Topkapi - Eric Ambler - E-Book
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Topkapi E-Book

Eric Ambler

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Beschreibung

Indem er einen vermeintlichen Touristen am Athener Flughafen übers Ohr zu hauen versucht, stolpert der übergewichtige, schwitzige Kleinganove Arthur Abdel Simpson zwischen die Fronten von Gangstern, Polizei und Geheimdienst. Nichts Geringeres als ein Raub im Istanbuler Palastmuseum Topkapi ist geplant, wo der legendäre, mit Smaragden besetzte Topkapi-Dolch in der schwer bewachten Schatzkammer liegt. Bis der beispiellose Coup in vollem Ausmaß erkennbar wird, kann man dem angegrauten Schlitzohr Simpson nicht viel vorwerfen. Außer vielleicht, dass er seine eigene hochheilige Regel, niemals zu gierig werden, bricht – mit weitreichenden Folgen.

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Eric Ambler

Topkapi

Roman

Aus dem Englischen von Elsbeth Herlin und Nikolaus Stingl

Hoffmann und Campe

1

Ich hatte keine andere Wahl: Wenn mich die türkische Polizei nicht verhaftet hätte, so hätte mich die griechische hinter Schloss und Riegel gebracht. Ich musste tun, was Harper mir befahl. Dieser Harper war schuld an allem, was später geschah.

Ich hielt ihn für einen Amerikaner. Er sah aus wie einer – groß, einen etwas zu weiten, leichten Anzug, schmale Krawatte, Hemdkragen mit Knöpfen, Bürstenhaarschnitt und das glatte, alterslose Gesicht. Er sprach auch wie ein Amerikaner oder doch wie ein Deutscher, der lange in den Staaten gelebt hat. Jetzt weiß ich, dass er kein Amerikaner ist, aber damals machte er auf mich den Eindruck.

Sein Gepäck zum Beispiel: Kunstlederkoffer mit imitierten Goldschlössern. Das typische Gepäck eines reisenden Amerikaners.

Er landete mit einer Maschine aus Wien auf dem Flughafen von Athen. Er hätte mit dieser Maschine aus New York, London, Frankfurt oder Moskau kommen können – oder direkt aus Wien. Das genau zu wissen war unmöglich. Keinerlei Hotelzettel am Gepäck. Ich nahm eben an, dass er aus New York kam. Ein Fehler, der jedem hätte passieren können. Seinen Pass bekam ich nicht zu sehen.

Ich merke, ich entschuldige mich. Als ob ich mich dieser Sache schämen müsste; aber ich versuche lediglich zu erklären, was geschah, offen und ehrlich.

Ich ahnte wirklich nicht, dass er nicht der war, der er zu sein schien. Ich sprach ihn am Flughafen an. Ich vermiete meinen Wagen eigentlich nur, um mir nebenbei etwas zu verdienen. Von Beruf bin ich Journalist. Aber Nicki redete dauernd von neuen Kleidern, und außerdem war die Miete für die Wohnung in dieser Woche fällig. Ich brauchte Geld. Und dieser Mann sah so aus, als hätte er welches.

Ist Geldverdienen ein Verbrechen? Man könnte es fast glauben, wenn man manche so reden hört. Sicher, Gesetz ist Gesetz, und ich will mich nicht beklagen, aber was ich nicht leiden kann, ist Heuchelei. Wenn ein Mann auf eigene Faust ins Rotlichtviertel geht, schert sich keiner drum, aber wenn er einem anderen einen Gefallen tun und ihm den Weg zu einem wirklich guten Haus zeigen will, dann fangen sie alle an, zetermordio zu schreien. Dafür habe ich kein Verständnis. Wenn ich auf etwas stolz bin, dann auf meinen gesunden Menschenverstand – und auf meinen Humor.

Ich heiße Arthur Simpson.

Nein! Ich hatte vor, offen und ehrlich zu sein, und dabei will ich bleiben. Mein korrekter, vollständiger Name lautet Arthur Abdel Simpson. Den Abdel verdanke ich meiner ägyptischen Mutter. Ich bin in Kairo geboren. Aber mein Vater war britischer Offizier, und ich bin Brite bis ins Mark. Selbst mein Werdegang ist typisch britisch.

Mein Vater diente von der Pike auf. Er war Feldwebel beim East-Kent-Infanterieregiment, als ich geboren wurde. 1916 wurde er zum Quartiermeister des Army-Service-Corps im Leutnantsrang befördert. Wir wohnten in der Offizierssiedlung für Verheiratete in Ismailia. Ein Jahr später kam er ums Leben. Ich war damals noch zu klein, als dass man mir die Einzelheiten erzählt hätte. Ich glaubte natürlich, die Türken hätten ihn umgebracht; aber meine Mutter erzählte mir später die Wahrheit. Er war von einem Lastwagen überfahren worden, als er eines Nachts aus der Offiziersmesse nach Hause ging.

Mutter bekam zwar ihre Pension, aber irgendjemand sagte ihr, sie solle an das Wohlfahrtsamt der Armee für die Söhne gefallener Offiziere schreiben, und die schickten mich dann in die Britische Schule nach Kairo. Als ich neun war, sagten sie, wenn ich Verwandte hätte, bei denen ich in England leben könnte, würden sie meine Erziehung dort finanzieren. Eine verheiratete Schwester meines Vaters lebte in Hither Green im Südosten von London. Nachdem das Wohlfahrtsamt zusagte, für meinen Unterhalt zu bezahlen, war sie bereit, mich aufzunehmen. Das war eine große Erleichterung für Mutter, denn nun konnte sie Mr. Hafiz heiraten, der mich nicht ausstehen konnte seit dem Tag, als ich sie miteinander im Bett erwischt und es dem Imam gesagt hatte. Mr. Hafiz war in der Gastronomie tätig und fett wie ein Schwein. Es war ekelhaft, dass ein Mann in seinem Alter mit meiner Mutter im Bett lag.

An Bord eines Truppentransporters fuhr ich in der Obhut der Sanitätsschwester nach England. Ich war froh, dass ich wegkam. Ich bin nie gern irgendwo gewesen, wo ich nicht erwünscht war. Die meisten Männer auf dem Schiff waren geschlechtskrank. Ich schnappte bei ihren Gesprächen eine Menge Nützliches und Wissenswertes auf, ehe die Schwester, eine alte Hexe, dahinterkam und mich für den Rest der Überfahrt dem Sportlehrer übergab. Meine Tante in Hither Green war auch eine Hexe, aber dort war ich willkommen. Sie war mit einem Buchhalter verheiratet, der meistens arbeitslos war. Die knapp zwölfeinhalb Schilling je Woche waren für sie ein Geschenk Gottes. Sie war korrekt, denn ein Mann vom Wohlfahrtsamt kam regelmäßig vorbei, um sich zu überzeugen, wie es mir ginge. Wenn ich etwas erzählt hätte, hätten sie mich weggenommen. Ich hatte es faustdick hinter den Ohren, wie wohl die meisten Jungen in diesem Alter.

