U.H. Wilken 9 – Western - U.H. Wilken - E-Book

U.H. Wilken 9 – Western E-Book

U. H. Wilken

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Beschreibung

U. H. Wilken war einer der ganz großen Autoren, die den Western prägten und entscheidend zum Erfolg dieses Genres beitrugen. Er versteht es besonders plastisch spannende Revolverduelle zu schildern und den ewigen Kampf zwischen einem gesetzestreuen Sheriff und einem Outlaw zu gestalten. U. H. Wilken ist zugleich einer der bestinformierten Autoren und kennt sich genau in der Historie des Wilden Westens aus. Was er schreibt, lässt sich hautnah belegen. Ein Meister seines Fachs, der mit Leidenschaft und Herzblut die großen Geschichten nachzeichnet, die sich in der Gründerzeit ereigneten. »He, Marshal!«, drang eine Stimme über die nächtliche Straße. »Hören Sie mich?« Im Office des Marshals war noch Licht, sickerte durch die verblichenen Gardinen und erhellte ein Stück des Bretterstegs vor dem Steinhaus. In einer der Zellen knarrte eine harte Pritsche; ein Mann richtete sich mit dem Oberkörper auf und horchte angestrengt. »Marshal, kommen Sie …« Wieder ertönte die leise Stimme, von Furcht durchdrungen. Ächzend erhob sich der Mann von der Pritsche, langte zur Winchester und kam mit flachen Schritten aus der offenen Zelle hervor, bewegte sich fast lautlos durchs Office und zog die Gardinen zur Seite. Lauernd blickte er über die Straße und erkannte drüben eine schattenhafte Gestalt. Es war ungewöhnlich still in der Stadt, die Straße war wie leer gefegt. Mit dumpfem Knurren wanderte der Mann vom Fenster ab, löschte das Licht und öffnete die Tür, trat hinaus und blickte wachsam aus dem tiefen Schlagschatten des Vordaches hervor. »Was willst du, zum Teufel?«, rief er. »Warum weckst du mich?« Vorsichtig kam der andere Mann drüben aus der dunklen Hofeinfahrt, doch er traute sich nicht auf die Straße hinaus. »Einer von den Sheltons ist in der Stadt, Marshal!«, antwortete er unterdrückt. »Er steht in meinem Saloon und wartete auf irgendetwas!« Das harte Gesicht des Marshals nahm einen strengen Ausdruck an. Die Augen glitzerten kalt.

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U.H. Wilken – 9 –

Marshal Einauge

Er war ein ungewöhnlicher Mann und als es knallte, stand er allein gegen eine Übermacht

U.H. Wilken

»He, Marshal!«, drang eine Stimme über die nächtliche Straße. »Hören Sie mich?«

Im Office des Marshals war noch Licht, sickerte durch die verblichenen Gardinen und erhellte ein Stück des Bretterstegs vor dem Steinhaus.

In einer der Zellen knarrte eine harte Pritsche; ein Mann richtete sich mit dem Oberkörper auf und horchte angestrengt.

»Marshal, kommen Sie …«

Wieder ertönte die leise Stimme, von Furcht durchdrungen.

Ächzend erhob sich der Mann von der Pritsche, langte zur Winchester und kam mit flachen Schritten aus der offenen Zelle hervor, bewegte sich fast lautlos durchs Office und zog die Gardinen zur Seite. Lauernd blickte er über die Straße und erkannte drüben eine schattenhafte Gestalt. Es war ungewöhnlich still in der Stadt, die Straße war wie leer gefegt.

Mit dumpfem Knurren wanderte der Mann vom Fenster ab, löschte das Licht und öffnete die Tür, trat hinaus und blickte wachsam aus dem tiefen Schlagschatten des Vordaches hervor.

»Was willst du, zum Teufel?«, rief er. »Warum weckst du mich?«

Vorsichtig kam der andere Mann drüben aus der dunklen Hofeinfahrt, doch er traute sich nicht auf die Straße hinaus.

»Einer von den Sheltons ist in der Stadt, Marshal!«, antwortete er unterdrückt. »Er steht in meinem Saloon und wartete auf irgendetwas!«

Das harte Gesicht des Marshals nahm einen strengen Ausdruck an. Die Augen glitzerten kalt. Er nickte kaum merklich.

