True - Wenn ich mich verliere - Erin McCarthy - E-Book
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True - Wenn ich mich verliere E-Book

Erin McCarthy

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Beschreibung

Als Rory Macintoshs Freundinnen herausfinden, dass sie noch Jungfrau ist, heuern sie den attraktiven Tyler Mann an, damit er sie verführt. Doch die Gefühle, die zwischen Rory und Tyler bei ihrer ersten Begegnung erwachen, sind ebenso leidenschaftlich wie echt - und schon bald müssen die beiden sich entscheiden, wie viel sie bereit sind, für den jeweils anderen aufzugeben ...

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Inhalt

Titel

Zu diesem Buch

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Die Autorin

Die Romane von Erin McCarthy bei LYX

Impressum

ERIN McCARTHY

True

Wenn ich mich verliere

Roman

Ins Deutsche übertragen

von Lucia Sommer

Zu diesem Buch

Rory Macintosh ist intelligent und hübsch, doch die Feinheiten sozialer Interaktion sind nicht gerade ihre Stärke. Sie weiß nicht, wie sie sich in der Gegenwart anderer Menschen – vor allem Männern – verhalten soll, und verbringt so die meiste Zeit ihres Studiums mit dem, was sie am besten kann: lernen. Als ihre Mitbewohnerinnen herausfinden, dass Rory noch Jungfrau ist, sind sie schockiert und beschließen kurzerhand, den attraktiven Tyler Mann anzuheuern, damit er Rory verführt. Das Ganze verläuft allerdings nicht nach Plan: Denn Rory ist ganz anders als die Frauen, mit denen Tyler normalerweise seine Zeit verbringt. Schon bei ihrer ersten Begegnung lässt sie sein Herz schneller schlagen, als es ihm lieb ist. Auch Rory, der es schwer fällt, Nähe zu anderen aufzubauen, ist mit den Gefühlen, die Tyler in ihr hervorruft, überfordert. Ihr Verstand rät ihr, sich von ihm fernzuhalten, und doch verliebt sie sich jeden Tag ein kleines bisschen mehr in ihn … Dabei ahnt sie nicht, dass Tyler ein Geheimnis verbirgt, das ihr Herz in Stücke reißen könnte. Und bald müssen die beiden sich entscheiden, wie viel sie bereit sind, füreinander aufzugeben.

1

Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt, mich Freitagabend zu betrinken.

Noch viel weniger hatte ich meinen Mitbewohnerinnen Jessica und Kylie verraten wollen, dass ich noch Jungfrau war.

Aber sie hatten mich mit Grant allein gelassen.

Ich wusste, was Jessica und Tyler, Kylie und Nathan in den Zimmern der Jungs machten. Na ja, ich kannte es nicht aus eigener Erfahrung, was sie da trieben – ich hoffte nur, es würde nicht allzu lange dauern. Ich musste nämlich noch für meinen Test in anorganischer Chemie am Montag lernen und sechs Kapitel Hemingway lesen, in denen es um versoffene, völlig fertige Schriftsteller und ihre betrügerischen Ehefrauen ging, was immer eine Herausforderung für mich war, da ich die Faktizität von Mathe und Naturwissenschaften vorzog. Das Beziehungsgeflecht fiktiver Figuren zu analysieren empfand ich als reine Zeitverschwendung, besonders in Anbetracht dessen, womit Hemingways Figuren ihre Zeit verbrachten.

Alkohol und Sex. Welch Ironie.

Aber Jessica war unsere Fahrerin. Zu Fuß zurück zum Campus zu laufen war zu weit, und die Gegend war auch eher von der Sorte, dass mein Dad immer wieder besorgt die Stirn runzelte und mich fragte, warum ich denn nicht in einem Kaff wie Bowling Green aufs College gehen konnte, wo die Leute sich nicht auf dreckigen Sofas vor den Häusern fläzten und für jedermann sichtbar Crack rauchten.

Zu Fuß heimzugehen war also keine Option, denn ich stand weder auf Crack, noch war ich besonders risikofreudig – nicht im Geringsten. Allerdings kam mir die Tatsache, hier allein mit Grant herumzusitzen, während meine Zimmergenossinnen sich amüsierten, nun fast schon riskanter vor, als durchs Getto zu laufen. Denn die Situation ähnelte dem Versuch, sich über eine öffentliche Toilette zu hocken und dabei bloß nichts zu berühren. Es war schwierig. Unangenehm.

Und es war still. Grant redete nicht. Und ich auch nicht, also saßen wir einfach nur da und schwiegen. Die Stille wurde immer unangenehmer, und ich versuchte, mich nicht zu bewegen, denn ich wollte mich nicht mehr bewegen als er. Und da er noch nicht mal zu atmen schien, war das gar nicht so einfach.

Grant tat mir sogar leid, was verrückt war, denn ich war eigentlich keins dieser Mädchen, das von allen anderen beneidet wurde und das alle Jungs zur Freundin haben wollten. Aber Grant war süß. Er hatte lange Haare, die ihm ständig in die Augen fielen, hohe Wangenknochen und dichte dunkle Wimpern. Er war viel zu dünn, und auf seinen engen schwarzen T-Shirts, die immer zerknittert waren, standen so freche Sprüche wie Bite me und What the F are you looking at? Seine dreckige Jeans hing ihm immer tief auf dem nicht vorhandenen Hintern, mit dem er Mary Kate Olsen Konkurrenz hätte machen können, und er trug sie nicht so, weil er gut aussehen wollte. Ich glaube, er aß nicht genug, ehrlich. Nathan hatte mir erzählt, dass Grants Vater Alkoholiker sei und dass seine Mutter eine ihrer Kolleginnen bei Taco Bell mit einem Kugelschreiber niedergestochen habe und deswegen in der Klapse säße. Bei Grant zu Hause kaufte einfach niemand ein.

Ich war also wie ein dummes Schulmädchen in Grant verschossen, denn ich witterte meine Chance bei ihm. Ich dachte, es wäre vielleicht nicht vollkommen unmöglich, dass er tatsächlich etwas von mir wollte.

»Zigarette?«, fragte Grant und hielt mir eine Schachtel Marlboros hin, als wir so in Nathans Wohnzimmer saßen. Dabei vermied er es, mich direkt anzusehen.

»Nein, danke.« Sein gesenkter Blick gab mir das Gefühl, keine Angst vor ihm haben zu müssen. Ich fühlte mich von ihm nicht bedroht oder eingeschüchtert, denn auch wenn er mich nicht direkt ansah, konnte ich an dem gehetzten Ausdruck seiner grauen Augen erkennen, dass er sehr verletzlich war.

Ich wollte von ihm geküsst werden. Ich nahm einen großen Schluck von dem Bier, das er mir fünf Minuten zuvor gegeben hatte, und dachte darüber nach, dass sicher alles großartig werden würde, wenn er nur erkennen würde, was mir bereits klar war: Wir waren absolut perfekt füreinander. Zwei total sensible, unauffällige, stille Menschen. Ich würde ihn niemals herumschubsen, so wie Tyler es tat und wie es unter Jungs angeblich normal war. Ich würde ihn niemals bloßstellen oder aus Jux seine Klamotten anzünden, wie es sein angeblich bester Freund Nathan getan hatte.

