Waffenschmuggel - Eric Ambler - E-Book

Waffenschmuggel E-Book

Eric Ambler

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  • Herausgeber: Atlantik
  • Kategorie: Krimi
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2018
Beschreibung

Im Malaysia der fünfziger Jahre, kurz vor der Unabhängigkeit des Landes, entdeckt der indische Sekretär Girija Krishnan ein verlassenes Waffenlager von besiegten Guerilla-Kämpfern. Sein Traum, eines Tages sein eigenes Unternehmen betreiben zu können, scheint plötzlich zum Greifen nahe. Der zwielichtige Geschäftsmann Tan Siow Ming soll ihm beim Verkauf der Waffen helfen und einen geeigneten Strohmann ausfindig machen, und auch die amerikanischen Touristen Dorothy und Greg Nilsen sind nur allzu gern bereit, ihrer langweiligen Kreuzfahrt zu entfliehen und sich in ein kleines Abenteuer zu stürzen. Doch der Sekretär macht sich nicht nur die Kommunisten und die Stadtverwaltung zum Feind, alles kommt ein wenig anders als geplant ...

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Seitenzahl: 372

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Eric Ambler

Waffenschmuggel

Roman

Aus dem Englischen von Tom Knoth

Atlantik

Erstes Kapitel

1

Dass eine Armeepatrouille weniger als eine Meile von seinem Bungalow entfernt einer Terroristenbande aufgelauert hatte, dass fünf Monate später Girija Krishnan, sein indischer Sekretär, ihm gemeldet hatte, von den Trockenplätzen seien drei Zeltplanen verschwunden, und dass drei Jahre danach irgendjemand von einem alten Roller, der einem seiner Kinder gehörte, die Räder abmontiert hatte – das war alles, was Mr. Wright, der Manager der Gummiplantage, jemals von der Angelegenheit erfuhr. Da es ihm nie in den Sinn kam, einen möglichen Zusammenhang zwischen diesen drei Vorkommnissen zu vermuten, musste er ihm auch verborgen bleiben. Es gab damals in Malaya wichtigere Dinge, über die man sich den Kopf zerbrach und die man sich zusammenzureimen versuchte. Gestohlene Zeltplanen und fehlende Räder an einem Kinderroller waren belanglose Rätsel. Und der erste Vorfall blieb nicht so sehr deswegen im Gedächtnis, weil er ungewöhnlich war, sondern vielmehr, weil er sich in so unmittelbarer Nähe abgespielt hatte.

Mr. und Mrs. Wright saßen gerade beim Frühstück, als sie die Schüsse hörten. Es fing mit ein paar Maschinengewehrsalven an und dauerte, die Pausen mitgerechnet, etwa zwei Minuten.

Der Lastwagen, der die Plantagenarbeiter zu ihren Arbeitsplätzen hinausbringen sollte, hatte das Lager noch nicht verlassen. Und obwohl es viel Geschrei und Aufregung gegeben hatte, war nur leichte Verwirrung und keine Panik entstanden. Noch bevor die Schüsse aufgehört hatten, waren die Stacheldrahtbarrikaden errichtet und die inneren Verteidigungsposten bezogen worden. Während der anhaltenden Stille, die dann eintrat, beruhigte Mrs. Wright die Hausangestellten und bestellte frischen Toast und Tee nach, damit sie und ihr Mann das Frühstück beenden konnten.

Um halb neun erschien die Patrouille: fünfzehn malaiische Infanteristen unter dem Kommando eines britischen Leutnants, sowie zwei Funker der Royal Air Force. Sie waren wochenlang im Dschungel gewesen und konnten damit rechnen, dass man ihnen nach dem heutigen Erfolg eine Ruhepause gönnen würde. Sie lachten und schwatzten, als sie den steilen Pfad zum Lager hinaufstapften.

Kurz nach ihrem Eintreffen wurde Girija zum Bungalow gerufen. Als er die Stufen zur Veranda hinaufging, sah er, dass der Offizier, auf dessen dschungelgrünes Buschhemd die Schwingen der Fallschirmjäger genäht waren, ein milchgesichtiger blauäugiger Engländer war. Mrs. Wright schenkte ihm eine Tasse Tee ein.

»Alles Chinesen. Sieht so aus, als hätten sie vorgehabt, die Hauptstraße zu verminen«, sagte er. »Wir haben die Bande gefasst.«

»Gut gemacht«, bemerkte Mr. Wright.

»Hätte besser sein können, Sir.« Der junge Offizier grinste. »Sind alle draufgegangen dabei. Tote kann man nicht nach ihren Verbündeten fragen.«

Mr. Wright lachte in sich hinein. Dann sah er seinen Sekretär draußen auf der Veranda warten und winkte ihn herein.

»Girija, hier ist Leutnant Haynes. Er hat gerade eine Bande von Terroristen erledigt. Ich habe ihm ein paar Männer zugesagt, die ihm beim Beerdigen helfen sollen. Wollen Sie das übernehmen?«

»Selbstverständlich, Sir.« Girija wandte sich mit einer leichten Verbeugung an den Offizier.

Leutnant Haynes lächelte leutselig. »Ich habe zwei Mann dort als Wache zurückgelassen«, sagte er. »Sie werden Ihren Leuten zur Hand gehen, wenn Sie ein paar Spaten mehr mitschicken. Ich glaube, der Boden ist ziemlich locker. Wird nicht lange dauern. Wenden Sie sich an meinen Sergeanten, damit er Ihnen einen Führer mitgibt.«

»Danke, Sir. Ich werde alles Nötige veranlassen.«

Das Lächeln des Offiziers wurde schwächer. »Schon viele tote Terroristen in dieser Gegend gesehen?«, fragte er.

»Nein, Sir. Hatte bisher noch nicht das Vergnügen.«

»Nun gut. Sehen Sie zu, dass Sie die Neuigkeit unter die Leute bringen.«

»Ich verstehe, Sir. Zwei Mann aus jedem Kampong?«

»Recht so. Und sagen Sie ihnen, sie würden noch viele Tote sehen, bevor wir uns geschlagen geben.«

Girija lächelte höflich und trat ab, um den Beerdigungstrupp zusammenzutrommeln.

Über die Hintergründe war er sich im klaren. Seit langem hatten die Behörden die Bewohner der umliegenden malaiischen Dörfer im Verdacht, dass sie den kommunistischen Guerillas Verpflegung und Unterkunft gewährten. Nicht dass die Dorfbewohner mit den Eindringlingen sympathisierten: aber jede Weigerung, ihnen zu helfen, konnte grausame Vergeltungsmaßnahmen nach sich ziehen, die sie mehr einschüchterten als die Möglichkeit, von den Engländern zu Geldbußen oder anderen Kollektivstrafen verurteilt zu werden. Sie waren kein kriegerisches Volk, ihre Dörfer lagen meist abseits; die britischen Streitkräfte waren dünn gesät. Zu oft schon war offiziell versichert worden, die Polizei und die Armee würden nun die Oberhand gewinnen und seien durchaus in der Lage, die abseits gelegenen Gebiete zu schützen, und zu oft hatten sich derartige Zusicherungen als falsch erwiesen. Die Dorfbewohner glaubten jetzt nur noch das, was sie mit eigenen Augen gesehen oder was ihre eigenen Leute zu berichten hatten. Tote Terroristen zählten nur, wenn ihre Leichen vorgezeigt wurden. Das Beerdigungsunternehmen war also eine Art moralischer Aufrüstung, ein Kunstgriff der Meinungssteuerung.

