Aeskulaps Ripasso - Bernhard Lembcke - E-Book

Aeskulaps Ripasso E-Book

Bernhard Lembcke

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Beschreibung

Aeskulaps Ripasso, das ist so etwas wie die Cuvée einer Nachbetrachtung vorzüglicher Trauben mit einem frischen, guten Tropfen Verständnis und zivilgesellschaftlicher Bildung. Mit einer nuancierten Prise Sarkasmus und Verstand gepresst, kritisch gekeltert und bildhaft assoziativ erklärt widmet Professor Lembcke die kurzweiligen Essays über das Leben in unseren Breiten, will sagen: schrägen Lagen, den Bitterstoffen und unverträglichem Beiwerk ebenso wie dem Genuss. Kein leichter Wein; Substanz auch im Nachklang. Ein hochprozentiger und ernüchternder Tropfen, bei dem Wein allerdings nur eine sehr diskrete Rolle inmitten von Zeitgedanken sowie zeitlosen und losen Gedanken spielt.

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Seitenzahl: 367

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Für Nora Josephine

Bisher erschienen:

Aeskulaps Rhapsodie

(ISBN 9 783743 152298), als eBook ISBN 9 783743 123137

2017

Aeskulaps Graffiti

(ISBN 9 783744 821735), als eBook ISBN 9 783744 878692

2017

Aeskulaps Aperçus

(ISBN 9 783746 033426), als eBook ISBN 9 783746 022710

2018

Aeskulaps Sudelbuch

(ISBN 9 783748 137412), als eBook ISBN 9 783748 104391

2019

Inhalt

Literarischer Beipackzettel

Leere, danach

Die Unsicherheit des Sicherheitsabstandes

Prächtigkeit und Pikanterie der Demokratie

Glaubwürdigkeit

Gentrifizierung

Brexit? Grand mit Bieren. Ohne Asse

Orient.ierung

Haltung ist keine Kopie

Bleibens gsund!

Nach eigenen Regeln

Ist Polemik eine Krankheit? Manchmal darf es dumm sein

Das Wichtige an einem Loch ist das Loch

Leuchtendes Leben in den Farben der Zukunft

Autoland ist abgebrannt

Zeitgeist. Ohne Geist. Und ohne Zeit

Das Würdige und das Merkwürdige Gedanken über Bedenkliches

Herbstfarben im Licht

Der allgegenwärtige Charme der Boshaftigkeit

Ubi stimulus, ibi fluxus

In einer Zeit der verlorenen Kontenance

Sehr geehrte Fahrgäste... Skizzenhaftes Bilderbuch in DB-Moll

Jenseits von App

Zeitgedanken

Wut-Hirnschranke

Ohne Ansehen der Person

Persona, non Data

Das andere Grau

Gefangen im Licht

Restlaub

Kleingedrucktes weicht kurzweilig Kurzwelligem

Frauenzeitschriften

Wer Menschen mit Idealen als Idealisten denunziert, nutzt das Wort als Waffe

Die

Verbal

lhornung der Welt

(L)Aberland - Das Land des Abers

Stringenz und Schlendrian

Zwischenmenschlicher Klimabericht

Aeskulaps viele Abschiede inmitten sprießender Unersprießlichkeiten

Das Unbehagen mit dem Unbehagen

Kleingedrucktes einer längst vergangenen Zeit

Spieglein, Spieglein an der Wand

Yuppie yeah!

Aus der Zeit gefallen

Ohrnahe Geräusche

Treibholz und Fundstücke

Arm oder armselig?

Beim Erschrecken kann es nicht bleiben

Gedankenfänger

Das Misterium...

Ausnahme Normalfall

Sätze und Gegensätze

Worte für Unbefugte

Melancholie einer Gegenwart

Klimawandel

Niemand geht schneller als seine Uhr

Miss-moll

Vorsicht: Manchmal küssen Frösche zurück!

Die Farbe Tod

Eine Welt voller Pseudonyme

Kritik der reinen Unvernunft

Mind the gap!

Die Staatsverderber

Aeskulaps Metamorphosen

Manipolazione impercettibile

Reifeprüfung

Der unbegrenzte Raum der eigenen Begrenztheit

O.K.-Tropfen

Aeskulaps Freiheit - gallig und frei von der Leber

Die Sprache des Schweigens

Wachstumsfugen der Hilflosigkeit

Vom Suspensorium tiefhängender Enttäuschung zum Anmahner eines ehrlichen Bemühens

Farcismus

Persönlichkeiten und andere

Heimat, die ich meine

Fachgesellschaftstanz

Ein

dialogue interieur

(Adorno)

Kleine Anatomie verbaler Fremdkörper

Aeskulaps Arkadien

Völker, hört die Signale

Silentium!

Buchmesse – über erlesene und gelesene Messen

Großspurig in der Schmalspurigkeit?

Aeskulaps Ripasso

Darf es auch etwas mehr sein?

Im falschen Netz

30 Jahre Einheit – Blühende Landschaften oder blühende Phantasie?

Lieferservice für Gedanken

Reise

Überbordende Begeisterung

Ruhe jetzt!

Aphorismen

Literarischer Beipackzettel

Henriette Davidis Kochrezepte begannen zumeist mit dem inzwischen geflügelten Wort: „man nehme“. Mittlerweile Bildschirm-gerecht adaptiert als „man nehme eine halbe Flasche guten Rotweins und schütte ihn in den Koch…“ als Basis süffigen Kochens, das -vielleicht- darob zur Männersache geriet.

Dieses Buch ist allerdings keine Anbiederung an „Männersachen“, auch flirtet es nicht mit „Frauensachen“. Es geht um Tatsachen, die Sache an sich, um Gedanken, Gefühle und Werte. Irrtümer und Irrwege eingeschlossen. Also eine Menge „Sache“, die nicht nur Sache dieses Buches ist, sondern auch Leben, Individualität und Identität.

So etwas wie die Hauptsache.

Man nehme sich also etwas Zeit, dann entspannt ein/gern auch dieses Buch zur Hand und vertiefe sich mit offenen Gedanken in und zwischen seine Zeilen. Gelegentliches Innehalten und wiederholtes Lesen fördert dabei die Wirkung und die Entfaltung des vollen inhaltlichen Bouquets.

Eigenes, unvoreingenommenes Denken im Rahmen eines gerüttelten Maßes an Allgemeinbildung ist dabei von Vorteil.

Fremdwörter, deren Sinn sich der Leser aktiv erschließt, haben den großen Vorteil, dass sie danach nicht mehr fremd sind. Merkwürdige Wörter oder Sentenzen sollen dagegen womöglich merkwürdig sein (und bleiben), schließlich wirkt auch Acetylsalicylsäure sowohl gegen Schmerzen wie auch gegen thrombotische Gefäßverschlüsse.

Oberflächliches Lesen wie auch Querlesen können dagegen zu Bauchschmerzen und Unverstand führen und sind daher nicht zu empfehlen. Die Zufuhr mehrerer Einzelkapitel an einem Abend kann die gewünschte Wahrnehmung beeinträchtigen und sollte vermieden werden, ist aber in entspannter Atmosphäre und mit etwas Rotwein grundsätzlich möglich.

Gleichzeitiges Fernsehen stellt eine absolute Kontraindikation dar. Gelegentliche Skurrilität beeinträchtigt in der verwendeten Dosis die Seriosität der Intention nicht; mit einer Prise kontemplativ offener Gedanken kann der Eindruck zudem assoziativ behoben bzw. richtig gedeutet werden, er ist überdies ungefährlich.

Ein erneutes Lesen des Buches ist im Abstand einiger Tage, Wochen oder auch Monate unbedenklich und durchaus erwünscht.

Logisch, dass man meine Bücher am besten bei einem Glass Rotwein zu sich nimmt. Schließlich wurden sie auch so geschrieben. Nee, Spaß beiseite.

Nochmals nee: der Spaß bleibt!

