Transatlantische Wechselwirkungen. - Stefan Scheil - E-Book

Transatlantische Wechselwirkungen. E-Book

Stefan Scheil

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Beschreibung

Stefan Scheil geht in »Transatlantische Wechselwirkungen« der Frage nach, inwieweit die nach 1945 und noch einmal nach 1960 eingetretenen Veränderungen der deutschen Schul- und Hochschullandschaft auf die Kontakte zurückzuführen sind, die im Rahmen von transatlantischen Personen-, Wissens- und Methodentransfers entstanden. Zugleich behält er die stete außenpolitische Spannung mit im Blickfeld, unter der sich das deutsche Bildungssystem entwickeln mußte. Die vor allem von den Vereinigten Staaten ausgehenden Maßnahmen zur Bildung einer neuen, auf die intellektuelle wie wirtschaftliche Westbindung Deutschlands ausgerichteten Elite, setzten die deutschen Hochschulen als wesentliches Instrument zur Prägung dieser neuen Elite ein. Eine entscheidende Rolle wiesen die Besatzungsbehörden dabei der Etablierung neuer ideologischer Leitwissenschaften an den deutschen Universitäten zu. Dazu gehörte die neu definierte Soziologie und besonders die neugeschaffene Politikwissenschaft inklusive der Zeitgeschichte. Beide Fachkomplexe sollten einen Einfluß auf alle Studiengänge entwickeln, ganz besonders aber auf die Ausbildung von Schul- und Hochschullehrern. Ergänzt und überlagert wurden diese Absichten von den neugeschaffenen Reise- und Austauschprogrammen, die einer größeren Anzahl von vielversprechenden Personen aus wichtigen Berufen und Fachrichtungen im Rahmen von Studienaufenthalten in den Vereinigten Staaten ein westlich geprägtes, gemeinsames Elitenbewußtsein vermitteln sollten. Scheil vertritt die These, daß der bundesdeutsche Demokratiebegriff unter dem Einfluß dieser Vorgänge eine Doppelbedeutung erhielt. Der Respekt vor formalen Kriterien demokratischer Entscheidungsfindung sei durch den politischen Willen ergänzt worden, unter Demokratiebewußtsein die prinzipielle Akzeptanz politischer Maßnahmen der alliierten Nachkriegsordnung zu verstehen. Dazu zählten auch Maßnahmen, die im Widerspruch zum formalen Demokratiebegriff und seiner Anbindung an Menschen- und Völkerrecht standen.

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STEFAN SCHEIL

Transatlantische Wechselwirkungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar.

Umschlagbild: Deutsche Kriegsgefangene in Fort Benning werden mit westlicher Demokratie vertraut gemacht.(© ullstein bild)

Alle Rechte vorbehalten © 2012 Duncker & Humblot GmbH, BerlinFremddatenübernahme und Druck:Berliner Buchdruckerei Union GmbH, BerlinPrinted in Germany

ISBN 978-3-428-13572-1 (Print) ISBN 978-3-428-53572-9 (E-Book)ISBN 978-3-428-83572-0 (Print & E-Book)

Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet:http://www.duncker-humblot.de

Für Florian

[7] „Wen wundert es noch, daß sich die Wilden willig unterdrücken lassen, wenn sie lernen, daß sowieso schon alles seit Urzeiten den Engländern gehört. Sag mal Toliné: gehört der Mond auch den Engländern?“

„Noch nicht, aber bald“, sagte der Junge ernst.“

Jules Verne1

„Man muß eine Elite schaffen, die ganz auf Amerika eingestellt ist. Diese Elite darf andererseits nicht so beschaffen sein, daß sie im deutschen Volk selber kein Vertrauen mehr genießt und als bestochen gilt.“

Max Horkheimer2

„Wir Deutsche verlieren bei dieser Operation – weiter nichts als Ostund West preußen, Schlesien, Teile von Brandenburg und Sachsen, ganz Böhmen, Mäh ren und das übrige Österreich außer Tirol (wovon ein Teil dem italienischen

‚Nationalitätsprinzip‘ zufällt) – und unsere nationale Existenz in den Kauf!“

Karl Marx3

 

1 Aus: Die Kinder des Kapitäns Grant, Frankfurt 1966, S. 205.

2 Aus dem Memorandum on the Elimination of German Chauvinism aus dem August 1942, MHA IX, 172, 32, hier zit. n. Albrecht, Gründung, S. 121.

3 Aus: Karl Marx: Herr Vogt (1860), Moskau 1941, S. 130 f.

Vorwort

Dies ist eine Studie über die Bildungspolitik, die Elitenbildung und die Entstehung von Sozialwissenschaften in der Bundesrepublik nach 1945. Daß sie von einem Historiker ausgearbeitet wurde, der vorwiegend über die internationalen Beziehungen vor 1945 publiziert hat, mag auf den ersten Blick ungewöhnlich erscheinen. Tatsächlich kam mir der Gedanke zu diesem Projekt während der Arbeit an „Churchill, Hitler und der Antisemitismus“, meiner 2008 erschienenen Studie über die internationale Politik der unmittelbaren Vorkriegszeit und das Innenleben der Netzwerke der erklärten Gegner des Nationalsozialismus. Dort ging es sowohl um die deutsche Diktatur als auch um ihre politischen Feinde, vorwiegend in den Jahren 1938 / 39, aber nicht nur in diesem Zeitraum.1 Im Rahmen der Recherche traten etliche Namen und Vorgänge in Erscheinung, die mir aus anderen Zusammenhängen bekannt waren, und auch Fakten aus der Nachkriegszeit, die mir eher neu waren. Es deuteten sich letztlich Kontinuitäten politischer und gesellschaftlicher Konflikte an, die aus den dreißiger Jahren über 1945 hinausreichten. Daher bot es sich an, diese Kontinuitäten mit den Methoden des Diplomatiehistorikers näher zu untersuchen, unter dem Aspekt, Bildungspolitik und Elitenbildung als Ausdruck von Machtverhältnissen zu begreifen, und damit für den hier vorliegenden Fall der neudeutschen Elitenbildung letztlich als Teil der bewußten Siegessicherung, also als abschließende Kriegshandlung. Aus dieser Annahme ergibt sich zugleich die Perspektive der Darstellung, die den Versuch unternimmt, den Vorgang in allen Teilen des besiegten Kriegsgegners zu untersuchen, territorial gesehen also innerhalb der deutschen Vorkriegsgrenzen. Insofern ist dies nicht nur eine Studie über die Bundesrepublik Deutschland, wenn auch Westdeutschland den bei weitem größten Raum einnimmt. Damit wird insofern etwas Neuland betreten, als die deutsche Zeitgeschichte, so weit diese Frage thematisiert wird, sich in der Regel auf die beiden 1990 vereinigten Nachfolgestaaten DDR und BRD begrenzt.2 Auch dies stellte angesichts der politischen Teilung beider Staaten jahrzehntelang keine Selbstverständlichkeit dar, während eine Forschungsperspektive, die den deutschen Staat von 1939 für die Zeit nach 1945 als Ganzes im Blick behielt, erst recht ungewöhnlich erschien. Das besetzte und geteilte Deutschland des Kalten Krieges blieb für die zeitgeschichtliche Forschung in gewisser Weise eine „unbekannte Größe“, eine Beobachtung, die Ernst Nolte mit Blick auf das vorhandene Wissen über Deutschland [10] bereits für die Zeit vor 1939 formuliert hat, so daß „die ‚Teilung Deutschlands‘ nach 1945 nicht als etwas Neues und Überraschendes, sondern als die prononcierteste Gestalt des ‚Unbekanntseins‘ Deutschlands“ begreifbar wurde.3

Die dafür zeitgenössisch geprägten Begriffe einer „Reorientation“ oder „Reeducation“4 des Besiegten sind in den letzten Jahrzehnten zunehmend von dem zugleich neutraleren wie weiteren Begriff der „cultural diplomacy“ abgelöst worden. „Reeducation“ war als Begriff auf Seiten der westlichen Alliierten bereits in der Frühphase des Zweiten Weltkriegs entwickelt worden. Zu den ersten, die ihn verwendeten, gehörte mit Henry Wickham Steed auch eine Person aus der unmittelbaren Vorgeschichte des Krieges, die als ein führender Teil des Winston Churchill tragenden „Focus“-Netzwerks an seiner politischen und publizistischen Vorbereitung beteiligt gewesen war.5 Steed repräsentierte vor 1939 den anti-nationalsozialistischen Kurs seiner Lobbygruppe, agierte aber sogar bereits während des Ersten Weltkriegs als „Foreign Editor“ der Londoner „Times“, als Verantwortlicher für die außenpolitischen Stellungnahmen der regierungsnahen Zeitung und als Mitdelegierter bei den Friedensverhandlungen von Versailles. Er schrieb sich selbst eine führende Rolle bei der Zerschlagung Österreich-Ungarns zu und nahm ganz allgemein eine sehr kritische Haltung gegen die Möglichkeit deutscher oder besser „pangermanischer“ Großmachtpolitik ein, deren negative Seiten er zwischen 1914 und 1939 allerdings auch durch die Produktion von Gerüchten und gefälschten Dokumenten aufzeigen wollte, die teilweise bis auf den Schreibtisch des amerikanischen Präsidenten gelangten.6 Das letzte Ziel bestand für Steed, ähnlich wie für Churchill, darin, die Deutschen endgültig von der Idee abzubringen, eine souveräne Größe auf dem internationalen Parkett sein zu können. Für Churchill bestand die Lösung in einer Teilung Deutschlands, wie sie vor 1866 bestanden hatte. Dies formulierte er in zahlreichen Gesprächen gegenüber seinen Mitarbeitern und alliierten Politikern. In einem 1940 veröffentlichten Text über „die fünfte Waffe“, womit die Propaganda in Zeiten des Krieges gemeint war, nahm dagegen bei Steed die Re-Education eine zentrale Rolle ein:

„Ein langer Prozeß der Re-Education unter irgendeiner Form von Überwachung wird nötig sein, um bei den Deutschen diese Ansichten auszurotten und sie durch andere zu ersetzen, [11] die bisher die aufgeklärten Deutschen vergeblich ihren Landsleuten nahezubringen versucht haben.“7

Gegenüber einem solchen, aus dem unmittelbaren Bereich der Kriegsführung abgeleiteten Reeducation-Begriff wirkt der Topos der „cultural diplomacy“ erheblich konzilianter und realistischer. Er trägt den begrenzten Möglichkeiten einer Einflußnahme auch durch grobe Eingriffe des Siegers in die Bildungswelten des Besiegten Rechnung und betont die Notwendigkeit einer kontinuierlichen, aber nichtsdestoweniger bewußten und interessengeleiteten Einwirkung auf die früheren Gegner bis hin zur Bildung neuer Eliten bei ihnen. Um die Differenzen und die Schritte zwischen Reeducation, Reorientation und Cultural Diplomacy aufzuzeigen, soll im folgenden zunächst keine Wertung der Inhalte von Bildungspolitik im Rahmen von Reorientation oder „Cultural Diplomacy“ vorgenommen werden. Es geht darum, die Inhalte selbst, die Zusammenhänge und die gewollten Strukturen festzustellen und dabei stets die Interessenlagen der Nachkriegszeit innerhalb des Untersuchungszeitraums im Blick zu behalten, der in etwa bis 1965 reicht.

Nach und nach wurde in diesem Rahmen der Inhalt der Disziplinen Zeitgeschichte und insbesondere der Politikwissenschaft zu einem herausgehobenen Thema. Beide Disziplinen vertreten für die Jahre zwischen 1919 und 1945 überwiegend ein Geschichtsbild, das sich bei meinen Forschungsarbeiten zu Ausbruch und Eskalation des Zweiten Weltkriegs als lückenhaft und unzutreffend erwiesen hat. Die Politikwissenschaft tut dies erklärtermaßen im normativen, also letztlich politischen Rahmen. Seither interessiert und bewegt mich die Frage, wie diese Lücken entstehen konnten und warum es so schwer ist, sie im Rahmen von wissenschaftlichem Diskurs zu schließen. Die folgenden Seiten versuchen auch hierauf eine gewisse Antwort zu geben. Obwohl die Thematik der Reeducation, der transatlantischen Beziehungen und der entstehenden Bildungspolitik im einzelnen bereits oft abgehandelt wurde, stellt die hier vorgebrachte Kombination insofern ein Novum dar. Bildungsfragen, auch Fragen der Elitenbildung, sind letztlich Gebiete, auf denen Machtverhältnisse zum Ausdruck kommen, vielleicht sogar nachhaltiger als auf vielen anderen Politikfeldern. Kaum jemand würde bestreiten, daß die Abhängigkeit der persönlichen intellektuellen Entwicklung durch „Schulen“ oder einzelne Hochschullehrer, die solche Schulen geprägt haben, im Bereich der Geistesund Sozialwissenschaften einigermaßen ausgeprägt ist. Die nachfolgende Studie geht davon aus, daß diese Abhängigkeit sich auch durch staatliche Einflußnahme entwikkeln kann und entwickelt hat, ohne von einer simplen direkten inhaltlichen Beeinflussung auszugehen. Inwieweit jedoch inhaltliche Entscheidungen dennoch im Hinblick auf das Geschichtsbild tatsächlich der Macht und nicht dem besseren Argument oder dem echten demokratischen Vorteil gefolgt sind, dies etwas deutlicher als bisher zu klären, dazu soll diese Studie dienen.

Stefan Scheil

 

1Stefan Scheil: Churchill, Hitler und der Antisemitismus – Die deutsche Diktatur, ihre politischen Gegner und die europäische Krise der Jahre 1938 / 39, Berlin 2009.

2 Vgl. Bauerkämper, Zeitgeschichte, passim; sowie Jarausch, Teile, passim. Zur Kritik an dieser Festsetzung vgl. unten das Kapitel „Nationalfragen“.

3 Vgl. Nolte, Deutschland, S. 53.

4 Eine scharfe inhaltliche Trennung zwischen beiden Begriffen läßt sich kaum ziehen. In zeitlicher Abfolge setzte sich schließlich Reorientation gegenüber Reeducation durch, doch „die große Linie der Politik blieb die gleiche“. Vgl. Kellermann, Reorientierungsprogramm,S. 86 f. bzw. S. 95. Beobachtungen wie die von Hermann Schnell, es sei territorial getrennt in der Bundesrepublik von Reeducation, in Österreich aber von Reorientation gesprochen worden, entsprechen eher den intellektuellen Abnabelungsversuchen des „Österreichbewußtseins“ als der Quellenlage. Vgl. Schnell, Bildungspolitik, S. 37.

5Henry Wickham Steed (1871 – 1956), Journalist, Politiker und Historiker.

6 Diese auch bei anderen Personen zu beobachtende Kontinuität gehörte mit zu den Entstehungsursachen dieser Studie. Zu Steeds Aktivitäten und seiner Rolle bei der Verbreitung gefälschter Dokumente zwischen 1914 und 1939 vgl. Scheil, Krise, Kap. IV / A bzw. Kap. VIII / B.

7 Vgl. Steed, Propaganda, S. 150, hier zit. n. Liddell, Education, S. 104.

Inhaltsverzeichnis

I.

Der Ruf – eine Art Prolog

II.

Einleitung, Methode, Forschungsstand.

1.

Fragestellungen.

2.

Elitentransfer – ein Konzept zur transnationalen Westbindung.

3.

Wissenschaft und Besatzung

4.

Selbstbehauptungsund Verzichtswissenschaften

III.

Nationalfragen.

1.

Ein Volk in zwei Nationen und drei Staaten?

2.

Die Politikwissenschaft und das viergeteilte Deutsche Reich.

3.

Nationale Gegenschläge und Legitimationswissenschaften.

4.

Politologie für Deutsche

IV.

Der Zweite Weltkrieg als Vater von Plänen und Netzwerken

1.

Sozialforschung mit Einschränkung.

2.

Behemoth

3.

Emigration als Ort von Netzwerkproduktion.

4.

Vom Schulbuch zum geschulten Re-Educationdenken – West

5.

Umerziehung – die Vorund Frühgeschichte in der sowjetischen Zone.

V.

Vom Besatzungsalltag zum Besetzungsalltag.

1.

Kultusminister im Spannungsfeld der Politik

2.

Mutmaßungen über den Stand der deutschen Bildung.

3.

Die Zook-Kommission

VI.

Wie man Wissenschaften er?ndet – Fallstudien (I). Gründungskonferenzen und Austauschprogramme in der frühen BRD

1.

Der Übergang von der Militärregierung zum Hochkommissariat.

2.

Die Konferenz von Waldleiningen

3.

Zwischenetappe: Die Berliner Tagung.

4.

Konferenz von Königstein

5.

Endstation im Institut für Sozialforschung. Die vierte Konferenz.

6.

Die Freie Universität Berlin und die Deutsche Hochschule für Politik

VII.

Transatlantische Austauschwege.

1.

Das Konzept der ‚Cultural Diplomacy‘

2.

Die Hermann B. Wells-Mission.

3.

Das Fulbright-Programm

4.

Die Atlantik-Brücke

VIII.

Politik mit dem Hakenkreuz – Fallstudien (II)

1.

Englische Affären .

2.

Der Gründungsskandal der neuen Bundesrepublik .

3.

Die gescheiterte Heilung der Nation.

a)

Historiker zwischen Revisionismus und Geheimdienst

b)

„Linksfaschismus“ und politische Bildung .

c)

Streit um das Bild des Judentums in der Bildungspolitik

4.

Maßnahmen der Kultusministerkonferenz als Folge der Hakenkreuzaffären

IX.

Schlußbetrachtung.

X.

Anhang

1.

Kurzbiographien

2.

Politikwissenschaftliche Lehrstühle im Jahr 1959

3.

Daten und Ereignisse in der Bildungspolitik.

Auswahlbibliographie.

1.

Archivmaterial

2.

Gedruckte Quellen, Handbücher und Dokumenteneditionen.

3.

Zeitschriften

4.

Memoiren, Erinnerungsliteratur und Tagebücher

5.

Zeitgenössische politische und historische Schriften.

6.

Sekundärliteratur .

Personenverzeichnis.