Girija machte den Vorarbeiter ausfindig und erklärte ihm, was benötigt wurde: je zwei Mann aus den vier benachbarten Dörfern sowie Hacken und Schaufeln. Dann ging er zu dem malaiischen Sergeanten und ließ sich einen Führer geben. Binnen zwanzig Minuten war die Gruppe zum Abmarsch bereit. Offensichtlich hatte der Vorarbeiter gehofft, mitkommen zu dürfen, aber Girija schickte ihn und die restlichen Leute mit dem Lastwagen zur Arbeitsstelle zurück. Er hatte beschlossen, die Leitung des Beerdigungskommandos selber zu übernehmen.

Die Kampfhandlung hatte in einem tiefen Graben stattgefunden, der vom Monsunregen aus dem roten Gestein des Hügelabhangs herausgewaschen worden war. An seinen Rändern wuchsen Bambusgestrüpp, Farnbäume und dichtes Krotonunterholz. Auf diesem unzugänglichen Hügelabhang war der Graben so etwas wie eine natürliche Straße und bot sich für einen Überfall aus dem Hinterhalt geradezu an.

Zehn Tote lagen dort; vier nur wenige Meter voneinander entfernt und die übrigen in Abständen von etwa fünfundzwanzig Metern über die ganze Länge des Grabens verteilt. Was sich abgespielt hatte, war offensichtlich. Die Patrouille hatte im Unterholz zu beiden Seiten des Grabens in Deckung gelegen und konnte direktes Feuer eröffnen, ohne dabei befürchten zu müssen, die eigenen Leute zu treffen oder den Feind unten im Graben zu verfehlen. Die Körperhaltung von einigen Toten ließ erahnen, dass die Betreffenden verzweifelt versucht hatten, blitzschnell hinter dem Wurzelwerk eines umgestürzten Baumes Deckung zu suchen. Einer war in den Rücken getroffen worden, als er davonrennen wollte. Der am weitesten abseits Liegende hatte noch versucht, das Feuer der Patrouille zu erwidern. Leere Patronenhülsen lagen um ihn verstreut; aber er war tot wie alle anderen. Die Patrouille hatte keine Verluste gehabt.

Die beiden malaiischen Soldaten, die als Wache zurückgeblieben waren, hockten vor einem Spirituskocher, rauchten und kochten Tee. Vom Beerdigungstrupp nahmen sie keine Notiz. Auf einer Zeltplane neben ihnen waren die Waffen und Ausrüstungsgegenstände aufgestapelt, die man den Toten abgenommen hatte: Maschinenpistolen, Kisten mit Munition und Straßenminen, Leinengürtel, in deren Taschen Granaten steckten.

Der Soldat, der das Beerdigungskommando vom Lager hergeführt hatte, gesellte sich zu seinen Kameraden. Girija wusste, dass sie nur dann beim Schaufeln mithelfen würden, wenn er ihnen sagte, dass Leutnant Haynes es so befohlen hatte; doch die Mühe sparte er sich. Als er sich kurz in dem Graben umsah, machte er zwei kleine Entdeckungen. Sie erweckten seine Neugierde und den Wunsch, mehr über die toten Terroristen zu erfahren. Er ließ das Beerdigungskommando mit der Arbeit anfangen und setzte sich in der Nähe auf die Erde.

Zunächst war ihm die Tatsache aufgefallen, dass keinerlei Kochgerät bei den Toten gefunden worden war, obwohl man sie durchsucht und ihnen alle Waffen und Ausrüstungsgegenstände abgenommen hatte. Man konnte also mit einiger Sicherheit annehmen, dass ihr Lager nicht weiter als einen Tagesmarsch entfernt war. Was wiederum darauf schließen ließ, dass sie wahrscheinlich von einem der vier Dörfer in der Umgebung der Plantage unterstützt wurden. Wenigstens zwei Männer des Begräbniskommandos mussten sie zumindest vom Sehen her kennen.

Die zweite Entdeckung bezog sich auf die Waffen und die übrigen Ausrüstungsgegenstände. Die Maschinenpistolen waren zweifellos neu; nicht unbedingt dem Typ nach neu, aber neu erworben. Sein Vater war Subahdar in der britischen Armee gewesen, und Girija hatte seine Kindheit in Kasernen und Mannschaftsquartieren verbracht. Er wusste, wie neue Waffen aussahen und wie schnell sie durch Gebrauch und regelmäßiges Reinigen eine Art Patina bekamen. Mindestens drei der Maschinenpistolen auf der Zeltplane konnten erst kürzlich ausgepackt worden sein; sie waren so wenig benutzt und gereinigt worden, dass an ihnen noch Spuren von braunem Schutzfett sichtbar waren. Ebenfalls neu waren die Munitionskisten, die Minen und die Granaten. Die Granaten waren zwar alten Typs, aber ihr grauer Farbanstrich war frisch, und die Schrauben blitzten vor Sauberkeit.

Der Graben wurde nur teilweise von den überhängenden Bäumen beschattet, und gegen elf Uhr schien die Sonne direkt hinein. Die Plantagenarbeiter waren Handwerker; sie verstanden sich darauf, die Gummibäume so vorsichtig anzuzapfen, dass sie nicht beschädigt wurden. Gräber schaufeln, und das auf einem Hügel, dessen Boden sich, entgegen den Zusicherungen von Leutnant Haynes, als steinhart erwies, war sichtlich nicht ihre Lieblingsbeschäftigung. Die Erregung über das Ereignis vom Morgen, über den Anblick von zehn blutigen Leichen, hatte sich schnell gelegt. Als das dritte Grab ausgehoben war, hatten die meisten Männer ihre gewohnt gute Stimmung verloren. Kritische Stimmen über die Soldaten wurden laut, die im Schatten hockten und Tee tranken, während die anderen den Dreck wegräumten, den sie verursacht hatten. Einige murrten vernehmlich, der Sekretär des Tuan könnte sich durchaus noch etwas beliebter machen, indem er selber eine Schaufel anpackte und sich an der Arbeit beteiligte.

Girija überging diese unwürdige Zumutung gleichmütig. Die Unzufriedenheit der Plantagenarbeiter interessierte ihn aus ganz anderen Gründen. Er war sich jetzt nahezu sicher, in welcher Gegend die Bande ihr Hauptquartier aufgeschlagen hatte. Nur zwei Männer des Begräbniskommandos waren unverändert guter Dinge geblieben. Im allgemeinen verstanden Malaien ihre Gefühle nur schlecht zu verbergen, und diesen beiden war die Befriedigung über den Gang der Ereignisse und die Art ihrer Tätigkeit anzumerken, obwohl sie sich alle Mühe gaben, eine finstere Miene zu zeigen wie die anderen. Girija sah sie eine der Leichen mit unmissverständlicher Genugtuung in das Erdloch werfen und sich dann schuldbewusst umblicken, weil sie einander zugegrinst hatten.

Die beiden Männer kamen aus Awang, einem Dorf, das drei Meilen weiter westlich an einem Fluss lag. Früher gab es dort in der Gegend Zinnbergwerke, aber die verminderte Ausbeute und die steigenden Kosten hatten die Minen unrentabel gemacht. Seitdem waren die wenigen Arbeitskräfte von Awang von den Gummiplantagen aufgesogen worden.