Niemand trinkt guten Rotwein, weil er Durst hat. Und ob man ein gutes Buch liest, weiß man erst, wenn man es (ganz) gelesen hat.

Leere, danach

Mein viertes Buch war fertig. Und es war, wie bei den anderen drei zuvor: die große Begeisterung während des Schreibens und übergroße Fokussierung haben einmal mehr dazu geführt, dass ich es nicht mehr sehen konnte. Ich habe wenig dagegen, überdreht zu schreiben, aber das Schreiben hat sich hier erneut in ein überdrehtes Schaffen verschraubt, das, nachdem es fertiggestellt war, dringend Abstand brauchte. Allerdings zeigt mir meine Erfahrung, dass dieser Zustand nur von kurzer Dauer ist. »Ich schreibe, also bin ich«. A never ending story. Nun, also, Aeskulaps Ripasso.

Sprache sorgt für manch ein ach. Das Wort Aufgabe zum Beispiel. Ich habe eine Aufgabe. Soso. Und, nein, dabei denke ich nicht an Aufgabe. An meine schon, aber nicht an die. Die. Also, die andere. So ist das mit den Aufgaben. Wohl, weil es davon mehrere gibt, wächst der Mensch vermutlich mit seinen Aufgaben. Vermutlich. Sprache, darin steckt auch Rache. Sie voll auszunutzen schließt dann auch ihren Nutzen voll ein.

Als Arzt trifft man wohl auf eine besondere Dichte oftmals besonderer Lebenslinien. Je dichter diese werden, umso stärker verdunkelt sich allerdings das Bild.

Andererseits: besonders fein gewebte Stoffe haben ihre eigene Kostbarkeit, ganz besonders, wenn sie aus edlem Material bestehen, so wie Goldbrokat. Oder Seide.

So würde ich meinen, ich schriebe ziemlich dicht. In eben dieser Ambivalenz. Eine Dichtigkeit, wohl auch ein Charakteristikum von Dichtung, die das spezifische Gewicht erhöht, erhöhen soll. Mag sein, dass es die konträre Sicht gibt, etwa: ich sei einigermaßen undicht, inhaltlich oder in meiner Art, so zu schreiben. Aber Art, also Kunst, ist eine Eigenart, meine Art, die für sich selbst steht; eine temporäre Barke körperlicher, geistiger und kreativer Souveränität.

Auch spiele ich nicht. Fast nicht. Ich spiele weder Karten noch Schach, weder Glücks- noch Gesellschaftsspiele. Ich spiele nicht einmal ein Instrument, auch wenn ich das in meiner Jugend lernen durfte. Wenn ich spiele, dann mit Sprache. Lingual-ludent, gewissermaßen.

„Ich kann, weil ich will, was ich muss.“ Meinte Kant.

So erscheinen mir die Selektion und verbale Sektion „verschiedener“ Sachverhalte denn auch a) sinnvoll und b) ein bereicherndes Instrument, die Dinge anders zu sehen. Meistens allerdings, der Pathologie nicht unähnlich, im Nachherein. Verschieden (in durchaus ambivalenter Bedeutung), und doch immerwährend aktuell.

Irritierend? In jedem Fall unübersetzbar. Ein idyllischer Bach (ach!) eines eigenen Sprachgebrauchs in einer idyllischen (Bildungs)Landschaft als Teil einer keineswegs überall idyllischen Kultur, die uns zur Natur gereicht(e). Auch Witze finden nur dann Anklang, wenn sie im gleichklingenden kulturellen Kontext wahrgenommen werden.

Zeitlich, regional und intellektuell. So gesehen ist nicht-verstanden-Werden, sogar Unverständnis ein Ausdruck kultureller Pluralität. Eine Blase, unsere Blase, in der wir leben.

Boh, glaubse. Boh, ey!

Es reicht nicht, verrückt zu denken. Man muss es auch noch verrückt ausdrücken, um verstanden zu werden.

Schreiben reflektiert explorative Sensibilität, sensible Exploration. Eroberung durch Einfühlung. Zögerlich, vorsichtig, aber auch experimentell und expansiv, bisweilen explosiv.

Earnest Hemingway befand überdies, dass ein grundlegendes Talent eines guten Schriftstellers darin bestehe, über einen eingebauten unerschütterlichen Blödsinns-Detektor zu verfügen. (»The essential gift for a good writer is a built-in, shockproof, bullshit detector«).

Bloß wozu? Um Blödsinn wie Trüffel aufzuspüren und entsprechend zu würdigen oder aber, um ihm nicht zu nah zu kommen? Ich fürchte, er dachte (nur) an letzteres.

Das … riefe dann nach Balance.

Aber nicht nur der Schreibende, auch der Leser sollte (s)einen Bullshit-Detektor haben. Im Prinzip. Dabei können unterschiedliche Filter allerdings eigene Artefakte hervorrufen: wenn nämlich die weltanschaulich getönte Blickachse auf „die Wahrheit“ beim Schriftsteller und bei seinem Leser deutlich divergieren, entstehen entweder Ablehnung, ein unwohles Gefühl von Manipulation oder aber schlicht inhaltliche Leere aufgrund fehlender Schnittmengen.

Entsprechend klar kann dann auch die Wegweisung aus derartiger Misere formuliert werden: Authentizität des Autors, Originalität des Inhalts bzw. der Beschreibung in Verbindung mit Toleranz, respektvollem zur-Kenntnis-Nehmen oder wohlwollendem Naschen seitens des Lesers.

Klingt anspruchsvoll; ist anspruchsvoll.

Ein Leser ist kein Kunde, und doch ist er das auch. Meine Leser tragen überdies Verantwortung. Nicht für das Buch, sondern für ihre eigene Sorgfalt, mit der sie sich dem Text in seiner Schärfe, aber auch seinen Unschärfen nähern und für die sie sich öffnen. Verantwortung für die eigene Wahrnehmung und das Ausloten / Sondieren der Bedeutungsinhalte. Leser leben die individuelle Pluralität nuancierender Deutungshoheit. Das nennt man wohl auch genießen.

Das provokanteste Buch ist eines, das nicht provoziert. Provozieren beinhaltet dabei nicht, die Stimme für etwas zu erheben, über das der Verstand noch nicht nachgedacht hat (wie es heute meistens der Fall ist), sondern Schattenseiten (verbal) hell anzustrahlen. Das verrückt den Fokus, aber es ist nicht die Negation des Gesamtbildes.

Die Gefährdung, auf derartiges Bemühen um Originalität zu verzichten, wird in der Welt des schönen Scheins besonders anschaulich deutlich. Galten in den 60er Jahren die Weichzeichner-Effekte der Fotos eines David Hamilton als (grenzwertig) künstlerisch (eine vielleicht den zumeist hübschen, bisweilen lasziv posierenden Models geschuldete Wahrnehmung, die sich der Unsicherheiten und Abhängigkeit von Delektion und Selektion bediente), ermöglichen die heutigen Techniken der visuellen Manipulation mit umfassend verfügbarer Software die (Neu-Er)Schaffung eines eigenen Idealbildes, das in der traurigen Konformität idealisierter Vorlagen aus Film, Hochglanzgazetten, You-Tube®- und Blog-Szenarien oder auch des Fernsehens kulminiert.

Nicht nur Selbstporträts oder gar Selbstlosigkeit, selbst das Selbst wurde ein Opfer der Selbstinszenierung.

Narzissmus mit dem ausschließlichen Interesse nur für und im Blick auf sich selbst (das Handy gehört schon nicht mehr als stilprägendes Accessoire, sondern als Körperteil obligat dazu), ohne sich allerdings selbst zu kennen. Das hat fatale Folgen. Unser Körper kann nur leben, weil er zwischen selbst und nicht selbst unterscheidet, Grundlage der Infekt- und Krebszellenabwehr, Grundlage auch aller Autoimmunkrankheiten. Ich (er)kenne mich selbst, also bin ich. Unser Immunsystem ermöglicht uns, a) zu leben und b) wir selbst zu sein. Das Missliebigste, was dabei eintreten kann, wäre Beliebigkeit.

