Tsundoku - Bernhard Lembcke - E-Book

Tsundoku E-Book

Bernhard Lembcke

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Beschreibung

Vorsicht, bissige Texte! Vor Querlesen wird gewarnt! Ein Quodli-Beet spontan und doch reiterativ aufkeimender zarter Pflänzchen, aus Ranken- wie Sumpfgewächsen, Frühblühern, Mehrjährigen -und reichlich Unkraut. Plauder- wie ernsthafte, mäandrierend und abschweifend die großen und die kleinen Begriffe, Grotesken wie Petitessen einkreisende Gedanken zur Gegenwart, in der sich -zumindest in der Beschreibung- das Ernsthafte gern unter einem cumulus satiricus verbirgt. Eine impressionistische Tour d´Horizon zwischen wahr, wahrscheinlich und Wahrnehmung - kontagiös, mühsam durchaus und mit Wechselwirkungen, die sich aus sorgfältigem Lesen ergeben. Labyrinthische Sätze mit dem Sinn des Leichtsinns, dem man zutraut, veritable Schlaglöcher zu decouvrieren oder auch zu karikieren. Feinsinniges wie Grobsinniges, Kreuzzüge gegen Banalität und intellektuelle Korruption. Nicht durchweg ein "Börne(r)" kontemporärer Glossen, gern aber Reminiszenz.

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Beiträge zur Ambiguität des Seins

„Ich glaube, dass man jetzt die reichen, prächtigen Seiten der Natur malen muss. Wir haben Heiterkeit nötig und Glück, Hoffnung und Liebe“. Vincent van Gogh (1853-1890)

„Die Hauptaufgabe der Jetztzeit ist Kritik; dazu gehört Wissen, Erfahrung und Ruhe“. Theodor Billroth (1829-1894)

Inhaltsverzeichnis? Menu für Wissenshungrige…

Jahresfrischer Wortsalat mit Philosophiezipfeln, Ballaststoffen und literarischem Beilagen-Tand an durchwachsener Keule aus eigener Haltung.

Intro

Ja. Nein.

Lesebuch eines Schreibenden

Atmosphärenklänge in Moll

Von guten Mächten wunderbar geborgen

Portraits obskurer Welten

Plissierte Gedanken

Die langen Schatten von Covid

Die Sonntagswaage

Abwarten und Tee trinken?

Irrtum inbegriffen

Algesie zwischen Amnestie und Amnesie

Ergebnisorientiert? Erlebnisorientiert!

Deutlichkeit und Diskretion

Das Nötige und das Unnötige

Von Chronos nach Kairos. Notizen aus dem Ruhestand

„Nur die Form löst das Problem“

Die Zweifel des Amateurs

Sonderunvermögen

Atonale Worte für tönerne Begriffe

Andererseits

Schräge Vorstellungen

Von Skotomen und Phantomen

Verbale und Liebe

Übungen in Realität

Bis hierher und nicht weiter

Maskeraden und ihr

alter Ego

Amnestie der Amnesie?

Frappe de Farce…

Das Gegenteil eines Autisten? Ein Outist.

Ansage einer Absage

Gedanken-Salon nicht salonfähiger Gedanken

Deutsche Vita

Lost and found

Balancidionoxis concretinensis

Headbanging? Kopfschütteln!

Vignetten einer absonderlichen Zeit

Nicht ganz ernst. Aber ernst genug

Anstiftung zum Nachdenken

Jenseits von Reden

Ihr und ich

- gibt es nicht

Science F(r)iction

(Z)Off limits

Chaos für Fortgeschrittene

Vis-age-ist-en

Wenn etwas falsch läuft, sind falsche Lösungen auch keine Lösungen

Moralexit. Ein Schauspiel von Schuld und Empörung

Eine Frage geistiger Antonymien

Bananen ohne Kerne

Auserlesenes

Interviews mit dem Schnee von gestern

„Optimismus ist Pflicht“ (Karl Popper 1902-1994)

Das Rückgrat des Fadenwurms? Fadenscheinig.

Uhrwerk

Beiträge zur Asymmetrie des Seins

Notizen aus der Ambiguität

Plädoyer für eine autarke Austerität

Tempora non temperata

Lebensgefühl(e)

Unvorhergelesenes

Ohne Worte

Ngleicheins

Zeitenwenden (er)fordern Kräfte

Ambition und Absurdität

Ja, aber…? Aber ja!

Notizbuch acht

Andeutungen über Ambiguität und andere Aromen des Lichts

Omnivoren

Aromen des Arboretums von Academy Awards, Argumenten und Adel

Lust- und lieblose Medizin

Die Legende von faul und fauler

Sperrbezirke für Skandale

Ich bin’s bloß

Wider die Wiederholung

Wortgetreu bis wörtlich

Wenn sonst nix is

Beabsichtigte Ver(w)irrungen

Blätter, die die Welt bereute

Fairständnis. Fairnunft. Fairmögen

Gestirnenwelten

Singularität und Singultus

Ab“Sinn“th

Clichés des Schrec

kliche

n

Neuralgische Punkte

Contenance und Kontinuität

Politik vs Placebos

Intuiwas? Intuitiv.

Aphorismen

Intro

Haben Sie einen Termin?

Also, ich meine, Sie können sich doch nicht einfach hinsetzen und so ein Buch lesen; - ohne Termin!

So, wie Sie heutzutage auch nicht einfach krank werden können, ohne sich vorher angemessen um einen Arzttermin zu kümmern.

Wo kommen wir denn da hin bzw. wo sind wir denn? Hätten Sie „Der 01-Minuten-Manager“ von Kenneth Blanchard gelesen, hätten Sie vorsorglich ein „Zeitfenster“ reserviert, so wie wir allenthalben von „Windows®“ unseren Tagesablauf gestalten, zumindest aber beeinflussen lassen.

Nun gut. Wenn Sie denn schon angefangen haben zu lesen, dann machen Sie ruhig weiter. Einfach so, spontan und mit Spaß an der Sache. Und nutzen ihre Fenster in erster Linie zum Lüften. Frische Luft ist nämlich gut gegen Corona. Und für frische Gedanken sowieso.

Die Eiligen und Überflieger, die aber dennoch mit dem Wort Tsundoku nichts anfangen können, könnten auch gleich auf Seite 222 weiterlesen. Aber das hat dann wohl wenig mit jener Atmosphäre zu tun, die ein Buch, die „das“ „Lesen“ (im Gegensatz zum gourmandisen Worte- oder auch Bilder-Verschlingen) braucht (und seinerseits auch kreiert).

Ich finde, Tsundoku ist ein wichtiges Wort.

Vielleicht auch ein Indikator, dass es nicht mehr (allein) Anglizismen sein müssen, die uns neue Begriffe für bedeutsame (aktive wie passive) Inhalte erschließen.

Auch da ist Medizin -mal wieder- ein paar Schritte voraus: -neue Impulse und das Vibrieren aus einer global vernetzten Welt. Konkrete Beispiele?

Moyamoya, z.B. (japanisch für Wölkchen, Rauchfahne) beschreibt das röntgenologische Erscheinungsbild einer gefährlichen Gefäßverengung im peripheren Versorgungsbereich der hirnversorgenden Halsschlagader bei Kindern.