Seine Hand zitterte leicht, als er sich die Zigarette anzündete. Wir saßen auf karierten Sesseln, zwischen uns stand ein Couchtisch aus Eiche, und im Fernsehen lief ein Spielfilm. Irgendein mieser Streifen mit Tom Cruise. Ich hatte Tom Cruise noch nie gemocht. Er erinnerte mich an den schrecklichen Cousin von irgendwem, der einen erst breit angrinst und einem dann an den Hintern grapscht und mit seiner Whiskeyfahne etwas Ekliges ins Ohr flüstert.

Grant allerdings starrte aufmerksam auf den Fernseher, während sein Zigarettenrauch in verführerischen Ovalen durch die Luft waberte. Er konnte Ringe blasen.

Mein einziges Talent bestand darin, Sauerstoff in Kohlenstoffdioxid umzuwandeln, obwohl ich – um mein Licht nicht allzu sehr unter den Scheffel zu stellen – am College ziemlich gut war. Ich war im Honors Program für herausragende Studierende und auf dem besten Weg, meinen Abschluss mit magna cum laude zu machen. In dem Zusammenhang barg die Tatsache, dass ich mit Jessica und Kylie zusammenwohnte, fast noch mehr Ironie, als dass ich Hemingway lesen musste. Die beiden hätten ihren Schnitt um einiges verbessern können, wenn es für Beliebtheit Noten gegeben hätte, wohingegen ich in Fächern wie »Small Talk« und »Einmaleins des Flirtens« glatt durchgefallen wäre.

Ich hatte noch nie einen Freund gehabt. Keine heimlichen Liebesbriefe oder verschwitztes Händchenhalten in der Grundschule. Kein Typ an der Highschool, der mich bei Schulveranstaltungen seine Footballjacke tragen ließ. Kein Tutor am College, der plötzlich den Wert eines funktionierenden Gehirns erkannte, und sich die Nächte mit mir in Cafés um die Ohren schlug, um zu lernen. Nichts davon.

Ich wusste gar nicht genau warum, denn ich fand eigentlich nicht, dass ich unattraktiv war. Vielleicht ein bisschen unscheinbar, eindeutig still, aber in keinster Weise abstoßend. Ich hatte keinen Körper- oder Mundgeruch, keine Haare, wo sie nicht hingehörten, oder kahle Stellen, wo keine sein sollten, und ich hatte auch keinen nervösen Tick oder so. Es hatte zwar schon ein paar Typen gegeben, die mit mir rummachen und mir die Hände in die Hose schieben wollten, aber bisher hatte noch keiner richtig mit mir zusammen sein wollen.

Also sollte ich irgendwie versuchen, Grant näherzukommen. Denn das hier war meine Chance, mir einen Freund zu angeln, mit dem ich stundenlang rummachen, im Kino zusammen Popcorn essen und mir ständig SMS mit triefend süßen Kosenamen schreiben konnte. Nur um zu sehen, wie sich so eine Beziehung anfühlte; ich wollte sie anprobiert haben wie ein tolles Paar hochhackige Schuhe.

Vielleicht würde es sogar darauf hinauslaufen, dass Grant sich meinen Namen auf den Oberarm tätowieren ließ. Ein kurzer Name wie Rory würde sogar auf seinen dünnen Arm passen. Das wäre etwas Dauerhaftes, das zeigte, dass es auf dieser Welt jemanden gab, dem so viel an mir lag, dass er für immer meinen Namen tragen wollte.

Doch in Wirklichkeit hatten Grant und ich seit fünfzehn, zwanzig Minuten kein Wort miteinander gesprochen. Er fragte auch nicht mehr, ob ich noch ein Bier wollte. Er besaß die außergewöhnliche Fähigkeit zu spüren, wann ich mein Bier ausgetrunken hatte, und hielt mir, ohne mich überhaupt anzusehen, sofort ein neues hin. Ich wollte eigentlich gar nicht so viel trinken, aber ich schaffte es auch nicht, Nein zu sagen. Sein wortloses Rüberreichen der Bierdose war das Einzige, das uns irgendwie miteinander verband, abgesehen von der Tatsache, dass wir beide Menschen waren und uns zufälligerweise im gleichen Raum befanden.

Allmählich war ich ganz schön angesäuselt von den drei Bieren, die ich kurz hintereinander in mich reingeschüttet hatte, und ich fragte mich, wie lange mein angeblich großes Gehirn noch brauchen würde, sich eine Bemerkung einfallen zu lassen, um mit Grant einen Flirt anzufangen und dabei verführerisch meine Haare zurückzuwerfen. Ich kannte eine Menge Mädels, die redeten wie ein Wasserfall, wenn sie betrunken waren, doch meine Zunge schien an meinem Gaumen festzukleben, und in meinen Ohren klingelte es.

»Glaubst du …?«, fing Grant an und wandte sich mir auf einmal mit dem ganzen Körper zu.

Ich war so überrumpelt, dass ich mich an meinem Bier verschluckte und es in die Nase bekam. Ich hatte überhaupt nicht damit gerechnet, dass er mich ansehen würde. Ich war nicht vorbereitet und hatte kein schüchternes Lächeln parat. Erstaunt sah ich ihn an, in der Hoffnung, dass er vielleicht etwas sagen würde, das uns irgendwo hinführen könnte, und ich auch endlich mal bei diesem seltsamen Paarungsspiel mitmachen durfte, das anscheinend so toll war.

»Glaubst du, die Sache zwischen Tyler und Jessica ist was Ernstes oder nur ’ne Fickgeschichte? Oder meinst du, ich könnte vielleicht …?«

Ich ließ mich zurück in den weinroten Sessel sinken. Es war wohl doch nicht mein Tag. Wie hatte ich nur auf die Idee kommen können, dass es jemals so weit sein würde?

»Nein«, sagte ich schließlich. »Es ist auf jeden Fall was Ernstes.« Obwohl ich wusste, dass das nicht stimmte, weil Jessica überhaupt nichts ernst nahm. Aber mir war gerade danach, gemein zu sein. Mir war auf einmal schlecht, und ich fühlte mich auf unschöne Weise betrunken. Ich wurde selten wütend, aber gerade war ich es.

Denn sogar für Grant, der auf mich wie ein ängstlicher Grashüpfer wirkte, der sich an der Windschutzscheibe eines fahrenden Autos festkrallte, war ich offenbar nicht gut genug.

Ich nahm noch einen Schluck Bier und schluckte schwer, während ich meinen Blick fest auf Tom Cruise und sein schmieriges Lächeln auf dem Bildschirm richtete.

Ich fühlte mich so gedemütigt, dass ich nicht anders konnte, als ihn zu enttäuschen. »Sie sagt, sie liebt ihn«, fügte ich noch hinzu, um meine Worte zu bekräftigen. Es war noch nicht einmal gelogen – das hatte sie wirklich gesagt. Aber Jessica liebte auch ihre Hello-Kitty-Puschen und ihr iPhone und griechischen Joghurt. Es war einfach das Wort, das sie für alles benutzte, was ihr in dem jeweiligen Moment Freude bereitete. Tyler hatte ihr gerade vor einer halben Stunde Freude bereitet. Ob er es immer noch tat, wusste ich nicht.

