Ullstein 04: In der Unterwelt - Ronald M. Hahn - E-Book

Ullstein 04: In der Unterwelt E-Book

Ronald M. Hahn

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Beschreibung

Berlin 1930. Kaum aus dem Koma erwacht, wird der Privatdetektiv Harry Ullstein von der Schwarzen Legion beauftragt, nach dem Antipest-Serum zu suchen, das die Sowjets entwickelt haben. Der sich auf der Flucht befindliche russische Spion Josef Stalin hat eine Probe davon nach Berlin gebracht. Ullstein soll sie finden und dem zerfallenen Reich zugänglich machen, damit die Alliierten ihre Grenzen öffnen und die Deutschen aus der Isolation befreien. Ullstein nimmt die Spur des Serums auf, doch er ahnt nicht, dass auch die von Adolf Hitler angeführte Terrororganisation "Werwolf" längst von der Existenz des Serums erfahren hat. In der Unterwelt der vernebelten alten Reichshauptstadt soll sich das Schicksal des Landes entscheiden. Exklusive Sammler-Ausgabe als Taschenbuch nur bei www_blitz-verlag_de erhältlich!!!

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ULLSTEIN

In dieser Reihe bisher erschienen

3101 Ronald M. Hahn In der Todeszone

3102 Arno Thewlis Tödliche Grenzwelt

3103 Arno Thewlis Operation Lazarus

3104 Ronald M. Hahn In der Unterwelt

Ronald M. Hahn

In der Unterwelt

Diese Reihe erscheint in der gedruckten Variante als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Ernst WurdackUmschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-269-1Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Pferdeverstand ist das,

was ein Pferd daran hindert,

auf Menschen zu wetten.

W.C. Fields

1. Kapitel

Die Ewigkeit dauert lange,

besonders gegen Ende.

Woody Allen

Äonen später, als Harry Ullstein aus dem Schlaf erwachte, sah er vor sich eine Schrift, und die sagte: Die Ewigkeit ist voller Sterne.

Er schwebte im Nichts. Das Vakuum roch wie eine Setzerei, nach Blei, Antimon und Zinn. Vor seinen Augen war ein Schleier, den er sich wegzublinzeln bemühte.

Unter ihm (sehr weit unter ihm) kreiste im Schneckentempo ein Spiralnebel um seine Achse. Die Ullstein umgebenden Sterne waren ein buntes Flirren. Sie sahen ganz anders aus als am Himmel über Berlin.

Ihm war, als hätte er Fett auf der Brille. Da er aber kein Brillenträger war, musste etwas anderes seine Sicht behindern. Vielleicht mein beschädigtes Hirn.

Doch nach und nach klärte sich sein Blick, und schließlich erkannte er einige Objekte, die rechts und links und unter ihm durchs Nichts schwebten: einen Teekessel aus Blech, ein rotes Spitzenhöschen, einen 500-Gramm-Schreinerklüpfel, ein Polyphon-Grammophon, eine Fotografie der leicht bekleideten Anny Ondra (mit einem Dolch in der Hand), einen klassischen Brummkreisel (schön bunt), eine halb geschälte Banane und einen Bierdeckel mit dem Aufdruck Bremme Bräu Barmen.

Linkerhand, etwa einen Meter von seinem Ellbogen entfernt, war ein futuristisch anmutendes Gefährt unterwegs, das wie ein Doppeldecker mit einer transparenten Haube aussah. Unter der Haube, am Steuerknüppel, saß ein rotbraunes Eichhörnchen. Es trug ein Lederkäppchen jener Art, die der deutsche Motorist vor fünfzehn Jahren aufgesetzt hatte, um zu verhindern, dass ihm, sobald er 60 km/h fuhr, die Ohren abgerissen wurden. Zwei funkelnde Knopfaugen über einem spitzen Schnäuzchen schauten Ullstein an, der nun dazu ansetzte, sich die eigenen Augen zu reiben, um sich zu versichern, dass er keiner Halluzination aufsaß.

Als das Eichhörnchen die Haube der Flugmaschine öffnete, dachte Ullstein: Alles klar. Ich bin verrückt ­geworden.

