Tore zur Unterwelt - Heinrich Kusch - E-Book

Tore zur Unterwelt E-Book

Heinrich Kusch

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Beschreibung

Die Entdeckung eines riesigen Systems unterirdischer Gänge wirft viele Fragen auf und lässt sogar die bisherige Vorgeschichtsschreibung gehörig ins Wanken kommen. Bei Umbauarbeiten wird im Dachstuhl eines Bauernhofs eine jahrhundertalte Kanonenkugel gefunden. Darin entdeckt man einen Plan, der auf ein Labyrinth von unterirdischen Gängen verweist - das ist nicht der Beginn eines Thrillers, sondern hat sich in der oststeirischen Gemeinde Vorau wirklich zugetragen. Und es war der Ausgangspunkt von einer Reihe schier unglaublicher Entdeckungen. Die Höhlenforscher Ingrid und Heinrich Kusch machten sich an die Erforschung des viele Kilometer langen und offenbar in größere Tiefe führenden Gangsystems und stießen dabei immer wieder auf Einzelheiten, für die es keine Erklärung gibt. So sind die meisten dieser Gänge nach einer gewissen Strecke nicht nur zugemauert, sondern meterdick mit tonnenschwerem Gestein verschlossen. - Wer hatte da Angst vor einer Gefahr aus der Tiefe? In welcher unbekannten Bearbeitungstechnik wurden Teile der Gänge, die tiefer liegen als die mittelalterlichen Bereiche, so präzise oft durch blanken Fels geschnitten? Und warum sind diese Gänge so niedrig und schmal? Eine mögliche Antwort: Die Gänge gehen auf prähistorische Zeiten zurück, und es besteht ein Zusammenhang mit anderen ungeklärten Rätseln der Vorzeit: den Erdställen, die von Frankreich bis Tschechien zu finden sind, oder den tausenden Menhiren, die in der Steiermark Verlauf und Zugänge des unterirdischen Gangsystems zu markieren scheinen. Muss die europäische Vorgeschichte neu geschrieben werden?

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Heinrich und Ingrid Kusch

TORE ZUR UNTERWELT

V. F. SAMMLER

Heinrich und Ingrid Kusch

TORE ZUR

UNTERWELT

Das Geheimnis der unterirdischen Gänge aus uralter Zeit …

V. F. SAMMLER

Umschlaggestaltung, Layout und Repro:Werbeagentur Rypka GmbH., A-8143 Dobl/Graz | www.rypka.at

Abbildungsverzeichnis: Abb. 22 (Seite 33) und Abb. 52 (Seite 66) Bildautor unbekannt (mit freundlicher Genehmigung der Besitzer Leo Klampfl und Johann Heißenberger); Abb. 42 (Seite 59), Abb. 86 (Seite 95) und Abb. 168 (Seite 152) von Ferdinand Reiß; alle übrigen Abbildungen stammen von Heinrich und Ingrid Kusch.

Grafiken: Abb. 10 (Seite 20), Abb. 61 (Seite 75 und Umschlag-Rückseite), Abb. 106 (Seite 108), Abb. 119 (Seite 117) und Abb. 186 (Seite 175) von Peter Holl, Abb. 31 (Seite 45) von Fritz Messner, Abb. 2 (Seite 17), Abb. 39a (Seite 56) und Abb. 47 (Seite 63) von Monika Messner, Abb. 182 (Seite 168) von Dr. Helmut Sölva.

Umschlagfoto Vorderseite: Alter Felsgang in den Ausläufern des Masenberges und Kopie eines alten Planes aus dem 15. Jahrhundert.

Umschlagfoto Rückseite: Lochstein in der Gemeinde Puchegg (rechts oben) und Grafik der teilbelegten Ganganlage unter dem Stift Vorau (unten).

Der Inhalt dieses Buches wurde vom Autor und Verlag nach bestem Gewissen geprüft, eine Garantie kann jedoch nicht übernommen werden. Die juristische Haftung ist ausgeschlossen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.

Hinweis: Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die zum Schutz vor Verschmutzung verwendete Einschweißfolie ist aus Polyethylen chlor- und schwefelfrei hergestellt. Diese umweltfreundliche Folie verhält sich grundwasserneutral, ist voll recyclingfähig und verbrennt in Müllverbrennungsanlagen völlig ungiftig.

Auf Wunsch senden wir Ihnen gerne kostenlos unser Verlagsverzeichnis zu:V. F. SAMMLERHofgasse 5 / Postfach 438A-8011 GrazTel. +43 (0)316/821636Fax. +43 (0)316/835612E-Mail: [email protected]

ISBN: 978-3-85365-237-4

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweisen Nachdruck oder Einspeicherung und Rückgewinnung in Datenverarbeitungsanlagen aller Art, sind vorbehalten.

© Copyright by V. F. SAMMLER, Graz 2009, 4. Auflage 2015

Inhalt

Einleitung

Vorwort

Kapitel 1:

Das „Erdstall-Phänomen“ in Europa

Kapitel 2:

Oststeirische Sagen – Mythos oder Wirklichkeit?