Der Londoner Starfotograf Rankin (John Rankin Waddell) hat im Rahmen des von Marine Tonguy, MTArt Agency, betreuten Projektes Visual Diet 15 Jugendliche fotografiert und ihnen einige Minuten eingeräumt, in denen sie ihr Bild so digital verändern konnten, dass sie damit in „sozialen Medien“ mehr „Likes“ erzielen (ntv 18.2.2019).

Das Ergebnis war die geklont wirkende Einheitlichkeit einer Idealisierung, die Missachtung des Selbstbildes durch Sublimierung ihrer eigenen Ausdrucksstärke, ein Unkenntlichmachen der eigenen Persönlichkeit zugunsten eines „allgemeingültigen“ Anscheins.

Ihr Selfi als Kurzform jedes beliebigen selfish? Eine pubertäre Traumwelt mit dem Anspruch, dorthinein zu gehören?

Oder -ohne diesen Anspruch-, der Versuch, sich unauffällig in/hinter einem auffallend ebenmäßigen Ideal zu verbergen?

Aber auch Ärzte schätzen Auffälligkeiten nicht sehr. Auffälligkeiten eines Befundes oder im Laborprofil deuten auf Störungen hin, ebenso Auffälligkeiten bei Menschen, bisweilen deuten Auffälligkeiten von Menschen auf gestörte Menschen. Außerdem empfiehlt bereits Hippokrates eine unauffällige Erscheinung als ärztlichen Idealtypus.

Immer diese Ideale! Ärzte schätzen Authentizität.

Sie sind sogar darauf angewiesen.

Medien hingegen scheinen Personality-Features zu lieben, exhibitionistisch getönte Darstellungen strategischer Kampagnen, wo man eigentlich gern mehr über die Person und Persönlichkeit erführe. Das allerdings kann ohne persönlichen Kontakt nicht wirklich funktionieren, der aber für die Betreffenden ineffizient verbleibt, weil sie auf Masse, „Meinung“ oder Mehrheit schauen müssen.

Ihre Druckerzeugnisse prägen unsere Eindrücke und wir verinnerlichen ihren gedruckten, verbalen und visuellen Expressionismus als unseren Impressionismus.

Bewusst und unbewusst.

Wes Brot ich esse, des Lied ich singe, transformiert ins Zeitalter der manipulativen Kommunikation:

mein Medium, meine Meinung.

„Bild Dir Deine Meinung“ wäre dann ein Slogan (der Bild®) maximaler Ehrlichkeit in subtilster Eleganz.

Wir schätzen einerseits die informativen, kritischen, soliden Medien, die mit dem Begriff Qualitätsjournalismus etwas anfangen, anfangen können, wollen, zumindest aber nicht fremdeln, wenngleich auch die positive Pauschalierung nicht das Blatt, das Format generell betreffen sollte, während sich das Urteil konkret am einzelnen Artikel, an einer Sendung und ggfs. an ihrem Autor festmachen wird.

Wir erleben andererseits auch die Zerrütt(l)er. Für diese Medien gibt es offenbar nichts Schöneres, vielleicht nichts Wichtigeres, als die Regierungskoalition, ersatzweise wenigstens einzelne Parteien reiterativ und beständig als unbeständig und zerrüttet zu beschreiben, ihre Protagonisten als Wackelkandidaten, um dann bei entsprechendem Auseinanderfallen oder Scheitern unter Hintanstellung der eigenen Einflussnahme subtil zu triumphieren respektive bei Nichteintreten der avisierten Perfidie nach Errichtung des Scheiterhaufens tiefschürfende wie flammende Texte zu formulieren, schließlich kennt man sich aus.

Hybridmotoren der eigenen Hybris.

Auch Parlamente werden nicht mehr als (H)Ort seriöser Debatten wahrgenommen, sondern als Photoshops für Politik. Aus Politik „machen“, vielleicht gestalten, wurde dergestalt ein Politik zur Schau tragen. Nicht nur bei weiblichen Politikern, Politikerinnen, die eine „Hintergrund-Story“ zur Dialektik von Latex-Mode und lauer Meinung bereits für ein Porträt politischer Qualifikation zu halten scheinen. Solchen, die auf eine Armlänge Abstand setzen und sich davon eine Rocklänge Karrierevorsprung versprechen, illusionistischen Realisten. EntBärlich.

Das sehe ich dann mit dem gleichen Missempfinden wie ministerielles Undulieren eigener Ratlosigkeit, das aufgesetzt-unberührte Grinsen eines selbstgefällig erscheinenden Kirchenvertreters oder die gestylte Seriositätsanmutung eines Wirtschafts-Staatssekretärs, letztere(s) beide(s) am gleichen Sonntag (23.6.2019) auf der gleichen Mattscheibe. Der ewige Versuch, auf einer Mattscheibe zu glänzen.

Das geht (zumindest in meinen Augen) nur durch glänzende Leistungen oder durch einen glänzenden Auftritt, den ich als die Synthese von Authentizität und Ansinnen und/oder Performance betrachte. Da geht mir dann auch das Klagelied junger Unternehmer(innen) „am...Ohr…vorbei“, die da für ihre „Start-ups“ sive Firmengründungen eine zu geringe Unterstützung des Staates (!) bemäkeln.

Wenn Unternehmen auf staatliche Unterstützung gründen, hab ich wohl in der Schulzeit nicht richtig aufgepasst. Das hieß in meiner Erinnerung Planwirtschaft. Selbst die Rolling Stones haben die Steine, die ihnen im Weg lagen, selbst weggerollt. Weggerückt. Weggerockt.

Wenn die das Hohelied vom Unternehmer anstimmen sollten, -es wäre ihnen vergönnt. Chorknaben? (m/w/d?) müssen da noch üben.

Wie konstatierte sinnierend einst Friedrich der Große?

„Wenige Menschen denken, und doch wollen alle entscheiden...“.

Ich nehme hier gern nochmals eine Thematik auf, die ich bereits in „Aeskulaps Rhapsodie“ angesprochen habe, die Diskussion um Bewerbungsfotos. Die Protagonisten eines Verzichts auf Bewerbungsfotos, die diese sogar für unzulässig halten, wollen damit Diskriminierung aufgrund von Ressentiments in Sachen Hautfarbe, Geschlecht oder „nur“ optischer Gefälligkeit bereits bei der ersten Vorauswahl minimieren. Dass dies funktioniert, zeigen experimentelle Untersuchungen mit Bewerbungstexten, die ohne den wahren Namen als Hinweis auf Geschlecht oder Herkunft und ohne Foto eingereicht wurden im Vergleich mit der althergebrachten Vorgehensweise.

Wenn heute davon ausgegangen werden kann, dass Bewerbungsfotos ohnehin durchweg idealisierend manipuliert sind, dann erscheint der Verzicht darauf nicht nur logisch, sondern konsequent und notwendig.

Und erschreckend, denn genau so gehen administrative „Lösungen“ für ein intellektuelles und psychologisches Problem: an der Sache vorbei. Ein Bewerbungsfoto soll einen authentischen Eindruck vermitteln, so, wie auch das Bewerbungsschreiben Kenntnisse, Fähigkeiten und Vorstellungen des Bewerbers sachgerecht vermitteln soll. Für geklonte Texte und geklonte Fotographien ist da kein Platz.

Thema verfehlt.