Die Schule war in Lewisham bei Blackheath. Eine große Tafel mit goldenen Buchstaben hing über dem Eingang:

CORAM’S GRAMMAR SCHOOL

Für die Söhne von Gentlemen

Gegründet 1781

Über der Tafel hing das Schulwappen mit dem Motto: Mens aequa arduis. Der Lateinlehrer sagte, es stamme von Horaz; aber der Englischlehrer übersetzte es gern mit Kiplings Worten: »Wenn du dir einen kühlen Kopf bewahrst, wenn alle anderen ihn verlieren … dann erst bist du ein Mann, mein Sohn.«

Es war nicht gerade eine Schule wie Eton – es gab keine Internatsschüler, wir waren alle nur tagsüber dort –, aber sie wurde nach denselben Richtlinien geführt. Die Eltern oder, wie in meinem Fall, der Vormund mussten Schulgeld bezahlen. Es gab ein paar Jungen mit einem Stipendium – ich glaube, eine Auflage für den Zuschuss vom Erziehungsministerium –, aber es waren insgesamt nie mehr als zwanzig. 1920 wurde ein neuer Direktor ernannt. Sein Name war Brush, und wir tauften ihn »Die Borste«. Er war Lehrer in einem großen Internat gewesen, und er führte eine Menge Neuerungen ein. Nachdem er eingezogen war, spielten wir Rugby statt Fußball, absolvierten nicht mehr Klassen, sondern Semester und wurden angehalten, uns wie Gentlemen auszudrücken. Ein, zwei von den älteren Lehrern wurden an die Luft gesetzt, was nur gut war. Außerdem ließ »Die Borste« alle Lehrer in ihren Talaren zum Morgengebet antreten. Coram’s war, wie er betonte, eine Schule mit alter Tradition, und wenn wir auch nicht ganz so alt waren wie Eton und Winchester, waren wir doch ein gut Teil älter als Brighton oder Clifton. Alle Paukerei nützte nichts, wenn man nicht Charakter und Tradition hatte.

Wie gesagt, ich erinnere mich kaum an meinen Vater; aber ein paar von seinen Lieblingsaussprüchen sind mir in Erinnerung geblieben. Vielleicht weil er sie so oft wiederholt hatte. Einer hieß, wie ich mich erinnere: »Melde dich niemals freiwillig.« Ein anderer lautete: »Schaumschlägerei geht über Verstand.«

Wohl kaum die richtige Devise für einen Offizier und Gentleman, meinen Sie? Ich bin da nicht so sicher; aber ich will mich nicht streiten. Ich kann nur sagen, dass es die Devise eines praktisch denkenden Berufssoldaten war, und dass sie in Coram’s funktionierte.

Ich entdeckte zum Beispiel sehr bald, dass die Lehrer nichts mehr ärgerte als eine unordentliche Handschrift. Bei einigen war es tatsächlich so, dass die falsche Antwort, wenn sie nur fein säuberlich geschrieben war, beinahe gleich gut bewertet wurde wie die richtige Antwort in schlechter Schrift oder mit Klecksen und Flecken. So habe ich immer sehr sauber geschrieben. Oder wenn ein Lehrer etwas fragte und dann sagte: »Hand hoch, wer es weiß«, konnte man, auch wenn man es nicht wusste, ruhig die Hand heben, wenn man die Übereifrigen zuerst die Hand heben ließ und wenn man nur dabei lächelte. Lächeln – nicht grinsen oder feixen – war immer und zu allen Zeiten wichtig. Die Lehrer machten sich nicht allzu viele Gedanken um einen, wenn man aussah, als hätte man ein gutes Gewissen.

Mit den anderen Jungen kam ich ganz gut zurecht. Weil ich in Ägypten geboren bin, nannten sie mich natürlich »Kameltreiber«, aber da ich wie mein Vater helle Haare hatte, machte mir das nichts aus. Ich bekam sehr früh den Stimmbruch, mit zwölf. Einige Zeit später unternahm ich mit einem Fünftklässler namens Jones IV nächtliche Streifzüge in die Felder. Wir lasen Mädchen auf, »Hasenjagd«, um es mit einem militärischen Ausdruck zu bezeichnen. Ich entdeckte bald, dass es manchen Mädchen nichts ausmachte, wenn man ihnen unter den Rock fasste oder sogar noch ein bisschen weiter ging. Manchmal kamen wir sehr spät nach Hause. Das hieß, dass ich am nächsten Morgen früh aufstehen musste, um meine Hausaufgaben zu machen, oder aber meine Tante dazu bringen musste, mir eine Entschuldigung zu schreiben. Wenn alles schiefging, konnte ich immer noch von einem Jungen namens Reese abschreiben und die schriftliche Hausarbeit auf dem Klo erledigen. Er litt schrecklich unter Akne und hatte nichts dagegen, dass man von ihm abschrieb; ich glaube, es gefiel ihm sogar. Aber man musste vorsichtig sein. Er war ein Bücherwurm und hatte gewöhnlich alles richtig. Wenn man wortwörtlich von ihm abschrieb, riskierte man ein »Sehr gut«. In meinem Fall würde das den Lehrer misstrauisch machen. Ich schaffte einmal bei einer Chemiearbeit zehn von zehn möglichen Punkten, und dafür verprügelte mich der Lehrer, wegen Betrugs. Ich hatte den Mann von Anfang an nicht leiden können. Ich rächte mich, indem ich ihm ein Reagenzglas mit Schwefelsäure über seinen Fahrradsattel leerte, aber ich habe nie die Lehre vergessen, die ich aus dieser Geschichte zog. »Versuch dich nie besser zu machen, als du bist.« Ich glaube, ich habe mich so ziemlich daran gehalten.

Eine englische Privatschulerziehung verfolgt hauptsächlich den Zweck, den Charakter zu formen, dem Schüler ein Gefühl für Fairplay und höhere Werte zu geben und ihn zu lehren, sich in allen Lebenslagen wie ein Gentleman zu benehmen. Das zumindest verdanke ich Coram’s.