Kapitel 3:

Das Geheimnis des Augustiner-Chorherren-Stiftes Vorau

Kapitel 4:

Das Rätsel um die Krypta von Stift Vorau

Kapitel 5:

Ein österreichisches Stonehenge?

Kapitel 6:

Menhire und Lochsteine – Torhüter zur Unterwelt?

Kapitel 7:

Verborgene Zugänge in vergessene Welten

Kapitel 8:

Der prähistorische Steinbruch in der Lurgrotte Semriach

Kapitel 9:

Ungelöste Altersdatierung und andere Fragen

Weiterführende Literatur

Bildbeschreibungen der Kapitelanfänge

Danksagung

Ortsregister

„Es besteht wohl kein Zweifel, dass in Steiermark eine grössere Anzahl solcher Höhlen (= Erdstall, Anm. des Verfassers) existirt. Viele davon dürften wegen ihres gänzlichen Verfalles der Forschung entzogen, viele hingegen noch zugänglich sein, und sind bisher nur deshalb wenig beachtet worden, weil man in der Beurtheilung ihres Alters und Zweckes auf falscher Fährte war.

Es würde der vaterländischen Geschichtsforschung ein grosser Dienst erwiesen, wollte man das Vorkommen solcher Erdbauten zur öffentlichen Kenntnis bringen; denn jede neue Entdeckung und Untersuchung ist ein Baustein, der zur Vollendung des geistigen Gebäudes, welches über diese geheimnisvollen Räume endgültigen Aufschluss gibt, beiträgt.“

Ludwig STAMPFER (1887), Stadtpfarrkaplan von Hartberg

Einleitung

Es klingt wie der Beginn eines Fantasy-Romans und hat sich doch so zugetragen: Bei Renovierungsarbeiten wird auf dem Dachstuhl eines Bauernhofes eine alte Kanonenkugel, ein Hohlbodengeschoß, entdeckt, und im Bohrloch wurde ein vergilbter Plan zusammengerollt gefunden. Vielleicht vor Jahrhunderten versteckt, in Zeiten, wo der Kriegslärm nicht verstummen mochte, als immer wieder Türken und Kuruzzen einfielen und Landsknechte durch die Steiermark marschierten. Der Plan entpuppte sich als Abschrift einer älteren, aus dem Mittelalter stammenden Zeichnung und zeigte ein System von geheimen Gängen, die vom Stift Vorau wegführten.

Als Höhlenforscher haben uns diese Gänge naturgemäß interessiert, sollten sie sich doch, wenn es mit dem Plan seine Richtigkeit hatte, kilometerlang unter der Erde hinziehen. In mehrjähriger Forschungsarbeit haben wir, unterstützt von Forscherkollegen, den Chorherren von Stift Vorau, Firmen, Bürgermeistern und der örtlichen Bevölkerung, eine Vielzahl von Zugängen zu dem unterirdischen Gangsystem entdecken können, das sich zu unserem Erstaunen als noch viel größer und verzweigter erwies, als es der gefundene Plan vermuten ließ. Und doch stehen wir erst am Anfang unserer Forschungen, denn viele Fragen sind offen geblieben:

– Warum sind die meisten dieser Zugänge nach einer gewissen Strecke nicht bloß zugemauert, sondern meterdick mit tonnenschwerem Gestein verschlossen worden, so als habe man vor irgendetwas Angst gehabt, sich vor einer unbekannten Gefahr aus der Tiefe schützen wollen?

– Wie alt sind diese Gänge wirklich? Einige von ihnen stammen offenbar aus dem Mittelalter oder wurden damals nachträglich geändert (vergrößert). Doch die tiefer liegenden Bereiche sind mit einer anderen Technik in den oft felsigen Untergrund getrieben worden. Sie sind viel glatter und feiner gearbeitet als die mittelalterlichen Stollen, fast wie mit einem Messer aus dem Berg geschnitten, und vermitteln den Eindruck einer unbekannten Bearbeitungstechnik – jedenfalls wäre es heute unmöglich, ohne maschinellen Einsatz das harte Gestein so präzise zu bearbeiten.

– Warum sind diese Gänge so zwergenklein, kaum mehr als 50 cm bis 80 cm breit und 1 m bis 1,60 m hoch? Wie wurden sie beleuchtet und belüftet, könnte doch das ganze Gangsystem, wie die verschiedenen bisher entdeckten Zugänge zeigen, viele Kilometer lang sein und auch sehr tief unter die Erdoberfläche führen?

– Kann unsere Vermutung stimmen, dass diese Gänge auf prähistorische Zeiten, auf die Megalithkulturen vor 3500–6500 Jahren oder gar noch ältere Kulturen zurückgehen?

Christliche Kapelle mit einem seitlich dahinter stehenden alten („in situ“), rund 1,8 m hohen Lochstein in der Gemeinde Wenigzell, der heute noch als Grenzstein dient.

– Was hat es mit den rätselhaften Mauern im Gebirge zu tun, deren Überreste heute noch 1–2 m hoch und bis zu 30 m lang sein können, die weder zu Burgen noch sonstigen Gebäuden gehören, keine Grundstücksgrenzen markieren und auch nicht zur Hangsicherung dienen?