»Geh zurück! Ich bin gleich da.«

»Ist gut, Marshal«, flüsterte es aus dem Dunkel hervor, dann hasteten Schritte davon.

Nachdenklich verharrte Jim Cole vor seinem Office und lauschte dem Raunen des Nachtwindes. Langsam schweifte der Blick über die dunklen Hausfronten und blieb lange an der hellen Lichtbahn des Saloons haften. Plötzlich wandte er sich ab, stapfte ins Office zurück und machte wieder Licht. Düster starrte er in die zuckende Flamme unterm gläsernen Zylinder und kniff den Mund zusammen. Bedächtig legte er die Winchester auf den Tisch und ging zum kleinen Schrank, langte hinein und kam mit Munition zurück.

Es klirrte metallisch, als er das Gewehr nachlud. Eine Patrone entfiel ihm und rollte über den Boden, schlug gegen den kalten Röhrenofen und blieb schließlich vor den bloßen Füßen eines jungen Burschen liegen, der aus dem Nebenraum gekommen war und nur seine derbe enge Hose trug.

»Du willst noch einen Rundgang machen, Daddy?«, fragte der Junge erstaunt und sah schnell zur Standuhr hinüber. »Du hast doch noch Zeit.«

»Ja, du hast recht, ich sollte mir Zeit nehmen«, murmelte Jim Cole und lächelte dünn, »aber ich bin nun mal auf und werde auch durch die Stadt gehen. Leg dich wieder hin, mein Junge.«

Sein Sohn zögerte. Das dunkle Haar hing wirr vom Schlaf in die Stirn, und die dunkelblauen Augen blickten verschlafen ins Licht.

»Soll ich uns Kaffee machen, Dad? Ich kann jetzt auch nicht schlafen.«

Cole schien zu überlegen. Er wollte dem Sohn nicht sagen, dass ein Bandit im Saloon war. Billy würde es früh genug erfahren. Schüsse würden ihm jäh darüber Auskunft geben, wohin der Vater gegangen war.

»Na, schön, Billy, koch uns was.«

Der siebzehnjährige Sohn nickte und blickte ihm nach, wie er zur Tür ging. Dann klappte die Tür auch schon hinter ihm zu.

Jim Cole sprang vom erhöhten Gehsteig und stapfte über die Straße. So weit er sehen konnte, war nirgendwo ein Mensch zu erkennen. Sternenlicht fiel auf Coles Gesicht, als er den Stetson lüftete, und graues strähniges Haar fiel in den Nacken. Die steingrauen Augen hatten einen leblos kalten Ausdruck angenommen, der kaum etwas von den Gedanken verriet, die ihn bewegten.

Es war so still in der Town, dass Coles Radsporen überlaut an den staubigen abgetretenen Stiefeln klirrten. Er kam dem Saloon immer näher und erreichte die andere Straßenseite, blieb einen Atemzug lang hinter einem Dachpfosten stehen und sah zum Sattelpferd hinüber, das einsam an der Haltestange des Saloons stand. Kein Geräusch tönte aus dem Saloon.

Einer von den Sheltons …

Jim Cole verzog den Mund, als wollte er lächeln. In seinem Office hingen die Steckbriefe der Sheltons. Sieben Brüder waren es, von einem Staat in den anderen gehetzt und gejagt, ewig und immer auf der Flucht. Niemand wusste mehr, wie es einst begonnen hatte, aber immer neue Verbrechen wurden bekannt: Überfälle auf Postkutschen, Banken und Lohnboten. Und immer wieder hatte es Tote gegeben.

Nun war ein Shelton in dieser Stadt. Cole war misstrauisch; wo ein Shelton war, da konnten die anderen nicht weit weg sein. Manchmal, so hieß es, kamen sie in die Städte, um Proviant zu kaufen oder zu rauben, und manchmal wollten die Sheltons ganz einfach mal wieder das Leben in einer Stadt kennenlernen. Dann waren sie aus der Wildnis geflohen und suchten die Nähe anderer Menschen.

Kein Mensch, selbst sieben Brüder nicht, konnte ewig in der Einöde hausen, abseits des Lebens und der festen Häuser, dort, wo es Whisky gab und Frauen.