Abkürzungsverzeichnis

AAD

Akademischer Austauschdienst

AAPSS

American Academy of Political and Social Science

ACE

American Council on Education

ACG

American Council on Germany

ADL

Anti-Defamation League

AJC

American Jewish Committee

AMJECO

American Jewish Congress

BfH

Bundeszentrale für Heimatdienst

BFS

Board of Foreign Scholarships

BpB

Bundeszentrale für politische Bildung (bis 1963 BfH)

CCC

Council for Cultural Cooperation

DAWF

Deutsche Auslandswissenschaftliche Fakultät

DHfP

Deutsche Hochschule für Politik

HEV

Hessisches Ministerium für Erziehung und Volksbildung

HfP

Hochschule für Politik

HICOG

High Commissioner of Germany

HIPF

Hochschule für Internationale Pädagogische Forschung (Frankfurt a.M.)

ICD

Information Control Division

IFA

Institut zur Förderung öffentlicher Angelegenheiten

IISB

Internationales Institut für Sozialwissenschaft und Politik

INFA

Institut für Auslandsbeziehungen

IRC

Interdivisional Reorientation Committee

IVLP

International Visitor Leadership Program

KBB

Kommission zur Beratung der Bundesregierung in Fragen der politischen Bildung

KKF

Kongreß für Kulturelle Freiheit

KMK

Kultusministerkonferenz

KPP

Kommission für die Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien

MHA

Max Horkheimer Archiv

OMGUS

Office of Military Government, U.S.

OSI

Otto-Suhr-Institut

OSS

[16]

Office of Strategic Services

PWD

Psychological Warfare Division

SSAS

Salzburg Seminar in American Studies

VFWP

Vereinigung zur Förderung der Wissenschaft von der Politk

VfZ

Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte

WRK

Westdeutsche Rektorenkonferenz

I. Der RUF – eine Art Prolog

Im Jahr 1947 verboten die amerikanischen Militärbehörden das weitere Erscheinen einer der damals erfolgreichsten deutschen Zeitungen, den RUF. Die Ausgabe mit der Nummer siebzehn durfte nicht mehr von der bisherigen Redaktion verantwortet werden. Als Grund für den Stop des Blattes mit einer Auflage von etwa einhunderttausend Exemplaren wurde dessen „Nihilismus“ angegeben, was mehr als nur andeutungsweise ein starker Vorwurf war, genoß doch die Bezeichnung des Nationalsozialismus als „Revolution des Nihilismus“ zu dieser Zeit beachtliche Popularität. Die Militärbehörden dürften sich die Entscheidung nicht leicht gemacht haben, denn in den RUF hatten sie einiges investiert. Er galt als „eine der wichtigsten Institutionen innerhalb des Reeducation Programms“, publiziert in enger Zusammenarbeit des amerikanischen Kriegsministeriums, des Außenministeriums und des Office of War Information.1 So ist sein Schicksal auch im Rahmen dieser Studie von Interesse, denn der RUF, sein Anfang und sein Ende, beleuchten sowohl die Strategien wie die inhaltlichen Vorgaben, mit denen die Siegermächte darauf hinarbeiteten, im Nachkriegsdeutschland einen bestimmten intellektuellen Diskurs entweder zu fördern oder notfalls zu erzeugen.

Die Geschichte des RUF begann, als mit dem Eintreffen der „ersten deutschen Kriegsgefangenen Anfang 1943 in den Vereinigten Staaten“ der US-Armee der Gedanke kam, „die Gefangenschaft dieser deutschen Soldaten dazu zu nutzen, sie in den Prinzipien der Demokratie zu unterrichten“.2 Über diese Idee wurden unter den Verantwortlichen des amerikanischen Kriegsministeriums seit Ende März 1943 Gespräche geführt, denn die Zahl der inhaftierten Deutschen war in kürzester Zeit rapide gestiegen und sollte auch weiterhin steigen: Während im Januar 1943 erst 990 Kriegsgefangene gezählt wurden, waren es im Juni bereits 35.000 und im Dezember fast 125.000.3 Mit der Kapitulation der deutschen Streitkräfte in Nordafrika war der Krieg für eine große Anzahl deutscher Soldaten vorbei. Den genannten Gesprächen folgte im April 1943 zunächst eine Denkschrift – verfasst von John McCloy (Assistant Secretary of War) –, in der von einem „Umerziehungsprogramm für deutsche Kriegsgefangene“ die Rede war. Ein Programm, so ging aus der Schrift hervor, das

[18] „es sich zum Ziel setzen müsse, diesen (Gefangenen) die Geschichte der Vereinigten Staaten und die Zusammenhänge der Demokratie beizubringen und ihnen zu zeigen, daß das Volk der Vereinigten Staaten aus der Vermischung mehrerer Völker hervorgegangen sei.“4

Derartige Schulungen wollte McCloy nicht als Gesten der Sympathie gegenüber den Gefangenen verstanden wissen. Er plädierte unter der Flagge der Effizienz und ging davon aus, daß die in den Vereinigten Staaten gefangengehaltenen Soldaten eines Tages die deutschen Angelegenheiten mitbestimmen würden. Deshalb sei es klug, „sie so schnell wie möglich zu Verbündeten zu machen, die von den Vorzügen der amerikanischen Demokratie überzeugt“ sein würden. Allerdings kam es erst ein Jahr nach den ersten Gesprächen und Überlegungen zu praktischen Schritten in diese Richtung. Als aktueller Grund wurde zu diesem Zeitpunkt dann angegeben, daß inzwischen „in vielen Lagern die Nationalsozialisten den Ton“ angeben würden.5

Schließlich war sogar von Morden in den Lagern die Rede, und so verlangte die in diesem Sinn informierte „amerikanische Öffentlichkeit“ das Einschreiten der Behörden. Im August 1944 wurde beschlossen, ein spezielles Lager mit sorgfältig ausgewählten Kriegsgefangenen einzurichten, die später an der „Umerziehung“ des besetzten Deutschland mitwirken sollten. Für dieses Lager, das am 31. Oktober 1944 in einem ehemaligen zivilen Internierungslager für 150 Personen in Van Etten (New York) eingerichtet und am 1. März 1945 nach Fort Philip Kearney (Rhode Island) verlegt wurde, war ein detailliertes Konzept ausgearbeitet worden. Dazu gehörte unter anderem die Aufgabe, „eine Zeitschrift mit dem Namen ‚DER RUF‘ herauszugeben, die in allen Gefangenenlagern verteilt werden sollte“. Hierfür war es erforderlich, Inhaftierte zu finden, die zum einen das Vertrauen der amerikanischen Stellen hatten, zum anderen aber auch die gewünschten intellektuellen Voraussetzungen mitbrachten.

Man begegnet an dieser Stelle einem Phänomen, das die Umerziehungs- und Bildungspolitik in der späteren Bundesrepublik und ihren Vorläuferländern in ihrer Frühphase geprägt hat. Es handelt sich um das Phänomen der Scheintransparenz. Denn diese ersten amerikanischen Gründungen wie der RUF, sowie „die Tätigkeit von Fort Van Etten“ wurden von der Redaktionsmannschaft des RUF rückblickend ganz anders dargestellt. So war im letzten RUF Nr. 16 beispielsweise nicht von „Umerziehung“ die Rede, „sondern nur noch von ‚Erziehung‘.“ Bei den Lesern des RUF sollte und konnte der Eindruck entstehen, daß dieses so umrissene Programm der Zeitschrift vor allem aus der Eigeninitiative der deutschen Kriegsgefangenen entstanden war, während die amerikanischen Offiziere sozusagen nur technische Hilfestellung geleistet hätten.6 Dieser Auffassung entsprechend, schilderte der RUF die Geschichte seiner Gründung wie folgt:

[19] „Die Redaktion bildete sich aus aktiven demokratischen Kriegsgefangenen verschiedener geistiger und politischer Prägung, die sich bereits seit längerem mit dem Plan einer gemeinsamen Kriegsgefangenenzeitung beschäftigt hatten. Im Laufe des Dezembers 1944 endlich wurden sie von der PW-Special Projects Division des Provost Marshal General in einem kleinen Camp bei Van Etten im Norden des Staates New York zusammengezogen.7

Falls die Redaktion gedacht hatte, mit solchen Fehldarstellungen die Gunst der Besatzungsmacht zurückzugewinnen, erwies sich das als Illusion. Heft Nummer 16 blieb das letzte Heft. Tatsächlich wurde die Zusammensetzung der Gruppe, die als „Arbeitsgemeinschaft DER RUF“ firmierte, ebenso von den amerikanischen Behörden festgelegt, wie die Absicht zur Gründung der Zeitschrift von den Behörden ausgegangen war. Die Redaktion konnte und mußte sich damit trösten, „zusammen mit den amerikanischen Offizieren allgemeine Leitlinien für die Publikation“ festgelegt zu haben.8 Zu diesem Zweck sei laut Herausgeber Curt Vinz von den Amerikanern nur vorgeschlagen worden, daß „die verschiedenen Gruppen untereinander diskutieren und sich auf eine Kompromißlösung einigen sollten; sie hätten jedoch nicht direkt in die Diskussion eingegriffen“. Am Ende hatten sich diejenigen durchsetzen können, die dem RUF „eine möglichst große Resonanz unter den Gefangenen verschaffen (wollten), was implizierte, daß er keine zu starke politische Färbung haben durfte“. Eine vom RUF nachträglich formulierte Definition der anfänglichen Ziele zeigt, daß sich die „deutschen Redakteure“ bei der Bestimmung des Programms und der Aufgaben dann „genau die Ziele des amerikanischen Umerziehungsprogramms zu eigen gemacht“ hatten, angeblich „ohne […] gezwungen worden“ zu sein. Die Ruf-Redaktion ließ wissen:

„Sein eigentliches Ziel war die Wiedererweckung echten demokratischen Denkens in den deutschen Kriegsgefangenen, um Kräfte für den Wiederaufbau einer dauerhaften deutschen Demokratie nach der Niederlage des Nationalsozialismus zu sammeln. Die demokratischen Grundsätze und konstitutionellen Einrichtungen Amerikas boten, vor allem in ihrer historischen Entwicklung, Möglichkeiten des Vergleichs und anregende staatstheoretische Ideen."9

Zur Verwirklichung dieses Ziels sei den deutschen Redakteuren „die größtmögliche Freiheit“ gelassen worden, so stellte es die Redaktion später dar. Von Anfang an hätten die mit der Kontrolle des RUF beauftragten amerikanischen Offiziere – Capt. W. Schönstedt (Journalist und Romanautor) und Capt. R. Pestalozzi – Wert darauf gelegt, daß die Redaktionsmitglieder ihre publizistischen Ideen selbständig entwikkelten. Tatsächlich aber war der RUF den üblichen strengen Kontrollen und Grundsätzen unterworfen. Über bestimmte Dinge durfte nicht geschrieben werden, so etwa wenn sie theoretisch geeignet waren, Unfrieden zwischen den Alliierten zu stiften. Jede Ausgabe war einzeln genehmigungspflichtig.

[20] Zu den Machern des RUF zählten mit Alfred Andersch und Hans Werner Richter auch Intellektuelle, die das geistige Leben in der späteren Bundesrepublik in anderen Funktionen mit prägen sollten. 1946/ 47 gaben sie den RUF mit einer amerikanischen Lizenz in allen vier Besatzungszonen heraus. Diese „Unabhängigen Blätter der jungen Generation“, so ihr Untertitel, waren ein Organ, das bald Mißtrauen auf allen Seiten weckte. Hier sind wir nun bereits mitten in unserem Thema. Denn so wohlvorbereitet, wie er von der US-Armee konzipiert und so demokratisch der RUF auch ausgefallen war, tat er doch unerhörtes. Der RUF forderte nämlich demokratische Rechte für Deutsche, Respekt für Deutsche und kämpfte gegen Klittereien, die künftig den geschichtspolitischen Diskurs prägen sollten:

„Mitten in der härtesten Besatzungsdiktatur und unmittelbar nach der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands erhoben hier junge Deutsche ihre Stimme und forderten Gerechtigkeit und Wahrheit und Freiheit. Sie machten das allgemeine heuchlerische Phrasengedresch von Umerziehung und Besatzungsdemokratie nicht mit und verlangten mit Nachdruck (wobei sie keine publizistischen Glacehandschuhe anzogen) nicht nur Gedanken-, sondern auch Bewegungsfreiheit. Sie brandmarkten die Politik der Sieger als vorgestrig, als kolonialistisch und als menschenunwürdig, kurz: als uneuropäisch. Zugleich aber erteilten sie, um allen Mißverständnissen vorzubeugen, den Revisionisten unter ihren Landsleuten ebenso deutliche Abfuhren. Und sie wiesen warnend auf die zukünftige Ost-West-Entwicklung hin, auf die Teilung Deutschlands und den endgültigen Verlust der Oder-Neiße-Gebiete. Aber die, an deren Adresse diese Warnrufe gerichtet waren, hielten sich die Ohren zu. Sie ärgerten sich, sie fühlten sich gestört – und es kam zum Zwist mit den ‚Ruf‘-Herausgebern Andersch / Richter.“10

Der RUF bekannte sich nicht zur Kollektivschuld, er stand den Maßnahmen der Militärregierung kritisch gegenüber und grenzte sich von der politischen Linie der Alliierten ab, aber auch vom orthodoxen Marxismus. Er stellte sich unter anderem hinter die früheren deutschen Soldaten, die ihre Möglichkeiten ausgeschöpft hatten, um das Land in einem Krieg zu verteidigen, den nicht sie begonnen hatten und der nach dem Willen der Alliierten zu keinem Zeitpunkt mit einem Kompromiß hätte zu Ende gehen können. Dank oder Respekt dafür sollten sie letztlich nur wenig erhalten. In den öffentlichen Diskursen der Nachkriegszeit überwogen schnell die allgemeinen Schuldzuweisungen, sowohl die der Sieger als auch die innerdeutschen. Es war auch nicht Alfred Andersch, dem als Deserteur selbst erkennbar die Qualifikation fehlte,11 sondern Hans Werner Richter, der im RUF einen Tonfall formulierte, der zusammen mit dem RUF im Jahr 1947 eigentlich schon aus dem bundesrepublikanischen Diskurs verschwinden sollte:

„Ich fühle mich als Deutscher, ich bin Deutscher, ich kann nicht aus meiner Haut heraus. Aber ich bin nicht verantwortlich für Hitlers Verbrechen und für den Chauvinismus ver[21]gangener Zeiten. Und die jungen, heimkehrenden Soldaten sind es ebensowenig, ganz gleich, ob sie an den Nationalsozialismus geglaubt haben oder nicht. Ich bin auch nicht bereit, die imperialistischen Ansprüche der Siegermächte kritiklos hinzunehmen.“12

Unter solchen Voraussetzungen mußte die Redaktion in Konflikt mit den Siegermächten kommen, als deren „imperialistische Ansprüche“ vertraglich festgeschrieben werden sollten. Für den März 1947 hatten die Außenminister der Siegermächte eine Friedenskonferenz in Moskau angesetzt, auf der dies geschehen sollte. Der RUF forderte zu Beginn des Jahres, Deutschland müßte dort vertreten sein, forderte also das Recht zur sofortigen Wahl einer bevollmächtigten gesamtdeutschen Regierung. Dies stand quer zu den Absichten der Großmächte und bildete den Hintergrund einer ersten Verwarnung, die am 8. März 1947 ausgesprochen wurde. Beanstandet wurden allerdings nicht diese politischen Forderungen, sondern der Abdruck eines Leserbriefs, in dem behauptet worden war, der fast zwei Jahre nach Kriegsende immer noch andauernde Hunger der deutschen Bevölkerung sei von den Alliierten „wohlüberlegt“, was sicher nicht ganz unrichtig war.13 Auch eine Satire auf die Beschilderung eines Wasserhahns, auf dem in englisch ein drastisches Trinkverbot zu lesen war, auf deutsch aber „Trinkwasser“ stand, erzeugte Ärger. Schließlich fand eine weitere Satire auf die Umerziehungs- und Hochschulpolitik die besondere Aufmerksamkeit der Militärregierung. Der Autor karikierte unter dem Titel „Unmaßgebliche Vorschläge zu einem umfassenden Austauschplan zwecks Rettung der deutschen Kultur“ das Re-education Programm.

Für das nächste Heft wurden erhebliche Änderungen vorgenommen, nicht als Entschluß der Redaktion, sondern auf Druck des Verlags.14 Es erschien ein Leitartikel, der ganz im Umerziehungssinn „Bekenntnisse eines jungen Deutschen“ ablegte: „Ich bekenne mich zur Sühne, die ich mit meinem Volk für unser aller Schuld tragen will.“15 Hiermit wurde nicht nur Schuld von einem bekannt, der persönlich keine Verantwortung hatte, sondern über die Forderung nach Schuld und Sühne auch das ganze Volk mit beansprucht. Das drehte die bisherige Linie des Blatts erheblich in Richtung der Besatzungsvorgaben, aber noch nicht genug zum Überleben der Redaktion in der bisherigen Zusammensetzung. Heft 16 brachte wieder einen strittigen Artikel. Friedrich Stampfer, der jetzt in New York residierende frühere Chefredakteur des sozialdemokratischen Parteiblatts „Vorwärts“, forderte das Rück[22]kehrrecht für die Vertriebenen. Diese Forderung aufzustellen, war nach den Richtlinien vom 31. Januar 1946 zur Handhabung von Informationen über Flüchtlinge und Vertriebene verboten.16 Es konnte auch als Verstoß gegen den Abschnitt 2c der Richtlinie für alle Lizenzträger im Deutschen Nachrichtenwesen aufgefaßt werden, der die Verbreitung von Nachrichten untersagte, die „Mißtrauen und Feindseligkeiten des deutschen Volkes gegen eine der Besatzungsmächte“ erregen könnten.17