–Steht der prähistorische Bergbau, ein Sinterplatten-Abbau, der in der Lurgrotte Semriach im Jahre 2005 von uns wissenschaftlich untersucht werden konnte, in einem direkten Zusammenhang mit diesen unterirdischen Anlagen?

In der West- und Oststeiermark erzählen unzählige Sagen von unterirdischen Höhlen, langen Gängen, Schatzkammern … Noch heute berichten Zeugen von seltsamen Leuchterscheinungen in unmittelbarer Nähe von Menhiren. Diese wiederum stehen in Verbindung mit den verborgenen Zugängen zu dem unterirdischen Gangsystem. Und bis in unsere Zeit hielt sich in manchen der abgelegenen Bauerngehöfte der seltsame Brauch, an diesen Stellen zu bestimmten Tagen Speiseopfer zu bringen.

Das alles klingt phantastisch, märchenhaft, fast unglaubwürdig. Und doch ist ganz eindeutig ein Zusammenhang dieser erst ansatzweise erforschten Gangsysteme mit dem Phänomen der „Erdställe“ zu erkennen, die in ganz Mitteleuropa, von Frankreich bis nach Tschechien und weiter in den Osten, zu finden sind, und deren Zweck bis heute ebenso wenig geklärt werden konnte wie die Zeit, in der sie errichtet wurden. Und es ist eindeutig ein Zusammenhang gegeben zu den hunderten Lochsteinen – also Menhiren –, die sich im mitteleuropäischen Raum, außer in der östlichen Steiermark nur noch in Nieder- und Oberösterreich und Teilen Bayerns, jedoch dort nicht in dieser Dichte, finden. Die einzige Ausnahme in Europa ist der französische Raum, wo tausende Menhire bekannt und registriert sind.

Folgen Sie uns auf einer unglaublichen Entdeckungsreise, die Fakten zutage gebracht hat, welche sich mit dem etablierten Bild der europäischen Vorgeschichte einfach nicht vereinbaren lassen!

Vorwort

Wer glaubt, dass es in der Steiermark archäologisch und speläologisch (= höhlenkundlich) nichts mehr zu erforschen gibt, irrt! Seit einem halben Jahrhundert bin ich mit meiner Frau, die seit 40 Jahren mit mir zusammenarbeitet, mit der Erforschung von Höhlen und prähistorischen Fundplätzen in unserer Heimat und in weiten Teilen der Erde tätig gewesen. Wir haben tausende Naturhöhlen und hunderte unterirdische Grabanlagen und Höhlentempel vergangener Hochkulturen besucht und auch im Rahmen von Neuentdeckungen wissenschaftlich untersuchen können. Was wir jedoch im Jahr 2006 in der näheren und weiteren Umgebung unseres Wohnortes entdeckt und bis heute erforschen konnten, hätten wir nicht für möglich gehalten und schlug, wie man so schön sagt, dem Fass den Boden aus.

Es begann eigentlich sehr harmlos und keinesfalls spektakulär. Aufgrund meiner Lehrtätigkeit als Prähistoriker und Anthropospeläologe an der Karl-Franzens-Universität in Graz und aufgrund meines jahrzehntelangen persönlichen Interesses an steirischen und ausländischen, insbesondere asiatischen Höhlen und Kulturen war ich immer auf der Suche nach Neuem.

Über drei Jahrzehnte war ich mit meiner Frau Ingrid im südost- und ostasiatischen Raum unterwegs gewesen. Im Laufe unserer Forschungsreisen und Expeditionen konnten wir immer wieder interessante Neuentdeckungen mit vielen schönen Höhepunkten machen. Doch sollten unsere jüngsten Entdeckungen alles übertreffen.

Als wir uns zu Beginn der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts mit einer für uns im heimischen Raum neuen Art von künstlichen unterirdischen Anlagen intensiver beschäftigten, begann eine Zeit, in der jeder der vielen Forschungstage im Gelände neue Erkenntnisse brachte, aber auch unsere Zweifel an der Richtigkeit unserer bisherigen Ergebnisse mit jedem Tag größer wurden. Wir mussten fast jede neue Information, die wir erhielten, zuerst hinterfragen, vor Ort untersuchen und zumeist auch lernen umzudenken.

Bei diesen unterirdischen Objekten handelt es sich um so genannte „Erdställe“, jene künstlich geschaffenen Hohlräume, von denen damals rund 15 Stück in der Oststeiermark bekannt, aber nur fünf davon zugänglich waren. Der erste, der über dieses Phänomen in der Steiermark berichtete, war der Pfarrer Ludwig Stampfer aus Hartberg, der um 1887 über die Frauenhöhle bei Kaindorf einen Aufsatz publizierte. Einige engagierte Einzelpersonen meist aus der näheren Umgebung der Stadt Hartberg und den Gemeinden Grafendorf, Kaindorf und Pöllau interessierten sich in der Folge ebenfalls für diese unterirdischen Anlagen. Allerdings blieb es bei einigen Neufunden, die im Rahmen von Hausumbauten oder beim Wasserleitungs- und Straßenbau angeschnitten, aber gleich wieder verschlossen worden waren. Anfang der 1970er-Jahre wurde vom Landesmuseum Joanneum ein solches Objekt erforscht, und in den 1990er-Jahren wurden im Auftrag des Bundesdenkmalamtes in Graz vier solcher Objekte bearbeitet. Wir dachten bis zum Jahre 2006, dass die Steiermark ein Randgebiet wäre, in dem es nur einige wenige Erdställe bzw. unterirdische Anlagen gäbe. Unsere bayrischen Kollegen hatten nämlich bis zu diesem Zeitpunkt in ihrem Gebiet schon weit mehr als 600 solcher Objekte erfasst, und in Ober- und Niederösterreich zusammen waren ebenfalls bereits an die 500 Stück bekannt.

