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Das «Siebenstufige kognitiv-behaviorale Behandlungskonzept (SBK)» ermöglicht die Bearbeitung und Bewältigung traumatischer Erlebnisse. Das seit 2008 erfolgreich eingesetzte Behandlungsmanual für Traumafolgestörungen ermöglicht durch ein strukturiertes Vorgehen die Bearbeitung traumatischer Erlebnisse. Die 2., vollständig überarbeitete Neuauflage wurde auf die Behandlung von Patienten und Patientinnen mit Trauma-Typ-II erweitert. Ziel des Buches ist es •Psychologischen und ärztlichen Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen ein Werkzeug in die Hand zu geben, um im schwierigen Bereich der Traumatherapie erfolgreich arbeiten zu können. •die Motivation der Therapeuten und Therapeutinnen zu stärken, um einfühlsam und konfrontativ mit den Patienten und Patientinnen an der Traumabewältigung zu arbeiten. Neben der ausführlichen Beschreibung der sieben Interventionsschritte der Traumatherapie enthält das Buch mehrere anschauliche Fallbeispiele. Die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und die komplexe PTBS werden auf der Grundlage des neuen ICD-11 definiert. Das Buch enthält zusätzlich Therapiematerialien als Download, die die Anwendung der verschiedenen Interventionen erleichtern. Erstautor Georg Pieper ist seit 33 Jahren im Bereich der Traumatherapie tätig und hat eine Vielzahl von praktischen Erfahrungen in verschiedensten Bereichen der Psychotraumatologie gesammelt. Neben Einzeltherapien gehören dazu vor allem Großschadensereignisse (z. B. das Grubenunglück von Borken, 1988, und das ICE-Unglück von Eschede, 1998), oder Ereignisse zielgerichteter Schulgewalt (z. B. der Amoklauf von Erfurt, 2002).
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Seitenzahl: 290
Veröffentlichungsjahr: 2021
Georg Pieper
David Pieper
Johannes Pieper
Traumatherapie in sieben Stufen
Ein kognitiv-behaviorales Behandlungsmanual (SBK)
2., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage
Mit einem Geleitwort von Andreas Maercker
Traumatherapie in sieben Stufen
Georg Pieper, David Pieper, Johannes Pieper
Wissenschaftlicher Beirat Programmbereich Psychologie
Prof. Dr. Guy Bodenmann, Zürich; Prof. Dr. Lutz Jäncke, Zürich; Prof. Dr. Astrid Schütz, Bamberg; Prof. Dr. Markus Wirtz, Freiburg i. Br., Prof. Dr. Martina Zemp, Wien
Dr. Dipl.-Psych. Georg Pieper
Praxis für Trauma- und Stressbewältigung
Institut für Traumabewältigung Auf dem Heckenstück 4
35075 Friebertshausen
Dipl.-Psych. David J. Pieper
Praxis für Psychotherapie
Kaskelstr. 53
10317 Berlin
MSc Neuropsychology Johannes Pieper
Immanuel Klinik Rüdersdorf
Seebad 82/83
15562 Rüdersdorf bei Berlin
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Lektorat Psychologie
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3012 Bern
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Tel. +41 31 300 45 00
www.hogrefe.ch
Lektorat: Dr. Susanne Lauri, Lisa Maria Pilhofer
Bearbeitung: Mihrican Özdem, Landau
Herstellung: Daniel Berger
Umschlagabbildung: broadcastertr, Getty Images
Umschlag: Claude Borer, Riehen
Satz: Mediengestaltung Meike Cichos, Göttingen
Format: EPUB
2. Auflage 2021
© 2008 Verlag Hans Huber, Hogrefe AG, Bern
(E-Book-ISBN_PDF 978-3-456-96096-8)
(E-Book-ISBN_EPUB 978-3-456-76096-4)
ISBN 978-3-456-86096-1
https://doi.org/10.1024/86096-000
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GeleitwortAndreas Maercker
Vorwort zur 2. Auflage
1 Entstehungshintergrund und wesentliche Merkmale des SBK
2 Theoretische Grundlagen
2.1 PTBS und komplexe PTBS
2.2 Neuropsychologische Aspekte mit Relevanz für das SBK
3 Erweiterung des SBK für komplexe PTBS: das Clustern
4 Indikationen und Voraussetzungen bei der Behandlerin
5 Die sieben Phasen
5.1 Phase 1: Exploration, Diagnostik und Stabilisierung
5.1.1 Theoretischer Hintergrund
5.1.2 Exploration
5.1.3 Diagnostik
5.1.4 Stabilisierung
5.1.5 Wirkungsweise
5.1.6 Hinweise zur Durchführung
5.2 Phase 2: Vermittlung des Therapierationals
5.2.1 Theoretischer Hintergrund
5.2.2 Vermittlung des Therapierationals bei Typ-I-Trauma
5.2.3 Vermittlung des Therapierationals bei komplexem Trauma
5.3 Phase 3: Kontrollierte Traumaexposition (KTE)
5.3.1 Theoretischer Hintergrund
5.3.2 Beschreibung
5.3.2.1 Explorative Phase
5.3.2.2 Konfrontative Phase
5.3.3 Wirkungsweise
5.3.4 Hinweise zur Durchführung
5.3.5 Weitere Beispiele für KTE bei Typ-I-Trauma und komplexem Trauma
5.3.6 Relevanz der KTE – persönliche Einschätzung
5.4 Phase 4: Exposition in sensu
5.4.1 Theoretischer Hintergrund
5.4.2 Beschreibung
5.4.2.1 Schreiben des Traumadrehbuchs und definieren der Hotspots
5.4.2.2 Definieren der Hotspots
5.4.2.3 Durchführung
5.4.3 Wirkungsweise
5.4.4 Hinweise zur Durchführung
5.4.5 Relevanz der Exposition in sensu – persönliche Einschätzung
5.5 Phase 5: EMDR
5.5.1 Theoretischer Hintergrund
5.5.2 Beschreibung
5.5.3 Wirkungsweise
5.5.4 Hinweise zur Durchführung
5.5.5 Beispiele für EMDR-Protokolle
5.5.6 Relevanz des EMDR – persönliche Einschätzung
5.6 Phase 6: Exposition in vivo
5.6.1 Theoretischer Hintergrund
5.6.2 Beschreibung
5.6.3 Wirkungsweise
5.6.4 Hinweise zur Durchführung
5.6.5 Beispiel für eine Exposition in vivo
5.6.6 Relevanz der Exposition in vivo – persönliche Einschätzung
5.7 Phase 7: Nachbesprechung, Traumaintegration und Follow-up
5.7.1 Nachbesprechung
5.7.2 Traumaintegration und Follow-up
6 Online-Therapie mit dem SBK
7 Psychohygiene für Traumatherapeutinnen
7.1 Selbstreflexion und Kolleginennetzwerk
7.2 Psychohygiene-Übungen
7.3 Erfahrungen von Therapeutinnen
8 Fallbeispiele
8.1 Fallbericht zur Traumatherapie nach dem SBK bei Typ-I-Trauma
8.2 Fallbericht zur Traumatherapie nach dem SBK bei komplexem Trauma
8.3 Diskussion und zusammenfassende Bewertung
9 Therapiesetting in der Arbeit mit dem SBK
10 Therapiematerialien
10.1 Instruktion zu KTE
10.2 Instruktion zu Exposition in sensu
10.2.1 zur Erstellung des Traumadrehbuchs
10.2.2 Traumadrehbuch
10.2.3 zur Durchführung der Exposition in sensu
10.3 Instruktion zu EMDR
10.4 Instruktion zu Exposition in vivo
10.5 Erstellung einer Traumalandkarte
10.6 Anleitung zur Durchführung der Exposition in vivo
Hinweise zu Zusatzmaterialien
Literaturverzeichnis
Über die Autoren
Sachwortverzeichnis
Andreas Maercker
Nach fast 15 Jahren legt Georg Pieper, der überaus erfahrene, kreative und integrative Traumatherapeut, die zweite und erweiterte Auflage seines Therapiemanuals vor. Die frühere Version hatte den Wissenschaftler Jürgen Bengel zum Mitautoren.