„Ich bin Käpt’n Murgatroyd“, sagte das Eichhörnchen, obwohl jeder, der seine fünf Sinne beisammen hat, weiß, dass man im Vakuum gar nichts hören kann. Sein Stimmchen klang ungefähr so, wie Ullstein sich die Stimme einer Ente vorstellte. „Und ich hab ’ne Botschaft für Sie.“

„Von wem?“ Ullstein machte einen ernsthaften Versuch, über das nachzudenken, was sich hier abspielte, aber sobald er sich nicht mehr auf die Schwimm­bewegungen konzentrierte, die ihn durch das Nichts transportierten, verlor er an Höhe, obwohl es im Nichts eigentlich gar kein Oben und Unten gibt.

„Es heißt Drounli.“ Käpt’n Murgatroyd ließ den Lenker seines phantastischen Gefährts los, was auf seinen Kurs keinen Einfluss hatte. Ullstein zog den Schluss, dass es ebenso eine Halluzination war wie der Käpt’n. „Oder Charlotte.“

Wieso Es?, hörte Ullstein sich denken. Er hatte Charlotte als Frau in Erinnerung. „Ich bin ganz Ohr, Käpt’n“, erwiderte er. „Wie lautet Ihre Botschaft?“

„Ihnen ist was auf den Kopf gefallen.“ Murgatroyd grinste. „Und zwar etwas ziemlich Schweres. In einem Bergwerksstollen an der Grenze zu einem Land, dessen Name ganz und gar unwichtig ist. Deswegen liegen Sie jetzt in irgendetwas namens Koma. Stellen Sie mir bloß keine Fragen. Ich bin nur eine Art ... ähm ... Umspannwerk, das sich bemüht, x-dimensionale Informationen in Laute umzuwandeln, die ein Mensch wie Sie verstehen kann. Es gelingt mir vielleicht nicht immer.“ ­Murgatroyd räusperte sich. „Sie glauben übrigens nur, dass Sie durchs Vakuum fliegen und da unten ’ne ferne Galaxis sehen. In Wirklichkeit sind Sie voll im Tran und liegen im Krankenhaus von ... Sömmerda.“ Er räusperte sich. „Thüringen.“

„Ach.“ Ullstein begutachtete seine Umgebung. Sie war wirklich endlos, aber hübsch anzusehen. Überall flackerten dekorative Sterne. „Ich halluziniere?“

„Könnte man so sagen.“

Ullstein konnte es nicht fassen. Es war doch alles so real! Die Galaxis unter ihm! Rechts sah er noch eine! Und der Komet, der vor ihm von Backbord nach Steuerbord raste und schon im Begriff der Auflösung war. Sein rotgrüner Schweif versprühte weißgelbes Licht. Wie eine Wunderkerze.

Komisch war freilich, dass er ein Spruchband hinter sich herzog, auf dem GLEICH WACHST DU AUF stand.

Alles sah so aus wie auf den bunten Titelbildern der amerikanischen Raketenheftchen, die sich in Hugo Gernsbachers Büro in New Montana stapelten.

„Wie geht’s weiter, wenn ich aufwache, Käpt’n?“, fragte Ullstein. „Ist mein Kopf noch in Schuss? Oder bin ich ein sabbernder Idiot?“

Murgatroyd machte eine abwehrende Tatzenbewegung. „So schlimm isses nu auch wieder nicht ... Ich zähl bis zehn, Herr Ullstein. Dann wachen Sie auf und kucken bass erstaunt aus der Wäsche.“ Er stieß ein Quaken aus, das vermutlich ein Eichhörnchenlachen war. „Wahrscheinlich wird Ihr Schädel anschließend ordentlich brummen.“

Die transparente Haube senkte sich langsam über das Cockpit, in dem Murgatroyd saß. „Sie sind aus‘m Schneider, mein Guter.“ Er fletschte die Zähne. „Die Schul­medizin hat Sie gerettet, und ’ne gute Freundin ist da und hält Ihr Händchen.“

Die Haube machte Klonk und war verschlossen.

