Traum von Ruhm und Tod - Dania Dicken - E-Book

Traum von Ruhm und Tod E-Book

Dania Dicken

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Beschreibung

FBI-Profilerin Libby Whitman ist überrascht, als sie einen Anruf von einem alten Bekannten erhält: LAPD-Detective Nathan Morris hat oft mit ihrer Mutter Sadie zusammen ermittelt und braucht nun Libbys Hilfe. Devon Colson, Shootingstar in Hollywood, wurde in seinem Wohnzimmer von einem Unbekannten mit einem Kopfschuss getötet, doch es scheint keine Verdächtigen zu geben. Zusammen mit ihren Kollegen Julie und Dennis reist Libby in ihre alte Heimat und stößt schon bald auf eine heiße Spur: Ein Unbekannter hat Hollywoodstars mit Nacktfotos erpresst – auch Devons Frau Lucy, einen ehemaligen Teeniestar. Doch ist der Voyeur wirklich zum Mörder geworden?

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Prolog
Freitag, 9. September
Montag, 12. September
Dienstag, 13. September
Zwei Monate vorher
Mittwoch, 14. September
23. März
Donnerstag, 15. September
Freitag, 16. September
Samstag, 17. September
Donnerstag, 22. September
Freitag, 23. September
Nachbemerkung
Impressum

 

 

 

Dania Dicken

 

 

 

 

Traum von Ruhm und Tod

Libby Whitman 12

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Ruhm ist die Sonne des Todes.

 

Honoré de Balzac

 

 

 

 

Prolog

 

Vielleicht sollte er sich einfach einen Porno anmachen. Gelangweilt zappte Devon durch die Kanäle und kam so von einer Nachrichtensendung über ein Comedyformat bis zu einem Spielfilm. Nein, eigentlich hatte er keine Lust, den Kollegen dabei zuzusehen, wie sie sich vor der Kamera abstrampelten. Vielleicht war es wirklich eine gute Idee, on demand einen Porno auszuleihen, sich eine Line reinzuziehen und sich dann, wenn das Koks so richtig knallte, noch einen runterzuholen. Er hoffte nicht wirklich darauf, an diesem Tag noch bei Lucy zu landen. Eher unwahrscheinlich.

Devon schaute sich um, weil er sichergehen wollte, dass nicht plötzlich einer seiner Sicherheitsleute draußen auf der Terrasse stand und ihm zusah. Die Tür war offen, er hörte das Zirpen der Zikaden auch über die Geräuschkulisse des Fernsehers hinweg.

Oder er schickte seine Security einfach weg, dann hatte er seine Ruhe.

Er stand auf, das Koks musste er sowieso holen. Bei dieser Gelegenheit ging er zur Haustür, trat vorn hinaus und sprach mit einem der Sicherheitsleute. Es benötigte ein wenig Überzeugungskraft, um sie dazu zu überreden, am Tor zu warten, aber auch ein Star brauchte gelegentlich seine Privatsphäre. Die bekamen sowieso schon zu viel mit.

Nachdem er die Security weggeschickt hatte, ging er hoch ins Schlafzimmer und holte ein Koksbriefchen aus der Kommode mit seiner Unterwäsche. Kein besonders geistreiches Versteck, aber bislang hatte es genügt.

Mit dem kleinen Papierchen in der Hand ging er wieder nach unten, besorgte sich ein neues Bier aus dem Kühlschrank und dimmte das Licht im Wohnzimmer. Jetzt war die Beleuchtung des Pools draußen beinahe heller. Auf dem Weg zum Sofa holte er sein Portemonnaie und nahm eine Kreditkarte heraus.

Er öffnete die Bierflasche, stellte sie auf den Couchtisch und setzte sich entspannt aufs Sofa. Zunächst öffnete er das Koksbriefchen, ließ den Inhalt auf den Glastisch rieseln und bearbeitete ihn konzentriert mit der Kreditkarte.

Es war gut, immer Koks vorrätig zu haben. Manchmal konnte er gar nicht gescheit arbeiten, wenn er nicht stoned war.

Er wickelte das dünne Papier zu einer Rolle, nachdem er das weiße Pulver in einer akkuraten Linie vorbereitet hatte, und schnupfte dann alles in einem Zug. Es kribbelte heftig, aber er verkniff sich das Niesen und schloss die Augen.

Es knallte beinahe sofort. Ihm wurde heiß, er entspannte sich, hatte das Gefühl, zu fliegen. Seine Laune stieg. Breit grinsend saß er auf dem Sofa und genoss den einsetzenden Rausch. Jetzt noch ein guter Porno und dann ein bisschen Spaß mit sich selbst ...

Devon hörte ein metallisches Klacken, dachte sich aber nichts dabei – nicht, bis jemand hinter ihm sagte: „Du bist so erbärmlich, weißt du das?“

War er auf einem Trip? War das echt?

Plötzlich spürte er, wie jemand ihm die Mündung einer Waffe an den Hinterkopf drückte. Nein, das war kein Trip. Das war wirklich echt.

„Was soll das?“, fragte er, ohne sich zu rühren.

„Das weißt du genau. Keine falsche Bewegung, oder du hast eine Kugel im Kopf.“

„Was willst du von mir?“

„Steh auf. Ganz langsam, klar? Und nimm die Hände hoch.“

Devon tat es. Als er sich umdrehen wollte, wurde ihm die Mündung der Waffe beinahe schmerzhaft gegen den Kopf gebohrt.

„Hab ich was von Umdrehen gesagt?“

Devon ließ es sein, er stand nur auf und merkte, wie die Waffe weggenommen wurde.

„Ich habe die Waffe weiter auf dich gerichtet, du solltest dich also nicht rühren.“

Devon hatte es nicht vor. Er hörte das Quietschen von Gummisohlen auf dem Marmorboden und atmete hörbar aus, als er sah, wer ihn da bedrohte.

„Du? Hast du sie noch alle?“

„Das könnte ich dich fragen. Knie dich hier hin. Die Hände behältst du oben.“

„Sonst was?“, fragte Devon, doch als sein Gegenüber eine schnelle Bewegung mit der Waffe machte, tat er es.

„Und jetzt was? Worum geht es hier?“

„Kannst du dir das nicht denken?“

Devon überlegte fieberhaft, doch dann schüttelte er den Kopf. „Sag es mir.“

„Du wirst Lucy nie wieder anrühren. Du verdienst sie einfach gar nicht.“

Devon blickte zu seinem Gegenüber auf, als der ihm die Mündung der Waffe an die Stirn drückte, und versuchte, die aufkeimende Wut zurückzuhalten.

„Wir reden hier von meiner Frau, das ist dir schon klar, oder?“

„Dann hättest du sie ja mal so behandeln können, wie sie es verdient! Was bist du nur für ein Loser.“

„Sagt wer?“, schnappte Devon.

„Du wirst ihr nicht mehr weh tun. Nie wieder.“

Dann knallte es.

 

Freitag, 9. September

 

Mit fragendem Gesichtsausdruck blieb Ian neben Julies leerem Schreibtisch stehen und blickte zu Libby. „Ganz allein heute?“

Libby nickte. „Julie fährt nach New York, um ihre Doktorarbeit abzugeben.“

Anerkennend zog Ian die Brauen in die Höhe. „Großartig. Ist sie fertig? Dann haben wir ja bald jemanden mit Titel im Team.“

„Sie weiß noch nicht, ob sie ihn führen will.“

„Ist doch egal. Sie hat ihn. Darauf kann sie wirklich stolz sein.“

„Das ist sie auch, denke ich. Obwohl ich ziemlich sicher bin, dass sie in der Hauptsache froh ist, endlich fertig zu sein.“

„Das glaube ich. Was habe ich gehört, euer Text über den Mistkerl Bailey erscheint im November in unserem Bulletin?“

Libby nickte. „Im Dezember wird er auch in Psychology of Violence veröffentlicht. Eine Anfrage beim American Journal of Psychology läuft noch, ebenso bei Psychology, Crime and Law in England.“

Ian machte ein anerkennendes Gesicht. „Wow, nicht schlecht. Der Text ist aber auch unschätzbar wertvoll. Mutig von dir, dass du dein Wissen über Bailey so offen mit der Welt teilst.“

Libby seufzte. „Es ist nicht leicht, aber ich bin hier beim FBI, um solche und ähnliche Täter zu stoppen. Was ich über ihn weiß, kann dabei helfen. Davon abgesehen hat es keinen Zweck, sich verstecken zu wollen. Man muss mich doch nur ansehen.“

„Mach dich nicht fertig deshalb, das sind bloß Narben. Das macht dich nicht aus.“

Nun lächelte sie. „Danke, Ian. Lieb von dir.“

„Das meine ich ernst. Überleg mal, du bist immer noch hier. Unverwüstlich.“ Er zwinkerte ihr zu und ging weiter zu seinem Platz, während Libby ihm für einen kurzen Moment nachdenklich hinterher sah.