In der neuen Version sind zwei junge Kollegen für Teile des Buches Mitautoren: Georg Piepers Söhne – beide auch praktizierende Psychologen. Es ist schön, mit dieser Buchauflage eine Kontinuität des „transgenerationalen Engagements“ für die Traumaopfer bzw. -überlebenden veranschaulichen zu können. Es gibt also nicht nur eine mögliche transgenerationelle Weitergabe von traumabedingten psychischen Dysfunktionen, sondern auch eine solche Weitergabe von trauma-bezogenen Reifungs- und Resilienzerfahrungen – hier in Form der Mitautorenschaft.
Das vorliegende Buch ist so vorbildlich integrativ, wie kaum ein anderes im Bereich der Traumatherapie. Die sieben Stufen bringen das Beste aus vielen Bereichen der kognitiven Verhaltenstherapie und darüber hinaus zusammen. Georg Pieper begründet sehr nachvollziehbar, wie die therapeutischen Elemente oder Module sinnvoll aufeinander aufbauen, aufeinander Bezug nehmen und sich ergänzen. Es gibt wohl kein anderes Therapiemanual, dass sowohl Traumaexpositionen als auch EMDR beinhaltet. Üblicherweise machen die einen Therapeuten das eine davon und die anderen das andere. Das Manual zeigt anhand von Fallbeispielen auf, dass beides kombiniert bei vielen Patientinnen und Patienten Sinn macht und zu nachhaltigeren Wirkungen führt. So geht es mit weiteren Therapieelementen oder -modulen: Es werden Stabilisierungsübungen einbezogen, die ur|10|sprünglich von psychodynamisch orientierten Kolleginnen entwickelt und in die Therapien eingeführt wurden und hier bestens hineinpassen.
Das Sieben Stufen Programm arbeitet insbesondere mit verschiedensten Expositionsarten, neben der Traumaexposition und dem EMDR sind das noch die in-sensu und die in-vivo Exposition. Diese Grundtechniken der kognitiven Verhaltenstherapie werden sicher in keinem der im Traumabereich vorhandenen Therapiemanuale so gründlich, anschaulich und mit solch einer Fülle praktischer Tipps versehen präsentiert. Eine andere Stärke des Buches sind unbedingt die sehr vielen Fallbespiele. Sie stammen zum großen Teil aus dem Bereich der komplexen posttraumatischen Belastungsstörungen, was mich als Geleitwortverfasser besonders freut, denn diese neue, nun offiziell anerkannte Diagnose der Weltgesundheitsorganisation muss im therapeutischen und gesundheitspolitischen Alltag der deutschsprachigen Länder noch besser etabliert werden.
Abschließend: In der Traumatherapie geht es ja in ganz besonderer Weise um die therapeutische Beziehung, denn die Erschütterungen, die die Patientinnen und Patienten durchgemacht haben, sind besonders existenziell. Der Autor erwähnt diese besondere Beziehungsgestaltung und ihre Verknüpfung mit dem Therapiefortschritt immer wieder. Eine Stelle hat mich besonders berührt: Er schreibt im Zusammenhang mit einer konkreten Expositionsform davon, dass die Patientin sich an die Hand genommen und durch das Trauma geleitet fühlen kann. Dadurch spüre sie die Metabotschaft der Therapeutin, dass sie sie für stärker hält als das Trauma. Solche Aussagen sind es, die zeigen, worauf es ankommt, wenn wir mit dieser Patientengruppe arbeiten und wie wir ihnen Hilfe zur Selbsthilfe vermitteln können.
Vor Ihnen liegt die komplett überarbeitete zweite Auflage des Buches „Traumatherapie in sieben Stufen – Ein kognitiv-behaviorales Behandlungskonzept (SBK)“. Die Abkürzung SBK steht für „siebenstufiges Behandlungskonzept“.
Diese erste Auflage von 2008 wurde von mir, Georg Pieper, und Jürgen Bengel geschrieben. Es ist in der verhaltenstherapeutisch orientierten psychotherapeutischen Gemeinschaft sehr gut aufgenommen worden und wird von zahlreichen Kolleginnen und Kollegen in der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen mit Erfolg angewendet.
Ursprünglich wurde das Konzept für die Therapie von Trauma-Typ-I-Störungen entwickelt und auf diese begrenzt, also auf einmalige, kurz dauernde Traumatisierungen im Jugend- und Erwachsenenalter, die durch akute Lebensgefahr, Plötzlichkeit und Überraschung gekennzeichnet sind (nach Terr, 1989). Die wichtigste Neuerung der vorliegenden zweiten Auflage besteht darin, dass hier die Behandlungsmöglichkeiten des SBK auch für Trauma-Typ-II-Störungen aufgezeigt werden, d. h. für länger dauernde, wiederholte Traumen, z. B. wiederholte sexuelle Gewalt, lang andauernder sexueller Missbrauch in der Kindheit, Misshandlung, Geiselhaft, Folter, Kriegshandlungen, Kriegsgefangenschaft oder Serien von traumatischen Einzelereignissen – nach der Nomenklatur des im deutschsprachigen Bereich voraussichtlich 2021 erscheinenden ICD-11 also für komplexe posttraumatische Belastungsstörungen.
