Traumfrau mit Lackschäden - Amelie Fried - E-Book

Traumfrau mit Lackschäden E-Book

Amelie Fried

4,5
9,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Traumfrau Cora Schiller wird fünfzig – und gerät in die Krise. Ihr Sohn ist weg, ihr Mann ist weg, dafür taucht ein ehemaliger Liebhaber auf, und bei ihr zu Hause drängeln sich ihre Freundinnen, die es noch mal wissen wollen. Sie wünschen sich neue Männer, neue Jobs, neue Abenteuer – nur Cora wäre es am liebsten, wenn alles so bliebe, wie es ist.

Graue Strähnen im Haar, Fältchen, die über Nacht entstehen, unerklärliche Gewichtszunahme – als »Traumfrau« älter zu werden ist eine echte Herausforderung. Cora Schiller ist entschlossen, ihr mit Würde zu begegnen. An ihrem fünfzigsten Geburtstag aber wird plötzlich alles anders. Sohn Paul zieht in eine WG, Ehemann Ivan braucht für sein Kunstprojekt eine Auszeit, und in ihrem Freundeskreis herrscht Gefühlschaos: die eine verlässt ihren Mann, eine andere verliebt sich in eine Frau, die dritte will endlich das große, erotische Abenteuer erleben, und dann taucht auch noch Coras ehemaliger Lover auf und sorgt für Verwicklungen. Zweifel am Ideal der monogamen Zweierbeziehung werden für Cora, die als Paarvermittlerin versucht, ihren Kunden zum ersehnten Traumpartner zu verhelfen, immer größer. Als es zur Krise kommt, fragt Cora sich besorgt: Haben Frauen ihres Alters noch ein Leben? Haben sie noch Sex? Oder müssen sie statt erotischer Dessous jetzt Stützstrümpfe tragen? Schließlich stellt sie fest, dass das Leben noch jede Menge Überraschungen für sie bereithält.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 472

Bewertungen
4,5 (40 Bewertungen)
28
3
9
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



AMELIE FRIED

TRAUMFRAU

mit Lackschäden

ROMAN

Copyright © 2014 by Wilhelm Heyne Verlag, München,

in der Verlagsgruppe Random House GmbH

Umschlaggestaltung: Eisele Grafik·Design, München

Herstellung: Helga Schörnig

Satz: Leingärtner, Nabburg

ePub-ISBN 978-3-641-13634-5

www.heyne.de

Manche Männer gehen, manche bleiben,

man weiß nicht, was schlimmer ist.

EINS

Es war mein fünfzigster Geburtstag. Ich stand an der Tür unserer Wohnung und lauschte ins dunkle Treppenhaus. Vier Stockwerke unter mir ließ jemand die Haustür ins Schloss fallen. Dieser Jemand war Ivan, mein Mann.

Gerade hatte er mir erklärt, dass er für eine Weile ausziehe. Dass er eine »Überdosis« habe. Dass er Abstand brauche und Zeit für sich selbst.

Unsere Ehe war nach fast zwanzig Jahren nicht besser oder schlechter als die meisten Ehen nach so langer Zeit, fand ich. Natürlich hatten wir Probleme, wer hatte die nicht? Aber alles in allem hatten wir es gut hinbekommen. Das hatte ich jedenfalls bis zu diesem Tag gedacht.

Benommen stand ich da und versuchte zu begreifen, was passiert war. Ich fühlte mich, als hätte mich eine riesige Hand gepackt und einmal kräftig durchgeschüttelt. Ungläubig lachte ich auf. Da behaupte noch mal einer, das Leben jenseits der fünfzig halte keine Überraschungen mehr bereit!

Dabei war wenige Stunden zuvor noch alles in bester Ordnung gewesen.

Ich hatte meine engsten Freunde eingeladen und den ganzen Tag gekocht, freute mich auf einen gemütlichen Abend mit gutem Essen und reichlich Alkohol. Ivan hatte versprochen, pünktlich aus dem Atelier zurück zu sein, und sogar Paul, unser achtzehnjähriger Sohn, der vor Kurzem ausgezogen war, hatte gnädig sein Kommen angekündigt.