Ein paarmal war Girija im Dorf gewesen, um Krankengelder an Familien auszuzahlen, deren Männer im Hospital lagen; aber gut kannte er das Dorf nicht. Es lag am Ende einer Nebenstraße, die in den letzten Jahren so heruntergekommen war, dass man sie praktisch nur noch mit dem Fahrrad benutzen konnte. Hinter den alten Zinnbergwerken erstreckten sich die dschungelbedeckten Hügel bis hin zur Grenze nach Thailand. In dieser üppigen Wildnis konnten kleine Gruppen guttrainierter Männer, die sich körperlich und seelisch auf ihre Umgebung eingestellt hatten, sozusagen ungehindert leben und mobil bleiben. Es war damals ebenso wenig möglich, diese Gegend polizeilich zu kontrollieren, wie den Strom chinesischer Guerillakämpfer aufzuhalten, der vom Norden her in die Halbinsel eindrang. Dörfer wie Awang wurden zu Stützpunkten für Terroristengruppen, die sich vorsichtig nach Süden in die politisch gefährdeteren Gebiete von Selangor, Negri Sembilan, Malakka und Johore vorarbeiteten. Wahrscheinlich hatten die Männer, die jetzt verscharrt wurden, nicht weiter als eine Meile von Awang entfernt ihr Lager aufgeschlagen; heute Nacht wären sie dorthin zurückgekehrt, hätten Verpflegung empfangen, Nachrichten gesammelt, den Dorfältesten eingeschüchtert und Freiwillige geworben.

Girija ging zu den beiden Plantagenarbeitern hinüber und beobachtete sie beim Zuschaufeln des Grabes. Als er sich ihnen näherte, verstummten sie. Nach einer Weile trat er an sie heran.

»Eine gute Tagesleistung«, bemerkte er.

Sie blickten ihn misstrauisch an.

Er lächelte. »Das Vergangene begräbt sich selbst.«

Das bewirkte ein blödes Grinsen.

»Und ehrliche Leute sind wieder frei«, fügte er hinzu.

Sie arbeiteten weiter. Die Leiche war jetzt mit Erde bedeckt.

»Der Tuan war froh«, sagte Girija nachdenklich, »froh, dass keines dieser Schweine von hier ist. Für ihn war es ein Beweis für die Treue und den Mut unserer Leute.«

Wieder sahen sie ihn an. Einer der beiden brummte: »Der Tuan ist wie ein Vater zu uns.«

»Schade, dass der Tuan Leutnant nicht seiner Meinung ist«, fuhr Girija fort.

Sie sahen ihn bestürzt an.

Girija zuckte mit den Schultern. »Er sagte, dass die Bande erst kürzlich in diese Gegend gekommen sei. Er meinte, eine Woche sei zu kurz für einen Treuebeweis.«

Jetzt hatte er sie bei ihrer Ehre gepackt. Ihre Bestürzung wurde von Empörung abgelöst. Der, der schon vorher gesprochen hatte, ergriff jetzt wieder das Wort. »Der Tuan hat recht«, sagte er bestimmt. »Der Tuan Leutnant sagt nicht die Wahrheit.«

Wieder zuckte Girija mit den Schultern. »Es ist ja auch nicht wichtig.«

»Der Tuan Leutnant hat unrecht«, beharrte der Mann. »Es waren viele Wochen.«

Girija grunzte zustimmend.

»Viele Wochen«, wiederholte der andere Mann mit Nachdruck.

Girija streckte abwehrend die Hände aus. »Mich geht es nichts an. Vielleicht solltet ihr das dem Tuan Leutnant melden.« Er bemerkte die plötzliche Angst in ihren Augen und fuhr beschwichtigend fort: »Ich selbst halte es allerdings nicht für nötig oder angebracht. Die Schweine sind tot. Am besten, man redet nicht mehr davon.«

»Ja, ja. Das ist das Beste. Wir wollen es vergessen.«

Girija lächelte wohlwollend und ging weiter. Er wusste, dass sie ihm ängstlich nachblickten und sich fragten, ob er sie an den Leutnant verraten würde. Er hatte nicht die Absicht, das zu tun; aber es war sinnlos, sie beruhigen zu wollen; sie würden ihm doch nicht glauben. Sein Ziel hatte er jedenfalls erreicht, was er wissen wollte, hatte er herausgefunden.

2

Girija wurde in Cawnpore, United Provinces of India, geboren. Seine Eltern waren Bengalen. Er war der einzige Sohn und hatte fünf Schwestern. Als er sechs Jahre alt war, reiste sein Vater, der Subahdar, mit einer Abordnung seines Regiments nach London, um im Krönungszug von König George VI. mitzumarschieren. Während dieses Aufenthalts nahm der Subahdar an einer Stadtrundfahrt teil, bei der er den Tower, die Westminster-Abtei, das Parlamentsgebäude, das Britische Museum, den Gerichtshof, die Battersea-Elektrizitätswerke und aus unerfindlichen Gründen eine Fabrik in Acton zu sehen bekam, in der Autobuskarosserien hergestellt wurden. Beladen mit Souvenirs und voller ehrgeiziger Pläne für seinen Sohn kehrte er nach Indien zurück. Ganz besonders hatte ihn der Gerichtshof beeindruckt. Girija würde Rechtsanwalt werden oder zumindest Polizist.

Girija wurde weder das eine noch das andere. Der Subahdar fiel in der Schlacht von Alamein, und Girija verbrachte die nächsten drei Jahre in einem Militärwaisenhaus in Benares. Nach Kriegsende schrieb seine Mutter ihrem Bruder, der in Singapur eine Baumwollfirma hatte, ob er sie und die Kinder aufnehmen wollte, da sie von ihrer Witwenrente nicht leben könnten. Die Aussicht auf billige Arbeitskräfte veranlasste den Bruder, das Geld für die Passage sofort abzuschicken. Im Dezember 1946 reisten sie als Zwischendeckpassagiere von Kalkutta nach Singapur. Die Orden des Subahdars und die kostbaren Andenken an seine Reise nach London nahmen sie mit: den Krönungsbecher, die bunten Postkarten, die Zeitungsausschnitte und Fotografien, den Aschenbecher aus der Unteroffiziersmesse der Chelsea-Kaserne und den Katalog des Omnibuskarosserien-Fabrikanten.

Im letzten Jahr seiner Waisenhauszeit hatte Girija gelernt, im Geschäftsjargon Briefe zu schreiben, und war in Buchhaltung und Betriebsorganisation unterwiesen worden. Der Onkel in Singapur fand ihn brauchbar; so brauchbar, dass er nach drei Monaten seinen Buchhalter entließ, dem er vierzig Dollar (Straits) in der Woche gezahlt hatte, und durch Girija ersetzte, der nur zwanzig bekam. Girija war damals sechzehn Jahre alt. Er blieb zwei Jahre in Singapur. In dieser Zeit lernte er Malaiisch und ein paar Brocken Kantonesisch und schloss Freundschaft mit einem indischen Parsen, der im Büro eines chinesischen Finanzkonzerns arbeitete.

Kapitalknappheit, durch Internierung zerrütteter Gesundheitszustand oder auch nur allgemeine Hoffnungslosigkeit, die von den anfänglichen Erfolgen der Terroristen herrührte, veranlassten damals viele Engländer in Malaya, ihre Gummiplantagen zu verkaufen. Und das chinesische Syndikat kaufte. Von seinem indischen Freund, dem Parsen, erfuhr Girija, dass der neue Verwalter eines kürzlich erworbenen Grundstücks im Norden über das Büro in Singapur einen Sekretär angefordert hatte.