Um gut vorbereitet zu sein auf die Themen, die in der Traumatherapie auf die Therapeutinnen und Therapeuten zukommen können, habe ich bewusst auch solche Fallbeispiele beschrieben, die von der Schwere, Grausamkeit und Perversität für die Lesenden schwer auszuhalten sind. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir z. B. den Opfern von organisierten Kinderschänderringen nur dann helfen können, wenn wir bereit sind, uns das auch für die Opfer kaum Aussprechbare an|12|zuhören und an diesen schrecklichen Erlebnissen inhaltlich zu arbeiten. Für noch wenig erfahrene Therapeutinnen und Therapeuten im Bereich der Traumatherapie ist es sinnvoll, sich als Vorbereitung darauf erst einmal theoretisch damit zu beschäftigen.
Die Adressaten dieses Buches sind in erster Linie psychologische und ärztliche Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten, die ein Werkzeug in die Hand bekommen wollen, um mit Traumatisierten gezielt an den Traumafolgestörungen zu arbeiten. Darüber hinaus dient das Manual als Orientierungshilfe für alle im psychosozialen Bereich Tätigen, die mit Opfern von Trauma und Gewalt beruflich konfrontiert sind. So können auch im Bereich der Beratung Möglichkeiten aufgezeigt werden, worin eine konfrontative Traumatherapie besteht, was sie bewirken kann und worin ihre Grenzen bestehen.
Es sei darauf hingewiesen, dass dieses Buch kein Selbsthilfebuch für Betroffene darstellt. Die Gefahr, dass die geschilderten Fallbeispiele zu belastend sind und eigene Erinnerungen triggern, ist nicht zu unterschätzen.
Der Co-Autor der ersten Auflage, Jürgen Bengel, konnte aufgrund von Zeit- und Kapazitätsproblemen bei dieser Neuauflage nicht mehr mitarbeiten. Doch ich konnte meine beiden Söhne David Pieper, Diplom-Psychologe und psychologischer Psychotherapeut, und Johannes Pieper, Msc. Psychologe und Neuropsychologe, zur Mitarbeit gewinnen, wofür ich sehr dankbar bin.
Das Buch enthält zusätzliches Therapiematerial zum Download (siehe Hinweise zu Zusatzmaterialien).
Für eine bessere Lesbarkeit haben wir uns entschieden, in dieser Auflage auf die Nennung beider Geschlechter zu verzichten. Da die überwiegende Mehrheit der Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten weiblich ist, benutzen wir die weibliche Form und sprechen damit alle Geschlechter (m, w, d) an.
Georg Pieper, Friebertshausen im Juni 2021
Das siebenstufige kognitiv-behaviorale Behandlungskonzept (SBK) basierte bei seiner Ersterscheinung im Jahr 2008 auf einer langjährigen Erfahrung in der Behandlung von Katastrophenopfern und Betroffenen von Unglücken, Übergriffen oder schweren Unfällen. Dabei wurden insbesondere die Erfahrungen bei den folgenden Ereignissen genutzt:
Grubenunglück von Borken 1988
Flugschaukatastrophe von Ramstein 1988
Geiselnahme im Libanon 1992
ICE-Unglück von Eschede 1998
Ermordung einer Lehrerin an einem Gymnasium in Meißen 1999
Amoklauf von Erfurt 2002
In der Folge des Grubenunglücks von Borken 1988 wurden in Deutschland erstmals systematisch psychologisch-psychotherapeutische Behandlungsstrategien für die Opfer entwickelt. Betroffene waren damals sowohl die Hinterbliebenen der 51 bei einer Kohlenstaubexplosion getöteten Bergleute: Witwen, Kinder, Eltern und weitere Familienangehörige, Kolleginnen und andere Betriebsangehörige sowie Einsatzkräfte (siehe Arbeitsgruppe Stolzenbachhilfe, 1992). Empirisch evaluierte Behandlungskonzepte für Patientinnen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) lagen bis Ende der 1980er-Jahre noch nicht vor. Bei der Konzeption eines Betreuungs- und Versorgungsplans für die Betroffenen des Borkener Grubenunglücks wurde auf Erkenntnisse in der Behandlung von Vietnam-Veteranen aus den USA (Keane & Kaloupek, 1982) und auf skandinavische Vorerfahrungen in der Betreuung von Betroffenen von Unfällen auf Bohrturminseln (Sund, 1985) zurückgegriffen.
|14|Nach damaligem Wissensstand war die am häufigsten verwendete Behandlungsmethode das verbale „Durcharbeiten“. Diese Methode erfolgte auf dem Hintergrund tiefenpsychologischer Erklärungsansätze der traumatischen Erlebnisse (Horowitz, 1976) und war eingebettet in eine allgemein stützende psychotherapeutische Betreuung. Ende der 1980er-Jahre waren kognitive und verhaltenstherapeutische Techniken in der Behandlung der PTBS die am besten untersuchten Behandlungsverfahren und wurden zu den Methoden der Wahl (Foa & Rothbaum, 2003).
Eine Verarbeitungsmöglichkeit der am meisten belastenden Erinnerungen stellten die verhaltenstherapeutischen Konfrontationsverfahren dar, in denen ein mehrfaches Wiedererleben des Traumas stattfindet. Durch das mehrmalige Durchleben der traumatischen Situation in sensu wird eine Habituierung und eine Abnahme der Angst erzielt, was erstmals von Foa, Rothbaum, Riggs und Mordock (1991) in einer randomisierten Therapiestudie nachgewiesen werden konnte. Die Wirksamkeit der Reizüberflutung in sensu (Keane, Fairbank, Caddel & Zimering, 1989) und in vivo (Johnson, Gilmore & Shenoy, 1982) schien sich bei der Bewältigung traumatischer Ereignisse zu entsprechen. In-vivo-Expositionsbehandlungen wurden von mir, Georg Pieper (GP), bei traumatisierten Einsatzkräften in Borken schon Ende der 1980er-Jahre zur Aufhebung des Vermeidungsverhaltens eingesetzt.