Grant blickte den Flur hinab zu dem Zimmer, in dem Tyler mit Jess verschwunden war. Er sagte nichts, aber ich konnte es ihm ansehen: das jämmerlich hoffnungslose Verlangen nach etwas, das man will, aber nicht haben kann. Das Bedürfnis nach jemandem, der einen mag.

Ich erkannte es sofort, denn ich sah es jeden Tag, wenn ich in den Spiegel blickte.

Ich leerte mein viertes Bier und fühlte, wie meine Zähne langsam taub wurden. Mein Atem hörte sich laut und angestrengt an. Mir war klar, dass ich langsamer trinken sollte, dass ich aufstehen und mir ein Glas Wasser holen sollte, aber es war leichter, mich selbst zu bemitleiden, versteckt hinter meiner Bierdose, in den Tiefen des karierten Sessels, meines neuen besten Freundes.

Als Grant sich zu mir herüberbeugte und plötzlich seinen Mund auf meinen presste, war ich so überrascht, dass ich kurz aufschrie und die fast leere Bierdose in meinen Schoß fallen ließ. Kaltes Bier lief mir über die Jeans. Grant hatte die Distanz zwischen unseren zwei Sesseln überwunden und stützte sich nun mit der einen Hand auf dem Couchtisch ab, und mit der anderen umfasste er meinen Hinterkopf. Verwirrt saß ich für eine Sekunde vollkommen reglos da, während mein Bierschädel langsam verarbeitete, was gerade passierte. Grant küsste mich.

Ich erwiderte seinen Kuss. Denn das war es doch, was ich wollte, oder? Dass Grant mich küsste.

Doch dann fiel mir wieder ein, dass Grant überhaupt nicht an mir interessiert war. Er wollte etwas von Jessica. Das wusste ich. Und sein Mund war hart, seine immer wieder in mich stoßende Zunge geschwollen. Er schmeckte nach abgestandenem Rauch und roch, als hätte er in Axe-Deo gebadet. Ich zog den Kopf zurück und schnappte nach Luft.

»Gib das Jessica von mir«, sagte er schwer atmend und warf seine Haare zurück.

Ich war fassungslos. Vielleicht war ich ein bisschen empfindlich, aber ich wollte nicht nur zweite Wahl sein. Ein sexueller Ersatz für meine heiße Mitbewohnerin. Ich fühlte mich so gedemütigt, meine Haut brannte regelrecht von Kopf bis Fuß, als ich vor Wut und Verlegenheit rot anlief. Grant beugte sich vor, um mich erneut zu küssen, doch diesmal wehrte ich ihn ab.

»Sag’s ihr doch selbst!«, keuchte ich und stand auf, wobei die Bierdose auf den dreckigen Teppich fiel. Ich wusste zwar nicht, wohin ich gehen sollte, aber ich wollte bloß weg von ihm.

Aber Grant fasste mich am Arm und zog mich auf seinen Schoß. Ehe ich mich’s versah, hatte er beide Arme um mich geschlungen. Er legte seine warmen Lippen an meinen Hals, und das Harte, das ich an meiner Oberschenkelrückseite spürte, war wohl sein Schwanz. Angst stieg in mir auf. Er sah gar nicht so stark aus. Er sah überhaupt nicht stark aus, aber trotzdem hielt er mich fest, während er eine Spur feuchter Küsse auf meinem Hals bis hinunter zu meinem T-Shirt hinterließ.

Als ich aufstehen wollte, umklammerte er meine Handgelenke so fest, dass ich befürchtete, er würde sie mir ausreißen, und ich hatte schon zu viel Bier intus, als dass ich mich noch gut hätte koordinieren können. Der Versuch, mich von ihm zu lösen, endete schließlich darin, dass ich von seinem Schoß rutschte und auf dem Boden zwischen seinen Beinen landete.

»So gefällt mir das«, sagte er, wobei er mich losließ, um seinen Reißverschluss zu öffnen. »Braves Mädchen.«

Als er nur ein paar Zentimeter vor meinem Gesicht seinen Steifen auspackte, konnte ich es nicht glauben, was ich da sah: glatte Haut und dunkles Haar, einfach so. Direkt vor meinem Gesicht. Da erst begriff ich, dass er dachte, ich wollte ihm einen blasen. Dass ich ihm einfach so einen Blowjob geben würde, ohne dass wir uns vorher unterhalten oder sonst irgendwie angenähert hätten, nach ein paar beschissenen Küssen, die meiner Zimmergenossin gegolten hatten. Er war tatsächlich durchgeknallt genug zu glauben, dass ich es ihm bereitwillig mit dem Mund machen würde. Angeekelt drehte ich den Kopf weg, um nicht noch länger auf seinen Schwanz blicken zu müssen.

Ich befürchtete, mich von dem ganzen Bier übergeben zu müssen. Ich hatte es viel zu schnell heruntergeschüttet, und jetzt schwappte es in meinem Bauch umher. Jeden Moment könnte ein Tsunami aus Bud Light meine Speiseröhre hinaufschießen, an meinen Zähnen vorbei und auf seinen Schoß. Ich brauchte frische Luft, musste dringend von ihm weg.

»Lass mich«, sagte ich und wollte aufstehen.

Doch Grant hielt mich an den Haaren am Hinterkopf fest, und da wurde mir klar, dass ich aus dieser Nummer wohl nur auf allen Vieren herauskommen würde. Wenn ich allerdings hinfallen würde, könnte er richtig über mich herfallen, was bedeutete, dass ich wahrscheinlich Sex auf dem harten, dreckigen Boden dieses miesen Apartments haben musste, wenn ich mich nicht in den nächsten sechzig Sekunden irgendwie aus dem Staub machen konnte. Da wäre mir fast der Blowjob lieber, als meine Jungfräulichkeit an diesen Wichser zu verlieren, von dem ich eigentlich gedacht hatte, dass er nett wäre, dass er niemals jemanden schikanieren würde, weil sonst immer er das Opfer war.

Keins von beidem war eine gute Wahl.

Aber ich könnte ja nur so tun, als wollte ich ihm einen blasen, und ihn stattdessen beißen. Ich könnte meine Zähne in sein empfindlichstes Teil versenken und dann weglaufen und mir ein Taxi rufen. Ich war inzwischen panisch genug, dass ich das tatsächlich in Erwägung zog, um mich wenigstens nicht kampflos zu ergeben.

Ich versuchte wieder aufzustehen, statt mich fallen zu lassen, und da riss er so heftig an meinen Haaren, dass mir die Tränen in die Augen schossen. Meine dunkelroten Haare waren recht lang, weswegen es ziemlich leicht war, die Finger darin zu vergraben und meinen Kopf so festzuhalten, dass ich mich nicht mehr bewegen konnte.

»Lass mich los!«, rief ich und stemmte ein Knie gegen den Sessel und meine Hand gegen seine Brust, um meinen Kopf so weit wie möglich von ihm fernzuhalten. »Ich muss kotzen«, fügte ich noch hinzu, denn zum einen stimmte es, und zum anderen dachte ich, dass kein Typ sich gerne vollkotzen lassen würde.