Rückblickend meine ich, dass ich trotz allem dankbar sein sollte. Ich kann zwar nicht behaupten, dass mir die Sache Spaß machte. Zum Beispiel Raufen: Das hielt man für sehr männlich. Sowie einer nicht sehr begeistert dabei war, wurde er »feiger Pudding« genannt. Wieso eigentlich – ich war nie scharf auf Faustschläge und eine blutige Nase. Das Elend war, dass ich mir immer den Daumen verstauchte oder die Knöchel aufschlug, wenn ich mich wehrte. Schließlich kam ich darauf, dass man sich am wirksamsten mit einer Schulmappe wehren konnte, besonders wenn man eine Feder oder die scharfe Kante eines Lineals herausstehen ließ; trotzdem war mir jede Art von Gewaltanwendung stets unsympathisch.

Fast so sehr, wie mir Ungerechtigkeit verhasst ist. Mein letztes Jahr in Coram’s, das eigentlich ein Vergnügen hätte sein können, weil es wirklich das letzte war, wurde mir vollkommen verdorben.

Daran war Jones IV schuld. Er war von der Schule abgegangen und arbeitete bei seinem Vater in der Werkstatt. Ich zog mit ihm immer noch manchmal in die Felder. Eines Abends zeigte er mir ein langes, vierseitiges Gedicht. Ein Kunde hatte es ihm gegeben. Es hieß »Die Verzauberung« und sollte angeblich von Lord Byron stammen. Es begann:

An einem dunkel-trüben Tag

Als ich in meiner Kammer lag

Bin ich aus tiefen Traumes Nacht

Durch helles Silberlachen aufgewacht.

Es stellte sich heraus, dass das Lachen durch ein Astloch in der Wand hinter seinem Bett drang, und er spähte durch das Loch.

Ein Jüngling und ein Mädchen fein

Die kosten in dem Kämmerlein.

Dann wurde beschrieben, was der Jüngling und das Mädchen in der nächsten halben Stunde taten – sehr poetisch, aber auch in allen Einzelheiten. Mit einem Wort: hochexplosiv.

Ich fertigte Abschriften an und ließ sie ein paar Schulkameraden lesen. Dann durften sie das Gedicht für vier Pence pro Mann abschreiben. Ich war recht gut am Verdienen, als ein Viertklässler eine Kopie in der Tasche seines Cricket-Blazers stecken ließ, die seine Mutter fand. Ihr Mann schickte das Gedicht, zusammen mit einem Beschwerdebrief, an »Die Borste«. Er verhörte jeden einzelnen Schüler, um herauszubekommen, wer das Ding in Umlauf gesetzt hatte, und landete folgerichtig bei mir. Ich sagte, ich hätte es von einem Jungen bekommen, der vergangenes Jahr von der Schule abgegangen sei – ihm konnte er nichts mehr anhaben –, aber er glaubte mir wohl nicht. Er saß an seinem Pult, trommelte mit seinem Bleistift vor sich hin und sagte ein ums andere Mal: »Elender Schmutz.« Er war knallrot im Gesicht, fast als wäre es ihm peinlich. Ich weiß noch, dass ich mich fragte, ob er womöglich ein bisschen »komisch« war. Schließlich meinte er, da es mein letztes Jahr sei, würde er mich nicht von der Schule verweisen, aber mit den jüngeren Schülern zu verkehren wurde mir für den Rest meiner Schulzeit streng verboten. Er verprügelte mich nicht und schrieb auch nicht ans Wohlfahrtsamt, worüber ich sehr erleichtert war. Trotzdem war es eine üble Sache, die mich sehr mitnahm. Ich glaube sogar, dass das der eigentliche Grund war, weshalb ich meine Abschlussprüfung nicht bestand.

Um diese Abschlussprüfung woben sie in Coram’s eine wahre Gloriole. Ohne sie konnte man anscheinend in keiner Bank oder Versicherungsgesellschaft einen anständigen Job bekommen. Ich wollte keinen Job in einer Bank oder Versicherungsgesellschaft. Mr. Hafiz war gestorben, und Mutter wollte, dass ich zurückkam und das Gastronomiegewerbe erlernte – aber ein Schlag war es trotzdem. Ich bin davon überzeugt, wäre »Die Borste« etwas toleranter und verständnisvoller gewesen und hätte mich nicht behandelt, als hätte ich ein Verbrechen begangen, dann wäre alles anders gelaufen. Ich war ein sensibler Junge und hatte das Gefühl, dass ich in Coram’s irgendwie verkannt worden war. Deshalb bewarb ich mich auch nie um Aufnahme in den Club der Ehemaligen.

Jetzt kann ich natürlich lächelnd auf die ganze Geschichte zurückblicken. Aber ich möchte zum Ausdruck bringen, dass Leute in verantwortlicher Stellung – wie Schuldirektoren, Polizeibeamte – einfach dadurch viel Schaden anrichten können, dass sie sich nicht die Mühe geben, den Standpunkt des anderen zu verstehen.

Wie hätte ich ahnen können, was für ein Mensch Harper war? Wie ich schon sagte, war ich nur auf der Suche nach einem Geschäft zum Flughafen von Athen hinausgefahren. Ich entdeckte diesen Mann in der Zollabfertigung. Ich sah, dass sein Ticket in einem Hefter von American Express steckte. Ich gab einem Träger zwei Drachmen, damit er mir den Namen des Mannes aus seiner Zollerklärung besorgte. Dann ließ ich ihm durch eine der uniformierten Bodenstewardessen meine Karte überreichen mit der Botschaft: »Wagen steht bereit für Mr. Harper.«

Ein Trick, den ich schon oft ausprobiert habe und der beinahe immer funktioniert. Kaum ein Amerikaner oder Brite spricht Griechisch. Und wenn sie die Zollabfertigung hinter sich haben, und besonders wenn es heiß ist und sie von den Gepäckträgern hin und her gezerrt und von Schalter zu Schalter gejagt worden sind, dann sind sie nur allzu gern bereit, sich einem Mann anzuvertrauen, der ihre Sprache spricht und der ihnen die Sorge mit den Trinkgeldern abnimmt. Und an jenem Tag war es sehr heiß und schwül.

Als er durch die Zollabfertigung trat, ging ich auf ihn zu.

»Wenn Sie mir folgen wollen, Mr. Harper.«

Er blieb stehen und musterte mich. Ich lächelte entgegenkommend.