Vielleicht hatte er Recht und es waren bloß Narben, aber zu ihr gehörte ein bisschen mehr als das. Das war ihr wichtig.

Sie wandte sich wieder ihrem Bericht zu und in der Mittagspause ging sie mit den Kollegen in die Kantine, doch ihr fehlten Julies Lachen und ihre Spitzzüngigkeit. Zum Glück war sie ja nur diesen einen Tag lang nicht dort.

Ihre Krankschreibung hatte gleichzeitig mit Libbys Suspendierung geendet, doch Libby war nicht verborgen geblieben, dass Julie sich ein wenig schwer damit tat, so weiterzumachen, als sei nichts geschehen. Sie hatten schon manche Mittagspause damit verbracht, durch die Wälder Quanticos zu spazieren und zu reden, was besonders Nick wohlwollend beobachtet hatte.

Auf dem Rückweg aus der Kantine fing er Libby ab und nahm mit ihr den nächsten Aufzug, weil der erste schon voll war. Libby studierte die Maserung des Fußbodens, während Nick fragte: „Wie geht es Julie im Moment?“

„Es ist okay, denke ich. Sie war auf mein Anraten hin zweimal bei Michael Harington und hat sich damit abgelenkt, ihre Thesis fertigzustellen.“

„Ich weiß, aber was sagt sie dir? Du musst da nicht ins Detail gehen, sie hat ja schließlich im Vertrauen mit dir gesprochen. Aber denkst du, es geht ihr gut?“

Während die beiden in den Aufzug stiegen, nickte Libby. „Schon, ja. So gut, wie es jemandem geht, der gefoltert und beinahe getötet wurde.“

„Ich weiß, es ist ein Prozess.“

„Kann man so sagen. Ich glaube, sie braucht einfach Zeit. Im Übrigen möchte sie nicht mit Samthandschuhen angefasst werden.“

„Ja, das dachte ich mir. Würde auch nicht zu ihr passen.“

„Du kannst ja selbst mal mit ihr sprechen, wenn sie wieder zurück ist.“

„Das hatte ich vor. Ich wollte nur mal deine Meinung dazu hören, schließlich kennst du sie von uns allen am besten.“

„Na klar“, erwiderte Libby und lächelte. Gemeinsam gingen sie ins Büro und Libby setzte sich wieder an ihren Schreibtisch. In vier Stunden begann das Wochenende. An Tagen wie diesem, wenn sie nur mit Papierkram beschäftigt war, sehnte sie den Feierabend herbei. Aber auch das gehörte zum Job.

Sie hatte sich erst seit zehn Minuten wieder in den Text vertieft, als das Telefon klingelte. Sie erkannte die Vorwahl als die von Los Angeles und nahm das Gespräch gespannt an.

„Special Agent Libby Whitman, FBI Quantico“, meldete sie sich.

Für einen Moment war es still, dann sagte eine vertraut klingende Männerstimme: „Ist das verrückt – du hast es wirklich geschafft.“

Libby stutzte. „Nathan?“

„Oh, natürlich, entschuldige, ich vergesse meine Manieren. Ja, ich bin es.“

Jetzt lachte sie. „Du hast dich kein bisschen verändert.“

„Doch, durchaus. Ich bin ein paar Jahre älter geworden. Du offensichtlich auch. Wenn ich mal überlege, wie ich dich kennengelernt habe ... hätte mir damals jemand gesagt, dass du irgendwann beim FBI sein würdest, ich hätte gelacht.“

Libby grinste. „Ich auch.“

„Wie geht es dir? Muss eine Ewigkeit her sein.“

Nach kurzem Nachdenken erwiderte Libby: „Etwa sieben Jahre, oder?“

„Ja, kommt hin.“

„Mir geht es gut, und dir?“

„Ach, eigentlich ist alles wie immer. Zu viele Mörder, zu viele Überstunden.“

Libby grinste. Sie erinnerte sich gut an LAPD-Detective Nathan Morris. Er hatte in einigen Fällen eng mit Sadie zusammengearbeitet, als sie noch in Los Angeles gelebt hatten. Sie hatte ihn kennengelernt, kurz nachdem Sadie und Matt sie bei sich aufgenommen hatten. Der Fall des Son of the Nightstalker Brian Leigh war seiner gewesen. Nathan war ein witziger, väterlicher Typ, dem sie immer vertraut und den sie als ihren Freund betrachtet hatte. Er musste inzwischen Anfang oder Mitte fünfzig sein.

„Morde und Überstunden – das trifft es ganz gut“, sagte sie.

„Seit wann bist du jetzt beim FBI?“

„Seit zweieinhalb Jahren.“

„Wow. Sind Sadie und Matt stolz oder bringt es sie um den Schlaf?“

Sie lachte. „Beides, glaube ich. Wusstest du gar nicht, dass ich beim FBI bin?“

„Doch, das habe ich mitbekommen. Ich wusste ja, dass du das machen willst. Aber ich habe keine Ahnung, wann ich zuletzt mit Sadie gesprochen habe, das ist leider viel zu lang her.“

„Ja ... ich habe meinen Abschluss an der Uni in San José gemacht und bin dort zur Polizei gegangen, bevor ich nach Quantico gekommen bin. Ich bin jetzt in Nick Dormers Team.“

„Ja, das sagte Cassandra mir. Ich rufe dich nämlich an, weil ich mit ihr gesprochen habe.“

„Okay“, sagte Libby gespannt.

„Ich brauche Profiler-Hilfe. Leider ist euer Team hier in Los Angeles gerade etwas ... indisponiert, sagen wir. Zwei Kollegen sind ausgefallen und die übrigen sind gerade bis unter die Hutkrempe voll mit Arbeit, deshalb hat Cassandra mir empfohlen, euch um Hilfe zu bitten. Sie hat mir deine Nummer gegeben.“

„Verstehe.“

„Ich habe hier einen Mordfall, an dem ich mir die Zähne ausbeiße. Irgendwas übersehe ich und ich weiß nicht, was. Deshalb hatte ich gehofft, dass mal ein Profiler seinen geschulten Blick darauf werfen könnte.“

„Gern. Worum geht es?“

„Um Devon Colson, den ermordeten Schauspieler.“

Libby überlegte kurz, davon hatte sie in den Nachrichten gehört. „Das ist dein Fall?“

„Ja, ich bin inzwischen in der Abteilung in Hollywood. Heißes Pflaster, das kann ich dir sagen.“

„Das glaube ich dir sofort.“

Nathan lachte. „Soll ich dir was Trauriges verraten? Wir haben nichts.“

„Wir? Arbeitest du immer noch mit Roy zusammen?“

„Nein, Roy ist nach einer Schussverletzung vor zwei Jahren in den Frühruhestand gegangen. Deshalb bin ich jetzt auch in Hollywood, da war gerade was frei. Mein neuer Partner heißt Colin Shaw, er ist bloß ein paar Jahre älter als du, aber wir verstehen uns prima. Wir ermitteln jetzt seit vier Wochen ohne eine einzige heiße Spur im Fall Colson, das regt mich langsam richtig auf. Wir haben nicht einen Verdächtigen, gar nichts.“

„Okay ... und das aus deinem Munde.“

„Was soll das denn heißen?“, fragte Nathan amüsiert.