Jim Cole stand schräg vor dem Saloon. Er blieb neben dem Gehsteig, weil ihn die knarrenden Bretter verraten hätten. Links von ihm gähnte die dunkle Einfahrt zum Hinterhof. Er wollte schon weitergehen, als er ein fernes Feuer sah, das wie ein rotes Auge durch die Schwärze der Nacht glühte: Es war weit draußen auf der Ebene, vor den Bergzügen, die sich dunkel und wie riesige Tiere unter dem Himmel streckten.

»Wenn ihr dort seid, dann müsst ihr euch beeilen«, murmelte er düster, »aber vielleicht soll das Feuer die anderen verständigen. Vielleicht sind sie von einem Aufgebot auseinandergejagt worden und suchen sich jetzt …«

Er hob die Winchester ein wenig an, hielt sie in der Rechten und machte die wenigen Schritte bis zur Tür, drückte sie auf und betrat den Saloon, wich sofort von der Tür weg und drückte den Rücken an die Wand.

Zwei Männer hockten steif und krumm an einem Tisch und wagten sich nicht hinaus. Der Keeper, der Cole gerufen hatte, stand mit blassem Gesicht hinter der langen Theke und hatte eine Hand ins Wischtuch gekrallt.

Shelton hatte soeben noch an der Theke gelehnt; jetzt hatte er die Beine gespreizt und die Hände in unmittelbarer Nähe der Colts. Es war einer der jüngsten Sheltons, ein abgemagerter Mann mit dem unruhigen Ausdruck der Rastlosigkeit im Gesicht, mit flackernden Augen und nervösem Zucken um den Mund.

»Marshal?«, flüsterte er klanglos.

»Yeah!«

Cole nickte und ließ ihn nicht aus den Augen.

»Marshal Jim Cole«, fügte er nach einem Atemzug hinzu, »vierzig Jahre alt, verwitwet, einen Sohn …«

Es klang bissig.

Über das Gesicht des Banditen sickerten Schweißperlen und zogen dünne helle Striche in die Staubschicht. Trotz seiner Anspannung war ihm anzumerken, wie müde und abgetrieben er war.

»Ich wollte nur einen Whisky trinken, Marshal«, sagte Shelton, »nur das, nichts anderes. Und ich habe geglaubt, dass Sie jetzt schliefen. Ich wollte gleich wieder verschwinden.«

»Das glaube ich dir sogar.« Coles Stimme war dennoch unduldsam. »Ihr Sheltons seid bald am Ende. Wie viele Jahre werdet ihr schon gejagt, he? Fünf, acht Jahre? Oder noch mehr? Ich will’s nicht wissen. Drüben im Office hängen die Steckbriefe. Du bist Jonathan Shelton, nicht wahr?«

»Ja.«

Ein Hauch von Verzweiflung huschte über das Gesicht des Banditen. Er war mit den Nerven fertig. Der Marshal versperrte ihm die Tür und den Weg zu seinem Pferd.

»Ihr seid nicht anders als alle anderen Banditen«, sagte Jim frostig. »Erst beginnt ihr klein, raubt nur. Dann wird es schlimmer, und ihr legt alle um, die euch im Weg sind. Ihr werdet wie reißende Wölfe, die viele Rinder zerfetzen, obwohl sie von einem einzigen Rind satt werden. Ihr jagt durch die Staaten und bringt brave Leute um. Marshals und Sheriffs suchen euch, jagen euch – fünf Jahre und länger. Und dann seid ihr fertig und kommt, um einen Whisky zu trinken, nur einen. Und ihr glaubt dann auch noch, dass man euch laufenließe. Zum Henker, Jonathan Shelton, so geht das nicht! Du wirst dich ergeben müssen, wenn du noch ein paar Tage länger leben willst. So schnell bekommen wir keinen Richter hierher. Hebe die Hände hoch und gib auf.«

Der Bandit zitterte. Er machte einen erbärmlichen Eindruck, aber er konnte nicht mit Mitleid rechnen. Und er war noch immer furchtbar gefährlich, gerade jetzt, wo er in die Enge getrieben worden war, wo ihm der Galgen drohte.