Solchen „Nihilismus“ wollte die Militärregierung nicht dulden: Die Nummer 17 vom April 1947 wurde nicht mehr genehmigt, Andersch und Richter verloren die Lizenz: „Die Entlassung der Herausgeber im März des Jahres 1947 ist ein wichtiger Einschnitt in der deutschen Nachkriegspublizistik. Die entschlossensten Schreiber verloren ihr Sprachrohr, ihre Stimme verlor an Kraft.“18 Die Kulturpolitik der Siegermächte bediente sich ganz zwanglos undemokratischer Mittel. Erich Kuby übernahm die Redaktion des RUF. Er tat dies als ein Mitarbeiter der amerikanischen Information Control Division (ICD), die als Nachfolgerin der Psychological Warfare Division (PWD) allerhand Projekte betrieb, um die deutsche Medienlandschaft nach dem zunächst von McCloy angeordneten totalen Stopp neu zu füllen.19 General Robert Alexis McClure führte im Rahmen der ICD auf diesem Weg die psychologische Kriegsführung fort, die er bereits vor 1945 betrieben hatte. Im Juli 1946 zog er bereits eine positive, aber angestrengte Bilanz:

„Wir kontrollieren jetzt 37 Zeitungen, 6 Radiostationen, 314 Theater, 642 Kinos, 101 Magazine, 237 Verlage, 7384 Buchhändler und Drucker, führen 15 Meinungsumfragen im Mo[23]nat durch, publizieren eine Zeitung mit 1,5 Millionen Auflage,20 3 Nachrichtenmagazine, betreiben die Deutsche Nachrichtenagentur (DANA) und 20 Büchereien. … Die Aufgabe ist gewaltig.“21

Unter diesen Umständen ließen sich auch die späteren Schwierigkeiten mit dem RUF verschmerzen.22 Die Möglichkeiten zur Prägung des deutschen Alltags durch die Kontrolle der Medien waren umfassend. Immer wieder wurden sie demonstrativ genutzt, was teilweise auch bei jüdischen Remigranten auf Kritik stieß. Hans Lamm etwa, der 1938 ins Exil gegangene und 1945 zunächst auf einer Mission für die zionistische American Jewish Conference zurückgekehrte langjährige Präsident der israelitischen Kultusgemeinde in München, kritisierte in diesem Zusammenhang das Radioprogramm und die Nürnberger Prozesse, an deren Durchführung er mitwirkte:

„Ich schaltete mein Radio ein und hörte mir jiddische Lieder an, die von München und Nürnberg gesendet wurden. Einige mögen in dem, was man ‚poetische Gerechtigkeit‘ nennt, Genugtuung empfinden, wenn sie hören, daß die Bürger von München (der ehemaligen ‚Hauptstadt der Bewegung‘) und Nürnberg (der damaligen ‚Stadt der Reichsparteitage‘) jiddischen Liedern ausgesetzt werden. Warum ist das ‚poetische Gerechtigkeit‘? In den meisten Fällen (nicht in dem gerade zitierten) ist es nichts anderes als ziemlich billige Rache. Tatsächlich frage ich mich sehr oft, ob Hass und Vergeltung dazu geeignet sind,jenen kostbaren Balancezustand, den man Gerechtigkeit nennt, wieder herzustellen.“23

Er sei zufällig ein „Rädchen im riesigen Getriebe von Nürnberg“, aber ob dort Gerechtigkeit entstehen würde, müßte er ernsthaft in Zweifel ziehen. Lamm lehnte auch die Kollektivschuldthese ab, auf der diese ganzen Maßnahmen direkt oder indirekt beruhten, aber er äußerte sich in diesem Sinn doch eher privat und forderte außerdem, wenn schon nicht eine Schuldzuweisung, so doch eine „Kollektiv[24]Reue“, was faktisch kaum zu unterscheiden war. Im Alltag arbeitete er persönlich mit Telford Taylor zusammen, dem Hauptankläger der meisten Nürnberger Nachfolgeprozesse, wie auch mit dessen Stellvertreter Robert Kempner. Zugleich spielte Lamm eine energische und bedeutende Rolle in der personellen und inhaltlichen Kontrolle der neu entstandenen Lizenzpresse in der US-amerikanischen Zone, wie ein zeitgenössischer Korrespondent festhielt:

„Der größte Teil der Männer in der amerikanischen lizenzierten Presse wurde von Mr. Lamm, ehemals in München, jetzt beim amerikanischen Militärgerichtshof in Nürnberg ‚gemacht‘. Mr. Lamm regiert nach altem Rezept: er hält für die von ihm gemanagten Zuckerbrot und Peitsche bereit. Wer sich als gehorsamer Zögling erweist, der wird von Zeit zu Zeit mit einem Care-Paket oder mit Zigaretten beschenkt. Doch wehe er vergisst, daß er von Mr. Lamm ‚gemacht‘ worden ist. Er wird nach Nürnberg zitiert, wo Mr. Lamm ihn zurechtstutzt oder, wenn der Angeklagte zu bocken beginnt, mit Meldung beim zuständigen Nachrichtenoffizier bedroht. Wird die Meldung von ihm gemacht, dann hat der betreffende Journalist aufgehört, ein solcher zu sein. Mr. Lamm zieht die Fäden, ohne durch ein besonderes Amt als der maßgebende erkennbar zu sein. Wie eine Souffleuse eine Stimme zu haben, ohne anderen als den Akteuren doch sichtbar zu sein – solch eine Tugend aber wird gerade innerhalb eines Systems geschätzt, das auf der Anonymität seiner eigentlichen Beherrscher beruht.“24

So korrespondierte auch bei Lamm die Ablehnung von billiger Rache mit einem klaren Machtanspruch, der im Rahmen jener Scheintransparenz ausgeübt wurde, der man noch an vielen anderen Stellen während der Prägung von Eliten und Bildung in Deutschland begegnen kann.25 Der als unabhängig proklamierte Journalismus der Nachkriegszeit war über lange Jahre so ziemlich alles, nur nicht unabhängig.26 Schwierigkeiten für die Besatzungsmacht waren unter diesen Umständen eher durch die trotz allem vorhandenen Möglichkeiten der Deutschen zu erwarten, sich abseits der so strukturierten Medienlandschaft tatsächlich unabhängig zu informieren. So ließ es sich nur schwer verhindern, daß auch Deutsche zu Stars and Stripes griffen, der Zeitung für die US-Streitkräfte, daß sie den deutschsprachigen schweizerischen Rundfunk hörten oder sich über die schweizerische Weltwoche eine gedruckte Meinung und Information besorgten, die nicht durch alliierte Zensur beeinträchtigt wurde.27 Jedwede unabhängige Information war den Besatzungsbehörden [25] suspekt, auch 1947 noch. Der Rückgriff auf die beim RUF angewandte radikale Methode des Lizenzentzugs sei geschehen, um die Besiegten zur Demokratie zu erziehen, lautete dennoch die spätere Erklärung durchgehend, auch was die Geschichte des RUF betraf. In seiner „Kulturgeschichte der Bundesrepublik Deutschland 1945 – 1948“ schreibt Hermann Glaser:

„Eine so krasse Fehlentscheidung wie beim ‚Ruf‘ gehörte freilich zu den Ausnahmen westalliierter Kulturpolitik. Die für die Neuordnung von Presse, Verlagswesen, Erziehung und Theater eingesetzten Offiziere waren meist gebildete, freiheitlich gesonnene, mit deutscher Geschichte und deutschem Geistesleben gut vertraute Persönlichkeiten.“28

Ob dieser Einschätzung zugestimmt werden kann, wird im folgenden geklärt werden. Vieles spricht dagegen. Daß der RUF in seiner bisherigen Form verboten werden mußte und Andersch wie Richter ihre Lizenz verloren, gehört lediglich insofern zu den Ausnahmen, als die Auswahl und das Verhalten der verantwortlichen Redakteure in diesem Fall nicht mit den politischen Vorgaben übereinstimmten.29 Für die Verhältnisse im Nachkriegsdeutschland war dies ungewöhnlich. Überwiegend fügten sich die betroffenen Deutschen den aufgestellten Regeln und brachten es mit zunehmendem Abstand sogar fertig, die Existenz dieser Regeln zu vergessen.30 Langzeitfolgen bestanden unter anderem darin, daß solche Regeln auch im Bereich politischer Bildung gelegentlich verschwiegen wurden, so etwa von der Bundeszentrale für politische Bildung, die kurz nach der Vereinigung von DDR und Bundesrepublik im Jahr 1991 eine Darstellung der eben angesprochenen Verhältnisse veröffentlichte, in der die Autoren lediglich wissen ließen: „Schon 1945 begann eine angesichts der existentiellen Not in Deutschland überraschende und in ihrer Quantität phänomenale Zeitschriftenblüte“.31 Daß keine einzige Ausgabe unzensiert erscheinen und keine Gründung ohne Billigung und Wohlwollen der Alliierten erfolgte, die den Markt gezielt mit Produkten dieser Art fluteten, blieb unerwähnt. Die Tendenz des „Ruf“ wurde bei der Bundeszentrale in eine des sozialistischen Main[26]streams umgewandelt. So habe die Zeitschrift eine Fortdauer des Kapitalismus in Deutschland nicht hinnehmen wollen, was sie der „Erkenntnis“ (sic) verdankt habe, daß „der Nationalsozialismus die letzte Zuflucht des Kapitalismus vor nicht mehr lösbaren Problemen gewesen sei“.32 Auf diese Weise gingen denn die Interpretationen aus dem Reservoir des Marxismus-Leninismus als Gewißheiten in den Kanon bundesrepublikanischer politischer Bildung ein.