Oder Tako Tsubo. Der Begriff beschreibt das „Herzzerreißende“, das die romantischen Dichter einfühlsam wie dramatisch umschreiben konnten und das mit der englischen Version als „broken heart syndrome“ Publizität und psychologische Akzeptanz fand, -medizinisch eine durch Stresshormone ausgelöste, objektivierbare Herzmuskelerkrankung als Reaktion auf ein herzzerreißendes Ereignis, die die gravierenden Symptome eines Herzinfarktes (und eine Pumpstörung des Herzens) aufweist, ohne dass die Herzkranzgefäße eingeengt sind. Die Pumpstörung zeigt dabei im Ultraschallbild die Form eines speziellen Kruges (Tako-Tsubo), wie er in Japan für den Fang von Tintenfischen verwendet wird.

Muss man schreiben können, wenn man etwas zu sagen, mitzuteilen hat? Etwas, vermutlich. Aber man muss nicht viel schreiben, um viel sagen zu können. So folge ich für meine „vorweggenommenen Erinnerungen“ der Rhetorik einer inneren Stimme als Teil sprachlicher Artenvielfalt. Manch einer findet berührende Worte. Ein Anderer berührt Worte und diese verwandeln sich unter der Berührung (…„mit Worten lässt sich trefflich …ja, auch zaubern“).

In der Art einer Seelenverwandschaft mit Lichtenbergs Vorstellung, „Schlangenlinien“ seien die dienlichste Richtschnur des Bücherschreibens oder aber Laurence Sterne‘s Tristram Shandy (dessen bizarre thematische Inkohärenz für Robert K. Merton Anlass war, seinem Buch „Auf den Schultern von Riesen“ in Amerika den Untertitel „A Shandean Postscript“ zu geben) experimentiert der Autor mit Abschweifungen, Reminiszenzen und bisweilen gut versteckten Anspielungen halb-ironischer, -sarkastischer, ernsthafter oder auch nur trocken-banaler Qualität. So begeben wir uns denn -bisweilen- in ein Vademekum angewandter Absurdität, und sei es nur, um der Realität gerecht werden zu können.

Ja. Nein.

Die Facetten dazwischen nehmen wir vermutlich gar nicht mehr wahr. Heute verelendet nicht das Proletariat (nicht etwa, weil es kein Elend mehr gäbe, sondern weil es hier kein „Proletariat“ mehr gibt), hier & heute verelendet Sprache und mit der grobspänigen, bisweilen rudimentären Sprache verkümmern die Qualität persönlicher Kontakte und unser Beziehungsgeflecht. Georg Christoph Lichtenberg, der Göttinger Universalgelehrte und Hausphilosoph hatte wohl Ähnliches im Sinn, wenn er formulierte: „Es war ihm unmöglich, die Wörter nicht im Besitz ihrer Bedeutungen zu stören“.

Während Feingefühl längst verschwunden scheint, geht es derzeit um die Reste von Gefühl. Nicht das verbalisierende Lamento, das sich als Mitgefühl ausgibt, vielmehr die individuelle und persönlich geprägte Sensorik und Empathie, sich in andere Menschen wie auch Situationen und Sachverhalte angemessen einfühlen zu können.

Gegenwart, mit durchaus mehr als nur einem Hauch von Autismus. Ernsthaft wähnend, wir seien autark, Persönlichkeits-stark und das Smartphone sei unsere Schaltstelle für alle Freiheitsgrade selbstbestimmten Tuns taumeln wir in eine autistische Abhängigkeit, in die Welt Handy-fokussierter IT und schließlich in das Gerät selbst eintauchend mit dem virtuellen Ziel, uns möglichst vollständig darin wiederzufinden.

Eine definitiv unsmarte Pyknose des Seins.

Trotz meiner insistiv ablehnenden Assoziationen zu diesem widerwärtigen Gedanken vermute ich mal, dass ich dagegen rein gar nichts tun kann. Vermessen wäre wohl auch der Gedanke, anzunehmen, dass mein Schreiben schon Widerstand sei, charakterisiert doch erst die Verbreitung eines Textes -wenn auch nicht seine Bedeutung, so doch- seine Wucht. Erinnert mich ein wenig an einen amerikanischen Forscher, über den sich Prof. Peter Klein vor über 30 Jahren in Houston so köstlich amüsierte, nachdem jener auf die Frage, ob er für all das, was er gerade wortreich und plausibel dargelegt hatte, denn auch bereits experimentelle Befunde habe erwiderte: „oh, no, but that‘s no problem, -when I think about it, it’s almost done“. So wurde „When I think about it, it’s almost done“ auf dem Flur des CNRC (Children‘s Nutrition Research Center) zur geflügelten Karikatur leichtfertigen Unterschätzens allfälliger Schwierigkeiten. Das Ungeahnte in der (und durch die) Ahnungslosigkeit.

Eine eremitische Art der Abstinenz von Realität.

„Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“. Was da klingt wie eine Warnung impliziert unterschwellig, dass das beworbene Zeugs tatsächlich Inhaltsstoffe in einer Zusammensetzung und Menge enthält, der substantielle Wirksamkeit unterstellt werden könnte. So entsteht ein ganz neuer Twist. Ähnlich der Warenbezeichnung „Made in Germany“, die als Ausgrenzung gedacht war und sich dann als Qualitätsmerkmal etabliert und durchgesetzt hat.

Hatte. Bevor es in Teilen zur Karikatur wurde.

Ähnlich irritierend verhält es sich mit der Merkwürdigkeit, dass die, die das Ende der / ihrer Welt befürchten, bisweilen ans Ende der Welt reisen oder sich dort ansiedeln. Oft genug, um dann vor Ort festzustellen, dass sie jetzt am Ende der Welt sind. Die Tiefe jedes Ultimativs. Low rider einer Gegenwart, in der ihnen viele, allzu viele auf einem hohen Ross erscheinen mögen.

Und irgendwie erscheint noch etwas putzig: der Glaube ist derart fadenscheinig geworden, dass er kaum noch wahrgenommen wird und gleichzeitig wird auf breiter Front(!) einer geballten, fadenscheinigen Desinformation der unterschiedlichsten Art Glauben geschenkt, deren Totalität und Tollheit, deren Dreistigkeit im Abzielen auf empfängnisbereite Dummheit intellektuell schlicht nicht nachvollziehbar ist. (Ver)Querdenker denken nicht, so, wie auch Reichsbürger Bundesbürger-Status ablehnen. Autokraten der Deutungshoheit, die mit ihren krakenden Psychospielchen zwar im Trüben fischen, dabei aber den Meeresboden intellektueller Solidität vermüllen, politische Ökosysteme zer-/verstörend aufwirbeln, und der Freiheit auf längere Sicht die Lebensgrundlage entziehen. Wollen. Der hierdurch evozierte Missmut triggert allerdings eine gute Portion Mut (Kraft erzeugt Gegenkraft), der sich balancierend auswirkt. Den Mut, sich auf positive Eindrücke zu fokussieren, den Mut, die eigene Realität zu gestalten, auch den Mut, zu vertrauen, um Gemeinsamkeit zu schaffen, Demokratie wertzuschätzen und zu fördern. Auch und gerade ungeachtet der Lichtenberg´ schen Entlarvung allfälliger Naivität: „Er kann sich einen ganzen Tag in einer warmen Vorstellung sonnen“.

Mit Herausforderungen umzugehen braucht Herausforderungen. Nur will ich das nicht mehr. Ich bin im sogenannten Ruhestand, und ich will diese, meine Ruhe. Ruhestand ist Ruhe, die einem zusteht. Was ich könnte, spielt keine Rolle; was ich konnte, habe ich getan. Mein Stand und Standpunkt jetzt ist der Ruhestand. Und wenn ich diesbezüglich noch etwas wollte, dann gebührliche Akzeptanz und Respekt. Und Stabilität.