Die meisten Erdställe haben eine relativ kurze Ganglänge. Allerdings gibt es auch einzelne künstlich geschaffene unterirdische Objekte in Europa, die bis zu oder über 100 m lang sind. Sie stellen aber rare Ausnahmen dar und sind für die wissenschaftliche Forschung vor allem durch die weitgehende Fundleere nur Randerscheinungen. Durch das Fehlen von Funden ist der überwiegende Teil dieser unterirdischen Anlagen auch heute noch zeitlich nicht zuzuordnen.

Auch als wir im Jahr 2003 den „Erdstall Vockenberg“ bei Stubenberg in der Oststeiermark untersuchten, wussten wir noch nichts von dem, was wir schon in naher Zukunft entdecken würden. Zwar fiel uns auf, dass diese Anlage rund 16 m vom Eingang entfernt zugeschüttet worden war, aber wir führten dies damals auf den natürlichen Umstand zurück, dass durch einen Einbruch im Gesteinskörper Erdreich von der Oberfläche in das Gangstück eingedrungen war und so die mögliche Fortsetzung heute nicht mehr zugänglich machte. In der Folge begannen wir in den Gemeinden Kaindorf, Stubenberg, Vockenberg, Birkfeld, Strallegg, Dechantskirchen, Vorau, Vornholz, Puchegg, Eichberg, Friedberg, St. Lorenzen, Pöllau, Reinberg und Wenigzell unsere Forschungen fortzusetzen, was nicht immer einfach war, weil bei der Befragung der einheimischen Bevölkerung anfangs zumeist keiner etwas wusste! Überall, wo wir hinkamen, hatten die „Erdställe“, also die künstlich angelegten unterirdischen Gänge, unterschiedliche Bezeichnungen oder waren ganz einfach vergessen worden. Nur einige alte Menschen erinnerten sich noch daran, dass es solche unterirdischen Gänge gegeben haben soll oder sie diese einst sogar selbst aufgesucht hatten. Doch auch diese Erzählungen klangen für uns wie reine Fantasiegebilde und waren nicht gerade überzeugend, weil hier immer von sehr langen Gängen berichtet wurde, die Bauernhäuser, Kirchen, Burgen und Schlösser über mehrere Kilometer weit hinweg miteinander verbunden haben sollen und dabei sogar Täler unterlaufen können. Solche Geschichten nahmen wir vorerst nicht ernst, weil sie sich für uns nicht realistisch anhörten und wir die vorgefasste Meinung hatten, dass so etwas einfach nicht möglich war.

Mit Ende des Jahres 2006 kannten wir schon mehr als 35 Plätze, wo sich Zugänge zu solchen Anlagen befanden, jedoch waren die meisten verschlossen und für uns nicht begehbar. Dies änderte sich im Laufe des Jahres 2007 schlagartig!

Der Tag, der unser Weltbild so drastisch veränderte, war der 18. Oktober 2006, an dem wir im Stift Vorau, das 25 km nördlich der Bezirkshauptstadt Hartberg in der Oststeiermark liegt, vorsprachen, um an weitere Informationen zu gelangen. Wie durch eine Fügung trafen wir auf Vermittlung des Propstes Herrn Mag. Gerhard Rechberger Frau Aloisia Reiß und Herrn Ferdinand Reiß. Ein glücklicher Zufall, der aus einer Fotokopie eines alten Planes von einem unterirdischen Gangnetz bestand, den uns Herr Ferdinand Reiß übergab und dessen Original heute in der Stiftsbibliothek verwahrt wird, brachte uns auf die richtige Spur. Das Ehepaar Reiß war selbst an diesem Thema interessiert und arbeitet seither mit uns zusammen. Beide und die übrigen Mitglieder der Familie unterstützten uns in allen Belangen und halfen uns bei diversen Untersuchungen. Wir sammelten alle Informationen, die wir bekommen konnten, und waren bald im Besitz von mehr als 100 Hinweisen, die unsere anfänglichen Vermutungen nach und nach bestätigten, aber noch keinesfalls bewiesen.

Es folgten monatelange gemeinsame Recherchen, Geländebegehungen, Forschungs- und Vermessungsfahrten und viele Untersuchungen im Stift Vorau und in der näheren und weiteren Umgebung des Ortes Vorau. Hier wurden und werden wir seit rund drei Jahren nicht nur von den Chorherren des Augustiner-Stiftes Vorau tatkräftig unterstützt, sondern auch vom Bundesdenkmalamt, dem Landesmuseum Joanneum in Graz, dem Steiermärkischen Landesarchiv, der Steiermärkischen Landesbibliothek und von sehr vielen Bürgermeistern, Grundbesitzern, Betrieben und interessierten Privatpersonen.