Die Macher des Ruf dagegen stellten jedoch auch ganz andere unbequeme Fragen und durchbrachen zentrale Diskursregeln der Nachkriegszeit, zu denen die Anerkennung der deutschen Kollektivschuld an einem in der geschichtspolitischen Darstellung nach 1945 regelmäßig aus allen politischen Zusammenhängen gelösten Krieg gehörte, oder das Schweigen über das menschenrechtswidrige Imperialgehabe der Besatzer. Regeln, die nach Willen der Siegermächte in Deutschland in Zukunft einzuhalten seien. Der RUF zielte auf die Formulierung einer demokratischen und selbstbewußten politischen Willensbildung in Deutschland für ganz Deutschland einschließlich jener Teile, die nach dem alliierten Völkermordprogramm von Jalta und Potsdam von Deutschen zu entvölkern waren. Eine solche Willensbildung unmöglich werden zu lassen, geriet mit zum Anliegen der hier im folgenden von ihren Anfängen bis Mitte der sechziger Jahre untersuchten Bildungspolitik in ihren transatlantischen Wechselwirkungen.

 

1 Vgl. McCracken, Program, S. 150.

2 Vgl. Vaillant, Ruf, S. 3.

3 Unter dem Eindruck dieser Zahlen begann im Winter 1943/ 44 in England das systematische Training amerikanischer Offiziere für ihre künftige Rolle als Besatzung in Deutschland. Vgl. Clark, Planning, S. 214.

4 Ebd. Vaillant, Ruf, S. 3.

5 Ebd. Vaillant, Ruf, S. 4.

6 Ebd. Vaillant, Ruf, S. 7.

7 Der Ruf. Nr. 16, 1946.

8 Vgl. Vaillant, Ruf, S. 8.

9 Der Ruf. Nr. 16, 1946.

10 Zit. n. Neunzig, Lesebuch, S. 45.

11 Zuvor hatte er sich noch 1943 von seiner nach NS-Terminologie halbjüdischen Frau scheiden lassen, um in die Reichsschrifttumskammer aufgenommen zu werden. In US-Gefangenschaft berief er sich dann auf die Desertion und diese Ehe, ohne die Scheidung zu erwähnen. Vgl. Hinz, Literatur, S. 29 bzw. S. 88 f.

12 Zit. n. Schütz, Zensur, S. 183 f.

13 Es wurden zu keinem Zeitpunkt mehr als 1550 Kalorien pro Normalverbraucher ausgegeben, stellte ein Bericht General Clays am 1. November 1947 fest, beklagte die daraus entstehenden Folgen der physischen und geistigen Austrocknung der Bevölkerung und plädierte für mehr Nahrungsmittelimporte. Vgl. Clay, Papers, I, S. 468. Der Tiefststand lag teilweise erheblich darunter, und erreichte im Sommer 1945 teilweise nur 775 Kalorien, wie im badischen Karlsruhe. Die von den Alliierten willkürlich verursachte Hungersnot führte dazu, daß jüngere Deutsche bis 1947 „am Rande des Hungerschwindels existierten“. Vgl. Hohls, Fragen, S. 241, Interview Wehler.

14 Vgl. Vaillant, Ruf, S. 126 ff.

15 Vgl. Der Ruf, Nr. 15, 15. März 1947.

16 Vgl. Vaillant, Ruf, S. 133. An diesem Punkt wurde ständig weiter gearbeitet. Der London Council of Foreign Ministers verabschiedete am 5. November 1947 die Vorgabe, die „schnelle Auslöschung aller Bezugnahmen oder Unterscheidungen, die zwischen Migranten und ursprünglichen Einwohnern differenzieren“ zu betreiben, und verstand darunter auch ausdrücklich Vertriebene und Evakuierte. Vgl. Clay, Papers, I, S. 490.

17 Ein vergleichbares Lizenzwesen gab es auch in Österreich, wenn es dort auch recht frühzeitig vorkam, daß deutschnationale Parteigänger oder in Konflikt mit dem NS-Regime geratene NSDAP-Mitglieder als lizenzwürdig befunden wurden. Was die Wahrung der politischen Linie anging, so brachte sich hier wie in der Bundesrepublik die Besatzungsmacht mit steten Geldzahlungen bis weit in die 50er Jahre in Erinnerung. Vgl. Rathkolb, Republik, S. 229 ff. bzw. 246 f. Abweichungen von der vorgegebenen Linie zogen hier wie in Westdeutschland das Verbot nach sich. So wurde etwa das sozialistische „Linzer Tagblatt“ nach einem Artikel über „das deutsche Volk in Österreich“ per Verfügung des US-Hochkommissars zeitweise eingestellt. Vgl. Fellner, Problem, S. 224 f.

18 Vgl. Neunzig, Lesebuch, S. 45. Vgl. auch Schütz, Zensur, S.183–84.

19 Vgl. Dunner, Control, S. 291. Dabei spielten deutschstämmige, meist rassisch verfolgte Mitarbeiter der PWD und spätere Erfolgsautoren wie Hans Habe (d.i. Janos Bekessy), Benno Frank als Leiter in der Rundfunkpropaganda, Martin Herz als Verfasser der meisten an die Zivilbevölkerung verteilten Flugblätter, sowie der sehr aktive Saul K. Padover eine Rolle. Padover war gebürtiger Wiener, allerdings bereits 1920 in die USA ausgewandert. Er gehörte zu jenen, die den NS-Auslandsaktivitäten in den USA seit 1933 entgegentraten. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 133, bzw. Füssl, Kulturaustausch, S. 105. Hans Habe leitete zuvor eine „Pychological Warfare School“ in Camp Shape, an der mit Stefan Heym (d.i. Helmut Flieg) ein weiterer emigrierter, späterer deutscher Erfolgsautor mitarbeitete, der 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft erhalten hatte. Vgl. Gienow-Hecht, Transmission, S. 18 f.

20 Gemeint ist die Neue Zeitung in München, vgl. Dunner, Control, S. 283. Aus ihrer Redaktion gingen schließlich 16 deutsche Chefredakteure und über 30 Redakteure deutscher Zeitungen hervor. Vgl. Bauerkämper, Demokratiewunder, S. 148. Die Art und Weise der Finanzierung der Neuen Zeitung über Jahre hinweg blieb ein „highly secret matter“, deren Abwicklung man dem Emigranten und jetzigen Amerikaner Hans Habe anvertraut hatte. HICOG wolle nicht „the role of a policy-issuing or policy-controlling agency“ einnehmen, aber „as an American citizen, he (Habe) ought to know by himself what kind of line to take“. Vgl. Berghahn, Kulturkriege, S. 98 f.

21 Zit. n. Colonel Alfred H. Paddock: Major General Robert Alexis McClure – Forgotten Father of US Army Special Warfare, in: http://www.psywarrior.com/mcclure.html. Die DANA war eine Schöpfung der amerikanischen Psychological Warfare Division. Vgl. Dunner, Control, S. 284.

22 Eine Art Nachklang bildete im Mai 1947 ein Briefwechsel zwischen Erich Kuby und Hans Lamm, dem Vertreter der American Jewish Conference, die im April 1947 an einer Konferenz der jüdischen Gemeinden der Westzonen beteiligt war. Lamm forderte die moralische Gesamtverantwortung der Deutschen ein, während Kuby die „Wiedergutmachung“ in eher technischem Sinn auf Entschädigungszahlungen begrenzt wissen wollte. Vgl. Vaillant, Ruf, S. 160.

23Lamm in einem Rundbrief an Freunde vom 18. November 1946, hier zit. n. Sinn, Exil und Rückkehr, S. 90.

24 Zit. n. Sinn, Exil und Rückkehr, S. 68 f.

25 Im Rahmen von Bildung und Umerziehung war Lamm als ein Gründungsmitglied des am 5. November 1947 gegründeten American German Youth Club tätig, dessen Aufgabe es war, „nicht nationalistisch oder militaristisch aktiven oder vorbelasteten Jugendlichen“ im Alter bis zu fünfundzwanzig Jahren eine Anleitung und „ein Hilfsmittel in dem Prozess der demokratischen Neuorientierung und Umerziehung“ zu sein. Vgl. Sinn, Exil und Rückkehr, S. 83 ff.

26 Lizenznehmer von Presseorganen mussten u. a. das US-„Screening-Center“ in Bad Orb durchlaufen haben. Vgl. Schrenck-Notzing, Charakterwäsche, S. 138 f.

27 Unter Verweis auf solche Möglichkeiten und den sich in Westdeutschland weiter ausbreitetenden Hunger erklärte der Emigrant und jetzige Besatzungsoffizier Hans Speier die „Reeducation“ für fast unmöglich. Vgl. Speier, Journal, S. 63, Eintrag vom 20. März 1946. Andere Besatzungsoffiziere waren dagegen von der Zensurmöglichkeit überzeugt. Vgl. Dunner, Control, S. 284.