Die Expositionsbehandlungen gestalteten sich jedoch oft sehr zeitaufwändig und erforderten großen Organisationsaufwand in der Vorbereitung und Durchführung. So war es z. B. notwendig, mit den Geretteten und einigen Mitgliedern der Rettungs- bzw. Bergungstrupps des Grubenunglücks von Borken, die eine ausgeprägte, generalisierende Angst vor der Tiefe entwickelt hatten, den Aufenthalt unter Tage wieder einzuüben. Damit die Exposition ungestört vor Ort laufen konnte, mussten Vorbereitungen mit der Grubenleitung getroffen werden. Die normalen Arbeitsabläufe in der Grube mussten auf die Exposition abgestimmt werden, Sicherheitsunterweisungen der Verantwortlichen für Sicherheit mussten durchgeführt und zeitaufwändige An- und Abreisen in Kauf genommen werden. Die Vorbereitung einer solchen Expositionsbehandlung dauerte oft mehrere Tage, die Durchführung einen ganzen Tag mit 10 bis 12 Stunden Arbeitszeit.
Die In-vivo-Konfrontationen mit den Borkener Bergleuten und Grubenwehrmännern waren erfolgreich, sodass diese die Angst vor der Tiefe überwinden und wieder unter Tage arbeiten konnten. Drohende Frühverrentungen konnten so abgewendet werden. Dennoch stellten sich Anfang der 1990er-Jahre, auch durch das Aufkommen der Methode EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing), Zweifel ein, ob der große Aufwand der Expositionsbehandlungen gerechtfertigt sei oder ob die gleichen Ergebnisse unter wesentlich geringerem Aufwand mit EMDR erreicht werden könnten.
|15|Ersten Therapiestudien zufolge erfüllten 84 bis 100 % der Patientinnen nach vier bis fünf Sitzungen EMDR die Kriterien einer PTBS nicht mehr (Wilson, Becker & Tinker, 1995, 1997; Marcus, Marquis & Sakai, 1997; Rothbaum, 1997; Scheck, Schaeffer & Gillette, 1998). Shapiro (1995) selbst vertrat in ihren Veröffentlichungen die Meinung, mit EMDR eine umfassende Therapie für traumatisierte Patientinnen leisten zu können. Im Gegensatz zu diesen Berichten mussten wir feststellen, dass viele Unfall- und Katastrophenopfer durch die alleinige Behandlung mit EMDR nicht in der Lage waren, ihr Vermeidungsverhalten, das in der Regel eine direkte Beziehung zum Ort des traumatischen Geschehens hatte, aufzugeben. Andererseits entstand der klinische Eindruck, dass bei erfolgreichen EMDR-Behandlungen die typischen Emotionen von PTBS-Patientinnen, wie Schuldgefühle, Hilflosigkeit und generalisierte Ängste als Folge des erlebten Kontrollverlusts, in einer Gründlichkeit und Nachhaltigkeit bearbeitet worden waren, die weder beim „Durcharbeiten“ auf tiefenpsychologischer Basis noch bei kognitiven und verhaltenstherapeutischen Techniken möglich war.
Aus diesen Gründen erschien es naheliegend und gerechtfertigt, kognitiv-behaviorale Behandlungsansätze mit EMDR zu kombinieren und damit ein umfassendes und in eine verhaltenstherapeutische Gesamtstrategie eingebettetes Behandlungskonzept zu konzipieren. Das siebenstufige kognitiv-behaviorale Behandlungskonzept (SBK) wurde auf der Basis langjähriger praktischer Erfahrungen entwickelt; es kombiniert verschiedene bewährte Vorgehensweisen.
Seit der Erstveröffentlichung der ersten Auflage dieses Buches sind 12 Jahre vergangen. Damals wurde dieses Manual in erster Linie für Monotraumatisierte konzipiert, also für Betroffene von einmaligen, kurz dauernden Traumatisierungen, die durch akute Lebensgefahr, Plötzlichkeit und Überraschung gekennzeichnet sind (Trauma Typ-I nach Terr, 1989). Es wurde in zahlreichen Schulungen im In- und Ausland an Kolleginnen vermittelt; inzwischen führen hunderte Psychotherapeutinnen mit diesem Konzept effektive Traumatherapien im ambulanten Setting durch. Auch Traumastationen verschiedener Kliniken arbeiten im stationären Bereich mit diesem Konzept.
In den S3-Leitlinien der AWMF zur Behandlung der posttraumatischen Belastungsstörung wurde das siebenstufige Behandlungskonzept 2011 als beispielhaft für einen Gesamtbehandlungsplan benannt, in dem verschiedene Methoden miteinander kombiniert werden und mehrstufig vorgegangen wird (Flatten et al., 2011).
Bei vielen Psychotherapeutinnen besteht das Vorurteil, konfrontative, aufarbeitende Traumatherapie jenseits von ausschließlichen Stabilisierungsmaßnahmen sei für traumatisierte Patientinnen besonders schwierig und mit einem ho|16|hen Risiko der Destabilisierung und Retraumatisierung verbunden. Zusammen mit der Befürchtung oder auch Erfahrung, dass Traumatherapie für Therapeutinnen sehr belastend sein kann und oft Gefühle von Hilflosigkeit, Überforderung und Ohnmacht erzeugen, scheuen sich Kolleginnen oft, traumatisierte Patientinnen aufzunehmen bzw. konsequent mit ihnen an deren erlittenen Traumata zu arbeiten.
Mit dem SBK liegen klar strukturierte Arbeitsmaterialien vor, die praktisch tätigen Therapeutinnen Sicherheit für das therapeutische Vorgehen geben und den Patientinnen die Möglichkeit eröffnen, intensiv an ihren Traumathemen zu arbeiten. Für eine effektive Traumatherapie benötigen Therapeutinnen unbedingt ein Werkzeug, mit dem sie arbeiten können. Ohne ein solches entsteht bei den Therapeutinnen häufig eine Hilflosigkeit, geprägt von empathischem Mitgefühl für die erlebten Qualen der Patientinnen. Dieses Mitgefühl ist zwar eine notwendige, jedoch keinesfalls hinreichende Voraussetzung für eine erfolgreiche Traumatherapie. Das SBK ermöglicht der Therapeutin eine klare Orientierung darauf, was jeweils als nächstes zu tun ist, und erfordert von ihr eine Arbeitshaltung, die ein Gefühl der Handlungsfähigkeit auch in schwierigen Situationen gibt. Dadurch sind auch eigene Emotionen, die durch die Traumaschilderungen entstehen, deutlich besser zu kontrollieren.
