Übungen in der Neurorehabilitation - Doris Brötz - E-Book

Übungen in der Neurorehabilitation E-Book

Doris Brötz

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Beschreibung

<p>Sie behandeln Patienten und Patientinnen mit neurologischen Dysfunktionen und sind auf der Suche nach neuen Übungsideen? Dann erweitern Sie Ihr Übungsrepertoire:</p> <p>In diesem Buch erhalten Sie konkrete Übungsvorschläge zur Behandlung unterschiedlicher neurologischer Erkrankungen, auch seltene Erkrankungen sind berücksichtigt. Exakte Übungsbeschreibungen und anschauliche Fotos von Patienten und Patientinnen in der Übungssituation ermöglichen Ihnen, das Gezeigte sofort in Ihre Behandlungen zu integrieren. Mit lernpsychologisch fundierten Trainingsmethoden wirken Sie dem Verlust von Bewegungskontrolle entgegen und bieten Ihren Patienten und Patientinnen ein wissenschaftlich gut gesichertes physiotherapeutisches Übungsprogramm.</p> <p>Sie lernen gut strukturiert und verständlich dargestellt:</p> <ul> <li>Neurologische Grundlagen</li> <li>Motorisches Lernen und Motivation</li> <li>Hintergründe zu den neurologischen Erkrankungen</li> <li>Untersuchungsmethoden</li> <li>Gesichtspunkte zur Verlaufskontrolle</li> <li>Zielvereinbarung</li> <li>Übungsbeispiele für leicht bis schwer betroffene Patienten</li> <li>Selbstverstärkende Mottos für den Patienten</li> </ul> <p>Ihnen werden neurowissenschaftliche Grundlagen zur Physiologie und Pathophysiologie des Nervensystems vermittelt und Forschungsergebnisse zum Motorischen Lernen vorgestellt. In alle Inhalte fließt die langjährige Erfahrung der Autorin ein.</p>

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Seitenzahl: 211

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Übungen in der Neurorehabilitation

Doris Brötz

2., unveränderte Auflage

317 Abbildungen

Vorwort

„Es wird“ – mit dieser Bemerkung hat unser Leiter des Zirkusorchesters die Motivation der Musiker angetrieben, nachdem wir ein neues Stück miserabel gespielt hatten. „Es wird“ heißt: Man kann lernen, sich durch Übung verbessern – wenn man will. Tatsächlich haben wenige Hinweise und viele Wiederholungen geholfen. Wir haben immer besser zusammengespielt, das Motiv des Stückes wurde erkennbar, Schwung und Spaß kamen ins Spiel. Bis zur Premiere haben wir alle Stücke gut gespielt. Nicht sehr gut – das mussten wir auch nicht, wir waren ja ein Hobbyorchester.

Genau so soll die Rehabilitation bei neurologischen Erkrankungen sein: getragen von dem Optimismus, dass man durch Übung seine Leistungen verbessern kann – wenn man will. Und man soll auch nicht den Anspruch haben, perfekt zu werden. Seine Bewegungen etwas besser kontrollieren zu lernen und einige Aufgaben des Alltags wieder selbstbestimmt zu bewältigen, sind gute erste Ziele.

Nun basiert meine Arbeit nicht nur auf Optimismus, sondern auf wissenschaftlichen Erkenntnissen und meiner jahrelangen Erfahrung in der Behandlung von Patienten. Schon immer hat mich die strukturierte Analyse meiner Physiotherapie interessiert. Was hilft welchem Patienten am besten? Und wie erkenne ich die korrekte Zuordnung von Patient und Behandlungsstrategie? Die konkrete Umsetzung von der Analyse des Problems des Patienten über die Zielvereinbarung bis zum Übungsplan findet sich in diesem Buch.

Ich danke allen Patienten, die sich mir anvertraut und mir dadurch ermöglicht haben, so viele Erkenntnisse zu gewinnen. Ich danke den Patienten, die bereit waren, sich fotografieren und in diesem Buch abbilden zu lassen.

Ich danke meinen Kollegen für die engagierte Zusammenarbeit und den Austausch wertvoller Gedanken.

Mein Dank gilt auch all meinen wissenschaftlichen Wegbegleitern. Der Raum reicht nur, um einige namentlich zu nennen. An erster Stelle danke ich Prof. Johannes Dichgans, der mir gestattete, in seiner Neurologischen Universitätsklinik Tübingen wissenschaftliche Arbeiten zu initiieren, lange bevor Physiotherapie eine wissenschaftliche Disziplin war. Ich danke Dr. Johannes Streffer und Annette Götz, die mit mir zusammen die ersten Studienentwürfe geschrieben und die ersten strukturierten Untersuchungen durchgeführt und publiziert haben. Ich danke Prof. Michael Weller und Prof. Hans-Otto Karnath für die tatkräftige Unterstützung und den intensiven Einzelunterricht in der Planung, Durchführung und Publikation wissenschaftlicher Studien. Ich danke Prof. Niels Birbaumer, der mir die Gelegenheit gab, durch die Mitarbeit in seinem Institut für Medizinische Psychologie und Verhaltensneurobiologie ganz neue Einblicke in die Neurowissenschaften zu erhalten, um diese in der Physiotherapie umzusetzen.