In der grauen Vorzeit medialer Omnipräsenz waren es Geschichten über Untaten, detailgenau oder kolorierend verarbeitet in der subjektiven, individuellen Vorstellung, die Anlass zu Ängsten, Empörung und Konsequenzen gaben. Nachhaltig, grundsätzlich, bisweilen anhaltend.

Wenn heute Medien online, „live“, entsprechend auch ungefiltert wie unverdaut über Unverdauliches „berichten“, Details wie Kulissen transportieren, dann ruft das ebenfalls Ängste und Empörung hervor. Deren Wallungen lassen dann wie eine gedämpfte Schwingung in der Physik über die Zeit nach. Der damit eigentlich verbundene Lerneffekt aber eben auch.

Es ist diese Habituation, die der ursprünglichen Intention zuwiderläuft, die wir bei uns selbst missbilligen, auch schlicht negieren mögen und die die Konsequenz im Sinne eines Lerneffekts verhindert. Abstumpfung erscheint wie ein konstitutionelles Element des Umgangs mit Eindrücken über die Zeit. Integriert, sozusagen.

Regten wir uns noch 2020 über eine Inzidenz der Corona-Infektionen von 100 auf, d.h. 100 Neuinfektionen am Tag pro 100000 Einwohnern, so nehmen wir 2022 eine numerische „Entspannung“ der Inzidenz von 2000 auf 1000 oder von 1000 auf 800 ganz entspannt und locker zur Kenntnis und scheren uns nicht im geringsten darum, wenn diese wieder auf 1200 ansteigt, schließlich scheint die Sonne und am 20. März oder 2. April ist ohnehin der „Tag der Befreiung“ (ein gleichermaßen unangemessener wie deshalb bewusst gewählter Vergleich für die politisch verfügten „Lockerungen“). Überhaupt gehen uns die Zahlen fast mehr auf den Keks als es, umnebelt von der Oberflächlichkeit eigener Unkenntnis, eine „erwartbare“, „potentielle“ Covid-Erkrankung täte, schließlich soll die seit „Omicron“ ja gar nicht mehr so schlimm sein. Steckt nicht auch ganz deutlich „micro“ in Omicron?

Das nenn ich mal eine dissoziative, schlimme Wahrnehmung, eine abgestumpfte, kieselrunde Denke, die zum Denken und Nachdenken allerdings nur noch geringe Bezüge aufweist.

Für das neue Auto gilt, was schon für das alte galt: draussen mehr Platz als drinnen. Ähnlich ist es auch mit unserem Wissen: es gibt immer mehr, viel mehr, was wir nicht wissen als was wir wissen. WWW steht deshalb auch für world wide web und nicht etwa für „was wir wissen“.

Und wie werden wir mit dem bohrenden Gedanken fertig, nur so wenig zu wissen? Genau: wir gehen ins www und fragen Wikipedia.

Im Ernst? Im Ernst. Eine Informationsquelle ist das dann gewiss, aber auch ein Eintrag in unser Wissen?

Oberflächlich: sicher.

Die Alternative: wir verdrängen „einfach“, dass wir so vieles nicht wissen. Und tun „einfach“ so, als wüssten wir alles, was wichtig ist.

Was wir für uns als wichtig deklarieren.

Und so wurde nur noch das wichtig, was wir für uns als wichtig betrachten. Wollen.

Unsere egozentrisch justierte Wichtigkeit.

Für die wir mithin also durchaus etwas tun, -was uns am Ende des Tages dann aber zu Wichtigtuern macht. Wobei dann fraglich bleibt, ob wir wirklich Wichtiges tun oder doch nur virtueller Wichtigkeit huldigen, als Egoinfluencer.

„Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß“, hieß es ja auch schon früher. Absurdes, Irritierendes, auch Unangenehmes nicht zu wissen und Bösartigkeit nicht wahrzunehmen ermöglicht ein gutes Gewissen, das ja bekanntlich ein sanftes Ruhekissen gewährleistet.

Wenn ich Dinge, die schwerwiegen, für nicht so schwerwiegend nehme, spräche das für Oberflächlichkeit, würde ich nicht die Dinge, die leichtzunehmen sind, oft als gravierend betrachten.

Aber eine Balance ist das wohl nicht. Eher eine Unförmigkeit figural verzerrter Darstellungen, so nicht der Details des Inhalts, dann doch der Form durch a) eine Bildersprache, b) das framing und schließlich penetrante Persistenz oder c) eine nur kurzzeitige Präsentation.

Wie wär‘s mit einem Warnhinweis auf „Benutzeroberflächen“, etwa: …„Vorsicht, Sie benutzen eine Oberfläche, die oberflächliche Betrachtungen generiert und verfestigt!“?

Lesebuch eines Schreibenden

Bücher sind Vorrats- und Speisekammer der Bildung. Auswahl und Anschaffung unterliegen der Verantwortung des Nutzers, zudem verhindern sie Überflutung respektive Überfüllung. Ein faszinierendes Buch meiner frühen Jugend war Meyers Konversationslexikon®. Es gab wohl nichts, auf das dieses eine, sehr alte, in grobes Leinen gebundene und bereits väterlicherseits etwas abgegriffene Buch aus den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts keine Antwort parat hatte. Entsprechend wurde es vielfach benutzt, anders als vielleicht hernach ein repräsentativer Brockhaus® mit seinen dekorativen Bänden und seinem Anspruch an umfassendes Wissen. Aber so etwas überwiegend Repräsentatives besaßen wir nicht. Heute schätze ich die neuen Möglichkeiten der Information durch die IT im Alltag außerordentlich und nutze sie durchaus, ganz gewiss auch mehr, als früher Meyers Konversationslexikon. Aber die Halbwertszeit des einst mit der haptischen Begleitung eines Buches erworbenen Wissens erscheint mir deutlich länger, als die der eher flüchtigen Eindrücke auf der Oberfläche von iPad® oder PC.

Könnte es sein, -nur so ein oberflächlicher Gedanke- dass diese Oberfläche heißt, weil sie Wissen oberflächlich in oberflächliches, nur temporäres „Wissen“ transformiert? Schließlich wußte schon Goethe „Denn was man schwarz auf weiß besitzt, kann man getrost nach Hause tragen.“ (Faust I, Vers 1966f, 1808).

Sicher, Wissen hat per se in der Auffassung Vieler, gerade auch der Wissenschaft (zu Recht) eine kurze Halbwertszeit, aber die Befähigung, sich tagtäglich auf neue Erkenntnisse einzulassen, diese zu reflektieren und zu nutzen wurde geradezu zum Sinnbild der Moderne. Egal, ob wir das nun können oder nicht.

Ein Sinnbild des Unsinns.

Heute ebenso wie -Überraschung!- früher.

Befunde wie Erkenntnisse sind per se noch kein Wissen. Das Wissen resultiert aus der angemessenen Einordnung der neuen „Fakten“ oder auch Gedanken und gedanklich „durchdachter“ (nicht: angedachter) Hypothesen in den Lauf der Zeit, in das Raster der Logik und unserer Plausibilität. Insoweit hat Wissen auch etwas mit Vorstellungen und Vorstellbarkeit zu tun. Das vermag einerseits Wissen zu generieren und zu festigen, gleichzeitig ist es andererseits -ähnlich einer Legierung mit Anteilen unedlen Metalls- die Ursache für seine Korrosion. Was weder an der Notwendigkeit noch der Stabilität einer solchen Legierung etwas ändert.