Patientinnen, die mit diesem Konzept behandelt wurden und vorher häufig nur die Erfahrung gemacht haben, ausschließlich mit Stabilisierungsübungen behandelt worden zu sein, geben nahezu einhellig positive Rückmeldungen zur SBK-orientierten Therapie. Oft gehörte Aussagen von Patientinnen in den Therapien sind „Eigentlich habe ich es immer gewusst, dass es nur den Weg der Auseinandersetzung mit den traumatischen Erfahrungen geben kann“.
Dieser Satz trifft gleichermaßen für Therapeutinnen zu. Mich (GP) hat es immer ganz besonders gefreut, wenn ich auf Kongressen oder Fortbildungsveranstaltungen ehemalige Teilnehmerinnen der SBK-Trainingskurse getroffen habe, die mir begeistert berichteten, dass sie jetzt sehr gerne Traumatherapien durchführen und dass es „tatsächlich funktioniert“.
Ein Manko des bisherigen Behandlungsmanuals war, dass nicht klar war, ob und wie damit auch komplex Traumatisierte (Typ-II-Traumatisierte) behandelt werden können. Das nun vorliegende Manual widmet diesem Bereich besondere Aufmerksamkeit. Es werden Möglichkeiten aufgezeigt, auf welche Weise mit dem siebenstufigen Behandlungskonzept auch mit komplex traumatisierten Patientinnen gearbeitet werden kann. Einige Fallbeispiele sollen das verdeutlichen. Indikationen und Kontraindikationen zu diesem Thema werden ausführlich reflektiert und Handlungsempfehlungen werden gegeben.
|17|Da natürlich auch mit gutem Arbeitsmaterial, das vor Orientierungslosigkeit und Hilflosigkeit schützt, die Arbeit mit Traumatisierten belastend für die Therapeutinnen ist, werden auch einige einfache, aber wirksame Psychohygiene-Maßnahmen für Traumatherapeutinnen vorgestellt.
Neben der rein wissenschaftlichen Darstellung der Erkenntnisse der Traumatherapie aus den letzten drei Jahrzehnten, auf denen die sieben Stufen des Behandlungskonzepts fußen, soll meine persönliche Erfahrung aus diesem Bereich den Stil des Buches prägen.
Ich bin seit 32 Jahren im Bereich Traumatherapie tätig und habe eine Vielzahl von praktischen Erfahrungen in verschiedensten Bereichen der Psychotraumatologie gesammelt, von denen die Leserinnen für ihre praktische Arbeit profitieren können. Das sind neben ungezählten Einzeltherapien mit mono- wie komplex traumatisierten Patientinnen vor allem die oben genannten Großschadensereignisse. Daneben habe ich jahrelang als Vertreter des Berufsverbandes Deutscher Psychologen im „Standing Committee on Crisis and Disaster“ der EFPA (European Federation of Psychologists’ Associations) internationale Erfahrungen durch den Austausch mit europäischen Kolleginnen und die gemeinsame Auswertung internationaler Katastrophen und Terrorakte gesammelt. Auch die dort gemachten Erkenntnisse sind in das Behandlungskonzept SBK mit eingeflossen.
In dieser Auflage „Traumatherapie in sieben Stufen“ werden verschiedene Beispiele von außergewöhnlichen Traumaschicksalen beginnend mit der Unfassbarkeit über das erlittene Leid der Menschen und dem Gefühl, damit nicht weiter leben zu können, bis zum Aufbau einer neuen Lebensperspektive nach einer Therapie mit dem Behandlungskonzept SBK beschrieben. Dadurch wird das therapeutische Vorgehen der verschiedenen Schritte verdeutlicht und nachvollziehbar.
Wesentliches Merkmal und das Ziel des Buches ist,
psychologischen und ärztlichen Psychotherapeutinnen „Werkzeug“ in die Hand zu geben, um im schwierigen Bereich der Traumatherapie erfolgreich arbeiten zu können (durch die genaue Beschreibung der sieben Stufen),
im Gegensatz zu der in der Therapeutinnenschaft weit verbreiteten Grundhaltung, Traumatherapie sei ausgesprochen schwierig und besonders bei komplex Traumatisierten zu riskant, weil Retraumatisierungen zu befürchten seien, die Motivation zu stärken, mit dem Gefühl der Machbarkeit die schwer leidenden Traumapatientinnen (mit Freude) zu behandeln.
Traumatische Ereignisse können nach verschiedenen Gesichtspunkten geordnet werden. Ein bewährtes Schema ist die Unterscheidung in menschlich verursachte vs. zufällige Traumata, kurzfristige (Typ-I) vs. langfristige (Typ-II) Traumata und medizinisch bedingte Traumata (Maercker, 2019). Trotz der Vielfalt möglicher Traumatisierungen (Naturkatastrophen, Vergewaltigungen, Autounfälle etc.) zeigte sich bei Untersuchungen an großen Stichproben ähnliche Symptomprofile bei den Betroffenen (Davidson & Foa, 1993), sodass von einem einheitlichen Störungsbild ausgegangen (PTBS) wurde. Weitere Untersuchungen zeigten jedoch, dass zeitlich langanhaltende, interpersonale Typ-II-Traumata deutlich häufiger zu komplexen klinischen Symptomen und schwereren psychischen Beeinträchtigungen führten als die anderen Formen. Herman (1992) schlug den Begriff „Complex PTSD“ als eine weitere diagnostische Einheit vor. Diese Befunde werden jetzt in der neuen ICD-11 mit der Einführung der komplexen posttraumatischen Belastungsstörung berücksichtigt.
Die neuen Störungskategorien bieten Praktikerinnen und Forscherinnen die Möglichkeit, Störungen spezifisch für bestimmte Typen von Belastungen und dem klinischen Bild entsprechend zu kodieren sowie entsprechende Interventionen abzuleiten (Augsburger & Maercker, 2018). In der Kategorie „Spezifisch belastungsbezogene psychische Störungen“ der ICD-11 werden die im vorliegenden Manual behandelten Störungen „posttraumatischen Belastungsstörung“ (PTBS) und „komplexe PTBS“ beschrieben.