»Ich – ich will nicht!«, keuchte er und atmete rasselnd, wich an die Theke zurück und wischte mit flatternder Hand über die Stange hinweg. »Du bekommst mich nicht, Cole. Noch niemand hat uns Sheltons bekommen, niemand!«

»Du bist so dumm, dass dich die Schweine beißen, Jonathan Shelton. Glaubst du, du könntest noch wegkommen? Wenn ich das zuließe, dann wäre ich ein verdammt schlechter Marshal. Ich kann dir nur ein paar Tage Leben schenken, das ist alles. Ich will nicht dein Richter sein. Es gibt kluge Leute, die ihre Nase oft in dicke Bücher stecken. Diese Leute sollen über dich richten. Es ist zu spät, Jonathan. Das Feuer auf der Ebene nützte dir nichts mehr. Deine Brüder kommen zu spät.«

Draußen strich der Wind am Saloon vorbei, und Staub trieb über die öde Straße. Horchend neigte Cole den Kopf; er hörte Schritte im körnigen Sand.

»Billy?«, rief er halblaut und kehlig und starrte Jonathan Shelton unverwandt an.

»Ja, Dad!«, kam es hell zurück. Schritte stapften über den ausgedörrten Gehsteig.

»Bleib draußen, Billy!«

Die Schritte verstummten.

Jonathan Shelton beugte sich verkrampft vor. Irre Lichter tanzten in den Augen.

»Auch du wirst einmal in die Knie gehen, Cole!«, zischelte er. »Ich weiß nicht wie, aber meine Brüder werden es schon noch schaffen.«

Wieder wurden Schritte laut, und dann verharrte Billy an der Schwingtür und blickte herein.

»Dad, was ist denn hier …«

»Verschwinde von der Tür!«, brüllte Jim Cole und wuchtete den linken Stiefel gegen die Türflügel. »Hau schon ab, sonst …«

Ein Schrei gellte durch den Saloon. Den Mund weit aufgerissen, die Augen starr auf Jim Cole gerichtet, riss Jonathan Shelton beide Coltrevolver aus den Halftern und feuerte. Doch sein verzweifelter Widerstand nützte nichts; zwar schlug ein Bleihagel gegen Tür und Wand, aber die Kugeln verfehlten Jim Cole. Während Cole noch taumelte, warf er mit der rechten Hand die Winchester hoch und riss am Abzug, ohne dabei die linke Hand zu benutzen.

Im Aufbrüllen der Winchester fiel Jonathan Shelton gegen die Theke, stand sekundenlang still und rutschte dann mit dem Rücken daran hinunter. Tot saß er an der Fußstange, kippte weg und stieß den Spucknapf um. Es klang hohl und blechern.

Kreisend bewegten sich die blassen Wolken des Pulverrauchs um die Lampen und zogen zur Türöffnung.

Daneben stand Jim Cole und presste die linke Hand aufs linke Auge. Schmerz zerriss sein Gesicht, und leises, angehaltenes Stöhnen kam über die Lippen. Polternd fiel er gegen die Wand und hielt noch immer die Winchester.

»Daddy!« Sein Sohn stürmte herein und stützte ihn. »Bist du getroffen worden? Mein Gott, Dad, sag’ doch was!« Seine Stimme überschlug sich, quietschte hell vor Angst.

Mühsam bezwang der Marshal den Schmerz. Er nahm die Hand nicht vom Auge.

»Nein, es ist sonst nichts, Billy. Ich muss zum Doc … Lass den Kerl liegen … Stickens, sorge für die Beerdigung.«

Der Keeper nickte.

Cole drehte sich um und ging hinaus. Gebeugt schritt er über die Straße, blieb auf einmal stehen und sagte zu seinem Sohn:

»Geh zurück, Billy. Kümmere dich um den Kaffee. Nein, komm’ nicht mit.«

Er ließ ihn stehen und verschwand wenig später im Haus des Arztes.

Billy schluckte schwer, blickte mit brennenden Augen zum Haus und stand noch lange allein mitten auf der Straße. Draußen auf der Ebene verglühte das Feuer.

*

Niemals würde Billy jenen Augenblick vergessen, als sein Vater zurückkehrte.

Billy hockte am Tisch im Office und hatte Kanne und Tassen darauf gestellt. Er hörte schwere Schritte auf dem Brettersteg und erhob sich unwillkürlich, blickte zur Tür und wartete ungeduldig und besorgt.

Langsam wurde die Tür geöffnet, und Jim Cole stand dort. Mit seiner großen schweren Figur füllte er fast den ganzen Rahmen aus. Billy konnte noch nicht sein Gesicht erkennen und war schon froh, als er sah, wie sein Vater beide Arme bewegte; er konnte also nicht getroffen worden sein.