28 Zit. n. Glaser, Kulturgeschichte, S. 133.

29 Ein gutes Beispiel für die subtile Wirksamkeit der Inhaltsvorgaben sind etwa die Frankfurter Hefte, die seit 1946 erschienen, veröffentlicht unter „Military Government Information Control License Nr. US-W-2010“, und die auf intellektuell hohem Niveau an den zentralen Vorgaben entlangschrieben, besonders dem stets betonten Aufruf zum Kollektivschuldeingeständnis und dem Verzicht auf jede scharfe Anklage gegen alliierte Willkür. Dafür wurden dann auch Beiträge wie der von Clemens Münster geduldet, der im November 1946 den „Aufbau der geistigen Bildung“ skizzierte, ohne die vielerorts proklamierte Notwendigkeit der Erziehung zur Demokratie eigens zu erwähnen.

30 Typisch für das schließlich übriggebliebene Geschichtsbild sind in diesem Zusammenhang Bemerkungen wie die von Waldemar Krönig über Lagerzeitungen wie den RUF: „Die POWs, nicht an Berichterstattung freier Presse gewöhnt (sic), und sehr im Zweifel, ob dies eine leidlich objektive Information oder nur Indoktrination von der anderen Seite war, mußten erst den Umgang mit den Publikationen lernen.“ Vgl. Krönig, Nachkriegs-Semester, S. 38.

31 Vgl. Kleßmann, Staatsgründung, S. 161.

32 Vgl. Kleßmann, Staatsgründung, S. 162.

II. Einleitung, Methode, Forschungsstand

„Das Paradox der emigrierten Politikwissenschaftler ist, daß sie alle erst in Amerika zu Politikwissenschaftlern geworden sind.“

Gerald Stourzh1

1. Fragestellungen

Im Rahmen des hier skizzierten Projekts wird die Frage untersucht werden, inwieweit die nach 1945 und noch einmal nach 1960 eingetretenen Veränderungen der deutschen Schul- und Hochschullandschaft den verschiedenen persönlichen und institutionellen Kontakten zu verdanken sind, die sich bis zu diesem Jahr in einem transatlantischen Personen-, Wissens- und Methodentransfer niederschlugen. Zugleich wird die stete außenpolitische Spannung mit im Blickfeld stehen, unter der sich das deutsche Bildungssystem entwickeln mußte. Dabei übernahm das deutsche Bildungswesen zahlreiche Erkenntnisse aus den Vereinigten Staaten. Dies betraf im Prinzip alle Ebenen von Bildung und Erziehung vom „Kindergarten bis zur Universität“,2 wobei im Rahmen dieser Studie die Veränderungen der Hochschullandschaft im Mittelpunkt stehen, insbesondere die Wandlungen in den Sozialwissenschaften. Die vor allem von den Vereinigten Staaten ausgehenden Maßnahmen zur Bildung einer völlig neuen, auf die intellektuelle wie wirtschaftliche Westbindung3 Deutschlands ausgerichteten Elite, verstanden die deutschen Hochschulen als wesentliches Instrument zur Prägung dieser neuen Eliten. Eine entscheidende Rolle wurde von Seiten der Besatzungsbehörden dabei der Etablierung neuer ideologischer Leitwis[28]senschaften an den deutschen Universitäten zugewiesen, eine Rolle, die von der neu de?nierten Soziologie und besonders durch die neugeschaffene Politikwissenschaft und Zeitgeschichte übernommen werden sollte. Beide Fachkomplexe sollten nach diesen Vorstellungen einen Ein?uß auf alle Studiengänge entwickeln, ganz besonders aber auf die Ausbildung von Schul- und Hochschullehrern. Ergänzt und überlagert wurden diese Absichten von den neugeschaffenen Reise- und Austauschprogrammen, die einer größeren Anzahl von ausgewählten vielversprechenden Personen aus wichtigen Berufen und Fachrichtungen im Rahmen von Studienaufenthalten in den Vereinigten Staaten ein westlich geprägtes, gemeinsames Elitenbewußtsein vermitteln sollten. Die Umsetzung dieser Pläne geschah über Gastvorträge, durch Stipendien der Rockefeller- und der Ford-Stiftung, mittels Gründung von Instituten aus Stiftungsmitteln4 und über eine ganze Reihe von Austauschprogrammen, von denen das Fulbright-Programm das bekannteste ist.5 Daneben spielten internationale Korrespondenz und Netzwerke eine Rolle, insbesondere auch durch Remigration von Forschern, die seit 1933 Deutschland verlassen hatten und dann während und nach dem Krieg an teilweise führender Stelle an der US-amerikanischen Machtentfaltung beteiligt waren, soweit dort die Dienste von Politik- und Sozialwissenschaftlern benötigt wurden. Diese Projekte unterlagen deshalb in der Regel direkter politischer, nicht selten auch direkter geheimdienstlicher Ein?ußnahme. Zugleich veränderten aber die bewahrenden Tendenzen innerhalb der deutschen Universitätslandschaft diesen Wissensbestand in typischer Weise, bis der Generationenwechsel seit Beginn der 1960er Jahre eine weitere Richtungsänderung mit sich brachte, bei der sowohl westliche Beein?ussung als auch eine Wiederbelebung der innenpolitischen Kon?iktstellungen der 1930er Jahre eine Mischung eingingen und in Deutschland eine besondere Radikalität prodzuierten.

In der neueren Forschung wird bereits das große Interesse der Besatzungsmächte an verschiedenen Fächern konstatiert. Insbesondere die Fächer Soziologie und Politikwissenschaft wurden von ihnen mit Blick auf die Förderung der westdeutschen Demokratie besonders gewürdigt. Die Militärregierungen der Westzonen organisierten den ersten Soziologentag, Besatzungsof?ziere hielten die ersten Vorlesungen. Stärker noch wurde dieses Interesse in der Politikwissenschaft sichtbar, die als Fach überhaupt erst neu durchgesetzt werden mußte, aber im Rahmen dieses Durchset[29]zungsprozesses eine Veränderung erlebte. Im Rahmen dieser Studie sollen dieser Prozeß und seine Auswirkungen auf die Bildungspolitik bis etwa 1965 in einer an intellektuellen und beru?ichen Werdegängen orientierten, biographischen Perspektive näher beleuchtet werden. Es wird angestrebt, in diesem Rahmen den Umfang der Vernetzung von Emigration, Besatzungspolitik und Wissenschaft aufzuzeigen. Das Jahr 1965 stellt insofern eine Zäsur dar, als in diesem Jahr der Deutsche Bildungsrat gegründet wurde und mit den Bildungsprogrammen der Großen Koalition sowie der sich entwickelnden Studentenbewegung eine neue Situation entstand, auf die zugleich die maßgebenden Personen der unmittelbaren Nachkriegsära schon aus Altersgründen kaum noch Ein?uß nehmen konnten.

Die Fragen nach Interessenlagen und biographischem Hintergrund von Entscheidungen in der Bildungspolitik werden in den letzten Jahren zunehmend konkreter gestellt. Dabei ergänzen sich zwei Trends. Zum einen erfreut sich der biographische Zugriff generell aus methodischen Gründen einer neuen Beliebtheit, zum anderen schafft der zeitliche Abstand zu den Ereignissen erst die Möglichkeit zu wirklichen Biographien. Lebensläufe gelten als soweit abgeschlossen, daß politische Biographien bzw. Werkbiographien auch von noch Lebenden möglich werden, wie etwa die von Stephan Schlak über Wilhelm Hennis (2008) oder die von Ulrike Quadbeck über Karl Dietrich Bracher (2008). Gleichzeitig stehen Nachlässe zur Verfügung, die aufgrund des zeitlichen Abstands für die Forschung geöffnet sind und Biographien wie die von Simone Ladwig-Winters über Ernst Fraenkel (2009) oder Frank Bajohr über Erik Blumenfeld (2010) möglich werden ließen.

Deutlich früher kam die Umerziehungsforschung den Problemen insbesondere der amerikanischen Re-Orientation-Programme näher. James Tent „Mission on the Rhine“ (1984), Oliver Schmidt „Civil Empire by co-optation“ (1999), Jessica Gienow-Hecht „Transmission Impossible“ (1999), Karl-Heinz Füssl „Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20. Jahrhundert (2004) und der von Arnd Bauerkämper und Konrad Jarausch herausgegebene Band „Demokratiewunder“ (2005) warfen einen detaillierteren Blick auf die Austauschversuche, kamen allerdings zu relativ unterschiedlichen Bewertungen hinsichtlich des Erfolgs dieser Programme.6 Oliver Schmidt widmete dabei den Aktivitäten der großen amerikanischen Stiftungen und deren nicht immer transparenter Verbindung zu US-amerikanischen Regierungsaktivitäten viel Raum und berührte damit eine Fragestellung, die bis Ende der 1990er Jahre noch weitgehend unbekannt war.7 Frances Stonor Saunders machte daraus eine Art Geheimdienstgeschichte der US-Kulturdiplomatie „Wer die Zeche zahlt…– Der CIA und die Kultur im Kalten Krieg“ (2001). Volker Berghahn, „Transatlanti[30]sche Kulturkriege – Shepard Stone, die Ford-Stiftung und der europäische Antiamerikanismus“ (2004), vertiefte diese Fragestellung weiter und Tim B. Müllers Studie über „Krieger und Gelehrte – Herbert Marcuse und die Denksysteme im Kalten Krieg“ (2010) setzte dies, mit Blick auf die Verbindungslinien von ein?ußreichen deutschen Intellektuellen mit US-Geheimdiensten und unter anderem der Rockefeller-Stiftung, fort. Der vielzitierte militärisch-industrielle Komplex der Vereinigten Staaten wurde im Zusammenhang mit den transatlantischen deutsch-amerikanischen Beziehungen stetig von einem regierungsamtlich-stiftungsrechtlichen Komplex unterstützt, dies kann als ein Fazit dieser Veröffentlichungen gelten.