Die wichtigsten Veränderungen gegenüber der ICD-10 seien im folgenden Kasten kurz zusammengefasst.
|20|Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) im ICD-11 (6B40)
Die drei Kernsymptome „Wiedererleben in Hier-und-Jetzt-Qualität“, „Bewusste Vermeidung von Gedanken oder Aktivitäten, die an das Ereignis erinnern“ und „ein anhaltendes Gefühl einer aktuellen Bedrohung gekennzeichnet durch Überwachsamkeit oder eine erhöhte Schreckreaktion“ bleiben bestehen. Das Traumakriterium wird im ICD-11 allerdings weiter gefasst. Nach wie vor wird für die Diagnose der PTBS das Erleben eines extrem bedrohlichen und entsetzlichen Ereignisses bzw. eine Serie von Ereignissen verlangt. Der in der ICD-10 vorhandene Zusatz „das nahezu bei jedem tiefgreifende Verzweiflung auslösen würde“ wurde gestrichen. Im Hinblick auf die erheblichen interindividuellen Bewertungen eines Traumas scheint die neue Definition sinnvoll. Einige Symptomkriterien wurden ebenfalls verändert. So wurde auf unspezifische Symptome wie Konzentrationsstörungen und Ein- und Durchschlafstörungen verzichtet. Dies soll nach Brewin et al. (2017) dazu dienen, die PTBS von anderen Belastungsstörungen besser abzugrenzen. Auch das Zeitkriterium ist weniger restriktiv. Musste im ICD-10 die Symptomatik noch innerhalb von 6 Monaten nach dem Ereignis auftreten, müssen die Symptome im ICD-11 lediglich mindestens über einige Wochen persistieren.
Komplexe posttraumatische Belastungsstörung (kPTBS) im ICD-11 (6B41)
Die neue Diagnose soll die komplexen klinischen Symptome beschreiben, die nach besonders schwerwiegenden und andauernden, meist interpersonalen Belastungen auftreten und die durch die Diagnosekriterien der PTBS nur unzureichend abgedeckt sind (Augsburger & Maercker, 2018). Die komplexe PTBS kann als Folge eines oder einer Serie von extrem bedrohlichen und schrecklichen Ereignissen entstehen. Typisch sind langanhaltende oder sich wiederholende Ereignisse, aus denen Flucht nur schwer oder unmöglich ist, wie z. B. Folter, Sklaverei, Genozid, anhaltende häusliche Gewalt und physische und sexualisierte Gewalt in der Kindheit (WHO, 2019). Neben den drei Kernsymptombereichen der PTBS Wiedererleben, Vermeidung und Bedrohungserleben müssen für die Erfüllung der Diagnose der komplexen PTBS zusätzlich folgende Bereiche, die die Selbstorganisation betreffen, deutlich betroffen sein.
Schwierigkeiten in der Affektregulation: Die Betroffenen sind häufig leicht erregbar, reagieren plötzlich, heftig und können sich nur schwer wieder beruhigen. Probleme zeigen sich häufig in der Regulation von Aggression und Wut. Darüber hinaus sind Schwierigkeiten bei der Affektregulation häufig mit selbstschädigenden Verhaltensweisen und einer Ausbildung von dissoziativen Phänomenen verbunden.
|21|Negatives Selbstkonzept (Überzeugung, wertlos, schwach und beschädigt zu sein); gestörtes Identitätsgefühl; ausgeprägte Überzeugung, etwas falsch gemacht zu haben; sowie permanente Gefühle von Schuld und Scham.
Interpersonelle Probleme: Häufig zeigen sich Schwierigkeiten, zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen und aufrechtzuerhalten. Partnerschaften werden als problematisch erlebt und sind kaum mit Zufriedenheit und Befriedigung verbunden.
Zur Behandlung der PTBS liegen verschiedene psychotherapeutische Interventionen vor, die in kontrollierten Therapiestudien untersucht worden sind. Neuere Metaanalysen zeigen, dass eine Reihe von Verfahren wirksam in der Behandlung von klassischer PTBS sind (Cusack et al., 2016). Für die Bewertung von Behandlungsmethoden der komplexen PTBS liegen noch keine ausreichenden Daten vor. Cusack und Kollegen (2016) wiesen in einer methodisch hochwertigen Metaanalyse hohe Effektstärken für unter anderem Expositionstherapie, Kognitive Therapie und Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) nach. Die aktuellen S3-Leitlinien der posttraumatischen Belastungsstörung (Schäfer et al., 2019) fassen diese Verfahren zusammen und beschreiben, dass traumafokussierte Interventionen die Behandlung erster Wahl sind (höchster Empfehlungsgrad und Evidenzstärke). Bei diesen Verfahren steht die Reduktion der PTBS-Symptomatik im Mittelpunkt der Behandlung. Die Schwerpunkte liegen auf der Verarbeitung der Erinnerung an das traumatische Ereignis und seiner Bedeutung (Bisson, Ehlers, Matthews, Pilling, Richards & Turner, 2007). Außerdem wird in diesen Ansätzen die eigene Bewertung des Erlebten betont. Insbesondere wird der wahrgenommenen Schuld und Verantwortung für das traumatische Ereignis eine besondere Rolle beigemessen. Als zentrale Techniken werden imaginative Exposition in Bezug auf die Traumaerinnerung, narrative Exposition, Exposition in vivo und/oder kognitive Umstrukturierung in Bezug auf traumabezogene Überzeugungen eingesetzt. Zu den am besten untersuchten spezifischen Ansätzen gehören die prolongierte Exposition (Foa, Dancu, Hembree, Jaycox, Meadows & Street, 1999), die kognitive Verarbeitungstherapie (König et al., 2012), Kognitive Therapie nach Ehlers und Clark (Ehlers, 1999), Narrative Expositionstherapie (Schauer, Elbert & Neuner, 2011) und Kombinationen aus expositionsbasierten und kognitiven Ansätzen (Maercker, Zöllner, Menning, Rabe & Karl, 2006). Die Ansätze unterscheiden sich unter anderem in der Betonung und Umsetzung expositionsorientierter vs. kognitiver Techniken (siehe Schäfer et al., 2019).
|22|EMDR (z. B. Hofmann, 2014) ist eine Intervention zur konfrontativen Bearbeitung traumaassoziierter Symptome. Die Taumaexpositionsphasen werden von rhythmischen, durch die Therapeutin mit der Hand geführten Augenbewegungen begleitet. Dem generellen Anspruch des EMDR, mit nur wenigen Sitzungen die PTBS-Symptomatik zu beseitigen (Shapiro, 2018), steht das Bedürfnis vieler Traumatisierter nach einer Reflexion und Bearbeitung der Traumafolgen gegenüber. Dafür ist eine konstante, stabile Therapeutin-Patientin-Beziehung nötig, in der weitere Therapieelemente zum Einsatz kommen. Aus diesen Gründen sollte EMDR als ein Baustein in einen Gesamtbehandlungsplan integriert sein. Auf diese Weise lassen sich auch dem in der Praxis häufig beobachtbaren Problem Rechnung tragen, dass Patientinnen unterschiedlich gut auf verschiedene Interventionen ansprechen. Die Kombination von traumafokussierter kognitiver Verhaltenstherapie und EMDR ermöglicht, einer größeren Anzahl von Patientinnen gerecht zu werden und bei jeder Patientin eine umfassende Bearbeitung der Traumasymptomatik auf kognitiver, emotionaler, physiologischer und Verhaltensebene zu gewährleisten.