Doch er ignorierte meine Gegenwehr und sagte: »Mach den Mund auf.«

Verzweifelt schlug ich ihm auf die Handgelenke, damit er mich endlich losließ. Ich konnte wegen der Tränen in meinen Augen und des vielen Biers nur noch verschwommen sehen, und mein Magen krampfte sich zusammen. »Nein! Bitte, hör auf!«

»Lass sie los, Grant. Sofort.«

Da ließ er mich los, und ich fiel zurück auf den Hintern und robbte keuchend rückwärts. Meine geblümten Regenstiefel gaben mir zum Glück genug Halt, um schnell aus seiner Reichweite zu gelangen. Auf dem Flur stand Tyler, mit nacktem Oberkörper und einem Bier in der Hand. Offensichtlich war er gerade in der Küche gewesen und hatte zufällig mitbekommen, was im Wohnzimmer los war.

Erleichtert zog ich mit zitternden Händen den Reißverschluss meiner Kapuzenjacke hoch. Ich wollte mein T-Shirt bedecken, wollte alles von mir bedecken oder am besten komplett verschwinden.

»Kümmere dich um deinen eigenen Scheiß«, sagte Grant.

»Sie hat Nein gesagt.« Tyler war groß und breitschultrig, seine Brust und die Oberarme waren mit Tattoos bedeckt. Als er mich ansah, schreckte ich zurück. Er wirkte ziemlich wütend. »Rory, hast du Nein gesagt?«

»Ja, hab ich«, antwortete ich, um das klarzustellen.

Grants Fuß schoss nach vorn, und er trat mich gegen den Arm, fest. »Hast du nicht, du Miststück. Erst machst du mich heiß …«

Er hatte mich getreten! Ich konnte es nicht fassen, dass er das gerade getan hatte. Ich schnappte nach Luft, und ehe ich antworten konnte, war Tyler plötzlich zwischen Grant und mir und zog Grant auf die Beine.

»Ich habe gehört, wie sie Nein gesagt hat. Sieh zu, dass du hier rauskommst! Geh nach Hause. Was ist los mit dir? So behandelt man keine Frauen.«

Sie schubsten sich ein wenig, bis Grant Tyler abschüttelte und zur Tür ging. »Mann, ich wollte ihr bloß einen Gefallen tun. Sonst will sie doch keiner.«

Als Antwort schlug Tyler ihm mit der Faust ins Gesicht, sodass Grant gegen die Wand flog. »Halt dein dreckiges Maul, oder ich verpasse dir eine Abreibung.«

Grant warf mir noch einen hasserfüllten Blick zu, verließ dann das Apartment und knallte dabei die Tür hinter sich zu. Die Tränen liefen mir nur so übers Gesicht, ich konnte nichts dagegen tun. Mir wurde langsam bewusst, dass ich gerade beinahe vergewaltigt worden wäre. Die Demütigung durch seine gehässigen Worte kam noch hinzu. Er hatte recht. Keiner wollte mich. Aber das hieß nicht, dass er mich behandeln konnte wie den letzten Dreck. Es hieß nicht, dass ich kein Mensch war, dass ich meinen letzten Rest Würde aufgeben und mich über jedes bisschen Aufmerksamkeit, die ich kriegen konnte, freuen müsste, egal wie egoistisch und grob sie daherkam.

»Alles okay?«, fragte Tyler, öffnete das Bier und hielt es mir hin.

Ich schüttelte den Kopf. Weil ich das Bier nicht wollte. Und weil eben nicht alles okay war.

»Tut mir leid. Ich hätte nicht gedacht, dass er so was machen würde. Ich fühle mich echt mies.« Er stellte das Bier auf dem Couchtisch ab. »Soll ich dich nach Hause fahren? Jessica schläft.«

Na toll. Ich wollte nichts mehr, als zurück ins Wohnheim und mich in mein Bett verkriechen und heulen, aber Jessica hielt gerade ihr postkoitales Nickerchen. Es war ziemlich dreist von mir, aber ich nahm sein Angebot an, auch wenn ich ihm damit zur Last fiel. »Ja, wenn’s dir nichts ausmacht.«

»Klar, kein Problem. Ich hol nur eben meine Schlüssel.« Er verzog das Gesicht. »Und ein T-Shirt. Es ist ganz schön kalt für Oktober.«

Er verschwand kurz im Schlafzimmer, und als er wieder herauskam, war Jessica aufgewacht. »Rory, geht es dir gut?« Bekleidet mit einer Herrenschlafanzughose und einem riesigen Sweatshirt kam sie mit wehenden blonden Haaren auf mich zu. »Tyler hat mir erzählt, was passiert ist.«

Sie umarmte mich, und ich ließ mich von ihr drücken und war dankbar für ihre Nähe und ihre Sorge um mich.

»Was für ein Arschloch. Wenn ich ihn das nächste Mal sehe, schneide ich ihm den Schwanz ab und stopfe ihm damit das Maul. Ich bin gespannt, wie ihm das gefällt.«

Ich fühlte mich schon besser. »Ich hätte …«, fing ich an, aber dann unterbrach ich mich selbst. Ich hätte was? Ich hatte doch nichts falsch gemacht. Ich hatte einfach bloß dagesessen, und er hatte sonst was gedacht, und ich hatte Nein gesagt. Mehr gab es dazu nicht zu sagen. Ich würde keine Schuldgefühle deswegen haben, dass er eine Faust ins Gesicht bekommen hatte.

»Nein, fang bloß nicht damit an«, sagte Jessica. »Du hast überhaupt nichts verkehrt gemacht. Und es tut mir aufrichtig leid, dass ich dich mit diesem Arsch alleingelassen hab.«

»Bin gleich wieder da«, sagte Tyler, als sein Handy anfing zu vibrieren.

Da tauchte Kylie aus dem anderen Zimmer auf. Ihre Haare waren ein einziges Durcheinander, ihr Make-up verschmiert. »Was ist denn los?«

»Grant hat versucht, Rory zu vergewaltigen«, sagte Jessica in einem solch nüchternen Ton, dass ich unwillkürlich zusammenzuckte.

»Was? Willst du mich verarschen?« Kylie hätte Jessicas Zwillingsschwester sein können. Beide waren groß, blond, braun gebrannt und durchtrainiert. Sie machten beide ein Studium generale mit durchschnittlichem Erfolg und würden wahrscheinlich als Hochzeitsplanerinnen und Ehefrauen von Golfspielern enden. Ich dagegen wollte Medizin studieren und später als Gerichtsmedizinerin ungeklärte Todesfälle untersuchen. Ich kam mit Toten irgendwie besser klar.

Aber aus irgendeinem Grund mochten Jess und Kylie mich. Und ich mochte sie. Und ihre Reaktion bestärkte mich darin. Sie sahen aus, als ob sie Grant, wenn sie fünf Minuten allein mit ihm hätten, derart vermöbeln würden, dass er sich wünschen würde, niemals geboren worden zu sein.

Ich hatte keine derartigen Rachegelüste. Ich wollte einfach nur vergessen, was passiert war.

»Ich habe ihn geküsst«, sagte ich, weil ich tatsächlich ein schlechtes Gewissen deswegen hatte. Ich hatte ihm vielleicht den Eindruck vermittelt, dass ich zu mehr bereit wäre.