Ich stand im Bad und versuchte, mich dem Anlass entsprechend zu stylen. Beim Blick in den Spiegel verspürte ich einen kurzen Anfall von Mutlosigkeit. Ich hätte meinen Haaransatz nachfärben sollen, das Grau wurde immer stärker. Seit wann hatte ich solche Tränensäcke? Diese Falten über den Augenbrauen? Und hängende Lider? Bei Charlotte Rampling hieß das Schlafzimmerblick. Bei mir war es nur eine Hauterschlaffung, die mich müde und angestrengt aussehen ließ.

Plötzlich hatte ich eine seltsame Wahrnehmung. Wie im Zeitraffer veränderte sich mein Gesicht, und ich sah mich am Abend meines dreißigsten Geburtstages. Damals hatte ich genau so vor dem Spiegel gestanden und mich selbstkritisch begutachtet – allerdings war ich da jung und schön gewesen. Zweihundert Leute hatten in einer aufwendig dekorierten Fabrikhalle gewartet, um mit mir zu feiern – und ich wollte das Fest schwänzen, um zu meiner großen Liebe nach Rom abzuhauen. Nur weil ich keinen Platz im Flugzeug bekommen hatte, war ich doch noch bei meiner eigenen Geburtstagsparty erschienen.

Und was für eine Party das gewesen war! Wehmütig dachte ich an die Videoskulptur, die roten Samtvorhänge, die Fackeln, den Auftritt des New Yorker Rappers und die Musikeinlage der Drei Tournedos zurück. Der Abend hatte mich ein Vermögen gekostet, aber als erfolgreiche PR-Frau mit eigener Firma hatte ich mir das damals leisten können.

Sollte ich es diesmal tun? Einfach zum Flughafen fahren und nachsehen, wohin das nächste Flugzeug ging? Meinen Gästen würde ich eine Nachricht hinterlassen: »Ich bin dann mal weg, macht euch keine Sorgen!« Und dann würde ich allein in … ja, wo? Ich hatte keine Ahnung, wohin heute Abend noch Flüge gehen würden. Istanbul, Kopenhagen, Warschau? An irgendeinem dieser Orte würde ich allein in meinen fünfzigsten Geburtstag hineinfeiern und mich super spontan und jugendlich fühlen. Ich würde durch die Straßen einer fremden Stadt schlendern, allein in einem Restaurant sitzen, interessierte Blicke der Kellner ernten, mich an der Hotelbar von furchtbar lustigen Vertretertypen anbaggern lassen und irgendwann betrunken ins Bett fallen.

Ernüchtert gab ich den Plan auf. Dann lieber im Kreis meiner Lieben, die sicher eine Menge Sprüche à la »Das Leben geht weiter«, »Besser fünfzig werden als nicht fünfzig werden«, »Du siehst keinen Tag älter aus als neunundvierzigeinhalb« und dergleichen mehr auf Lager haben würden. Was sollte schon schlimm daran sein, fünfzig zu werden? Die Alternative wäre gewesen, jung zu sterben, aber die Chance hatte ich verpasst. Wir selbst waren es doch, die in einem Datum unbedingt etwas Besonderes sehen oder ihm eine symbolhafte Bedeutung geben wollten. Sonst war so ein fünfzigster Geburtstag doch nur »ein Furz im Universum«, wie meine Tante Elsie gesagt hätte, Gott hab sie selig.

Tante Elsie war meine Familie gewesen, bei ihr war ich aufgewachsen, nachdem meine Eltern sich getrennt hatten und mein Vater verschwunden war. Er hatte nicht gewusst, dass er nicht mein richtiger Vater war, und diese Kränkung nie verwunden. Mein leiblicher Vater war Spanier, meine Mutter und er hatten nur eine Affäre gehabt, und ich war zu klein gewesen, um mich an ihn erinnern zu können. Tante Elsie hatte mich über die Zeit hinweggerettet, in der meine Mutter krank geworden und gestorben war, und vielleicht hatte ich sie über den Verlust ihres Sohnes hinweggerettet, der aus Liebeskummer gegen einen Baum gefahren war. Seit ihrem Tod hatte ich außer Ivan und Paul keine Familie mehr. Meine Freunde waren meine Familie geworden.