Er verzog keine Miene. »Ich habe keinen Wagen bestellt.«

Ich blickte erstaunt. »American Express hat mich geschickt, Sir. Man sagte mir, Sie suchten einen Englisch sprechenden Fahrer.«

Er starrte mich wieder an und zuckte dann die Achseln. »Okay. Hotel Grande Bretagne.«

»Gern, Sir. Ist das Ihr ganzes Gepäck?«

Kurz nachdem wir von der Küstenstraße bei Glyfada abgebogen waren, begann er Fragen zu stellen. Ob ich Brite sei? Ich umging das wie üblich. Mein eigener Wagen? Das wollen sie immer wissen. Ich habe dazu zwei Versionen. Der Wagen ist mein Eigentum, ein 1954er Plymouth. Den Amerikanern erzähle ich stolz, wie viel tausend Meilen er ohne eine Panne hinter sich hat. Für die Briten habe ich die Stolz-aber-arm-Version: Sobald ich genug gespart hätte, würde ich ihn für einen Austin Princess oder einen alten Rolls Royce oder einen anderen gediegenen Wagen in Zahlung geben.

Warum soll man den Leuten nicht das erzählen, was sie gern hören wollen?

Dieser Harper wirkte genau wie alle anderen. Er hörte zu und brummte gelegentlich etwas vor sich hin, als ich ihm die amerikanische Version auftischte. Wenn es sie langweilt, weiß man meist auch, dass die Sache richtig läuft. Dann hört man auf. Er fragte mich nicht, warum ich in Griechenland lebte. Das fragen die meisten. Ich dachte, das würde wahrscheinlich später kommen – wenn es bei ihm ein »später« gab. Das musste ich erst herausfinden.

»Sind Sie geschäftlich in Athen, Sir?«

»Schon möglich.«

Womit er mir nahelegte, mich um meine eigenen Angelegenheiten zu kümmern. Ich tat so, als merkte ich es nicht. »Ich frage nur – wenn Sie während Ihres Aufenthaltes hier einen Wagen und Chauffeur brauchen, könnte ich es einrichten, dass ich Ihnen zur Verfügung stehe.«

»Ja?«

Das war nicht gerade ermutigend. Ich nannte ihm den Tagespreis und die verschiedenen Ausflüge, die wir machen könnten, falls er Lust auf Sehenswürdigkeiten hatte – Delphi und so weiter.

»Ich will es mir überlegen«, sagte er. »Wie heißen Sie?«

Ich reichte ihm eine meiner Karten und beobachtete ihn im Rückspiegel, während er sie las. Dann schob er sie in die Tasche.

»Sind Sie verheiratet, Arthur?«

Diese Frage kam überraschend. Mein Privatleben hatte noch kaum einen interessiert. Ich erzählte ihm von meiner ersten Frau und wie sie 1956 während der Suezkrise durch eine Bombe umgekommen war. Nicki erwähnte ich nicht. Ich weiß nicht, warum; vielleicht wollte ich in dem Augenblick nicht an sie denken.

»Sie sagten, Sie seien Brite, nicht wahr?«

»Mein Vater war Brite, Sir. Ich wurde in England erzogen.« Ich sagte es etwas abweisend. Kreuzverhöre mag ich nicht. Aber er bohrte weiter.

»Was für eine Staatsangehörigkeit haben Sie denn nun?«

»Ich habe einen ägyptischen Pass.« Das war die reine Wahrheit, obwohl es ihn überhaupt nichts anging.

»War Ihre Frau Ägypterin?«

»Nein, Französin.«

»Haben Sie Kinder?«

»Leider nein, Sir.« Jetzt war ich nachgerade abweisend.

Er lehnte sich zurück, starrte aus dem Fenster, und ich hatte das Gefühl, dass er mich von einer Sekunde auf die andere völlig vergessen hatte. Ich dachte an Annette und wie leicht mir die Geschichte schon von den Lippen ging, dass sie durch eine Bombe umgekommen sei. Ich glaubte es schon beinahe selbst. Als ich am Omonia-Platz bei Rotlicht stoppte, fragte ich mich, was wohl aus ihr geworden war. Ob der Gentleman, den sie mir vorzog, ihr zu den Kindern verholfen hatte, die sie sich immer wünschte? Ich bin nicht nachtragend, aber ich hoffte doch, dass sie es nun endlich glaubte, dass sie steril war und nicht ich.

Ich fuhr am Grande Bretagne vor. Während die Hausdiener die Koffer aus dem Wagen holten, wandte Harper sich an mich.

»Okay, Arthur, einverstanden. Ich werde wahrscheinlich drei, vier Tage hier sein.«

Ich war überrascht und erleichtert. »Möchten Sie morgen nach Delphi? An den Wochenenden ist es von Touristen überlaufen.«

»Darüber unterhalten wir uns später.« Er sah mich nachdenklich an und lächelte dann. »Heute Abend würde ich eigentlich gern ausgehen. Können Sie mir etwas vorschlagen?«

Er zwinkerte bei diesen Worten, kaum merklich, aber ich hatte es mitbekommen. Ich lächelte diskret. »Sicher, Sir.«

»Ich dachte es mir. Holen Sie mich um neun Uhr ab. Ja?«

»Neun Uhr, Sir. Ich lasse durch den Portier Bescheid sagen, wenn ich da bin.«

Das war um halb fünf. Ich fuhr zu meiner Wohnung, parkte den Wagen im Hof und ging hinauf.

Nicki war nicht da, wie üblich. Sie pflegte den Nachmittag bei Freunden zu verbringen – zumindest sagte sie das. Ich wusste nicht, wer die Freunde waren, und ich stellte niemals Fragen. Ich wollte nicht, dass sie mich belog. Wenn sie sich im Club einen Liebhaber aufgelesen hatte, wollte ich es nicht wissen. Wenn ein nicht mehr ganz junger Mann ein attraktives Mädchen heiratet, das halb so alt ist wie er, muss er sich mit der Haltung eines Philosophen mit gewissen Möglichkeiten abfinden.

Sie hatte sich umgezogen. Kleider und Wäsche lagen nachlässig über dem Bett verstreut, und sie hatte sich parfümiert. Das Zimmer roch stärker nach ihr als sonst.

Ein Brief von einer britischen Reisezeitschrift, an die ich geschrieben hatte, lag da. Sie forderten mich auf, ein paar Arbeitsproben zu schicken. Ich zerriss den Brief. Dreißig Jahre spielte ich das Spiel nun schon, und die behandelten einen wie einen Amateur. Schicken Sie Arbeitsproben ein, und ehe man sich’s versieht, haben sie einem alle Ideen gestohlen, ohne auch nur einen Penny dafür zu bezahlen. Das ist mir schon zigmal passiert. Auf die Art lasse ich mich nicht mehr hereinlegen. Wenn sie etwas von mir haben wollen, bitte, gern, aber nur wenn bei Ablieferung bezahlt wird; Spesen im Voraus.

Ich führte ein paar Telefongespräche, um Harpers Ausflug ins Nachtleben vorzubereiten, und ging dann hinunter ins Café, um etwas zu trinken. Als ich zurückkam, war Nicki da. Sie zog sich um für die Arbeit im Club.