Der Onkel war sehr erzürnt über Girijas Entschluss, ihn zu verlassen. Er erging sich in dunklen Drohungen, ihn mit Hilfe eines gerichtlichen Zahlungsbefehls zur Erstattung der Passagekosten zu zwingen. Zu seiner Überraschung blieb der Bluff ohne Wirkung. Nicht nur, dass Girija, den er für einen nachgiebigen und etwas furchtsamen jungen Mann gehalten hatte, ihn laut auslachte und jeden Respekt vermissen ließ, er drohte auch noch, Mutter und Schwestern mit sich nach Norden zu nehmen, falls deren Bezahlung nicht sofort verdoppelt würde. Ein lautstarker bengalischer Familienstreit entbrannte, in dessen Verlauf Girija eine weitere und viel ernstere Drohung ausstieß. Er hatte insgeheim eine Aufstellung der Konten seines Onkels verfertigt und war nun entschlossen, sie dem Inspektor der Steuerbehörde zu schicken. Der Onkel heulte und redete von der Undankbarkeit seines Neffen, gab jedoch klein bei. Girijas Mutter umarmte den Sohn voller Stolz und erklärte, dass er sich seines Vaters würdig erwiesen habe.

Als die Zeit zur Abreise gekommen war, bat sich Girija jedoch von all den Sachen, die seinem Vater gehört hatten, nur eine einzige aus: den Katalog der Autobuskarosseriefabrik. Seine Schwestern waren erleichtert. Sie hatten befürchtet, dass er als Mann die Orden des Subahdars beanspruchen würde.

Der Katalog war ein Buch im Quartformat, dessen brauner Deckel in erhabenen grünen Lettern den Namen des Fabrikanten trug. Der Band enthielt achtundvierzig Seiten aus satiniertem glänzenden Papier, auf denen, neben den farbigen Abbildungen ihrer Außen- und Innenansichten, zwanzig verschiedene Bustypen aufgeführt und bis ins Einzelne beschrieben waren. Es gab Doppeldeck- und Eindeckbusse; Busse, in denen der Fahrer selbst kassierte, und Busse, die einen Schaffner erforderten. Es gab Zwölf-, Vierundzwanzig- und Sechzigsitzer; Busse für den Überlandverkehr und Busse für den Stadtverkehr, für kalte und für warme Gegenden. Der Einband hatte Eselsohren bekommen, und vom vielen Umblättern hatten sich ein paar Seiten gelöst. Ein Tintenklecks verunzierte die Titelseite. Der Katalog war Girijas kostbarster Besitz.

Als kleiner Junge hatte er stundenlang darin geblättert, die Abbildungen betrachtet und den Text wieder und wieder gelesen, bis er ihn schließlich auswendig kannte. Im Waisenhaus, getrennt von Mutter und Katalog, hatte er Trost darin gefunden, dass er sich den Text vorsprach. Er fing an mit dem Vorwort des Vorsitzenden des Aufsichtsrates:

»Indem wir diese, die achtzehnte Ausgabe unseres Katalogs mit, wie ich glaube, berechtigtem Stolz unseren Kunden in aller Welt vorlegen, sind wir uns bewusst, dass …«, und endete mit der genauen Beschreibung eines vierzigsitzigen Mittelstreckenbusses (erhältlich auf A.E.C. oder Commer-Chassis), »wie er auch der argentinischen Regierung geliefert wurde. Preis8586 Pfund, f.o.b. London«.

Eines Tages hatte er in Benares einen neuen Bus gesehen, in dem er eine Abwandlung eines der im Katalog aufgeführten Typen zu erkennen glaubte. Der Bus war gerade im Anfahren, und Girija musste fast eine halbe Meile laufen, ehe er ihn an der nächsten Haltestelle einholen konnte. Noch außer Atem suchte er nach dem Firmenschild des Karosserieherstellers. Als er es endlich entdeckte, war der Bus schon wieder im Anfahren. Girija erfasste eine Welle freudiger Erregung; es war das richtige Firmenschild gewesen. Von diesem Augenblick an wusste er genau, was er auf dieser Welt tun wollte. Er würde einen Autobusdienst betreiben.

Auf dem Geschäftspapier seines Onkels schrieb er von Singapur aus seinen ersten Brief an den Karosseriehersteller. Seit einiger Zeit war er sich bewusst geworden, dass der Originalkatalog aus London, so teuer er ihm war und immer bleiben würde, inzwischen längst veraltet sein musste. Dennoch fiel es ihm nicht leicht, die neueste Ausgabe zu bestellen. Aus irgendwelchen ihm selbst unerfindlichen Gründen kam es ihm wie Verrat vor.

Das Eintreffen des Katalogs bereitete ihm dann Sorgen anderer Art. Der Katalog selbst war großartig; aber unglücklicherweise war er mit einem höflichen Schreiben des Verkaufsmanagers übersandt worden, der ihm darin mitteilte, dass der Fernostvertreter der Firma, Mr. W.W. Belden, demnächst in Singapur eintreffen würde, um den Bedarf seines Omnibusparks an Ort und Stelle persönlich mit ihm durchzusprechen. Wochenlang war Girija voller Angst vor Mr. Beldens drohender Ankunft ins Büro seines Onkels gegangen und hatte sich vor den beschämenden Szenen gefürchtet, die sich abspielen mussten, sobald die Wahrheit herauskam. Aber Mr. Belden war niemals eingetroffen, und nach einer gewissen Zeit hatte Girija den einzig richtigen Schluss daraus gezogen. Mr. Belden musste sich über die Finanzlage seines Kunden informiert und beschlossen haben, keine Zeit an ihn zu verschwenden.

Seine Vorsicht war verständlich. Der billigste Vierundzwanzigsitzer kostete zur Zeit mehr als 3000 Pfund; also fast doppelt so viel wie der billigste Bus, der im Katalog von 1937 aufgeführt war. Eines aber hatte Girija im neuen Katalog besonders interessiert: der Auszug aus einem Artikel, der einer Fachzeitschrift für Straßenverkehrsmittel entnommen war. Er fand heraus, dass die Zeitschrift in Singapur erhältlich war, und wurde Abonnent. Diese Lektüre machte ihn mit den wirtschaftlichen Problemen öffentlicher Verkehrsbetriebe vertraut. Als er die Stellung bei Mr. Wright antrat, hatte er bereits eine recht klare Vorstellung von der Möglichkeit, seinen Traum zu verwirklichen. Falls er sich nicht ein Betriebskapital von mindestens zwanzigtausend Dollar (Straits) verschaffte, waren seine Chancen, einen Überlandbusverkehr in bescheidenem Umfang aufnehmen zu können, gleich Null.

3

Girija wohnte auf der Plantage in einem Einzimmer-Atap-Haus, das ihm von einem der im Wright’schen Haushalt beschäftigten Diener sauber gehalten wurde. In dem etwa sechs Meilen entfernten Dorf lebten indische Familien, die seiner eigenen Kaste angehörten; sonntags radelte er zum Frühstück hinüber. In einer der Familien gab es eine hübsche Tochter – Sumitra –, die er eines Tages zu heiraten gedachte. In der Woche jedoch zwang ihn das Ausgehverbot, zu Hause zu bleiben, und dort bereitete er sich seine Mahlzeiten selbst. Manchmal ging er nach dem Abendessen ins Büro zurück, um vor dem Zubettgehen noch etwas zu arbeiten; an anderen Abenden stellte er Radio Malaya an, las und träumte.