Nicht zuletzt danke ich allen Mitarbeitern des Thieme Verlages, die in freundschaftlicher Zusammenarbeit das Erscheinen dieses Buches ermöglicht haben.

Meiner Familie gewidmet, die mich stets unterstützt und inspiriert.

Doris Brötz, Tübingen im März 2015

Geleitwort

Fast alle Erkrankungen des Nervensystems gehen mit Einschränkungen der Beweglichkeit bis zu vollständigen Lähmungen einher. In den meisten Fällen existieren keine kurativen (heilenden) Verfahren, wenngleich die Intensivierung der Hirnforschung und Immunologie in den letzten Jahrzehnten bei einigen Krankheitsbildern wie der multiplen Sklerose deutliche Fortschritte in der medikamentösen Behandlung brachten. Trotzdem sind chronische und scheinbar irreversible Einschränkungen eher die Regel als die Ausnahme. Hier setzt die Physiotherapie, vor allem die von Frau Brötz entwickelte verhaltensorientierte Physiotherapie ein: Sie nutzt die enorme Plastizität und Formbarkeit des Gehirns (auch des alternden Gehirns) aus und setzt dazu lernpsychologisch fundierte Trainingsmethoden ein, die in diesem Buch beschrieben werden. Besonders verdienstvoll an diesem Buch sind die direkten Anleitungen für spezifische Bewegungsprobleme bei den verschiedenen Krankheiten. Das mag oft überflüssig erscheinen und wiederholt sich, ist aber für Patienten und ihre Betreuer und Familien von essentieller Wichtigkeit. Man „vergisst“ oft für den Erhalt oder das Wiedererlangen der Beweglichkeit gerade jene Bewegungen, die mit Schmerzen oder Unbehagen verbunden sind. Schonhaltungen und Mangelnutzung führen im Gehirn aber zu Wachstum und Plastizität in den gesunden Hirn- und Rückenmarksbereichen, während die kranken und nicht benutzten Bahnen und Nervenzellen oft rasch untergehen oder keine neuen Verbindungen ausbilden. Genau diesen degenerativen Vorgängen wirkt ein wissenschaftlich gut gesichertes physiotherapeutisches Training wie es Frau Brötz hier vorstellt, entgegen. Bei einer großen kontrollierten Studie zum chronischen Schlaganfall ohne Restbewegung, die wir gemeinsam mit Frau Brötz realisierten, haben sich die hier vorgestellten Trainingsschritte hervorragend bewährt. Es ist zu hoffen, dass sie unter Physiotherapeuten und Ärzten rasch Verbreitung finden, aber vor allem auch Patienten und ihre Betreuer (oft Familienmitglieder) in die Lage versetzen, selbst ihr „Bewegungsschicksal“ in die Hand zu nehmen. Gerade darauf zielt das hier beschriebene Vorgehen: Stabile Selbstkontrolle beim Wiederaufbau oder Erhalt bzw. Verzögern des Verlustes von zielführenden Bewegungen.

Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Niels Birbaumer

Inhaltsverzeichnis

Titelei

Vorwort

Geleitwort

1 Einführung in die Neurorehabilitation

1.1 Einleitung

1.2 Gehirn: Netzwerk vielfältiger Funktionen mit enormer Plastizität

1.3 Rückenmark

1.4 Pyramidenbahn

1.5 Peripheres Nervensystem

1.6 Zusammenwirken

1.6.1 Ziele

1.7 Lernen, Verlernen und Verhalten

1.7.1 Motivation und Frustration – was treibt uns an?

1.7.2 Verhalten

1.7.3 Berufspolitische Randbemerkung

1.8 Struktur aller Kapitel dieses Buches

1.8.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

1.8.2 Klinische Untersuchung und Zielvereinbarung

1.8.3 Übungsprinzip

1.8.4 Übungen

1.8.5 Literatur

2 Halbseitenlähmung

2.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

2.1.1 Typische Symptome

2.2 Klinische Untersuchung und Zielvereinbarung

2.3 Übungsprinzip

2.4 Übungen

2.4.1 Basale Fähigkeiten

2.4.2 Gelenkmobilisierung

2.4.3 Übungen zur Aktivierung der Muskulatur

2.4.4 Gegenstände greifen – transportieren – loslassen

2.4.5 Stehen und Gehen

2.4.6 Schutzschritte und vom Boden aufstehen

2.4.7 Gesichtsmotorik

2.4.8 Literatur

3 Parkinson-Syndrom

3.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

3.1.1 Typische Symptome

3.1.2 Ursachen

3.1.3 Medikamentöse und operative Therapie

3.2 Klinische Untersuchung und Zielvereinbarung

3.3 Übungsprinzip

3.4 Übungen

3.4.1 Basale Fähigkeiten

3.4.2 Gelenkmobilisierung und Muskelentspannung

3.4.3 Kräftigung im Sinne der Aufrichtung gegen die Schwerkraft

3.4.4 Stand- und Gangsicherheit, Ausdauer und Spaß

3.4.5 Mimik und Mundschluss

3.4.6 Hand-Arm-Geschicklichkeit mit Spaß

3.4.7 Literatur

4 Enzephalomyelitis disseminata (Multiple Sklerose)

4.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

4.1.1 Typische Symptome

4.2 Klinische Untersuchung

4.3 Zielvereinbarung, Übungsprinzipien und Übungsanleitungen

4.3.1 Literatur

5 Ataxie

5.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

5.1.1 Typische Symptome

5.2 Einteilung nach dem Ort der Schädigung

5.2.1 Zerebelläre Ataxie

5.2.2 Anatomie und Aufgaben des Kleinhirns

5.2.3 Sensible Ataxie

5.3 Klinische Untersuchung und Zielvereinbarung

5.4 Übungsprinzip: koordinative Physiotherapie

5.5 Übungen

5.5.1 Basale Fähigkeiten

5.5.2 Gelenkmobilisierung in koordinativen Bewegungsabläufen

5.5.3 Übungen mit dem Schwerpunkt Balance und Gehen

5.5.4 Übungen mit dem Schwerpunkt Feinmotorik der Hand

5.5.5 Augen-Kopf-Koordination

5.5.6 Literatur

6 Querschnittslähmung

6.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

6.1.1 Typische Symptome

6.2 Klinische Untersuchung und Zielvereinbarung

6.3 Übungsprinzip

6.4 Übungen

6.4.1 Basale Fähigkeiten und Beweglichkeit

6.4.2 Bewusste Ansteuerung aller teilweise gelähmten Muskeln

6.4.3 Rollstuhl fahren

6.4.4 Beinbewegungen und Gehen

6.4.5 Schutzschritte

6.4.6 Stabilisierung der Wirbelsäule und Kräftigung

6.4.7 Literatur

7 Amyotrophe Lateralsklerose

7.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

7.1.1 Typische Symptome

7.1.2 Ursachen

7.2 Klinische Untersuchung und Zielvereinbarung

7.3 Übungsprinzip: aktiv – aktiv unterstützt und kompensatorisch – passiv

7.4 Übungen

7.4.1 Basale Fähigkeiten

7.4.2 Gelenkmobilisierung, Atemvertiefung und Kräftigung

7.4.3 Gehen und Schutzschritte

7.4.4 Vom Boden aufstehen

7.4.5 Alltägliche Aktivitäten

7.4.6 Literatur

8 Seltene Erkrankungen – Beispiele

8.1 Einleitung

8.2 Choreatiforme Bewegungsstörung

8.2.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

8.2.2 Typische Symptome

8.2.3 Ursachen

8.2.4 Klinische Untersuchung und Zielvereinbarung

8.2.5 Übungsprinzip

8.2.6 Übungen

8.3 Spastische Spinalparalyse

8.3.1 Hintergrund und Krankheitsursachen

8.3.2 Klinische Untersuchung und Zielvereinbarung

8.3.3 Übungsprinzip

8.3.4 Übungen

8.3.5 Literatur

Anschriften

Sachverzeichnis

Impressum

1 Einführung in die Neurorehabilitation

1.1 Einleitung

Die Neurorehabilitation befasst sich mit der Behandlung von Menschen, deren Nervensystem eine Störung erfahren hat. Die Betroffenen leiden unter Beeinträchtigungen der Lebensqualität, die unter anderen durch Behinderungen von Bewegungen, Aktivitäten, Mobilität, Erwerbsfähigkeit und sozialen Kontakten ausgelöst wird. Rehabilitation strebt neben der Steigerung des Wohlbefindens auch eine Verbesserung auf allen anderen Ebenen an.

Untersuchung, Zielfindung, Übungsauswahl und Anleitung für Patienten mit neurologischen Erkrankungen bedürfen gewisser Grundkenntnisse und Fertigkeiten, die hier erklärt werden.

1.2 Gehirn: Netzwerk vielfältiger Funktionen mit enormer Plastizität

Das zentrale Nervensystem ist aus dem Gehirn und dem Rückenmark zusammengesetzt. Es empfängt Signale aus der Umwelt und aus der Peripherie des Körpers, verarbeitet diese und generiert daraus sinnvolle Reaktionen und Handlungen. Das periphere Nervensystem besteht aus Rezeptoren und Leitungsbahnen, die Informationen der Gefühlswahrnehmung aus der Peripherie zum Rückenmark und zum Gehirn leiten. Außerdem nimmt das periphere Nervensystem Impulse aus dem Gehirn auf und leitet sie zu den motorischen Endplatten in der Muskulatur, um dort eine Muskelkontraktion auszulösen.

Auf das vegetative Nervensystem, welches willentlicher Einflussnahme weitgehend unzugänglich ist, wird hier nicht weiter eingegangen.

Da die Funktion des Gehirns besonders komplex und wichtig für alle Belange sinnvollen Handelns ist, werden hier einige Zusammenhänge vereinfacht dargestellt.

Das Gehirn ( ▶ Abb. 1.1) kann grob in Großhirnrinde, tiefe Hirnareale und Kleinhirn unterteilt werden.

Abb. 1.1 Großhirnareale.

((aus Prometheus))

Die Großhirnrinde ist das Zentrum höherer Hirnleistungen von Bewusstsein und Verhalten.