In den vergangenen Jahren wurden bedeutende Fortschritte in dem wissenschaftlichen Verständnis der PTBS erzielt. Dies gilt insbesondere für Veränderungen in neuronalen Netzwerken und damit einhergehenden Veränderungen kognitiver Funktionen. Eine komplette Ausarbeitung kann hier nicht erfolgen, vielmehr geht es darum, grundlegende Zusammenhänge mit besonderer Relevanz für die Behandlung der PTBS für praktisch tätige Psychotherapeutinnen nachvollziehbar zu machen. Für einen umfassenden deutschsprachigen Überblick sei auf Henning-Fast und Markowitsch (2010) verwiesen.
Kognitive Defizite sind ein zentraler Bestandteil der PTBS; in den diagnostischen Kriterien werden folgende Merkmale genannt: unkontrolliertes und ungewolltes Erinnern traumatischer Erlebnisse (Intrusionen), gestörtes Erinnern an Teilaspekte (Amnesien), Konzentrationsschwierigkeiten und Fokussierung der Aufmerksamkeit auf potentiell bedrohliche Stimuli.
Querschnittstudien haben wiederholt gezeigt, dass die PTBS mit Defiziten in den Bereichen Lernen und Gedächtnis, Aufmerksamkeit, Arbeitsgedächtnis und Exekutivfunktionen assoziiert ist (Metaanalysen: |23|Brewin, Kleiner, Vasterling & Field, 2007; Scott et al., 2015). Diese Defizite sind klinisch relevant, da sie mit negativen beruflichen Folgen verbunden sind (Geuze, Vermetten, Kloet, Hijman & Westenberg, 2009) und die Wirksamkeit kognitiv-verhaltenstherapeutischer Behandlung beeinflussen (Falconer, Allen, Felmingham, Williams & Bryant, 2013).
Man geht davon aus, dass zentrale Symptome der PTBS, wie dissoziative Amnesien und intrusives Wiedererleben, durch eine Störung der Informationsverarbeitung entstehen: Das traumatische Erlebnis wird implizit abgespeichert, doch die explizite Weiterverarbeitung scheitert (van der Kolk & Fisler, 1995; Wessa & Flor, 2002). Sensorische Informationen werden nicht in ein verbales Narrativ des Erlebten eingebettet und können daher auch unbewusst getriggert werden. Sprache wird bei den meisten Menschen überwiegend in der linken Gehirnhälfte verarbeitet. Dazu passend wurde bei Personen mit PTBS eine geringe linkshemisphärische Aktivierung bei dem Erinnern traumatischer Erlebnisse beschrieben (Lanius et al., 2004).
Schon länger ist bekannt, dass Stress und PTBS mit Volumenminderung im Hippocampus assoziiert sind (Bremner et al., 2003; De Bellis, Hall, Boring, Frustaci & Moritz, 2001). Ein wichtiger Auslöser dieser Studien waren Befunde aus tierexperimentellen Studien, die strukturelle und funktionelle Änderungen im Hippocampus als Folge von chronischem Stress zeigten (Leuner & Shors, 2013; Sapolsky, Uno, Rebert & Finch, 1990). Frühere Modelle gingen davon aus, dass Traumaexposition bzw. PTBS zu einer Schädigung des Gehirns und dadurch zu einer Beeinträchtigung kognitiver Funktionen führt. Im Gegensatz zu dieser Erklärung, die die Volumenminderung als Ergebnis („state“) einer Traumatisierung bzw. von starkem und anhaltendem Stresserleben sieht, zeigen andere Untersuchungen, dass genetisch bedingte volumengeminderte Hippocampi einen Risikofaktor („trait“) für die Ausbildung einer PTBS darstellen (Gilbertson et al., 2002). Vasterling und Brewin (2005) schlugen eine bidirektionale Beziehung zwischen Hippocampus-Integrität und PTBS vor: Subtile kognitive Schwächen, die bereits vor dem traumatischen Ereignis bestehen, entwickeln sich zu leichten kognitiven Defiziten als Folge der Veränderungen in neuronalen Netzwerken mit dem Beginn einer PTBS.
Da der Hippocampus eine zentrale Rolle bei der Speicherung expliziter Gedächtnisinhalte spielt (Piefke & Fink, 2005; Tulving & Markowitsch, 1998), fokussierten frühe Studien zur Neurokognition der PTBS auf episodische Gedächtnisleistungen. Seitdem konnten Defizite verbal-episodischer Gedächtnisleistungen bei der PTBS (Bremner et al., 1993; Johnsen & Asbjørnsen, 2008) sowie Assoziationen zwischen reduziertem Hippocampus-Volumen und Defiziten bei episodischen Gedächtnisleistungen (Twamley et al., 2009) gezeigt werden.
|24|Studien, die die verschiedenen Phasen der Informationsverarbeitung innerhalb der Gedächtnisbildung berücksichtigen, zeigen bei der PTBS eine Störung des initialen Lernens, eine geringe Vergessensrate und verbesserte Leistungen im gestützten Wiedererkennen im Vergleich zum freien Abruf (Cohen et al., 2013). Gedächtnisprobleme bei der PTBS scheinen also z. T. durch Schwierigkeiten bei strategischen Enkodierungs- und Abrufleistungen bedingt; dies weist auf die Beteiligung präfrontaler Netzwerke hin (Brewin, Kleiner, Vasterling & Field, 2007). Dazu passend wurde gezeigt, dass die PTBS mit Defiziten weiterer kognitiver Funktionen assoziiert ist, die sich ebenfalls auf die Integrität präfrontaler Netzwerke stützen, darunter die Inhibition automatischer Reaktionen (Casada & Roache, 2005) und die Geschwindigkeit der Informationsverarbeitung (Cohen et al., 2013; Twamley et al., 2009).