„Du bist Cop aus Leidenschaft. Ich kenne dich, du bist einer der Besten beim LAPD.“

„Schmier mir nicht so viel Honig ums Maul, Kleines – sag mir lieber, was ich übersehe.“

Libby lachte. „Du glaubst, dass ich das kann?“

„Ich hab dich damals erlebt, als es um Charles Fletcher ging. Du bist die Tochter deiner Mutter – im übertragenen Sinne nur, ich weiß, aber Sadie war immer großartig und wenn du nur halb so gut bist, wirst du meinen Fall lösen.“

„Du bist immer noch derselbe Charmeur, Nathan.“

„Ja, bin immer noch ganz der Alte“, sagte er und lachte. „Pass auf – Devon Colson wurde in seiner Villa in den Hollywood Hills erschossen, als er ganz allein dort war. Es gibt dort Putzfrauen, einen Hausmeister und einen Koch, außerdem diverse Sicherheitsleute. Das Hauspersonal war nicht dort – zu der Zeit hätte eigentlich bloß noch der Koch da sein müssen, aber den hatte er weggeschickt, genau wie seine Security. Er hat den Männern gesagt, sie sollten vorn am Tor bleiben, das die Einfahrt zu seinem Grundstück flankiert. Zum Zeitpunkt seines Todes war er also ganz allein in seiner Villa. Das kommt so gut wie nie vor und uns ist völlig klar, dass es jemand gewesen sein muss, der ihn gut kannte und über seine Gewohnheiten Bescheid wusste – oder jemand, der ihn beobachtet hat. Seine Frau Lucy war nachweislich nicht zu Hause – die Security hat sie drei Stunden zuvor zur Premiere des neuen Films von Tricia Perry gefahren. Wir haben allerschönstes Film- und Fotomaterial, das beweist, dass sie die ganze Zeit über auf der Premierenparty war – bis wir sie über den Tod ihres Mannes in Kenntnis gesetzt haben.“

„Hätte die Frau denn ein Motiv gehabt?“

„Du interessierst dich auch nicht für Klatsch und Tratsch der Promis, oder?“

„Nicht sehr, warum?“

„Devon Colson und seine Frau Lucy Palmer haben eine dieser typischen On-Off-Beziehungen geführt, denen man in Hollywood öfter begegnet. Devon ist sein Erfolg zu Kopf gestiegen, er hat regelmäßig gekokst und seine Frau betrogen. Mal waren sie zusammen, mal getrennt. Jetzt gerade waren sie wieder zusammen, auch wenn ich weiß, dass sie Streit hatten, weil er wieder eine andere Frau geküsst hat.“

„Klingt ziemlich typisch für Hollywood. Deshalb würde ich eher zu einem Scheidungsanwalt gehen als zu einem Auftragskiller.“

„Ja, eben. Bislang verdächtigen wir sie nicht. Colin und ich haben ihr gesagt, dass ihr Mann erschossen wurde, und sie war ehrlich überrascht und bestürzt.“

„Hat denn sonst niemand einen Grund gehabt, ihn zu töten?“

Nathan seufzte. „Nein, niemand. Da ist absolut nichts. Keine Feinde, keine dubiosen Dealer, keine Schulden, nichts. Wir wissen nicht, wer es war.“

„Hm“, machte Libby. „Schick mir doch mal deine Unterlagen, dann schaue ich sie mir an und spreche mit meinem Team darüber. Vielleicht haben wir eine Idee.“

„Das wäre großartig. Gibst du mir deine Mailadresse?“

Libby diktierte sie ihm und versprach, sich zu melden, sobald sie etwas für Nathan hatte, dann legte sie auf. Sie atmete tief durch und lächelte.

Sie hatte Nathan Morris immer gemocht. Persönlich kennengelernt hatte sie ihn kurz nach ihrem fünfzehnten Geburtstag am Independence Day, als er Sadie und Matt und natürlich auch sie zu einer kleinen Grillparty eingeladen hatte. Sie erinnerte sich noch an seine Tochter und seinen Sohn, mit denen sie sich gut verstanden hatte. Sadie war damals hochschwanger gewesen und an dem Abend hatte Brian Leigh ganz im Zeichen des Zodiac-Killers in einem Park in Los Angeles auf ein Pärchen in einem Auto geschossen. Um kurz vor Mitternacht hatte sie schon mit Sadie und Matt nach Hause fahren wollen, als Nathan über den Mord in Kenntnis gesetzt worden und mit Sadie hingefahren war.

Es stimmte, kennengelernt hatte Nathan sie als schüchternes, etwas weltfremdes Mädchen. Ein halbes Jahr zuvor war sie aus der Sekte geflohen und sie erinnerte sich an die Zeit bis zu Hayleys Geburt als eine sehr intensive, aber auch verwirrende Phase, in der sie versucht hatte, die normale Welt kennenzulernen und sich darin zurechtzufinden. Sie war auf eine normale Schule gekommen, hatte normalen Unterricht besucht, hatte das Internet und Filme kennengelernt und das Leben in einer amerikanischen Großstadt, das so anders war als alles, was sie bis dahin gekannt hatte. Anfangs war ihr Kontakt zu Nathan sporadischer Natur gewesen, aber weil er ein guter Freund von Sadie geworden war und die Familie auch während Matts Haftzeit immer begleitet hatte, war er auch Libby als Freund im Gedächtnis geblieben. Leider war der Kontakt nach ihrem Wegzug aus Los Angeles mit der Zeit eingeschlafen, aber das traf auf die meisten ihrer Kontakte in Los Angeles zu.

Während sie noch überlegte, blinkte es in ihrem Posteingang und sie erhielt mehrere Mails von Nathan, die sie gespannt öffnete und überflog. Devon Colson war durch einen frontal aufgesetzten Schuss in die Stirn gestorben – er hatte seinem Mörder in die Augen gesehen. Es gab keinerlei Zeugen dafür, wie der Täter hereingekommen war, Colsons Security war erst dazugestoßen, als sie den Schuss gehört hatten und es zu spät gewesen war. Die Ermittlungen hatten ergeben, dass der Täter sich den Zutritt über die Mauer verschafft hatte, die das Anwesen umgab – darüber war er auch geflohen, er hatte einen Gartenstuhl herangeschoben, um leichter entkommen zu können. Forensisch relevante Spuren hatte er nicht hinterlassen, man hatte bloß das Projektil, mit dem Colson getötet worden war. Die Security hatte ihn tot im Wohnzimmer vor dem Sofa gefunden, der Fernseher war noch gelaufen, auf dem Couchtisch waren Reste von Kokain festgestellt worden.

Nathan und Colin hatten sorgfältig gearbeitet. Es gab ein fast minutengenaues Protokoll des Abends von Lucy Palmer, die nachweislich auf der Premierenparty nicht eine Minute gefehlt hatte. Seit Jahren füllten sie die Klatschspalten der Hochglanzmagazine und Libby wusste auch, wer Devon und Lucy waren. Devon Colson war Anfang dreißig und mit Mitte zwanzig so richtig durchgestartet, als er die Hauptrolle in einer Filmreihe eines Comic-Franchises ergattert hatte. Er hatte Rekordgagen ausgehandelt, was beim Erfolg seiner Filme nicht verwunderlich war. Privat lief es weniger gut für ihn – man wusste, dass er Drogen nahm und seine Beziehung zu Lucy Palmer war alles andere als stabil.

Lucy hatte mit dreizehn die Hauptrolle in einer Disney-Komödie ergattert, von der auch zwei Fortsetzungen gedreht worden waren, aber sie hatte an diesen Erfolg nie wirklich anknüpfen können. Sie hatte sich an ernsthaften Rollen versucht, war aber bei den Kritikern gnadenlos durchgefallen und hatte im Augenblick eine feste Rolle in einer mittelmäßig erfolgreichen Sitcom, doch das war alles. Sie schien von den Millionen zu leben, die sie damals verdient hatte. Auf einer Premierenparty war sie Colson begegnet und hatte den acht Jahre älteren Mann ein halbes Jahr später bei einer spontanen Hochzeit in Las Vegas geheiratet. Die erste Trennung hatte es drei Monate später gegeben. Das alles war nun zwei Jahre her.