Murgatroyd gab Gas. Sein Gefährt stürzte nach unten und verlor sich in der Ewigkeit. Sie war noch immer voller Sterne und würde es vermutlich bleiben.

Natürlich konnte Ullstein den Käpt’n nicht zählen hören, aber zehn Sekunden später verblassten sämtliche Sterne im Universum. Die kosmische Schwärze mutierte zu einem konturlosen Grau.

Dann riss das Grau über ihm auf, und vor seinen Augen materialisierte das Gesicht der schönsten Frau der Welt. Sie hatte glänzende schwarze Augen. Zu seinem Erstaunen hatte sie nun rotes Haar, einen Bubikopf und trug eine schwarze Hornbrille. Wie eine Gouvernante. Außerdem war sie auch so angezogen.

„Dörthe, du?“

„Harry?“

Ullsteins Schädel zerbarst (oder es kam ihm so vor), und er ruckte und zuckte zehn Sekunden wie ein Epileptiker auf und nieder. Er glaubte, der Ofen sei endgültig aus. Gleich würde er sich im hohen Bogen übergeben. Doch das Gefühl flaute so schnell ab, wie es gekommen war, und es gelüstete ihn wahnsinnig nach Kartoffelsalat.

„Nenn mich bloß nicht Dörthe!“ Alexandra von Xanten klang so aufgebracht, als hätte er ihr in der Öffentlichkeit einen obszönen Vorschlag gemacht. „Ich konnte diesen doofen Namen noch nie leiden!“ Ihre Augen funkelten, doch statt sich auf ihn zu stürzen, beugte sie sich über ihn und zerzauste sein Haar. „Wie schön, dich wiederzusehen, Harry!“

Ullsteins Lenden zuckten. Er hätte Alexandra am liebsten an sich gerissen und all das mit ihr getrieben, zu dem er seit Ewigkeiten nicht mehr gekommen war.

„Ich ... ähm ... auch ...“ In seinem Kopf war eine leichte Leere. Irgendwas war während seiner Ohnmacht mit ihm passiert ... Er hatte vergessen, wie nahe sie sich standen. Standen sie sich überhaupt nahe?

In seinem Kopf lief ein Film ab: Er lag in einem Bett, und Alexandra lag auf ihm. Ihr Schoß hatte sich an den seinen geschmiegt. Doch ehe ihm einfiel, wann und wo dies gewesen war, wurde ihr Gesicht von einem anderen überlagert: Blondes Haar? Ah, Charlotte Danziger! Dann wurde auch Charlottes Gesicht überlagert: Marie!

„Wer ist sie?“

„Wer?“ Alexandra musterte ihn mit gerunzelter Stirn.

„Marie.“ Ullstein hatte den Namen kaum ausgesprochen, als er wusste, wer sie war. Er winkte ab. „Erinnerungslücken ...“ Er griff sich an den Schädel und richtete sich auf. Einige Dinge fielen ihm wieder ein.

Er schaute sich um. Es war dunkel draußen. Abend. Nacht?

Er lag in einem Krankenhausbett. In einem Einzelzimmer. Wer blechte für ihn? Der vermaledeite Auftrag fiel ihm ein, mit dem alles angefangen hatte: Erik Jan Hanussen, der berühmte Hellseher, hatte ihn beauftragt, seine Tochter Marie zu finden. Und er hatte ihn in diese gottverdammte, kein Ende nehmende Scheiße geritten.

Ullstein sah Gesichter. Hörte Namen. Botho von Grimelsheim. Die Schwarze Legion. Hanns Heinz Ewers. Zusammenstöße mit Werwölfen, Kommunisten, Intriganten, Arschlöchern, Hundesöhnen und ... Alexandra, die aber tot war.

Ullstein starrte sie an.Ich bin gar nicht wach, dachte er. Ich lieg noch im Koma und bilde mir das alles nur ein.

Hatte er nicht gerade noch mit einem Eichhörnchen gesprochen?