»Dad, ich habe den Kaffee …«

»Schon gut, mein Junge«, unterbrach Cole und schloss die Tür hinter sich, drehte sich seinem Sohn zu und verharrte im Lichtschein.

Billy erschrak. Eine schwarze Klappe bedeckte das linke Auge seines Vaters. »Dad, was ist mit dem Auge?«, flüsterte Billy mit belegter Stimme.

Cole kam näher und legte die Winchester auf den Tisch, setzte sich ächzend und blickte Billy mit dem rechten Auge ernst an.

»Ich stand zu dicht an der Wand, Billy. Eine von Sheltons Kugeln riss das Holz auf. Ein Holzsplitter ist in das Auge gedrungen. Mein linkes Auge ist hin.«

»Du kannst nie wieder damit sehen, Dad?« Billy war ein wenig grau im Gesicht geworden.

Cole nickte.

»Aber das rechte Auge ist in Ordnung, Billy.« Er verzog grimmig den Mund. »Damit kann ich die Brüder Shelton noch immer gut genug erkennen.«

»Du willst doch nicht gegen die Sheltons kämpfen, Dad?«, stieß Billy erregt hervor.

»Ich muss es sogar tun, Billy. Die Sheltons werden den Tod ihres Bruders rächen wollen. Ich bin nun einmal US-Marshal und habe hier mein Office. Glaubst du, ich würde jetzt aufgeben? Nein, Billy.«

»Das ist Wahnsinn! Du kannst nicht mehr so gut wie sonst schießen, Dad.«

Cole blickte düster über den Tisch. Das Haar klebte schweißnass im Nacken. Ihm waren die Schmerzen nicht anzumerken. In Gedanken schien er weit weg zu sein.

»Ich werde mich daran gewöhnen, Billy. Morgen beginne ich mit dem Übungsschießen.«

Er erhob sich, ging zur großen Tafel, wo all die Steckbriefe hingen, und riss das Blatt mit Jonathan Sheltons Konturen herunter, knüllte es zusammen und warf es in den kalten Ofen. Dann nahm er wieder Platz.

»Trinken wir den Kaffee, Billy.«

*

Als es Tag geworden war, stand Billy draußen vor der Stadt und lehnte am alten brüchigen Stangencorral, starrte unruhig über die Ebene und suchte nach Reitern.

Die Ebene war leer; nirgendwo war Bewegung.

»Hallo, Billy!«

Eine leise, weiche Stimme rief ihn an, und als er sich umdrehte, sah er Jill Stewart auf sich zukommen. Jill war ein zierliches und schönes Mädchen in seinem Alter. Ihre blonden Haare leuchteten im Sonnenschein. Mit braunen Augen blickte sie ihn an.

»Ich habe gehört, was geschehen ist, Billy. Es tut mir sehr leid um deinen Vater.«

Billy lächelte unruhig.

Er hatte schon oft mit Jill gesprochen. Sie verstanden sich gut. Vielleicht liebten sie sich, aber sie waren sich über ihre Gefühle noch nicht klar geworden.

»Dann bist du der einzige Mensch in dieser Stadt, dem es leidtut, Jill«, erwiderte er. »Mein Vater ist nicht gerade beliebt. Die Leute mögen ihn nicht, ich spüre das doch. Sie wollen Ruhe und Ordnung, aber nicht den Vertreter des Gesetzes. Seltsam, wie?«

Jill blieb neben ihm am Corral stehen und legte die Arme über den Holzzaun.

»Dein Vater wird doch jetzt mit diesem gefährlichen Leben Schluss machen«, sagte sie leise. »Wo ist er denn jetzt? Beim Doc?«

Billy wollte antworten, als auf der anderen Seite der Stadt Gewehrschüsse aufpeitschten. Der scharfe Knall fegte über die Dächer der Häuser hinweg und verebbte grollend auf der Ebene. Wieder fielen Schüsse, scharf und schnell.

Jill war blass geworden. Sie hatte die Augen geweitet und glaubte wohl an einen Überfall.