Die junge Cora im Spiegel war verschwunden, ich war wieder die alte.

Ich versuchte mittels einer raffinierten Drehung aus einer Handvoll schwarz-grauer Haarsträhnen eine lässige Hochfrisur zu zaubern.

Plötzlich hörte ich eine Stimme. »Alte, du siehst zum Kotzen aus.«

Überrascht sah ich mich um. Dann begriff ich. Sie war wieder da. Meine innere Stimme, meine »bessere Hälfte«, die mich vor zwanzig Jahren verlassen hatte.

»Was machst du denn hier?«, fragte ich überrascht.

»Ich glaube, du brauchst mich wieder.«

»Ich, wieso? Ich bin die letzten Jahre bestens ohne dich zurechtgekommen.«

»Findest du?« Die Stimme klang spöttisch. »Schau dich doch mal an. Dein Sohn ist von zu Hause abgehauen, so schnell er konnte, deine Ehe ist auch nicht mehr das, was sie mal war, du haderst mit dem Älterwerden und spielst mit dem Gedanken an Botox und Faltenunterspritzung – wenn du mich fragst, hast du eine satte Midlife-Crisis.«

»Ich frage dich aber nicht«, knurrte ich. »Und jetzt verpiss dich!«

Sie lachte spöttisch. »Hey, Traumfrau, sei nicht so empfindlich!«

Ich warf einen kritischen Blick in den Spiegel. Traumfrau mit Lackschäden wäre wohl passender.

Ich ging ins Schlafzimmer und vermied den Blick in den Ganzkörperspiegel. Seit Kurzem konnte ich einen Teil meiner Hinterbacken sehen, ohne mich umzudrehen. Dafür brauchte ich keine Gürtel mehr, mein Rettungsring würde jeden Hosenbund festhalten. Und unter meinen Busen könnte ich nicht nur einen Bleistift, sondern den Inhalt eines kompletten Federmäppchens klemmen, ohne dass etwas runterfallen würde.

Ich zog ein schwarzes Kleid an, das mit etwas gutem Willen als festlich-elegant durchgehen könnte, band mein Haar im Nacken zusammen und legte imposante Ohrringe an. Die wür-den vom Rest ablenken. Ich blickte auf die Uhr. Schon kurz vor sieben. Um halb acht sollten meine Gäste kommen.

Auch so eine Alterserscheinung, dachte ich. Die Fete zu meinem Dreißigsten hatte erst um neun begonnen, dafür aber bis fünf Uhr morgens gedauert. Heute war ich froh, wenn Einladungen früh begannen, damit ich möglichst um Mitternacht im Bett sein konnte. Wurde es später, konnte ich nicht mehr schlafen.

Ich ging in die Küche und kontrollierte die Töpfe. In einem schmorte ein Ossobuco, im nächsten Ratatouille. Ich schaltete den Ofen ein, damit die Kartoffeln rechtzeitig fertig und schön goldbraun werden konnten, bereitete Vorspeisenplatten mit Avocado, Shrimps, Serranoschinken und Tomaten mit Mozzarella vor, schnitt knuspriges Baguette in Scheiben und kippte das Balsamicodressing über den vorbereiteten Salat. Im Kühlschrank schlummerten eine Zitronencreme und eine Mousse au Chocolat, garniert mit exotischen Früchten. Der Weißwein war kalt gestellt, den Rotwein hatte ich bereits geöffnet, damit er atmen konnte. Zur Sicherheit hatte ich auch Champagner aufs Eis gelegt, obwohl ich wusste, dass die meisten ihn nicht mehr mochten oder vertrugen. Champagner war was Tolles gewesen, als wir jung waren und ihn uns nicht leisten konnten. Heute tranken die meisten meiner Freunde lieber Wein. Auf jeden Fall tranken wir alle deutlich weniger. Mit Grausen dachte ich an die Zeit zurück, als ich mehrere Cocktails hintereinander wegkippen und zum Durstlöschen ein, zwei Biere hinterhertrinken konnte. Oft folgte dann noch ein Absacker in Gestalt eines Cognacs oder Calvados. Nach diesem Quantum müsste man mich heute in die Notaufnahme einliefern.