„Was glotzt du so blöd?“ Alexandra packte seine Schultern und schüttelte ihn. „He, Harry, bist du wach? Bist du bei mir?“

Ullstein hustete. Sein Schädel tat entsetzlich weh. „Ja, ja, ich bin hier.“ Er schüttelte den Kopf, was aber den Schmerz nur verstärkte. Er sank nach hinten. Aufs Kissen. Krause Gedanken vereinnahmten sein Hirn.

„Wieso bist du nicht tot?“, hörte er sich fragen. „Du bist doch in Thyssenia vom Dach gefallen ...“

Alexandra beugte sich wieder über ihn. „Ja, bin ich.“ Sie nahm seine Hände und drückte sie. „Aber ich bin nicht tot. Fühlen sich so die Hände einer Toten an?“ Sie seufzte und klang irgendwie erleichtert. „Ich hatte ein Mordsschwein, Harry. Ich bin in ein Netz gefallen.“

„Was?“

Sie erklärte es ihm. Ullstein hörte ihr mit offenem Mund zu: Im Innenhof des Häuserblocks, zu dem das Hotel Goldener Löwe gehörte, hatten die Rastellis, eine ­Seiltänzergruppe des Zirkus Barum, zu ­Trainingszwecken ein Netz aufgespannt. In das war sie gefallen.

„Ein weiterer Glücksfall war, dass der Chef des Thyssenia-­TÜV zufällig zu einem technischen Kontrollbesuch vor Ort war, als ich da reinfiel.“ Alexandra schmunzelte. „Sein Name ist Ferdinand. Er ist ein Vetter zweiten Grades und mit einem gewissen Botho von Grimelsheim befreundet.“ Sie zwinkerte ihm zu. „Sie waren im gleichen Internat.“

„Botho“, nuschelte Ullstein. Mit ihm hatte alles angefangen. „Heißt Ferdinand auch Bundschuh?“

„Vergiss den Namen“, fauchte Alexandra. „Auf der Stelle! Es ist ein doofer Name! Er ist noch doofer als Dörthe!“ Sie funkelte ihn erneut an und sah aus, als wolle sie sich mit den Krallen auf ihn stürzen. „Ferdi ist ein lieber Kerl ... Er hat sofort nach Berlin gemeldet, in welcher Lage ich bin, und Botho hat mich angewiesen, dir zu helfen, diesen Russen zu kaschen.“„Stalin?“ Ullsteins Erinnerung kehrte allmählich zurück. Ihm fiel nun alles wieder ein: Wie er, Charlotte Danziger, Kommissar Tankred und Generalmajor von Man­teuffel versucht hatten, den bolschewistischen Agenten und seine Genossen daran zu hindern, das Land zu verlassen; das Feuergefecht im Stollen des stillgelegten Bergwerks und die unerwartete Explosion, bei der ihm was auf den Kopf gefallen war.

„Merde alors!“, murmelte er und richtete sich wieder auf. „Wie bin ich überhaupt hierhergekommen? Und wo sind die anderen?“

Alexandra schaute ihn schweigend an. Dann räusperte sie sich. „Von Manteuffel hat euch da rausgeholt.“

„Wie denn, um alles in der Welt?“

„Auch in Thüringen gibt’s Schwarze Legionäre.“

„Wir waren verschüttet, Fräulein von Xanten.“ Ullstein runzelte die Stirn. „Wie hat er die Leute alarmiert, die uns aus dem Stollen rausgeholt haben? Mit Brieftauben?“

„Er hat sie mit einem Drahlotel alarmiert.“

„Mit einem Drah-lo-tel? Was soll das sein?“

„Ein drahtloses Telefon. Eine Entwicklung des amerikanischen Geheimdienstes. Der Geheimdienst ist so geheim, dass er nicht mal einen Namen hat.“

„Und was hat dieser Oberarsch von Manteuffel mit diesem Geheimdienst zu schaffen?“

„Weiß ich nicht. Er ist im diplomatischen Dienst tätig. Solche Leute haben Verbindungen.“

„Und in dieser Klinik hier stellt niemand Fragen?“

Alexandra schüttelte den Kopf. „Der Klinikchef ist zufällig ...“

„Jetzt sag bloß nicht dein Vetter Max.“

Alexandra lachte. „Nein. Medizinalrat Doktor von Manteuffel ist einer von Kurt Kaspars Vettern.“