»Na und? Ein Kuss ist kein Sexversprechen«, sagte Kylie.

Sie hatte recht. »Ich weiß«, antwortete ich. Ich fühlte mich elend, war verwirrt, und mir war immer noch schlecht. Ich setzte mich auf den Couchtisch und blickte hinunter auf meine Stiefel. »Ich meine ja nur, es ist ja nicht so, dass ich nicht daran gedacht hätte. Das habe ich nämlich. Aber er war so … und ich will nicht, dass mein erstes Mal so ist … Ich hätte … Ich hätte irgendetwas tun müssen.«

So viel zum Thema, dass ich mich deswegen nicht schuldig fühlen wollte. Ich machte mir wirklich Gedanken, dass ich einen Teil dazu beigetragen hatte, dass diese Sache passiert war.

»Dein erstes Mal? Moment mal, soll das heißen, du bist noch Jungfrau?« Jessica sah mich entsetzt an. »Ohne Scheiß?«

Ups. Das hatte ich eigentlich nicht verraten wollen. Es war zwar kein tiefes, dunkles Geheimnis und konnte eigentlich auch nicht so überraschend für sie sein, aber es war trotzdem nicht unbedingt etwas, worüber ich gerne redete. »Ähm. Ja. Ich hatte einfach …«

Bisher keine Gelegenheit gehabt.

»Es gab einfach niemanden …« Ich nahm einen Schluck von dem Bier, das Tyler stehen gelassen hatte. Ich war betrunken, aber längst nicht betrunken genug, um mich nicht so sehr in Grund und Boden zu schämen wie zuletzt in der Frühpubertät.

»Oh«, sagte Kylie perplex. »Das ist cool. Viele entscheiden sich dazu, sexuell enthaltsam zu sein.«

»Ich habe mich aber nicht dazu entschieden. Jedenfalls nicht wirklich. Ich meine, wenn ich könnte, würde ich Sex haben.« Das würde ich. Ich war immerhin zwanzig, und ich hatte genau die gleichen körperlichen Bedürfnisse wie alle anderen auch. Ich hatte nur niemanden, um sie zu befriedigen. Und ein Quickie auf einem dreckigen Teppich entsprach nicht gerade meiner Vorstellung davon.

»Und warum hast du dann keinen Sex?«, fragte Jessica.

»Weil sich niemand anbietet. Ich meine, Grant hat sich vielleicht gerade angeboten, aber so will ich es auch nicht.« Ich bereute, das Thema überhaupt angeschnitten zu haben. Das war echt nichts, was ich mit Tyler und Nathan in Hörweite besprechen wollte.

»Du willst also Romantik?«

Wenn man das so nannte? »Ja, wahrscheinlich.«

Tyler kam zurück ins Wohnzimmer. Er steckte sich das Handy in die Hosentasche und fragte: »Bist du so weit?«

»Ja.« Ich nahm meine Umhängetasche vom Boden und legte sie mir um.

»Tyler, Rory will Romantik«, erklärte Jessica. »Was sagst du dazu?«

Vor lauter Verlegenheit lief ich rot an. Ich wollte nicht das Gesprächsthema sein. Ich wollte nicht, dass Tyler mich so ansah und mit seinen dunklen Augen musterte. Er war der typische Bad Boy – weswegen Jessica auch auf ihn stand –, und ich war die Art von Mädchen, die ihm niemals auffallen würde. Und er hatte mich auch noch nie vorher bemerkt, nicht wirklich. Ich war einfach die schweigsame Freundin von Jessica und Kylie, deren Anwesenheit er tolerierte. Doch als er mich jetzt so abschätzend ansah, wurde ich aus seinem Gesichtsausdruck irgendwie nicht ganz schlau.

»Ich finde, sie sollte kriegen, was sie sich wünscht.« Er nahm mir das Bier aus der Hand und streifte dabei leicht meine Finger. »Aber trotzdem gibt es nichts Romantischeres als ein Sixpack. Ich muss noch mehr Bier besorgen.«

Ich erschauerte unter seiner Berührung und dem unergründlichen Blick, den er mir zuwarf.

»Ich bleibe hier«, verkündete Jessica. »Es ist viel zu kalt draußen. Wir sehen uns morgen, Rory.«

Kylie hatte sich auf dem Sofa zusammengerollt und war schon fast eingeschlafen. Sie winkte mir zu. »Ciao, Süße.«

»Okay, tschüss«, verabschiedete ich mich. Ich steckte die Hände in die Hosentaschen und wünschte, ich hätte eine dickere Jacke angezogen. Mir war kalt, und ich sehnte mich nach einer heißen Dusche, um das Bier und die Angst und das Gefühl von Grants feuchten Lippen auf meinem Körper abzuwaschen. Aber zuerst musste ich jetzt noch allein mit Tyler im Auto sitzen. Das perfekte Ende eines beschissenen Abends: unbeholfener Small Talk mit dem Fickfreund meiner Mitbewohnerin, der meinetwegen seinem Kumpel eine verpasst hatte.

Als ich Tyler das Treppenhaus hinunter folgte, in dem der Geruch von frittiertem Essen in der Luft hing, dachte ich, dass das Gespräch über meine Jungfräulichkeit damit beendet wäre.

Aber es fing gerade erst an.

2

Tylers Auto war ein verrosteter Sedan, der mindestens zwanzig Jahre auf dem Buckel hatte und dessen kastanienbraune Beifahrertür im krassen Gegensatz zur weißen Karosserie stand.

»Es ist offen«, sagte Tyler und ging ums Auto herum.

Ich zog die Beifahrertür auf und stieg ein. Zitternd verschränkte ich die Arme vor der Brust. Einen Anschnallgurt schien es nicht zu geben, also saß ich bloß steif da, mit meinen Gummistiefeln in einem Haufen leerer Essenstüten und Coladosen. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich wollte mich bei Tyler bedanken, dafür dass er mich gerade gerettet hatte. Denn das hatte er ja. Ohne seine Hilfe wäre ich wohl nicht von Grant losgekommen.

Als ich es endlich schaffte, ihn anzusehen, blickte er gerade über seine Schulter nach hinten, um auszuparken. Tyler hatte einen kräftigen Kiefer und einen kleinen Hubbel auf der Nase, der mir vorher noch nie aufgefallen war. In dem riesigen Sweatshirt, in dem er beinahe versank, sah er irgendwie jünger aus und weniger einschüchternd, als wenn er seine Tattoos zur Schau stellte und mich mit seinen dunklen Augen anstarrte.

Schließlich traute ich mich, etwas zu sagen. »Danke.«

Meine Stimme war bloß ein heiseres Krächzen. Verlegen räusperte ich mich.

»Nichts zu danken«, sagte er. »In dieser Gegend kannst du nachts nicht ohne Begleitung herumlaufen. Schon allein dieser Berg würde dich umbringen, wenn es nicht das Gesindel hier tut.«

Ob die Straight Street ihren Namen daher hatte, dass sie tatsächlich eine Steigung von neunzig Grad oder so hatte, wusste ich nicht. Aber man konnte sie eindeutig nicht entlanggehen, auch nicht am Tag. Doch ich hatte gar nicht gemeint, dass er mich nach Hause fuhr, auch wenn ich ihm dafür natürlich auch dankbar war. »Ja, aber danke für … die Sache mit Grant.« Ich wollte nicht weiter ins Detail gehen.