Es gehört zum Können und ist die Kunst des Fotografen, sein (ihr) Empfinden einer Persönlichkeit in Szene zu setzen, ohne idealisierende oder stereotypisierende Filter oder Manipulationen zu bemühen. Eine Idealvorstellung, gewiss. Der Grat zwischen positiv hervorheben und idealisierend manipulativem Überzeichnen ist dabei allerdings schmal, so wie bei den Weichzeichnerfotos eines David Hamilton, deren Kontrast überwiegend im Kontrast zu „echter“ Fotokunst besteht. Aber viele Bewerbungsfotos folgen genau dem kritisierten Muster. Jenem Missverständnis von Professionalität, das jetzt einen „Starfotografen“ wie Rankin erschüttert, das aber über ein Vierteljahrhundert eine/die breite Grundlage seiner Profession darstellte.

Eine Ambivalenz, die schon der Begriff Starfotograf beinhaltet. Ist das ein Fotograf, der Stars ablichtet oder ein Star unter den Fotografen?

Eine große Gefahr für unsere Gesellschaft lauert also weniger in drohenden Panzern (das vermag ich nicht wirklich zu beurteilen) als in den allgegenwärtigen Diskrepanzen. Auch das kann ich nicht wirklich beurteilen, aber ich kann es sehen, fühlen und für mich interpretieren. Eine solche Form von Diskrepanz ist dieses Auseinanderdriften zwischen dem Selbstbild des eigenen Körpers und der Person, den zugehörigen Idealvorstellungen und der Realität, aber auch einer „objektiven“ Beurteilung von außen, die zwar von außen daherkommt, sich allerdings nicht im Äußerlichen erschöpft und obendrein nicht objektiv sein will/kann.

Derartige Ambivalenz empfand wohl auch Hemingway bei seiner intro?spektiven Sicht auf Schriftsteller:

»What things harm a writer? Politics, women, drinks, money, ambition. Also, a lack of politics, women, drinks, money, and ambition«.

Die Unsicherheit des Sicherheitsabstandes

Das klingt schon mal reichlich kompliziert und ruft allein daher Distanz hervor, hier als die Diskrepanz zwischen dem Aufwand, sich mit der Situation auseinanderzusetzen und dem Ertrag an hieraus resultierender Erkenntnis. Dabei ist es doch ganz einfach. Als ordentliche Autofahrer halten wir den geforderten Sicherheitsabstand zum vorausfahrenden Verkehrsteilnehmer ein. Sag ich mal so. Das, aber, kann derjenige natürlich nicht hören, der mich da gerade überholt. Wohl deshalb schert er sich nicht um meinen Sicherheitsabstand, sondern keck vor mir ein. Damit habe ich nunmehr eine faszinierende Wahlmöglichkeit: a) ich fahre mit gleicher Geschwindigkeit weiter und interessiere mich fortan nicht mehr für den, für meinen Sicherheitsabstand. b) Ich bremse sofort ab, schließlich ist der Sicherheitsabstand wichtig und deshalb vorgeschrieben. Dumm nur, wenn das der hinter mir Fahrende nicht so sieht und deshalb einen Auffahrunfall inszeniert, für dessen Teilhaberschaft mir obendrein eine Mitschuld angehängt, besser: aufgefahren wird. c) Zelebriere ich hingegen das langsame Wiedererstarken meines Sicherheitsabstands durch ein zähes Ringen zugunsten einer kaum merklichen, aber faktischen Zunahme an Distanz im tiefen Verständnis unserer Straßenverkehrsordnung, so kann ich gewiss sein, dass sich der nächste Fahrer beeilt, in die dabei entstehende Lücke vorzustoßen, womit die Prozedur von neuem beginnt.

Rein emotional entsteht so das Gefühl, rückwärts zu fahren. Ankommen unmöglich.

Aber es gibt ja Lösungen. Allein problembezogen, also in intellektueller Sachlichkeit, aber wohl auch moraliter wäre Lösung b) der beste Weg, verhalte ich mich doch hierbei streng gesetzeskonform und verhindere gleichzeitig das unbotmäßige Vordringen des mir nachfolgenden Verkehrsteilnehmers in eine virtuelle, aber gleichzeitig reale Lücke, das ihn zum Dieb meines Sicherheitsabstands machen würde. Diese Lösung erscheint aber schwer vermittelbar, zudem unserem Rechtssystem wohl zu einfach. Deshalb schwanken ihre Abwägungen, mal mehr, mal weniger, gelegentlich sogar die Begriffe Schwank wie Schwenk inkludierend, und wenn es denn für eine Schuld nicht reicht, muss es eben eine Mitschuld geben.

Da hat sich die Philosophie dieser Welt gefühlt „ewig“ und nur bedingt in konkreten Ergebnissen kulminierend an der Frage nach „der Schuld“ abgearbeitet, und flugs hat die rechtzeitig akademisch ausgegliederte juristische Fakultät die „Mitschuld“ erfunden.

Kein Wunder also, dass die Philosophie, die die Wahrheit liebt und still wie immerwährend danach sucht und die Jurisprudenz, die über die Wahrheit entscheidet und sie dezidiert in ihren Verlautbarungen verkündet, getrennte Wege gehen, zumindest unterschiedliche Fakultäten darstellen.

Auch eine Art Sicherheitsabstand.

Auch eines dieser Wunder, die deshalb Wunder heißen, weil wir sie nicht verstehen und uns daher wundern. Unsere wunderbare Welt.

Prächtigkeit und Pikanterie der Demokratie

Deutschland darf nicht (wieder) Denunziativland sein. Der Respekt vor und die Praxis von Demokratie sind die natürlichen Gegner jedes totalitären Klimas. Und eben das ist neben dem Klimawandel eine globale Herausforderung, die aber nur unzureichend als solche wahrgenommen wird.

Im Gegenteil: der Hype um pubertär-absolutistische „Demonstrationen“ befördert deren absolutistische Gene, die da demokratische Regeln und deren Permissivität nutzen, um (bei zugewandter Sicht) kompromisslos Kante zu zeigen, dies aber in Teilen auch, indem demokratischer Vertrauensbildung und einer verbindlichen Abstimmung von Inhalten der Rücken gekehrt wird.

Eine solche Unverbindlichkeit, die sich bewusst akzentuierend in die Nähe von Unvereinbarkeit begibt, fungiert jedoch als Vorstufe totalitärer Denke. Das ist nicht Politik, das ist politisch verbrämte Agitation diverser Egos.

Auch habe ich keinen Zweifel daran, dass sich eine derart komplexe Wahrnehmung den Betreffenden nicht erschließt.

Darin besteht ja gerade ein großer Teil des Problems. Die komplementäre Hälfte des vollständigen Problems besteht allerdings auch darin, mit einer derartig kategorisierenden Zuweisung von Inkompetenz die gefühlte Marginalisierung von Anliegen und Personen zu befördern, was weder lösungsorientiert noch ein politisch angemessener Ansatz ist. Eine solche Erörterung bräuchte aber einen fundierten Bildungsstand. Und Zeit. Um beide steht es nicht gut. Dem fundierten Bildungsstand fehlt das Gewicht in der Breite und die Zeit zum Handeln scheint nur noch kurz, vielleicht schon zu kurz.

Dass das Fehlen von Gewicht Druck erzeugt, erscheint ein wenig wie ein Treppenwitz der Physik. Gut, dass unsere physikalisch-sachlich geprägte Kanzlerin diese politische Pirouette nicht mehr selbst vollführen muss. Und ja, ihr (politisches) Gewicht war auch schon größer. Angenagt von europäischen Egomanen und Neidern im Gewand der sich zurückgesetzt Fühlenden, die ihr Wirken zu Käse erklärten. Innerparteilich zudem mit selektiven Spektralfarben beleuchtet, die ihr Licht in den Schatten stellen sollten, um den Glanz dieser Partei aufzuhellen.

Eine wunderliche Aufführung.

Nur: solche Zauberlehrlinge als Leichtgewichte der Politik gleichen reale Unwucht nicht aus, entsprechend sollten sie auch keine schwergewichtigen Entscheidungen treffen. Das klingt dann wieder wie ein Gruß an Freitagsdemonstranten des Jahres 2019, die -um einmal ihre sogar nomenklatorische Effekthascherei zu beleuchten- nicht nur drei Arbeitstage oder 30 Jahre, sondern dergestalt Welten und eine ganze Generation von den Montagsdemonstranten 1989 trennen.