Ullstein winkte ab. „Vermutlich hab ich auch Schwein gehabt.“ Er schaute Alexandra an. „Was ist aus diesem Stalin geworden?“

„Er ist leider entwischt.“

Ullstein fluchte leise. „Und meine Gefährten?“

Alexandra wirkte zerknirscht. „Tankred ist zwei Tage nach der Ankunft hier im Krankenhaus gestorben. Frau Danziger wurde, um unangenehmen Fragen der thüringischen Behörden aus dem Weg zu gehen, schnellstens mit einem Beinbruch nach New Montana verlegt.“ Sie räusperte sich. „Deinetwegen gab es keine unangenehmen Fragen, weil du jetzt amerikanischer Staatsbürger bist. Von Manteuffel und Ewers haben dafür gesorgt.“

„Wirklich?“ Ullstein empfand ein leichtes Bedauern, als er von Tankreds Tod erfuhr. Der Mann war zwar korrupt gewesen, aber er hatte sie auf die Spur Stalins und des Serums gebracht, das die Menschen angeblich gegen die Pest immunisieren konnte. Noch größeres Bedauern empfand er, als er von Charlotte Danzigers Zustand hörte: Er hatte sie auf den ersten Blick gemocht und war nach Alexandras mutmaßlichem Ableben drauf und dran gewesen, sich ernsthaft in sie zu verlieben.

„Sie hat von Manteuffel von Bormanns angeblicher Tante und den in der Festung Heldrungen hausenden Werwölfen erzählt. Er ist gerade im Begriff, sich die Dame vorzuknöpfen und in Erfahrung zu bringen, was sich konkret in der Festung tut.“

Ullstein runzelte die Stirn. „Wieso interessieren ihn diese Typen? Die Legion führt doch keinen Krieg gegen sie? Das sind doch nur dumme Proleten ohne Stellenwert.“

Alexandra stand auf und schaute aus dem Fenster. „Er hat private Gründe. Als dieser Hitler damals geputscht hat, ist von Manteuffels Bruder Ludwig ums Leben gekommen.“ Sie drehte sich wieder um. „Und eins kann ich dir sagen: Wenn der Herr Generalmajor jemanden auf dem Kieker hat, gibt er erst Ruhe, wenn er in einer Kiste liegt.“

Die Tür ging auf.

Wenn man den Teufel rüft, dachte Ullstein, kommt er gelüft.

Generalmajor Kurt Kaspar von Manteuffel, der Militärattaché Preußens in New Montana, trat ein. Er sah in seinem grünen Lodenmantel und dem schwarzen Filzhut so deutsch aus wie nur was. Auf seiner Nase thronte ein Zwicker.

Er nickte Alexandra kurz zu, murmelte etwas, das wie ein spöttisches „Gnä’ Frau ...“ klang und blieb vor Ullsteins Lager stehen.

„Freut mich, Sie gesund und munter zu sehen, Herr Ullstein.“ Er deutete über seine Schulter. „Unseren Gefährten ist es leider weniger gut ergangen ...“

„Fräulein Bu...“ Ullstein schaltete in letzter Sekunde um. „Fräulein von Xanten hat mich schon grob in Kenntnis gesetzt, Herr Generalmajor.“ Er hatte plötzlich große Lust, den Kommisskopp militärisch zu grüßen, doch da er im Bett saß, würde er nur lächerlich wirken.

„Keine Titel ...“ Von Manteuffel schaute sich argwöhnisch um. Befürchte er, von finsteren Mächten abgehört zu werden? „Nennen Sie mich einfach nur Graf.“

Alexandra bedeckte ihren roten Mund mit der Rechten und verdrehte die Augen.

Ullstein hatte das Gefühl, dass sie sich zusammenriss, um nicht laut loszuplatzen.