Stirn (Lobus frontalis): Denken, Emotionen, Antrieb, Gedächtnis, Bewegungsplanung,

Scheitel (Lobus parietalis): Bewegen, Gefühlswahrnehmung,

Schläfe (Lobus temporalis): Sprechen, Verstehen,

Hinterhaupt (Lobus occipitalis): Sehen.

In einer tieferen Schicht der Großhirnrinde unter dem Scheitellappen liegt die Inselregion. Hier wird Mitgefühl für andere Lebewesen (Empathie) verarbeitet. Man vermutet, dass dafür spezielle Nervenstrukturen zuständig sind, die wegen des Abbildens z.B. von Bewegungen auf das Gehirn des Betrachters auch Spiegelneurone genannt werden.

Die tiefen Hirnareale ( ▶ Abb. 1.2) wirken als Schaltzentrale, die Impulse aus der Großhirnrinde, aus anderen tiefen Hirnarealen oder aus der Peripherie analysieren, verarbeiten und weiterleiten. Diese Hirnaktivitäten laufen überwiegend unbewusst ab.

Abb. 1.2 Hirnareale tiefe Schichten.

((aus Prometheus))

Limbisches System: Emotionen, Bewegungsantrieb, Affekte, Angst, Essverhalten,

Basalkerne (auch Basalganglien): Stimulierung und Hemmung von Bewegung, Belohnungssystem (Dopamin, Endorphin),

Thalamus: Sinneswahrnehmung, Bewegungsgefühl, Schmerz,

Kleinhirn: Koordination von Bewegung,

Hirnstamm: Atmung, Muskeltonus, Stoffwechsel.

[ ▶ [37]; ▶ [31]]

Limbisches System

Hippocampus: Gedächtnis, Verhalten, Orientierung, Bewusstsein, Motivation,

Gyrus cinguli: vegetative Modulation, psycho- und lokomotorischer Antrieb,

Corpus amygdaloideum (Amygdala, Mandelkern): Affektverhalten, Beeinflussung vegetativer und sexueller Funktionen, Steuerung von Angst und Flucht.

Basalkerne [ ▶ [37]; ▶ [31]]

Nucleus accumbens: „anliegender Kern“ an Putamen und Nucleus caudatus,

viele Faserverbindungen zum limbischen System,

Stimulation des Nucleus accumbens bei Produktion von Dopamin im Mittelhirn, der seinerseits die Ausschüttung von Opioiden (Endorphin) im Frontalhirn anregt: Auf Motivation folgt eine Aktion folgt Bewegung folgt Glück.

Kleinhirn

Liegt in der hinteren Schädelgrube, hinter dem Hirnstamm,

Koordination, Feinabstimmung, unbewusste Planung von Bewegung,

speichert gelernte Bewegungsabläufe,

unterstützt implizites Lernen,

steuert den Muskeltonus,

höhere kognitive Aufgaben werden diskutiert.

Hirnstamm

Die Formatio reticularis im Hirnstamm beeinflusst über den retikulospinalen Trakt mit extrapyramidalen motorischen Bahnen den Muskeltonus von Extremitäten und Rumpf ([ ▶ [36]], S. 127),

ist an der Unterdrückung zahlreicher intraspinaler Reflexe beteiligt.

1.3 Rückenmark

Das Rückenmark ist ein Teil des zentralen Nervensystems. Es erstreckt sich vom Hinterhaupt bis etwa zum 1. Lendenwirbel. Unterhalb dieses Wirbels verlaufen aus dem Rückenmark entspringende periphere Nerven noch weiter im Spinalkanal. Im Rückenmark kann man eine mittig liegende schmetterlingsförmige graue Substanz ( ▶ Abb. 1.3) von der sie umgebenden weißen Substanz abgrenzen. In der grauen Substanz liegen Zellleiber der Neurone, in der weißen Substanz verlaufen die Leitungsbahnen (Axone). Die graue Substanz besteht aus drei Säulen (Columnae). Die Columna posterior (Hinterhorn) enthält die sensiblen Neurone, die Columna lateralis (Seitenhorn) die sympathischen und parasympatischen Neurone, die Columna anterior (Vorderhorn) die motorischen Neurone.

Abb. 1.3 Graue Substanz des Rückenmarks.

((aus Prometheus))

Entsprechend können in der weißen Substanz ( ▶ Abb. 1.4) drei Bereiche von Leitungssträngen (Funiculi) abgegrenzt werden. Der Funiculus posterior leitet sensible Informationen zum Gehirn, der Funiculus lateralis enthält Bahnen des vegetativen Nervensystems, der Funiculus anterior leitet motorische Befehle vom Gehirn in die Peripherie.

Abb. 1.4 Weiße Substanz mit Leitungssträngen.

((aus Prometheus))

1.4 Pyramidenbahn

Das Hauptbahnensystem der Motorik wird Pyramidenbahn genannt ( ▶ Abb. 1.5).

Abb. 1.5 Pyramidenbahn.