Gab es eigentlich irgendetwas, das mit dem Alter besser wurde?

Sex war es jedenfalls nicht. Ich hatte seltener Lust und kam schwerer in Fahrt. Sex konnte immer noch Spaß machen und mir Befriedigung verschaffen, aber ich spürte auch immer wieder eine Art Ernüchterung. Die Erinnerung an Momente großer Leidenschaft in der Vergangenheit konnte nicht mehr übertroffen werden. Die Gegenwart war immer ein bisschen weniger großartig, weniger befriedigend, irgendwie … banaler. Wenn es ganz schlecht lief, blickte ich mitten im Liebesakt plötzlich von außen auf die Situation. Der Anblick zweier ineinander verkeilter Leiber, die sich begrapschten, ableckten, besabberten und dabei ekstatisch stöhnten, kam mir dann nur noch lächerlich vor.

Aber ich wollte nicht aufgeben. Mochten andere mit fünfzig das Thema Erotik abhaken, weil sie sich zu alt fühlten – ich fühlte mich nicht zu alt. Oder besser: Ich hatte beschlossen, mich nicht zu alt zu fühlen. Ich legte Wert auf mein Aussehen und kleidete mich so weiblich, wie ich es immer getan hatte. Aber die Blicke der Männer wurden seltener. Es war, als würde ich allmählich unsichtbar werden.

Als ich kürzlich im Aufzug gefahren war, hatte hinter mir ein Mann gestanden. Plötzlich hörte ich ihn murmeln: »Sie haben wunderschönes Haar! Kann ich Ihre Telefonnummer haben?« Ich war so geschmeichelt gewesen, dass ich sie ihm sofort gegeben hatte. Leider habe ich nie mehr etwas von ihm gehört.

Als ich einer Freundin davon erzählte, sagte sie: »Von hinten Lyzeum, von vorne Museum. Hättest dich halt nicht umdrehen dürfen.«

Zugegeben, ich liebte den Flirt. Trotzdem hatte ich Ivan in zwanzig Jahren nicht ein einziges Mal betrogen. Jedenfalls nicht, wenn man unter Betrug den vollzogenen Geschlechtsakt verstand. Ich gebe zu, hie und da von anderen Männern geträumt zu haben, von der Aufregung und Verwirrung des Verliebtseins, von Begegnungen, die meiner erotischen Fantasie entsprangen oder sie anregten. Aber nie hatte ich diese Fantasien in die Tat umgesetzt.

Schon fünf vor halb acht! Ich öffnete eine Flasche Champagner (ich mochte ihn immer noch), schenkte mir ein Glas ein und kippte es hinunter. Und gleich noch ein zweites. Sofort spürte ich, wie meine Wangen sich röteten und sich in meinem Kopf eine angenehme Leichtigkeit ausbreitete.

Ich warf einen letzten Kontrollblick in den Spiegel vor dem Gästeklo. Eigentlich gar nicht so übel. Für fünfzig.

»Na los, Alte, amüsier dich!«, hörte ich meine innere Stimme. »Wer weiß, wie viel Gelegenheit du noch dazu hast.«

Im letzten Jahr waren zwei Frauen aus unserem Bekanntenkreis an Krebs gestorben – mit noch nicht einmal fünfzig. Aber solche Gedanken wollte ich heute nicht mal in die Nähe meines Bewusstseins kommen lassen. Ich scheuchte sie weg wie schmutzige, verflohte Straßenköter.

Da klingelte es auch schon. Ich riss die Tür auf und blickte in einen riesigen, dunkelroten Rosenstrauß. Dahinter kamen die Köpfe von Arne und Hubert zum Vorschein.

»O mein Gott, ihr seid verrückt!«, stammelte ich.

»Fünfzig Rosen für die ersten fünfzig Jahre«, erklärte Arne lachend. »Lass dich drücken, schöne Frau!«

Beide umarmten und beglückwünschten mich, und schon spürte ich Tränen der Rührung aufsteigen. Das konnte ja was werden, wenn ich schon bei den ersten Gästen heulte!