Libby durchforstete weiter die Unterlagen, die Nathan ihr geschickt hatte, und sah sich in ihrer Aussage bestätigt, dass Nathan einer der besten Polizisten in Los Angeles war. Er hatte wirklich lückenlos mit Colin ermittelt. Sie hatten die finanziellen Verhältnisse des Paares durchleuchtet, Lucy hatte ihnen bereitwillig ihr Handy und ihren Computer zur Verfügung gestellt. Hinweise auf Mordabsichten an ihrem Mann gab es keine.

Niemand hatte den Eindringling gesehen, bekannte Feinde hatte Colson nicht. Libby verstand, dass der Fall Nathan aufregte. Sie ging nicht ins Detail, sondern stand auf und ging in Nicks Büro.

„Was kann ich für dich tun?“, fragte er freundlich.

„Du ahnst nicht, wer mich vorhin angerufen hat.“

„Jetzt bin ich gespannt.“

„Nathan Morris vom LAPD.“

Sofort stahl sich ein Lächeln auf Nicks Gesicht. „Nathan! Das muss ewig her sein.“

„Er ermittelt im Fall des erschossenen Schauspielers Devon Colson und ist ziemlich am Ende mit seiner Weisheit. Vorhin hat er mir alles zur Ansicht geschickt, was er mit seinem Partner zusammengetragen hat, und das ist wirklich einiges. Ich gebe ihm darin Recht, dass es bis jetzt keinen Anhaltspunkt auf den Täter gibt, und würde mich gern genauer mit dem Fall beschäftigen, um ihm helfen zu können. Das könnte allerdings auch bedeuten, dass man da einiges neu aufrollen und unter anderen Gesichtspunkten betrachten muss.“

Dormer nickte interessiert. „Magst du mir weiterleiten, was du hast? Dann schaue ich mir das selbst mal an und überlege, wie wir Nathan helfen können. Aber warum hat er nicht Cassandra Williams und ihr Team gefragt?“

„Hat er, aber er sagte, sie hätte ihn an uns verwiesen, weil sie gerade keine Kapazitäten hat.“

„Verstehe. Na, lass mich mal sehen, dann sage ich dir, wie wir damit umgehen.“

Das reichte Libby fürs Erste und sie versprach Nick, ihm alles weiterzuleiten. Nachdem sie sich an ihren Schreibtisch gesetzt hatte, setzte sie ihr Vorhaben gleich in die Tat um und wartete gespannt ab. Immer wieder drehte sie sich um und beobachtete, wie Nick in seinem Büro aufmerksam auf seinen Bildschirm blickte. Sie versuchte, sich auf ihren Bericht zu konzentrieren, was ihr nicht sonderlich gut gelang. Etwa eine Dreiviertelstunde später stand Nick auf und Libby gab sich gar keine Mühe, ihn nicht neugierig anzusehen.

Er grinste, während er zu ihr kam. „Du hast Recht, Nathan und sein Partner haben wirklich gründlich ermittelt. Ich sehe im Moment auch noch keinen echten Anhaltspunkt, würde aber sagen, dass wir den nicht finden, wenn wir die Ermittlungsergebnisse der beiden hier in Virginia bearbeiten. Da sollte schon jemand von uns nach Los Angeles und den beiden helfen, die Sache noch mal aufzurollen.“

„Lässt du mich das machen?“

Nick lächelte. „Natürlich. Ich habe jetzt überlegt, ob ich Julie mitschicken soll, und ich glaube, das wäre tatsächlich eine ganz gute Idee. Dieser Fall klingt für mich nicht nach etwas, das einem von euch gefährlich werden könnte. Ihr könntet ja auch Dennis mitnehmen, er kommt ja ursprünglich von dort.“

„Gute Idee“, sagte Libby. „Ich kann Julie ja mal fragen, ob sie möchte.“

„Ja, mach das. Aber sag mal, hat Nathan einen neuen Partner?“

„Roy Coulter ist nach einer Schussverletzung im Ruhestand und Nathan ist daraufhin in die Hollywood Division gewechselt.“

„Natürlich. In Downtown hätte er wohl auch kaum einen Fall aus den Hollywood Hills bekommen.“

Libby nickte zustimmend und Nick fuhr fort: „Sprich mal mit den anderen und wenn ihr euch einig seid, kannst du euch für Montag Flüge besorgen.“

„Klasse“, sagte Libby, die gleich zu Dennis ging und ihn fragte, ob er sie nach Los Angeles begleiten wollte. Er musste nicht lang überlegen, sondern sagte sofort zu und sie leitete auch ihm die Fallakten zur Ansicht weiter. Anschließend versuchte sie, Julie anzurufen, und hatte Glück.

„Hey, was gibt’s?“, begrüßte Julie sie freundlich. Im Hintergrund hörte Libby Verkehrsrauschen.

„Willst du mit Dennis und mir am Montag nach Los Angeles fliegen? Das LAPD untersucht den Mord an dem Schauspieler Devon Colson und braucht unsere Hilfe.“

„Das LAPD? Irre ich mich oder gibt es Profiler in Los Angeles?“

„Gibt es, aber die haben keine Zeit. Vorhin hat Nathan Morris mich angerufen und um Hilfe gebeten.“

„Ach, von dem hast du mir erzählt. Ja, klar, bin dabei! Ich war ewig nicht in Los Angeles.“

„Klasse, ich kümmere mich um den Rest. Bist du in New York?“

„Ja, ich bin auf dem Campus. Vorhin habe ich meine Thesis abgegeben. Du hast keine Ahnung, was das für ein großartiges Gefühl ist!“

„Kann ich mir vorstellen. Ich freue mich für dich.“

„Ich bin so froh. Jetzt muss ich bloß noch zur Verteidigung hier hin und dann bin ich auch endlich damit durch.“

„Du kannst so stolz auf dich sein.“

„Endlich geschafft. So, ich esse noch eben eine Kleinigkeit und dann mache ich mich auch schon wieder auf den Rückweg. Ist ja so lustig, den Tag im Auto zu verbringen“, brummte Julie sarkastisch.

„Kann ich mir vorstellen. Gute Fahrt!“

„Danke. Wir sehen uns.“

Libby legte auf und suchte aus Nathans Mailsignatur seine Telefonnummer heraus, um ihn anzurufen. Er nahm schon nach dem ersten Freizeichen ab.

„Und, was sagt ihr zu den Unterlagen?“

„Ich habe sie mir angeschaut und sie auch an Nick Dormer weitergeleitet. Er hält es für eine gute Idee, wenn wir uns das vor Ort ansehen – wir sind in dem Fall Dennis Johnson, Julie Thornton und ich.“

„Ehrlich? Ihr kommt her?“

„Ich werde uns gleich Flüge für Montag buchen.“

„Oh, das ist mehr, als ich zu hoffen gewagt hatte.“

„Nick meinte, dass wir vor Ort sein müssen, um das hinzukriegen, und da gebe ich ihm Recht.“

„Gut möglich. Das sind wirklich großartige Nachrichten. Gib mir eure Flugdaten, sobald du sie hast. Ich buche euch Hotelzimmer, wenn ihr mögt.“

„Lass nur, das übernehmen wir selbst. Ich freue mich auf jeden Fall schon darauf, dich wiederzusehen.“

„Ich mich auch. Bin gespannt, ob ich dich wiedererkenne.“

Libby lachte. „Ach, bestimmt. Also dann, wir sehen uns!“

 

An diesem Tag war Libby vor Owen zuhause und fütterte Oreo, die schon maunzend um ihre Beine strich. Libby vertrieb sich mit ein paar Hausarbeiten die Zeit, bis Owen nach Hause kam. Er wirkte müde, aber er lächelte, als er Libby sah.