((aus Prometheus))

Sie zieht von den motorischen Zentren im Scheitellappen des Großhirns durch die innere Kapsel (Capsula interna). 80% der Fasern kreuzen in Höhe der Medulla oblongata (verlängertes Rückenmark), um dann auf der Gegenseite im Tractus corticospinalis oder auch Tractus pyramidalis lateralis weiterzuziehen. Die ungekreuzten Bahnen ziehen ipsilateral im Tractus pyramidalis anterior weiter und kreuzen im jeweiligen Segment, bevor sie das Rückenmark verlassen.

1.5 Peripheres Nervensystem

Das periphere Nervensystem besteht aus Leitungsbahnen. Periphere Nerven – auch Spinalnerven – enthalten in Bündeln zusammengefasste Axone (Nervenfasern). Im Gegensatz zu den Axonen im zentralen Nervensystem führen die Axone des peripheren Nervensystems afferente (sensible) und efferente (motorische) Bahnen in einem Bündel. Das periphere Nervensystem beginnt und endet beim Übergang zum Rückenmark.

1.6 Zusammenwirken

Sinnvolles Bewegen, Handeln und Verhalten ist von vielfältiger Zusammenarbeit verschiedener Hirnareale abhängig. Diese benötigen wiederum Informationen aus der Peripherie, um zielgerichtet agieren zu können. Die Bahnen im Rückenmark und in den peripheren Nerven leiten am Ende einer komplexen Verarbeitung und Steuerung die Impulse zu den Muskeln, die eine Bewegung ausführen ( ▶ Abb. 1.6).

Abb. 1.6 Sensible und motorische Bahnen im zentralen und peripheren Nervensystem.

((aus Prometheus))

So wird zum Beispiel der Wunsch oder Antrieb, sich zu bewegen, im Frontalhirn entwickelt – zum Scheitellappen weitergeleitet – im limbischen System emotional bewertet – in den Basalkernen werden Impulse gehemmt und andere verstärkt – dann zum Kleinhirn weitergeleitet und über den Hirnstamm, das Rückenmark und periphere Nerven zur Muskulatur geleitet. Aus Muskeln, Gelenken und von der Hautoberfläche wird sofort eine Rückmeldung zum Rückenmark und Kleinhirn zurückgegeben, um die Bewegung fein abzustimmen und den Muskeltonus zu regulieren ( ▶ Abb. 1.7). Wenn in einem kleinen Teil dieses Netzwerkes eine Störung vorliegt, kommt das ganze Bewegungssystem durcheinander. Bewegung kann unmöglich (Lähmung), unkoordiniert (Ataxie), starr und verlangsamt (Akinese) oder ungewollt übermäßig (Dystonie, Chorea) sein. Auch das „Sich-bewegen-Wollen“, der Antrieb, kann gestört sein. Da hier der erste Impuls zu einer Bewegung eingeleitet wird, setzt beim Antrieb, also bei Motivation und Zielsetzung, auch der erste Schritt zur Physiotherapie an.

Abb. 1.7 Bewegungskreislauf.

Physiotherapie fängt immer im Gehirn an und ist effektiv, wenn sie zielgerichtet und belohnend ist. Belohntes Verhalten wird im Gehirn verstärkt und nicht belohntes Verhalten wird unterdrückt [ ▶ [19]]. Der ganze Mensch wird in die Therapie einbezogen. Übliche Strategien wie z.B. „Die Ergo macht den Arm und die Physio macht das Bein“ oder „Die Physio bereitet Muskeln und Gelenke vor und die Ergo kümmert sich um die Umsetzung in Alltagshandlungen“ sind nicht im Sinne des Menschen und berücksichtigen nicht die Erkenntnisse der Neurowissenschaften.

Merke

Richard St. John antwortete auf die Frage „Was führt zum Erfolg?“: „Ziele, Motivation, Übung, Fokussieren und Misserfolge aushalten“ (verkürzte Darstellung aus TED talks.com).

1.6.1 Ziele

Ein Ziel ist also der erste Schritt zum Erfolg. Was bedeutet Erfolg in der Neurorehabilitation? Verbesserung der Lebensqualität der Patienten. Welche Aspekte hierfür besonders wichtig sind, ist erstaunlich schlecht untersucht. Da in der Physiotherapie Bewegung im Mittelpunkt der Aufgaben steht, soll hier die Bewegung fokussiert werden. Damit ein Ziel eines neurologisch Kranken nun zum Bewegungs- und Handlungserfolg führt, muss es realistisch, lebensnah und für den Patienten bedeutsam sein. Die Akteure im Gesundheitswesen haben leider häufig andere Ziele als ihre Patienten [ ▶ [18]]. Und in wissenschaftlichen Studien werden Zielparameter zur Beurteilung einer erfolgreichen Behandlung genutzt, die für das Leben des Patienten völlig bedeutungslos sind. Mehr Kraft in einzelnen Muskeln, besseres Bewegungsausmaß in Gelenken, schnellere Ganggeschwindigkeit auf dem Laufband, Veränderungen der Hirnaktivität bei Kernspinexperimenten … all solche Ergebnisse korrelieren nicht mit Messungen der Handlungsfähigkeit der Patienten [ ▶ [27]]. Patienten möchten beispielsweise ausdauernder gehen können, sich selbstständig anziehen können, essen können, ohne sich zu bekleckern, einer alltäglichen Arbeit nachgehen können. Dazu sind Bewegungs-Lernen und Verhaltensanpassungen notwendig. Der Patient muss die Handlungen üben, die er besser können möchte, und muss sie im Alltag einsetzen.