Mein Wunsch war es nicht, dass sie nach unserer Heirat weiterarbeitete. Sie hatte es so gewollt. Ich nehme an, manche Männer würden eifersüchtig bei dem Gedanken, dass ihre Frauen so gut wie unbekleidet vor anderen Männern bauchtanzen; aber ich bin in der Beziehung nicht kleinlich. Wenn sie sich etwas Taschengeld dazuverdienen will, dann ist das ihre Sache.

Während sie sich anzog, erzählte ich ihr von Harper und machte mich dabei über seine Fragerei lustig. Sie lächelte nicht.

»Das hört sich an, als sei er schwierig, Papa«, sagte sie.

Wenn sie mich »Papa« nennt, ist sie mir wohlgesinnt.

»Er hat Geld.«

»Woher weißt du das?«

»Ich habe im Hotel angerufen und wollte ihn unter der Zimmernummer zwei-drei-zwei sprechen. Die Vermittlung korrigierte meinen Irrtum und gab mir seine richtige Zimmernummer. Das ist eine große Suite mit Klimaanlage.«

Sie sah mich lächelnd an und seufzte. »Es macht dir viel Spaß, nicht wahr?«

»Was macht mir Spaß?«

»Anderen Leuten auf den Zahn fühlen.«

»Das ist mein Zeitungstraining, chérie, meine Spürnase.«

Sie blickte mich zweifelnd an.

Ich wünschte, ich hätte eine andere Antwort gegeben. Es war immer schwierig für mich, ihr zu erklären, weshalb bestimmte Türen jetzt für mich verschlossen sind. In alten Wunden zu wühlen ist sinnlos und schmerzlich.

Sie zuckte die Schultern und machte sich fertig. »Bringst du ihn in den Club?«

»Wahrscheinlich.«

Ich schenkte zwei Gläser Wein ein. Sie trank ihres aus, während sie sich die Wimpern tuschte, und ging dann. Sie streichelte meine Wange zum Abschied, küsste mich aber nicht. Die »Papa«-Stimmung war verflogen.

Eines Tages, dachte ich, wird sie gehen und nicht wiederkommen. Aber ich neige nicht zum Trübsalblasen. Wenn es einmal so weit ist, sagte ich mir, dann eben ab mit Schaden. Ich schenkte mir noch ein Glas Wein ein, rauchte eine Zigarette und überlegte mir, wie ich diskret in Erfahrung bringen konnte, in welcher Branche Harper arbeitete. Ich muss wohl gespürt haben, dass irgendetwas nicht stimmte mit ihm.

Fünf vor neun fand ich einen Parkplatz in der Venizelos Avenue, gerade um die Ecke vom Grande Bretagne. Ich ließ Harper Bescheid sagen, dass ich wartete.

Nach zehn Minuten kam er herunter, und ich führte ihn zum Wagen. Ich erklärte ihm, dass es für Privatwagen schwierig sei, vor dem Hotel zu parken.

Er sagte recht unwirsch: »Na und?«

Ich fragte mich, ob er getrunken hatte. Viele Touristen, die von zu Hause daran gewöhnt sind, früh zu Abend zu essen, fangen an, Ouzo zu trinken, um sich die Zeit zu vertreiben. Gegen zehn Uhr, wenn die Athener langsam ans Abendessen denken, sind die Touristen oft schon so blau, dass sie nicht mehr wissen, was sie sagen oder tun. Harper jedoch war nur zu nüchtern. Das sollte ich bald erfahren.

Als wir zum Wagen kamen, hielt ich ihm die Tür zum Fond auf. Ohne darauf zu achten, öffnete er die Vordertür und setzte sich neben den Fahrersitz. Sehr demokratisch. Allerdings ziehe ich es vor, dass meine Fahrgäste hinten sitzen, wo ich sie im Rückspiegel im Auge behalten kann.

Ich ging ums Auto herum und setzte mich hinters Steuer.

»Na, Arthur«, fragte er, »wohin bringen Sie mich?«

»Wollen Sie zuerst essen, Sir?«

»Wie wär’s mit einem Fischrestaurant?«

»Ich zeige Ihnen das beste, Sir.«

Ich fuhr ihn zum Jachthafen in Tourcolimano hinaus, zu dem Restaurant, wo ich Prozente bekomme. Der Hafen ist wirklich sehr malerisch, und er nickte bewundernd, als er sich umsah. Ich führte ihn in das Restaurant und stellte ihm den Koch vor. Nachdem er sich sein Menü und eine Flasche trockenen Patraswein ausgesucht hatte, wandte er sich an mich.

»Haben Sie schon gegessen, Arthur?«

»Ich esse eine Kleinigkeit in der Küche, Sir.« Auf diese Weise ging mein Abendessen auf seine Rechnung, ohne dass er es wusste, und meine Prozente gleichfalls.

»Essen Sie mit mir.«

»Das ist nicht notwendig, Sir.«

»Wer sagt das? Ich habe Sie gebeten, mit mir zu essen.«

»Danke, Sir. Mit Vergnügen.«

Ein wahrer Demokrat. Wir saßen an einem Tisch auf der Terrasse am Rande des Wassers. Er fing an, mich über die Jachten, die im Hafen ankerten, auszufragen. Welche davon waren Privatbesitz? Welche wurden vermietet? Wie hoch lagen die Charterpreise?

Ich wusste zufällig über eine der Charterjachten Bescheid, einen 18-Meter-Zweimastschoner mit zwei Dieselmotoren. Ich nannte ihm den Preis – hundertundvierzig US-Dollar pro Tag. Der wirkliche Preis betrug hundertunddreißig, aber ich überlegte mir, dass ich die Differenz vom Vermieter als Provision einstreichen könnte, falls er es ganz zufällig ernst meinte. Außerdem interessierte es mich, wie er auf diese Summe reagierte; ob er anfangen würde zu lachen, wie jeder Normalverdiener, oder aber Fragen zu stellen, wie viele Schlafplätze die Jacht hatte. Er nickte nur und fragte dann nach schnellen, seetüchtigen Motorbooten ohne Besatzung.

Im Hinblick auf das, was später passierte, erscheint mir dieser Punkt besonders bedeutungsvoll.

Ich sagte, ich würde mich erkundigen. Er fragte mich nach Jachtmaklern. Ich nannte ihm den Namen von einem, den ich persönlich kannte, und sagte ihm, der Rest tauge nichts. Ich sagte ihm auch, dass meines Wissens die Besitzer der größeren Boote nicht gern ohne die eigene Mannschaft an Bord vermieteten. Darauf reagierte er nicht. Später fragte er mich, ob gecharterte Jachten von Tourcolimano oder Piräus nur griechisches Hoheitsgebiet befuhren oder ob sie es auch verlassen und, beispielsweise, über die Adria nach Italien fahren könnten. Auch das bedeutungsvoll. Ich sagte ihm, ich wüsste es nicht, und das entsprach der Wahrheit.