Ob die Unzufriedenen dieser Welt wirklich glauben, Frieden stiften zu können, die Unruhestifter in dieser Gesellschaft für Ruhe in den Menschen? „Es gibt nichts Gutes, außer, man tut es“, sagt der Kalenderspruch. Bei sich selbst anzufangen, wäre Phase eins zum Gelingen.

Intellektuelle tun sich da wohl besonders schwer, da sie sich mit dem Tun an sich schwertun und entsprechend Demonstrationen für Tun halten (wollen).

Das sich-Versagen der Jungen in einer Demokratie erscheint dagegen als ein Ausdruck ihrer bequemen Unreife, dem Spaziergänger im Park nicht unähnlich, der das Werk von Generationen zuvor genießen kann, aber nicht einen Gedanken an die Komplexität, Feinabstimmung und Erfordernisse der kontinuierlichen Pflege „verschwendet“. Aber es ist wohl auch das Versagen derer, die das Privileg ihrer Teilhabe, die Einzigartigkeit des Ensembles auf der Bühne der Demokratie vor dem selbst erlebten Hintergrund eines dunklen und eisernen Vorhangs sowie der Erfahrung tiefster Abgründe davor nicht begründen und nicht überzeugend vorleben konnten. Derer, die Werte glanzlos und rostig werden ließen, die die zu bewahrende Substanz von Gemeinsinn als ein aussaugbares Substrat zur Supplementierung des eigenen Wachstums interpretierten.

Sicher, in unserer unbeschränkten Vorstellung ist Demokratie immer noch attraktiv, vielleicht sexy, dabei aber ohne Anstrengung zu haben, eigentlich fast aufdringlich, penetrant permanent. Ein veritables Risiko für demokratische Geschlechtskrankheiten, stimuliert das doch Ignoranz und man(n) sucht sich andere Herausforderungen, gern unter der Imagination prickelnder Abenteuer. Ähnlich fühlt nicht nur der Jüngling in pubertärem Begehren, womöglich auch der in Erinnerungen schwelgende Connaisseur.

Auch demokratische Attraktivität verblasst in Routine und verwittert unter der Zeit.

Eine Generation, die ihrer Nachfolge (und damit sich selbst) nur eine so geringe Bedeutung beimisst, dass sie ihren (wenigen) Kindern nicht bestmögliche Lebensbedingungen mit auf den Weg zu geben vermag, betreibt nicht intellektuelles Innehalten, angemessene Kontemplation oder biologische Regeneration, sondern evolutionäre Degeneration.

Kinder sind gleichzeitig Spiegelbild und originärer Inhalt von Optimismus. Eines Vertrauens, das als Urvertrauen natürlich war, sich aber mit der „Kultivierung“ der Natur wandelte und als Fundament der Kultur abhandenkam. Das Rad der Geschichte ist auch das Rad der Evolution. Wir begeistern uns dabei für die Bewegung und ignorieren, dass auch stets etwas unter die Räder kommt.

Kinder zu haben, das ist Leben, das weitergeht.

Bücher, das sind festzuhaltende Gedanken, die weitergehen. Medizin beinhaltet wohl Taten, die weiterleben.

Kunst umschreibt Individualität, die weiterträgt, dem Weiterleben Sinn gibt. So, wie Kinder.

Während die medizinische Forschung „klonale Rearrangements“ genauer unter die Lupe nimmt, zeichnet sich eine politische Entwicklung ab, die man als clowneskes Arrangement bezeichnen könnte. In Italien ergriff ein sich kauzig gebender Clown Partei für die Freiheit des Clownesken, um dann die Parteiführung zu ergreifen und hernach sein Land politischer Lächerlichkeit preiszugeben. Auch die Ukraine sieht hochfliegende Erwartungen am besten durch einen quirligen Spaßvogel repräsentiert.

Dagegen wirkt unser Bundesadler schon fast regungslos versteinert, geradezu old fashioned, schon jenseits von old school. Gut, dass wir YouTuber haben, die uns die Welt erklären..., und Schüler, deren Befürchtungen ihr Wissen derart überragen, dass Klassenräume dafür nicht ausreichen und Straßenzüge als Ambiente ihres Zugs der Zeit, wie man ihre Demonstrationszüge nennen möchte, den aufmerksamkeitsheischigen Rahmen abgeben müssen. Dämon-Strationen.

Und da ist er dann, „unser“ Beitrag zum Clownesken: die Kids wollen Mitsprache! Konfetti!

Das Wahlalter soll gesenkt werden! Welche Murmel soll es denn sein? Die niedliche rote oder doch die grüne? So Murmeln rollen doch so herrlich.

Ja, und zwar nur abwärts. Allerdings: auf jeder schiefen Ebene. Je schiefer und je weniger Widerstand, desto besser.

Da geben sich Influencer und denken selbst womöglich, sie seien unabhängig. Dabei sind gerade diese die Marionetten gigantischer IT-Medienkonzerne, die ihre Tentakeln in jede Ritze unseres Lebens und in jede Hirnfurche gleiten lassen wollen.

Wenn die „Freitagsdemonstrationen“ der Schüler und anderer Kindsköpfe einen ernsthaften Bodensatz enthalten, dann den, dass offenkundig, also für jedes Kind erkennbar, die notwendigen Bemühungen um einen weltumspannenden Klimaschutz zum Schutze unseres Daseins und des Daseins zukünftiger Generationen noch allzu sehr in den Kinderschuhen stecken.

Und Kinderschuhe drücken zuallererst erstmal die Kinder.

Derartige Defizite an Lösungsansätzen werden umso schmerzlicher empfunden, als Lösungen, die gangbar erscheinen, die mit der Arbeitswelt von heute, unseren Möglichkeiten und unserer Existenz vereinbar sind, dabei als unerreichbar erscheinen. Das generiert Angst. Eine Angst, die durch diese Demonstrationen befördert wird, anstatt sie durch aktives, seriöses Bemühen der „Engagierten“ um Verbesserungen zu verhindern. Anwesende, die dennoch später verkünden werden, sie hätten für den Klimaschutz „gekämpft“.

Biographien befassen sich mit vergangenem Leben, um daraus Verstehen und Lehren für die Zukunft abzuleiten. Verantwortungsvolle Eltern tun dies aus ihrer eigenen, ungeschriebenen Biografie heraus, gewiss in ihrer Gewissheit, dass nichts und niemand ihren Kindern und Enkeln mehr Wohlwollen geben, eine bessere Vorbereitung für die Zukunft an die Seite stellen kann und wird. Aber Nachwuchs, der noch nicht flügge ist, fällt auch in der freien Natur in erster Linie durch lautes Geschrei auf. Dabei fokussiert die dort zu beobachtende „Tätigkeit“ bis dahin lediglich auf Gefräßigkeit sowie ein Dasein als Nesthocker und Nestbeschmutzer, -die Erwartungshaltung allerdings darauf, rundum versorgt zu werden.

Eltern und Großeltern haben/hätten ohne Frage die bestmögliche Motivation, ihren Kindern und Enkeln eine lebenswerte und zukunftsfähige Welt zu hinterlassen.

Wie kommen also die jungen Leute dazu/darauf, so zu tun, als ob Klimapolitik eine Generationenfrage sei, die Ältere nicht so interessieren könnte, diese womöglich nicht für hinreichend wichtig ansähen?

Sie hören, sehen, fühlen und glauben zu wissen, dass sich unser Klima verändert. Und sie sehen Ursachen, deutlicher akzentuiert und im Vergrößerungsglas eigener Betroffenheit, aber eher nicht in der relativierenden Relation individuellen oder gar internationalen Gewichts. Sie fordern Reaktionen, weil sie die Anpassungen und schützende Entwicklungen (durchaus zu Recht) für unzureichend halten, jedoch ohne eigene Erfahrungswerte in realer Politik, der Realität schlechthin.