Zielsetzung

Bedeutsam,

erreichbar, realistisch,

lebensnah,

gemessen, beschrieben.

Randbemerkung zur Internationalen Klassifizierung von Funktion, Behinderung und Gesundheit (International Classification of Functioning, Disability and Health: ICF) Entsprechend der ICF (Weltgesundheitsorganisation, World Health Organization WHO 2001) soll Gesundheit nach zwei Kategorien betrachtet werden:

Funktion und Behinderung mit den Komponenten

Körperfunktion und Strukturen,

Aktivitäten und Teilhabe.

Faktoren der Lebensumstände mit den Komponenten

Umgebung,

persönliche Faktoren.

Diese Betrachtungsweise kann helfen, Probleme zu erkennen und Ziele zu definieren. Die für die Physiotherapie relevante Fähigkeit des Patienten, mit den Herausforderungen des Lebens zurechtzukommen, kann in drei Bereiche eingeteilt werden:

Selbstbestimmtheit in alltäglichen Handlungen (ICF-Komponente „Aktivität“),

willentliche Bewegung in einem gelähmten/akinetischen/überaktiven/ataktischen Körperabschnitt (ICF-Komponente „Funktion und Struktur“),

Zufriedenheit bei der Arbeit und im Familienleben, persönliche Interessen pflegen können und Teilhabe am sozialen Leben (ICF-Komponenten „Aktivität“ und „Teilhabe“).

Bei schwerer Halbseitenlähmung sind Selbstversorgung und Teilhabe am sozialen Leben mit einer Hand und mit minimaler Gehfähigkeit möglich – weitgehend unabhängig von struktureller Erholung oder Funktion der gelähmten Seite. Wohingegen willentliche Bewegung der gelähmten Seite und die Leistungsfähigkeit bei alltäglichen Handlungen von Körperfunktion und Struktur (Gehirn) abhängen.

Übliche Messinstrumente sind konzentriert auf Funktion und körperliche Einschränkungen (z.B. der Fugl-Meyer-Test – [ ▶ [17]]), auf Aktivität und Behinderung (z.B. der 10-m-Gehtest) oder auf Teilhabe und Benachteiligung (z.B. Barthel-Index – [ ▶ [2]]). Obwohl die Ziele des Patienten als wichtiger Teil der Neurorehabilitation anerkannt sind, werden sie unzureichend in die Behandlung einbezogen, und die Zielerreichung wird nicht regelhaft als Maß für den Erfolg der Behandlung genutzt [ ▶ [28], ▶ [23], ▶ [3]]. Das soll hier optimiert werden. Weil das Erstellen einer individuellen Skala zur Messung der Zielerreichung aufwendig ist, empfehle ich, eine Liste mit Zielen und eine Tabelle mit Maßen für das Erreichen des jeweiligen Ziels zu erstellen (siehe unten). Will der Patient z.B. schneller gehen können, wird notiert, wie schnell er zu Beginn der Behandlung 10 Meter geht oder wie lange er vom Behandlungsraum bis zum Bäcker braucht oder von seiner Haustür bis zur Garage. Dieses Maß wird dann im Verlauf wiederholt kontrolliert. Für andere Ziele werden Bewegungsabläufe oder Handlungen in ihrer Qualität beschrieben oder festgestellt, ob der Patient sie im Alltag einsetzt oder nicht (z.B. „Der Patient trinkt immer mit Strohhalm, um sich nicht zu bekleckern – trinkt Wasser aus einem Becher – trinkt Kaffee aus einem Becher“).

Gespräche über Ziele brauchen Einfühlungsvermögen, Geschick und Erfahrung des Therapeuten. Er muss nach der Untersuchung beurteilen, welche Ziele für einen Zeitraum von 1–4 Wochen realistisch sind, und dem Patienten Vorschläge zur Formulierung der Ziele machen. Dann muss er entscheiden, wie er die Ausgangsbasis bezüglich dieses Ziels beschreibt und wie er die Annäherung an jedes Ziel misst.

Patienten mit Störungen des Nervensystems haben immer Verbesserungen der Bewegungskontrolle zum Ziel. Sie zu erreichen, erfordert motorisches Lernen und Verhaltensanpassungen.

1.7 Lernen, Verlernen und Verhalten

Wege können bildlich mit Lernen und Verlernen verglichen werden. Wo man geht, entstehen Abdrücke, wo man oft geht, entsteht ein Pfad, wo man sehr oft geht, entsteht ein Weg, wo man nicht mehr geht, verschwindet der Weg wieder ( ▶ Abb. 1.8 a–b).

Abb. 1.8 Wege entstehen und vergehen wie Gelerntes.

Abb. 1.8a Mäuseweg in Benutzung.

Abb. 1.8b Mäuseweg verschwunden durch Nichtbenutzung.