„Hey, da bin ich endlich. Sorry, dass es länger gedauert hat, aber dafür muss ich am Wochenende nicht los.“

„Ist doch super. Wie war dein Tag?“

„Ganz gut, und deiner?“

„Erst war er ziemlich langweilig, aber dann habe ich einen Anruf aus Los Angeles bekommen. Ich habe dir mal von Detective Nathan Morris erzählt, oder?“

Owen überlegte kurz. „Ja ... du hast ihn mal erwähnt, weil er mit deiner Mum zusammengearbeitet hat.“

„Genau. Jedenfalls fliegen wir am Montag nach Los Angeles, um ihm bei den Ermittlungen in dem Mordfall Devon Colson zu helfen.“

„Der Schauspieler? Ganz hohe Prominenz.“

„Ja, das ist jetzt Nathans Fall. Er ist ein guter Cop, aber er hat noch nicht die geringste Spur.“

„Dann tut er gut daran, sich Hilfe von euch zu holen. Wer fliegt denn mit?“

„Julie und Dennis.“

Owen nickte. „Okay. Wenigstens haben wir das Wochenende noch für uns.“

„Stimmt“, sagte Libby und lächelte. „Hast du Hunger?“

Owen bejahte und die beiden machten sich einen Snack. Als sie zum Essen zusammensaßen, fragte Owen: „Kennst du Morris denn gut?“

„Schon, ja. Er hat bereits mit Sadie zusammengearbeitet, bevor ich zu ihr und Matt kam. Sie haben zusammen am Fall Carter Manning gearbeitet, ein Serienmörder mit multiplen Persönlichkeiten. Da haben sie sich kennengelernt.“

Owen machte ein fragendes Gesicht. „Sagt mir nichts.“

„Ach, das ist auch schon eine Weile her. Der Fall Tyler Evans war ebenfalls von Nathan – Evans Senior war es ja, der schließlich dafür gesorgt hat, dass Matt ins Gefängnis musste.“

„Ach, damit hing das zusammen?“

Libby nickte. „Nathan hat immer zu Sadie und Matt gehalten, egal was passiert ist. Er war für uns da, als Evans und Brian Leigh hinter Sadie her waren, und er hat uns auch immer unterstützt, als Matt im Gefängnis war. Ich habe ihn noch mal wiedergesehen, als wir in Los Angeles waren und Sadie das FBI im Fall Charles Fletcher beraten hat. Seitdem hatten wir eigentlich keinen Kontakt mehr, was schade ist. Nathan ist ein echter Freund und er ist Vollblut-Detective. Ihr würdet euch bestens verstehen.“

„Ich würde auch gern mitkommen, aber ich habe hier genug zu tun.“

„Ich weiß. Alles gut. Im Idealfall bin ich nicht lange weg.“

„Klingt gut“, sagte Owen. „Machen wir uns doch ein schönes, entspanntes Wochenende. Morgen könnten wir ins Kino und was essen gehen, was meinst du?“

Libby nickte eifrig. „Heute Abend ist mir mehr so nach Sofa.“

„Bin dabei“, sagte Owen und lächelte.

Sie machten es sich schließlich auf dem Sofa gemütlich und schauten sich zwei Folgen Ozark bei Netflix an. Libby mochte die Serie, die sich um einen Finanzberater und seine kriminellen Verstrickungen in dem Drogenkartell drehte, für das er Millionen zu waschen versuchte.

Während sie aneinandergeschmiegt auf dem Sofa saßen, merkte Libby, wie Owen immer wieder am Kragen ihres Oberteils oder am Saum ihrer Hose herumnestelte. Er hatte den Arm um sie gelegt und schenkte ihr ein schönes Gefühl der Geborgenheit. Sie verstand auch, dass da noch etwas anderes war, was er ihr zu sagen versuchte. Er war da in letzter Zeit immer zurückhaltend und signalisierte ihr nur vorsichtig, wenn er sich ihre Nähe wünschte, was sie lieb von ihm fand.

Inzwischen wäre es eigentlich nicht mehr notwendig gewesen. Dass Libby zuletzt Angst oder einen Flashback gehabt hatte, wenn sie sich nah gekommen waren, lag nun schon eine Weile zurück. Die Erinnerung an Vincent verblasste immer mehr, dafür schuf sie sich mit Owen neue.

Und nun kam ja noch erschwerend hinzu, dass sie sich schon vor knapp zwei Monaten die Spirale hatte ziehen lassen, weil sie inzwischen darüber nachdachten, eine Familie zu gründen. Bislang war nichts passiert, aber vielleicht änderte sich das bald.

Das hielt sie aber nicht davon ab, auch jetzt wieder auf Owens zaghafte Avancen einzugehen. Sie schob eine Hand unter sein T-Shirt und fuhr mit den Fingerspitzen über seine Brust, während die zweite Folge sich dem Ende näherte. Owen küsste sie auf die Stirn und nachdem er den Fernseher ausgeschaltet hatte, wandte er sich ihr zu.

„Offenbar hast du gemerkt, was mir durch den Kopf geht“, sagte er.

Libby grinste. „Ich kenne dich eben. Ehrlich gesagt war das ziemlich offensichtlich.“

„Ich will immer erst mal abwarten, ob ich da bei dir auf Gegenliebe stoße.“

„Nur Mut“, sagte Libby. „Ich sage dir schon, wenn mir etwas zu schnell geht. Aber jetzt ...“ Sie setzte sich ihm zugewandt auf den Schoß und schlang die Arme um ihn. Owen vergrub den Kopf an ihrer Brust und ließ seine Hände unter ihr T-Shirt wandern. Libby küsste ihn, als sie seine zärtlichen Berührungen spürte. Er schaffte es wieder einmal mühelos, dafür zu sorgen, dass sie alles um sich herum vergaß. Sie schloss die Augen und genoss das wohlige Gefühl, das sich einstellte, doch dann hörte er plötzlich auf.

„Lass uns raufgehen. Die Katze starrt mich an.“

Libby lachte. „Frechheit.“

Während sie aufstand, drehte sie sich zu Oreo um, die wie ein Fellkringel auf dem Sofa lag und über ihren Schwanz hinweg beobachtete, was Libby und Owen taten. Sie machte allerdings keinerlei Anstalten, den beiden nach oben zu folgen.

Im Schlafzimmer angekommen, schloss Owen die Tür und zog erst Libbys T-Shirt aus, bevor sein eigenes folgte. Sie legten sich nebeneinander ins Bett und Libby schloss die Augen, als er sich daran machte, sie mit seinen Zärtlichkeiten richtig in Stimmung zu bringen. Sie erwiderte seine Liebkosungen nur zu gern und zerrte ihm irgendwann ungeduldig die Hose vom Leib, was ihm ein Grinsen entlockte. Nun zog er auch ihre Hose aus und sie rutschte zur Bettkante, wo er sich vor sie kniete und sie liebevoll in die Arme zog, bevor sie eins wurden.

Libby schloss die Augen und lächelte, während sie versuchte, sich ganz auf das Gefühl einzulassen, das sie ergriff. Sie liebte Owen wahnsinnig und war ihm dankbar für die endlose Geduld, die er dabei an den Tag gelegt hatte. Inzwischen waren sie beide wieder glücklich mit ihrem Liebesleben – und das Vorhaben, eine Familie zu gründen, hatte noch einmal frischen Wind hineingebracht.

Libby schaffte es, sich völlig fallenzulassen und es einfach zu genießen. Owen wusste ziemlich genau, was er machen musste, um sie richtig in Fahrt zu bringen, und hielt sich zurück, bis er merkte, dass sie völlig ekstatisch war. Schließlich klammerte sie sich mit einem erlösten Schrei an ihm fest und spürte, wie sie ihn mitriss. Keuchend erwiderte er ihre Umarmung und legte den Kopf auf ihre Schulter, bevor er sie ansah und zärtlich küsste.

„Das war die absolute Wucht“, sagte er atemlos und grinste.

Libby nickte. „Ich bin so froh, weißt du das?“

„Kann ich mir vorstellen. Geht mir nicht anders.“ Mit diesen Worten stand er auf, zog seine Shorts an und setzte sich aufs Bett. Libby ließ sich rücklings aufs Bett sinken und versuchte erst einmal, wieder zu Atem zu kommen.

„Wann weißt du, ob es diesmal geklappt hat?“, fragte Owen.