Zu unserer Überraschung dehnte sich dann auch noch das zu untersuchende Gebiet auf die gesamte Oststeiermark und Teile der südlichen Weststeiermark aus. Diese Forschungen führten uns letztendlich in eine Welt, die es eigentlich gar nicht geben dürfte, die aber dennoch – wenn auch nicht für jedermann sofort sichtbar – existiert. Wir lernten auch, dass die Dinge nicht immer so sind, wie sie für den Betrachter auf den ersten Blick zu sein scheinen, und dass die Wirklichkeit vieles, das wir zu wissen glaubten, in den Schatten stellen kann.

Der Inhalt dieses Buches ermöglicht dem Leser einen Einblick in den derzeit aktuellen Forschungsstand (April 2009). Es ist für uns Autoren jedoch unmöglich, auf alles, was wir bis jetzt in diesem Zusammenhang erforschen und in Erfahrung bringen konnten, hier einzugehen, da es den Rahmen dieses Buches bei Weitem überschreiten würde. Auch wurden nicht alle Grundbesitzer im Text namentlich genannt, weil es deren Wunsch war, nicht erwähnt zu werden.

Begleiten Sie uns in diesem Sach-Bildband in unsere eigene Vergangenheit auf der Suche nach einer unbekannten und vergessenen Welt – dem vielleicht größten Geheimnis des österreichischen Bundeslandes Steiermark.

Mag. Dr. Heinrich Kusch und Ingrid Kusch im April 2009

Freigelegter Zugang zu einem Tunnel im Schnellerviertel. Er ist nach rund 35 m Länge eingestürzt und hat drei Fortsetzungen, wovon zwei tief im Berginneren in der Neuzeit absichtlich verschlossen wurden.

Kapitel 1

Das „Erdstall-Phänomen“ in Europa

Eine besondere Form von künstlichen unterirdischen Anlagen taucht in weiten Teilen von Europa – von Russland, Ungarn über Zentraleuropa bis nach Frankreich, England und Spanien – auf. Es sind dies „Erdställe“ und andere Anlagen unter der Erdoberfläche, die in einer uns heute nicht näher bekannten Zeitepoche von Menschenhand geschaffen worden waren. Diese Bezeichnung ist relativ jung und scheint gegen Mitte des 15. Jahrhunderts (1449) erstmals als Flurname in einem Dokument aus Asparn an der Zaya (Österreich) auf. Sie hat nichts mit einem Tierstall in der Erde zu tun, sondern ist ein übergeordneter Hinweis auf eine „Stelle unter der Erde“. Wie diese unterirdischen Anlagen im Mittelalter oder auch später in der Neuzeit noch genannt wurden, ist uns heute nicht bekannt. Es gibt zwar zahlreiche lokale Bezeichnungen im deutschen Sprachraum wie Schrazelloch, Schrazlhöhle, Zwergerlloch, Erdweiblloch, Frauenhöhle, Alraunhöhle und andere, doch haben diese durch spätere Ereignisse (Zufluchtsorte) und lokale Sagen hinzugefügten Namen mit dem ursprünglichen Verwendungszweck der unterirdischen Anlagen meist nur wenig oder gar nichts zu tun.

Dies sollte eigentlich nachdenklich stimmen, denn wenn, wie so oft in der Literatur angenommen, all diese Anlagen aus dem Mittelalter oder der Neuzeit stammen sollten, müsste es ein bekanntes Wort dafür geben, das wohl auch in der Vergangenheit irgendwo niedergeschrieben worden wäre. Dem ist aber nicht so, obwohl es ja nicht nur einige wenige Anlagen in Europa gibt, sondern tausende.

Nun ist diese Feststellung noch lange kein Beweis, dass die ursprünglichen Erdstallanlagen älter sein könnten, doch fügen wir diese Tatsache vorerst als eines von vielen Teilchen in das derzeit noch unvollständige Bild der Erdstall-Altersbestimmung ein.

Im Allgemeinen sind Erdställe kürzere oder längere unterirdische Anlagen, die von Menschen aus dem anstehenden Gestein, Löß bzw. verfestigten Erdreich oder der verwitterten Gesteinskruste, in der Oststeiermark „Obok“ genannt, herausgeschlagen wurden (Abb. 1). Als Entstehungszeitraum wird bis jetzt das Früh- bzw. das Hochmittelalter angegeben. In Frankreich, Italien und Irland werden aber auch einige Objekte prähistorischen Epochen zugeordnet. Über 170 Jahre wurden unterschiedliche Hypothesen über das Alter der Anlagen aufgestellt und nach Erklärungsmodellen gesucht. Doch konnte man sich bis heute auf keine generelle Datierung einigen, weil solche Anlagen mit großer Wahrscheinlichkeit zu unterschiedlichen Zeiten errichtet und auch genutzt wurden. Das von verschiedenen Autoren angenommene Alter einzelner Objekte reicht vom Neolithikum (= Jungsteinzeit) über die Bronze- und Römerzeit bis in das bereits erwähnte Mittelalter und die Neuzeit (Abb. 2). Es ist durchaus möglich, dass es sowohl sehr alte Objekte als auch, was die Bauweise betrifft, zeitlich jüngere Kopien derselben gibt. Über den ursprünglichen Sinn und Zweck dieser Anlagen ist wenig bekannt, zumal konkrete Aufzeichnungen darüber fehlen. Die Freilegung einzelner Erdställe brachte in einigen Fällen zwar datierbare Funde zutage; jedoch können diese Ergebnisse nicht auf benachbarte oder andere Objekte übertragen werden. Wenn es sich um Funde handelt, die zu einem späteren Zeitpunkt in die unterirdischen Räume gebracht worden sind, belegt es nicht den Entstehungszeitraum des Erdstalles, sondern nur den Zeitraum der letzten Nutzung. Die einzige Gemeinsamkeit, die all diese Objekte aufweisen, ist, dass sie sich unter der Erdoberfläche befinden.