Als die Rechnung kam, fragte er mich, ob er hier einen Reisescheck von American Express über fünfzig Dollar wechseln könnte. Mit dieser Auskunft diente ich gern. Ich nickte. Er trennte den 50-Dollar-Scheck aus einem Zehnerheft. Das Erfreulichste, was mir an jenem Tag unter die Augen gekommen war.

Kurz vor elf brachen wir auf, und ich fuhr ihn zum Club.

Der Club ist praktisch eine Kopie des Lido in Paris, nur kleiner. Ich stellte ihn John, dem Besitzer, vor und versuchte, ihn für eine Weile loszuwerden. Er war noch immer völlig nüchtern, und ich dachte, wenn er allein wäre, würde er mehr trinken; aber es war nichts zu machen. Ich musste mich zu ihm setzen und mittrinken. Er war besitzergreifend wie eine Frau. Ich war ratlos. Wenn ich ein frisch aussehender junger Mann und kein – nun ja, ich will ehrlich sein – dickbäuchiger Journalist gewesen wäre, hätte ich es verstanden – nicht gebilligt, selbstverständlich, aber verstanden. Aber er war mindestens zehn bis fünfzehn Jahre jünger als ich.

Im Club haben sie Kerzen auf den Tischen, und man sieht die verschiedensten Leute. Als die Floor-Show anfing, beobachtete ich ihn. Er betrachtete die Mädchen, darunter Nicki, als seien sie Fliegen auf einer Fensterscheibe. Ich fragte ihn, wie ihm die dritte von links gefiele – Nicki.

»Zu kurze Beine. Ich ziehe längere Beine vor. Haben Sie die vorgesehen?«

»Vorgesehen? Ich verstehe nicht, Sir.« Langsam wurde er mir zuwider.

Er warf mir einen schiefen Blick zu. »Lassen wir das«, sagte er unfreundlich.

Wir tranken griechischen Brandy. Er griff nach der Flasche und schenkte sich ein. Ich sah, dass sein Kinn zuckte, als sei er wütend. Anscheinend hatte er sich über etwas geärgert, was ich gesagt oder nicht gesagt hatte. Es lag mir auf der Zunge zu erzählen, dass Nicki meine Frau sei, aber ich tat es nicht. Es fiel mir noch im letzten Augenblick ein, dass ich nur von Annette gesprochen hatte und wie sie von einer Bombe getötet worden war.

Er kippte den Schnaps hinunter und sagte mir, ich solle die Rechnung verlangen.

»Gefällt es Ihnen hier nicht, Sir?«

»Was gibt es denn noch zu sehen? Ziehen sie sich später aus?«

Ich lächelte. Die einzig mögliche Antwort auf so viel Plumpheit. Zudem hatte ich nichts dagegen, mein Programm für den Abend schneller abzuwickeln.

»Es gibt noch ein anderes Lokal«, sagte ich.

»So wie das hier?«

»Was dort geboten wird, ist mehr individueller und privater Natur.« Ich wählte die Worte sorgfältig.

»Sie meinen einen Puff?«

»Ich würde es nicht ganz so ausdrücken, Sir.«

»Davon bin ich überzeugt. Wie wär’s mit maison de rendez-vous? Kommt das hin?«

»Madame Irma ist sehr diskret, Sir, und alles wird äußerst geschmackvoll gehandhabt.«

Er schüttelte sich vor Vergnügen. »Wissen Sie was, Arthur? Wenn Sie sich etwas besser rasierten und die Haare schneiden ließen, könnten Sie jederzeit als Butler gehen.«

Seinem Gesicht war nicht anzusehen, ob er mit Absicht beleidigend war oder nur einen plumpen Witz machte. Es erschien mir angezeigt, das Letztere anzunehmen.

»Ist das amerikanischer Humor, Sir?«, fragte ich höflich.

Das schien ihn noch mehr zu amüsieren. »Okay, Arthur«, sagte er endlich, »okay. Besuchen wir Ihre Madame Irma.«

Das »Ihre Madame Irma« gefiel mir nicht, aber ich tat so, als merkte ich es nicht.

Irma hat ein sehr hübsches Haus mit Garten an der Straße nach Kifisia. Sie hat nie mehr als sechs Mädchen und wechselt sie alle paar Monate. Ihre Preise sind natürlich nicht niedrig, aber es ist alles sehr gut arrangiert. Die Besucher kommen und gehen durch verschiedene Türen, um peinliche Begegnungen zu vermeiden. Der Besucher bekommt nur Irma selbst, Kira, die den finanziellen Teil erledigt, und natürlich die Dame seiner Wahl zu Gesicht.

Harper schien beeindruckt. Ich sage »schien«, denn er war betont höflich zu Irma, als ich ihn vorstellte, und machte ihr Komplimente über ihr Haus. Irma selbst ist durchaus attraktiv und schätzt ansehnliche Kunden. Wie ich nicht anders erwartet hatte, gab es hier keine Einladung, dass ich an diesen Tisch mitkommen sollte. Als Irma ihm einen Drink anbot, warf er mir einen Blick zu und entließ mich mit einer Handbewegung.

»Bis später«, sagte er.

Nun war ich sicher, dass alles in Ordnung war. Ich ging zu Kira, um meine Prozente zu kassieren und ihr zu verraten, wie viel Geld er bei sich hatte. Das war kurz nach Mitternacht. Ich sagte, ich würde jetzt gehen und zu Abend essen. Sie erklärte, heute Nacht sei nicht sonderlich viel Betrieb und es hätte keine Eile.

Ich fuhr sofort zum Grande Bretagne, parkte den Wagen in einer Seitengasse, ging zur Bar hinüber und bestellte mir einen Drink. Sollte mich jemand sehen und sich später daran erinnern, dann war das eine gute Erklärung für meine Anwesenheit.

Ich trank aus, gab dem Ober ein gutes Trinkgeld und ging durchs Foyer zu den Aufzügen. Sie sind vollautomatisch; man bedient die Knöpfe selbst. Ich fuhr in den dritten Stock hinauf.

Harpers Suite lag über dem Innenhof, weg vom Lärm des Syntagmaios-Platzes. Die Türen waren von der Treppe aus nicht zu sehen.