Könnte auch für eine Regierung gelten, oder?

Meine Bücher beschreiben sowohl Ursachen ohne Wirkung wie auch Wirkungen, ohne Ursachen zu erkennen bzw. womöglich akzeptieren zu wollen. Ein Beleg dafür, dass sich Kritik und Faszination nicht ausschließen, etwas, das in einer digital entmenschlichten, will sagen: versachlichten Welt nicht mehr vorkommt. Ich will nicht auf Schönheit, Anmut, Kunst oder Kunstwerke verzichten, nur weil deren Urheber womöglich ein Mistkerl irgendeines Geschlechts, ein Rassist oder auch „nur“ ein fehltretend menschlich Fehlender gewesen ist.

Aber ich will die Freiheit für (m)eine kulturelle Befähigung, Eindrücke und Werke von Webfehlern der Person oder Persönlichkeit zu trennen, trennen zu können. Anders, als es die „mono“-„kulturelle“ Abrissbirne der Cancel culture vorsieht (la fraternité ou la mort), die ich als eine Abrissbirne von Kultur an sich betrachte.

Allerdings hat auch eine solche Freiheit Grenzen.

Aber wir leben schon in einer Zeit, in der Abwägung etwas mit Wagen zu tun hat, sogar als ein Wagnis daherkommt. Wenn Angela Merkel mit dem weißrussischen Machthaber als ihr Lösungsbemühen für eine humanitäre Katastrophe telefoniert, verletzt sie den Konsens nahezu aller verbündeten Staaten, diese Person diplomatisch zu isolieren, nachdem diese nach internationaler (vermutlich sehr valider) Einschätzung die letzte Wahl verloren hatte. Aber sie tut etwas, sie macht das, was in ihrer Macht steht. Für Menschen, gegen eine Katastrophe. Auch gegen eine Konvention.

Vielleicht geht sie damit einem Kalkül auf den Leim, aber ganz ohne Zweifel wird sie genau das mitbedacht haben. Und deshalb ist Kritik an einer solchen persönlichen Entscheidung vielleicht verständlich, aber dennoch nicht akzeptabel. Auch dann, wenn am Ende kein Erfolg erkennbar gewesen ist.

Als Arzt weiß ich nur zu genau, wie desaströs sich ein Defizit an Information, an Details aus der Vorgeschichte eines Patienten, das Fehlen oder die unkorrekte Wahrnehmung einzelner Puzzleteile für Diagnose und Therapie auswirken können. Und weil dazu in der Politik auch Vertrauliches wie auch „Deals“, aber auch „nur“ Fragen und Antworten unter dem Radar der öffentlichen Verlautbarung gehören, -das nennt sich meistens Diplomatie-, können „wir“ das nicht beurteilen.

So wird dann Schweigen zu Gold.

Aber wir haben ja noch unsere Gedanken. Gedankenrisotto. Bunte Ingredienzen, mit einem Schuss guten Weins geduldig und unermüdlich gerührt. Eine Beilage, gewiss, aber nichts, was sich verstecken müsste, ebenso wenig etwas, das Anlass zum Zerfleischen gäbe, ohne gleich als vegan verdächtigt zu werden.

Fehler ex post sind nicht zugleich auch Fehler ex ante. Wie bedeutsam das sein kann, zeigt die aktuelle Diskussion um die Russland-Politik früherer Regierungen und ihrer Vertreter. So halte ich mich mit entsprechenden Einschätzungen, Kritik oder Vorwürfen dezidiert zurück, steht mir doch ein Urteil dazu gar nicht zu und reflektorische Äußerungen auf Zuruf respektive Stichworte wären a) banal und b) ein Grund, sich zu schämen. Das lässt manche Zeilen diffus, unkonkret (damit aber auch balancierter) erscheinen.

Manches, gewiss, erscheint als Mäkelei, manches ist Kritik und wieder anderes reklamiert oder rezitiert den Gestus des Leviten-Lesens. Ein Lesen, das allerdings die lesende Auseinandersetzung mit dem vollständigen Text voraussetzt, um sich nicht in einzelnen Maschen der Nuancierung zu verheddern. Also gerade nicht das Dreschen mit dem (…auch: der) Schlagzeilen-Flegel, das sich als „Über“schrift über der Schrift wähnt.

Unter den vier Kunstauffassungen, die der Literaturwissenschaftler M.H. Abrams in seiner Schrift „The mirror and the lamp“ (Oxford, 1953) unterscheidet (mimetische, pragmatische, expressive und objektive Literatur), um das wechselseitige Spannungsfeld zwischen Urheber, Werk und Recipienten/Lesern zu charakterisieren, gehören meine Bücher zweifellos in die Schnittmenge von pragmatischer und expressiver Literaturauffassung.

„Allwissend bin ich nicht, doch vieles ist mir bewusst“ (Mephisto).

Und Widerstand ohne Verstand ist mir wieder zuwider.

Goethes bürgerliche Gespräche an Ostern (1801) tauchen antizipativ bereits stark in die biedermeierliche Gedankenwelt ein, die sich speziell in Deutschland so großer Beliebtheit und Perfektion erfreut (hat).

Sehnsucht im Kokon vergangener Tage:

„Nichts bessres weiß ich mir an Sonn- und Feiertagen /

Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrei, /

wenn hinten, weit in der Türkei, /

die Völker aufeinander schlagen. /

Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus /

Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten; /

Dann kehrt man abends froh nach Haus /

Und segnet Fried und Friedenszeiten.“

„Ach ja Herr Nachbar, ja, so laß ichs auch geschehn: /

Sie mögen sich die Köpfe spalten, /

mag alles durcheinandergehn: /

Doch nur zu Hause bleibs beim alten!“

Hatten wir einst dieses perfekte Schneckenhaus, einen idealen Rückzugsort, so folgen uns wie Nacktschnecken inzwischen Schleimspuren der Globalisierung.

„Erst wenn die Ebbe kommt, sieht man, wer keine Badehose anhat“ (Warren Buffet).

Entsprechend lebt der Traum vom Caravaning und die Verkaufszahlen für derartige Schneckenhäuser boomen. Privatheit und Mobilität.

Eine Lebensauffassung und Idealwelt, in der die Gesellschaft als bodenständige Gemeinschaft, die Übernahme von Verantwortung in der und für die Gesellschaft wie auch der „angestammte“ Platz kaum noch ihren Platz finden. Nur temporäre Parkplätze.

So wurde aus dem Osterspaziergang in die naszierend erwachende Gegenwart der „nur-kurz-weg“-Kurztrip, dem Hier & Jetzt per Jet entfliehend. Einst der forsch ausladende Schritt und befreites Durchatmen, jetzt das Einpferchen durch eine ökonomisch-imperativ verknappte Sitzbreite, auch in die Luftverschmutzung Ökologiefeindlich verklappten CO2s.

Fortschritt bedeutet entsprechend, zu schreiten und nicht, davonzufliegen. Nicht einmal, sich fahren zu lassen.