Arne war vor zwanzig Jahren Mitarbeiter in meiner PR-Agentur gewesen und hatte die Irrungen und Wirrungen dieser Zeit miterlebt. Stoisch hatte er immer zu uns Frauen gehalten, auch wenn wir über die Männer geschimpft hatten. Und das hatten wir ständig getan.

»Ich bin nicht wie andere Männer«, pflegte Arne zu sagen. Als ich ihn mit einem meiner Freunde im Bett erwischte, begriff ich, was er meinte. Kurz danach hatte er Hubert kennengelernt und war mit ihm zusammengeblieben. Vor ein paar Jahren hatten die beiden ihre Partnerschaft eintragen lassen und ein Kind adoptiert. (Das hieß, Hubert musste es allein adoptieren, weil homosexuelle Paare in Deutschland nicht gemeinsam adoptieren durften. Tolle Logik.)

»Kommt rein, ihr Lieben!«

Ich komplimentierte die beiden ins Wohnzimmer und drückte ihnen Gläser in die Hand.

Es klingelte wieder. Meine älteste Freundin Uli und ihr Mann Thomas. Er war es gewesen, mit dem ich Arne im Bett erwischt hatte. In meinem Bett übrigens. Thomas hatte nur mal ausprobieren wollen, ob er auch auf Männer stand.

»Meine Güte! Fünfzig! Was soll ich sagen?« Uli warf theatralisch die Arme um mich.

»Am besten nichts«, sagte ich grinsend. »Du machst es in jedem Fall schlimmer.«

»Alles Gute, meine Süße! Ich hoffe, du bleibst von der obligatorischen mediae-vitalen Crisis verschont.«

»Von was?« Uli hatte ihre Leidenschaft für Fremdwörter und Fachbegriffe nicht verloren.

»Na, die Krise in der Mitte des Lebens.«

»So was kriege ich nicht«, sagte ich.

»Kriegen die nicht eh nur Männer?«, sagte Thomas und umarmte mich. »Alles Gute, Cora!«

Thomas war damals mein »Hintergründler« gewesen, schwer in mich verliebt und allzeit für mich da. In einem schwachen Moment hatte ich ihn erhört – ein großer Fehler. Gute Freunde waren schlechte Liebhaber. Wir hatten es geschafft, unsere Freundschaft zu retten, und bald darauf verliebte er sich in die schwangere Uli, die gerade ihren untreuen Freund verlassen hatte. Clara kam zur Welt, und Thomas erwies sich als perfekter Ersatzvater. Zwei Jahre später bekamen die beiden noch eine gemeinsame Tochter, Laura.

»Was wollt ihr trinken?«

Uli wollte Weißwein, Thomas ein Bier. Sie stellten sich zu Arne und Hubert, während ich schon die Tür für die nächsten Gäste öffnete. Ein blonder Pagenkopf erschien im Treppenhaus, und im nächsten Moment hielt ich eine kleine, dralle Person im Arm, die begeistert kreischte: »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, Chefin!«

»Hella! Ich freue mich so!«

»Und ich mich erst! Alles Gute, Cora!«

Wir lachten und umarmten uns noch einmal. Hella hatte zur gleichen Zeit für mich gearbeitet wie Arne. Leider hatte sie sich in einen meiner größten Kunden verknallt, den Schokoladenfabrikanten Herbert Hennemann. Sie heiratete ihn, zog mit ihm in die schwäbische Provinz und bekam Zwillinge. Wir waren all die Jahre in Kontakt geblieben, hatten uns aber selten gesehen. Und nun stand sie leibhaftig vor mir!

»Wo hast du den guten alten Hennemann gelassen?«

Das Lächeln verschwand kurz aus ihrem Gesicht. »Er ist auf Geschäftsreise, lässt dich aber herzlich grüßen.«

Ich zeigte ihr Pauls Zimmer, in dem sie übernachten würde, drückte ihr ein Glas Wein in die Hand und flitzte in die Küche, um nach den Ofenkartoffeln zu sehen.