Es war alles ganz leicht. Ich hatte meinen Dietrich wie immer in einem Seitenfach eines alten Geldbeutels versteckt; aber auch diesmal brauchte ich ihn nicht. Die meisten Suiten im älteren Trakt des Hotels können ohne Schlüssel von außen geöffnet werden, das heißt, wenn sie nicht eigens abgeschlossen wurden; das ist einfacher für Zimmerkellner mit Tabletts. Häufig nimmt sich das Zimmermädchen, das abends die Betten aufschlägt, nicht die Zeit, hinter sich abzuschließen. Warum auch? Die Griechen sind äußerst ehrliche Leute und sehr vertrauensselig.

Sein ganzes Gepäck war im Schlafzimmer. Ich hatte es bereits in den Händen gehabt, als ich es am Flughafen im Wagen verstaute, musste mir also um Fingerabdrücke keine Sorgen machen.

Zuerst nahm ich mir seine Aktentasche vor. Es waren viele Geschäftspapiere darin – sie bezogen sich auf eine Schweizer Gesellschaft mit Namen Tekelek, die Rechenmaschinen herstellte –, und ich beachtete sie nicht weiter. Dann fand ich eine Brieftasche mit Geld – Schweizer Franken, amerikanische Dollar und westdeutsche D-Mark – neben gelben Nummernzetteln über zweitausend Dollar in Reiseschecks. Mit den Nummernzetteln kann man bei Verlust der Schecks die Auszahlung stoppen lassen. Ich ließ das Geld, wo es war, und nahm die Nummernzettel. Die Schecks fand ich im Seitenfach eines Koffers. Fünfunddreißig Stück, jeder über fünfzig Dollar. Mit Vornamen hieß er Walter, der Zweitname begann mit K.

Es ist eine alte Erfahrung, dass die meisten Leute außerordentlich leichtsinnig sind im Umgang mit Reiseschecks. Nur weil ein Scheck von ihnen gegengezeichnet werden muss, bevor er eingelöst werden kann, glauben sie, kein anderer könne etwas damit anfangen. Aber jeder, der Augen im Kopf hat, kann eine Originalunterschrift kopieren. Eile, Hitze, ein anderer Stift, schlechte Schreibunterlage, wenn man stehend schreibt statt im Sitzen – es gibt wohl ein Dutzend verschiedener Gründe für kleine Abweichungen in der Zweitunterschrift. Sie wird von keinem Handschriftenexperten geprüft, jedenfalls nicht, wenn der Scheck eingelöst wird; und gewöhnlich will nur ein Bankkassierer einen Pass sehen.

Noch etwas: Bei Bargeld weiß man gewöhnlich, zumindest annähernd, wie viel man hat. Jedes Mal wenn man etwas bezahlt, wird die Erinnerung aufgefrischt; man kann sehen und greifen, was man hat. Nicht so bei Reiseschecks. Man sieht nur ein blaues Heftchen mit Schecks. Wie oft zählt man die Schecks nach, um sich davon zu überzeugen, dass sie noch alle da sind? Angenommen, einer würde den letzten Scheck aus einem Heft entfernen. Wann würde man entdecken, dass er verschwunden ist? Hundert zu eins, nicht eher, als bis alle vorhergehenden Schecks benutzt worden sind. Deshalb kann man nicht genau wissen, wann er entnommen wurde; und, wenn man auf Reisen ist, würde man wahrscheinlich nicht einmal wissen, wo. Und wenn man das Wann und Wo nicht weiß, wie in aller Welt sollte man schon auf das Wer kommen? In jedem Fall wäre es zu spät, die Auszahlung zu stoppen.

Leute, die Reiseschecks herumliegen lassen, verdienen es nicht besser.

Ich nahm bloß die sechs untersten Schecks aus dem Heft. Das waren dreihundert Dollar, und ihm blieben um die fünfzehnhundert. Ich finde immer, es ist ein Fehler, wenn man zu unverschämt wird.

Aber unglückseligerweise zögerte ich: Ich überlegte mir, ob er wirklich früher dahinterkommen würde, wenn ich mir noch zwei nahm. Und so stand ich also da wie ein Narr mit den Schecks in den Händen, als Harper ins Zimmer kam.

2

Ich war im Schlafzimmer, und er kam durchs Wohnzimmer. Er muss die Außentür unwahrscheinlich leise geöffnet haben, sonst hätte ich es gehört. Ich glaube, er hatte erwartet, mich dort zu finden. Dann war die ganze Sache eine gut gestellte Falle.

Ich stand am Fußende des Bettes, wegzulaufen war sinnlos. Einen Augenblick stand er nur da und grinste mich an.

»Sieh da, Arthur, Sie sollten doch auf mich warten, oder nicht?«

»Ich wollte gerade wieder hinfahren.« Wahrscheinlich eine dumme Antwort, aber was ich auch sagte, in der Situation hätte alles dumm geklungen.

Und dann schlug er mich plötzlich mit dem Handrücken ins Gesicht.

Es war, als hätte ich einen Tritt bekommen. Meine Brille fiel herunter, und ich taumelte gegen das Bett. Als ich schützend meine Arme hochhielt, schlug er mit der anderen Hand zu, und als ich in die Knie ging, zog er mich hoch und schlug immer weiter auf mich ein. Er war wie ein Wilder.

Ich ging wieder zu Boden, und diesmal ließ er mich liegen. Es rauschte mir in den Ohren, mein Kopf war am Zerspringen, und ich konnte nicht mehr richtig sehen. Meine Nase fing an zu bluten. Ich holte mein Taschentuch heraus, um mir nicht die ganzen Kleider mit Blut zu verschmieren. Ich tastete zwischen den Schecks, die auf dem Teppich lagen, nach meiner Brille. Ich fand sie schließlich. Sie war etwas verbogen, aber die Gläser waren noch ganz. Als ich sie aufsetzte, sah ich seine Schuhsohlen einen Meter vor meinem Gesicht.

Er saß im Sessel, zurückgelehnt, und beobachtete mich.

»Stehen Sie auf«, sagte er, »und passen Sie mit dem Blut auf, dass nichts auf den Teppich kommt.«

Als ich wieder auf die Füße kam, stand er schnell auf. Ich glaubte, er würde wieder auf mich einschlagen. Stattdessen packte er mich am Revers.

»Haben Sie einen Revolver?«

Ich schüttelte den Kopf.

Er tastete meine Taschen ab, wohl um sicherzugehen, und gab mir dann einen Stoß.