Tyler sah mich wieder mit diesem Gesichtsausdruck an, den ich nicht recht deuten konnte. »Kein Problem. Solltest du jemals wieder in so eine Situation geraten, hau ihm in die Eier. Aber du hast wirklich wen Besseres verdient als Grant, glaub mir.«

»Ja.« Ich wusste zwar nicht, ob das stimmte, aber ich blieb lieber weiterhin allein, als noch einmal diese nassen Lippen irgendwo auf mir zu spüren, seinen fordernden Griff um meinen Arm, an meinem Hinterkopf.

»Ich meine, du hast so lange damit gewartet, mit jemandem zu schlafen, da solltest du deine Jungfräulichkeit nicht an so einen Oxy-Junkie verschwenden.«

Also hatte er gehört, wie ich mich mit Jessica und Kylie unterhalten hatte. Ich umklammerte die Tasche auf meinem Schoß noch fester. Wieder hatte ich das Gefühl, dass sich mir der Magen umdrehte. Das Auto zuckelte langsam den steilen Berg hinauf, und der Motor jaulte, als Tyler mehr Gas gab. Die Straße war leer, die meisten Häuser dunkel, denn es war bereits nach zwei, und auf einmal fühlte ich mich genauso gefangen wie eben noch im Apartment. Ich wollte mit Tyler nicht darüber reden, oder mit irgendjemandem sonst.

»Oxy?«, fragte ich, um Zeit zu gewinnen. Ich versuchte, diesem unangenehmen Thema auszuweichen und mich durchzumogeln, aber darin war ich noch nie besonders gut gewesen. Schon im Sportunterricht in der Grundschule war ich nie schnell genug gewesen und hatte immer den Ball abbekommen.

»Oxycontin. Grant schnupft das Zeug. Wenn er eine Weile nichts davon kriegt, kann er ganz schön unangenehm werden. Ich habe Nathan gesagt, er soll ihn nicht mehr reinlassen, aber Nathan ist einfach zu gutmütig.«

Grant nahm also Drogen. Das überraschte mich eigentlich nicht. Er hatte die erforderliche dysfunktionale Familie, die nervösen Zuckungen. Es passte alles zusammen. Es frustrierte mich trotzdem, denn das bedeutete, dass ich Grant vollkommen falsch eingeschätzt hatte. Ich hatte ihn als männliche Version meiner selbst gesehen, als jemanden, der aus Mangel an Sozialkompetenz schweigsam und nervös war. Aber so war es überhaupt nicht. Ich hatte bloß in ihn hineinprojiziert, was ich in ihm sehen wollte.

Bei dem Gedanken hätte ich schon wieder heulen können.

»Und du bist es nicht?«, fragte ich und bereute es sofort. Es klang fast vorwurfsvoll, nachdem das Schweigen zwischen uns sich in die Länge gezogen hatte wie ein langes Gummiband, das bei meinen unbeabsichtigt harschen Worten jetzt zurückschnellte.

»Bei Drogen und Gewalt gegen Frauen hört es für mich auf.«

Das klang vernünftig.

Ich kannte Tyler eigentlich gar nicht. Außer dass er Jessicas und Kylies Partykumpel war und ab und zu mit Jessica in die Kiste stieg, wusste ich fast nichts über ihn. Er kam so gut wie nie zu uns, und ich war ihm bisher nur ein paarmal in Nathans Apartment und auf Partys begegnet. Wir hatten keine Kurse zusammen, und er hatte auch nie irgendwelche Anstalten gemacht, sich mit mir zu unterhalten.

Aber auf einmal war er mir viel sympathischer.

Wie immer wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Ich strich mir unsicher die Haare hinters Ohr, und dann wurde ich vom Klingeln seines Telefons erlöst. Tyler blickte aufs Display und fluchte.

»Ja?« Er ging ran, während er mit der Linken lenkte und in Richtung Campus steuerte.

Ich fragte mich, ob das Jessica war. Aber dann fiel mir ein, dass sie wahrscheinlich nicht angerufen hätte. Sie hätte eine SMS geschickt mit absurden Abkürzungen, die niemand verstand, wie ILDKM, was angeblich Ich liebe dich, kleines Miststück heißen sollte. Oder mein persönlicher Favorit: W? Das meinte Jessica manchmal als allgemeine Frage, in dem Sinne, dass sie nicht verstand, was los war – was die meisten Leute sich denken konnten. Manchmal bedeutete es aber auch Wann?, doch niemand außer ihr wusste, was von beidem sie gerade meinte.

»Nein. In der Küche. Nein«, sagte Tyler, und dann nachdrücklicher: »Ich habe sie nicht genommen. Wahrscheinlich hat die Katze sie gefressen.«

Die Frau am anderen Ende redete so laut, dass sogar ich sie hören konnte, auch wenn die Worte ziemlich verzerrt waren.

»Dann pass halt besser auf deinen Scheiß auf«, schimpfte Tyler, nahm voller Abscheu das Telefon vom Ohr und warf es in das dreckige Kleingeldfach neben der Schaltung. »Mütter können echt ganz schöne Nervensägen sein.«

Wäre ich nicht so betrunken gewesen, hätte ich wahrscheinlich gar nichts darauf gesagt. Ich hätte ihm einfach zugestimmt oder höchstwahrscheinlich bloß genickt. Aber mein Mund war irgendwie schneller als mein Gehirn. »Ich kann mich nicht erinnern, dass meine Mom jemals genervt hätte. Sie hat eigentlich immer gelächelt.«

Tyler sah mich an. »Dich erinnern? Hat sie euch sitzen gelassen, oder was?«

Ich fragte mich, wie es kam, dass er es offenbar naheliegender fand, dass sie uns im Stich gelassen hatte, als dass sie tot war.

»Nein. Sie ist gestorben. An Krebs. Als ich acht war.« Das Bier machte anscheinend Überstunden, denn normalerweise erzählte ich das nie jemandem. Es sei denn, man quetschte mich regelrecht aus, denn das K-Wort bewirkte jedes Mal, dass mich die Leute ganz mitleidig und ängstlich anschauten. Ich tat ihnen immer unglaublich leid, und gleichzeitig fürchteten sie, dass es ihr Leben genauso berühren könnte wie meins, und sie konnten das Wort nur noch flüstern. Krebs. Als ob sie die Krankheit in ihren Körpern heraufbeschwören würden wie einen Dämon direkt aus der Hölle, wenn sie es zu laut aussprachen. Es gab Leute, die mir das so ins Gesicht gesagt hatten, dass der Krebs ein Werk des Teufels sei, ein schreckliches Leiden aufgrund jenseitiger Verwicklungen, unaufhaltsam.

Andere erzählten mir, dass die Regierung höchstwahrscheinlich ein Impfmittel gegen Krebs in der Schublade habe, es aber unter Verschluss halte, um die Gesundheitsindustrie zu fördern. Das schien mir aus mehr als einem Dutzend Gründen unwahrscheinlich, nicht zuletzt weil es auf zellulärer Ebene einfach keinen Sinn ergab. Krebs war kein Virus, sondern eine Mutation. Doch ich hatte Verständnis dafür, dass die Leute eine Erklärung brauchten für die Zufälligkeit, mit der Krebs zuschlug, und dafür, warum er tödlich war.

