Und dann noch eine Zeile oder mehr - Wolfgang Tschapka - E-Book

Und dann noch eine Zeile oder mehr E-Book

Wolfgang Tschapka

0,0

Beschreibung

Gedichte entstehen meistens nicht in den Stationen des Lebens, sondern auf den Strecken dazwischen. In sechs Jahrzehnten gibt es genug solche Strecken, um schließlich eine Sammlung von Gedichten herauszugeben. Dabei reichen die Stimmungen von satirisch bis melancholisch, von philosophisch bis erotisch. Einfach das Leben halt!

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 90

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Cui dono lepidum novum libellum?

Frühling

Traumschmelze

Leben

Lenz

November

An den Bruder

Sonett

Jahreswechsel

Sonett

Fast

Wiedersehen

Heidegras

Flut

Crescendo

Impromptu

Goldenes Kalb

Ave amata

Ufer

Erinnerung 1

Erinnerung 2

Epiphanie

Hymnus

Neue Liebe

Porzellan

Ihr Lied

Wiedersehen

Steirisches Requiem

Gehalten werden

Liebschmelze

Für dich

Fuchs und Traube

Abend

Die Veronikalieder

Zum Tod von Veronikas Vater

Fremd

Ohne dich zu sein

Oiseaux tristes

Eurydike

Wild wund

Dichterschule: Suizid

Auf halbem Weg

Chloe

Kathedrale von Sevilla

Natürlich die Bäume

Märchenpotpourri

Meine Gasse

Irgendwann

Wenn ich ein Vöglein wär

Das Lied vom Putsch

Verkehrte Welt

Glaubensverlust

Mücken im Wind

Der alte Wolf

Ich träume manchmal winters

Danach

Dämmerung

Verbunden

Wir

Heimgekommen

Nocturne

Lied der Stadt

Die Vater-Sonette

Sinnlos

Lied für eine Gehetzte

Zufrieden

Heimat

Dahin

Es kommt die Zeit

Stadtmorgen

Septetten

Some English poems

The poet

Man

Sitting by the waterfall

To the ancient poet

To Ovidius

Rain, pour down

Misty reason

The cry

Little grew the day

The life we live

A song for you

About the un-girl

You

Cage-bird

Sexual act

The more you want me

Paradise regained

Greece

The rain of memory

To myself

Mating season

Waking up

Rigor mortis

Me – you – us

The jester 1

The jester 2

Farewell

Vorbemerkung:

Es wird immer wieder behauptet, ein gutes Gedicht brauche keine Erklärung. Ein Gedicht müsse durch sich selbst verständlich sein. Dem muss ich widersprechen. Es ist doch so, dass man Gedichte zu einem hohen Prozentsatz für sich selbst schreibt, mit dem Vokabular, mit all den Symbolen und Chiffren, mit dieser ganzen Geheimsprache, die einem so vertraut ist, dass Erklärungen tatsächlich überflüssig sind. Wenn man aber den Schritt wagt, mit seinen Gedichten an ein Leserpublikum heranzutreten, dann will man, dass Kommunikation entsteht, und die ist nur möglich, wenn die Texte mit ihren Andeutungen, Symbolen und Subtexten vertändlich sind.

Deshalb habe ich es für angebracht erachtet, hin und wieder kurze erklärende Kommentare zu meinen Gedichten hinzuzufügen.

Ich wünsche fruchtbare Lektüre!

W.T.

cui dono lepidum novum libellum?

Wem schenke ich das lächerliche neue Büchlein? Mit diesen Worten widmete der römische Dichter Catull seine Gedichtsammlung seinem Gönner Cornelius Nepos. In meinem Gedichtzyklus kommt auch versteckt Ovid vor, der seine Gedichte aus der Verbannung nach Rom schickte. Diesen beiden Dichtern verdanke ich sehr viel Inspiration.

1. cui

jahrhundertwein – und ich vergeh im denken.

ich bin nur ich, soweit ihr es erlaubt.

oder noch weniger? nie hätte ich geglaubt,

wie tief sich fremde spuren in mich senken.

doch hab ich nie aus blinder gier geraubt.

goldregen floss auf meine ausgestreckten hände

und wolken zogen an ein fernes dunkles ende,

ich trug sie fort, und trage noch – antik, verstaubt.

da kommt es, dass ich sie für mich verwende.

ich stehe auf der spitze einer pyramide

und gehe bröckelnd ein mit meinem liede

hinein, hinab in sand und wüstenbrände.

jahrhundertwein – und ich vergeh im denken:

wem soll ich meine armen verse schenken?