An dem Abend nach dem Überfall blieb er abends länger im Büro, um die Zeit, die ihn das Begräbniskommando gekostet hatte, wieder aufzuholen. Am nächsten Morgen würde er mit Mr. Wright zur Bank nach Bukit Amphu fahren, um den Scheck für die Wochenlöhne einzulösen, und er hatte die Kontrollkarten noch nicht fertig ausgefüllt.

Diese Arbeit erforderte Sorgfalt und Konzentration, und er war froh darüber, denn so wurde der Augenblick hinausgeschoben, in dem sich jene gefährlichen Gedanken wieder einstellen würden, die ihm am Morgen gekommen waren.

Was er selbst am Ort der Kampfhandlung beobachtet hatte und was er sich von den beiden Plantagenarbeitern hatte erzählen lassen, versetzte ihn in die Lage, sich ein einigermaßen zutreffendes Bild von den letzten Tagen der toten Männer zu machen.

Sie waren erst kürzlich aus dem Norden hierhergekommen und noch ziemlich unerfahren gewesen. Davon war er überzeugt. Allein schon die Tatsache, dass sie den bequemen Weg durch das ausgetrocknete Flusstal benutzt hatten, bewies es. Zugegeben, sie hatten eine Menge zu schleppen gehabt, aber das entschuldigte noch nicht ihre Unvorsichtigkeit. In einer Gegend, wo britische Patrouillen aus der Luft versorgt wurden – ein Umstand, der ihnen kaum verborgen geblieben sein konnte –, hatten sie es nicht einmal für nötig befunden, Späher auszusenden, um den Weg zu erkunden; sie waren geschlossen in die Falle marschiert.

Der Leutnant meinte, sie seien unterwegs gewesen, um die Hauptstraße zu verminen. Girija war anderer Ansicht. Die Munitionsmengen, die sie mit sich führten, standen zu einem solchen Unternehmen in gar keinem Verhältnis. Und wenn sie sich tatsächlich so weit von ihrem Stützpunkt entfernt hätten, wie sollte man sich dann das Fehlen von Kochgerät und Verpflegung erklären? Dafür konnte es, Girijas Meinung nach, nur eine einzige Erklärung geben: Was die Patrouille des Leutnants da abgefangen hatte, musste eine Nachschubkolonne gewesen sein, die unterwegs war, um weiter südlich operierende Banden mit Minen und Munition zu versorgen.

Als Girija an diesem Punkt seiner Überlegungen angekommen war, begann sein Herz schneller zu schlagen, und er spürte ein unangenehmes Gefühl in der Magengrube. Wenn seine Vermutungen zutrafen, dann konnte das nur eines bedeuten: Der Stützpunkt bei Awang war ein Waffenlager der Partisanen.

Er beendete seine Arbeit, schloss das Büro ab und ging langsam über den Hof zu seinem Haus zurück. Es war eine warme, feuchte Nacht. Er zog Hemd und Khakishorts aus, wusch sich sorgfältig von Kopf bis Fuß und zog dann einen Dhoti an. In einem eisernen Kochtopf stand Linsensuppe bereit. Er steckte den Ölbrenner an, stellte den Topf darauf, setzte sich hin und wartete.

Was ihn beunruhigt hatte, war eigentlich nicht so sehr der Inhalt seiner Gedanken gewesen, sondern vielmehr die Art und Weise, wie sie ihm gekommen waren. Girija hielt sich weder für grundehrlich noch für sonderlich unehrlich, für unbestechlich oder korrupt, für gesetzestreu oder pflichtvergessen. Seine Vorstellung von sich selbst ließ sich nicht in derartige Begriffe pressen. Bisher hatte er noch jede seiner Schwierigkeiten dadurch meistern können, dass er sie als eine einfache Frage der Entscheidung zwischen zwei Möglichkeiten auffasste. Entscheidung A wäre klug (vorteilhaft). Entscheidung B töricht (unvorteilhaft). Es war eine beunruhigende Entdeckung gewesen, dass er sich in Gedanken eifrig mit der Möglichkeit befassen konnte, ein schweres Verbrechen zu begehen, und sich dabei erst reichlich spät – und widerwillig – des dornigen Tugendpfades entsann.

Denn um ein schweres Verbrechen würde es sich zweifellos handeln.

Er hatte von den versteckten Waffenlagern gehört. Man wusste, dass die Waffen von berufsmäßigen Schmugglern hereingebracht wurden, die von jenseits der thailändischen Grenze operierten und andere Wege benutzten als die Partisanen. Mehrere solcher Lieferungen waren abgefangen worden. Aber es wurde allgemein angenommen, dass eine weitaus größere Anzahl jedes Mal durchkam. Terroristen, die man weit im Süden, in der Gegend von Kuala Lumpur, gefangen genommen hatte, waren im Besitz ansehnlicher Mengen von Waffen, Munition und Sprengkörper gewesen, vom gleichen Muster wie die im Norden erbeuteten. Man sagte, es gebe in ganz Malaya nicht genug Truppen, um die Grenze nach Thailand wirksam abzuschirmen.

Kurz bevor das Beerdigungskommando an jenem Vormittag seine Arbeit beendet hatte, waren der malaiische Sergeant und vier weitere Soldaten eingetroffen. Sie trugen Bambusstangen, an denen Kisten hingen. Die Munition und die Granaten wurden in die Kisten gepackt und zur Plantage geschafft. Während sie die Maschinenpistolen einsammelten, hatte Girija dem Sergeanten eine Frage gestellt.

Der Sergeant hatte auf die Maschinenpistole, die er in seinen Händen hielt, hinuntergeblickt und mit den Schultern gezuckt. »Woher soll ich wissen, was sie kosten?«

»Aber wissen Sie denn nicht, wie viel Ihre eigene kostet, Sergeant? Nehmen wir an, einer von Ihren Leuten hätte eine verloren.«

»Er käme vors Kriegsgericht.«

»Aber sicherlich würde man ihm doch den Sold kürzen?«

»O ja. Um zweihundert Dollar vielleicht.«

»So viel?«

»Maschinenpistolen wachsen schließlich nicht auf Bäumen.«

Der Sergeant war fortgegangen. Girija hatte sich umgedreht und die Reihe der Gräber überblickt. Jeder der Toten hatte eine Maschinenpistole gehabt; und Munition war nicht billig. Was die zehn Männer geschleppt hatten, mochte gut und gern dreitausend Dollar wert sein. Es müsste interessant sein zu erfahren, wie viel mehr es dort, woher sie gekommen waren, noch von dem Zeug gab.

Die Suppe fing an zu blubbern. Er goss sie in eine Schüssel, und als sie ein wenig abgekühlt war, begann er zu essen.

Auf illegalen Waffenbesitz stand Todesstrafe. Ob bereits das Wissen von der Herkunft geschmuggelter Waffen als gleichbedeutend mit deren Besitz galt und ob die Verheimlichung solchen Wissens die gleiche Strafe nach sich zog, wusste er nicht. Eines war klar: Der illegale Verkauf geschmuggelter Waffen war zweifellos eine Sache, für die man aufgeknüpft wurde; ganz gewiss jedenfalls, solange die Notstandsgesetze in Kraft blieben. Am besten ginge er unverzüglich zu Mr. Wright und schenkte ihm reinen Wein ein.