Die vorliegende Arbeit wird sich hauptsächlich auf das Verhältnis von persönlichen Netzwerken, und den Bildungszielen, sowie den Methoden von US-amerikanischer „Cultural Diplomacy“ konzentrieren. Dabei steht deren Herkunft aus den Kreisen der deutschen, vorwiegend deutsch-jüdischen Emigration mit im Blickfeld. Es wird angenommen, daß die gemeinsame Erfahrung von Verfolgung, Emigration und schließlicher Etablierung in hochrangigen Funktionen der amerikanischen Besatzungsbehörden im weiteren Sinn die Planungsansätze und die tatsächlich erfolgten Re-orientierungsmaßnahmen bedeutend beein?ußt hat. Die Rückverfolgung solcher Netzwerke anhand der Positionswechsel vieler Personen aus der Emigration in amerikanische Universitäten, in Armee und Geheimdienste, US-Verwaltungsbehörden, erneut deutsche Hochschulstellen, transatlantische Nichtregierungsnetzwerke und internationale Organisationen wie der UNESCO kann dies sichtbar werden lassen. Zugleich wird die Beein?ussung der deutschen Partner durch diese Austauschprogramme hinterfragt, die sich ebenfalls auf Inhalte wie Methoden ihrer Tätigkeit in Bildung und Forschung oder Politik ausgewirkt haben kann.

Zu einer der Kernfragen der bundesdeutschen Bildungspolitik und der staatlichen Identität der Republik gehört die Haltung zu und die Bewältigung der nationalsozialistischen Ära. Krieg und Niederlage von 1945 sind die Grundtatsachen, ohne die keine der oben skizzierten Entwicklungen hätte statt?nden können. Dennoch verliefen diese Entwicklungen nicht in einem stetigen Prozeß, sondern nach verbreitetem Eindruck in einzelnen Schüben. Es gab daher bereits etliche Anstrengungen, den gesellschaftlichen Wandel in der Bundesrepublik beispielsweise in Bezug auf die Vergangenheitsbewältigung in der Bundesrepublik zeitlich genauer zu fassen. Peter Steinbach datierte die Wende in das Jahr 1958 und führte sie auf den Ulmer Einsatzgruppenprozeß zurück. Hans-Peter Schwarz sah das Jahr 1960 als das Jahr, in dem sich alles schlagartig verändert habe, erarbeitete jedoch seine Darstellung des „Epochenwechsels“ in der Ära Adenauer dennoch über den Zeitraum von 1957 – 1963.8 Eine enge Verbindung zur Bildungspolitik und zu deren Basis in Universität und Austausch, die durch die oben skizzierten alliierten Maßnahmen gelegt worden war, wird in der Literatur jedoch regelmäßig nicht hergestellt.

[31] An der Tatsache eines kulturellen Umbruchs und deutlichen Bewußtseinswandels in der Bundesrepublik um das Jahr 1960 herum gibt es kaum Zweifel. „Die Öffentlichkeit wird wach“, schrieb der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland, Hendrik van Dam, am 11. Juli 1958 in der „Allgemeinen Wochenzeitung der Juden in Deutschland“.9 Er tat dies mit Blick auf die Prozeßwelle über die nationalsozialistische Zeit, die seit 1957 über das Land rollte, ohne daß die Ursache dafür genau festzustellen gewesen wäre, wie das Bundesjustizministerium später erklärte.10 Auch anderen ?el diese Welle der Veränderung auf, ohne eine Erklärung zu haben. Sie wiesen dessen ungeachtet jedoch einen Zusammenhang mit etwaiger außenpolitischer Ein?ußnahme ausdrücklich zurück.11 Die 1958 erfolgte Gründung der Ludwigsburger Zentralstelle zur Verfolgung von NS-Verbrechen muß in jedem Fall wohl weniger als Ursache denn als Folge der gestiegenen Interesses an solchen Prozessen verstanden werden. Regelmäßig abgestritten wurde dagegen, wie gesagt, das Interesse des Auslands an solchen Prozessen. Eine zeitgenössische Ausnahme bildete Caspar von Schrenck-Notzing, der entschieden das Gegenteil annahm und von einer „Charakterwäsche“ sprach, die vor und in diesem Zeitraum vor allem von den Vereinigten Staaten ausgegangen sei und als Basis für die Interpretation der Ereignisse um 1960 genommen werden müsse.12

Man könnte das Interesse an der Dokumentation und Verfolgung von Verbrechen aus der Zeit des Nationalsozialismus für eine juristische Selbstverständlichkeit halten, der eine Zeitlang nur der Schock der Kriegsniederlage, die aufgrund mangelnder historischer Aufarbeitung noch schlechte Beweislage und die organisatorischen Probleme im Weg gestanden hätten. Nun aber seien diese Hindernisse mehr als ein Jahrzehnt nach den Ereignissen seit 1957 / 58 überwunden worden, wofür darüber hinaus keine besondere Erklärung nötig sei. Rechtsfriede sei nur durch Verfolgung und Bestrafung von Tätern zu erzielen, dieses Prinzip habe sich durchgesetzt. Schon das bloße „Fortwirken der alten Nationalsozialisten (sei) ein Grundverbrechen an der inneren Verfassung der Bundesrepublik“, schrieb Karl Jaspers und meinte damit auch das „Fortwirken“ bereits derjenigen, die nicht direkt eines Verbrechens beschuldigt wurden. So ist in der Tat oft argumentiert worden, doch hat diese Argumentation einen erheblichen Schwachpunkt, da sie einmal von einem einseitigen Geschichtsbild ausgeht, das den Nationalsozialismus aus den politisch-historischen Zusammenhängen seiner Entstehung löst, zum anderen, da sie den allgemeinen Burgfrieden in Bezug auf Kriegsverbrechen ignoriert, der nach 1945 in gewisser Weise herrschte.

Die Bundesrepublik Deutschland verzichtete im Rahmen dieses Burgfriedens nicht nur teilweise auf die Entfernung der Nationalsozialisten aus dem öffentlichen [32] Leben, sondern gleichzeitig auf die durchaus ebenfalls wenigstens begrenzt mögliche Aufarbeitung der Massenverbrechen an Deutschen, die zwischen 1939 und 1949 durch Staatsangehörige anderer Länder begangen wurden. Jene Täter, die ihre Taten zu dieser Zeit, insbesondere während der Zusammenbruchszeit 1944 – 1946 begangen hatten, wurden und werden von der bundesdeutschen Justiz kaum verfolgt, wobei es um Millionen von Delikten geht. Dies kann und muß hier nicht weiter ausgeführt werden, doch scheint diese Anmerkung wichtig zu sein, um die Eigentümlichkeiten der bundesdeutschen Nachkriegswissenschaft auch im Hinblick auf die politische und historische Bewertung der NS-Zeit und deren gesellschaftspolitische Überwindung zu verstehen. Das zentrale Axiom in diesem Bereich lautete, Ein?uß und Taten des Auslands auf die innerdeutsche Entwicklung seien überwiegend auszublenden, sie seien in jedem Fall nicht wesentlich für den Ablauf des Geschehens gewesen. Dies hatte bereits zu den Grundsätzen des Nürnberger Gerichtshofs gehört und wurde auf historischer wie politik- und sozialwissenschaftlicher Ebene weiter tradiert. Allgemein gesprochen, besteht ein Zusammenhang zwischen der Bildungspolitik der Bundesrepublik Deutschland und der transatlantischen Elitenbildung mit den Bewältigungsstrategien im Hinblick auf den Nationalsozialismus.

2. Elitentransfer – ein Konzept zur transnationalen Westbindung

„Ich brauche Ihnen nicht zu erzählen, wie wichtig die deutschen Universitäten für die Festlegung des ganzen Geistes der deutschen Erziehung und der jungen Männer und Frauen, die in die Welt hinaus gehen, sind. Die Standards, die die Universitäten einnehmen und anwenden, sickern zu den Schulen durch, welche sie mit Studenten versorgen und haben so einen tiefgehenden Effekt auf das ganze System; die meisten Männer und Frauen durchlaufen es, welche in späteren Jahren die Führer ihres Landes in den meisten Lebensbereichen sein werden: schließlich durch ihre akademische und kulturelle Arbeit üben sie einen tiefgehenden Ein?uß auf die ganze Kultur des Landes aus. welche sie an vielen Punkten berühren. … Wir glauben, daß es die britischen Universitäten sind, die darin die Hauptrolle zu spielen haben, die deutschen Universitäten in die intellektuelle und moralische Welt des Westens zu führen.“

Ernest Bevin13