Wenn Erde, mithin Erdung fehlt, sind Feuer, Wasser und Luft die verbleibenden Elemente.

Ein Trio, das gewiss nicht für Stabilität bürgt.

Nichts ist so gut, als dass man es nicht noch etwas besser machen könnte, und bei der Klimapolitik ist in der Tat noch sehr viel Luft nach oben. Die heiße Luft politischer Blasen ist hier hingegen -Physik-konträr- nicht etwa zur Verbesserung der Atmosphäre aufgestiegen, sondern trägt nur ihren Teil zur Erderwärmung bei.

Mich beruhigt dagegen schon zu wissen, dass es im Umweltministerium seriöse Leute gibt, die sich zum Beispiel mit dem energetischen Fußabdruck unseres IT-Konsums befassen. Beunruhigend hingegen, was diese Fachleute mitzuteilen haben. Wenn es zutrifft, dass die CO2-Emission einer einzigen Sekunde weltweiter Google-Suche im Netz zur Kompensation 23 Bäume als Ausgleich benötigt, wie die Netzkünstlerin Joana Moll errechnet hat und die deutsche Rechenzentren etwa gleich viel CO2 im Jahr zu verantworten haben wie der gesamte deutsche Flugverkehr (Corinna Madjitov im Interview mit der Informatikerin und Green-IT-Expertin im Bundesumweltamt Marina Köhn für Brigitte 9/2019), dann sind das Dimensionen, die mich beeindrucken.

Werte, für die ich bislang kein Gespür hatte, und eben solche, die kein gutes Gefühl hinterlassen.

Es gibt gute Gründe für CO-Melder in Wohnungen und zum Selbstschutz bei Rettungssanitätern und Feuerwehr. Die Zeit wäre auch reif für einen CO2-Melder für unser unüberlegtes, bisweilen besinnungsloses Tun. SUVs zu verdammen ist so einfach -wenngleich, nein, weil überwiegend Neid-gesteuertaber Streaming wird gestreichelt?

YouTuber (deutsch: Ihr Flöten!), fasst Euch mal an die eigene Kappe!

Vielleicht sind auch sich besonders foudroyant inszenierende, expressionistische Umweltschützer die, vor denen unsere Umwelt besser geschützt werden sollte. Wenn ein Gerichtsurteil Fußballvereinen die finanzielle Verantwortung für einen verstärkten Polizeieinsatz überträgt, dann wäre es aus meiner Sicht nur recht und billig (auch wenn es sehr viel kostet), Organisationen, die derartige „Demonstrationen“ initiieren (oder „soziale Medien“, über die sie diese orchestrieren) mit den dabei anfallenden Kosten vertraut zu machen. Und wenn das wegen des so überstrapazierten Rechtes zur Demonstrations-Freiheit, das regelhaft die Freiheit der nicht-demonstrierenden Mehrheit (z.B. den freien Zugang zur Innenstadt am Samstag) einschränkt, juristisch nicht „denkbar“ sein darf, dann wäre es doch eine feine Idee, diese Kosten aus dem Budget des Umweltministeriums zu tragen, schließlich geht es ja um die Förderung demokratischen Eintretens für dessen Belange (wobei das „Eintreten“ offenbar eine Eigendynamik entfaltet hat).

Wenn dieses Geld dann zwangsläufig konkreten und direkten Umweltmassnahmen fehlt, nennt sich das kameralistische Buchführung oder auch Erziehung zu der grundlegenden Einsicht, dass Wünsche und deren Befriedigung immer auch einen Aufwand und Kosten beinhalten.

Glaubwürdigkeit

Da zirkuliert ein zig Jahre altes Foto eines amerikanischen Gouverneurs aus Virginia, das einen schwarzbemalten jungen Mann neben einem Menschen mit Ku-Klux-Klan-Maskierung zeigt. Beides nicht akzeptabel, zudem heute nicht opportun, vor allem, wenn der Gouverneur als „Demokrat“ für die nächste Präsidentschaftswahl kandidieren möchte; für das heutige Politikverständnis entsprechend gereift zu einem gesellschaftlichen NoGo. Während sich der -auf dem Foto nicht identifizierbare- Mann also Politikertypisch zunächst flux für das „verletzende Verhalten“ entschuldigt und in dem Bild immerhin rassistischen und beleidigenden Inhalt erkennt, reift in ihm einige Tage und viele Rücktrittsforderungen später die Erkenntnis, das könne er gar nicht gewesen sein. Eine Erkenntnis, die er mit seiner Recherche untermauert, nach der er zu dieser Zeit gar nicht am vorgeblichen Ort des Geschehens gewesen sei. So ist das.

Egal, wie der Sachverhalt damals tatsächlich gewesen sein mag: jedwede Glaubwürdigkeit ist dahin. Würde sowieso. Womit sich die Situation dann auf Glauben oder Nichtglauben reduziert. Und dann gibt es grundsätzlich noch die juristische Klärungsmöglichkeit, die von der Unschuldsvermutung ausgeht und einen unumstößlichen Beweis zugrunde legen muss. Das mag Politiker beruhigen, hilfreich ist es für sie jedoch nicht, weil ihre „Glaubwürdigkeit“ auf gefühltes Wissen, Anschein und Schein baut, nicht auf faktischen Sachverhalten.

Kann es andererseits sein, dass die Erinnerung eines Gouverneurs hinreichend trübe ist, dass er um das Bild von 1984 gar nicht mehr weiß? Oder reicht es, dass er es für sich selbst als „theoretisch“ authentisch in Betracht gezogen hat?

Beides wohl kein Ausweis persönlicher Exzellenz. Oder von Glaubwürdigkeit.

Andererseits: reicht es aus, Ihnen oder mir oder jemand anderem zu unterstellen, wir hätten 1984 (also nineteen eightyfour...., -wenn das kein Wink mit dem Zaunpfahl ist!) einen Maikäfer zertreten, um uns jetzt als Tierquäler dastehen zu lassen? Dahinter steht die Frage von Verstehen und Vergeben. Beides wichtige Begriffe, beide unbekannt in der Welt der Politik, wie auch in der digitalen Welt der Gegenwart (und unserer Zukunft).

Bekannt ist dagegen jene Empörung, die man auch hier konstruieren könnte: habe ich da nicht soeben puren Rassismus mit der Petitesse eines Krabbelkäfers verglichen?

Wie bitte!? Ist etwa das Leben eines Tieres eine Petitesse?!

Und so jagt ein Aufschrei den anderen.

So, wie Humor (um den es sich in Virginia definitiv nicht handelte) schwierig sein kann, ist auch ein Jux pubertären oder postpubertären Tuns ein situatives Element. In Kulturen mit zumindest regional und zeitlich begrenzten Phasen permissiver Entspanntheit, ich spreche vom Karneval bzw. Fasching, lässt sich Derartiges sachgerecht verorten.

In einem Amerika, wo Übertreibungen, plumpe Diskriminierungen wie auch Gehässigkeiten persistent einen Anspruch auf den Deckmantel von „Humor“, Komödiantischem, Karikierendem oder auch pubertär-unreifes Verhalten erheben, gewiss nicht.

Nur, wenn eine Annegret Kramp-Karrenbauer 2019 in die Bütt steigt, dann sezieren die interessierte Berichterstattung wie oppositionelle Parteigänger karnevalistische Äußerungen reiterativ als politische Rhetorik, derart anhaltend, dass Dauer und Intensität eines politischen Agitations-Seminars vermutlich übertroffen werden.

Da fehlt nicht nur Glaubwürdigkeit, es fehlt neben dem Glauben auch die Würde. Dabei hat die Frau aus meiner Sicht in ihrer politischen Rhetorik durchaus Defizite; in der Bütt wusste sie aber zu überzeugen.