Atmosphärenklänge in Moll

Mikroplastik in den Weltmeeren, inzwischen sogar in der Lunge nachweisbar, eine Luftverschmutzung, die nach Einschätzung der WHO vom April 2022 etwa 99% der Weltbevölkerung eine Luft atmen lässt, die die Grenzwerte der Gesundheitsorganisation für Feinstaub und Stickstoffdioxid übersteigt, -Bilder und doch Fakten zu einer Atmosphäre, in der das Atmen schwerfällt. Und die dann noch mit einem so unnötigen Krieg, einer Sackgasse irrationaler Gedanken als Holzweg und Highway to hell (AC/DC®) daherkommt. Während gut sichtbar ist, wo dieser Feldzug herkommt, ist allerdings durchaus noch unklar, wo dieser hinführt.

Im AC/DC-Song von 1979: „…goin down, all the way“. Zumindest für die Berauschten.

Eines aber ist für mich klar. Dieser Krieg, der so viel mehr ist als ein „Konflikt“, beinhaltet eine erhebliche Belastung, die bei mir Spuren und Betroffenheit hinterlässt, während ich doch „eigentlich“ gar nicht unmittelbar betroffen bin. Gut, der Diesel ist sehr teuer, Autos sind nicht vorhersehbar lieferbar, Gas erscheint vielfach wie ein (und wurde zum) Luxusgut, -extremistisch-unanständige Spekulationen nichteinmal eingerechnet-, Speiseöl wurde knapper und die Butter deutlich teurer, auch mein Trockenobst aus der Türkei notiert ein Preis-Plus von 3040%. Also: alles nicht gut.

Ja, wir spüren, dass sich Vieles verändert hat, Vieles ist wahrlich lästig, doch wir darben nicht. Körperlich unverletzt sind wir aber emotional und zunehmend auch wirtschaftlich objektiv durchaus betroffen.

Auch das hat Folgen. So reduziert sich meine Affinität zum Launigen derzeit nur noch auf „au“. Eine unvermutet aufkeimende Depression meiner Stimmungslage, resultierend in Unproduktivität. Etwas, das vorübergeht, aber den Armen muss jetzt wirksam unter die Arme gegriffen werden. Und urplötzlich erkennen wir dabei, dass es in unserem Land in substantiellem Umfang Armut gibt. Diese wäre z.B. an der Verschuldung der Haushalte in Deutschland ablesbar gewesen, aber derartige Zahlen tangieren uns gesellschaftlich rein gar nicht. Es sind ja nur Zahlen. Dabei haben wir uns von der Wahrnehmung der, unserer Realität längst ebenso unbemerkt wie weit entfernt. Und wir sind es gewohnt, wenn mit Zahlen jongliert wird, wo es doch um Arbeit, Lohn, Investitionen, Verschuldung, sogar „Sondervermögen“, um uns selbst und unsere und unser Kinder Zukunft geht, auch, dass wir meistens „nur zahlen“ sollen.

Rechnen? Sparen und Verzicht? Nein Danke!?

Holzwege mögen hierzulande ökologisch formidabel erscheinen, aber sie sind in erster Linie Schönwetterwege durch Urlaubsdünen oder in Nationalparks, während sie im schwierigen Gelände des Alltags längerfristig wohl eher dazu neigen, morsch und wackelig zu werden. Deshalb ist es so wichtig, für ökologische Themen stabile(re) Pfade einzurichten.

Eine Erkenntnis, die sich vergleichbar mit Moos ausbreitet: fast nur grün und ziemlich langsam. Und nur da, wo es der Boden und das Klima zulassen.

Regen und sich regen helfen gegen Trockenheit.

Die Erkenntnis, sich energiepolitisch (aber auch für relevante technische oder pharmazeutische Produkte) nicht von einem Lieferanten, einem Land, einem System abhängig zu machen, bedurfte der krisengeschüttelten Erfahrungen durch eine simple Havarie im Suezkanal, durch den SARS-CoV-2-Ausbruch in der Provinz Wuhan, auch des Pokers um North Stream 2 und eines für unvorstellbar gehaltenen Krieges auf europäischem Boden. Eine Serie von Ereignissen, die, komprimiert auf zwei Jahre verdeutlicht, was der in der Politik rasch und richtig benutzte Begriff „Zeitenwende“ aussagen soll. Und dennoch wird besinnungslos vermieden, sich vorhandener, wenngleich „Reform-verschütteter“ Qualitäten zu besinnen. Die glorios gepriesene Digitalisierung dürfte so ziemlich die anfälligste Form von Kommunikation sein, die ich mir vorstellen kann. Schaltkreise, auf denen andere schalten und walten.

Können, so sie können, aber dann wie sie wollen.

Das Risiko unautorisierter Benutzung für den Bleistift, Füllfederhalter oder die Schreibmaschine ist zwar nicht null, aber doch nahe null. Eine derart Analogem analoge Cybersicherheit ist dagegen eine träumerische Vorstellung, fern jeder Realität, die aber dennoch bisweilen als geschäftsmäßige Unterstellung verwendet wird.

Mal ehrlich: wem ist als Patient mit der (verpflichtend einzuführenden) „elektronischen Patientenakte“ medizinisch geholfen? Da demaskiert manch eine Bruchlandung den disruptiven Holzweg. Das ist nun beileibe kein Plädoyer gegen Fortschritte, es ist ein Plädoyer für eine evolutionäre Entwicklung, für Sinnhaftigkeit, für eine Wertschätzung fundierter Kenntnisse und Erfahrungen, wenngleich gegen eine „visionäre“ „Disruption“ und „innovative“ „Reformen“, die für sich Klarheit in der Zukunft erkennen wollen, ohne sich in Gegenwart und Vergangenheit hinreichend auszukennen.

Eine Frage der Wertschätzung also. Der Wertschätzung des Potentials dessen, was wir haben gegenüber einer Wert„schätzung“ dessen, was da potentiell kommen könnte, vielleicht auch dessen, was wir uns wünschen. Kurzum: das Primat der Werte vs. einem Primat des Schätzens. Entsprechend sollten wir simple Anregungen nicht als solide, eigene Regungen missverstehen, schließlich ist auch der faszinierte Museumsbesucher kein faszinierender Künstler.

„Hic Rhodos, hic salta!“ Bemerkenswert, in welcher Prägnanz Aesop seine Skepsis gegenüber einem prahlerischen Weitspringer auf den Punkt brachte. Aber Worte wie störungsfrei und verlässlich haben halt mehr Buchstaben als „neu“, und das ist vermutlich kein Zufall.

Früher brachte der Weihnachtsmann Pakete, die darob zum Inbegriff für exzeptionelle Geschenke wurden. Das Luftbrücken-Denkmal in Berlin-Tempelhof (und weit weniger bekannt: auch am Frankfurter Flughafen sowie am Flughafen in Celle) erinnert an die lebensnotwendigen Carepakete einer freiheitlichen Allianz, und „Westpakete“ mit Konsumgütern der freien Marktwirtschaft für die Verwandtschaft jenseits von Stacheldraht und Mauer (mit dem obligaten Vermerk „Geschenksendung, -keine Handelsware“) gehörten in meiner Jugend viele Jahre zur Normalität vor Fest- und Feiertagen.