»Im Bad sind Papiertaschentücher«, sagte er. »Waschen Sie sich das Gesicht. Lassen Sie die Tür auf.«

Ich tat wie befohlen. Das Bad hatte ein Fenster; aber selbst wenn ich hätte fliehen können, ohne mir den Hals zu brechen, hätte ich es wohl nicht versucht. Wohin sollte ich auch fliehen? Wenn er zum Nachtportier hinuntertelefoniert hätte, wäre die Polizei innerhalb von fünf Minuten da gewesen. Die Tatsache, dass er nicht bereits telefoniert hatte, war immerhin schon etwas. Vielleicht wollte er als Ausländer nicht in eine Strafsache verwickelt werden. Schließlich hatte er keinen Verlust erlitten; und wenn ich kräftig auf Reue machte, vielleicht auch ein wenig heulte, bestand die Möglichkeit, dass er die Sache auf sich beruhen ließ; besonders, nachdem er mich so brutal zusammengeschlagen hatte. So etwa liefen meine Überlegungen.

Ich hätte es besser wissen müssen. Von einem Mann wie Harper kann man keinen Anstand erwarten.

Als ich aus dem Bad kam, sah ich, dass er das Scheckheft aufhob und in den Koffer zurücksteckte. Die Schecks, die ich herausgerissen hatte, lagen auf dem Bett. Er nahm sie und bedeutete mir, ins Wohnzimmer zu kommen.

Er ließ mich vorangehen und schloss die Tür hinter mir ab. An der Wand war eine Kommode mit einer Marmorplatte. Darauf stand ein Tablett mit einem Eiskübel, einer Brandyflasche und Gläsern. Er nahm ein Glas und blickte mich an.

»Setzen Sie sich hierher«, sagte er.

Der Stuhl, auf den er wies, stand vor einem Schreibtisch am Fenster. Ich befolgte seine Anweisungen; etwas anderes blieb mir auch gar nicht übrig. Meine Nase blutete noch immer, und ich hatte Kopfschmerzen.

Er kippte etwas Schnaps in ein Glas und stellte es auf den Tisch neben mir. Ein paar Sekunden lang fasste ich wieder Mut. Wenn man jemanden der Polizei übergeben will, lässt man ihn nicht zuerst Platz nehmen und bietet ihm etwas zu trinken an. Vielleicht entwickelte sich ein Gespräch von Mann zu Mann, und ich konnte ihm eine zu Herzen gehende Geschichte erzählen, während er ob seiner eigenen Großmut feuchte Augen bekam und mir noch eine Chance zu geben beschloss. Lange glaubte ich das nicht.

Er goss sich ein Glas ein und warf mir dann einen Blick zu, als er langsam einen Eiswürfel hineinfallen ließ.

»Das erste Mal, dass Sie dabei erwischt werden, Arthur?«

Ich schnäuzte mich vorsichtig, um das Blut in Fluss zu halten, ehe ich antwortete. »Das ist das erste Mal, dass ich in Versuchung geraten bin, Sir. Ich weiß nicht, was es war, vielleicht der Schnaps, den ich mit Ihnen getrunken habe. Ich bin nicht daran gewöhnt.«

Er drehte sich um und starrte mich an. Sein altersloses Gesicht war plötzlich weiß und verkniffen, und sein Mund zuckte ganz eigentümlich. Ich kenne solche Gesichter, und ich machte mich auf alles gefasst. Auf dem Schreibtisch neben mir stand eine Lampe mit Metallsockel. Ich überlegte mir, ob ich ihn damit vielleicht niederschlagen konnte, ehe er bei mir war.

Aber er bewegte sich nicht. Er blickte mit flackernden Augen auf die Tür zum Schlafzimmer und dann wieder auf mich.

»Etwas wollen wir doch lieber klarstellen, Arthur«, sagte er langsam. »Das eben war nur ein kleiner Vorgeschmack. Wenn ich Ernst mache, dann verlassen Sie das Zimmer auf der Tragbahre. Außer Ihnen kümmert das keinen Menschen. Ich kam in mein Zimmer und erwischte Sie beim Stehlen. Sie griffen mich an, und ich musste mich verteidigen. So wird das aussehen. Also schenken Sie sich das Geschwätz und die Lügen. Klar?«

»Tut mir leid, Sir.«

»Leeren Sie Ihre Taschen. Auf den Tisch dort.«

Ich tat wie befohlen.

Er sah sich alles an, meinen Führerschein, meine Aufenthaltserlaubnis. Natürlich fand er auch den Dietrich im Geldbeutel. Ich hatte den Stiel abgesägt und einen kleinen Schlitz hineingemacht, sodass ich ihn mit einer Münze umdrehen konnte, aber er war immer noch gut fünf Zentimeter lang und schwer. Das Gewicht war verräterisch. Neugierig betrachtete er ihn.

»Haben Sie den selbst gemacht?«

»Den Schlüssel nicht. Ich habe ihn nur abgeschnitten.« Jetzt noch zu lügen erschien mir sinnlos.

Er nickte. »Schon besser. Okay, fangen wir noch mal von vorn an. Fest steht, dass Sie als Schlepper arbeiten und bei Gelegenheit Reiseschecks aus Hotelzimmern klauen. Unterzeichnen Sie sie selbst?«

»Ja.«

»Also Urkundenfälschung. Ich frage noch mal: Sind Sie je zuvor schon erwischt worden?«

»Nein, Sir.«

»Sicher?«

»Ja.«

»Sind Sie vorbestraft?«

»Hier in Athen?«

»In Athen fangen wir an.«

Ich zögerte. »Meinen Sie Verkehrsvergehen?«

»Sie wissen, was ich meine. Hören Sie auf mit dem Drumherumgerede.«

Ich schnäuzte mich, und meine Nase begann wieder zu bluten. Er seufzte ungeduldig und warf mir ein paar Papierservietten von dem Tablett mit den Getränken zu.

»Ich war mir schon am Flughafen ziemlich klar über Sie«, fuhr er fort; »aber ich hielt Sie nicht für ganz so dumm. Warum mussten Sie dieser Kira erzählen, Sie hätten noch nicht zu Abend gegessen?«

Ich zuckte hilflos mit den Achseln. »Damit ich hierher konnte.«

»Warum haben Sie ihr nicht gesagt, Sie wollten den Wagen auftanken? Das hätte ich Ihnen vielleicht abgenommen.«

»Das schien mir nicht wichtig. Warum sollten Sie mich verdächtigen?«

Er lachte. »Junge, Junge! Ich weiß, was Ihr Wagen hier wert ist. Ich weiß, wie teuer das Benzin hier ist. Zu dem Preis, den Sie verlangen, könnten Sie es gar nicht machen. Okay, Sie bekommen Ihre Provision – im Restaurant, im Club und im Puff –, aber das kann nicht sehr viel sein, also muss es sonst noch etwas geben. Kira weiß es auch nicht, aber sie hat einen Verdacht, weil Sie bei ihr schon mehrfach Reiseschecks umgewechselt haben.«