Libby überlegte kurz. „Nächste Woche, denke ich. Ich sage dir natürlich Bescheid.“

„Ausgerechnet, wenn du weg bist?“ Owen brummte unzufrieden. „Merkst du denn was?“

Libby schüttelte den Kopf. „Bis jetzt nicht. Sei nicht so ungeduldig.“

„Ach ...“ machte Owen unzufrieden und legte einen Arm um sie.

„Falls ich nun in Los Angeles feststelle, dass ich überfällig bin – soll ich dann einen Test machen?“, fragte Libby.

„Hm. Weiß nicht. Das können wir uns ja dann überlegen.“

„Ja, sicher.“

Owen küsste sie auf die Wange. „Es wäre nur so schön, verstehst du?“

Libby lächelte. „Es wird schon klappen. Ist ja nicht so, als würden wir nicht fleißig üben.“

„Da hast du Recht“, erwiderte er grinsend.

Montag, 12. September

 

Um sieben Uhr morgens ging ein Flug vom Ronald Reagan Airport, der um Viertel vor zehn Ortszeit in Los Angeles erwartet wurde. Auch wenn Libby anfangs ziemlich müde gewesen war, als sie mit Julie und Dennis um kurz vor halb sechs für die Sicherheitskontrollen am Flughafen gestanden hatte, war sie froh, nicht schon am Vorabend geflogen zu sein. Wenn man von der Ost- an die Westküste flog, kam einem die Zeitverschiebung entgegen, was sie nun für sich nutzten. Im Flugzeug bekamen sie ein Frühstück und flogen mit dem Sonnenaufgang, der sie schließlich überholte.

„Freust du dich auf Kalifornien?“, erkundigte Libby sich bei Dennis, der auf der anderen Seite des Ganges einen Platz ergattert hatte.

„Ja, ist ganz nett, mal wieder nach Hause zu kommen. Sonst muss ich ja immer nach San Diego, aber L.A. ist auch prima. Du freust dich sicher auch, oder? Du hast ja schließlich hier gelebt.“

„Ja, auch wenn ich es eigentlich nicht vermisse, um ehrlich zu sein.“

„Ich bin schon gespannt, ich war ja ewig nicht dort“, sagte Julie. „Das letzte Mal, als ich dich besucht habe – das ist zehn Jahre her.“

„Kommt hin“, pflichtete Libby ihr bei.

„Was habt ihr denn so am Wochenende gemacht?“, fragte Dennis.

Während des Fluges unterhielten sie sich über viele Dinge, hauptsächlich Privates und nur am Schluss sprachen sie über den Fall. Julie hatte erst am Vortag in die Fallakten geschaut und auch Dennis hatte sie noch nicht eingehend studiert, aber das hatte er auch überhaupt nicht gewollt und das hielt Libby nicht für die schlechteste Idee. Wenn sie nur wenig über den Fall wussten, gingen sie unvoreingenommener an die Ermittlungen heran.

Um Viertel nach neun begann der Pilot, eine Warteschleife über dem Großraum Los Angeles zu drehen. Die umgebenden Gebirgsketten wirkten sehr vertraut und doch irgendwie fremd auf Libby, ebenso der Anblick der Metropole von oben. Die Hochhäuser Downtowns waren sichtbar, auf der anderen Seite wartete der Pazifik. Eine dunstige Glocke aus Abgasen hing über der Stadt, Palmen säumten die Straßen. Schließlich erhielten sie die Landeerlaubnis und setzten kurz darauf auf einer der Landebahnen auf. Das Flugzeug rollte noch über zehn Minuten, bis es am Terminal angekommen war und so war es schon zwanzig vor zehn, als sie die Maschine verließen.

Sie reisten nur mit Handgepäck, deshalb konnten sie das Gebäude gleich verlassen. Der Thomas Bradley International Airport hatte sich kaum verändert, seit Libby ihn vor Jahren zuletzt besucht hatte.

Schon bevor sie die Ankunftshalle betraten, versuchte sie, einen Blick auf Nathan zu erhaschen und entdeckte ihn schließlich links am Rand. Sie gab Dennis und Julie einen Wink und steuerte gleich auf ihn zu. Nathan lächelte, weil er sie sofort erkannt hatte, doch als sie näher kamen, wirkte er für einen kurzen Moment erschrocken. Allerdings versuchte er gleich, es zu überspielen, und hieß Libby mit einer Umarmung willkommen, als sie die Absperrung umrundet hatten.

„Ist das lange her“, sagte er. „Unglaublich, wie du dich verändert hast. Man erkennt dich kaum wieder.“

„Findest du?“, erwiderte sie grinsend. Nathan hatte sich auch verändert – er war etwas stämmiger als zuletzt und sichtlich ergraut, aber ansonsten ganz der Alte. Er hatte immer noch die warmherzige, väterliche Ausstrahlung, die Libby so an ihm mochte.

„Bei dir dringt das FBI aus jeder Pore. Wenn ich mal überlege, wie jung du noch warst, als ich dich zuletzt gesehen habe ...“

„Stimmt, so ging es mir auch, als sie vor zwei Jahren zu uns ins Team kam“, sagte Dennis.

Nathan lächelte. „Dennis Johnson. Schön, dich wiederzusehen.“

Die beiden schüttelten einander die Hand, dann wandte Nathan sich Julie zu. „Julie Thornton, nehme ich an?“

Sie nickte. „Jetzt lernen wir uns auch mal kennen.“

„Hat Libby von mir erzählt?“

„Ja, schon oft.“

„Wie lange kennt ihr euch?“

Julie und Libby tauschten einen Blick und Julie erwiderte: „Seit über zehn Jahren. Ich war das damals mit der Entführung in London.“

Plötzlich zeichnete sich die Erkenntnis in Nathans Augen ab. „Ich erinnere mich! Sadie hat davon erzählt. Aber wie kommt eine Engländerin zum FBI?“

„Indem sie einen Amerikaner heiratet und die US-Staatsbürgerschaft erhält“, erwiderte Julie.

„Ah, verstehe. Schön, dich kennenzulernen.“

„Die Freude ist ganz meinerseits.“

„Also dann, kommt mit. Wir fahren nach Hollywood.“ Nathan ging voran zu einem Parkhaus, lud ihr Gepäck in den Kofferraum des unauffälligen schwarzen Dienstwagens des LAPD und fuhr schließlich los.

„Colin ist nicht mitgekommen, damit das hier keine rollende Sardinenbüchse wird. Er wartet im Department auf uns“, erklärte Nathan. „Wie war denn euer Flug?“

„Gut“, sagte Libby. „Normal.“

„Ich staune immer noch darüber, dass du jetzt wirklich beim FBI bist. Ich hätte eigentlich erwartet, dass all das, was damals passiert ist, als abschreckendes Beispiel wirkt ...“

Libby lachte. „Im Gegenteil. Sadie ist nicht meine leibliche Mutter, aber ich bin ihr ähnlicher, als man glaubt.“

„Ja, das habe ich mir seitdem schon so oft gedacht. Aber jetzt muss Julie mir mal erzählen, wer sie überhaupt ist. Was war zuerst da, das FBI oder der amerikanische Ehemann?“

Julie lachte und erwiderte: „Ich habe Kyle an der FBI Academy kennengelernt. Mein Ursprungsplan war, in England Profilerin zu werden und in die Fußstapfen meiner Mutter zu treten.“

Nathan verdrehte gespielt die Augen. „Bin ich hier nur von Profiler-Töchtern umgeben?“

„Sie ist Andrea Thorntons Tochter. Erinnerst du dich an sie?“, fragte Libby.

Nathan überlegte kurz und nickte. „Ja, im Zuge der Ermittlungen gegen Brian Leigh hat Sadie mal mit ihr gesprochen. Ach, klar – sie war doch damals wegen dieser Profiler-Konferenz in London, als die Russen dich gekidnappt haben.“

Libby nickte. „Jetzt hast du es.“

Während Nathan auf die Interstate 405 auffuhr, machte er ein wissendes Gesicht. „Dann habe ich aber die geballte Kompetenz hier versammelt.“

„Ich hoffe, jetzt überschätzt du uns nicht“, sagte Dennis.