Auf Trampelpfaden kommt man mühsam und langsam voran, auf Wegen kann man bequem und zügig gehen. Genauso verhält es sich beim Lernen und Verlernen – durch wiederholten Gebrauch lernt man eine Bewegung, einen Bewegungsablauf, eine Handlung auszuführen. Am Anfang ist man angestrengt im Kopf und in den Muskeln, Bewegungen sind fahrig und wenig zielsicher. Man muss Misserfolge aushalten. Mit den Wiederholungen wird man immer geschickter, die Bewegungen werden zielsicher und brauchen weniger Konzentration und Kraft – dieses Erlebnis wird als Belohnung empfunden. Benutzt man eine Fähigkeit nicht mehr, verliert man sie wieder. Motto: „Benutz es oder verlier es.“

Menschen, die eine neurologische Erkrankung erleiden, verlieren teils schlagartig (z.B. bei Unfällen oder beim Schlaganfall), teils langsam schleichend (bei degenerativen Erkrankungen) Fähigkeiten, die sie als Kind mit Mühe gelernt hatten und die ihnen dann leichtgefallen waren. Wie geht man mit einer solchen Situation um? Trauer über den Verlust und Bewegungsunlust sind eine typische Reaktion. In der Folge unterlassen die Betroffenen die nun schwierigen Bewegungen und Handlungen. Offensichtlich ist unser Gehirn darauf bedacht, uns vor der unangenehmen Erfahrung mangelnder Kontrolle zu schützen. Dies führt zu einer Zunahme des Bewegungsverlustes, die weit über das durch die Erkrankung begründete Maß hinausgeht. Edward Taub nannte dieses Phänomen „gelernter Nichtgebrauch“. Mindestens dieser zusätzliche Verlust kann und soll durch Physiotherapie aufgehalten oder rückgängig gemacht werden.

Das Nervensystem hat aber eine derartige Anpassungsfähigkeit (Plastizität), dass nach einer Schädigung sogar Erholung, die Ausbildung von neuen Bahnen oder die Übernahme neuer Aufgaben durch bestehende gesunde Bahnen möglich sind. Dazu braucht es intensiven Gebrauch – also Üben, Üben, Üben und ein Verhalten, welches alte und neu erlernte Fähigkeiten im Alltag einsetzt. Motto: „Funktion schafft Struktur.“

▶ Abb. 1.9 zeigt eine durch spezielle Kernspintechnik (Diffusion Tensor Imaging) entstandene Aufnahme. Man sieht die Bahnen, die bei der Bewältigung einer bestimmten Bewegungsaufgabe die Impulse leiten.

Abb. 1.9 DTI Diffusion Tensor Imaging.

1.7.1 Motivation und Frustration – was treibt uns an?

Die Selbstbestimmungstheorie (Self-Determination Theory, Ryan und Deci 2002) geht von drei wesentlichen psychologischen Bedürfnissen aus: Selbstständigkeit, Wissen und Können (Kompetenz) und Beziehungen zu anderen. Werden sie erfüllt, steigt das Gefühl von Lebendigkeit und Wohlempfinden. ▶ [35]] hat gezeigt, dass selbstbestimmte Formen der Zielsetzung und des Übens besser zum Beibehalten der Übungen führen als von außen angetriebene Motivation. Intrinsische Motivation wird durch Spaß, Interesse und Herausforderung angetrieben, während extrinsische Motivation durch Belohnung und Bestrafung gesteuert wird. Die Bewegungsaufträge an einen Patienten sollen mit oder ohne Hilfe des Therapeuten erfolgreich durchführbar sein. Unlösbare Aufgaben sind mit Anregung der Angst und Fluchtverhalten verarbeitenden Amygdala und Hemmung des für Gedächtnis und Motivation zuständigen Hippocampus verbunden [ ▶ [30]]. Beobachtung und Imitation unterstützen zusätzlich das Lernen von Bewegung [ ▶ [38], ▶ [22]]. Physiotherapeuten sollten also als Modell dienen, indem sie Bewegungen vormachen und Übungen mit dem Patienten gemeinsam durchführen. So werden die Spiegelneurone aktiviert, die eine beobachtete Bewegung im Gehirn des Beobachters initiieren [ ▶ [22], Zusammenfassung in ▶ [6]].