Ivan und Paul trafen gemeinsam zu Hause ein, ihrer aufgekratzten Stimmung nach hatten sie schon »vorgeglüht«, wie Pauls Freunde das Trinken vor der eigentlichen Party zu nennen pflegten.

»Wo kommt ihr denn her?«, fragte ich lächelnd.

»Papa hat mir geholfen, Regale anzuschrauben«, gab Paul zurück und umarmte mich. »Happy Birthday, Mom.«

Ich spürte einen Stich. Mich hatte er noch nicht in sein neues WG-Zimmer eingeladen. Mir fiel es immer noch schwer zu akzeptieren, dass er ausgezogen war. Natürlich wusste ich, dass man einen Achtzehnjährigen nicht davon abhalten durfte, selbständig zu werden, aber im Grunde hatte ich mir gewünscht, er würde einfach bei uns bleiben. Deshalb hatte ich mich auch geweigert, Miete für ein Zimmer zu bezahlen – schließlich war unsere Wohnung groß genug. Leider verdiente Paul inzwischen durch die Auftritte mit seiner Band genügend, sich das Zimmer selbst leisten zu können.

Ivan, der meinen Blick bemerkt hatte, legte den Arm um mich. »Sei nicht traurig. Er will erst alles schön machen und es dir dann vorführen.« Ich lehnte kurz den Kopf an seine Schulter. »So lange war ich das Wichtigste in seinem Leben. Und dann steht er eines Tages einfach auf und verlässt mich.«

Ivan verzog das Gesicht. »Er hat dich doch nicht verlassen! Sei froh, dass er kein neurotisches Muttersöhnchen geworden ist.«

Sofort fühlte ich mich angegriffen. »Klar, bei dieser Mutter muss man ja dankbar sein, wenn das Kind nicht verkorkst ist!«

Einer unserer ständigen Konflikte war, dass ich Paul angeblich mit meiner übergroßen Fürsorge und meinen Ängsten erdrückte. In manchen Momenten sah ich es ein, meist aber kränkte mich dieser Vorwurf zutiefst. Ivan und ich stritten oft darüber. Heute ließ mein Mann sich auf keinen Streit ein. Er küsste mich auf die Wange und ging weg.

Warum begriff er nicht, wie wichtig dieses Kind für mich war? Früher war ich eine totale Egozentrikerin gewesen, oberflächlich, auf mein Vergnügen bedacht, ohne viel Verantwortungsgefühl. Als Paul geboren wurde, veränderte sich alles. Ich, die Mütter immer grässlich gefunden und Babys für lästige Quälgeister gehalten hatte, die einen davon abhielten, auszugehen und Spaß zu haben, wollte plötzlich die beste Mutter der Welt sein. Ich wollte diesem Kind geben, so viel ich konnte. Und obwohl ich wusste, dass es blödsinnig war, erwartete ich so etwas wie … Dankbarkeit?

Eigentlich waren Ivan und ich als Eltern ein gutes Team. Wir ergänzten uns, jeder glich die Schwächen des anderen aus. Nur bei den Sorgen lag ich weit vorn, ich war ganz groß darin, mir die schlimmsten Szenarien auszumalen, wenn Paul krank war oder eine halbe Stunde länger wegblieb als ausgemacht. Dabei hätte eigentlich Ivan der Ängstlichere sein müssen. Mit seiner ersten Frau Katja hatte er einen Sohn gehabt, der mit fünf Jahren gestorben war.

Als Paul fünf geworden war, hatte er bemerkt, dass es ein Nachteil war, ungetauft zu sein. Er bekam weniger Geschenke als andere Kinder. Eines Tages sagte er: »Ich wünsche mir eine Patentante.« Wir fragten überrascht, wen er sich vorstelle, und er sagte, ohne zu zögern: »Katja.«

Ivan und ich überlegten lange, ob wir sie fragen sollten. Schließlich wagten wir es, und sie hatte voller Rührung zugestimmt. Noch heute hatte Paul eine enge Beziehung zu ihr.

Natürlich hatte ich Katja auch heute eingeladen. Als ich beim nächsten Klingeln die Tür öffnete, stand sie vor mir, blond, schlank und schön wie die italienische Schauspielerin Greta Scacchi, an die sie mich vom ersten Moment an erinnert hatte. Als Mann würde ich vor ihr auf den Knien liegen.