„Niemals. Ich bin froh, dass ihr gekommen seid. Zusammen werden wir das schon schaukeln.“

Während Nathan mit Dennis und Julie sprach, schaute Libby schweigsam aus dem Fenster. Los Angeles war mit vielen aufwühlenden Erinnerungen verknüpft. Brian Leigh, ihre Irrfahrt über die Interstate 5 mit ihm, die spätere Entführung, ihre Schulzeit – und der Moment, in dem sie geglaubt hatte, das Leben ihrer Adoptiveltern zerstört zu haben. Sie hatte nie vergessen, dass Matt festgenommen und des Mordes angeklagt worden war, weil sie naiv und unvorsichtig gewesen war. Das war etwas, worüber sie bis heute selten mit Sadie und Matt sprach, die ihr von Anfang an verziehen und nie gegrollt hatten – aber sie wusste, was sie ihnen damit ungewollt angetan hatte, ganz zu schweigen von den enormen finanziellen Problemen, die sie ihnen damit aufgebürdet hatte. Nur deshalb hatte sie damals nach ihrem Schulabschluss von sich aus ein günstiges staatliches College gewählt, denn sie hatte ihren Eltern nicht auch noch horrende Studiengebühren aufhalsen wollen. Letztlich hatte sich alles gefügt, aber während sie dem Freeway nach Norden folgten, wurde ihr klar, dass sie mit Los Angeles nicht viel Gutes verband.

Nach einer halben Stunde Fahrt hatten sie Hollywood endlich erreicht. Libby musste grinsen, als sie sah, dass sie das Department aus dem Fernsehen kannte – in der Fernsehserie Bosch wurde die Hollywood Station immer wieder auf Luftaufnahmen gezeigt.

„Ist ja was ganz anderes als die prestigeträchtige Zentrale“, sagte Libby, während sie mit Nathan den Parkplatz überquerten.

„Ja, absolut. Aber es wurde noch mal Zeit für was Neues. Ein paar Jahre habe ich ja noch und nachdem Roy ausgeschieden ist, hatte ich das Gefühl, mich noch mal umorientieren zu müssen“, sagte Nathan.

„Was ist mit Roy passiert?“

„Er wurde bei einer Schießerei mit der chinesischen Mafia am Rückenmark verletzt. Er saß ein Jahr lang im Rollstuhl. Inzwischen kann er wieder gehen, aber nur mit einem Stock. Er hätte bloß noch am Schreibtisch arbeiten können, doch er hatte genug auf der hohen Kante, um sich aus dem Dienst zu verabschieden. Das konnte ich gut verstehen.“

„Hätte ich wohl auch so gemacht“, sagte Dennis und Libby nickte zustimmend.

„Ich mag es, hier in Hollywood andere Fälle auf dem Tisch zu haben. Ich war ja fast zwanzig Jahre lang in Downtown, deshalb tut der frische Wind hier ganz gut“, sagte Nathan und hielt ihnen die Tür auf. Sie betraten das Department und folgten Nathan in sein Büro. Zielstrebig hielt er auf einen Mittdreißiger zu, der an seinem Schreibtisch saß und in einen Hefter vertieft war, aber gleich aufschaute, als er sie bemerkte.

„Colin, darf ich dir die Special Agents Libby Whitman, Julie Thornton und Dennis Johnson vorstellen?“ Nathan lächelte und wandte sich den anderen zu. „Das ist mein Partner Colin Shaw.“

„Freut mich sehr“, sagte Libby und schüttelte seine Hand. Colin hatte dunkles Haar und war drahtig gebaut, sein Lächeln war durchaus sympathisch.

„Endlich mal wieder jemand in meiner Altersgruppe“, witzelte er, woraufhin er sich einen strafenden Blick von Nathan einfing.

„Komm du erst mal in mein Alter, du Greenhorn“, schoss er zurück und lachte. Colin begrüßte derweil auch Julie und Dennis und sagte: „Vorhin habe ich uns einen der Besprechungsräume als Einsatzzentrale klar gemacht.“

Anerkennend zog Nathan die Augenbrauen hoch. „Sehr gut, du bist ja doch zu was zu gebrauchen.“

„Du unterschätzt mich, alter Mann.“

Nathan lachte. Libby grinste ebenfalls, denn so kannte sie Nathan. Solche Scherze konnte er vertragen.

Colin ging voraus in einen Raum abseits des Großraumbüros. Dort hatte er Fotos von Devon Colson an eine Korkwand gepinnt und ein Aktenkarton stand nebst einem Laptop und Getränken auf dem Tisch.

„Da wären wir“, sagte er. „Wie sieht der Plan aus?“

„Wenn ihr nichts dagegen habt, sollten wir den Fall noch einmal ganz neu aufrollen“, sagte Libby. „Ihr habt gute Arbeit geleistet, das hat auch Dormer gleich gesagt, aber irgendwo müsst ihr etwas übersehen haben. Wahrscheinlich ist es nur ein klitzekleines Detail, aber wir müssen es finden.“

Nathan nickte gleichmütig. „Offensichtlich, sonst hätten wir zumindest eine heiße Spur. Ich kenne es schon von deiner Mum, dass sie solche verfahrenen Kisten gern noch mal neu aufrollt – immer mit Erfolg.“

Libby lächelte. „Wir möchten so unvoreingenommen wie möglich an die Sache herangehen, damit wir hoffentlich auf das Detail stoßen, das bislang nicht aufgefallen ist. Wahrscheinlich ist es eine Kleinigkeit, der niemand besondere Aufmerksamkeit beigemessen hat, aber sie ist da. Wenn Colson durch einen aufgesetzten Schuss in die Stirn gestorben ist, hat er seinem Mörder in die Augen gesehen. Das ist total persönlich, also kannte er ihn wahrscheinlich.“

„Das dachten wir uns auch, deshalb frustriert es uns ja so, dass wir nicht mal einen Anhaltspunkt haben“, sagte Colin und blickte zu Nathan. „Ich bin ja froh, Nathan als neuen Partner zu haben – seine Aufklärungsrate spricht für sich. Ist ja auch nicht unser erster Mordfall, wir haben bislang alles irgendwie hinbekommen. Aber dieser Fall hier ist wie verhext.“

„Okay, also ... der Todeszeitpunkt konnte ja recht genau bestimmt werden, weil die Security den Schuss gehört hat, richtig?“, begann Dennis und Nathan nickte.

„Ja, das war um 22.56 Uhr. Wir wissen exakt, wann Devon Colson gestorben ist. Sie sind sofort ins Haus gestürmt und haben ihn tot vor dem Sofa gefunden. Aus seiner Position haben wir abgeleitet, dass er vor seinem Mörder gekniet haben muss.“

Auf den Tatortfotos zeigte Nathan, was er meinte. Devons Haltung passte dazu, dass er aus einer knienden Position tot zu Boden gegangen war. Dennis nickte zustimmend.

„Wann wart ihr dort?“, fragte Libby.

„Oh, das muss kurz vor Mitternacht gewesen sein, etwa eine Stunde später. Wir haben uns das alles angesehen und sind dann zu der Premierenparty gefahren, um Lucy Palmer zu sagen, dass ihr Mann ermordet wurde“, sagte Colin.

„Mir ihr sollten wir auf jeden Fall auch noch mal sprechen“, sagte Julie. „Und es gab wirklich keinen Verdächtigen?“

Colin schüttelte den Kopf. „Wir haben das gesamte Umfeld der beiden durchleuchtet. Wir wissen, dass Devon seine Drogen von einem Kollegen bekommen hat, aber Schulden oder etwas in der Art hatte er deshalb nicht.“

„Ich weiß über ihn, dass er das Gesicht dieser Superheldenfilme ist“, sagte Libby.