„Ich habe in der letzten Woche, während Sie schliefen, die Gelegenheit genutzt, um der Dame einen Besuch abzustatten, der die Festung Heldrungen gehört.“ Von Manteuffel musterte Alexandra kurz von der Seite und räusperte sich. „Sie ist gar nicht die Tante des Herrn ­Bormann, sondern eine Baroness aus der äußerst wohlhabenden, in meinen Kreisen jedoch wenig geschätzten Sippschaft derer von Sulzbach.“

„Sulzbach?“, sagte Ullstein. „Ich kann mal einen Oskar Sulzbach. Wir haben zusammen im Schützen­graben gelegen. Inzwischen arbeitet er als Damenimitator.“Von Manteuffel runzelte die Stirn. Schrullige Typen interessierten ihn offenbar wenig, denn er fuhr ungerührt fort: „Wie ich in Erfahrung bringen konnte, ist Frau von Sulzbach bürgerlicher Herkunft und hieß früher Braun. Eine ihrer Cousinen, ein Mädel namens Eva, hat ein Verhältnis mit diesem österreichischen Putschisten ... Wie heißt er doch gleich?“

„Hitler?“, sagten Ullstein und Alexandra wie aus einem Munde.

„Ja.“ Von Manteuffel nickte. „Seit Eva sich von ihm getrennt hat, da ihr ein Leben im Untergrund wenig zusagt, hilft sie dem Cousinchen, wo sie nur kann.“ Er räusperte sich. „Wie dem auch sei ... Hitler ist nach Bormanns Verschwinden in aller Eile mit seinem engsten Kreis nach Berlin verzogen. Seine Nachhut, etwa ein Dutzend Schergen, sind noch damit beschäftigt, seinen Krempel zu verpacken.“ Er grinste, und zwar auf ziemlich perfide Weise. „Ich habe die örtliche Polizei auf sie angesetzt. Per Fernsprecher. Und natürlich anonym.“

Ullstein war versucht zu applaudieren, doch er unterließ es: Er hatte Generalmajor von Manteuffel als humorlosen Laffen kennen gelernt, der kein Späßchen verstand. Er fragte sich gerade, ob es auf der Erde wohl eine Frau gab, die einen von Standesdünkel triefenden Stiesel seiner Art attraktiv fand, als Alexandra einwarf: „Erzählen Sie ihm doch bitte, was Sie von Tankred vor seinem Ableben erfahren haben, Graf.“

Von Manteuffel nickte. „Gut, dass Sie mich daran erinnern.“ Er wandte sich Ullstein zu. „Kommissar Tankred hat mir eine wichtige Begegnung mit einem Fräulein Katharina und einer gewissen Thusnelda von Gleiwitz-Lothringen in einer Restauration namens Haus Vaterland geschildert.“ Er setzte eine triumphierende Miene auf. „Dabei kam zur Sprache, dass der bolschewistische Lump Stalin dem Fräulein von Gleiwitz-Lothringen, einer ­Chemiestudentin, ein verkorktes Tablettenröhrchen mit einer Flüssigkeit ausgehändigt hat, die sie im Laboratorium analysieren sollte. Den Grund dafür hat Tankred leider nicht erfahren, aber er mutmaßte, dass es sich um eine Probe des Anti-Pest-Serums handelte, und dass der wackere Genosse Stalin ein paar Tröpfchen des Mittels abgezweigt hat, um ein privates Geschäft damit zu machen.“

Ullstein und Alexandra schauten sich an.

„Ich habe diesen Verdacht natürlich sofort an die entsprechenden Stellen unserer Organisation weitergemeldet“, fuhr von Manteuffel fort. „Und jetzt raten Sie mal, was man dort entschieden hat.“

„Oh, nein“, sagte Ullstein.

„Oh, doch“, sagte von Manteuffel.

2. Kapitel

Man glaubt gar nicht, wie schwer es oft ist,

eine Tat in einen Gedanken umzusetzen.

Karl Kraus

Es war ja nicht so, dass Ullstein etwas dagegen hatte, nach Berlin zurückzukehren: Dort befanden sich seine Wohnung, sein Büro und sein Lebensmittelpunkt. Außerdem gab es dort noch einen prominenten Herrn namens Erik Jan Hanussen, der ihm einen Haufen Geld schuldete.