2. dono

der eine hatte gold an seinen armen.

an mir klebt staub und stein.

ich wollte scholle sein

und mich um alle welt erbarmen.

der zweite streute herben weihrauch ein.

ich blase staub aus lichternen gedanken

und weise kaum mich selber in die schranken,

geschweige denn das unrecht und die pein.

der dritte hatte myrrhe in den pranken.

ich weiß kaum was das ist.

als armer komponist

gerate ich nur allzu leicht ins wanken.

man spricht von königen und manchmal auch von weisen.

mich werden höchstens meine eigenen verse preisen.

3. lepidum

das epos ist noch immer ungeschrieben.

mein stift und auch mein wille ist zu klein

um humus und geburt für größeres zu sein

als das, woran die worte selber kleben blieben.

das hat mit feigheit nichts zu tun. o nein –

es soll nur jede meiner kurzen zeilen

sich gerne fügen. lang herum zu feilen

macht schmutzig. dazu bin ich mir zu fein.

vielleicht in ein paar jahren werd ich eilen

von drang zu sturm, vom singen zum geschrei.

ich fürchte nur, die melodien vergehen dabei,

die ich so liebe, wenn sie in mir weilen.

ich will im leben lieber groß sein und ertrinken

statt in der tinte einer falschen wahrheit zu versinken.

4. novum

erkennst du dich wieder beim lesen?

habe ich dich zu arg missbraucht?

ich warte bis dein zorn verraucht.

du bist früher nicht so roh gewesen.

du hast mir die seele eingehaucht,

hast mir den stift in die hand gezwungen.

stundenlang hab ich mit dir gerungen

und bin dann doch in dein meer getaucht.

ich habe deine weisen gesungen

bis mir der atem versagte, und dann

habe ich erst gewusst was ich kann:

es ist mir ein eigenes lied gelungen.

du – das ist: ihr – das ist: ich habe gelernt

und bin jetzt weiter als je von euch entfernt.

5. libellum

es hat einer einst sein buch nach rom geschickt.

ich schicke dich wie ein kind von mir.

meine blicke und gedanken folgen dir

wie wenn eine mutter aus dem fenster blickt.

bist du auch fort, bist du doch noch hier.

deine seiten, deine zeilen sind in meinem denken.

wohin wirst du jetzt deine schritte lenken?

ich steh da, dich im sinn, setz mich hin und frier.

in den künetten des lebens dich zu versenken –

lass es sie nur getrost versuchen.

du bist nicht gemacht für die geisteseunuchen

die sich verkaufen und dich verschenken.

du bist da, ich bin du, und – je ferner, je leiser –

schreien wir, zugvogelgleich, uns die hälse heiser.

frühling

die tage werden wieder länger

ich freue mich wie ein lampion

im lachen meiner clownerie zerschmilzt

der schnee

die stadt hat lauter silberdächer

der frühling richtet seine schmiede ein

das land ist gut, wohl wert dass sich die sonne

sein unterwinde

die blinden scheiben meines fensters

eröffnen sich, ich werde frei

der atem strömt mit lebenspendender

kälte durch mich

die tage werden wieder länger

ich bin in meiner ernsten maske fröhlich

im herzen bin ich faun, in meinen liedern

ruht die nymphe

traumschmelze

jetzt sind die straßen meiner stadt voll feuchtem schmutz

der regen wäscht nicht – er verteilt

die erste wärme hat nun endlich uns ereilt

ich knarre morsch

von meinen träumen rieselt der verputz

durch eine nasse nacht beeilen nasse leute sich

kaum flackert irgendwo ein licht der lust

wie schmiedeeisern liegt ein reifen um die brust

die träume ziehen hin

auf die, die bleiben, stürzt die meute sich

ich brauche eine, die, bevor die hunde kommen,

den letzten traum, den ich gebäre, unter ihre röcke nimmt

und dort verbirgt, denn hier wird ganz bestimmt

kein traum

von irgendjemand aufgespürt und weggenommen

leben

wenn der nebel aus den wäldern aufsteigt

weiß dampfend

die gipfel umspielt

umweht die gipfel

dann gehe ich gern zwischen den stämmen

unter den stämmen gehe ich gern

den knarrenden stämmen.