Ich hatte schon vor langer Zeit aufgehört, die Frage nach dem Warum zu stellen.

Tyler schien das zu verstehen. Seine Antwort war keine unangenehme Entschuldigung. Er sagte: »Das ist ja wohl so was von beschissen und unfair! Meine Mom ist eine egoistische Kuh und wird wahrscheinlich neunzig, und deine ist gestorben.«

Es war irgendwie nett, nicht die übliche Beileidsbekundung von Tyler zu erhalten, bei der die Leute immer beteuerten, wie unglaublich leid es ihnen tue, obwohl sie gleichzeitig verdammt froh waren, dass es sie selbst nicht betraf. Mir gefiel seine direkte Art. »Du verstehst dich also nicht so gut mit deiner Mom?«

»Nein.« Tyler bog zu meinem Wohnheim ab. »Sie ist aber auch nicht nur schlecht. Immerhin hat sie mich zur Welt gebracht.« Er warf mir einen Blick zu und grinste.

Es kam so überraschend, dass ich ihn für einen Moment erstaunt ansah, und dann entschlüpfte mir ein erschrockenes Lachen. Es hörte sich fremd und seltsam in meinen Ohren an, aber Tyler schien es nicht zu bemerken. Seine Miene veränderte sich, als er mich anlächelte, sein Blick wurde weicher. Im Dunkeln sahen seine Augen immer noch wie tiefe schwarze Löcher aus, aber mit den nach oben zeigenden Mundwinkeln und den Lachfalten um seine Augen wirkte er weniger ernst und unnahbar.

In dem Moment fiel mir auf, warum ich in Tylers Gegenwart immer leicht nervös war. Er war genau das, was mir immer vorgeworfen wurde: anwesend, aber doch nicht ganz da zu sein, unkompliziert, aber distanziert zu sein, und selbst dann ernst zu wirken, wenn ich eigentlich lächelte. Es summte in meinen Ohren, mir war innerlich heiß, aber meine Haut war kalt und feucht. Vielleicht lag es am Alkohol, doch zum ersten Mal fühlte ich mich in seiner Gegenwart nicht unwohl.

»Und du bist immer noch Jungfrau?«, fragte er und hörte sich dabei aufrichtig interessiert an. »Oder hast du das nur so gesagt?«

Und schon war das Wohlgefühl wieder dahin. Es verpuffte schneller, als man unangenehme Situation sagen konnte.

Ich konnte absolut nicht verstehen, wie er darauf kam, dass ich darüber reden wollte. Ich war betrunken, aber ich war nicht wahnsinnig. Wenn ich es schon meinen Zimmergenossinnen bis zum heutigen Abend nicht erzählt hatte, warum zur Hölle sollte ich dann ausgerechnet Tyler hier und jetzt mein Herz ausschütten? Ich war kein Fan vom Beichtstuhl. War ich noch nie gewesen.

Also sah ich ihn bloß an.

»Das heißt dann wohl Ja.«

Ich wollte ihm sagen, dass er sich um seinen eigenen Kram kümmern sollte, dass er aufhören sollte, mich nach meiner sexuellen Erfahrung auszufragen, obwohl wir uns überhaupt nicht kannten, weil das unhöflich war. Aber er hatte genau diese Jungfräulichkeit, nach der er jetzt fragte, gerade erst gerettet, also wollte ich nicht rumzicken.

Ich zuckte nur mit den Schultern. Mal im Ernst, was für einen Unterschied machte es denn schon? Ich war doch sowieso schon eine Ausnahmeerscheinung am College. Lernt gerne! Unterhält sich mit niemandem! Geht nicht an den Strand! Sehen Sie sich dieses außergewöhnliche Freak-Weibchen in seinem natürlichen Wohnheimlebensraum an …

Doch zu meinem eigenen Erstaunen öffnete ich den Mund und sagte: »Ja, bin ich.«

Mein Eingeständnis ließ ihn für einen Moment verstummen, aber dann trommelte er mit den Daumen aufs Lenkrad, als er vor meinem Wohnheim hielt. Es war ein Siebziger-Jahre-Turm aus Glas und Stahl. Von einer Straßenlaterne fiel Licht ins Auto, sodass nun noch viel deutlicher zu sehen war, wie alt und dreckig es war. Im Schlitz vom Kassettenrekorder steckten lauter alte Parkscheine.

»Hast du einen Reinheitsring oder so?«

Da ich gerade in Fahrt war und das Bier meine Zunge gelockert hatte, sagte ich das Erstbeste, was mir durch den Kopf schoss.

»Ich nenne es eigentlich meine Jungfernhaut.«

Tyler lachte. »Nein, ich meine diese Ringe, die man am Finger trägt …« Er sah mich an, und langsam kapierte er es. »Oh, das war ironisch gemeint?«

Ich nickte.

Er lachte nur noch mehr. »Rory, du bist echt witzig.«

Witzig war nicht unbedingt das tollste Kompliment, aber wenigstens hatte er mich keine Spinnerin genannt – denn so fühlte ich mich tatsächlich manchmal. Als wäre ich ganz anders als alle anderen. Auch wenn ich mir selbst recht gut gefiel, wussten die Leute nie so wirklich, was sie mit mir anfangen sollten. Manchmal sahen sie mich so skeptisch an, als wäre ich ein Transformer und als müssten jeden Moment Roboterarme aus meinem Brustkorb hervorspringen.

Ich hatte Tyler noch nie zuvor lachen gehört, oder vielleicht war es mir auch einfach nicht aufgefallen, weil ich nur auf Grant geachtet hatte, weil ich gedacht hatte, dass er eher für meinen Plan infrage käme, das menschliche Paarungs- und Beziehungsverhalten zu untersuchen. Aber eigentlich dominierten sowieso Jessica und Kylie jedes Gruppengespräch, sodass es auch gut sein konnte, dass ihr affektiertes Lachen Tylers immer übertönt hatte.

Aus irgendeinem blöden Grund gefiel mir trotzdem die Vorstellung, dass er nur für mich lachte.

In dem Moment wurde mir klar, dass ich noch betrunkener war, als ich gedacht hatte, und dass ich von ihm wegkommen musste, bevor ich noch anfing, ihn wie eine Babyeule anzuschmachten. Bevor ich ihn auf ein Heldenpodest stellte, was er vielleicht verdiente, was aber verdammt noch mal zu nichts führte. Und vor allem bevor ich die eine sinnlose Verknalltheit gegen die nächste eintauschte.

Ich stieß die Tür auf und fiel dabei fast aus dem Auto. In letzter Sekunde klammerte ich mich noch an den Türgriff und den letzten Rest meiner Würde, auch wenn er meine dummen Gedanken nicht hören konnte.

»Danke«, sagte ich über die Schulter und sah nur flüchtig zurück, während ich meine Tasche an mich drückte und ausstieg.