»Die Sheltons kommen, Billy!«

»Nein, Jill.« Billy blieb ruhig am Corral stehen und blickte über die staubige Straße. »Das ist mein Vater. Er schießt mit der Winchester. Er wird auch mit einem Auge sehen und schießen können. Dad legt den Stern nicht ab.«

Sie schluckte schnell, entspannte sich langsam. Besorgt sah sie Billy an.

»Und wenn die Sheltons kommen, Billy? Es sollen doch noch sechs Brüder sein. Sechs Banditen gegen deinen Vater – das wird niemals gut gehen.«

»Ich werde auch kämpfen, Jill. Ich lasse meinen Vater nicht im Stich.«

Sie zitterte und krampfte die Hände um die Zaunlatte.

»Willst du dich erschießen lassen, Billy? Mein Gott, das darfst du nicht tun!«

»Mein Vater ist allein, Jill. Die Leute wollten doch schon längst einen Sheriff wählen, aber sie haben es bisher nicht getan. Sie werden auch Dad nicht helfen. Ich bin sein Sohn. Ich muss ihm helfen und beistehen.«

»Ich habe Angst um dich, Billy!« Sie trat dicht zu ihm heran und erfasste seine linke Hand. »Billy, tu’s nicht, hör’ auf mich. Dein Vater ist so stur. Warum legt er nicht den Stern ab?«

»Es würde nichts nützen, Jill. Die Sheltons sehen nicht mehr auf seinen Stern. Sie werden nur meinen Vater sehen. Ich hab’s Dad doch auch schon gesagt, Jill. Er hört nicht auf mich. Aber ich weiß, dass er über alles nachgedacht hat. Niemand kann meinen Vater ändern.«

*

Drei Reiter kamen über die Ebene. Der Staub der Berge haftete an der durchschwitzten Kleidung. Bärtig und verschmutzt waren die knochigen, abgezehrten Gesichter, und ein unheilvolles Feuer loderte in den Augen.

Sie hatten große Ähnlichkeit miteinander. Jedem war die Rastlosigkeit ins Gesicht gezeichnet. Sie waren wie hungrige Wölfe, die blindlings über ihr Opfer herfallen würden.

Kühl wehte der Wind über das nächtliche Land. Der Bodendunst wallte in Fetzen um die stampfenden Hufe der Pferde.

»Hier war ein Feuer.«

Heiser klang die Stimme über die dunkle, verbrannte Stelle im Grasland hinweg.

»Das muss gestern gewesen sein«, sagte der zweite Reiter.

»Wer von uns kann in der Stadt sein?«, fragte der dritte und starrte zu den fernen Häusern hinüber, wo Licht viele kleine und helle Punkte in die Dunkelheit der Nacht zeichnete.

»Wir werden es ja sehen. Kommt!«

Wieder stampften die Hufe über die Ebene, vorbei an der verkohlten Feuerstelle. Das Sattelleder rieb leise knarrend, das Zaumzeug klirrte schwach, und die Sporen an den Stiefeln der drei Sheltons rasselten wie Klapperschlangen.

Die Nacht gab ihnen Schutz. Der Himmel war bedeckt, und nur durch wenige Wolkenlücken sickerte bleiches Mondlicht. Langsam näherten sie sich den Häusern. Sie vernahmen das kurze Kläffen eines Hundes und ein paar verworrene Stimmen, die wohl aus dem Saloon tönten. Irgendwo klapperte eine lockere Fensterluke im Wind.

Als sie der Stadt nahe genug gekommen waren, verhielten sie und horchten.

Die Schritte eines Mannes dröhnten über den Brettersteg und weckten dumpfe Echos zwischen den Häusern.

»He, Marshal, warten Sie doch mal!«

Die Schritte verstummten.

Eine Tür knarrte und pendelte hin und her. Die Stimme aus dem Saloon wurde abwechselnd laut und leise – immer laut, wenn die Schwingtür aufschlug.

»Ja, was ist denn, Stickens?«

Eine raue Stimme klang über die Straße hinweg, und der Wind trug sie über die dunklen Hinterhöfe und zu den Sheltons.

»Ich habe die Taschen von Jonathan Shelton durchsucht und siebzig Dollar und ein paar Cents gefunden. Dafür macht der Tischler den Sarg. Shelton liegt in der Sargmacherei. Er soll morgen unter die Erde kommen.«

»Gut, dass du mir das abgenommen hast, Stickens.«