Abb. 1: Mit Schwemmsand verfüllter Gangteil im Erdstall Langhoppl, Pongrazen (Steiermark).

Über die Nutzung dieser unterirdischen Räume gehen die Meinungen stark auseinander. Während manche Forscher in ihnen Zufluchtsorte für unruhige, kriegerische Zeiten oder Vorratskammern bzw. Winterquartiere sehen – also die profane Nutzung in den Vordergrund stellen –, sehen andere die sakrale Nutzung als wahrscheinlicher an. All diese Überlegungen haben sicherlich einen wahren Kern, beruhen aber zum Großteil auf Annahmen, denn das Rätsel um die Herkunft der Kleinanlagen ist bis heute nicht gelöst! Einzelne Objekte wurden in den letzten Jahren wissenschaftlich erforscht, was für den jeweils untersuchten Erdstall meist sehr gute Resultate brachte. Das eher bescheidene Fundmaterial, das in den tausenden in Europa bekannten Erdställen und Ganganlagen bis heute entdeckt wurde, lässt aber nur bedingt Rückschlüsse auf die tatsächliche rudimentäre Nutzung zu. Diese Funde wurden nämlich in den meisten Fällen erst im Nachhinein in die unterirdischen Räume eingebracht, die in einigen Fällen als Abfallentsorgungsplätze nach dem Motto „Aus dem Auge, aus dem Sinn“ Verwendung fanden. Das bedeutet, dass es sich bei solchen Fällen um Streu- bzw. Sekundärfunde handelt, die bei jüngeren Objekten zwar in direktem Zusammenhang mit der Baugeschichte stehen können, in vielen Fällen jedoch gar nichts mit der ursprünglichen Verwendung der unterirdischen Anlage zu tun haben.

Abb. 2: Keramik aus dem 15./16. Jahrhundert (Spätmittelalter – frühe Neuzeit), geborgen aus dem Erdstall Vockenberg (Steiermark).Zeichnung: Monika Messner

Diese Anlagen befinden sich oft in leicht hügeligem Gelände, im Sandstein oder Löß, also in einem leicht zu bearbeitenden Material, aber auch in alten und sehr schwer zu bearbeitenden Sedimentgesteinen, wie Schiefer, Granit, Amphibolith, Gneis und Basalt, oder im verfestigten Erdreich bzw. der Verwitterungskruste des Gesteins. Die Räumlichkeiten bestehen aus schmalen, teils spitzbogenförmigen oder in den Deckenbereichen halbrund geformten Gängen (Abb. 3), die zwischen ein und zwei Meter hoch und meist nicht einmal einen Meter breit sind (Abb. 4). Diese werden durch schmale Durchlässe (so genannte Schlupfe) (Abb. 5), die in seltenen Fällen mit runden oder rechteckigen Steinplatten verschlossen werden können (Abb. 6), unterbrochen und führen in größere Kammern und zu Verzweigungen (Abb. 7). Manchmal führen Stufen oder kurze senkrechte Schliefstrecken (= Stellen, die so niedrig sind, dass man nur am Bauch kriechen kann) in tiefer oder höher gelegene Teile der Anlagen (Abb. 8). In manchen Erdställen sind auch kleinere Nischen vorzufinden, die in die Wände der Gänge und Räume eingelassen wurden. Ihr Zweck ist nicht immer gleich zu erkennen. Es kann sich um Lichtnischen (zum Abstellen von Beleuchtungskörpern) oder um Tastnischen (als Orientierungshilfe im Finstern) handeln. Aber auch andere Verwendungsmöglichkeiten wie beispielsweise Balkenlöcher sind denkbar.

Abb. 3: Spitzbogenförmiger Felsgang im Erdstall von Mitterschneidhart (Bayern, Deutschland).

Abb. 4: Der mit einem Spitzbogen versehene Hauptgang des Erdstalles Vockenberg (Steiermark).

Abb. 5: Schlupf (= Engstelle) im Erdstall Schießl in Oberviechtach (Bayern, Deutschland).

Abb. 7: Gangpassage in der Frauenhöhle bei Hinterbüchl (Steiermark).

Abb. 8: Durchstiegsschacht mit einer Aussparung für eine rechteckige Verschlussplatte im Erdstall von Mitterschneidhart (Bayern, Deutschland).