Aber worüber sollte er ihm eigentlich reinen Wein einschenken? Denn er wusste ja gar nichts von einem Waffenlager. Er glaubte nur, dass es eines gäbe. Aber wo genau? Wenn seine Überlegungen zutrafen, dann befand sich das versteckte Waffenlager irgendwo in einem Dschungelgebiet von mindestens drei Quadratmeilen. Durchaus möglich, dass es unauffindbar blieb. Mr. Wright würde ihm für eine erfolglose Suchaktion nicht dankbar sein. Und die Polizei ebenfalls nicht. Und wenn es dann eines Tages für ihn so weit wäre, die Konzession für einen örtlichen Omnibusdienst zu beantragen, dann könnte ihnen wieder einfallen, welchen Ärger er verursacht hatte, und das würde sie gegen ihn einnehmen. Nein. Das Beste war, gar nichts zu unternehmen.

Er aß seine Suppe und fühlte sich besser. Er war wieder ein unbescholtener Mann, der friedlich sein Abendessen verdaute. Was sollte er mit geschmuggelten Waffen anfangen? Würde er sie jemals verkaufen können? Natürlich nicht. Wer sollte sie denn kaufen? Und angenommen, andere wüssten von dem Waffenlager – wenn es ein solches gab. Zehn Mann waren getötet worden; aber angenommen, es wären einige Mitglieder der Terroristenbande dort zurückgeblieben. Es konnte höchst gefährlich sein, die Gegend nach dem Lager abzusuchen. Abgesehen davon bestand die Möglichkeit, dass der eine oder andere der Männer, die in Awang lebten, schon wusste, wo es sich befand. Sehr wahrscheinlich war das allerdings nicht; die Guerillas hatten ihre unfreiwilligen Gastgeber schwerlich ins Vertrauen gezogen; aber irgendjemand konnte es zufällig entdeckt haben. Natürlich würde niemand aus dem Dorf den Mut haben, die Polizei zu informieren; jedenfalls nicht sofort. Es müsste erst eine angemessene Zeit verstreichen, bevor das Versteck ›zufällig‹ entdeckt werden könnte. Wahrscheinlich wurde es einfach wieder vergessen. Und das sollte er vielleicht auch tun: die Geschichte vergessen. Schließlich konnte er später wieder darauf zurückkommen, wann immer es ihm passte.

In einer Ecke des Zimmers stand ein Metallkoffer. Er bewahrte seine Kataloge und Fachmagazine darin auf und den Fahrplan für einen geplanten täglichen Busdienst, der zehn der wichtigsten Gummiplantagen des Distrikts mit dem sechzehn Meilen entfernten Bukit Amphu verbinden sollte. Er nahm den Fahrplan heraus, überlas ihn aufmerksam und begann, die eine oder andere lange bedachte Änderung einzutragen.

4

Ein Monat verging, bevor Girija irgendetwas unternahm, um das Waffenlager ausfindig zu machen.

Im Distrikt war keine besondere Patrouillentätigkeit gemeldet worden, und die Guerillaüberfälle in der Provinz hatten sich auf näher an der Küste gelegene Gebiete konzentriert. Girija hatte die Männer von Awang wachsam im Auge behalten und nichts Ungewöhnliches an ihrem Verhalten bemerken können. Aber mit dieser Beruhigung kamen neue Zweifel. Wenn kein Waffenlager entdeckt worden war, dann womöglich aus dem einfachen Grunde, weil es keines gab.

Tatsächlich war es die wachsende Überzeugung, sich geirrt zu haben, die ihm den Mut zu allem Weiteren gab. Wo es nichts zu finden gab, sagte er sich, konnte das Suchen auch nicht strafbar sein.

Um den ersten Teil seines Planes auszuführen, musste er sich einen plausiblen Vorwand ausdenken, der es ihm erlaubte, wiederholt in die Gegend von Awang zu fahren. Das Dorf selbst würde er umgehen können, aber er musste die Straße dahin eine Meile oder länger benutzen. Unvermeidlich, dass er dabei Männern begegnete, die ihn kannten und die schwätzen oder ihn ausfragen würden. Zunächst erschien diese Schwierigkeit unüberwindlich; aber schließlich kam ihm ein Einfall.

Der Latex, den die Plantage produzierte, wurde mit Lastwagen dreißig Meilen nach Süden zum Hafen Kuala Pangkalan transportiert und ging von dort per Schiff nach Singapur. Seitdem der Ausnahmezustand herrschte, mussten die Lastwagen, die von der Küste heraufkamen, von Panzerfahrzeugen begleitet werden und konnten daher die Fahrt nicht mehr so häufig machen. Mr. Wright hatte schon seit einiger Zeit davon gesprochen, dass zusätzliche Lagerschuppen gebraucht würden, und deswegen auch schon mit Singapur korrespondiert. Das Büro in Singapur hatte gezögert, die Ausgabe zu bewilligen. Girijas Idee war, die neuen Schuppen zum Vorwand für seine Fahrten nach Awang zu nehmen.

In der Nähe der stillgelegten Zinnbergwerke gab es eine Anzahl verfallener Wellblechhütten, die früher als Büros, Lagerräume und Reparaturwerkstätten gedient hatten. Girija schrieb an die Zentralverwaltung der Bergwerksgesellschaft in Kota Bharu und bat um die Erlaubnis, das verlassene Werkgelände zu besichtigen, wobei er durchblicken ließ, dass man für das Baumaterial der Hütten ein Kaufangebot machen würde.

Mr. Wright sagte er nichts davon. Und sollte Mr. Wright etwas zu Ohren kommen, so wäre das auch nicht weiter schlimm. Mr. Wright würde ihm sogar anerkennend auf die Schulter klopfen, weil er aus eigener Initiative und mit so viel Eifer versucht hatte, das Problem der fehlenden Lagerräume zu lösen. Aber Mr. Wright würde ihm auch etwas sagen, was er schon wusste: dass nämlich die rostzerfressenen Wellblechhütten der Bergwerksgesellschaft nicht einmal ihre Abbruchkosten wert wären und dass ihre Besichtigung Zeitverschwendung sei.

Die Bergwerksgesellschaft antwortete mit verständlicher Begeisterung, Mr. Krishnan habe uneingeschränkte Erlaubnis, die Anlagen jederzeit zu besichtigen. Das war alles, was er brauchte. Die Leute, die ihm dort begegneten, würden niemals herausbekommen, wie viele Besichtigungen er schon gemacht hatte und wie viele noch erforderlich wären. Man würde annehmen, er handle auf Anweisung von Mr. Wright. Und sollte es hart auf hart gehen, dann konnte er immer noch den Brief vorzeigen.

Am nächsten Sonntag radelte er nach Awang. Unmittelbar vor dem Dorf bog er in einen überwachsenen Pfad ein, der von der Straße fort und zum Gelände der Bergwerksgesellschaft führte. Er begegnete niemandem.

Erdverschiebungen hatten in der Flussbiegung ein Gebiet von etwa zwanzig Hektar freigelegt. Kein fruchtbarer Boden war geblieben, auf dem der Dschungel hätte nachwachsen können, und unter einer dünnen Schicht von Unterholz und Unkaut waren immer noch die braunen, vom Schürfen herrührenden Schrunden sichtbar. Girija ging am Ufer entlang zu den Überresten eines Gebäudes, das einmal eine große Kreiselpumpe beherbergt hatte, und gab sich den Anschein, als ob er das Gebäude besichtige und sich dabei Notizen mache. Dies geschah für den Fall, dass irgendjemand ihn gesehen hatte und ihn vom anderen Flussufer aus beobachtete. Nach ein paar Minuten entfernte er sich; er bemühte sich, nicht ins Sichtfeld des jenseitigen Ufers zu geraten, bis er hinter ein paar Bäumen Deckung fand.