Nathan nickte. „Richtig, der Silver Warrior. Er kommt eigentlich aus Bakersfield und hat mit zwanzig das College geschmissen. Er kam dann hier nach Los Angeles, hat bei diversen Castings mitgemacht und erste Rollen ergattert. Weil er ein Typ ist, auf den viele junge Mädchen fliegen, ist er schnell erfolgreich geworden – und er war auch ein besserer Schauspieler, als man angesichts dieser Geschichte vermuten würde. So wurde er dann zum Shootingstar, als er die Hauptrolle in Silver Warrior bekommen hat. Pubertierende Mädchen liegen ihm scharenweise zu Füßen, aber er kommt auch beim männlichen Publikum gut an.“

„Er konnte nur mit der Berühmtheit nicht wirklich umgehen. Auf dem Höhepunkt seines Erfolges hat er dann Lucy Palmer kennengelernt, sie sind zusammengezogen, sie hat sich auch ein wenig in seinem Ruhm gesonnt und die Rolle in der Sitcom bekommen. Sie meinte, damals hätte er bereits gelegentlich Kokain konsumiert und wäre im Rausch ab und zu ausgerastet, weshalb sie sich schon mehrmals von ihm getrennt hat. Geheiratet hat sie ihn dann trotzdem, aber sie meinte auch, ab da wäre es stetig bergab gegangen“, sagte Colin.

„Ein junges, gutaussehendes, stellenweise erfolgreiches Schauspieler-Ehepaar – die beiden haben sich medienwirksam inszeniert. Das ist auch der Grund, weshalb wir hier so einen Druck haben. Die Presse lauert hier natürlich auf Ergebnisse und wir wollen jetzt nicht als die Deppen vom LAPD dastehen, die es nicht hinkriegen, einen Mörder zu fassen.“ Nathans unglücklicher Gesichtsausdruck verriet deutlich, wie er dazu stand.

„Nein, macht euch da mal keine Sorgen, wir finden den Täter“, versuchte Dennis, Zuversicht zu verbreiten.

„Würde ich auch sagen. Ist es möglich, den Tatort mal zu besuchen?“, fragte Libby.

„Selbstverständlich. Lucy Palmer wohnt jetzt allein in der Villa. Vielleicht sollten wir mal zu ihr fahren, damit ihr sie kennenlernt“, sagte Nathan und griff nach seiner Jacke.

 

In den Hollywood Hills lebten die Reichen und Schönen, das wurde beim Durchfahren schon offensichtlich. Ihnen kam mehr als ein Tourbus entgegen, der sensationslüsterne Touristen zu den Privathäusern von Stars und Sternchen brachte. Hinter hohen Mauern und ferngesteuerten schmiedeeisernen Toren verbargen sich gepflegte Grundstücke mit großzügigen Häusern und angrenzenden Pools. Libby hatte knapp fünf Jahre in Los Angeles gelebt, war aber noch nie dort gewesen. Sie vermisste die riesige, enge Metropole überhaupt nicht.

Schließlich lenkte Nathan den Dienstwagen in eine breite Einfahrt und hielt vor einer Gegensprechanlage, wo er klingelte. Es dauerte einen Augenblick, bis sich durch den rauschenden Lautsprecher eine Frauenstimme meldete.

„Wer ist da?“

„Die Detectives Morris und Shaw, LAPD. Bei uns ist das FBI.“

„Augenblick, ich gebe Mrs. Palmer Bescheid.“ Der Lautsprecher verstummte, aber wie von Geisterhand schwang das Tor auf und Nathan fuhr mit dem Wagen bis vor die Haustür. In der Nähe plätscherte ein Brunnen.

Libby war wenig überrascht, eine ältere Dame mexikanischer Abstammung zu sehen, die ihnen öffnete und freundlich nickte.

„Kommen Sie, Mrs. Palmer erwartet Sie bereits.“

„Vielen Dank“, erwiderte Nathan, der vorausging. Sie betraten ein geräumiges Haus mit hohen Decken und weitläufigen gläsernen Fronten, die dafür sorgten, dass das Sonnenlicht das Haus ungehindert flutete. Trotzdem war es dank der Klimaanlage beinahe kalt.

Als die Haushälterin sie ins Wohnzimmer führte, fanden sie Lucy Palmer auf dem riesigen Ledersofa sitzend vor. Sie trug ihr glattes, dunkelbraunes Haar offen, hatte eine schlichte Jeans und ein rotes T-Shirt gewählt. Zur Begrüßung stand sie auf und ging ihnen entgegen.

„Detectives“, sagte sie. „Das FBI ermittelt jetzt also wirklich in Devons Fall?“

Nathan nickte. „Das sind die Special Agents Whitman, Thornton und Johnson aus Quantico. Sie sind Profiler. Ich sagte Ihnen ja bereits, dass die hiesigen Profiler überlastet sind.“

Lucy nickte. „Und dann kommen Sie aus Quantico? Wie die Profiler aus Criminal Minds?“

Während sie alle grinsten, sagte Dennis: „Genau die. In Quantico sieht es sogar so aus, wie man es in der Serie sieht.“

„Tatsächlich?“, erwiderte Lucy. „Bitte, setzen Sie sich doch. Ich danke Ihnen fürs Kommen.“

Libby war überrascht, sie hatte mit einer anderen Persönlichkeit gerechnet. Sie kannte Lucy Palmer aus einer zuckersüßen Disney-Komödie, mit strahlend weißen Lächeln und hinreißendem Augenaufschlag. Diese Zeiten lagen aber inzwischen hinter ihr. Libby beobachtete sie gespannt, denn noch war sie skeptisch.

„Wie kann ich Ihnen denn behilflich sein?“, fragte Lucy.

Als niemand etwas sagte, ergriff Libby das Wort. „Wir fangen noch einmal ganz von vorn an. Bitte erzählen Sie uns doch von Ihrem Mann, von Ihrer Beziehung – einfach alles. War Ihre Ehe noch glücklich?“

Lucys Miene verdüsterte sich und sie holte tief Luft. „Nein, eigentlich nicht. Es war ein ständiges Auf und Ab zwischen uns. Anders als der strahlende Held, den man von Devon im Film immer sieht, war er ... wie soll ich sagen? Er war noch gar nicht ganz erwachsen. Er war zwar acht Jahre älter als ich, aber im Grunde seines Herzens war er manchmal wie ein kleiner Junge, der Cowboy und Indianer spielt.“

„Hat er sich im Verlauf Ihrer Beziehung verändert?“, fragte Libby und Lucy nickte.

„Ja, sehr sogar. Als ich ihn kennengelernt habe, war das wie ein Jackpot. Da war er gerade ein aufsteigender Stern am Himmel Hollywoods und bekam täglich über hundert Fanbriefe von irgendwelchen Teenie-Mädchen da draußen. Ich habe mir gar keine Chancen bei ihm ausgerechnet, ich bin nicht so ein aufsteigender Stern wie er – nicht mehr zumindest. Ich habe mich schon oft gefragt, ob es ein Fehler war, damals den Vertrag bei Disney zu unterschreiben, denn jetzt werde ich ewig auf die hübsche Prinzessin festgelegt sein. Haben die Kritiken ja auch bewiesen – sobald ich mich an ernsthaften Rollen versuche, werde ich zerrissen, dabei liegt das nach Meinung meines Agenten nicht an meinen Fähigkeiten, sondern an meinem Image.“

„Es ist schwer, von so etwas wieder loszukommen, wenn man einmal in so einer Schublade steckt“, sagte Libby verständnisvoll.

Lucy nickte. „Jedenfalls hat Devon sich in mich verliebt – und er war sehr charmant. Er hat mir richtig den Hof gemacht und da war es dann um mich geschehen. Ich war glücklich – aber das hielt nicht lange.“

„Was ist passiert?“

„Wenn er nicht gerade gedreht hat, wusste er nichts mit sich anzufangen. Er hat zu viel getrunken und er hat gekokst. Erst am Set oder bei Freunden, später auch hier.“

„War er abhängig?“

„Das würde ich schon sagen, ja. Auf ihm lastete ein immenser Druck, er hat Rekordgagen bekommen, aber er durfte den Silver Warrior nicht so spielen, wie er ihn sich vorgestellt hat, da waren die Vorgaben des Studios relativ strikt. Er konnte abends nicht einfach mal weggehen, weil er immer und überall erkannt und belagert wurde.

---ENDE DER LESEPROBE---