Über diese Anlagen wurden in den vorangegangenen Jahrhunderten nach ihrer Wiederentdeckung manchmal Kirchen und Schlösser, aber oft auch Häuser gebaut oder die Erdställe wurden in die Kelleranlagen eingebunden. Solche oberflächennahen Erdställe wurden oft durch Zufall beim Aushub eines Hausfundamentes oder durch andere bauliche Tätigkeiten, wie Straßen- oder Wasserleitungsbau, wieder gefunden und mussten meist erst vom eingedrungenen Erdreich, das im Laufe von Jahrzehnten oder Jahrhunderten durch Sicker- oder Regenwasser in die Hohlräume gelangt war, befreit werden (Abb. 9).

Abb. 6: 42 cm durchmessender und leicht beschädigter runder Verschlussstein, der zur Absperrung eines Schlupfes im Erdstall Kandelhofer diente (Steiermark).

Die einzelnen Erdstallanlagen weisen unterschiedliche Längen auf, die von wenigen Metern bis mehrere hundert Meter reichen können. Vereinzelt gibt es in Europa unterirdische Anlagen die auch 2 bis 3 km lang sind.

Abb. 9: Verfüllen der Baustelle um den neuen Einstiegsschacht des Erdstalles Kandelhofer (Steiermark).

Allein im süddeutschen Raum sind heute, wie eingangs schon erwähnt, über 600 Erdställe bekannt, im mährischen Raum von Tschechien 126 und in Österreich an die 500 Objekte. In der letztgenannten Zahl sind die über 280 Neuentdeckungen in der Steiermark noch nicht enthalten. Im gesamteuropäischen Raum kann mit einem Vorkommen von mehreren tausend Objekten gerechnet werden. Ein Ende der Wiederentdeckungen von solchen unterirdischen Anlagen ist bisher noch nicht absehbar, weil viele Eingänge durch die Oberflächenerosion und die Bautätigkeit des Menschen in der Vergangenheit verschlossen worden sind.

Wer sich für diese geheimnisvollen unterirdischen Anlagen interessiert, dem steht nicht nur im deutschsprachigen Raum eine interessante Literatur zur Verfügung. Wohl als Standardwerk kann das von Lambert Karner, einem Benediktinermönch aus dem Stift Göttweig, im Jahre 1903 in Wien veröffentlichte Buch über „Künstliche Höhlen aus alter Zeit“ gelten. Er war einer von vielen frühen Pionieren der Erdstallforschung, der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts über 25 Jahre lang mit Erdställen in Mitteleuropa auseinandersetzte und seine Erfahrungen niederschrieb. Interessant ist, dass dieses Buch eine Fülle von Details an mündlichen Überlieferungen enthält, die bei der Bevölkerung heute schon längst in Vergessenheit geraten sind.

Als zweites großes deutschsprachiges Standardwerk ist die seit 1974 in Roding (Bayern, Deutschland) erschienene Zeitschrift „Der Erdstall“ zu nennen, in der in bisher 35 Heften (Jahresberichte des Arbeitskreises für Erdstallforschung) umfassende Informationen über die aktuelle Erdstallforschung in Zentraleuropa, hier vor allem in Deutschland und in Österreich, aber auch in anderen Ländern Europas veröffentlicht wurden. Hier hat sich der von Karl Schwarzfischer (†) gegründete „Arbeitskreis für Erdstallforschung“ in Roding in der Wissenschaft ein Denkmal gesetzt. In 35-jähriger Arbeitszeit wurde bisher von Wissenschaftern und engagierten Privatpersonen aus Deutschland unter der langjährigen Leitung von Frau Regine Glattharr und der neuen Führung von Herrn Dieter Ahlborn sowie Frau Edith Bednarik (NÖ) und Herrn Josef Weichenberger (OÖ) in Österreich ganz gezielt versucht, das Phänomen der Erdställe und deren Problematik zu bearbeiten. Bis jetzt haben ihre Forschungen zu sehr interessanten, oft aber auch zu widersprüchlichen Resultaten geführt.

Abb. 10: In dieser Grafik wurde mit Absicht der osteuropäische Raum nicht berücksichtigt, weil die den Autoren vorliegenden Informationen für einen Gesamtüberblick nicht ausreichten.

Die Vorläufer vieler zentraleuropäischer Erdställe sind nach heutigem Forschungsstand eindeutig in Südeuropa zu finden, wobei bis jetzt die ältesten dieser unterirdischen Anlagen auf den Inseln Malta und Sardinien sowie in Frankreich und Spanien gefunden wurden. Sie waren Bestandteil der neolithischen bzw. bronzezeitlichen „Megalithkulturen“ im Mittelmeerraum und konnten, wie auch die vermutlich später geschaffenen oder adaptierten Katakomben der Etrusker und Römer, zum Teil große Ausmaße erreichen (Abb. 10). Im Vergleich dazu ist die überwiegende Zahl der Erdställe in Zentraleuropa eher als klein zu bezeichnen. Dies kann natürlich auch mit der Entstehungszeit und dem Zweck solcher künstlichen Hohlräume in Zusammenhang stehen.

