen Mädchen, das er zuletzt gesehen hat. Durch den Autounfall war ich lange im Krankenhaus und musste auch anschließend noch regelmäßig zu Untersuchungen. Die kurz geschnittenen Haare ließ ich erst wachsen, nachdem er längst weggegangen war und alle Wunden vollständig geheilt waren.

»Du hast noch gar nichts zu trinken. Wollen wir uns etwas holen?« Mit dem Kopf deutet er in Richtung eines Durchgangs, hinter dem ich eine Küche erkenne.

»Äh, klar, ist das für deine …«, mit dem Blick suche ich nach dem brünetten Mädchen, mit dem er eben noch gesprochen hat, »Begleitung in Ordnung?«, frage ich. So wie sie mich eben angesehen hat, sind die beiden vielleicht sogar zusammen. O Gott, wo ich bin ich nur hineingeraten?

»Amber? Na klar, wir sind nur Freunde«, winkt er ab.

Ihr Blick hat zwar eindeutig etwas anderes gesagt, aber gut. Ein Getränk schadet wohl nicht. Immerhin bin ich heute scheinbar Meghan. Und Meghan trinkt einfach etwas mit einem Typen. Da ist doch nichts dabei. Auch wenn es nicht nur irgendein Typ ist, sondern ausgerechnet Dean Bishop. Am liebsten würde ich mir eine Ohrfeige verpassen, dafür, dass ich gelogen habe. Wie blöd kann man eigentlich sein? All das ist Kadens Schuld, und sobald ich ihn wiedergefunden habe, werde ich ihm das auch brühwarm erzählen.

»Was machst du in San Francisco?«, rutscht es mir heraus. In Gedanken versuche ich noch zu verarbeiten, dass er tatsächlich vor mir steht. Scheiße. Zum Glück scheint er meine Frage nicht komisch verstanden zu haben, denn er zuckt mit den Schultern.

»Ich komme aus Kalifornien, habe aber in New York studiert. Nach meinem Abschluss an der NYU wollte ich gerne zurück an die Westküste.«

NYU? Wow, ich wusste nicht, dass er an einer der Elite-Unis angenommen worden ist. Das stechende Blau seiner Augen fesselt meinen Blick. »Und du?«, fragt er.

Bemüht, ein strahlendes Lächeln aufzusetzen, folge ich ihm in die Küche. Es ist so laut, dass ich gar nicht erst versuche, etwas zu sagen. Dean, der nur einen Schritt vor mir läuft, würde es sowieso nicht verstehen.

Auf der Kücheninsel ist eine riesige Glasschüssel gefüllt mit einer roten Flüssigkeit platziert. Daneben stehen diverse Alkoholflaschen und Softdrinks. Dean stellt seinen roten Becher ab und holte einen frischen vom Stapel in der Mitte.

»Was möchtest du?«

»Rum-Cola«, erwidere ich und lehne mich zu ihm, damit er die Antwort versteht. Er riecht verdammt gut. Wie sehr ich diesen Geruch geliebt habe …

In diesem Moment sehe ich Kaden aus dem Augenwinkel, der sich mit ein paar Studierenden unterhält, die mir entfernt bekannt vorkommen. Auch Avery steht bei ihm und lacht laut auf, als ihr Gegenüber so tut, als würde er sich etwas in die Brust rammen. Kaden legt ihr einen Arm um die Schultern und zieht sie näher an sich, um einen Kuss auf ihren Kopf zu hauchen.

Schnell wende ich den Blick wieder ab. Zum Glück haben die beiden mich nicht gesehen.