Inzwischen bringen nicht nur Amazon®, DHL® und Hermes® täglich Pakete, sogar Regierungen schnüren bzw. verabschieden „Hilfs-“ und „Rettungspakete“. Würden wir damit die Vorstellung von Geschenken verbinden, wie es womöglich nicht ganz unbeabsichtigt erscheint, glaubten wir vermutlich auch wieder an den Weihnachtsmann. So eine Inflation von Paketen ist denn auch wohl das, was der Begriff „Inflation“ sagt: aufgeblasen. Daher sollten wir bereits jetzt daran denken, was das alles beinhaltet, wenn die Luft raus ist. Wenn sich dabei die Realität als Groteske entpuppt, wie z.B. ein Mangel an Papier (Fließpapier) für den Buchdruck, -einfach, weil die Papier-Hersteller der Nachfrage folgend auf Kartonagen-Produktion umstellen, dann könnte, sollte, müsste uns das doch zu denken geben.

Bei ungehemmtem Optimismus könnte ich allerdings auch auf den restaurativ-frivolen Gedanken verfallen, dass das -vielleicht ja auch- dazu führen könnte, sich genauer zu überlegen, ob all das, was so gedruckt wird, wirklich auch gedruckt werden muss.

In der Medizin kennen wir den Begriff der Zweitmeinung, eine Beratung, die teilweise sogar von den gesetzlichen Krankenkassen honoriert wird. Vielleicht sollten wir uns selbst entsprechend gelegentlich „Zweitgedanken“ erlauben, also nicht nur „drüber (zu) schlafen“, was sich als ein gutes Mittel gegen emotional überschäumende Reaktionen bewährt hat, sondern auch noch Gehirn und wachen Verstand bemühen. Nicht, um Objektivität vorzugaukeln, sondern um der Subjektivität ein gerechtfertigtes Wohlfühlambiente zu schaffen.

Wenn Polen, die Ukraine und die USA heftig gegen North Stream-2 polemisiert, antichambriert und vor wie hinter den Kulissen agiert haben, dann doch nicht, um Deutschland Gutes zu tun oder vor einer moralischen Fehleinschätzung Russlands zu warnen (wie sie das jetzt, im Nachherein, allzu gern interpretiert wissen möchten). Sie positionierten sich gegen diese Pipeline aus eigenem, ureigenstem Interesse. Womit sie denn auch ihre Rechthaberei und Besserwisserei nach Ausbruch des Ukraine-Krieges als suboptimale Ratgeber erscheinen lässt, auch und sogar, wo sie Recht behalten haben.

Wenn andererseits Margret Thatcher süffisant feststellen konnte, dass „dem Sozialismus immer das Geld anderer Leute ausgeht“, so echauffieren sich jetzt eine Reihe sich kumulativ emotional kujoniert fühlender Länder, um die Stärken Deutschlands in der EU und international zu reduzieren. Auch eine Art von Sozialisation und Gemeinschaft. Waren wir bislang „nur“ zum Zahlmeister für nahe und ferne Konflikte auserkoren, so soll jetzt augenscheinlich unsere Wirtschaft mit ihrer Substanz bluten.

Ein Schelm der Böses dabei denkt, -aber durchaus ein kluger Schelm. Das Wesen eines Schelms besteht auch hier darin, den Sachverhalt zu erkennen, ihn schildern zu können, ohne allerdings irgendetwas daran zu ändern oder ändern zu können. Der Umgang auch mit der Herausforderung der o.a. Kräfteverschiebungen wird entsprechend zum Gradmesser der qualitativen Governance, zu einem Qualitäts-Indikator unserer Regierung.

So, wie unlängst auch das Impfen. Eine verlässliche Maßnahme, die auf Wissen basiert. Sie „parlamentarisch“ als „Gewissensentscheidung“ umzufrisieren geht denn auch merklich am Sachverhalt vorbei.

Es scheint, als würde „Gewissen“ bemüht, wo das Wissen zu kurz greift. Das dürfte dann sowohl das Wissen wie auch das Gewissen beleidigen.

Auf das „Gewissen“ derer, die jetzt (Bundestags-Beschlüsse vom 7.4.2022) -wie auch immer- den verpflichtenden Appell zu einer -wie auch immer- flächendeckenden Impfung torpediert haben, werden dann ggfs. die schweren Erkrankungen und Todesfälle im Herbst und Winter 2022 gehen, wenngleich das verlässlich an ihrer ja bereits jetzt erprobten Ignoranz abperlen wird.

Philosophie verstehe ich als anlassloses Nachdenken. Mit anderen Worten: auch dieses Buch ist kein Philosophieren, schließlich gab es für meine Gedanken allemal irgendeinen Anlass. Und das betraf dann als Enterhaken meiner Aufmerksamkeit gelegentlich inhaltliche Begebenheiten, überwiegend aber Worte, die für mich zu Stolpersteinen, zum Anlass eines fokussierteren und doch großenteils frei flottierenden Nachdenkens wurden. Philosophie ist überdies eine tief reichende, in sich vernetzte und plausible Wissenschaft, ein Maß, das es selbstverständlich als anmaßend erscheinen ließe, wollte ich mein gedankliches Gequake unter diesen Scheffel stellen oder es in ein solches Licht setzen. Vielleicht sollte ich daher mein Schreiben zeitgenössisch opportun mit FFP kennzeichnen, frei flottierende Phrasen, womit deren aktuelle, diese Fassung dann „FFP 8“ wäre.

Entsprechend sind meine Ein- und Auslassungen auch Karikaturen in Worten. Punktuell, bildhaft, durchaus mal überzeichnend, Vignetten einer absonderlichen Zeit und durchgehend mit ernstem Sujet und Ziel, -entsprechend auch keineswegs als Comedy oder Quatsch gedacht. Das macht es allerdings nicht leicht, wenn das Sujet selbst als Quatsch daherkommt.

Kann man blühendem Unsinn mit Sinn begegnen? Womöglich mit Humor? Oder doch nur mit Unsinn?

Es sollte in vielerlei Form funktionieren (können), wenn a) ein emotionaler Nerv getroffen wird, b) Heiterkeit auf ein heiteres Gemüt trifft, c) Offenheit auch für kognitives Neuland besteht und d) die Fähigkeit zu Reevaluation und Rückbesinnung, zu Besinnung schlechthin nicht verlernt, verkommen oder anderweitig verloren gegangen ist. Und mit derlei Besinnung kommt Sinn dann schon verbal, fast von allein daher.

Schritte durch den Park der Sympathie.

Es gibt Worthülsen. Ich mag sie wirklich nicht, aber ich (be)nutze sie. Manch einer lebt darin, wie in einem Insektenhotel. Das ist dann schon nah am Begriff der Sekte. Begriffshülsen existieren dagegen nur im Rahmen von Desinformation oder bei psychischer Krankheit mit Kokonisierung in einer autistisch anderen Welt. Der Welt der unnormal Sterblichen, die sich den normal Sterblichen nicht erschließt. „Leere Worthülsen“ nannte der (inzwischen ehemalige) ukrainische Botschafter in Deutschland wohlbedachte und zudem unpräzedent selbstkritische Worte des Bundespräsidenten zu dessen politischer Einschätzung Russlands als vertrauenswürdigen Partner während seiner Zeit als Außenminister (FAZ 14.4.2022). Das ist dann auch wohl eine Botschaft, und dafür sind Botschafter ja schließlich da. Nur tut man sich dann eben mit dem Begriff Diplomat eher schwer.