Er hatte die Schwierigkeiten, die das Absuchen der Gegend mit sich brachte, lange und sorgfältig bedacht. Die einzige detaillierte Landkarte, die er normalerweise hätte einsehen können, war ein Tischblatt, auf dem die Grenzen der Plantage eingezeichnet waren. Unglücklicherweise waren zum damaligen Zeitpunkt die Ausgabe und Aufbewahrung solcher Karten an strikte Sicherheitsvorschriften gebunden; und so musste sie in Mr. Wrights persönlichem Safe verwahrt werden. Girija war gezwungen, sich auf seine nicht allzu deutliche Erinnerung an die Karte zu verlassen.

Das Bild, das ihm vor Augen stand, zeigte drei parallel verlaufende Hügelketten mit enggezogenen Höhenlinien, die wie Stufen aussahen. Das bedeutete – er wusste es –, dass die Abhänge steil waren und tiefe Schluchten zwischen den Bergketten lagen. Als Orientierungshilfe war das nicht gerade viel, aber doch immerhin mehr als nichts. Selbst unerfahrene Männer, so glaubte er, würden nicht ausgerechnet eine Schlucht zum Stützpunkt ausbauen, ebensowenig wie sie sich den Gipfel eines Bergrückens aussuchen würden. Insofern waren die abzusuchenden Gebiete begrenzt. Und noch einen weiteren Umstand galt es zu bedenken. Selbst wenn sie nur kleine Mengen von Waffen und Munition zu lagern gehabt haben sollten, würden sie doch versucht haben, dafür einen einigermaßen wettergeschützten Platz zu finden. Dass es dort Höhlen gab, hielt er für unwahrscheinlich; aber an den steileren Hängen mussten während der Monsunzeiten, wenn größere Bäume entwurzelt wurden, tiefe Löcher entstanden sein. Derartige Löcher ließen sich mit Leichtigkeit in Unterstände verwandeln. Alles in allem schien es am vernünftigsten zu sein, mit der Suche bei den oberen Hängen anzufangen.

Das versuchte er zu tun. Und beinahe wäre dieser erste Sonntagsausflug auch der letzte gewesen. Er brauchte eine Stunde, um dreihundert Meter am Hang des ersten Bergrückens hinaufzuklettern. Seine Kleidung wurde zerrissen, seine Haut an Armen und Beinen zerkratzt, und am Ende war er völlig erledigt. Zudem bekam er es mit der Angst zu tun. Wenn ihn jetzt ein patrouillierender Polizist nach der Ursache seiner Schrammen und Kratzer befragen sollte, müsste er sich sehr anstrengen, um eine überzeugende Ausrede zu erfinden.

Er schaffte es, ungesehen in sein Haus zurückzukehren. Aber der Ausflug hatte ihn viel Nerven gekostet, und er beschloss, das ganze Vorhaben aufzugeben. Mehrere Tage blieb er seinem Vorsatz treu. Dann, als die Schrammen an seinen Armen und Beinen heilten, begann er erneut über die Sache nachzudenken. Keiner der getöteten Männer hatte Kratzer an Armen und Beinen gehabt. Das bedeutete, dass ein bequemer Weg zu ihrem Versteck führte. Der Reiz dieser Folgerung stellte seine Zuversicht wieder her.

Beim nächsten Mal versuchte er nicht mehr, den Dschungel zu durchdringen. Stattdessen arbeitete er sich am Rand entlang vor und hielt Ausschau nach gangbaren Pfaden ins Innere. Er entdeckte mehrere und merkte sie sich für später.

Am folgenden Sonntag begann er mit einer systematischen Suche. Er hatte aus seinem anfänglichen Irrtum viel gelernt. Wurde der Weg allzu beschwerlich, dann versuchte er nicht, auf Biegen und Brechen weiterzukommen, sondern ging zurück und suchte einen anderen Pfad, der die Stelle umging. Es war ihm inzwischen klar geworden, dass er nicht hoffen konnte, jemals das ganze Gebiet auch nur annähernd zu durchkämmen. Aber er hatte eine philosophische Gelassenheit entwickelt; die Suche war eine Art Spiel für ihn geworden, und obschon er nicht mehr damit rechnete, das Spiel zu gewinnen, war er noch nicht bereit, klein beizugeben.

Acht Wochen später fühlte er sich zum ersten Mal ermutigt. Entlang eines Hügelabhangs war er einem ausgetrockneten Flussbett eine weite Strecke stromaufwärts gefolgt. Zu beiden Seiten wuchs jene Art Rohrdickicht, die er inzwischen zu meiden gelernt hatte. Es war zwecklos, sich hindurchschlagen zu wollen. Man konnte das Dickicht nur umgehen; und häufig bedeckte es ausgedehnte Flächen. Als dann das Flussbett scharf nach links bog, blieb er stehen. Stücke von Bambusrohr lagen umher. Sein erster Gedanke war, irgendein Tier, das auf der Suche nach Nahrung zwischen den Wurzeln gewühlt hatte, müsste sie abgebrochen haben. Dann sah er, dass sie abgeschnitten worden waren.

Er stutzte und blieb einen Augenblick reglos stehen. Die Kerben auf dem Bambusrohr ließen keine Täuschung zu. Sie waren mit einer Messerklinge geschnitten worden. Er untersuchte den Rand des Dickichts sorgfältig. In einer Breite von etwa einem halben Meter war das Unterholz dünner und grüner, und in der Nähe des Bodens entdeckte er inmitten junger Triebe kurze Stümpfe von älterem Gestrüpp. Irgendwann vor noch nicht allzu langer Zeit hatte hier jemand einen Pfad geschlagen.

Es war spät geworden, und er hatte sich mehr als anderthalb Meilen von den Zinngruben entfernt und auch von dem Schuppen, in dem er sein Fahrrad zurückgelassen hatte. Er beschloss, die weitere Untersuchung bis zum nächsten Sonntag aufzuschieben. Unter dem Vorwand, eine Bestandsliste aufnehmen zu müssen, ging er in der Woche zum Werkzeugmagazin, lieh sich einen der sogenannten Parangs aus, ein langes Hackmesser, das von den Plantagenarbeitern zum Ausschneiden von Gestrüpp und Unterholz benutzt wurde, und versteckte ihn in seinem Zimmer. Am Sonntagmorgen wickelte er den Parang in Zeitungspapier, band ihn an die Lenkstange seines Rades und fuhr in aller Frühe nach Awang.

Er fand den Weg zum Rohrdickicht problemlos wieder und begann unverzüglich, sich mit dem Parang einen Pfad hindurchzuschlagen. Die neuen Triebe waren noch recht zart, und er kam gut voran. Er hatte keine Angst, etwa überlebenden Mitgliedern der Bande zu begegnen. Wenn dies tatsächlich der Weg zu ihrem Lager sein sollte, war er seit Monaten nicht benutzt worden.

Der Pfad führte bergauf. Nachdem er etwa fünfzehn Meter gegangen war, lichtete sich das Unterholz, und er fand sich auf einem flachen Vorsprung, von dem aus er auf das Flussbett hinabsehen konnte. Auf dem Boden waren ein paar Äste zu einer Art Sitzgelegenheit zusammengestellt. Es sah aus, als habe der Vorsprung als Ausguck gedient, von dem aus ein Posten den Zugang längs des Flussbettes überblicken konnte. Ein ausgetretener Pfad führte rechts weiter. Mit pochendem Herzen folgte er ihm.