Gentrifizierung

Gentrifizierung ist ein Synonym für Neidgesellschaft und als Begriff in dieser fest verwurzelt, aber eben auch erst aus dieser geboren. Sie umschreibt den Blick von unten auf gesellschaftliche Fortschritte und ökonomische Entwicklungen mit narrativem Unwohlsein unter dem erstarrten Blick auf Fassaden architektonisch neu gestalteter Prosperität.

Ist das so?

Die Prächtigkeit der Neubauten ist leider oft genug nur schwer zu entdecken. Sie hält sich nicht etwa in Grenzen, sondern glänzt vielfach puristisch durch Abwesenheit oder versteckt sich unkenntlich hinter den Schlingpflanzen eines sachwaltenden Bekenntnisses, nach dem Geiz geil ist, jenem realistischen Depressionismus aus Bauklötzchen, Fertigteilen, normierter Wärmedämmung und dahindämmernder Kreativität, der zeitlos prägende Besonderheiten als Kennzeichen guter Architektur ignoriert und als Ausdrucksform den reinen Konformismus pflegt.

Derart geglättet, bleibt von Pracht nur ein „ach“.

Als „ach ja“ oder als „ach je“.

Reaktionen zwischen Resignation und Aufgewühltheit.

Brexit? Grand mit Bieren. Ohne Asse

Das nenn ich mal eine gefestigte, bürgernahe Demokratie. Nachdem der Brexit dem europäisch verhafteten, durch und durch brexitophoben Autor im Ansinnen wie im Abstimmungsergebnis als „insane“, also schlicht verrückt erschien, befand ein Guardian-Leser das Abstimmungsgeschwurbel (amendment vote) im Londoner Unterhaus Ende Januar 2019 für „collective insanity“, was die Zeitung nicht expressis verbis zu ihrer Einstellung machte, wohl aber zur Schlagzeile über einer Sammlung impressionistischer Leserzuschriften. „Wie´s Gescherr, so der Herr“, scheint mir dagegen die verdrehte Maxime der parlamentarischen Orientierung infolge der „Volksabstimmung“ zu sein, die da als ein Musterbeispiel für Manipulation und politische Intriganz in die Geschichte Großbritanniens, Europas und der politischen Kultur sui generis eingegangen ist.

Offiziell Ausdruck einer beseelten Mandats-Verpflichtung. Man(n), dat geht gar nicht. Es gibt kein imperatives Mandat, vielmehr den Imperativ zu eigenem Denken und gewissenhaftem Handeln zugunsten des Gemeinwesens.

So viele Fremdworte (Denken, Gewissen, Gemeinwesen) in nur einem Satz, wo die Wähler doch mit den Fremden nix am Hut haben wollen,- das ist wohl schwierig.

„Brexit ist ein Betrug an den Armen, organisiert von Multimillionären“; David Lammy, britischer Parlamentsabgeordneter. Und diese Multimillionäre verlegen ihren Steuersitz dann nach Monaco. Die, die Staub aufwirbeln, wie „Pressezaren“ und die, die vorgeben, ihn aufzusaugen, wie Dyson.

Die insulär geprägten mir-san-mir-Beweg-Gründe der Brexiteers kann ich -teilweise- nachvollziehen. Aber ich teile sie nicht, auch vermag ich sie nicht zu verteidigen. Be-weg-Gründe haben Gründe, sind aber indes keine Gründe, wegzugehen. Sie sind eine eruptive Emotion, weder Standpunkt noch Ratio, auch keine Politik.

Brexit… ist ein Lehrstück, wie sich aus Fakten über Folklore und Fiktion die Fantasie eines Fanals entwickelt, in dem sich seriöse, sachliche Politik ihrer Daseinsberechtigung beraubt (sieht) und dem Desaster Platz macht. Eine Entscheidung durch eine Abstimmung, der die Manipulation von Stimmungen zugrunde lag, die Ernsthaftigkeit von Clowns, deren Popanzigkeit ihre Vorstellung von Politik beinhaltet. Die Pinocchios von Piccadilly.

Wer einen Nigel Farage und einen Boris Johnson hat, der braucht keinen Karneval, der hat ganzjährig Rosenmontag und Aschermittwoch, und das gleichzeitig. Chaos, mit dem Anspruch von und getarnt als Charisma.

So ein Referendum wie das zum Brexit müsste wohl korrekterweise Referendumm geschrieben werden.

Dumm gelaufen.

Den größten Fehler Großbritanniens seit dem Ende des 2. Weltkriegs nannte es denn auch John Bercow, nachdem er seine Neutralität als Sprecher des Unterhauses aufgegeben hatte (Guardian, 6.11.2019).

Brexit ist auch eine philosophische Nagelprobe des Begriffes Demokratie. Was ist Demokratie? Laut vorgetragen wird von Politikern gern der „Respekt“ vor einer „Wählerentscheidung“. Was, wenn diese falsch, dumm oder manipuliert ist? Ist der-/diejenige, der/die sich vehement gegen eine solche „Entscheidung“ wendet und das Mehrheitsvotum aus inhaltlichen Gründen nicht akzeptiert dann undemokratisch? Vielleicht ein an „Demokratie“ leidender Patient?

Ist Demokratie also eine Frage der Form oder des Inhalts? Wenn die oppositionelle Haltung den Impuls einer Revolte annimmt und diese zu einer Veränderung der Machtverhältnisse führt, dann ist die Gegenwehr gegenüber dem bisherigen Mehrheitsvotum -selbstredend- wieder zutiefst demokratisch. Wenn nicht, bleibt die inhaltliche Inakzeptanz belanglos und der Fehler regiert. Um dabei nicht gestört zu werden, bedarf es allerdings der Diskriminierung der inhaltlich begründeten, abweichenden Auffassung.

C‘est la vie, sagt der Franzose und tut, was er für richtig hält, während sich der engagierte Bürger in Deutschland darin zerfrisst, dass er das Dilemma definiert, ohne einen Ausweg zu finden.

Und die Briten? Es wird wohl so sein wie mit „der/dem Ex“ sonst auch: je weniger wir „die Briten“ kennen, desto mehr sind wir ihnen gewogen. Da kann es dann zum völkerverständigenden Vorteil werden, wenn sie sich inselisolatorisch auf Distanz begeben. So, wie auch der Prophet im eigenen Lande nichts gilt, scheint es auch der EU, der Wertschätzung europäischen Zusammenhalts, in Großbritannien und auch anderen europäischen Staaten zu (er)gehen. Dieser Brexit fußt auf dem (in England hergestellten) Bild des Exits eines Exophyten und beschreibt damit Britannien degradierend zu einer Beule am europäischen Kontinent.

Auch das akzeptiere ich nicht.

Als Europäer nicht und gewiss auch als Deutscher nicht.

Wenn die Musik aufhört, tanzen Verliebte weiter. Europa ist noch weit von dieser Liebe entfernt und starrt gebannt auf Misstöne der Musik anstatt sich auf den Gegenüber zu konzentrieren, sich in ihn/sie zu vertiefen und gemeinsamer Harmonie hinzugeben.

Da gab es einmal die imperial-imperative Parole „buy british“, um Großbritanniens Wirtschaft zu stützen. Aktuell gewöhnen wir uns nur schwer an „bye, British“, während diese ihre Wirtschaft stürzen und die guten Beziehungen zu Europa nolens volens auf eine bizarre Probe stellen.

Britannia rule the waves? Jetzt ersteinmal -bitte- die eigenen, die da innenpolitisch so hoch geschlagen sind, dass sie auch in Europa, will sagen: Kontinentaleuropa, so lästig vernommen werden.

Gut, „es wird nichts so heiß gegessen, wie es gekocht wird“, sagt unser Sprichwort.

Aber Shepherd´s Pie ist bei allem Wohlwollen kalt wohl noch ungenießbarer als heiß.