Trotz der schwierigen Umstände war Katja meine Freundin geworden. Anfangs hatte ich befürchtet, sie könnte mir Ivan wieder wegnehmen, aber bald hatte ich begriffen, dass von ihr keine Gefahr ausging. In langen Gesprächen waren wir uns nähergekommen. Ich bewunderte sie dafür, wie sie mit dem Verlust ihres einzigen Kindes fertiggeworden war. Und damit, dass Ivan einen weiteren Sohn bekommen hatte – mit mir. Nie hatte sie mir das Gefühl gegeben, ich müsste mich deshalb schlecht fühlen.

Sie drückte mich an sich. »Ich wünsche dir alles Schöne und Gute«, sagte sie. »Du hast es verdient. Unsere Freundschaft ist ein großes Geschenk für mich, das wollte ich dir immer schon mal sagen.« Sie küsste mich auf die Wange.

»Bring mich bloß nicht zum Heulen!«, befahl ich, und wir lachten. Ich versorgte auch sie mit einem Getränk, und sie ging zu den anderen ins Wohnzimmer. Dann wollte ich in die Küche, um die Vorspeisen zu holen. Es klingelte wieder. Ich kehrte um. Wer konnte das sein, wir waren doch komplett?

Ich öffnete und traute meinen Augen nicht. Obwohl ich ihn viele Jahre nicht gesehen hatte, erkannte ich ihn sofort. Vor mir stand ein unverschämt gut aussehender Typ mit kastanienbraunen Augen. Tim Knopf, natürlich »Jim Knopf« genannt. Vor zwanzig Jahren, ungefähr zu der Zeit, als ich Ivan kennengelernt hatte, war er mein Lover gewesen. Nie hatte ich besseren Sex gehabt.

»Jim … äh … Tim«, stotterte ich. »Was … was machst du denn hier?«

Er grinste mich an, mit diesem fröhlichen Jungengrinsen, das ich schon damals unwiderstehlich gefunden hatte. »Ich bin deine Geburtstagsüberraschung! Darf ich reinkommen?«

»Aber … ich verstehe nicht …«

In diesem Moment kam Uli aus dem Wohnzimmer geschossen. »Ah, Tim, da bist du ja!« Sie strahlte mich an. »Na, was sagst du? Wir haben uns neulich zufällig getroffen, und da hatte ich die Idee, ihn für heute Abend einzuladen. Ich wusste, dass du dich freust!«

Das wusste ich zwar noch nicht, aber ich hatte ja ohnehin keine Wahl. Also küsste ich meinen ehemaligen Liebhaber auf beide Wangen und sagte: »Na klar freue ich mich. Wie geht’s dir? Komm doch rein!«

Zu dritt gingen wir ins Wohnzimmer, und ich stellte den anderen meinen Überraschungsgast vor: »Das ist Jim, äh, ich meine Tim, wir kennen uns schon ewig … haben mal zusammen gearbeitet … und jetzt ist er hier.«

Es gab ein großes Hallo, denn Hella, Arne und Thomas kannten Tim von früher. Natürlich wussten alle, dass wir was miteinander gehabt hatten, und so mischte sich ein leicht hysterischer Unterton in die allgemeine Wiedersehensfreude. Ich spürte Ivans fragenden Blick auf mir und lächelte ihm beruhigend zu.

Nach der Vorspeise wurde Paul nervös und fing an, auf seinem Handy herumzutippen.

»Was ist los? Hast du noch was vor?«

Zerstreut sah er mich an. »Nein, alles klar.«

Zehn Minuten später klingelte es, er sprang auf und ging hinaus. Gleich darauf kehrte er mit zwei Freunden zurück. Der eine trug eine kleine Trommel, der andere ein Saxofon, Paul hielt seine Gitarre in der Hand. Die beiden Jungs gratulierten mir und grüßten in die Runde.

»Was habt ihr denn vor?«, fragte ich überrascht.