In funktionellen Bildgebungsstudien wurden zahlreiche Aktivierungsänderungen bei der PTBS beschrieben. In einer Metaanalyse beschrieben Hayes, Hayes und Mikedis (2012) Hyperaktivität im anterioren Cingulum, im supplementär-motorischen Areal und im Gyrus temporalis superior. Diese Gebiete sind Teil eines „Salienz-Netzwerks“, das Informationen von persönlicher Relevanz verarbeitet (Downar, Crawley, Mikulis & Davis, 2002). Das Salienz-Netzwerk beteiligt sich an der Bewertung von Stimuli und hilft bei der Entscheidung, ob diese aufgesucht oder vermieden werden sollen. Bei Vorliegen einer PTBS könnte sich diese Überfunktion in einer bevorzugten Verarbeitung verschiedener salienter Stimuli äußern. Durch die ständige Beobachtung der Umgebung fehlen dann kognitive Ressourcen für zielgerichtetes, planvollen Handelns (Hayes et al., 2012). Dies ist vereinbar mit dem Befund, dass bei PTBS-Patientinnen die Arbeitsgedächtnisleistung nicht nur von traumaassoziierten, sondern auch von neutralen Stimuli beeinflusst wird (Morey et al., 2009).
Eine im Vergleich zu Kontrollpersonen geringere Aktivität wurde besonders robust im ventromedialen präfrontalen Cortex (vmPFC) beschrieben. Diese Region spielt eine entscheidende Rolle in der Emotionsregulierung und überwacht und beeinflusst die Aktivität der Amygdala (Motzkin, Philippi, Wolf, Baskaya & Koenigs, 2015). Eine Überaktivität der Amygdala wurde just in den Studien gefunden, die auch eine reduzierte Aktivität des vmPFC darstellen konnten. Hayes et al. (2012) schlussfolgerten, dass die PTBS durch Veränderungen in neuronalen Netzwerken zur Angstkonditionierung verstanden werden kann: Die erhöhte Aktivität in der Amygdala ermöglicht die bevorzugte Verarbeitung bedrohlicher Inhalte, während der präfrontale Cortex seine dämpfende und kontrollierende Wirkung nicht entfalten kann. Dazu passt auch der Befund, dass PTBS-Patientinnen eine Hinwendung der Aufmerksamkeit zu traumarelevanten und anderen emotional-|25|relevanten Stimuli (gemessen über längere Reaktionszeiten) zeigen (Zinchenko et al., 2017). Darüber hinaus sorgt die eingangs beschriebene Beeinträchtigung des Hippocampus dafür, dass die Einordnung in den räumlich-zeitlichen Kontext erschwert wird und damit die Unterscheidung zwischen sicherer vs. bedrohlicher Umgebung nicht gelingt (Hayes et al., 2012).
Die geschilderten Erkenntnisse können für die psychotherapeutische Behandlung genutzt werden: Aus neuropsychologischer Sicht sollte die Stärkung der präfrontalen Kontrolle gefördert werden. In der Praxis kann dies bedeuten, dass durch die Stärkung inhibitorischer Kontrollprozesse automatisierte Reaktionen zu beeinflussen oder die kognitive Neubewertung negativ besetzter Inhalte zu fördern sind. Darüber hinaus sollte die bei PTBS-Patientinnen überaktive Amygdala gehemmt werden. Die Amygdala reagiert vor allem auf neue Reize, daher kann eine Behandlung, die sensorische Informationen in ein kognitiv kontrolliertes Narrativ einbettet und durch Wiederholung bekannt macht, hier Erfolge bewirken. Die gezielte Aktivierung präfrontaler und linkshemisphärischer sprachlicher Gebiete bei der Bearbeitung traumatischer Inhalte ist hierbei wichtig.
Diese neuropsychologischen Forschungsergebnisse sind in folgenden Phasen des SBK berücksichtigt:
Phase 1 – Stabilisierung: Durch Achtsamkeitsübungen wird der präfrontale Cortex gestärkt, überschießende Reaktionen der Amygdala nehmen ab.
Phase 2 – Erklärung des Therapierationals: Der präfrontale Cortex wird aktiviert.
Phase 3 – KTE:
Durch die Aufgabe, sich an kleine Details zu erinnern (z. B.: „Welche Farbe hatte der Pullover des Täters?“) wird der präfrontale Cortex gestärkt und der Hippocampus und sprachrelevante Gebiete der linken Gehirnhälfte werden aktiviert
Durch konsequentes Anwenden der „emotionalen Schleife“ (siehe Kap. 5.3.2.1) wird die überaktive Amygdala gehemmt.
Phase 4 – Exposition in sensu: Durch das häufig wiederholte Lesen des Traumadrehbuchs bzw. dem Zuhören, wenn die Therapeutin es liest (siehe Kap. 5.4.2), werden sensorische Informationen in ein kognitiv kontrolliertes Narrativ eingebettet und durch Wiederholung bekannt gemacht. Auch dadurch wird die überaktive Amygdala gehemmt.
Phase 5 – EMDR: Durch die Umwandlung der negativen Kognition über sich selbst nach Neutralisation von deren emotionaler Relevanz in eine positive Kognition (siehe Kap. 5.5.2) wird die kognitive Neubewertung negativ besetzter Inhalte gefördert.
|26|Phase 6 – Exposition in vivo: Die kognitive Kontrolle über den Ort wird entwickelt, die starke Aktivierung der Amygdala wird gehemmt durch das Erkennen, dass nicht der Ort an sich gefährlich ist, und durch die körperliche Habituation.
Das siebenstufige Behandlungskonzept (SBK) beinhaltet die oben dargestellte Kombination von traumafokussierter kognitiver Verhaltenstherapie und EMDR. Das bisherige Konzept dieser Traumatherapie in sieben Stufen war jedoch nur für Typ-I-Traumata konzipiert. In der Weiterentwicklung ist es möglich, auch Typ-II-Traumata bzw. komplexe PTBS mit dem SBK zu behandeln. Dazu werden die erlebten Traumen inhaltlich geordnet und zu sogenannten Clustern zusammengefasst.
Komplex traumatisierte Patientinnen haben in der Regel so viele unterschiedliche Traumata erlebt, dass sie selbst das Gefühl haben, ein großes, unüberwindbares Chaos und Wirrwarr von belastenden und angstmachenden schrecklichen Erlebnissen in sich zu tragen, vor denen sie sich schützen müssen. Wenn die Erinnerung an eines dieser Ereignisse durch Auslösereize getriggert wird, ist es nicht nur dieses eine Ereignis, was sie quält, sondern die Belastung aller anderer traumatischer Erlebnisse schwingt mit. Das führt zu einem starken körperlichen und seelischen Leidensdruck, der kaum auszuhalten ist und häufig zu Vermeidung und Dissoziation als inadäquate Lösungsstrategie führt und langfristig den Leidensdruck erhöht.