Bekanntlich kennt die englische Sprache für Kindergarten oder Schadenfreude keinen eigenen Terminus, neuerdings stoßen dort auch Quer- und Stoßlüften auf Verwunderung sive Rat- oder zumindest Sprachlosigkeit, schlichtweg, weil es dort kein Wort hierfür gibt (der Korrespondent des Guardian in Berlin, Philip Oltermann, hat hierüber einen erleuchtenden Artikel für sein Blatt verfasst). So werden diese Begriffe, der Einfachheit halber, aber eben wohl auch zur Wahrung ihrer Authentizität der deutschen Sprache entlehnt. Neu hinzugelernt habe ich, dass auch das Wort Zeitgeist in Großbritannien auf ein präzises Äquivalent verzichten muss.

Das macht aber durchaus Sinn. Wer den Geist der Monarchie in einem Inselstaat atmet, der lebt im georgianischen, viktorianischen oder auch im zweiten elisabethanischen Zeitalter, d.h.: sogar der Zeitgeist wird durch die Monarchie deskriptiv definiert und charakterisiert. Zumindest als Zeit, auf den Geist sollte das ohnehin kaum Einfluss haben. Den nämlich atmen alte Gebäude oder er verbirgt sich, so vorhanden, -mehr oder wenigerin irgendwelchen Individuen.

Stabile Verhältnisse also, in denen frei flottierender „Zeitgeist“ bestenfalls ein laues Lüftchen darstellt. Es sei denn, die Beatles erscheinen auf der Bühne. Oder Mary Quant mit Minirock. Das hat dann wahrlich Foudroyanz. Nur ist das …französisch. Ein künftiges, charlesianisches Zeitalter wird vermutlich schon allein mit der Aussprache hadern, wenngleich ich dem gereiften Prinzen, jetzt König Charles III, weit mehr Persönlichkeit, Haltung und Verantwortung unterstelle, als es der mediale Tenor vorgibt. Während aber der „brexistische“ Zeitgeist in Großbritannien längst im Abseits glimmt, bemüht sich dieser dort doch in Form einer Eigentor-Torheit unter den Tories intensiv um seine ornamentale Verbrämung.

Aber auch Quer- und Stosslüften muss in England einfach befremdlich und als Fremdbegriff zugleich erscheinen, gewährleisten dort doch traditionell undichte Fenster verlässlich permanente Luftzufuhr und Kamine mit eigenem Schornstein für jeden Raum seit alters her den Abzug. Und wenn etwas so gut funktioniert, gibt es schwerlich Gründe, das zu ändern.

N´est-ce-pas? Schon wieder französisch!

Aber was könnte die Kluft zwischen Kontinentaleuropa und Großbritannien besser illustrieren als die Sprachen, heißen doch Erbsenzähler im Englischen… bean counters. Da verwundert es dann auch nicht, wenn sich eine überforderte Ministerpräsidentin praktisch mit ihrem Amtsantritt im politischen Gegenverkehr befindet; -in ihrer eigenen Partei. Linksverkehr, verkehrte Links und linkisches Agieren stiften eben Verwirrung.

Da muss Blindheit für Not und Notwendigkeiten, für das Sachgerechte des Sachwaltens wie des Gerechten zum Totalschaden führen, wenn nur der rechte Fuß per Kickdown Gas gibt. Ein Flirren in politischer Abgehobenheit, das in friedhöflicher Isolation endet, gleichzeitig ein Flirren unvorstellbarer Eindrücke. Vom Posing zur Posse.

Was für eine Zeit! Was kommen uns einerseits für bremsende Gedanken in den Sinn, wenn es heißt, Autofahrer gäben „ordentlich“ Gas, was für Bilder, wenn es andererseits heißt, dass die Politik „Gas gibt“? Auch, dass bei der Transformation der Energieträger „Gas gegeben“ werden muss, wo es doch substantiell …an Gas fehlt.

Hier Gas als substitutive Gabe für privaten und wirtschaftlichen Grundbedarf, dort Gas geben als Metapher beschleunigten Handelns. So viel volatiles Gas, wo doch anstrengendes Rudern für Alle angesagt ist.

Das schließt allerdings Lebensgefühl(e), traditionell eingefangen in Licht und Wärme, in eine Brise Wind, umgeben von Stimmigkeit und der Klarheit des Esprits nicht aus. Es waren die Maler des Lichts, die derartiges Lebensgefühl als Sujet bildlich darstellen konnten. In Skandinavien, in Spanien, auch/sogar in Großbritannien.

Sage also niemand, es gäbe keinen europäischen Geist. Aber es braucht Anleitung, Übung und wohl eine gute Portion Begeisterung, Bilder sehend lesen zu können. „Enthusiasten aller Länder,- vereinigt Euch!“

Das hat wohl niemand deutlich genug ausgesprochen.

Von guten Mächten wunderbar geborgen

Dietrich Bonhoeffer, 1906-1945

Von guten Mächten treu und still umgeben,

behütet und getröstet wunderbar,

so will ich diese Tage mit euch leben

und mit euch gehen in ein neues Jahr.

Noch will das alte unsre Herzen quälen,

noch drückt uns böser Tage schwere Last.

Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen

das Heil, für das du uns geschaffen hast.

Und reichst du uns den schweren Kelch, den bittern

des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,

so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern

aus deiner guten und geliebten Hand.

Doch willst du uns noch einmal Freude schenken

an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,

dann wolln wir des Vergangenen gedenken,

und dann gehört dir unser Leben ganz.

Lass warm und hell die Kerzen heute flammen,

die du in unsre Dunkelheit gebracht,

führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.

Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht.

Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet,

so lass uns hören jenen vollen Klang

der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,

all deiner Kinder hohen Lobgesang.

Von guten Mächten wunderbar geborgen,

erwarten wir getrost, was kommen mag.

Gott ist bei uns am Abend und am Morgen

und ganz gewiss an jedem neuen Tag.

Dietrich Bonhoeffer, Von guten Mächten, in seinem Brief an Maria von Wedemeyer aus dem Kellergefängnis des Reichssicherheitshauptamts in Berlin, Prinz-Albrecht-Straße, am 19. Dezember 1944.

Erstmals veröffentlicht 1951 in: Eberhard Bethge (Hrsg.), Dietrich Bonhoeffer. Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft.

Gute Mächte und Geborgenheit: Wünsche, denen es auch im Friedens-hungrigen Jahr 2022 an Aktualität nicht mangelt und nie gemangelt hat.

Portraits obskurer Welten

Auch politische Halsen haben nur den Zweck, den Wind in die Segel zu bekommen, um ohne größere eigene Anstrengungen nach vorn getragen zu werden.

Aber ist das verwerflich? Wann wird Opportunität zu Opportunismus? Nicht jeder Zweck heiligt jedes Mittel, aber grundsätzliche Herausforderungen erfordern grundsätzliche Antworten. „Die Kraft des Menschen wird wachsen mit der Bürde“ – so sagen die Götter des zutiefst Religions-kritischen Bertold Brecht (Der gute Mensch von Sezuan; entstanden 1938-1943), während lange zuvor Hölderlin in tiefer Religiosität zur gleichen Überzeugung gelangte: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ (Patmos, 1808).

Eine, die philosophische Adaptation des 3. Newton’schen Gesetzes der Physik, nachdem actio und reactio gleich groß sind / sein müssen. Aber Physik ist objektiv, hier zudem explizit frei von Moral, Bewertung, Verbiegungen oder opportunistischer Scheinheiligkeit, während das -gleichermaßen explizit- eben nicht für politische Halsen, jene Demokratie-abstinente Desinformation im politischen Denken, die wir Demagogie nennen oder andere Varianten ideologischen Tuns gilt.