Statt zu antworten, stellten sie sich auf und begannen zu spielen. Es war eine Walzermelodie, die mir bekannt vorkam. Paul gab den Leadsänger:

Bist du mal achtzig und verwittert,

verlebt, vertrocknet und verbittert,

dann freu dich: Endlich hast du Ruh’

vor deinen Trieben, schubidu!

Das gab’s doch nicht! Das hatten Rudi und die Drei Tournedos auf meinem dreißigsten Geburtstag gespielt! Es gab eine Videoaufnahme davon, die musste Paul gefunden haben. Schon ging es weiter:

Aber noch bist du jung und knackig,

noch voll dabei und ganz schön zackig,

deshalb freu dich mal nicht zu früh:

noch ist der Trieb da, schubidü!

Der Text wurde mit jeder Strophe unanständiger, und meine Gäste amüsierten sich königlich. Ich fühlte mich hin- und hergerissen. Einerseits war ich gerührt, andererseits war mir die Darbietung ein bisschen peinlich.

Jim lächelte mir aus der anderen Ecke des Zimmers ungeniert zu. Ich fühlte, wie ich rot wurde, und drehte mich schnell weg. Verdammt. Ich war fünfzig, nicht fünfzehn. Warum konnte der Typ mich zum Erröten bringen?

Als die Darbietung vorbei war, wurden die Musiker mit begeistertem Applaus gefeiert. Ich umarmte Pauls Freunde und bedankte mich bei ihnen für die Überraschung.

Meinem Sohn flüsterte ich ins Ohr: »Und du wirst enterbt!«

Er grinste mich nur frech an.

ZWEI

Der Abend wurde genau so, wie ich ihn mir erträumt hatte. Mit wohligem Gefühl saß ich zwischen meinen Freunden, die nicht müde wurden, mein gutes Aussehen und mein fantastisches Essen zu loben. Wir schwelgten in Erinnerungen und überraschten uns gegenseitig mit immer neuen Anekdoten, die alle mit »Wisst ihr noch« oder »Könnt ihr euch eigentlich noch erinnern« begannen. Wir lachten uns kaputt, und zwischendurch zerdrückte ich heimlich ein paar Tränen der Rührung.

»Wisst ihr noch, als Hella plötzlich weg war?«, fragte Arne.

»Da war ich sauer auf Cora«, sagte Hella. »Die meinte, ich solle nicht so viele Schokoriegel essen, weil die für die PR-Aktionen gebraucht würden.«

»Das war eine Ausrede«, kicherte Arne. »Sie wollte nicht, dass du fett wirst!«

»Noch fetter, meinst du wohl«, gab Hella grinsend zurück.

»Viel schlimmer fand ich, dass Hella mit meinem wichtigsten Kunden durchgebrannt ist!«, schaltete ich mich ein. »Weißt du noch, was du bei meiner Party zu Hennemann gesagt hast? ›Sie sind genau wie Ihre Kinderpralinen: total süß.‹ Ich wollte dir den Hals umdrehen.«

Alle prusteten los, Hella errötete. »So kann man sich irren.«

»Ach komm«, sagte ich. »Mit Herbert hast du doch einen tollen Fang gemacht!«

Insgeheim hatte ich sie manchmal beneidet, besonders wenn Ansichtskarten aus Mexiko, Thailand oder von den Malediven eintrafen, wo Hella mit Mann und Kindern sorglose Ferien verlebte. Geld spielte offenbar keine Rolle, Hennemann war wohlhabend und konnte– obwohl Schwabe– durchaus großzügig sein. Natürlich hätte ich trotzdem nicht mit Hella tauschen wollen, ihr Mann war das, was die Schwaben einen Gschaftlhuber nannten– er hätte mir den letzten Nerv geraubt. Aber Hella hatte ihn unbedingt haben wollen.

Arne verdrehte die Augen. »Ach Gottchen, die Schokoriegel! Wir standen auf Schulhöfen herum und sollten die Kinder dazu bringen, Fragebögen auszufüllen. Die haben uns einfach die Riegel geklaut und sind abgehauen.«

»Das war die Idee von Macke, diesem Idioten«, ergänzte ich. »Aber dem haben wir’s gezeigt!«

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!