Interessant ist die Tatsache, dass man in der Architektur der Megalithzeit – einer Zeit die in Europa von 3500 bis 6500 Jahre vor Heute anzusetzen ist – Bauelemente bei Großsteinbauten oder unterirdischen Anlagen findet, die vergleichbar auch in den Erdställen vorzufinden sind (Abb. 11). Dies kann natürlich auch auf eine zufällige Parallelentwicklung zurückzuführen sein, was aber nicht zwingend der Fall sein muss. So kennen wir beispielsweise Schlupfe bei Grabkammern des Neolithikums, enge schachtartige und abgewinkelte Einstiege, backofen- oder nierenförmige runde Räume als Bestattungskammern für die Verstorbenen, niedere und enge Gänge und vieles andere mehr.

Einige Autoren meinen, man bekäme den Eindruck, als wären Kinder oder kleinwüchsige Lebewesen (zwischen 1 m und 1,5 m groß) die Erbauer dieser unterirdischen Anlagen gewesen. Viele Anlagen wurden nämlich in den letzten Jahrhunderten nachträglich an den Boden-, Wand- und Deckenteilen erweitert, um die Räumlichkeiten an die Größe der Menschen des Mittelalters und später der Neuzeit anzupassen.

Abb. 11: Freilegungsarbeiten eines verfüllten Schlupfes im Erdstall Vockenberg bei Stubenberg (Steiermark).

Jedoch dürften diese mehr als eigenwillig gestalteten Hohlräume zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich genutzt worden sein. Sie waren in unsicheren Zeiten aus rein pragmatischer Sicht möglicherweise Schutzräume (?) und vielleicht in manchen Fällen Depots. Später wurden daraus Kultplätze, wie z. B. Aufenthaltsorte für die Seelen der Verstorbenen bzw. Bestattungs- oder Meditationsräume. Eine unterschiedliche Nutzung der Erdställe durch den Menschen in den verschiedenen Epochen ist, durch den heutigen Wissensstand belegt, keinesfalls auszuschließen.

Abb. 12: Tierkadaver am Boden eines Ganges, der durch einen Schimmelpilz zersetzt wird.

Wenn man das Gedankenmodell des Zufluchtsortes unter der Erde näher betrachtet, so hat dies doch auf den zweiten Blick eher negative, als positive Seiten. Sehr wohl kann man sich in den Gängen und Räumen kurzfristig verstecken, aber nur so lange, bis zum Beispiel die Verfolger den Einstieg gefunden haben. Dann war man in kleineren oder längeren Anlagen mit nur einem Eingang eigentlich schon verloren. Denn die Verfolger brauchten sich nicht einmal die Mühe zu machen, in die Räume selbst einzudringen und die Flüchtenden zu töten. Sie mussten nur vor der Eingangsöffnung ein Feuer anzünden oder das ganze Gebäude niederbrennen, unter dem sich der Zustieg befand. All jene, die sich im Erdinneren befanden, erstickten.

So gesehen ergibt ein Erdstall oder eine unterirdische Anlage mit nur einem Eingang als Zufluchtsort wenig Sinn, wenn mit Verfolgern zu rechnen war, weil keine Fluchtmöglichkeit bestand, es sei denn, der Erdstall besaß einen zweiten Zugang. Doch war dies in der Regel selten der Fall, weil viele Anlagen in sich abgeschlossen waren. In einem Bericht aus der Oststeiermark mit dem Titel „Die Türken zerstörten Kirchberg“ beschrieb Johann Schleich in seinem 1992 erschienenen Buch „Oststeirische Volkssagen und Hausgeschichten“ auf Seite 188 eine solche Situation:

Nach der Türkenschlacht bei Mehlteuer zogen die Türken mit einem großen Heer nach Kirchberg, um dort den Ort zu verwüsten und die Menschen zu töten. Die Christen flüchteten in die Kirche und in den stark befestigten Tabor. Von dort aus nahmen sie die Verteidigung auf. Doch das Türkenheer war zu übermächtig, drang zu den Christen vor und tötete die meisten unter ihnen. Jene Christen, die sich in einem unterirdischen Gang versteckten, entdeckten die Türken ebenfalls und erstickten sie mit Hilfe von Feuer. Kirche und Ort wurden ebenfalls teilweise eingeäschert.

Beim Bau des Hauses nahe dem Pfarrhof zwischen 1820 und 1840 wurde ein unterirdischer Gang von der Kirche zum Schloss entdeckt. Der Gang war mit Gerippe vollgefüllt.

Anders stehen die Chancen zu überleben bei möglichen Naturkatastrophen, wie beispielsweise bei einer erhöhten Sonnen- oder Hitzeeinstrahlung (aus welchem Grund auch immer), die das Leben auf der Erdoberfläche nicht oder nur in der Nacht möglich gemacht haben könnte, oder globale Kaltzeiten und andere Klimaszenarien, wie sie beispielsweise in den großen Schriften der Menschheit, im „Buch des Rates“ (Popol Vuh) oder im „Alten Testament“ (Bibel), erwähnt werden. In diesen alten Überlieferungen könnte ein Körnchen Wahrheit stecken, denn periodisch wiederkehrende lokale und globale Hitze- und Kälteperioden hat es in der Vergangenheit mehrmals auf unserer Erde gegeben.