Hanussen war auch schuld daran, dass er seit endlosen Wochen wie ein Zigeuner durch die deutschen Königreiche, Fürstentümer und Grafschaften ziehen und aus dem Koffer leben musste.

„Sie gehen nach Berlin, Herr Ullstein. Sie treiben diese Thusnelda von Gleiwitz-Lothringen auf und nehmen ihr das Röhrchen mit dem Serum ab.“

„Können Sie das nicht selbst machen?“

„Nein. Wie Sie vielleicht wissen, bin ich für den preußischen Staat als Attaché tätig. Ich habe anderweitige Verpflichtungen.“

„Warum schicken Sie nicht ... meinen alten Freund Botho von Grimelsheim? Der wohnt auch in Berlin und ist momentan ohnehin viel näher dran als ich.“

„Herr von Grimelsheim ist momentan für die ­Organisation anderswo tätig und kann leider nicht abgezogen werden.“

„Ich möchte mich endlich mal ausschlafen.“

„Sie haben eine ganze Woche geschlafen, Herr Ullstein.“

„Ich fühl mich, als wär’s unter ’ner Brücke gewesen.“

„Schlafen Sie unterwegs, Leutnant. Es geht um die Zukunft des Reiches!“

*

Und deswegen war er jetzt wieder auf Achse, saß im schicken Rauchersalon des Luftschiffes Graf Zeppelin bei einem Schultheiss-Pils, nuckelte an einer kubanischen Zigarre und blätterte im Erfurter Intelligenzblatt. Aus dem er dann die Neuigkeit erfuhr, dass der Hellseher Erik Jan Hanussen spurlos verschwunden war: Seine übersinnlichen Kräfte hatten ihm angeblich verraten, dass eine finstere Macht im Begriff war, negativen Einfluss auf sein Leben zu nehmen.

Was für ’ne gottverdammte Scheiße, dachte Ullstein. Hätte der Blödmann nicht warten können, bis er mein Honorar geblecht hat?

Unter normalen Umständen wäre er längst pleite gewesen. Welch ein Glück, dass es die Schwarze Legion gab. Sie hatte ihn auch diesmal mit Barem und allen Visa versorgt, die man heutzutage brauchte, um von Beyenburg nach Wipperfürth zu reisen. Vor dem Abflug aus Erfurt hatte man ihn mit allen nötigen Textilien ausstaffiert. Außerdem reiste er mit einem in Elberfeld, New Montana, abgestempelten US-Diplomatenpass.

„Wie kommen die eigentlich an die ganzen Papiere, Fräulein Bu... Ich meine von Xanten? Ist da etwa Vetternwirtschaft im Spiel?“

„Unter anderem.“ Alexandra saß ihm gegenüber. Sie hatte die letzten Minuten stumm aus dem Fenster in den eisgrauen Nebel hinausgestarrt, unter dem man das grünbraune Land nur noch erahnen konnte. „Aber wenn du noch mal diesen doofen Namen aussprichst ...“

„Wie heißt du wirklich?“

„Roswitha.“

„Oh.“ Ullstein lächelte. „In der Volksschule war ich in eine Roswitha verliebt. Sie hatte blonde Zöpfe, blaue Augen und entzückende Sommersprossen.“

„Und jetzt arbeitet sie als Herrenimitator?“

Ullstein musste an sich halten, um nicht loszuplatzen. „Es war in der ersten Klasse. Ihr fehlten die Vorderzähne, aber ich war trotzdem rasend in sie verknallt. Sie hat mir den ersten Kuss meines Lebens gegeben.“ Er zwinkerte Alexandra zu. „Und weiter?“

„Wie weiter?“

„Ist so ’ne Redensart. Wie heißt du weiter? Außer Roswitha, mein ich.“

„Mehr brauchst du nicht zu wissen.“

„Wieso wurde mir zugetragen, dass du Bu...“ Er räusperte sich. „Du weißt schon ... heißt?“

„Wer hat es dir zugetragen?

---ENDE DER LESEPROBE---