Anweisungen sowie Kritik an der Durchführung von Bewegungen können so auf ein minimales Maß reduziert werden. Rückmeldung über die korrekte Planung und Initiierung einer Bewegung ist Voraussetzung für motorisches Lernen nach einem Schlaganfall [ ▶ [15], ▶ [16], ▶ [64], ▶ [44], ▶ [9], ▶ [25]]. Zusätzlich spielen der Zeitpunkt und die Art der Rückmeldung eine Rolle. So waren positive Rückmeldungen nach korrekter Durchführung einer Bewegung effektiver als negative Rückmeldungen nach misslungenen Versuchen [ ▶ [14]; ▶ [13]]. Unzuverlässige Rückmeldungen, die nicht zu ihrer Lebenserfahrung passten, lösten bei Studenten depressive Stimmung aus [ ▶ [26]]. Rückmeldung hat auch einen Einfluss auf die Erwartungen des Übenden und beeinflusst so den Erfolg und den Misserfolg [ ▶ [38], Wulf 2011, ▶ [32]]. Stoate und Mitarbeiter haben festgestellt, dass Läufer, die ohne Bezug zu ihrem wirklichen Laufstil (durch Zufall ausgewählt) ein Lob über ihren effizienten Laufstil erhielten, ihren Sauerstoff-Verbrauch senkten, mit mehr Leichtigkeit liefen und sich weniger müde fühlten als eine Kontrollgruppe. Konzentriert man sich auf den Effekt einer Bewegung (externer Fokus), lernt man in der Regel schneller als bei Konzentration auf die Bewegung selbst (interner Fokus) [ ▶ [38]]. Beispiel: Ein Patient kann aufgrund einer Halbseitenlähmung die Finger nicht strecken. „Strecken Sie bitte die Finger“ ist die Anweisung mit internem Fokus; „Schieben Sie eine große Schraube in Ihre Hand – halten Sie die Schraube fest – nun lassen Sie die Schraube fallen“ ist die Anweisung mit externem Fokus. Rhythmus durch Musik oder ein Metronom unterstützt motorisches Lernen und die Neuorganisation des Nervensystems [ ▶ [4], ▶ [24]]. Zuwendung und Spaß sind Belohnungsstrategien, die den Effekt von Übungen enorm beeinflussen [ ▶ [8]]. Sie sollten gezielt nach gelungenen Bewegungen und zur Überwindung von Angst und Misserfolg eingesetzt werden. Geld hingegen motivierte gesunde Teilnehmer an einer Studie nicht dazu, sich mehr zu bewegen als eine nicht mit Geld belohnte Kontrollgruppe [ ▶ [21]].

Wie unterstützt Physiotherapie das Lernen?

Selbstbestimmte Ziele,

aktives, selbstbestimmtes Üben,

Information zu Ziel und Wirkweise einer Übung,

Rückmeldung nach gelungenen Bewegungen,

Modelllernen, Imitation,

positive Erwartungen wecken,

externer Fokus,

Rhythmus (Musik),

Spaß und Zuwendung.

1.7.2 Verhalten

Lebenseinstellungen und Erfahrungen bestimmen wesentlich das Verhalten eines Menschen. Drei Gedankenmodelle hierzu halte ich in der Physiotherapie für besonders bedeutsam: das Gesundheitsmodell der Salutogenese von [ ▶ [5]], das Modell interner oder externer Kontrollüberzeugung (zusammengefasst von [ ▶ [20]]) und das Modell der Konditionierung (nach Iwan Pawlow, zusammengefasst in [ ▶ [7]]). In einer Therapiesituation sind die Einstellungen und Erfahrungen und damit das Verhalten des Therapeuten ebenso ausschlaggebend wie die des Patienten. Darüber sind einige Gedanken lohnend.

Salutogenese Aaron Antonovsky stellte sich die Frage: Wie entsteht Gesundheit? Er hatte Daten zur Anpassungsfähigkeit von Frauen an die Menopause ausgewertet. Eine Gruppe dieser Frauen hatte ihre Jugend in Konzentrationslagern verbracht. Trotz schrecklicher Erlebnisse wurden 29% (im Vergleich zu 51% der Frauen, die solche Erlebnisse nicht erlitten hatten) als psychisch und körperlich gesund eingestuft. Aus seinen Untersuchungen ging die Erkenntnis hervor, dass Gesundheit wesentlich von einer Grundhaltung des Vertrauens und Verstehens abhängt. Diese Grundhaltung nannte Antonovsky Kohärenzgefühl. Es wird von drei Komponenten bestimmt:

dem Gefühl, die Welt zu verstehen,

der Überzeugung, dass Probleme mit oder ohne Hilfe lösbar sind, und

dem Gefühl, dass die Herausforderungen des Lebens Anstrengung wert sind.

Gesundheit wird als ein dynamisches Geschehen gesehen. Antonovsky beschreibt ein Gesundheits-Krankheits-Kontinuum. Im Gegensatz zu der Vorstellung, dass ein Mensch entweder gesund oder krank ist, wird hier davon ausgegangen, dass eine Einstufung als mehr oder weniger gesund (krank) sinnvoller ist.

Salutogenese

Verstehbarkeit der Welt, die Hoffnung auf Überwindbarkeit von Schwierigkeiten und die Sinnhaftigkeit von gestellten Herausforderungen fördern die psychische und körperliche Gesundheit.

Interne Kontrollüberzeugung Wodurch wird der Verlauf eines Lebens kontrolliert? Das Modell der internen/externen Kontrollüberzeugung stellt zwei Möglichkeiten gegenüber. Eine Person mit interner Kontrollüberzeugung geht davon aus, dass sie selbst einen großen Teil ihres Lebens kontrollieren kann. Im Gegensatz dazu gehen Personen mit einer externen Kontrollüberzeugung davon aus, dass die Kontrolle über ihr Leben überwiegend bei äußeren Kräften, Zufällen und in der Hand von anderen Menschen liegt. Dies zieht eine eher passive, wenig Verantwortung übernehmende Haltung nach sich.

In zahlreichen Studien wurde die Auswirkung der Kontrollüberzeugung auf verschiedene Lebensbereiche untersucht (Zusammenfassung unter www.teachinternalcontrol.com