Er gab keine Antwort, und als ich die schwere Autotür zuwarf, die tausend Tonnen zu wiegen schien und mehr Koordination erforderte, als meine eisigen Finger aufbringen konnten, bemerkte ich, dass er mich immer noch ansah. Er hatte eine Zigarette im Mund und hielt den glimmenden Zigarettenanzünder des Autos in der Hand. Während er an der Zigarette zog, um das Papier und den Tabak in Brand zu setzen, wandte er die Augen nicht eine Sekunde von mir ab.

Das Lächeln war verschwunden. Da war nichts als ein kalter, prüfender Blick.

Ich zitterte.

Ich ging, so schnell ich konnte, zum Wohnheim und wühlte in meiner Tasche nach der Schlüsselkarte.

Als ich am Empfang stehen blieb, um einzuchecken, sah ich noch einmal durch die Eingangstüren zurück.

Das Auto stand immer noch da, und ich konnte schemenhaft Tylers Umrisse und das rote Glimmen seiner Zigarette erkennen.

»Wie fühlst du dich?«, fragte Kylie, als sie in unser Zimmer kam und dabei mehr Krach machte als nötig.

Ich öffnete langsam die Augen, murmelte ein »Wie Scheiße« und verkroch mich wieder unter der Decke. Um fünf Uhr morgens war ich aufgewacht und hatte mich im Badezimmer, das wir mit dem Nachbarzimmer teilten, übergeben. Es war aus mir herausgeschossen wie aus einem voll aufgedrehten Gartenschlauch. Ich hatte mich auf die kühlen Fliesen sinken lassen und es bereut, abends nichts mehr gegessen und all diese Biere in mich hineingeschüttet zu haben, nur weil ich wegen eines Typen nervös gewesen war, der sich als komplettes Arschloch entpuppt hatte.

Nichts davon ergab irgendeinen Sinn. Ich machte eigentlich keine dummen Sachen – grundsätzlich nicht.

Jetzt durfte ich dafür büßen. Nachdem ich schweißgebadet wieder ins Bett gekrochen war, schlief ich die nächsten Stunden ziemlich unruhig. Ich hatte keine Ahnung, wie spät es war, als Kylie und Jessica zurückkamen, und es war mir auch scheißegal. Ich wollte nur noch sterben. Ich würde meinen Körper der Wissenschaft zur Verfügung stellen, damit daran die Auswirkungen von billigem Bier auf sozial inkompetente Collegestudentinnen untersucht werden konnten.

»Kann ich dir irgendwas bringen?«, fragte Jessica.

»Eine Pistole, damit ich mich erschießen kann.« Mein Kopf dröhnte, als ob jemand immer wieder mit einem Vorschlaghammer darauf einschlagen würde, und meine Magenschleimhaut fühlte sich an, als wäre sie von Werwölfen herausgerissen und durch Maden ersetzt worden, die mir jetzt die Speiseröhre emporkrabbelten. Und das war nicht übertrieben. Ich fühlte mich einfach scheiße. Wie ein Tier, das seit zwei Tagen angefahren neben der Straße lag. Wie Kaugummi unter einem Hühnerfuß. Von einem Huhn, das angefahren worden war.

Mein Bett quietschte, und die Matratze sank etwas herab, als eine der beiden sich ans Fußende setzte. Sogar diese kleine Bewegung ließ mich würgen.

»Wir gehen Mittagessen. Willst du mitkommen?«, fragte Kylie.

Ich machte mir noch nicht einmal die Mühe, darauf zu antworten. Es tat weh, den Mund zu bewegen, und außerdem war das gerade die blödeste Frage gewesen, die ich je in meinem Leben gehört hatte. Ich würde nicht mal zum Mittagessen gehen, wenn man mir eine Million Dollar und eine Nacht mit Liam Hemsworth dafür versprechen würde.

»Danach gehen wir zum Zumba.«

Noch nicht mal wenn man mir das Bruttonationaleinkommen der USA direkt auf mein Konto überwiese, würde ich zu einem lateinamerikanischen Fitnesstanzkurs gehen. Ich stöhnte. Wie konnte es sein, dass die beiden ganz offensichtlich keinen Kater hatten? Dann fiel mir wieder ein, dass sie fast den ganzen Abend damit verbracht hatten, zu vögeln statt sich volllaufen zu lassen.

Verbittert schlief ich wieder ein.

Als ich aufwachte, war es dunkel im Raum. Das Hämmern in meinem Schädel hatte leicht nachgelassen. Der Fernseher in der Ecke unseres vollgestopften Zimmers flackerte, und ich merkte, dass Jess oder Kylie immer noch gegen die Wand gelehnt am Fußende meines Bettes saß.

»Wie spät ist es?«, krächzte ich.

»Sieben. Wie geht es dir?«

Verdammt. Das war nicht die Stimme einer meiner Mitbewohnerinnen, es war die Stimme eines Kerls. Mit rasendem Herzen setzte ich mich halb auf. Es war zu dunkel, um irgendetwas zu sehen, und bei der plötzlichen Bewegung rebellierte mein Magen. Die Haare klebten mir an der Stirn.

Oh Gott. Es war Tyler, der da ganz entspannt auf meinem Bett saß, mit ausgestreckten Beinen, die Füße baumelten an der Seite herunter. Er hatte die Schuhe ausgezogen.

Meine Zunge fühlte sich schwer an, und auf einmal wurde mir bewusst, dass ich keine Hose anhatte. Ich war bis auf die Gummistiefel in voller Montur aufs Bett gefallen, und als ich aufgestanden war, um mich zu übergeben, hatte ich die Jacke ausgezogen und im Badezimmer gelassen. Wieder im Bett hatte ich mich mit zitternden Händen aus der Jeans befreit, sodass ich jetzt nur noch ein enges, zerknittertes, nass geschwitztes T-Shirt und mein Höschen trug.

Und Tyler saß auf meinem Bett und guckte Family Guy, als wäre es das Normalste auf der Welt. Ich blickte mich schnell um und stellte fest, dass wir allein waren.

»Trink das«, sagte er und griff nach einer Flasche auf meinem Tisch. Seine Umrisse zeichneten sich vor dem flackernden Licht des Fernsehers ab, und ich sah das Muskelspiel seines Bizeps, als er die Flasche vom Tisch nahm. Das Schwarz eines seiner Tattoos fiel mir ins Auge, aber es war zu dunkel, um zu erkennen, was es war.

Es war mir total peinlich, wie ich wahrscheinlich aussah, aber ich hatte nicht die Kraft, aus dem Bett zu springen und mich herzurichten. Ich besaß auch kein funktionierendes Gehirn mehr, wie es schien. Tyler hielt mir irgendeinen Energydrink an die Lippen, und ich nahm einen Schluck. Das kühle, süße Getränk schmeckte fantastisch und löste den dicken Schleim, der auf meiner Zunge lag. »Danke.«

»Gern.« Er stellte die Flasche wieder weg. »Du bist dehydriert. Du wirst dich besser fühlen, sobald du etwas Flüssigkeit bei dir behalten kannst.«

Das war alles total merkwürdig. Wirklich außergewöhnlich merkwürdig. Warum verdammt noch mal saß er hier in meinem Zimmer, während ich mich unruhig hin- und herwarf und verschwitzt meinen Kater ausschlief? Das Bier drang mir aus allen Poren, und ich musste stinken wie chinesisches Essen vom Vortag.

»Wo sind Jess und Kylie?«, fragte ich.