Das Lager befand sich auf einer Lichtung, die durch überhängende Äste eines großen Baumes vor Sonne und Fliegereinsicht geschützt war. Vor Girija waren die Dschungelaffen bereits hier gewesen. Kleidungsstücke waren zerrissen worden und lagen über die Lichtung verstreut zwischen Kochgeschirr und leeren Reistüten herum. Eine Metallkiste war das Einzige, was ihrer Aufmerksamkeit entgangen zu sein schien. Sie war mit Flugblättern vollgepackt, die in chinesischer und malaiischer Sprache verfasst waren und die Bevölkerung von Malaya aufforderten, sich gegen die imperialistischen Ausbeuter zu erheben und eine Volksdemokratie zu gründen.

Es gab noch einen weiteren Pfad, der von der Lichtung hinunterführte, und Girija folgte ihm. Etwa zwölf Meter weiter unten war eine Grube ausgehoben worden, die sie als Latrine benutzt hatten. Er ging langsam zur Lichtung zurück. Während der langen Suche nach dem Lagerplatz hatten sich seine Zweifel verflüchtigt. Jetzt waren sie wieder da, und er bekam die Bitterkeit der Niederlage zu spüren. Leutnant Haynes hatte recht gehabt. Er, Girija, hatte sich geirrt. Sonntag auf Sonntag hatte er die Freuden des gemeinsamen Frühstücks bei seiner zukünftigen Schwiegermutter und die sanften Blicke Sumitras gegen sinnlose Streifzüge durch den Dschungel eingetauscht, um einer Illusion nachzujagen. Es gab kein geheimes Waffenlager; es hatte nie eines gegeben.

Er war schon im Begriff umzukehren, als sein Fuß gegen etwas stieß; es klirrte. Er blickte nach unten. Auf dem Boden lag eine Patronenhülse aus Messing. Als er sich bückte, um sie aufzuheben, sah er noch eine. Einen Augenblick später hatte er drei weitere gefunden. Verdutzt starrte er auf die Messinghülsen. Sie waren vom Kaliber 0,303. Er suchte den Boden noch einmal ab und fand, wonach er Ausschau gehalten hatte: den Ladestreifen, der die fünf Patronen enthalten hatte.

Es gab keinerlei Zweifel. Hier war ein Gewehr vom Kaliber 0,303 abgefeuert worden. Am Ort der Kampfhandlung hatte man aber kein einziges Gewehr gefunden. Und keine der Waffen war vom Kaliber 0,303 gewesen. Wo also war das Gewehr? Zunächst suchte er sorgfältig den Lagerplatz ab. In einer Teakholzkiste fand er einen kleinen Radioapparat, mit dem man nur einen bestimmten Sender empfangen konnte; aber kein Gewehr. Er begann den Hügelabhang oberhalb des Lagers abzusuchen und folgte jeder Spur, die so aussah, als ob sie möglicherweise einmal als Pfad benutzt worden sein könnte. Nach etwa einer Stunde stand er vor einem Bambusdickicht, aus dem eine Anzahl dicker Triebe herausgeschnitten worden waren. Und dann, etwa zwölf Meter entfernt, sah er es.

Zwischen dem steilen Berghang und einem Baumstamm war ein dreieckiges Bambusdach ausgespannt. Zusammengeflochtene Rohrmatten schlossen die Hütte seitlich ab.

Girija arbeitete sich heran, rutschte und schlitterte auf dem schwammigen Laubteppich vorwärts und hieb wie wild mit dem Parang auf das Unterholz ein, das ihm den Weg versperrte. Als er die Hütte erreicht hatte, stand er einen Augenblick atemlos da und versuchte sich auf die niederschmetternde Enttäuschung gefasst zu machen, die ihm eine leere Hütte bereiten würde. Dann zog er eine der Matten zur Seite.

Es raschelte heftig, und Girija fuhr zusammen, als irgendein kleines braunes Tier an ihm vorbeistrich und das Weite suchte. Er zog die Matte weiter zurück und blickte ins Innere.

Um einen annähernd rechteckigen Platz zu schaffen, hatte man unterhalb des Bambusdaches den Erdwall begradigt. Der Raum war etwa zwei Meter hoch und drei Meter lang und vom Boden bis unters Dach mit Holz- und Blechkisten vollgestellt.

Er setzte sich auf die Erde, um zu verschnaufen, und starrte die Kisten an. Einige davon, das sah er, waren lang und schmal und hatten Seilgriffe. Eine solche stand ganz in der Nähe der Rohrmatte und sah aus, als sei sie geöffnet worden. Er kletterte hinüber und stemmte den Deckel mit dem Parang auf. In der Kiste fand er, sorgfältig auf Gestelle gepackt, sechs Gewehre vom Kaliber 0.303. Fünf davon waren dick eingefettet und mit schwerem Ölpapier umwickelt, das den Namen eines belgischen Herstellers trug. Ein Gewehr war ausgepackt worden. Girija nahm es heraus und öffnete es. Das Gewehr war abgefeuert – wahrscheinlich auf dem Lagerplatz – und ungereinigt zurückgelegt worden. Der Lauf war angerostet.

Girija brummte missbilligend. So behandelte man kein wertvolles Gut. Er legte das Gewehr in den Kasten zurück und machte sich daran, den restlichen Fund zu untersuchen. Er stellte sehr bald fest, dass weit mehr vorhanden war, als er zunächst angenommen hatte. Es waren zehn Gewehrkisten und mindestens dreißig weitere Kisten und Behälter verschiedener Größen, dazu noch Munitionskästen.

Die größeren Kisten trugen Bezeichnungen, die mit Schablonen aufgemalt waren. Um einen Blick darauf werfen zu können, begann Girija einige von den kleineren Behältern zur Seite zu schieben, und hielt dann plötzlich inne. Er würde sehr bald den Rückweg antreten müssen, und es bestand keine Aussicht, noch an diesem Tag Inventur machen zu können. Im übrigen erübrigte sich eine Inventur.

Ihm war klar, vorerst berechtigte seine Entdeckung nur zu etwas größerer Hoffnung; natürlich wäre es angenehm gewesen, sich den Wert dieser Dinge in barem Geld vorzustellen, aber Werte, die, wenn überhaupt, erst in ferner Zukunft umgemünzt werden konnten, waren bedeutungslos. Was in nächster Zeit zählen würde, war diese Hoffnung, und wenn sie ihm die Kraft geben sollte, weiterhin ruhig die Fachzeitschriften für das Verkehrsgewerbe zu lesen, in seinen Katalogen zu blättern, hypothetische Fahrpläne zu verbessern und Mr. Wright wie bisher treu zu dienen – kurz und gut, wenn er geduldig und verschwiegen blieb, dann konnte er vielleicht eines Tages sein Ziel erreichen.

5

Drei Jahre wartete er geduldig und unauffällig.

Zu Anfang war es ihm verhältnismäßig leichtgefallen. Es gab genug praktische Dinge, um die er sich kümmern musste.

Zunächst reinigte er das Gewehr, das abgefeuert worden war, und fettete es gründlich ein. Dann durchdachte er die mit der langfristigen Erhaltung und Lagerung verbundenen Probleme. Bald würde der Monsunregen einsetzen, und das Bambusdach war nicht wasserdicht.