ich gehe gern wo niemand ist

fast keiner

wo so wenige menschen gehen

dass die wenigen einander grüßen.

das ist nicht so sehr

eine frage des ortes.

wenn die nebel steigen

wenn es geregnet hat

dann muss man gehen

dort muss man hingehen.

ich denke mir da das leben

irgendein leben

- leben –

denke ich mir als grünes reptil.

schlingend und speiend denke ich es mir –

ja, schlingend

oder brennend, und wir

springen durch den feuerreifen

den fischen nach und lohnenden brocken.

am dümmsten ist

ob es sich auszahlt,

und dann

ob es die anderen tun,

dagegen

ob es die anderen sehen.

seltsam dass ich dort

wo niemand hört

am schönsten singe

am liebsten.

ich singe dort wo –

dann wenn ich mich selbst nicht hören kann.

ich werde selbst einmal verderben.

wen schert’s?

doch das ist ein gedankensprung.

lenz

eines stillen tages kam die wolke

und stahl sich über unser firmament

der horizont begann in ihrem schatten

zu schmelzen wie der frühlingsschnee

da blühte alles auf was du mir zeigtest

denn froh und nah schien uns der tag

die wurzel aber die uns beide säugte

zerschlugst du mit der wucht der schritte

november

ich leiste mir

- ein buntes blatt im auge –

herzensfröhlichkeit

fällt nebel ein

bemühe ich

metaphern nicht

nebel ist nebel ist nebel

nur wenn die sonne

früh am morgen

wolkensäume rötet

fällt mir ein grabstein ein

der mir den blick

auf jenen horizont

einmal verstellen wird

an den bruder

Dieses Gedicht muss um 1980 entstanden sein, damals war es aktuell.

du bist ein baum, ich war es auch,

in einem weiten feld.

durch lüfte segelst du als rauch,

niemandem zugesellt.

ich war so stolz, jetzt bist es du,

ein felsatoll im meer,

ein adler, der in aller ruh

nicht fragt: wohin? woher?

weißt, irgendwie hast du ja recht.

und doch, es kommt die zeit,

wo man sich fesseln lassen möcht

in froher zweisamkeit.

ein haus, wo du hineingehörst,

ein mensch, der dich beschützt.

man spürt die kalten füße erst,

wenn man im warmen sitzt.

sonett

Unter allen Gedichtformen ist mein großer Liebling das Sonett, deshalb habe ich es auch unzählige Male verwendet und variiert, und zwar in der Form, in der auch Shakespeare es geschrieben hat, mit dem typischen gereimten Zweizeiler am Schluss.

ein lächeln ist mit früchten in den sand gefallen,

die bäume der allee vergilben mit der zeit.

der herbst wird schön. in mir und auch in allen

ist jeder atemzug zum äußersten bereit.

die rosen, die kaum blühten, sind vergangen,

die schritte, die ich kannte, sind dahin.

der herbst wird still. die lieder, die mir klangen,

verlieren nach und nach den alten, klugen sinn.

in weiten eines ozeans lass ich mich treiben,

und doch bin ich nicht lustlos und gepeinigt.

an keinem ort, der mich erinnert, will ich bleiben,

und dennoch bin ich nicht von schmerz gesteinigt.

aber es ist kein wunder, dass ich mich nicht schwere:

wo nichts gewesen ist, da bleibt auch keine leere.

jahreswechsel

die kerzen flackern, und für die stille

haben wir keine zeit.

du drängst mich aus der nische meiner

behaglichen beschaulichkeit.

das jahr, das, als es herbstete,

anfing zu blühen,

stürzt rasend auf das ende zu.

schon bald wird es verglühen.

noch ist es kalt und sturm geht

durch die nebligen gassen.

unsere lippen werden rau und feucht,

wenn wir einander verlassen.

darf ich dir winter jetzt und weihnacht sein,

dann sei so gnädig

und sei mir du im nächsten jahr ein heißer