Die hysteriforme Aufregung um jedes Jota, das als prorussischer „Like“ gewertet werden könnte und die absolutistische, nonchalant Zeiten-übergreifende und dabei Realitäts- wie Persönlichkeits-beschädigende Sichtweise, deutsche Politiker würden ukrainischen Interessen systematisch zuwiderhandeln sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Und nein, damit ist nichts verniedlicht, auch nichts stikum oder intendiert gerechtfertigt. Dieser Krieg ist vollkommen ungerechtfertigt, auch irrational und ein Affront gegenüber Staaten wie Deutschland und Staatenverbünden wie der EU, für die „Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ keine Floskel, keine Worthülse, sondern ein Vertrag, eine goldene Bulle und Grundlage eines friedlichen, somit auch goldenen Zeitalters war.

Affront, Enttäuschung, Entsetzen und Wut sind denn auch die Tonstufen, die die Sinfonie zu diesem Angriffskrieg beschreiben und eine durchdringende Abscheu vor peu-à-peu durchdringenden Kriegsverbrechen kommt noch dazu. Das ruft dann nach einer neuen Partitur, die die atonal schrille, dabei zugleich schräge Moll-Version der Gegenwartsmelodie in die Variation eines schlichten, durablen Andante-Adagio umkomponiert sowie nach Dirigenten (Plural), die die Partitur so verstanden haben, dass ihre konzertante Aufführung überzeugen und anhaltenden, tief empfundenen Applaus finden möge.

Ein frommer Wunsch. In praxi eher eine diplomatische Formulierung für Realitätsverlust, aber es bleibt Realität, dass der Frömmste nicht in Frieden leben kann, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt (F. Schiller: W. Tell, IV, 3).

Man könnte auch sagen: …Das Böse ist immer und überall (eine Liedzeile aus „Banküberfall“, Erste allgemeine Verunsicherung, 1985).

Was wir dabei gerade lernen (müssen) ist, dass die Belastbarkeit von Vertrauen nicht auf Kultur (erstaunlich und überraschend), nicht auf Verträge und Vereinbarungen (unlogisch, ungewohnt und inakzeptabel), Benimmregeln oder Politikerworte (erwartbar) sowie eigenes angemessenes Verhalten (bedauerlich) gründet, sondern offensichtlich nur durch Abschreckung ihre Form erhält. Und beibehält.

Eine Lektion, deren Tragweite und Nachhaltigkeit noch gar nicht abgeschätzt werden kann. Mit dem als Besänftigung oder Entschuldigung gedachten, dennoch perfide erscheinenden Hinweis auf einzelne, „böse“ Akteure, allfällige Befehlsketten und Gehorsam ist es aber nicht getan. Deutschland hat da eigene, spezifische Erfahrungen. Wären die Verbrechen des Nationalsozialismus allein auf Adolf Hitler zurückzuführen gewesen, hätte es jedenfalls der Nürnberger Prozesse, anderer Tribunale und einer Entnazifizierung nicht bedurft.

Es gibt gut situierte Menschen, gut frisierte, gut positionierte und auch stark motivierte und engagierte.

Entsprechend gibt es starke Menschen und auch gute Menschen. Sicher. „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut“.

Goethes Wunsch und Hymne an das Streben nach höherer Moral (Das Göttliche, 1783) weist darauf hin, dass es in unserem eigenen Tun und Wollen liegt, edel, hilfreich und gut im Handeln und Denken zu werden / zu sein. Für den Realisten in unserer Zeit ist schon jeder Mensch, der nicht böse ist, ein guter Mensch, zumal eine „natürlich“ unterscheidende Ordnung zwischen gut und böse auch aus der Sicht Goethes zumindest nicht lückenlos stattfindet („Denn unfühlend ist die Natur: Es leuchtet die Sonne über Bös’ und Gute, und dem Verbrecher glänzen wie dem Besten der Mond und die Sterne“).

Jener Glanz, in dem sich auch finstere Autokraten und dubiose Oligarchen sonnen. Die unauflöslich erscheinende Ambivalenz von gut und böse beleuchten auch -durchaus unterschiedlich- Bertold Brecht (Der gute Mensch von Sezuan) wie auch Paul Watzlawick (Lösungen, 1974): „In einem Zuviel des Guten steckt der Keim des Bösen, in Patriotismus der bereits immanente Übergang in den Chauvinismus“.

Während Brecht‘s szenische Impressionen aber eine Balance wahren, die dem Leser Interpretation und Ausgestaltung überlässt, lässt die Einlassung Watzlawicks die Kritik zu, dass die Logik ihrer Umkehrung propagandistischer Desinformation Tor und Tür öffnet, i.e. der Chauvinist wie der Böse könnten sich darauf berufen, aus einem Überschwang hehrer Motive zu handeln. Damit ist Watzlawick allerdings mitten in der Realität, wenngleich seine Erkenntnis doch dem Selbstverständnis der Götter in Brechts Theaterstück entspricht, die darauf hinweisen, selbst „nur Betrachtende“ zu sein.

Der Photograph / der Philosoph kann nichts dafür… .

Die visionäre Beobachtung der menschlichen Unzulänglichkeit und die Darlegung von deren Zeitlosigkeit bei autolegitimierten Protagonisten, auch deren illustrer Selbstdarstellung, gab es zu allen Zeiten.

Entsprechend auch kontemporär.

Mit der Konsequenz hoher Schuttberge, tiefer Verzweiflungsschluchten, -dazwischen die Leblosigkeit des sinnlosen Todes. Agonische Magistralen des Nichts.

Plissierte Gedanken

Es ist das Unerwartete in der Überraschung, das zur Quelle der Nachhaltigkeit wird.

Es war die Not, die Menschen einst zu etwas nötigte, was ihre Grenzen überschritt. Heute werden wir von Grenzüberschreitungen durch Menschen genötigt und in Not gedrängt. Krieg in der Ukraine, Wirtschaftskrise hier. Irgendwie pervers. Und natürlich sollte jeder Staatschef, der eine reale Chance sieht, den Krieg zu beenden, zumindest den Versuch dazu machen. Gern auch Ex-Politiker. Vorausgesetzt, darin steckt ein gerüttelt Maß Realitätssinn und nicht expressionistischer Ego-Tourismus.

2022 war das Jahr, in dem die Feiertage verschwanden. Gefühlt zumindest. Der 1. Januar fiel bereits auf einen Samstag und der 1. Mai verbirgt sich ebenso hinter einem Sonntag wie laut Kalender der 1. Weihnachtsfeiertag. Nur Karfreitag war wieder ein Freitag (…)!

So ist das, wenn sich der Osten vom Horizont, über dem die Sonne aufgeht zu einem Schlachtfeld und Friedhof der Freiheit wandelt. Eigentlich gründet der Begriff des Friedhofs ja auf Frieden. Dabei ist es -einmal mehr- der Krieg, der den Frieden beerdigt. Das an sich wäre wohl Grund genug, dass sich frohsinnige Feiertage verschämt zurückziehen, wiewohl sie auch an Inhalt verloren zu haben scheinen. Zudem empfinde ich es als verstörend, wenn wir nicht mehr präzise zwischen Gründen und Abgründen unterscheiden und unsere Toleranz als Akzeptanz missdeutet wird, weil wir uns bedenkenlose Abgründe anhören als wären sie bedenkenswerte Gründe, einzig, weil sie propagandistisch so vorgetragen werden.