Orient.ierung

Vor 1600 waren geographische Karten nicht „genordet“; frühere Darstellungen bedienten sich vielmehr der Perspektive des Künstlers respektive Zeichners oder auch einer Orientierung an den heiligen Stätten im Orient/Morgenland: sie waren „geostet“. Arabische Karten wiesen noch bis ins 19. Jahrhundert eine Ausrichtung nach Mekka als Heiliger Stätte auf und ihren Nutzer dergestalt orientierend auf die Ausrichtung seines Daseins hin.

Die Verwendung eines verlässlich nach Norden weisenden Kompasses in der Seefahrt datiert ins 14. Jahrhundert. Die bereits im 2. Jahrhundert von Ptolomäus konzipierte Idee einer Orientierung am Polarstern erfuhr ihre Renaissance mit dem Aufkommen des Buchdrucks, der auch die Reproduktion von Karten, das Zeitalter der Kartographie beförderte.

Die Konvention, Norden auf eine Landkarte einheitlich „oben“ zu wissen, verbesserte seither die Orientierung und schuf Sicherheit. Eine Verlässlichkeit, die „moderne“ Navigationssysteme wieder dem Vorwärtsdrang gedanklicher Manipulation opfern, indem sie eine Ausrichtung an der gefühlten Fahrtrichtung „vorwärts“ auf dem Bildschirm „nach oben“ vornehmen (Ausrichtung „Head-up“ oder „Course-up“). Das klingt dann ganz nach Adenauers Definition mit Blick auf die hierarchische Sitzordnung einer politischen Gesprächsrunde: »oben ist, wo ich sitze«.

Die Manipulation der Zeit durch eine Unterscheidung von Winter- oder Normalzeit und einer „Sommerzeit“ im Jahr 1973 beinhaltete dagegen eine bewusste Entscheidung, gedacht, um Energie einzusparen. Ursprünglich eine durchaus logische Vorstellung, die sich allerdings nicht als erfolgreich erwies, da die Menschen ihr Verhalten den sich damit erschließenden neuen Möglichkeiten anpassten. Das Prinzip des Verharrens in unwirksamen, auch fehlerhaften oder lächerlichen Beschlüssen scheint ein sehr grundsätzliches und daher weiterhin hochaktuelles zu sein.

Nicht nur Brecht erkannte bereits: „nichts ist so schwer, wie der Weg zurück zur Vernunft“, auch der Brexit liegt weit voraus auf dem Weg nach Absurdistan. In solcher Tradition werden dann auch bei uns Segelschiffe für 130 Millionen Euro repariert.

Alles korrekt, übrigens, ist dies doch ein unkonventioneller Anlass für eine Verteidigungsübung des Verteidigungshaushalts im ungewohnten Maneuvergelände wirtschaftlichen Verhaltens.

Da ist Orientierung nicht so einfach.

Haltung ist keine Kopie

In den Kulissen dieses Lebens wird manch ein Akteur zum Schauspieler.

„The Games must go on“. Avery Brundage, München 1972, nach dem verheerenden PLO-Attentat auf die Israelische Olympiamannschaft. Aha.

„Lebbe geht weiter“. Dragoslav Stepanovic, Frankfurter Kulttrainer.

Merken wir noch den Unterschied? Spiele müssen weitergehen, während das Leben von allein weitergeht? Ist das die Gewichtsverteilung oder der diskrete Hinweis auf eine sehr schwierig zu vermittelnde, schwierige Entscheidung?

Aber analytisch-kritisches Überlegen erreicht hier womöglich nichts, weil es nicht so weit reicht, wie unsere Emotionen und die Ästhetik, auf der Emotionen und Sensibilität so reibungslos dahingleiten können. Das unterscheidet wohl Kunst und Ästhetik: Kunst braucht die Reibung als Energie, Ästhetik verhindert oder glättet Reibungsverluste.

Das traurig-Schöne hat so viel Leid gesehen und doch die Hoffnung nicht aufgegeben. So sind die Bilder des Fotographen Steve McCurry von monumentaler wie mahnender Durchdringung. Sie nutzen die Einfachheit fotographischer Tiefenschärfe, in der er den Krieg in Afghanistan oder die Armut in Indien einfängt und ausdrückt. Einfängt, indem er sie in den Gesichtern und der Haltung der von ihm fotografierten Menschen abbildet. In den Nuancen und Farben einer ergreifenden Empfindsamkeit, die doch nur Wahrheit transportiert und den Betrachter entfesselnd für Wahrheit öffnet, indem er ihn für diese Eindrücke gefangen nimmt. Ergreifen zum Begreifen.

Verzweifelte Kinder, junge und alte Menschen, die das Grauen nicht begreifen können, das sie schutzlos durchdringt. Sie hätten Schutz benötigt, vor Gewalt, jetzt brauchen sie Schutz für ihren Rest Hoffnung, für die kleine Flamme Lebenswillen, für ihren Glauben an Lebensfähigkeit.

Die gleiche Motivation und bildhafte Darstellung zeigt auch der Film Capernaum der syrischen Regisseurin Labaki, der mit viel Lob, aber auch kategorischer Kritik als „Elendsporno“ bedacht wurde. Wir erkennen, wie die Grausamkeit von Armut nicht nur Grausamkeit an Menschen, sondern auch eine Grausamkeit von Menschen ist.

Fleisch gewordener Sarkasmus hilft womöglich gegen Resignation wie Hühnerbrühe bei Erkältung. Ein bisschen ist dran, aber viel bedeutsamer ist, daran zu glauben. Auch Vodoo braucht Hühner. Fleisch gewordener Sarkasmus... . Sarx, das war im Griechischen das Wort für Fleisch. Wenn also Sarkasmus Fleisch wird, ist es dann eine Rückkehr zur ursprünglichen Bestimmung, ein konservativer Gebrauch von Sarkasmus, ist es womöglich eine Potenzierung, das Fleisch an sich, Fleisch2, oder aber doch nur Tautologie, Verbalgebrabbel einer vermeintlichen Sinnhaftigkeit angesichts des biblischen Vorbilds „und das Wort ward Fleisch und es wohnte unter uns“?

Der Geist sei willig, das Fleisch dagegen schwach, lautet eine oft genug gewissenlose Ausrede. Was für ein Unsinn! Es ist der Geist, der schwach ist. Es regnet, nicht etwas, sondern heftig. Kalter Regen, vom Herbstwind gepeitscht, durchdringend wie kalt, und die tiefhängenden, so unendlich dunklen Wolken verraten nichts Gutes. Die hagere Person steht da, in Wind und Wetter, durchnässt, regungslos bis auf das unmerkliche Zittern, schutzlos und beklagenswert. Der Weg vom Auge des Betrachters zum Mitleid ist kurz. Es ist die offenkundige Disharmonie, jene veritable Diskrepanz von soll und ist, die nach Ausgleich ruft, ja schreit. Dabei hatte sich das Unwetter angekündigt, Gelegenheit genug, sich darauf einzustellen, Regenkleidung und Schirm hervorzuholen, sogar den Tagesablauf so abzustimmen, dass es nicht allzu ungemütlich würde, also Vorsorge zu treffen.

Auf all das zu verzichten charakterisiert die Gedankenlosigkeit ebenso, wie auch der mitleidige Betrachter den Gedanken an dieses Segment sinnvollen wie normalen Verhaltens ausblendet. Würde er den Gedanken an das Selbstverschulden einbinden, könnte er nur schwerlich dem Gefühl des Mitleids erliegen. Mitleid ist eine zutiefst menschliche Regung, die über ein Gefühl hinausgeht, der Unterschied zwischen Fühlen und Gefühlen, die Summe aus Fühlen und Regung. Auch der Unterschied zwischen Reaktion und Abprallen. In dieser Reflektion wird Mitleid zum Reflex, blendet reflektierende Gedanken aus.

Das Fleisch wird willig, der Geist schwach.